Das Schweigen hat ein Ende von lulubluelau (Ein Hiwatari hält sein Wort) ================================================================================ Kapitel 7: Paralyse ------------------- :: Beginn der Rückblende ::   Der kalte Wind blies ihr so kräftig ins Gesicht, dass sie den Blick schützend zur Seite richtete. Dicke, schwere Schneeflocken stoben quirlig durch die kühle Nachmittagsluft und verwandelten den Himmel in eine sich unruhig bewegende, weiss rauschende Daunendecke. Nur ganz vage erkannte sie die zahlreichen sturmerprobten Möwen, welche sich hoch oben im Schneegestöber vom bissigen Wind flussaufwärts ziehen liessen.   Mütze als auch Schal verbargen ihr Gesicht fast gänzlich und waren mit einer stetig wachsenden Schicht der kalten, weissen Pracht bedeckt. Die sensible Haut rund um ihre Augenpartie war gerötet und kribbelte bereits vor Kälte als …   :: Ende der Rückblende ::   Das Ruckeln des Flugzeuges brachte Hiromi zurück in die Gegenwart. Unfähig um auch nur eine einzige Sekunde zu schlafen, öffnete sie ihre müden Augen und sah im ersten Moment lediglich die bläulich schimmernden Monitore, welche in sämtliche Rückseiten der zahlreichen Kopfstützen eingelassen waren.   Im Flugzeug war es kalt. Nebst der dünnen Decke, welche alle Passagiere vom Flugpersonal erhalten hatten war sie, zu ihrem eigenen Glück, mitunter in einen dicken Kapuzenpullover von Takao gehüllt. Ihre zierlichen Hände hatte sie in den viel zu langen Ärmeln vergraben als sie, ohne ihren schlafenden Sitznachbar zu stören, die Beine näher an ihren Körper heranzog, in der Hoffnung so vielleicht noch ein kleinwenig mehr Wärme zu speichern.   3 Reihen weiter vorne, direkt am Gang, sass Takao. Mit seinem linken Bein geradeheraus in den Gang gestreckt und dem Kinn auf der Brust gelehnt schien zumindest er endlich seinen Schlaf gefunden zu haben. Wo im Flugzeug Manabu genau sass wusste sie nicht. Vermutlich würden er und Dizzy jedoch, wie bereits am Gate, mit der Auswertung der Recherchedaten zu Kais Unfall beschäftigt sein.   Es war ein gespenstischer Flug in Richtung Hauptstadt. Beinahe schon fühlte es sich an, als wäre das Flugzeug mit den düsteren Vorahnungen der neusten Geschehnisse aufgeladen – umso überraschter war sie daher, als sie sich völlig unvermittelt an einen dieser vielen Linienflüge zurückerinnerte, welche sie mit den Blade Breakers vor Jahren beinahe wöchentlich unternommen hatte. Zum Beispiel damals, als Takao sein Team, und wohlmöglich auch die restlichen Passagiere inklusive Crew, mit seinem Geprahle über die Teilnahme an der Weltmeisterschaft beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte oder aber als Kai Max, nach mehreren missglückten Versuchen dem Amerikaner ein paar extra Trainingsstunden anzudrohen, diesen ehrlich anflehte um mit ihm den Sitzplatz zu tauschen:   — Der sture und schon damals viel zu coole Russe hatte zu derzeit, wohl durch ungeplante Buchungsänderungen, einen Sitzplatz fernab der Gruppe erhalten. Was den Grauhaarigen zuallererst noch sichtlich erfreut hatte, entpuppte sich bereits wenig später als sein grösster Albtraum. Eingepfercht zwischen zwei Hälften einer bunt zusammengewürfelten Grossfamilie, hatte er den kompletten Flug zwischen laut kreischenden Kindern und hysterischen Müttern verbracht. Und als wäre der ganze Radau für sein ruhiges Gemüt nicht schon Tortur genug gewesen, landete in einem Geschwisterstreit krönend auch noch ein lauwarmer Orangensaft auf seinem Hosenbein.   — Du meine Güte, was hatte sie gelacht. Kai mit seinen damals 17 Jahren, viel zu cool für die Welt und doch noch vollkommen unfähig darin, sich mit lauten, kleinen Kindern auseinanderzusetzen. Sie musste sich eingestehen, schadenfroh war sie schon gewesen – hielt sie den Halbrussen zu dieser Zeit doch noch für einen eingebildeten, grossspurigen Schnösel. Was hatte sie sich doch getäuscht.   Es hatte Jahre gedauert bis sie an ihn rangekommen war und anschliessend hatte es nochmals viele weitere Jahre in Anspruch genommen um ihn «richtig» kennenzulernen – von Mensch zu Mensch eben. Heute konnte und wollte sie ihn nicht mehr missen – nie mehr.   Der dicke Kloss in ihrem Hals war mit einem Male zurück.   Seit dem Moment als sie Takaos Nachrichten auf der Sprachbox ihres Mobiltelefons abgehört hatte, war sie nicht mehr in der Lage gewesen auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Die grenzenlose Furcht und Sorge um Kai hatte sie kaum Atmen lassen und so kam der lange und monotone Langstreckenflug gerade zur rechten Zeit.   Ihr ging vieles durch den Kopf – sehr vieles sogar. Und als sie den ersten, grausamen Schrecken über das Geschehen rund um Kai halbwegs hatte platzieren können, schwelgte sie in Erinnerungen. Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit mit den Blade Breakers, allem voran aber in Erinnerungen an den Halbrussen – und das waren bei weitem nicht wenige. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie in diesem russischen Krankenhaus zu Gesicht bekommen würde, die Angst davor paralysierte sie seitdem aber jede Minute.   —   Trotz des langen, bedrückenden Flugs fühlte Hiromi eine tief verwurzelte Freude und Erleichterung, als sie mit den Jungs in die Ankunftshalle des Moskauer Flughafens hinaustrat. Sie kannte diesen Ort nur zu gut und wäre die Thematik eine andere gewesen, wäre ihre Freude über ihre Ankunft in Moskau wohl kaum zu dimmen gewesen.   Es war ein durchweg geschäftiger Tag am Moskauer Flughafen, schliesslich waren sie an einem gewöhnlichen Wochentag, kurz nach 13 Uhr in die Metropole angereist.   Mit seiner feuerroten Haarpracht und stattlichen Grösse war Yuriy in der Menschenmenge denkbar schwer zu übersehen. Lässig lehnte er an einen marmorierten Pfeiler nahe des allgemein zugänglichen Meeting Points und quittierte die Dreiergruppe mit einem strengen Blick, als er ihnen in der Ankunftshalle zielstrebig wenngleich auch bedächtig entgegenkam.   Yuriy wirkte nicht weniger müde als die 3 Tokioter, was Hiromi an seinem erschreckend fahlen Hautton und den tiefsitzenden Augenringen nur zu gut erkennen konnte.   «Kommt. Die Parkuhr hält nicht ewig.» Kein «Hallo». Kein «Danke». Nichts.   Stumm wechselten Takao und Manabu einen vielsagenden Blick. Keiner der beiden ging vorerst jedoch weiter auf die harsche Begrüssung des Russen ein, sofern man diesen einseitigen Wortwechsel überhaupt als solches hätte betiteln dürfen.   Yuriy hatte nicht mal eine Entgegnung abgewartet. Er hatte schlichtweg auf dem Absatz kehrt gemacht und ging allem Anschein nach einfach davon aus, dass die 3 Neuankömmlinge ihm schon folgen würden. Und fürs Erste taten sie dies auch.   Als sie den angenehm warmen Terminal gegen die frühwinterliche Kälte der Hauptstadt eintauschten, liess Hiromi es dankend zu, das Takao seinen Arm wärmend um ihre Schultern legte. Per direkt stiess ihr Atem als weisse Wolke in den bedeckten Himmel Moskaus empor und sie fühlte sich, als sei sie in einer anderen Welt gelandet.   Die Strassen waren knöcheltief mit Schnee bedeckt und an den Gehsteigen türmte sich die weisse Masse beinahe Hüfthoch! Eine Vielzahl an veralteten Benzinern spuckte ihre Absage ungehemmt in die winterlich kühle Atmosphäre und raubte dem wundersam üppigen, ersten Schneefall dieses Jahres dadurch jeglichen Zauber. Moskau war einfach nur dreckig und stank, vor allem heute, bis zum Himmel.    Auch Yuriys schwarze Alltagslimousine war alt und abgetakelt. Die Scheiben des 5-Türers waren allesamt mit Kondenswasser angelaufen, die Luft im Innenraum war klamm und es roch nach längst Vergangenem.   Intuitiv peilte Hiromi die rechte Hintertüre des alten Lada an, dessen Scharniere ächzend knarzten als sie die Türe gänzlich aufzog. Manabu, mit seinen langen Beinen, wählte den Beifahrersitz und Takao setzte sich neben Hiromi, und folglich hinter Yuriy, auf die Rückbank.       Wider erwarten sprang der Motor beim ersten Startversuch direkt an und liess die Tank- und Tachonadel lebhaft nach oben schiessen. Behelfsmässig aber überaus routiniert wischte Yuriy mit seinem Ärmel ein kreisförmiges Sichtfeld zur Fahrtrichtung hin frei und auch Manabu beteiligte sich schweigend an der Verbesserung der prekären Sichtverhältnisse rechts von ihm.   Die Fahrt hätte beklemmender nicht sein können. Nicht nur waren die Platzverhältnisse in der kleinen Klapperkiste unverhältnismässig, auch die Stimmung unter den Anwesenden lag weit unter dem Gefrierpunkt. Das einzig wärmende war die Abluft des Motors, welche die Temperatur des Innenraums im Laufe der Fahrt nach und nach von kalt zu erträglich wandelte.   Takao schaute seit der Abfahrt vom Flughafen gedankenverloren aus seinem Seitenfenster auf die verschneiten Strassen Moskaus hinaus, seine Beine durch Yuriys Platzbedürfnisse seitlich zur Fahrtrichtung hin angewinkelt.   Mit jedem Meter den sie näher an ihr Ziel herankamen wurde Hiromi nervöser. Sie würde Rei und Bryan wiedersehen, hoffentlich mit Yuriy sprechen und sich ein Bild davon machen, für was sie alle an diesen einen Ort in der Welt zusammengekommen waren.   Ihr Blick schweifte gedankenverloren durch den Innenraum des Lada und blieb völlig unvermittelt am zittrigen Rückspiegel des Gefährts hängen, durch welchen Yuriy sie mit seinen blauen Augen wohl bereits seit längerem fixierte.   Verzeih mir.   Ihr intensiver Blickkontakt war nur von kurzer Dauer und doch stellte Hiromi in den wenigen Sekunden in denen er standhielt erschreckend fest, dass sein sonst so selbstbewusster und starker Ausdruck mit Kummer und Verunsicherung zersetzt war, was ihre Furcht vor dem Bevorstehenden ins unermessliche steigen liess. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)