futoumei ningen von Anemia (invisible human) ================================================================================ Kapitel 1: Angst ---------------- Ich habe viele Gesichter. Und dennoch ziehe ich es vor, sie zu verstecken, insbesondere vor Kameras. Vielleicht, weil all diese Gesichter nicht schön sind. Auf den ersten Blick sind sie es vielleicht, aber auf den zweiten offenbart sich womöglich das, was sich hinter der Maske verbirgt. Ich bin nicht schön. Schönheit hat etwas mit Reinheit zu tun, mit einer liebenswerten und gutmütigen Seele. Nicht nur mit großen, dramatisch geschminkten und mit langen, dichten Wimpern umrahmten Rehaugen, die dich scheu ansehen und die Verletzlichkeit ihres Besitzers preisgeben. Nicht mit einem makellosen Körper, den ich ohnehin nicht besitze. Schönheit kommt von innen, aber ich kann schrecklich leer sein. Dafür helfen mir meine verschiedenen Gesichter, etwas von meinem Inneren nach außen zu tragen, denn manchmal quelle ich förmlich über, weil ich so viel fühle. Weil ich so viel bin. Ich habe einen Kerl in mir wohnen, der meine zurückhaltendende Seite mit einem noblen Anzug repräsentiert. Dieser vermischt sich hin und wieder nur zu gern mit dem rebellischen Punk, der wohl jede meiner Seiten beeinflusst. Dann posiere ich lässig und mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht samt einer Zigarette im Mund - wenn mir denn nach posieren ist. Ein andermal taucht die Zigarette auch bei der eher femininen Version meiner selbst auf. Es ist kein Geheimnis, dass ich auf Plateauschuhe stehe, die mich fast zwei Meter in die Höhe ragen lassen. Ja, ich bin groß, deswegen reichen mir jene Strümpfe, welche auch zu meinem heutigen Outfit gehören, nur bis knapp unter das Knie. Dabei sollte ein ordentliches Schulmädchen die Strümpfe straff bis knapp über das Knie ziehen können. Aber ich bin kein ordentliches Schulmädchen. Ich bin nur ein Freak, in dem das Tragen der Schuluniform etwas auslöst. So, wie ich mein Antlitz im Spiegel betrachte, könnte ich mir sogar fast gefallen. Sehr oft habe ich das Gefühl, dass der, der mich aus dem Spiegel heraus betrachtet, nichts mit mir gemein hat. Als würde etwas fehlen. Aber wenn mir unsere Stylistin meine Haare zu zwei Zöpfen bindet, meine ich mich zu erkennen. Dann macht der 30-jährige Mann dem Kind in mir Platz. Oft fällt es mir schwer, erwachsen zu sein, aber wenn ich ein Schulmädchen bin, kann ich meine Pflichten für eine Weile abstreifen. Ich bin unbeschwerter. Ich spreche dann manchmal sogar unbewusst mit einer höheren Stimme. Ich habe keine Angst davor, ich selbst zu sein. Ich habe nur Angst davor, irgendwann einmal nicht mehr zu wissen, wer ich bin. Doch wann war es mir so deutlich bewusst wie heute? Wann habe ich meine Konturen je so deutlich wahrnehmen können? Ich werde nie schön sein, dafür bin ich ich. Und das ist etwas, das viele andere nicht schaffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)