Kellergenerator von ElCidIV (Schwarze Herz Reihe) ================================================================================ Kapitel 1: Kellergenerator -------------------------- Kampfunde sind in diesem Ort verboten, also trainiere ich meine Tiere heimlich. Wollen Sie wissen, warum? Ich erkläre es Ihnen. Vor etwa einem Jahr kamen ein Junge und ein Mädchen aus der Nachbarschaft bei mir vorbei. Sie waren schon länger draußen unterwegs gewesen, da ihre Haustiere verschwunden waren. So sind sie eine ganze Weile von Haus zu Haus gegangen und haben den Leuten Fotos von ihren Tieren gezeigt, so wie mir in diesem Moment. Ich bin ein großer Tierfreund, mag jedoch keine Kinder und nahm die Bilder mit spitzen Fingern entgegen. Doch beim Anblick der Hunde und Katzen wurde mir dann doch warm ums Herz und ich ließ mir von den Kindern erzählen, wann die Tiere verschwunden waren. Es waren übrigens nicht nur ihre eigenen Haustiere. Das erklärten sie mir auf meine Verwunderung hin, als ich mir die vielen Bilder ansah. Es waren die Haustiere vieler Leute aus ihrer Nachbarschaft. Im Auftrag von allen diesen Leuten waren sie unterwegs. Das imponierte mir dann doch. So sehr, dass ich beschloss, ihnen zu helfen. Doch was blieb mir anderes übrig, als ebenso wie sie von Haus zu Haus zu gehen, zu klingeln und zu fragen. Wie bereits erwähnt hatte ich keinen Draht zu Kindern und wollte nicht mit ihnen zusammen gehen. Die meisten Leute bei denen ich klingelte, öffneten gar nicht erst die Tür und wenn sie es taten, hörten sie kaum hin und wollten das Gespräch schnell wieder beenden. Bald schon hatte ich deshalb immerhin schon alle Häuser abgeklappert. Nun ja, fast alle. Ein Haus fehlte noch. Das war allerdings noch zu verzeihen, da es sich bei dem besagten Gebäude nicht wirklich um ein Haus handelte. Es war der Städtische Schrottplatz. Jeder, der noch ganz bei Sinnen war, mied diesen Ort. Der Wächter des Platzes galt als verrückt und gefährlich. Hinzu kam, dass er immer diesen Köter bei sich hatte. Der fiel alle an, die sich dem Schrottplatz auch nur auf wenige Meter näherte. Dennoch entschloss ich mich, es zumindest bei ihm zu versuchen. Ich hätte sonst keine Ruhe gefunden. Nun stand ich allerdings vor einem weiteren Problem. Es gab zwar ein großes Tor, aber keine Klingel. Ansonsten gab es nur Mauern, höher als ich. Sollte ich rufen? Damit würde ich mich zweifelsohne lächerlich machen. Doch die einzige Alternative wäre über die Mauer zu klettern und mir von dem Köter den Hintern zerfetzen zu lassen. So tigerte ich planlos ums Gelände und starrte die Mauer an. Wahrscheinlich hätte ich noch bis zum Abend so verharrt, wenn ich nicht plötzlich eine raue Stimme hinter mir gehört hätte. „Hast du vor, hier einzubrechen? Tja, Pech gehabt, hier gibt es nur Schrott.“ Ich drehte mich um und stand dem Mann vom Schrottplatz gegenüber. Er war abenteuerlich gekleidet, trug scheinbar willkürlich zusammengeflickte Kleidungsstücke und eine Schweißerbrille auf der Stirn. Jeweils ein Ärmel und ein Hosenbein waren abgerissen und durch Lederbänder ersetzt. „Nein.“, meinte ich, „Das war nie meine Absicht.“ Ich erklärte ihm, dass ich auf der Suche nach den verschwundenen Tieren sei. Daraufhin wurde auch er nachdenklich und bat mich zu sich hinein. Wie erwartet, spielte sein Köter wieder verrückt. Knurrend und die Zähne fletschend sprang er an mir hoch, bis der Alte ihn wieder zurückpfiff. Hinter dem großen Tor türmte sich der Schrott in allen Richtungen. Dazwischen befand sich eine großflächige Schneise. In dieser Schneise stand sein Haus. Es wirkte abenteuerlich zusammengeschustert. Sicher mochte es einst ein ganz normales Steinhaus gewesen sein, doch nun war der größte Teil mit Stücken aus Schrott bedeckt. Im Haus drinnen sah es nicht wirklich anders aus. Ein richtiges Mobiliar gab es nicht. Alles war aus alten Schrottteilen zusammengebaut. Doch das sah man erst auf den zweiten Blick. Das was zunächst wie ein gewöhnlicher Tisch wirkte, bestand aus lackierten Holzresten, befestigt mit Leim, der aus alten Zeitungen angerührt wurde. Die Sessel waren mehrfach geflickte Planen, die mit unbrauchbaren Lumpen gefüllt waren. Vorsichtig ließ ich mich darauf nieder. Der Alte hatte da weniger Sorgen. Er ließ sich krachend auf den gegenüberliegenden Sitzplatz fallen. Hier fühle er sich sicher und konnte frei reden. So berichtete er mir zunächst das, was ich bereits von den beiden Kindern gehört hatte. Verschwundene Tiere in der gesamten Umgebung. Dadurch, dass ich es nun von einem Erwachsenen hörte, bekam die ganze Geschichte eine erschreckende Glaubhaftigkeit. Mein Blick fiel auf den Hund. Warum den noch keiner entführt hatte lag auf der Hand. Niemand würde so eine durchgedrehte Töle entführen. Der Alte schwieg eine Weile. Dann erzählte er mir noch etwas fiel interessanteres. Er hatte in einer Nacht beobachtet, wie ein Lastwagen in der Nachbarschaft hielt. Es wäre gut möglich, dass die Tiere darauf verladen wurden. Auf jeden Fall war es wohl sehr verdächtig. Ob er schon mit jemand anderem als mir darüber gesprochen hatte, wollte ich wissen. Dies verneinte er. Mit wem hätte er auch darüber sprechen können, wenn alle einen Bogen um ihn machten. Außerdem glaubte ihm bestimmt keiner. Wohin die Lastwagen gefahren seien, fragte ich ihn. Aus der Stadt hinaus, bekam ich zur Antwort, wo sich auf einer Anhöhe eine alte Fabrik befand. Dorthin fuhren alle Laster. Wie die meisten Leute kannte ich diese Fabrik zumindest vom Sehen her. Man konnte sie in weiter Ferne erkennen, wenn man mit der Bahn daran vorbei fuhr. Es war eine dieser Strecken, die lediglich von Feldern umsäumt war. Ich denke niemand würde damit rechnen, dass dieser schmutzige Betonklotz noch in betrieb gehalten wird. Der Verfall hatte zu sehr daran genagt und die eingeworfenen Fenster sprachen Bände. In jeglicher Hinsicht stand fest, dass ihr niemand mehr Beachtung schenkte. Damit war das der ideale Ort um jemanden unbemerkt dorthin zu verschleppen. Der Mann erzählte mir, dass diese Fabrik so lange leer stand, dass sich niemand mehr daran erinnerte, was sich vorher darin befunden hatte. Es konnte also so gut wie alles gewesen sein. Ich verabschiedete mich und ging nach Hause, doch die Geschichte verfolgte mich. Wie man es auch drehte und wendete, die Tiere waren verloren. Zumindest versuchte ich mir das so einzureden. Doch es war immer ein Krieg mit dem verfluchten Gewissen. Man wälzte die Gedanken in seinem Kopf umher, um den marterndem Pfeil die Schärfe zu nehmen. Doch es bringt nichts. Wie elektrisiert fahre ich immer wieder zusammen bis ich schließlich mitten in der Nacht einen Entschluss fasste. Ich sprang aus dem Bett, zog mich an und machte mich auf den Weg in die Fabrik. Ich kam gerade erst bis zur ersten Straßenecke, da merkte ich, dass ich verfolgt wurde. Da die Straßen nachts wie ausgestorben waren, hörte man jedes Geräusch wesentlich besser als am Tag. Ich schlug mehrmals in kleinere Nebengassen ein um meine Verfolger abzuhängen. Doch auf diese Weise, das war mir klar, würde es bis zum Morgen dauern bis ich die Fabrik erreichte. Daher wusste ich, was zu tun war. Wenn sich der Verfolger nicht abschütteln ließ, musste ich ihn stellen. Danach konnte ich noch immer alles abstreiten. Ich würde einfach behaupten, ich wollte nur noch Zigaretten kaufen und danach wieder zurück ins Bett. Mit diesem Plan wurde mir direkt leichter ums Herz. An der nächsten Ecke tat ich so, als würde ich gemächlich weiter schlendern, doch legte ich mich in Wahrheit direkt auf die Lauer. Schritte näherten sich. Leise Schritte zwar, aber dafür jedoch definitiv mehr, als eine einzelne Person verursachen konnte. Mir wurde flau im Magen, doch es gab kein Zurück mehr. Ich war schon immer schlecht darin, unter größerem Druck einen Plan B zu entwickeln. Die Schritte beschleunigten sich. Mein Herz pochte laut und verräterisch. Innerlich zählte ich bis fünf. Ich spannte sämtliche Muskeln an. Zwei Gestalten kamen um die Ecke. Doch Moment! Da stimmte doch etwas nicht. Wieso waren sie so klein? Weil es die beiden Kinder waren, die mir nachliefen. Meine Anspannung wich nun großem Zorn. Was sie um diese Zeit von mir wollte, fuhr ich sie an. Die beiden zuckten nicht einmal zusammen, was mich auf hundertachtzig brachte. Aber die Antwort der Kinder machte mich baff. Sie hatten von Anfang an gewusst, dass ich die Fabrik aufsuchen würde. Warum? Der Schrotthändler hatte es ihnen erzählt. Was zum Henker hatten die Kinder bei dem alten Schrotthändler zu suchen? Sie waren sogar wesentlich öfter dort zu Gast. Der Alte mochte Kinder. So gingen über zwanzig Jahre meiner Menschenkenntnis zum Teufel. Der Schrotthändler hatte jedenfalls sofort bemerkt, dass mich diese Geschichte nicht mehr loslassen würde. Da wusste er bereits mehr als ich. Jedenfalls hatte er die beiden Kinder hinter mir her geschickt um mir zu helfen. Was für eine Schnapsidee. Wie die mir helfen sollten, fragte ich mich laut. Wer laut denkt muss mit Antworten rechnen. Die Kinder öffneten ihre Rucksäcke. Zum Vorschein kamen diverse Werkzeuge. Zangen um Zäune durchzuschneiden, Kletterwerkzeuge und sonstiger Krimskrams. Wirkte alle zusammengetüftelt. Kam mir bekannt vor. War gewiss vom Alten. Jeder andere hätte an dieser Stelle wohl das Werkzeug an sich genommen und die beiden Kinder nach Hause geschickt. Nicht so ich. Dazu fehlte mir das nötige Einfühlungsvermögen. So erhob ich keine Einwände, als sie mich weiterhin begleiteten. Wir fuhren einen Teil der Strecke mit der Bahn. Dann hatten wir noch einen langen Fußweg vor uns. Inmitten der Feldwege erstreckte sich der Betonklotz. Umgeben von Zäunen und Stacheldraht. Wie gut, dass ich die Kinder noch getroffen hatte. Tatsächlich hatte ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, wie ich in die Fabrik hineingekommen wäre. Wahrscheinlich hatte ich sogar darauf gewettet, dass ich hier nicht weiter kam und einen guten Grund hatte, wieder nach Hause zu gehen. Unverrichteter Dinge. Jetzt gab es kein Zurück. Ich musste weiter. Somit waren mir die Kinder Fluch und Segen zugleich. Es machte mir schon Sorgen, wie geschickt die beiden mit der Zange umgehen konnten. Im Nu war ein Loch im Drahtzaun. Die Jugend erfüllte ihren Zweck mit beängstigender Nützlichkeit. Das Gebäude lag brach. Es war niemand zu sehen. Auch keine dunklen Lastwagen. Hinter den Fabrikfenstern lag Schwärze. Doch das mochte nicht unbedingt etwas bedeuten. Das große Tor war selbstverständlich verschlossen. Ich sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als die Kinder mir Bunsenbrenner und Schweißer-Masken reichten. Nie hatte ich mit so etwas hantiert. Aber immerhin habe ich Talent darin, so zu tun, als hätte ich Talent für irgendetwas. Mit lautem Scheppern ging das schwere Metall zu Boden und wir traten in eine riesige Fabrikhalle. Es war stockfinster. Nicht einmal das Mondlicht drang durch die Fenster, obwohl diese kaum noch Scheiben besaßen. Diejenigen die noch verglast waren, hatte man mit Ruß geschwärzt. Nachdem wir uns an die Dunkelheit gewöhnt hatten, suchten wir die Halle ab. Schräg gegenüber vom Eingang befand sich noch eine metallene Doppeltür. Sie erwies sich als unverschlossen. Allerdings war der verwitterte Flur, der sich dahinter erstreckte noch dunkler. Nachdem ich den Kindern noch einmal eingeschärft hatte, auf keinen Fall den Lichtschalter zu betätigen, reichten sie mir kommentarlos eine Taschenlampe. Als ich so alt war wie sie hatte ich meine Zeit damit verbracht, Käfer zu sammeln und Angst vor Erwachsenen zu haben, was man damals noch Respekt nannte. Immerhin verliefen die Gänge um die Halle weitestgehend gerade, abgesehen von ein paar vorhersehbaren Abzweigungen. Ein großes Gebäude. Wir legten unterwegs kleine Pausen ein. Schließlich war es mitten in der Nacht. Die Kinder waren noch sehr jung und ich… nicht. Um die Batterien zu schonen, schalteten wir in den Pausen immer die Taschenlampen aus. Bei der dritten Pause geschah es dann. Die Taschenlampen gingen aus, doch es wurde nicht so dunkel wie sonst. Irgendwo in der Nähe befand sich eine Lichtquelle. Sie flutete aus dem Treppenhaus über das abgewetzte Linoleum. Entweder hatte nach der Schließung vor gefühlten tausend Jahren der Letzte nicht das Licht ausgemacht, oder – was wahrscheinlicher war – dort unten war noch jemand. Neugierig schlich ich näher ran und winkte die Kinder dabei beiläufig hinter mir her. Das Licht flackerte. Auch Geräusche waren zu hören. Da unten musste rege Betriebsamkeit herrschen. Mitunter polterte es sogar so heftig, dass ich mich wunderte, es nicht schon eher wahrgenommen zu haben. Anscheinend war ein Teil der Fabrik noch nicht stillgelegt. Wir schlichen uns ins Treppenhaus. Das flackernde Licht kam von unten. Was wir dort zunächst vorfanden, war lediglich eine lädierte Glühbirne am Ende der Treppe. Dahinter lag eine schwere Stahltüre. Auch der Lärm war dahinter zu hören. Wenn auch gedämpft. Die Türe musste vor langer Zeit einmal schalldicht gewesen sein. Jetzt schwächte sie den Krach lediglich ein wenig ab. Ich griff nach der Klinke und sah zu den Kindern. Sie nickten mir zu. Ich öffnete. Was auch immer in diesem Saal stattfand, es lief auf Hochtouren. Zuerst waren wir alle drei so geblendet, dass wir nichts erkennen konnten. Ich für meinen Teil konnte Neonlicht noch nie leiden. Erst recht nicht, wenn es so hysterisch flackerte. Als die bunten Sterne vor meinen Augen endlich wieder verschwanden, wurde ich vom Anblick, der sich uns bot, fast erschlagen. Maschinen arbeiteten dröhnend. Sie waren so unerträglich laut, dass es sich dabei unmöglich um moderne Exemplare handeln konnte. Außerdem waren die Geräusche nicht nur wegen ihrer Lautstärke unerträglich. Sie waren an sich mehr als bizarr. Sie klangen wie große verwundete Tiere. Und apropos Tiere. Die befanden sich in den Käfigen an der Wand. Und die Wände in der Fabrik waren hoch und breit. Wenn die Maschinen nicht im Blickfeld gewesen wären, hätte man den Saal auch ebenso gut für eine gigantische Tierhandlung halten können. Zumindest war klar, dass diese nervenaufreibenden Geräusche nicht allein von den Tieren kamen. Dennoch war klar, dass sie zu irgendetwas verarbeitet wurden, denn Menschen in seltsamen beigefarbenen Ganzkörperanzügen nahmen immer mal wieder eines heraus und legten es auf ein Fließband. So grauenvoll der Lärm auch war, er verhinderte immerhin, dass diese Leute unser Kommen bemerkt hatten. So fuhren sie mit ihrer Arbeit ohne Unterbrechung fort. Gerade nahm einer einen großen gescheckten Hasen aus dem Käfig und fixierte ihn flach auf einer Platte, die wiederum am Laufband befestigt war. Das Tier wand sich nicht; es konnte sich überhaupt gar nicht rühren. Aus meiner Sicht war es sogar schwer zu sagen, ob es überhaupt noch atmen konnte. Das Laufband mündete in eine größere Maschinerie. Was bei mir die Alarmglocken schrillen ließ, waren die Ablaufrinnen, die daraus hervor ragten. Das Tier entschwand aus meinem Blickfeld. Über die Maschine senkte sich eine Pressplatte herab. Bisher hatte ich überhaupt nicht gewusst, dass Hasen schreien konnten. Sie klingen wie Säuglinge. Während das Tier bei lebendigem Leibe ausgepresst wurde, schrien hinter mir nun auch die beiden Kinder. Ich ärgerte mich schwarz. Da kamen die beiden mit Bunsenbrenner und Zangen um mich auch ja vergessen zu lassen, dass sie Kinder sind, aber kaum stirbt ein kleiner Hase, bin ich wieder ein Erziehungsberechtigter. Sofort fuhren die Köpfe der Arbeiter zu uns herum. Ihre Blicke konnte ich nicht deuten, da sie Atemmasken trugen. All ihre Aufmerksamkeit war nun auf uns gerichtet. Automatisch wich ich zurück. Prallte aber selbstverständlich gegen die Kinder, die hinter mir erstarrt waren. Ich wandte mich zu ihnen um, doch ein Blick genügte um mir zu zeigen, dass sie zu traumatisiert waren um sich von der Stelle zu bewegen. Die Leute in den Anzügen riefen sich nun Befehle zu. Langsam umzingelten sie uns. Ich konnte nicht verstehen, was sie sich gegenseitig zuriefen. Die Maschinen waren noch immer im vollen Gange. Dennoch konnte ich ihren Gesten entnehmen, was uns erwarten würde. Einige von ihnen, vermutlich die höherrangigen, deuteten immer wieder abwechselnd auf uns und auf das Fließband. Mir war klar, dass ich zumindest für diesen Moment wieder der Erwachsene war. Die Kinder hatten mich quasi an die Hand genommen und hierher geführt. Jetzt musste ich ebenfalls meine Rolle in diesem verrückten Bühnenstück spielen. Wenn nicht mit bloßer Kraft, dann eben mit Verstand. Also tat ich das, was man in solchen Momenten von dem einzigen Erwachsenen der Gruppe nicht erwarten würde. Ich stellte mich nicht schützend vor die Kinder, sondern ergriff vermeintlich die Flucht und ließ sie zurück. Ich rief ihnen sogar zu, sie könnten die Kinder haben, so lange sie mich in Ruhe ließen. Tatsächlich konzentrierten sie sich zunächst nur auf die Kinder. Indes drückte ich mich an der Maschine entlang. Glücklicherweise fiel mir dabei wieder ein, dass ich noch einen der Rucksäcke der Kinder bei mir trug. Ich kramte darin herum, bis mir ein kleiner Werkzeugkasten in die Hände fiel. Schrauben, Schraubenschlüssel, Acht Kants… und was war das? Diese dünnen gewundenen Metallstangen. Mir wurde erst klar, was ich da vor mir hatte als ich die Maschine auspackte. Das waren verschiedene Aufsätze dafür. So weit so gut. Allerdings gab es da noch ein gewaltiges Problem. Es handelte sich dabei nicht um einen Akkuschrauber. Und selbst wenn, so musste es aufgeladen werden. Ein Schrei ertönte. Das Mädchen hatten sie bereits erwischt. Jetzt kreisten sie den Jungen ein. Ich suchte panisch nach einer Steckdose. Vorne an den Ablaufrinnen der Maschine waren welche angebracht. Vermutlich wurden dort Geräte zur Reinigung aufgeladen. Ich betete, dass sie funktionierten. Doch bevor ich sie erreichen konnte, stellte sich mir einer von den Typen in beige in den Weg. Ich hatte ihn gar nicht auf dem Schirm gehabt. Aber nachdem sie eines der Kinder gefangen hatten, war mir klar gewesen, dass sie nicht viel Personal benötigten um auch das zweite zu erwischen. Ein Aufschrei verriet mir, dass sie nun auch den Jungen geschnappt hatten. Ein Umstand, der mir jedoch für den Moment das Leben rettete. Denn genau in diesem Augenblick war der Mann abgelenkt. Ich warf mich mit aller Kraft gegen ihn. Hätte ich die Folgen davon auch nur erahnen können, hätte ich das wahrscheinlich sein gelassen. Die Wucht des Aufpralls beförderte ihn in die Presse. Wenn der Schrei des Hasen schon an meinen Nerven gezerrt hatte, so waren mir die Alpträume ab jetzt sicher. Seine Schreie waren laut, aber nicht so laut, wie das Krachen seiner Knochen und das Aufplatzen seiner Innereien. Ich musste mich jetzt zum Zentrum der Maschinen begeben. Leider befand sich dieses unter den Ablaufrinnen neben den Steckdosen. Wie sehr ich mich auch bemühte, meine Hände wurden mit Blut und Schleim beschmiert und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich das Kabel befestigt hatte. Dadurch dass sie so glitschig waren, rutschten sie immer wieder ab. Dann machte ich mich an einer der Metallplatten zu schaffen. Darunter befand sich der erwartete Kabelsalat. Und noch etwas. Aber ich konnte es nicht erkennen. Es befand sich hinter der Wand aus Kabeln und was auch immer es war – es irritierte mich aus irgendeinem Grund. Zunächst machte ich mich an die Kabel. Einige von ihnen konnte ich problemlos mit der Hand herausreißen. Für diejenigen, die zu fest waren, musste ich nach der Zange kramen. Eile war geboten. Inzwischen hatten sie den Jungen erwischt. Auch mich hatten sie wieder auf dem Kieker. Die verschiedenen Drähte, die sich kreuz und quer spannten, waren an verschiedenen Schrauben befestigt und ließen sich nicht durchtrennen. Es waren so viele, dass die Schrauben an den Wänden gleich den Zahnreihen eines Haifisches beieinander lagen. Ich nahm den Schraubenzieher und drehte wild an den Schrauben herum. Indes hörte ich lautes Geschrei. Offensichtlich hielten sie den Jungen für ein größeres Ärgernis, denn sie schnallten ihn als erstes auf das Band. Damit konnte ich mich jetzt nicht befassen. Wenn ich erst einmal die Maschine außer Kraft gesetzt hatte, würde es in nächster Zeit keine Opfer mehr geben. Doch es war seltsam. So viele Kabel ich auch entfernte, es schien keinen Effekt auf die Betriebsamkeit des Apparates zu haben. Einer der Arbeiter kletterte zu mir rüber. Ich überlegte schnell, womit ich ihn außer Kraft setzen konnte. Da schwappte ihm ein Strahl Blut von oben in die Augen. Er glitt aus und fiel. Mittlerweile hatte ich einen großen Teil der Kabel rausgerissen. Nun konnte ich auch erkennen, was mich an dem Gerät so irritierte. Hinter den Drähten bewegte sich etwas. Ja, es schien so, als wären die Drähte hauptsächlich dazu da, das in Schach zu halten, was sich dahinter befand. Mit einem Mal hatte ich es eigentlich gar nicht mehr so eilig zu erfahren, was das war. Dennoch musste ich mich zwingen weiter zu machen. Auf jeden Fall war das Ding da drinnen lebendig. Es waberte so unregelmäßig, dass es unmöglich von maschineller Natur sein konnte. Doch Grund zur Sorge bestand anscheinend nicht. Was auch immer es war, es saß in der Maschine fest. Etwas rötlich Pulsierendes. Die Maschine hatte doch nicht etwa ein Herz? Geschrei ließ mich wieder aufhorchen. Ich konnte nicht anders und sah von meinem Tun auf. Der Junge lag bereits gefesselt auf dem Band. Er schrie wie am Spieß, als die Maschine wieder in Gang gesetzt wurde. Ich konnte mir kein Zögern mehr erlauben. Wild riss ich alle Drähte raus die ich erwischen konnte, bis nur noch das Ding zu sehen war. Die Kinder kreischten. Der Junge rollte auf die Presse zu. Ich überwand meinen Ekel und griff so fest zu, wie ich nur konnte. Es war ein Organ, ähnlich einem pochenden Herzen. Dazu war es so glitschig, dass ich es nicht zu fassen bekam. Nur noch ein paar Zentimeter, bis der Junge unter die Presse geriet. Ich hob den Schraubenzieher. Die Presse zischte. Ich stieß mit aller Kraft zu. Das Organ platzte auf und etwas Kleines, Metallenes fiel klappernd auf den Boden. Die Maschine stand still. Im letzten Moment. Die Presse stoppte knapp über dem Jungen. Ich hob den Gegenstand auf. Es war ein schwarzer Anhänger in Form eines Herzens. Na ja, kein richtiges Herz. Es war eher rund und hatte oben die Wölbungen eines Herzens. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte und schob es erst einmal in meine Jackentasche. Indes war um uns herum das Chaos ausgebrochen. Nachdem die Maschine zunächst stehen geblieben war, begann sie nun auseinander zu fallen. Die Arbeiter wuselten wie kopflose Hühner herum. Sogar die Kinder schienen sie total vergessen zu haben. Zum Glück bewahrte das Mädchen einen kühlen Kopf und band den Jungen los. Knapp bevor die Pressplatte runtersauste, sprang er hinab. Verzweifelt versuchten die Arbeiter, die Maschine wieder in Gang zu setzen. Vergeblich. Es war, als würden die Schrauben zu Staub zerfallen. Jedenfalls zerfiel immer wieder alles in seine Einzelteile. Auch anschweißen half nichts. Was auch immer geschehen war, ich musste die Tiere befreien. Auch dafür eigneten sich die Zangen. Die Arbeiter beachteten uns nun gar nicht mehr. Genau wie die Tiere waren wir ihnen jetzt egal. Die Frage war nur, wie wir sie alle von hier weg transportieren sollen. Ich hätte ein Vehikel beschaffen können, aber ich wollte die Kinder nicht hier alleine lassen. Und die Kinder konnte ich ebenfalls nicht schicken. Wo um alles in der Welt hätten sie mitten in der Nacht ein Fahrzeug herbekommen sollen? In diesem Moment ertönte ein lautes Brummen von der Decke. Tatsächlich bebte der Raum. Dann krachte es laut über uns. Die Arbeiter schienen das gar nicht mitzubekommen und wuselten weiter herum. Da hörten wir von oben etwas, das fast wie statisches Rauschen klang. „He! Alles okay bei euch da unten?“ Ich versuchte mich daran zu erinnern, warum mir diese Stimme so bekannt vorkam. Doch da rief es auch schon von oben. „Geht aus dem Raum da unten raus! Schnell!“ Wir sahen uns um. Offenbar fühlten sich die Arbeiter nicht angesprochen. Sie versuchten weiterhin stumpfsinnig an der Maschine herumzubasteln. Also nahmen wir die Beine in die Hand und rannten ins Treppenhaus. Genau zur rechten Zeit. Denn bevor wir die Tür hinter uns zuschlagen konnten, stürzte ein Großteil der Decke hinter uns ein. Es staubte und qualmte. Eine regelrechte Lawine aus Staub begrub uns. Ein paar der Arbeiter wurden unter den Trümmern begraben. War nicht wirklich schade drum, fand ich. Als der Nebel sich allmählich lichtete, wagten wir uns auch wieder hinein. Die Halle sah aus wie ein Schlachtfeld. Die Arbeiter, die nicht lebendig begraben wurden, drängten sich ängstlich an den Wänden zusammen. Über ihnen in der Hallendecke klaffte ein riesiges Loch. Ich blickte nach oben. Am Rand erschien das Gesicht des Schrottplatzwärters. Jetzt war mir klar, warum mir die Stimme so bekannt vorkam. Er hob ein Megaphon an den Mund. „Falls ihr und die Tiere eine Mitfahrgelegenheit braucht – mein Bagger hat eine Anhängerkupplung… und einen Anhänger!“ Das Kreischen des Megaphons bereitete mir Kopfschmerzen. Aber wir handelten schnell. Nach und nach schleppten wir die traumatisierten Tiere nach oben. Dort sahen wir dann auch, was genau überhaupt geschehen war. Der Alte hatte mit seinem Bagger ein Loch in die Wand geschlagen. Dann hatte er den Boden weggesprengt. Außerdem hatte er uns die ganze Zeit überwacht. So war ich also dreifach überwacht worden, durch ihn und die Kinder. Dennoch fand ich, dass ich meine Sache gut gemacht hatte. Auch wenn ich im Alleingang nichts hätte ausrichten können. So retteten wir zunächst die übrig gebliebenen Tiere und riefen dann die Polizei. Was dann geschah, hätte man eigentlich voraussehen können. Von den Arbeitern war nichts mehr zu sehen. Man hatte das gesamte Gelände abgesucht und niemanden gefunden. Auch keine Dinge die auf die Existenz von ihnen hinweisen würden. Dies führte dazu, dass wir ausführlicher zu dem Fall befragt wurden. Man konnte sogar sagen, wir wurden regelrecht Verhört. Aber was konnten sie schon groß aus uns herausbekommen? Zudem waren da ja noch die beiden kleinen Kinder. Diese waren wieder einmal unser Trumpf. Ich konnte wie bereits erwähnt nicht mit Kindern umgehen. Aber die Polizisten waren darauf geschult mit minderjährigen Opfern möglichst einfühlsam umzugehen. Sie konnten die Kinder also nicht so ausquetschen, wie sie es gerne getan hätten. Außerdem beschlossen wir irgendwann klein beizugeben. Wir gaben sozusagen zu, dass es in der Fabrikhalle zu dunkel gewesen sei um etwas darin zu erkennen. Das mit den Leuten, die sich angeblich darin befunden hätten, haben sich die Kinder in ihrer Angst wohl lediglich eingebildet. Die Tiere waren vielleicht von irgendwelchen gestörten Pennern oder Jugendbanden dorthin verschleppt worden. Das leuchtete allen ein. Die Hauptsache war ja auch, dass die Tiere nun endlich in Sicherheit waren. Aber mir persönlich ließ das Thema einfach keine Ruhe. Ich konnte mich einfach nicht damit abfinden, dass die Täter sich einfach so im Nichts aufgelöst hatten. Also kehrte ich ein paar Tage später allein an den Ort des Geschehens zurück. Dieses Mal allerdings nicht in der Nacht sondern bei Tageslicht. Das riesige Loch war selbstverständlich noch immer dort. Man konnte ins Untergeschoss sehen. Ich überlegte sogar zunächst, ob ich einfach durch das Loch hinunterspringen sollte. Den Gedanken verwarf ich jedoch schnell wieder. Ich war nicht mehr der Jüngste und diese Ruine war jenseits aller Baufälligkeit. So ging ich den Weg durch das Treppenhaus. Vor der Halle überkam mich plötzlich die Angst, weil niemand wusste, dass ich hier war. Seltsam. Als ich zum ersten Mal hier war, hatte ich keine Angst. Was wohl kaum daran gelegen haben konnte, dass die beiden Kinder bei mir gewesen waren. Vielleicht ahnte ich damals einfach, dass ich überwacht wurde und mir nichts passieren konnte. Jedenfalls gab es kaum einen rationalen Grund für meine Unruhe. Ich trat ein. Es war überraschend hell. Das kam von dem Tageslicht, das durch die Decke schien. So wirkte der Raum eigentlich in keiner Weise bedrohlich. Es wirkte eher etwas traurig. Als ob man sehen könnte, dass hier etwas Schlimmes geschehen ist. Ich untersuchte die Trümmer der Maschine nach Tierkadavern, fand jedoch keine. Dies war der Moment in dem ich wirklich anfing, an meinem Verstand zu zweifeln. Hatte ich mir die ganze Geschichte letztendlich doch nur eingebildet? Doch dann sah ich es. Es war überall verteilt. Zuerst hielt ich es für Schießpulver. Doch was hätte das hier unten zu suchen gehabt? Außerdem war Schießpulver anders. Es hatte einen leichten Grauschimmer. Dieses hier war pechschwarz. Irgendwo hatte ich diese Farbe schon einmal gesehen. Dieses Pechschwarz mit dem feuchten Schimmer. Da fiel es mir wieder ein. Ich griff in meine Tasche. Es war noch da. Das schwarze Herz. Ich trug es die ganze Zeit über bei mir. Jetzt im Tageslicht konnte ich es erst richtig betrachten. Es war gerademal so groß wie meine Handfläche. Ein seltsames Ding. Für einen Anhänger fehlte die nötige Fassung. Außerdem war es für ein bloßes Schmuckstück zu ungewöhnlich. Ich verglich es mit dem Staub, der hier überall herumlag. Und dann erkannte ich es. Erkannte, was hier wirklich geschehen war. Der ausschlaggebende Punkt dafür waren die weißen Stofffetzten, die sich in den Staubhaufen befanden. Sie hatten sich nicht in Luft aufgelöst. Sie haben sich wie Vampire in Asche verwandelt. Lag es am Licht, das von oben hereinfiel? Agierten sie deshalb ständig in der Nacht? Oder lag es daran, dass ich die Maschine zerstört habe? Ich erinnerte mich wieder daran, wie verzweifelt sie versucht hatten, das Gerät wieder zusammenzubauen. Sogar, als einige von ihnen von der Decke zerquetscht worden waren, hatten sie nie ganz von ihrem Tun abgelassen. Wenn man es so betrachtete, hatte ich sie wirklich auf dem Gewissen. Mich fröstelte es. Mir wurde klar, dass ich mich in einem Raum voller Toten befand. Verstorbene, deren Tod ich verschuldet hatte. Nun überkam mich eines dieser Gefühle, von denen man immer glaubt, sie ab einem gewissen Alter hinter sich zu lassen. Das Gefühl, das man aus seiner Kindheit von den berühmt berüchtigten Mutproben her kannte. Wenn man sich um Mitternacht vor einen Spiegel stellt und die Geister ruft. Oder in den Keller geht ohne das Licht einzuschalten. Alle diese Sachen von damals gewinnen einem Erwachsenen nur ein müdes Lächeln ab. Doch nun war es, als würde ich wieder um Jahrzehnte zurückgestuft. Auf einmal galten für mich wieder alle selbstauferlegten kindlichen Zwänge. Nicht auf die Linien treten, nicht zu lange in den Spiegel sehen, nicht die Stufen auf der Treppe zählen. Da half auch nicht das Tageslicht von der Decke. Ich hielt das schwarze Herz an den Staub. Bis heute bin ich mir hundertprozentig sicher, dass ich mich in einer windgeschützten Ecke befand. Dennoch. Mit einem Mal wehte mir der Staub aus allen Ecken entgegen. Er umhüllte mich und ich dachte nur daran, bloß nicht die Toten einzuatmen. So schnell wie es anfing, hörte es auch wieder auf. Der Staub glitt wieder bleischwer zu Boden. Dann war es still, bis auf ein hartnäckiges Summen in der Luft. Eine Weile stand ich nur da, sämtliche Muskeln zum Zerreißen angespannt. Dann rannte ich los. Rannte ohne mich umzusehen. Ich kann nicht mehr in allen Einzelheiten berichten, wie ich es nach draußen geschafft habe. Ich weiß nur noch, dass ich schweißüberströmt war und verzweifelt nach Luft rang. Mehr weiß ich nicht über diesen Ort. Ich bin nie wieder dorthin zurückgekehrt. Aber das muss ich auch nicht mehr. Denn mittlerweile habe ich drei gute Freunde, die mich hin und wieder besuchen kommen. Vier, wenn man den Hund mitzählt. Das entschädigt für die Alpträume, die mich seitdem jede Nacht heimsuchen. Nach langen Abenden, wenn die Besucher gehen und im Nebel der Nacht verblassen. Wenn die letzte Spur der Geselligkeit von der nächtlichen Kälte hinausgeweht wird. Dann höre ich, wie das schwarze Herz in der Schreibtischschublade zu pochen beginnt und mir ist, als würde mein ganzes Haus zu einem pulsierenden Organismus werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)