Nielos Reise von michischreibt ================================================================================ Prolog: 0 --------- Sonnenlicht drang nur spärlich ins satte, feuchte Grün des Waldes vor. Trotzdem war die Luft von einem Schimmern erfüllt, das von Innen heraus zu kommen schien. Den weichen Waldboden überzog eine fast durchgehende Moosdecke, die vor allem auch vor den dicken Stämmen der älteren Bäume nicht Halt machte. Kräftige Lianen und verschiedene Kletterranken webten dichte Geflechte, während an anderen Stellen die Baumkronen das einfallende Licht zu einem leuchtend hellen Grün filterten. Eine eigentümliche Ruhe lag über dem kompletten Wald, dessen Ausmaße aus seinem Innern nicht abzuschätzen waren. Und dass trotz der augenscheinlichen Fruchtbarkeit der Erde zwischen all den Pflanzen nur eine weitere Art von Lebewesen anzutreffen war, verlieh der Stille einen unheimlichen Beigeschmack. Vor den übergrünen Pflanzen flatterten unzählige Schmetterlinge durch die diesige Luft. Ihre roten Flügel hoben sich auffallend von der grünen Kulisse ab. Bei jedem Flattern löste sich eine kleine Menge Staub von ihren Flügeln, und so zogen die Schmetterlinge schwungvoll gemalte Spuren hinter sich her. Weder Vogelgezwitscher noch das Schaben von Käfern oder das Fauchen von Baummardern waren zu hören. Wie auf ein unsichtbares Kommando hin hörte das ziellose Flattern der Schmetterlinge mit einem Mal auf und sie flogen zielstrebig von allen Richtungen auf einen bestimmten Punkt im Wald zu. In einer Senke verdichteten sie sich. Verborgen unter tellergroßen Blättern bildeten sie einen Klumpen so groß wie ein Waschzuber. Sie krabbelten übereinander, drückten sich so nah wie möglich an das Zentrum der Ansammlung. Eine unruhige, rote Masse. Dann verlor das wogende Knäuel nach und nach an Farbe, bis die Schmetterlinge wie farblose Laubblätter auseinander stoben. Zurück blieb eine rosige Gestalt in der leichten Kuhle, die zusammengekrümmt auf der Seite lag, das Gesicht unter einer langen Haarpracht verborgen. Kapitel 1: 1 ------------ Die Gestalt zuckte, Finger krümmten sich, dann wurde ein Bein ausgestreckt. Es war, als erwachte die Gestalt aus einem langen Schlaf. Sie stemmte sich mit einem Ächzen in die Höhe, breitete die Arme aus, um die lange Zeit unbewegten Muskeln zu lockern, und tappte mit ein paar Schritten aus der Senke, in der sie gelegen hatte. Sie kletterte auf einen überwucherten, beinahe waagrecht wachsenden Baumstamm und blickte sich zufrieden um, während sie einen tiefen Atemzug machte. "Das hat gut getan." Ein einzelner, farbloser Schmetterling flatterte vor dem Gesicht der Gestalt vorbei und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihn. Die Gestalt streckte einen Finger aus un der Schmetterling ließ sich darauf nieder. Als ob sie dieses Wesen das erste Mal sähe, betrachtete sie es. "Ich danke dir", flüsterte sie dem Schmetterling zu. "Dir und ..." Sie runzelte die Stirn. Ihr war gerade etwas eingefallen. "Wo bist du?" Sie blinzelte einmal, dann färbten sich ihre Augen schwarz. Mit starrem Blick aus diesen Augen, die nun den Eindruck von schwarzen Glasmurmeln erweckten, durchdrang sie von ihrer erhöhten Position auf dem schiefstehenden Baumstamm aus das Gebüsch auf der Suche nach etwas Bestimmtem. Der Schmetterling war längst weitergezogen. Sie fand es, halb verborgen unter ein paar herabgefallenen Blättern. Es war noch frisch, also konnte das, was die Gestalt vorhatte, gut gehen. In einer eleganten, fließenden Bewegung sprang die Gestalt vom Baumstamm aus auf die Erde und schritt leichtfüßig, als würde sie schweben, zwischen den Pflanzen hindurch zur eben ausgemachten Stelle.  Da lag er, ein kleiner Körper, der eines Kindes. Dass sich aber auch immer Kinder in diesen Wald verirren mussten. Die Gestalt kniete sich neben den leblosen Körper und fegte den Großteil der Blätter, die nur an dieser Stelle zu Boden gefallen waren, und die ersten Ranken, die sich um den Körper schlängeln wollten, beiseite. Der Wald war ein gieriger Zeitgenosse. Die letzte Ranke hielt die Gestalt weiter mit einer Hand gepackt, ihre andere Hand legte sie unter dem dünnen Hemdchen, das den Körper des Kindes bedeckte, auf den Bauch. "So dürr", kam der Gestalt unwillkürlich in den Sinn. Sie würden als erstes etwas essen gehen. Genau wie vor wenigen Augenblicken wurden die Augen der Gestalt erneut zu bodenlosen, nachtschwarzen Murmeln. Ein Knistern lag in der Luft, als hätte sie sich elektrostatisch aufgeladen. Die Hand auf der nackten Haut des Kindes wurde warm. In der anderen Hand begann die Ranke zu zucken. Sie spürte, wie das Leben aus ihr herausgezogen wurde und bekam Panik. Die Gestalt konnte den Lebensstrom förmlich sehen, der durch sie hindurch in den Menschenkörper floss. Genau so wie sie sehen konnte, dass die Ranke unter Aufbietung all ihrer Kräfte neues Leben über ihre Wurzeln aus dem umgebenden Boden einsaugte. Wirklich gierige Biester. Während die Ranke weiter zappelte, begann nun auch das Kind, sich zu bewegen. Es war fast genug. Die Gestalt hielt die Verbindung noch ein paar Momente aufrecht, dann entließ sie die Pflanze aus ihrem Griff. Die Ranke fiel zu Boden wie das erschlaffte Glied eines Mannes nach dem Geschlechtsakt. Das Kind jedoch hielt die Gestalt weiter auf den Boden gepresst. Es war niemals sicher, dass das Leben in einem neuen Körper blieb, oder wie lange es dort blieb. Immerhin war es nicht das Leben des Kindes, sondern einfach ein Leben, das die Gestalt gerade von einem Gefäß in ein anderes geschüttet hatte. Ein zufälliger Abschnitt aus dem unermesslich langen Lebensstrom, der ununterbrochen in der Erde kreiste. Doch besonders Kinder klammerten sich im Allgemeinen fester ans Leben, deswegen standen die Chancen gut. Die Lider des Kindes flackerten und sprangen auf. Bereit ein paar Momente zuvor hatte die Atmung wieder eingesetzt. Nun starrten der Gestalt zwei überaus klare Augen entgegen. Kurz blickte das Kind nach links und rechts, drehte dabei seinen Kopf mit, ehe es wieder den Blick der Gestalt erwiderte, deren Augen zu ihrem normalen Aussehen zurückgekehrt waren. "Was ist passiert?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)