Drei Tage, drei Nächte 2.0 von Cocos ================================================================================ Kapitel 6: Sechs ---------------- ~~**~~ Aya gab sich größte Mühe, seine Augenbrauen an Ort und Stelle zu halten, als er die Küche betrat und einen Blick auf das Essen auf dem Herd warf. Crawford hatte tatsächlich entgeen aller Wahrscheinlichkeit nachgebessert und so ziemlich alle Gewürze, die er finden konnte, in dem Gemenge untergebracht. Zusätzlich gab es nun auch noch eine weitere Sauce, von der Aya sich nicht erinnern konnte, sie jemals bei Lasgos Einkäufern bestellt zu haben und von der er erst mit einem Blick in den Topf begriff, dass sie selbstgemacht war. Von Crawford. Er weigerte sich, diesen Gedanken in all seiner Absurdität zu begreifen. „Du bist also der Koch eures Teams“, ließ Aya verlauten, nicht als Frage, sondern als Tatsache, da er nicht allzu neugierig erscheinen wollte, als er sich zwei große Löffel der Reismasse in seine Schale lud und sich an den Küchentisch setzte. Crawford selbst hielt sich eisern an der Kaffeemaschine fest und nahm augenscheinlich keine Notiz von seinem eigenen Essen. Mit Gewalt klammerte er sich an seine Kaffeetasse und schnaubte nun verächtlich ohne Aya anzusehen. „Wohl kaum.“ „Sondern?“ „Keiner.“ Aya runzelte die Stirn. „Wie das?“ Zwei Schlucke Kaffee ließ der Amerikaner sich Zeit, dann beehrte er den Weiß mit seiner Aufmerksamkeit. „Es kann sich ja nicht jeder einen Tsukiyono zum Kochen halten“, zuckte Crawford freudlos mit den Mundwinkeln und Aya verschluckte sich prompt an einem Reiskorn, das in die falsche Röhre gerutscht war. Zwei Huster und es war da, wo es hingehörte, ganz im Gegensatz zu dem Wissen, das der Schwarz über sie hatte. „Woher weißt du das?“ Drei Schlucke lang wurde Aya auf die Folter gespannt. „Die Frage ist eher, was ich nicht weiß“, wich Crawford ihm abfällig schnaubend aus und ihre Blicke trafen sich. Wieder las Aya pure Arroganz in den goldenen Augen, getränkt mit Belustigung und Wissen, über das Aya nicht verfügte. Es belustigte ihn nicht im Geringsten und langsam ließ Aya seine Stäbchen sinken. „Zumindest, ob ich ungeküsst bin oder nicht, weißt du nicht. Aber ich wiederhole mich ungerne, Schwarz.“ Die gerade noch ruhige Stimmung zwischen ihnen drohte zu kippen und dieses Mal konnte es Aya nicht dem Amerikaner oder Lasgo ankreiden. Er selbst verdarb das ruhige Geplänkel mit dem dunklen Zorn, der in ihm hochwallte. Crawford ließ sich davon nicht einschüchtern, im Gegenteil. Sein Lächeln nahm etwas Gehässiges an, etwas Spöttisches. „Was glaubst du denn, Fujimiya, was Weiß oder Kritiker vor einem Telepathen, einem Hellseher oder einem Telekineten verbergen können?“ „Viel, zumindest was den Telepathen angeht“, gab Aya zurück, nicht minder amüsiert über die Tatsache, dass Schuldig wenigstens ihn nicht lesen konnte, wenn er schon den Rest seines Teams terrorisierte. „Das schützt dich, aber den Rest deines Teams nicht, das wie ein offenes Buch vor uns liegt, Fujimiya. Wo ihr wohnt, wie eure Gewohnheiten sind, was ihr tagsüber und nachts tut, Hobbys, Bekannte, Freunde, Verbindungen...“ Mit nichts hätte Crawford ihm so gründlich den Appetit verderben können wie mit diesen Worten, die eiskaltes Feuer durch Ayas Adern schickten. Schwarz wussten alles über sie. Jedes Detail. Einfach...alles. Er hätte es sich denken können, denken sollen, doch bisher waren sie davon ausgegangen, dass die Kräfte von Schwarz nicht derart weitreichend waren. „Warum leben wir dann noch, wenn ihr scheinbar alles wisst?“, fragte Aya simpel, seine Worte nichts weiter als eine Wiedergabe seiner ungläubigen Gedanken. Wenn er daran dachte, wie oft sie mit lethalen Absichten aufeinander getroffen waren, wie oft sie versucht hatten, sich das Leben aus dem Leib zu prügeln... „Ihr habt eure Nützlichkeit noch nicht vollkommen ausgeschöpft.“ Es war nicht die Antwort, die er hatte hören wollen oder die er jemals erwartet hatte, auch wenn sie passend für einen Schwarz schien. „Unseren Nutzen?“, echote Aya dennoch und Crawford würdigte das keiner Antwort. Lieber holte er sich nun selbst ein Schälchen aus dem Oberschrank und begann, mit langsamen, abgehackten Bewegungen die breiige Reis-Hähnchen-Gemüsemasse in eben jene zu füllen. Drei Löffel zählte Aya, bevor Crawford zu den Stäbchen griff und sich mit samt der Kaffeetasse und der Schale vorsichtig an den Tisch setzte. Ganz auf das Essen fixiert, nahm er eine Ladung Reis zu sich, bevor er mit einem Schluck Kaffee nachspülte. Genau taktete Crawford es, bis beides leer war und Aya beobachtete den ihn ignorierenden Amerikaner dabei mit Argusaugen. Gerade so, als wäre er tatsächlich Vater des Mannes, der vor ihm saß und als würde er sein Kind zum Essen bewegen. Wütender Vater, der gerade ein Geständnis erhalten hatte, was ihm nicht passte, aber Vater nichtsdestotrotz. Innerlich grollend widmete er sich seinem eigenen Essen und kam nicht umhin, erneut vom Geschmack der Gewürze überrascht zu werden. Und von dem Können, das sich ihm hier entgegentrug, was auch etwas war, das ihm niemals in Bezug auf den Schwarz in den Sinn gekommen wäre. Was ihn wieder zu dem Missbrauch an sich brachte. Wie ging ein Mann wie Crawford mit einer Situation wie dieser um? Wie verkraftete ein immer überlegener und überheblicher Mann, so unterworfen worden zu sein? Aya konnte es sich nicht ausmalen und wollte es auch nicht, denn das würde unweigerlich zu unerwünschtem Mitleid mit einem Mann führen, der es nicht verdient hatte. Vermutlich würde Crawford keine Zeit verlieren, ihm unliebsame Zeugen seines Niedergangs auszuradieren, sobald Aya seine Nützlichkeit überlebt hatte und ihn nicht schnell genug zu Kritiker schaffen konnte. Aya schnaubte innerlich. Das würde dem Amerikaner gut zu Gesicht stehen und er hielt das durchaus für eine gangbare Möglichkeit. Was ihn zu der Frage brachte, die ihn seit heute Morgen umtrieb und auf die er keine ehrliche Antwort erwartete. Stirnrunzelnd überlegte Aya noch ob der richtigen Wortwahl, als es ihm gegenüber bereits schnaubte und der Weiß sich bewusst wurde, dass Crawford bereits wusste, was er fragen wollte. Wie lästig diese Gabe doch war. Wie überaus lästig. „Also?“, fragte Aya, die Frage, wie Crawford an seiner Stelle handeln würde, auf dieses eine Worte heruntergekürzt. „Ist das wichtig?“, hielt eben jener dagegen und Aya zuckte mit den Schultern, lehnte sich dabei an die Wand. Gar nicht mal so unbequem. Und wichtig war es. Er wollte nicht darüber nachdenken, was Schwarz alles von ihnen wusste und dass sie eigentlich schon längst tot hätten sein können. „Es interessiert mich.“ „Mir scheint, dein Codename kommt nicht von ungefähr.“ Aya hob stumm die Augenbraue und wartete schweigend auf eine brauchbarere Antwort. Die natürlich auf sich warten ließ, wie konnte es auch anders sein. Aber so hatte er die Gelegenheit, Crawfords Profil ausgiebiger zu betrachten, als er es jemals zuvor getan hatte. Wie jung der Amerikaner doch ohne Brille und ohne Anzug aussah. Wie formlos und wenig arrogant. Weniger, korrigierte Aya sich keine Sekunde später. „Je nach Zustand hätte ich dir eine Kugel durch den Kopf gejagt. Wäre das nicht möglich gewesen, wärst du für den Rest der Zeit im Schlafzimmer gelandet“, erwiderte Crawford knapp und betrachtete für einen Augenblick lang seine wunden Handgelenke, bevor er sich Aya zuwandte und sein Gegenüber maß. Aya schlug ein Bein unter und legte seinen Arm locker auf den Tisch, ließ seine Augen über die Verletzungen des Anderen schweifen. „Hättest du getan, was er von dir verlangt hätte?“, fragte er schließlich so neutral wie möglich. Er rechnete nicht mit einer ehrlichen Antwort, er rechnete mit Spott und Zynismus, vielleicht auch mit Hass, doch mit immanenter Ruhe rechnete er nicht. „Nein“, lautete die schlichte Antwort auf seine Frage und in den Augen des Schwarz stand nichts Anderes als bitterer Ernst. Aya fand keinen Anlass, Crawford das nicht zu glauben und schließlich nickte er, warf einen Blick aus dem Fenster, als er den durchdringenden, ihn sezierenden Augen nicht mehr standhalten konnte. Noch heute Morgen hatte er anderes vermutet, schoss es Aya durch den Kopf. Von draußen drangen gedämpfte Geräusche aus dem Beladungsbereich zu ihm, als er den Gedanken verarbeitete, dass Crawford tatsächlich so etwas wie eine Grenze hatte…oder eine Moralvorstellung. Das war beinahe schon ironisch, hatte er doch nicht erwartet, dass Schwarz etwas wie Grenzen kannte. Er schnaubte und schüttelte den Kopf, kehrte zurück zu den Augen, die ihn immer noch maßen. „Warum nicht?“, hakte Aya nach, wollte verstehen, warum es für die Teufel namens Schwarz eben diese Grenze gab, die jemand wie Lasgo spielend leicht überschritt. Seine Frage überraschte Crawford und zwang den anderen Mann tatsächlich dazu, darüber nachzudenken. Aya sah es hinter der glatten Stirn arbeiten. „Warum sollte ich?“ „Wie hat Schuldig es mir nochmal gleich gesagt, als er Sakura hat auf mich schießen lassen? Wir sind nur normale Menschen, Schlachtvieh, das dazu gedacht ist, euren Weg zu pflastern. Zu nicht mehr nütze als Leichen zu sein.“ Ein unfreiwilliges Schmunzeln huschte über Crawfords Lippen. „Schuldig hat da seine ganz eigene Sicht.“ „Die du nicht teilst? Thema Nutzen.“ Der Amerikaner zuckte mit den Schultern und lehnte schließlich seinerseits den Kopf gegen die Wand hinter sich. „Wer weiß das schon?“ Aya grollte. Schon wieder diese nichtssagende und ausweichende Antwort, die, so stellte er nun für sich fest, um ein Vielfaches schlimmer war als der übliche Spott und die übliche Arroganz. „Auf einer Skala von eins…“ „Neun“, unterbrach Crawford ihn nahtlos und violette Augen bohrten sich unnachgiebig in die mäßig amüsierten braunen Gegenstücke. „Crawford“, mahnte er dunkel und seine Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte. Subtiles Amüsement tränkte die Mimik des Amerikaners, kurz bevor er seinen Blick wieder abwandte und seine Finger über das leere Geschirr strichen. Aya beobachtete die Geste irritiert, war sie doch nichts anderes als Zeitschinderei, also etwas, das Crawford in all ihren Zusammentreffen niemals getan hatte. Eine richtige Antwort auf seine Frage erhielt er jedoch nicht, deswegen erhob sich Aya schlussendlich und machte sich daran, das schmutzige Geschirr zu spülen. Als Crawford neben ihn trat und seine Schüssel dazustellte, reichte Aya ihm kommentarlos das Trockentuch. Mit arrogantem Amüsement zwar, aber dennoch ohne Widerspruch nahm dieser es und wieder teilten sie sich die anfallende Arbeit. Aya verursachte das Gänsehaut und umso intensiver wünschte er sich den morgigen Abend herbei. Übermorgen wäre Crawford bei Kritiker und alles wäre gut, er würde weiterhin seiner geregelten Arbeit nachgehen. So sein grober Plan. Seine Wunschvorstellung. ~~**~~ Crawford hatte nach einigem Zögern erneut das Sofa okkupiert und sich unter allen Decken vergraben, die er sich schon zuvor geholt hatte, während Aya dem Hintergrundgedudel des Nachrichtensenders lauschte. Da er den Teufel tun und sich zu dem Schwarz auf die Couch setzen würde, hatte Aya den Sessel belegt und verfolgte nun das tagesaktuelle Geschehen, auch wenn sich seine Gedanken nicht ganz auf die Nachrichten konzentrieren konnten. Sie saßen unweit voneinander und teilten so etwas wie Frieden. Wenn es nicht der Schwarz wäre, wenn Crawford nicht blass und ausgezehrt aussehen würde, dann könnte es ein ganz normaler Abend sein. Doch das war es nicht. Wieder und wieder versicherte sich Aya, dass der Amerikaner keinen Angriff plante. Sein Instinkt lief auf Hochtouren und hielt seine Muskeln in dauerhafter Anspannung. Crawford strahlte mehr als alles andere aus, dass er nur darauf wartete, zurückschlagen zu können, auch wenn er in sich gekehrt und angespannt war. Wie ging ein Mann wie Crawford damit um, seine Kontrolle auf diese Art entrissen bekommen zu haben? Wie ging er damit um, dass sich ihm ein Mann aufgezwungen hatte? Vielleicht war der Gedanke an gleichgeschlechtlichen Sex für ihn undenkbar und es fügte der bodenlosen Demütigung noch einen weiteren Aspekt hinzu. Nicht, dass es Fragen waren, mit denen Aya sich beschäftigen sollte, befand er und wandte wieder einmal den Blick ab, um ihn – das konnte er jetzt schon sagen – bald wieder zu Crawford zu wenden, als er sich in Ruhe jedwede Regung des Schwarz einprägte und versuchte, den Mann einzuschätzen, der ihm das Leben seit ein paar Jahren schwer machte. Der Geruch von Kaffee schlängelte sich währenddessen zu ihm und hin und wieder nahm Crawford einen Schluck, während er stirnrunzelnd die Nachrichten verfolgte. Insbesondere die Berichte über die Arbeit der Polizei schienen ihm zu missfallen, ebenso wie die kritische Analyse der Tätigkeiten seines Auftraggebers, die thematisierten, was Kritiker bereits schon seit langsam wusste: die mutmaßlichen Verbindungen des Mannes zum Yakuza-Milieu und die ersten Verdachtsmomente für eine Verbindung zu Geldwäschekreisen. Vollkommen in Gedanken griff Crawford rechts neben sich und runzelte die Stirn, während er mit seiner Hand nach dem Gegenstand tastete, der nicht da war, wo er anscheinend sonst immer lag. Aya sog diese Geste in sich auf und begriff, wovon er gerade Zeuge wurde. Überrascht hob er die Augenbrauen und konnte sich ein Lächeln gerade noch verkneifen. Erst als sezierende Augen der tastenden Hand folgten und begriffen, wo er war, hörten die Finger auf zu suchen und ein frustrierter Laut entkam den schmalen Lippen. Aya amüsierte das beinahe noch mehr als die Tatsache, dass Crawford seinen Arbeitgeber nicht vor dem Schaden bewahren konnte, den ihm die negative Publicity bringen würde. Was gut so war. Takatori hatte jede Wahrheit verdient, die ihn seines Politikerimages berauben und als den Mann entlarven würde, der er wirklich war: ein Mörder und Verbrecher. Als er erneut einen Blick auf Crawford wagte, spießten ihn dessen wütende Augen beinahe auf. Hinter der Wut lauerte nur zu deutlich die erzwungene Hilflosigkeit, die ihn davon abhielt, eben jenen Auftrag zu erfüllen. „Wie bestraft er Versagen?“, fragte Aya tatsächlich aus Interesse und nicht aus Gehässigkeit, auch wenn Crawford sein Mitleid eigentlich nicht verdient hatte. Doch er wurde mit Nichtachtung für diese Frage gestraft und Aya ließ das Thema nach ein paar schweigsamen Sekunden fallen. Vermutlich würde der Hellseher auch gar nicht in den Genuss einer solchen Strafe kommen, je nach Kritikers Ansinnen, den Amerikaner wieder frei zu lassen oder eben auch nicht. Und selbst wenn konnte es Aya egal sein. Sollte es zumindest. Dennoch machte er sich unsinnigerweise Gedanken darüber, ob Crawford auch noch von seinem Auftraggeber dafür bestraft werden würde, dass er versagt hatte…und für das, was ihm passiert war. Als wenn es seine eigene Schuld wäre. Erst als die Nachrichtensendung ihr Ende fand, wandte sich Aya erneut an seinen unfreiwilligen Gast. „Was Lasgo dir angetan?“, fragte er ruhig, neutral genug, dass es nicht als Schadenfreude missinterpretiert werden konnte. Dennoch war es unbändiger Hass, der sich ihm nun entgegentrug. Aya war sich nicht sicher, ob eben jener auf ihn gerichtet war oder aber auf Lasgo und dessen Tun. Dieses Mal ignorierte Crawford ihn auch nicht. „Höre ich da Genugtuung in deiner Stimme, Abyssinian?“, brachte das Orakel nicht nur durch die Nennung seines Codenamens Abstand zwischen sie. Doch Aya wollte die Frage nicht beantworten…eben weil er sie noch nicht einmal sich selbst beantworten konnte und sich nicht eingestehen wollte, dass selbst jemand wie Crawford sein Mitleid auch verdient hatte. Warum wollte er es wissen, nochmal hören aus dem Mund des Amerikaners? Er sah doch, was ihm angetan worden war, er erinnerte sich an die nun bedeckten Spuren auf dem Körper des Schwarz. Er sah in die durchdringenden Augen und erkannte Menschlichkeit hinter der Arroganz. Mehr rohe, verzweifelte Menschlichkeit als er in den Jahren zuvor auch nur erahnt oder gewollt hatte. Er reagierte darauf, ohne Zweifel. Doch wollte er auch, dass der Schwarz es sah und für sich nutzen konnte? Wohl kaum. Er konnte kein Interesse daran haben, Crawford noch mehr entgegen zu kommen, als er es schon getan hatte. Ja, das sollte er, denn wie konnte er von seinem Gegenüber erwarten, dass er ihm die Frage beantwortete, wenn er selbst jede erdenkliche Mauer in sich hochzog, die er aufzubieten hatte, nur damit Crawford keine Angriffsfläche hatte. Wenn er forderte, musste er auch geben. „Es ist keine Genugtuung“, erwiderte er. Doch was es war, das ließ er offen, weil er es selbst nicht wusste und sich die offensichtliche Antwort darauf nicht eingestehen wollte. Und was sollte er auch machen? Helfen? Das war bigott. Kritiker würden mit Crawford nicht sanft umspringen. Sie würden ihn ebenso gefangen setzen und würden Informationen aus ihm herauspressen. Sie würden Kooperation erzwingen, wo Crawford nicht bereit sein würde, sie zu geben. Warum also sollte er seine Hilfe anbieten? „Angst, dass er dich auch fickt?“, kam eben jener einer ausweichenden Antwort zuvor und die ach so zynische Erwiderung sandte Aya einen eiskalten Schauer über den Rücken. Auch. Wie oft, fragte er sich. Wie oft hatte Lasgo Crawford in diesen sechs Tagen vergewaltigt? Aya starrte in die ihn sezierenden Augen hinein und hielt seine Mimik mit Mühe ausdruckslos. „Ist das seine bevorzugte Art der Bestrafung?“, verließen Worte seine Lippen, die er nicht autorisiert hatte und Crawford schnaubte verächtlich. „Normalerweise nicht.“ „Also liegt es an dir?“, fragte Aya gedankenlos und wurde sich erst, nachdem er es ausgesprochen hatte, bewusst, was er da gerade gesagt hatte und dass das, was er meinte, nicht das war, was Crawford verstehen würde. „Es liegt an mir…?“, wiederholte Crawford langsam, eiskalt lauernd und Aya hob an, dem zu widersprechen, es klar zu stellen, was er meinte und dass er sich falsch ausgedrückt hatte. Beschämt sah er zur Seite und das war der größte Fehler, den er machen konnte. Crawford war schneller als gedacht, als er ihn mit grober Gewalt aus dem Sessel riss und ihn an seinem Hals an das Bücherregal presste, das sich schmerzhaft in Ayas Rücken bohrte und ihm unmissverständlich zu verstehen gab, dass er einfach nur dumm und unvorsichtig gewesen war, gleich gefolgt von der Tatsache, dass er den Zustand des Anderen unterschätzt hatte. Dumm genug war er gewesen, Crawford zu vertrauen, dumm genug, zu langsam zu sein. Er wehrte sich, doch Crawford nutzte lediglich seine nutzlos um sich schlagenden Hände dazu, um sie ihm auf den Rücken zu drehen und ihn nun mit der Vorderseite an das Regal zu pressen. Aya stöhnte vor Schmerz auf, als der Schwarz seine Arme weit nach oben verdrehte und mit einem Knie zwischen seinen Beinen nun effektiv jede weitere Gegenwehr verhinderte. „Crawford, ich…“, begann er, kam jedoch nicht weit, als der Amerikaner seine Haare schmerzhaft nach hinten zog. Warm strich der Atem des Mannes über seine Wange, als Crawford sich in einer beißenden Parodie der Zärtlichkeit an ihn lehnte. „An was genau liegt es denn?“, wisperte dieser verschwörerisch und seine Worte waren nichts anderes als in Hass gegossene Verachtung. „Meinst du, er hat mich in ein Eisbad gesteckt um mich danach mit heißem Wasser zu foltern, weil ich es gewagt habe, mich meiner Gefangennahme zu widersetzen? Wie konnte ich es auch wagen, mich zu weigern, seinen Schwanz in meinen Mund zu nehmen oder wie eine willige Hure zu stöhnen? Natürlich liegt das an mir, dass er die letzten Tage dazu genutzt hat, mich zu ficken. Aber was rede ich? Fangen wir doch früher an. Wie konnte ich es nur wagen, Takatoris Befehl entgegenzunehmen und sich seines ungeliebten Geschäftspartners zu entledigen? Wie konnte ich es nur wagen, unter dem Deckmantel einer Besprechung ihm hierher zu folgen und mich darauf zu verlassen, dass alles so ist, wie ich es vorhergesehen habe? WIE, Abyssinian, konnte ich es nur wagen, meine PFLICHT zu erfüllen?“ Crawford war lauter und lauter geworden und presste Aya mit jeder Frage roher und brutaler an das Bücherregal. Nicht, dass Aya in der Lage war, auch nur eine einzige der rhetorischen Fragen zu beantworten, die ihm die Luft zum Atmen nahmen und ihn über alle Maßen entsetzten. Es war nur ein Bruchteil dessen, was Lasgo Crawford angetan hatte, dessen war er sich sicher, doch es reichte, um Aya einen unliebsamen Ausblick auf die Grausamkeit zu geben, zu der der Drogenhändler fähig war. Und auf seien eigene, scheinbar grenzenlose Dummheit, mit der er die Gewalt des Schwarz herausgefordert hatte. Aya keuchte auf, als der Schmerz überhandnahm. „Crawford“, presste er zwischen seinen Zähnen hervor und wurde mit einem abgrundtief verächtlichen Grollen belohnt. Die Hand in seinen Haaren war anscheinend wild entschlossen, ihm jene vom Kopf zu reißen, so wie sie an ihm zerrte. „Ich…meinte…das nicht…so…“, zischte er vor Schmerz. „Oh natürlich, Weiß.“ Crawford lachte leise und wenn Aya sich nicht täuschte, war es Wahnsinn, den er daraus hörte. „Klär mich auf, Weiß, wie könntest du es wohl meinen?“ Zwangsweise lehnte Aya seinen Hinterkopf auf Crawfords Schulter, um dem schmerzhaften Zug an seinen Haarwurzeln zu entkommen. „Er hat anscheinend eine Vorliebe für dich…das meinte ich.“ „Was für eine dumme Ausrede.“ „Er wollte dich…vermutlich von Anfang an…“ Wieder entkam ein tiefdunkles Grollen Crawfords Lippen. „Ich sehe einen Fehler in deiner tumben Argumentation. Schuldig hätte es schon längst in seinen Gedanken gelesen, wenn es der Fall gewesen wäre.“ „Ebenso, wie du das Ganze vorhergesehen hättest?“, fragte Aya und wurde sich bewusst, dass es nicht die Klügste aller Fragen war. Crawford zeigte ihm sehr deutlich, wie wenig er davon hielt und donnerte ihn noch einmal gegen das erzitternde Bücherregal, bevor er von ihm abließ. Den Bruchteil einer Sekunde gönnte Aya sich um sich zu fangen, dann fuhr er zu seinem Angreifer herum, in dem festen Vorsatz, ihn nieder zu ringen und ihm seinen Platz zu zeigen. Ihn an den Haaren in das Schlafzimmer zu zerren und dort ans Bett zu ketten für den Rest seines Aufenthaltes hier. Doch dann traf sein Blick auf Crawfords, vielmehr auf die Abwesenheit jedweder Aufmerksamkeit dort und er blinzelte. Dem Amerikaner war in diesem Moment nichts ferner, als ihn ein weiteres Mal anzugreifen. Ganz im Gegenteil. So in sich gekehrt, wie er unweit von Aya stand, war er auf seine ganz eigene Art und Weise schutzlos und der rothaarige Weiß war sich nicht sicher, ob es eine Vision war oder aber das Begreifen einer viel schlimmeren Wahrheit. Sacht befühlte er seinen Hals und den schmerzenden Kehlkopf dort und wartete mit hochaktivem Instinkt darauf, dass Crawford sich erneut bewegte. Für eine lange Zeit wurde er enttäuscht und schließlich fragte er sich, ob die Gabe des Orakels zu einer Art Kurzschluss geführt hatte, der diesen derart apathisch zurückließ. Das Schnauben, was eben diese Denkpause ankündigte, widersprach dem und Aya hob die Augenbraue, als die hellen, unangenehmen Augen zu ihm zurückkehrten. Seine Kopfhaut pochte immer noch unangenehm. „Es dürfte klar sein, dass ich dir das nicht durchgehen lasse?“, stellte Aya ruhiger als er sich wirklich fühlte in den Raum. Unter der Ruhe schimmerte nur zu deutlich die Wut hindurch, die ihn anhand des unnötigen Angriffs überkommen hatte. Wut und Unglauben über die Schwäche, die sich Crawford ihm gegenüber eingestanden hatte. „Was schwebt dir da vor?“, fragte Crawford so neutral, dass Aya es ihm für keinen Augenblick lang glaubte. Im Gegenteil. Die geballten Fäuste und das Zittern gaben ihm sehr deutlich einen Hinweis darauf, dass Crawford die Antwort hasste, wenn nicht sogar fürchtete, denn was sollte es anderes sein als erneute Fesseln? Was sollte es anders sein als die von Lasgo gewünschte Grausamkeit? Ein widerwilliges Lächeln huschte über Ayas Lippen. „Ich fessele dich bis zum Ende der Tage ans Bett und habe ein Problem weniger?“, stellte er in den Raum und bohrte seinen Blick in die Reaktion des Amerikaners. Wieder war es, als habe Crawford keine Beherrschung über sein Selbst, so wie er zurückzuckte, bevor er sich fing und sich seine Hände zu eisernen Fäusten ballten und hilflos öffneten und schlossen. Wut kroch in das mit Hämatomen übersäte Gesicht und Aya labte sich für einen Moment an der Hilflosigkeit, mit der sie dort konkurrierte, bevor er sich bewusst wurde, dass es tatsächlich Leid war, an dem er sich labte. Das war nicht der Weg, den er gewählt hatte. Er war schließlich nicht Schwarz. „Sag du es mir. Wie würdest du mich für so einen Vorstoß bestrafen?“, fragte er schließlich reichlich unfair und erntete einen Blick, der hasserfüllter nicht sein konnte – für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er vor Ayas Augen zerbrach. Crawford versuchte, sich zu retten, indem er sich abwandte und die kurze Entfernung zu dem nahestehenden Sessel überwand. Doch spätestens, als er sich vorsichtig darauf niederließ, wurde Aya der Verzweiflung gewahr, die in dem Gesicht stand. Wie einer Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, sackte er zusammen. Wie losgelöst lagen seine Hände mit geöffneten Handflächen auf seinen Oberschenkeln und hatte wenig mit dem Mann gemein, der ihn gerade noch angegriffen hatte. „Ich weiß es nicht“, presste Crawford unterdrückt hervor. „Ich weiß es nicht…“ Zweimal noch wiederholte er es, bevor er verstummte und den Kopf an die Lehne zurückfallen ließ. Gierig nahm Aya die gezeigten Emotionen in sich auf und stellte fest, dass ein kleiner, perverser Teil in ihm sich daran labte, den Schwarz so… am Ende zu sehen. Das Gefühl dauerte an, wich aber nach und nach dem Erstaunen, dass er überhaupt in der Lage war, diese Art der Schadenfreude zu empfinden. Aya runzelte die Stirn und stand etwas verloren in dem Raum, den er in den letzten Wochen in und auswendig kennengelernt hatte. Doch gerade jetzt war es ihm, als würde sich sein bisheriges Ich in der Welt grundlegend ändern und jedes Wort, das er äußerte, würde das Equilibrium aus Pflichterfüllung, das er um sich herum aufgebaut hatte, bis auf die Grundmauern erschüttern. So wartete er und lernte, dieses Mal jedoch ohne die brennende Schadenfreude. Er prägte sich alles ein, was der Amerikaner ihm zeigte und das war im Moment mehr als in den Jahren zuvor. Er wurde Zeuge einer Schwäche, von der er sich nicht sicher war, ob Crawford sie jemals Schwarz so offenbaren würde. Minuten vergingen, zogen sich in aller Endlosigkeit hin und krochen ihm davon, ohne dass er sie bewusst festhielt. Das Einzige, an dem er sich festklammerte, war das Mienenspiel des Amerikaners, das von soviel Leid erzählte, dass Aya sich allen Ernstes fragte, wie Crawford all das bewältigte ohne wahnsinnig zu werden. Er wurde schon beinahe wahnsinnig, wenn er dem anderen Mann nur dabei zusah, wie er Stück für Stück auseinanderbrach und sich aus dem Scherbenhaufen immer wieder neu zusammensetzte. So auch jetzt. Das Orakel atmete tief ein und öffnete die Augen. Er straffte sich mit Mühe und erhob sich steif. Ausdrucklos begegnete er Ayas Blick und wandte sich dann zum Flur. „Wo willst du hin?“ Strenger als er es eigentlich gewollt hatte, verließen die Worte seine Lippen und müde zuckte Crawford vor ihm zurück. „Ins Schlafzimmer, damit du es hinter dich bringen kannst“, erwiderte er ohne Spott oder Bosheit, sondern lediglich, das erkannte Aya jetzt, in der ruhigen Gewissheit, dass er diesen Kampf nicht gewinnen können würde. Aya schnaubte verächtlich und grollte missbilligend. Er wollte Gehorsam, das ja. Er wollte, dass der Amerikaner für die nächsten Tage das tat, was er sagte. Aber diesen Mann, der kurz davor war aufzugeben, den wollte er nicht in seiner Nähe haben. Dieser Mann machte ihn wütend und er wusste noch nicht einmal warum. „Setz dich verdammt nochmal wieder auf die Couch“, deutete er unwirsch auf besagtes Möbelstück und wagte einen Blick in die hellen Augen, die ihn überrascht, aber mit Vorsicht musterten und versuchten, seine Intention aus seinem Verhalten herauszufiltern. Was auch immer das Ergebnis war, es endete zu seinen Gunsten. Crawford folgte widerstandslos seinem allzu subtilen Befehl und ließ sich langsam auf das besagte Möbelstück nieder. Erst, als er anscheinend begriff, dass Aya ihn in Ruhe lassen würde, nahm er sich die Decken und schlang sie um seinen Körper, obwohl es nicht wirklich kalt war. Ungebeten überfielen den Weiß hasserfüllte Worte, die nur allzu deutlich zeichneten, was Lasgo mit Crawford angestellt hatte. Aya wandte den Blick ab und überließ Crawford der dringend benötigten Wärme. ~~**~~ ~~~~~ Wird fortgesetzt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)