Drei Tage, drei Nächte 2.0 von Cocos ================================================================================ Kapitel 8: Acht --------------- Abrupt hielt Aya inne. Seine Schwester. Crawford brachte seine Schwester ins Spiel. Sein erster Impuls, noch nicht einmal wirklich ein Gedanke, eher ein Gefühl, war es, den anderen Mann dafür solange zu vergewaltigen, bis er dem Blutverlust erlag, den er durch rohe Gewalt erzeugen würde. Hass und Zorn auf das Orakel flammten alleine bei dem Gedanken, dass er sich in der Art an seinem Feind rächen würde, wie zwei zornige Drachen empor. Sein zweiter Impuls, schwächer zunächst, war jedoch stetiger und penetranter, geradeso, als würde er seinen angestammten Platz behaupten, den er in Aya von je her gehabt hatte und immer haben würde. Es war der Kampf gegen den Drang zu demütigen und niederzuwerfen. Es war der Drang, an seine Schwester zu denken und sich bewusst ihr Bild vor Augen zu rufen, wie sie schlafend und unschuldig in dem Krankenhaus ruhte und auf ihn wartete. Schwer atmend lehnte er sich zurück und starrte auf sein Werk hinunter. Seine Schwester. Aya. Die Reine. Die Unschuld. Seine Familie. „Was wird sie dazu sagen, dass du nicht nur getötet hast, sondern auch...“ Die raue Stimme des Orakels erstarb unter der Last der Worte, doch Aya wusste nur zu genau, was er sagen wollte. Blind starrte er auf den Mann hinunter, den er auf seine Knie gezwungen hatte, dessen Hintern entblößt vor ihm präsentiert war, erzwungen durch ihn selbst, das Shirt hochgerutscht, entblößt, entwürdigt und blutend. Sein Werk. Sein Tun. „...vergewaltigt“, vollendete Aya wie unter Hypnose die Frage des Orakels und mit einem Mal, als wenn jemand einen Schalter umgelegt hatte, wich der beißend rote, unaufhaltsame Zorn einer abrupten, alles überschwemmenden Welle des Entsetzens. Vergewaltigt…? Er... er hätte beinahe.... er.... Er...bei allem, was ihm heilig war... er würde nie…wollte nie…was tat er hier…? Was tat er hier?! Von sich selbst angewidert und mit panisch schlagendem Herzen starrte Aya auf Crawford hinunter, der immer noch in dieser entwürdigenden Position knien musste, durch ihn in diese gezwungen und in dieser gehalten. Seine Hände waren es, die ihn hielten. Er war es, der… der… Aya wollte sich von ihm lösen, doch er war wie festgefroren und erstarrt angesichts dessen, was er beinahe getan hatte. Neben sich stehend fixierte er sich auf die schnelle Atmung des Orakels, die sich auf den gesamten Oberkörper auswirkte. Die Augen hatte er in Erwartung es Unvermeidlichen geschlossen und eben diese Geste der Unterwerfung riss Aya aus seiner Starre. Abrupt und mit einem Laut der Verzweiflung löste er sich von Crawford. Ebenso abrupt wandte er den Blick ab, konnte nicht mehr sehen, was ihn gerade noch so erregt hatte und so willkommen erschienen war. Blindlings flüchtete er aus dem Wohnzimmer und stürzte ins Bad, schlug die Tür hinter sich zu. Er schloss ab, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass der verletzte und gefesselte Mann ihm nachkam, gleich null war. Und schließlich war nicht er es, der sich vor Crawford verstecken musste, sondern Crawford brauchte Schutz vor ihm, dem Monster, das es Lasgo gleichtun wollte bei nächster Gelegenheit. Schwer atmend lehnte er sich dagegen und vergrub seine Hände in den Haaren, zog daran, bis der Schmerz unerträglich wurde. Wieso war das passiert? Wie konnte so etwas aus einem Streit entstehen? Einem einfachen, dummen Streit, den sie schon so oft miteinander hatten? Wie konnte sich all das Negative und all der Hass in dem Wunsch kanalisieren, Crawford zu vergewaltigen? Das war nicht er, niemals gewesen! Angewidert dachte er daran, was er getan hatte, an den Kuss, den er Crawford aufgezwungen hatte…und daran, dass er ihn gebissen hatte. Seine Worte… Aya hielt sich seine Hände vor Augen, die Crawford angefasst und ihn zu etwas degradiert hatten, das der Amerikaner mit Sicherheit nicht verdiente. Sie zitterten, als wäre ihm eiskalt. Den Spiegel links von ihm mied er, als würde dieser ihm sein monströses Gesicht offenbaren. Das Monster, das in ihm lauerte und nur darauf wartete, es demjenigen gleichzutun, den er in nicht einem Tag töten würde. Wie konnte er sich herausnehmen, Lasgo für das zu verdammen, was dieser tat, wenn er nur allzu bereit war, es ihm gleich zu tun? Aya schluckte schwer und ging mit gesenktem Kopf zum Waschbecken. Er drehte das Wasser auf kalt und wusch sich wieder und wieder die Hände. Erst, als seine Finger eiskalt und steif waren, stellte er es ab und wagte einen Blick in den Spiegel, der ihm offenbaren würde, was aus ihm geworden war. Ein Monster zu Ehren seiner Schwester. Erschrockene, violette Augen starrten ihm entgegen. Ein Mund, zu einer starren Linie zusammengepresst. Blut im Gesicht, das nicht seins war. Aya atmete zittrig ein und warf einen Blick auf die geschlossene Tür. Er musste wieder raus, er musste sich Crawford stellen und dem anderen Mann die Fesseln abnehmen. Er musste ihm erklären, dass keine weitere Gefahr drohte, doch im gleichen Moment war er sich der beißenden Ironie bewusst, die das beinhaltete. Er musste sich bei ihm entschuldigen für das, was er getan hatte und beinahe getan hätte. Als wenn Crawford ihm das glauben würde. Aya wollte sich verkriechen, wollte das Bad bis morgen Abend nicht verlassen, doch er verabschiedete sich in dem Moment von dem Gedanken, in dem er sich bewusst wurde, dass es alles nur noch schlimmer machen würde, noch komplizierter. Er hatte eine Mission zu beenden. Er musste einen Auftrag ausführen und konnte sich Störungen nicht mehr erlauben. Und das, was gerade passiert war, könnte zu einer Katastrophe führen. Also musste er versuchen, sie mit allen Mitteln zu entschärfen. Besser früher als später und koste es, was es wolle. Trotzdem benötigte er wertvolle Minuten, um sich davon zu überzeugen. Mit zittriger Hand öffnete Aya die Tür und trat hinein in den Flur. Schritt um Schritt kam er dem Wohnzimmer näher und stand schließlich in der Tür. Stumm nahm er das Zimmer in Augenschein, das Chaos, das er hinterlassen hatte. Blutspritzer führten vom Flur aus in den Raum hinein und verteilten sich auf dem Boden. Der kleine Tisch war umgeworfen, ihre Gläser und Tassen zerbrochen. Crawfords Kaffee war auf den Boden gekippt und hatte nun hässliche Flecken auf dem hellen Teppich hinterlassen. Langsam und scheu wanderte Ayas Aufmerksamkeit zu Crawford und nahm ganz bewusst den Mann in Augenschein, der mit dem Rücken an das Sofa gepresst auf dem Boden saß und ihn angespannt musterte, während ihm Schmerz und Wut ins Gesicht geschrieben standen. Dankenswerterweise hatte er sich selbst schon seine Hose wieder hochgezogen und Aya war über alle Maßen erleichtert darüber. Egoistischerweise, musste er sagen, denn es war seine Schande, nicht die des Amerikaners. Nur seine alleine. Als er stumm einen Schritt vortrat, zuckte Crawford zurück und alleine die minimale Geste ließ Aya an dem Punkt einfrieren, wo er gerade stand. Er verursachte Angst in dem sonst so beherrschten, arroganten, über allem stehenden Orakel. Nicht Lasgo, er. Das wollte er nicht, stellte Aya in diesem Moment fest. Vielleicht, wenn sie beide sich im Kampf gegenüberstanden. Vielleicht, wenn sie sich in einer ihrer endlosen Aufeinandertreffen das Leben aus dem Körper prügeln wollten. Aber nicht, wenn Crawford gefesselt auf dem Boden saß und Angst vor ihm hatte, weil er bis vor ein paar Minuten noch bereit dazu gewesen war, sich dem anderen Mann aufzuzwingen. Er ekelte sich vor sich selbst und er wollte keinen derart ungleichen Kampf. Er wollte nicht, dass dieser Mann Angst vor ihm hatte. Langsam trat Aya zurück und lehnte sich an die Wand. Er wandte den Blick aus dem Fenster, weil er es nicht mehr ertrug, in die vorsichtigen, braunen Augen zu sehen, und räusperte sich, als ein allzu großer Kloß in seinem Hals ihn davon abhielt zu sprechen. „Ich wollte das nicht“, presste er schließlich hervor und hoffte auf irgendeine Reaktion des ihn sezierenden Mannes. Doch nichts erfolgte, so sprach Aya weiter, auch wenn er das Gefühl hatte, dass kein Wort genug war um das zu lindern oder wieder gut zu machen, was er gerade getan hatte. „Ich… kann mir nicht erklären, warum ich gerade… warum ich dir…“ Aya stockte und wieder begegnete er Schweigen, das ihn mehr als unsicher machte. „Ich weiß nicht, was da passiert ist. Das war nicht wirklich ich, ich würde das nie tun. Ich verspreche dir auch, dass ich das nie wieder tun werde.“ Auch wenn die hellbraunen Augen ihn aufspießten, gaben die Lippen weiterhin keinen Ton von sich, so ließ Aya seinen Blick über das neuerlich zerschlagene Gesicht wandern. Das Blut, das immer noch an der Schläfe glänzte und Crawfords Kinn hinunterlief. „Ich werde gleich zu dir kommen und die Fesseln lösen. Ich werde dich nicht noch einmal angreifen oder versuchen, mich dir…aufzuzwingen, das verspreche ich dir.“ Eisernes Schweigen antwortete ihm, doch dieses Mal zuckte Crawford nicht zurück, als Aya mit dem Schlüssel demonstrativ in seiner Hand zu ihm trat und sich schließlich neben ihm kniete, peinlich darauf bedacht, den größtmöglichen Abstand zu dem Schwarz zu halten, soweit es ihm möglich war. Crawfords Puls und seine Atmung wurden schneller, je näher er ihm kam und Aya schluckte trocken. Er wollte das nicht. Er kam nicht umhin, das erneute Zurückzucken des Orakels zu bemerken, als er gezwungenermaßen dessen Haut berühren musste und sich an den zu Fäusten geballten Händen zu schaffen machte. Unsicher stocherte er mit dem Schlüssel in den Handschellen herum, bis sie sich nach schier unendlicher Zeit mit einem leisen Klicken lösten und aufsprangen. Mit ihnen erhob sich auch Aya und brachte genügend Abstand zwischen sie, dass er Crawford nicht mehr bedrängte, auch wenn dieser das nicht wahrzunehmen schien. Als hätte er seine Sprache verloren, als könnte er es nicht ertragen, mit Aya zu sprechen, schwieg Crawford und weigerte sich, ihn wahrzunehmen. Mehr als alles andere verursachte das dem Weiß eine Gänsehaut und ließ das schlechte Gewissen um ein Vielfaches in ihm brennen. Es tut mir leid, wollte er wieder und wieder veräußern, auch wenn er wusste, dass es gar nichts besser machen würde. Dass es gar nichts wieder gutmachen konnte, was er soeben getan hatte. Crawford ließ ihn aus seinen Gedanken hochschrecken, als er sich in die Höhe schraubte, umständlich und unter Schmerzen, immer mit einem wachen Blick auf Aya. „Wohin gehst du?“, fragte der Weiß, als es ihn in Richtung Flur zog und Crawford blieb unweit von ihm stehen, die Hände zu Fäusten geballt, die Augen undurchsichtige Spiegel eisigen Hasses. „Ins Bad. Oder brauche ich wie bei Lasgo auch eine Erlaubnis dafür?“ Hatte sich Aya gerade noch gewünscht, dass Crawford mit ihm sprach, so wünschte er nun, dass er die ätzenden Worte nie vernommen hätte. Die Erlaubnis ins Bad zu gehen? Niemals würde er…niemals konnte er… doch das hatte er auch über eine Vergewaltigung gedacht. Noch gestern hatte er das absolut für sich ausgeschlossen und nun stand er vor dem Scherbenhaufen seines eigenen Anstandes und seines Moralkodex. Betäubt schüttelte Aya den Kopf und deutete nur blind hinter sich in Richtung Flur. „Natürlich nicht. Geh.“ „Vielen Dank.“ Beißender, vernichtender Zynismus antwortete ihm und Crawford stolperte mehr als dass er ging ins Bad und warf die Tür hinter sich zu. Keine Minute später übergab er sich würgend und hustend. Aya schloss die Augen und ließ die Wut durch sich hindurch fahren, die er auf sich selbst empfand. Wut, Verwirrung und Verzweiflung ob seiner Taten. Wie konnte er behaupten, gegen die Dunkelheit zu kämpfen, wenn er sich selbst nicht zu schade war, so zu handeln? Er war Lasgo, vielleicht auch noch schlimmer als er, denn wenigstens stand Lasgo zu seinen dunklen Seiten und behauptete nicht vehement, für das Gute zu kämpfen. Unruhig streunte Aya in die Küche und setzte Kaffee auf. Er bezweifelte, dass Crawford überhaupt in Erwägung ziehen würde, eine Tasse zu trinken, aber er musste etwas tun, denn sonst würde er verrückt werden vor lauter Schuld und Unverständnis. Die Ruhe, die Crawford zur Schau stellte, kaufte Aya ihm keine Sekunde ab. Dafür sprachen die ausdrucksstarken Augen eine zu deutliche, gegenteilige Sprache voller Hass und Wut. Die Frage war, wie Crawford nun auf ihn reagierte, jetzt, da er nichts Besseres zu tun gehabt hatte als Lasgo nachzueifern. Zwanzig Minuten zählte er, immer wieder mit einem nervösen Blick auf die an der Wand hängende Uhr, dann verließ Crawford das Bad. Das Öffnen der Tür ließ Aya zusammenzucken, doch nicht so sehr, wie es die Schritte des anderen Mannes taten, die unweigerlich auf ihn zukamen und eine Konfrontation unausweichlich machten. Aya bereitete sich nicht nur mental darauf vor. Worauf er jedoch nicht vorbereitet war, war die absolute Ruhe und Ausdruckslosigkeit, mit der ihn Crawford begrüßte. Weg war die die Anspannung. Weg waren Hass, Wut und Verachtung. Offen und stolz begegneten Aya die hellbraunen Augen und ließen in Aya das vorsichtige Gefühl von Sicherheit erstehen. Glaubte ihm Crawford? Aya wusste es nicht, doch er hoffte naiverweise darauf. „Möchtest du Kaffee?“, fragte Aya und sein Gegenüber warf einen Blick auf die in den letzten Zügen liegende Kaffeemaschine. Ein paar Sekunden lang starrte er die Kanne an, als könne sie ihm Antwort auf all seine Fragen gegen, dann seufzte Crawford ergeben. „Das ist deine Antwort auf alles?“, fragte er ruhig und Aya schüttelte den Kopf. „Nein, meine Antwort ist, dass es mir leid tut.“ Da war es raus. „Meine Antwort ist, dass ich nicht weiß, was passiert ist und wie das passieren konnte und dass ich es nicht wollte.“ Crawford quittierte das mit einem Schnauben und wandte sich wieder an die Kaffeemaschine, ab von ihm und seinen hilflosen Worten. Es war das schlechte Gewissen, welches Aya handeln ließ, als er nun eine Tasse aus dem Schrank nahm und Crawford rein aus Gewohnheit den Rücken zudrehte. Dass sein Instinkt ihn warnte, schob er in den Hintergrund. Und verfluchte sich einen Moment später dafür. Für den irrationalen Bruchteil einer Sekunde stimmte Aya zu, dass er die fest zupackende Hand in seinen Haaren verdient hatte, die seinen Kopf daran nun auf die Arbeitsfläche donnerte und vor seinen Augen schmerzhafte Sterne explodieren ließ. Für einen weiteren, irrationalen Moment begrüßte er den Schmerz als Strafe dafür, was er Crawford angetan hatte. Dann schlug sein Überlebensinstinkt zu und wischte die Akzeptanz über den Schmerz wütend weg, herrschte ihn an, sich gegen Crawford zu wehren. Nicht, dass das über den beißenden Schmerz hinweg möglich gewesen wäre, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Er spürte, wie Blut aus seiner Nase schoss, die vielleicht gebrochen war. Er spürte den überwältigenden Kopfschmerz, der ihn daran hinderte, klar zu denken und in dem ersten, wichtigen Moment zu begreifen, was Crawford tat. Erst, als brachialer Druck auf seinen Kehlkopf ausgeübt wurde, als der Kopfschmerz sich hochpotenzierte, weil er keine Luft mehr bekam, verstand er, was der Amerikaner plante. Erst dann wehrte er sich auch, reichlich zu spät und reichlich sinnlos, wie ihm Crawford nun deutlich machte. „Eingedenk deines stetigen Dranges mich zu würgen, gehe ich davon aus, dass das deine liebste Todesart ist, Fujimiya“, wisperte die Stimme hinter ihm vertraulich mit einem Einschlag puren, reinen Hasses, den er so noch niemals gehört hatte. Aya versuchte verzweifelt und nutzlos zu atmen, versuchte nach Crawford zu schlagen, sich von ihm zu befreien, doch wie damals schon beim menschlichen Schach zeigte der Schwarz ihm, dass Hellsicht nicht seine einzige Gabe war und hielt ihn eisern an Ort und Stelle. „Denkst du wirklich, Weiß, dass ich dich damit davonkommen lasse? Denkst du wirklich, dass ich mich von dir ANFASSEN geschweige denn vergewaltigen lasse und dass du dann mit einer Entschuldigung davonkommst?“ Wort drangen an sein Ohr, mit mehr Hass, als Aya es je in seinem Leben von Crawford gehört hatte. Ungebremst, wild und zerstörend trugen sich die gezischten Worte an sein Ohr und gingen damit einem Lachen zuvor, dass ihm bewusst machte, dass er nicht überleben würde. Aya stöhnte erstickt auf und konzentrierte sich darauf, über den ersten Schock hinweg, möglichst wenig Luft zu verbrauchen, auch wenn seine Lungen verzweifelt danach gierten. „Ich…war nicht…ich selbst…“, presste er hervor und bereits jetzt verfärbte sich sein Sichtfeld, wurde schwarz an den Rändern. Crawford drückte enger zu. „Stimmt, du hast dich darin versucht, Lasgo zu sein, Weiß. Aber Überraschung, du hast nicht die Eier dazu, auch die letzten Schritte zu gehen.“ Aya schlug unnütz mit seinen Armen um sich, die Crawford weder schmerzten noch ihn dazu veranlassten, ihn loszulassen. „Und so krepierst du, Abyssinian, in dem Wissen, dass du nicht besser bist als jeder Verbrecher, den du jemals in deinem Leben getötet hast. Du wirst mit ihnen zusammen in der Hölle schmoren und dein ach so geliebtes Schwesterchen nie wieder sehen. Apropos…“ Ein bitterböses Lachen trug sich zu ihm, schlängelte sich in seine vor Schmerzen kreischenden Synapsen. „Ich werde sie mir holen, deine kleine unschuldige Schwester. Ich werde sie aufwecken und zu dem machen, was du immer gehasst hast. Und wenn sie soweit ist, wenn sie eine der dunklen Gestalten ist, die Kritiker so sehr bekämpfen, wird sie durch die kläglichen Überreste von Weiß getötet werden, damit sie neben dir in der Hölle schmoren kann.“ Aller Schmerz, den er gerade empfand, konnte nicht gegen die Worte des Schwarz bestehen, mit denen er ihn jetzt folterte. Aya bäumte sich erneut auf, während er verzweifelt röchelte. Er bäumte sich in einem verzweifelten, aussichtslosen Kampf auf Leben und Tod auf, den er selbst begonnen hatte und dem nun seine Schwester zu Opfer fallen würde. „Crawford…nein…bitte… es…war…nur meine Schuld…“, presste er mit letzter Kraft hervor, die ihm sein nach Luft schreiender Körper zugestehen wollte. „Nur…meine…“, versuchte Aya zu bekräftigen, doch er war sich nicht sicher, ob er die Worte überhaupt laut geäußert oder nur gedacht hatte, bevor ihn nun beißende und schmerzhafte Schwärze übermannte und seinem Tod vorherging. Beinahe war das Ende des Kampfes um Sauerstoff eine Erlösung. ~~**~~ Schwer atmend stand Crawford über der reglosen Gestalt auf dem Boden. Selbst jetzt, da der Weiß still vor ihm lag, aller Wahrscheinlichkeit nach tot, war sein Rachedurst noch nicht gestillt. Er wollte die Leiche wieder und wieder töten, auf eine Art grausamer als die andere. Er wollte Fujimiya das Leben aus dem Leib prügeln für das, was er getan und gewagt hatte. Worte nutzlos wie das Handeln von Kritiker, wie die Existenz normaler Menschen. Crawford zischte hasserfüllt und warf die Tasse von der Anrichte. Befriedigt gestattete er sich einen Moment lang, den Scherben hinterher zu starren, bevor er sich bewusst machte, was er tun musste, um von hier zu entkommen. Unmöglich war es nicht, aber schwierig. Crawford warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte eine Stunde, dann würde der Wachrundgang im südlichen Teil des Areals beginnen. Fünf Minuten später wäre eines der drei Wachteams in der Nähe dieses Komplexes. Langsam griff er nach einem er Küchenmesser und steckte es sich vorsichtig in den Hosenbund. Er konnte es nicht über sich bringen, den Weiß auf Lebenszeichen zu kontrollieren, so angewidert war er alleine von dem Gedanken daran, dem anderen Mann nahe zu kommen. Schließlich trat er aus der Küche heraus um zu sich zu finden, um Ruhe zu finden, die er dringend brauchte. Auch wenn die Wut ihm geholfen hatte, so fühlte er sich blind und taub ohne seine Gabe, wund von den Vergewaltigungen der letzten Woche, geschwächt von dem erzwungenen und selbst auferlegten Nahrungsmangel. Zwei Tage lang hatte sein Körper nun die Möglichkeit erhalten sich zu erholen und seiner Gabe eine Grundlage zu geben, seinen Wünschen zu gehorchen. Zwei Tage, die noch lange nicht genug waren, aber jetzt in diesem Moment ausreichen mussten, damit er von diesem Areal flüchten konnte. Es war überhastet und in seinem Leben hatte er noch nie so schlecht geplant wie jetzt, doch Crawford würde es keinen Moment länger hier aushalten, nicht in Gegenwart des Körpers, der keine Zeit verloren hatte, sich ihm aufzuzwingen oder zumindest, es zu versuchen. Der Schwarz schluckte schwer und kämpfte die Erinnerungen zurück, an Fujimiya, aber vor allem an Lasgo. Er hörte auf verräterische Geräusche, doch da war nichts. Der Flur lag still vor ihm und so öffnete er die Wohnungstür. Der Weg nach unten war ebenso ohne Zwischenfälle, so blieb er einen Moment an der hölzernen Haustür stehen, bevor er die Türklinke ergriff und sie vorsichtig nach unten drückte. Er öffnete sie einen Spalt breit und als niemand in der Dunkelheit zu sehen war, stieß er sie gänzlich auf, um in das links gelegene Waldstück zu gelangen, das, wie er wusste, eine sichere Zufluchtsmöglichkeit bot, um in den Westen des Areals vorzudringen. Er hielt sich für den Fall eines Falles an der Häuserfront und stellte fest, dass der Weg frei war. Widerwillen durchflutete ihn Erleichterung und Crawford überwand die letzte Distanz in den rettenden Wald, der von dem spärlichen Lichtkegel des Hauses beschienen wurde. „Hallo Bradley.“ Der aufkommende Wind hatte die gar nicht mal so laut ausgesprochenen Worte zuverlässig zu ihm getragen und hatten ihn dort, wo er stand, erstarren lassen. Er kannte die Stimme, er kannte ihren Klang, den leichten Akzent, den sie beinhaltete. Alles in Crawford schrie danach, sich nicht umzudrehen, weiter zu laufen, zu fliehen, solange es ihm möglich war. Doch das hatte er schon einmal getan und das war mit Dingen bestraft worden, die nicht in Crawfords Vorstellungsvermögen gelegen hatten bis dahin. Er sah auf seine Hände. Sie zitterten unbändig, nein, er zitterte. Unglauben tobte in ihm, Unverständnis. Panik. Das Geräusch der entsichert werdenden Waffe hallte noch viel lauter über den Wind. Crawford schluckte mühevoll, als der Wunsch zu laufen und durch die ihn treffende Kugel zu sterben, übermächtig wurde. Mächtiger als sein logisches Denken, das ihm einflüsterte, genau das nicht zu tun. Mächtiger als seine Vernunft, die ihm verdeutlichte, dass er mit einer erneuten Vergewaltigung fertig werden würde, wenn er nur unversehrt war. Mit einer Schussverletzung wäre es um Längen schwieriger, und Lasgo würde es mit Sicherheit genießen, ihn zu verwunden und ihn dann zu ficken. „Dreh dich um, Bradley.“ Er wollte dieser Stimme nicht gehorchen. Sein Stolz verbot es ihm. Sein letztes Bisschen Würde verbat es ihm. Und dennoch. Crawford drehte sich langsam um, sah dem Unvermeidlichen ins Auge. Lasgo und fünf seiner Männer, darunter natürlich der Vernarbte, für den Crawford beinahe genauso viel Hass empfand wie für Lasgo selbst, standen unweit vor ihm. Wo sie hergekommen waren, konnte Crawford nur raten und die Bedeutung, dass sie sich unbemerkt an ihn heranschleichen konnten, ließ viele, wenig schöne Theorien zu. Lasgo hatte seine Waffe auf ihn gerichtet und lächelte zufrieden, während er ihn von oben bis unten musterte…nein, ihn auszog mit seinen Blicken. Wie hatte Crawford diesen Blick zu hassen gelernt, vom ersten Moment lang. Lasgo machte einen Schritt nach vorne und Crawford parierte das mit einem Schritt in den Wald. So sehr seine Logik und sein Menschenverstand ihm auch sagten, dass es besser wäre zu kooperieren, so ungebremst milderte nun seine allzu menschliche Angst seinen scharfen Verstand. Er ertrug ist es nicht, wenn Lasgo ihn ein weiteres Mal anfasste. Er ertrug den Gedanken an das, was noch kommen mochte, nicht. Er ertrug die zersplitterte Hoffnung nicht, die ihm die Luft zum Atmen raubte. Der Tod wäre sicherlich besser als das, was nun kommen würde. Einfacher, schneller und verführerischer wäre er. Doch dazu war er nicht erzogen worden. Aufgeben lag nicht im Blut seiner Familie. Aufgeben war ihm nie erlaubt worden, also erlaubte er es sich jetzt auch nicht. Was auch kommen mochte, er würde nicht aufgeben können, ohne sein Erbe zu beschmutzen. Und das würde nicht in Frage kommen, egal, was Lasgo ihm noch antat. „Komm zu mir, Bradley“, lockte Lasgo mit falscher Sanftheit, hinter der eisiger Sadismus lauerte. Crawford bewegte sich nicht. Auch wenn er keinen Versuch wagen würde zu fliehen, so würde er sicherlich nicht wie ein braver, gehorsamer Hund an die Seite seines Vergewaltigers zurückkehren. Sollte Lasgo ihn holen und ihm Schmerzen zufügen. Aber er würde nicht freiwillig kommen. Es musste sich wohl in seinen Augen gezeigt haben, so amüsiert, wie der Halbjapaner darüber war. Schritt und Schritt trat er näher an ihn heran, die Waffe eine eindeutige Warnung vor einer falschen Entscheidung. „Du weißt, dass dich das etwas kosten wird“, fuhr Lasgo fort, während er ihm das Messer aus dem Hosenbund zog, und jagte Crawford einen eiskalten Schauer über den Rücken. Mit Mühe ertrug er, dass Lasgo auf Armlänge an ihn herankam. „Wie geht es mit dem Sitzen? Oder dem Schlucken? Ich habe gehört, dass Wasser dir immer noch Probleme bereitet?“ Wütend knirschte Crawford mit den Zähnen. Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten, die er Lasgo liebend gerne ins Gesicht geschlagen hätte. Die fünf Begleiter des Drogenhändlers, die ihn umringt hatten, sagten ihm etwas anderes. „Wie schön war es, dich und den Weiß zusammen zu bringen, ihn damit kämpfen zu sehen, deinen Gesichtsausdruck entgleisen zu sehen, dass ich dich ihm ausliefere, also demjenigen, der dich töten will. Er war aber beeindruckend brav. Ich hätte mehr erwartet.“ Eiskalter Schock durchfuhr Crawford. Sie hatten darüber gesprochen, Fujimiya und er, über die Falle, die es vielleicht war. Fujimiya hatte ihm versichert, dass er sich darum keine Gedanken machen müsse und er hatte das akzeptiert, beeindruckend naiv. Gut für den Weiß, dass er bereits tot war, das würde ihm einiges an Leid ersparen, auch wenn Crawford ihm just in diesem Moment alles Leid der Welt gönnte. So war nur er übrig und würde mit den Konsequenzen seiner eigenen Dummheit und Kurzsicht leben müssen. Die Hand auf seiner Wange erschreckte ihn mehr als dass er zuzugeben bereit war. Die Waffe tat ihr Übriges, dass er stillhielt. „Jetzt sind es nur du und ich und viel Zeit für den Rest der Dinge, die ich mir dir anstellen werde. Ich freue mich so sehr darauf.“ Crawford fixierte sich auf den hellen Mond über ihnen, weil er weder die Nähe noch die Worte des Mannes ertrug, der ihn nun mithilfe seiner Männer auf die Knie zwang. Das Geräusch des sich öffnenden Reißverschlusses kannte er nur zu gut, geradezu indoktriniert war er darauf, was nun kommen würde. Lasgo hatte eine Vorliebe dafür, insbesondere vor seinen Männern. Er wusste, dass es für Crawford so weitaus demütigender war. Der Mond wurde durch den Körper des Mannes vor ihm verdeckt und Crawford würgte erstickt. ~~**~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)