DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 17: Der Weg nach Sagan ------------------------------ 17. Der Weg nach Sagan „Was denkst du, Famke? Wann werden die von der Konföderation das Wrack des gekaperten Frachters entdecken?“ Der Tansanier, der sich auch an diesem zweiten Tag, seitdem sie von der Absturzstelle aufgebrochen waren, dankbar von Famke Korkonnen stützen ließ, sah sie fragend an. „Keine Ahnung“, gab die Frau offen zu. „Vielleicht ist man uns bereits auf der Spur. Für wahrscheinlicher halte ich es allerdings, dass während des Chaos des Angriffs, dieses Desaster am Rande gar nicht auffiel. Mit etwas Glück wird man glauben, der Frachter wäre bereits beim Angriff vernichtet worden. Zu dumm nur, dass unsere Waffen beim Absturz verlustig gegangen sind. Zum Glück haben wir noch die Kampfmesser der Monturen.“ Darweshi nickte und verzog dabei gleichzeitig schmerzhaft das Gesicht, als er mit dem linken Fuß leicht umknickte. Dabei schmerzte das Gelenk ohnehin schon genug. Famke, die es bemerkte, deutete auf einen Felsen, der zwischen zwei Bäumen lag und sagte bestimmt: „Wir machen dort vorne Rast und essen etwas. Seit heute Morgen sind wir pausenlos unterwegs. Ich schätze, dass wir bereits vierzig Kilometer geschafft haben.“ „Damit bleiben noch mindestens achtzig übrig“, gab der Tansanier zu bedenken. „Wenn wir uns ran halten, dann sind es sechzig, bevor es dunkel wird“, entgegnete Famke bestimmt. Damit hätten wir dann die Hälfte des Weges geschafft. Lächelnd sah Darweshi die Frau an seiner Seite an. „Du hast ganz Recht. In unserer Lage ist es wichtig positiv zu denken.“ „Schwer genug mit nur fünf Stunden Schlaf.“ Sie setzten sich auf den breiten, flachen Felsen und nahmen ihre Rucksäcke ab. Zum Glück waren mehr als genug solcher Not-Packs in dem zerstörten Frachter gewesen. In Erinnerung an den vorangegangenen Tag sagte Famke leise: „Ich wollte, wir hätten die Zeit und die Mittel gehabt, Kelvin anständig zu beerdigen.“ „Ja“, antwortete Darweshi ruhig und massierte zunächst sein linkes Fußgelenk. „Ich kannte ihn nicht sehr gut, aber zuletzt hatte ich den Eindruck, dass er das Töten hasste. Am Anfang hatte ich ihn etwas anders eingeschätzt.“ Famke sah zu dem Tansanier. „Er war in Ordnung. Nur etwas direkt und gelegentlich auch etwas Hals über Kopf. Er mochte die Musik zeitgenössischer, australischer Musiker.“ Sie schwiegen einen Moment, und nach einer Weile rief Famke plötzlich aus: „Hey, was ist denn das hier?“ Gleichzeitig öffnete sie eine Bodenfach in dem flachen Rucksack, dass sie bisher übersehen hatte. Sie förderte schließlich ein kleines Notfall-Set zutage, inklusive einer kleinen Auswahl von Anti-Schmerzmitteln und Verbandszeug. Sie reichte Darweshi die Medikamente und meinte: „Damit kennst du dich etwas besser aus, denke ich. Dafür kann ich dir jetzt zumindest einen elastischen Verband anlegen. Dein Fußgelenk wird es dir danken.“ Darweshi Karume besah die Aufschrift auf den Medikamenten und gab Famke dann alle, bis auf eins, zurück. „Das hier werde ich behalten. Es schränkt den Metabolismus nur sehr gering ein und wirkt trotzdem genügend stark. Denke ich zumindest.“ Famke half dem Tansanier dabei, seinen Kampfstiefel auszuziehen. Dabei fragte sie ihn: „Was meinst du mit Metabolismus einschränken?“ „Vor allen Dingen Müdigkeit. Die anderen Mittel sind mir zu stark. Sie würden mich schläfrig werden lassen, und wir haben noch etwas vor, wie du weißt. Wenn wir am Ziel unserer kleinen Odyssee angekommen sind, dann kann ich immer noch welche von denen nehmen, und mir damit die Lampe ausschießen.“ Famke lachte unterdrückt. Als sie Darweshi den Strumpf auszog verzog sie kurz das Gesicht, sagte aber nichts, sondern begann damit, das Fußgelenk zu bandagieren. „Du sagst mir besser, wenn ich den zu locker oder zu stramm anziehe oder falls ich was falsch machen sollte. Ich hatte zwar Erste Hilfe an der Sektion Venus, doch das ist schon etwas her.“ Der Mann hatte das Verziehen des Gesichtes bei Famke bemerkt. „Im Moment sieht ganz gut aus, was du da machst. Ach ja: Deine Füße werden, nach den Strapazen gestern und heute, auch nicht gerade nach Rosen riechen.“ Für eine Weile konzentrierte sich Famke auf das Verbinden, bevor sie schmunzelnd fragte: „Das sind vielleicht Riesentreter. Welche Schuhgröße hast du nur?“ „Zweiundfünfzig“, gab der Tansanier Auskunft. „Und du?“ Famke sah kurz zu dem Mann auf. „Gerade mal Einundvierzig.“ „Aber stinken vermutlich, wie Zweiundfünfzig.“ Die Frau gab ein Schnauben von sich. „Ich glaube, ich sagte bereits mal etwas, in Bezug auf deine Plasmaschuss-Komplimente.“ „Tut mir leid“, lachte der Tansanier. „Ja klar, genau so siehst du gerade aus. Halt jetzt lieber still, du Rüpel.“ Famke arbeitete konzentriert und als sie fertig war, fragte sie: „Wie fühlt es sich an?“ „Perfekt. Der Verband wird eine Erleichterung sein. Danke.“ „Kein Problem“, erwiderte die blonde Frau und zog ihm den Strumpf und anschließend den Kampfstiefel wieder an. Nach Anweisung des Mannes stellte sie die Magnetverschlüsse des Stiefels neu ein und endlich sagte Darweshi Karume zufrieden: „So sitzt er genau richtig.“ Demonstrativ wischte Famke mit ihren Fingern durch das feuchte Gras am Boden, bevor sie in ihrem Rucksack nach einer der Rationen angelte. Karume ging nicht darauf ein sondern suchte in seinem eigenen Rucksack grinsend nach einer der Rationen, nachdem er eine kleine, grüne Pille des Anti-Schmerzmittels eingenommen hatte. Zufrieden kauend saßen sie nebeneinander auf dem Fels. Brocken wie dieser waren auf dem Mars immer noch überall zu finden. Die ehemaligen trostlosen Geröllwüsten waren im 33. Jahrhundert zwar fast überall bewachsen, doch das Geröll gab es immer noch. Auch wenn es jetzt in den weiten Wäldern des Mars verborgen lag. Als sie ihre Mahlzeit mit einem Schluck Wasser herunterspülten, sah sich Darweshi mit gerunzelter Stirn um. „Es wird dunkel, dabei ist hier gerade erst Mittag vorbei.“ Famke fiel erst jetzt ein, dass sie schon eine geraume Weile nicht mehr zum Himmel gesehen hatte. Dunkle Wolken waren herangezogen und ein erstes, dumpfes Grollen besagte deutlich, dass es bald ein Gewitter geben würde. „Gehen wir weiter, solange es noch trocken ist“, schlug Famke vor. „Wer weiß, wie morastig der Boden wird, wenn es erst einmal begonnen hat zu regnen.“ Darweshi Karume machte eine zustimmende Geste. Sie schulterten ihre Rucksäcke und brachen wieder auf. Als Famke den Mann wieder stützen wollte, wehrte er ab. „Es geht allein, jedenfalls momentan. Falls sich das wieder ändern sollte, dann sage ich dir rechtzeitig Bescheid, in Ordnung?“ „Ich verlasse mich darauf.“ Sie kamen besser voran, als zuvor und nach einer Weile vergaß Famke ihre anfänglichen Bedenken. Als etwas stärkerer, leicht böiger Wind aufkam, da meinte Karume nachdenklich: „Auf der Erde würde ich vermuten, dass es in einer halben bis einer Stunde anfängt zu regnen. Aber wer weiß, ob das auf dem Mars auch zutrifft.“ „Zumindest kommt das Donnergrollen deutlich näher“, gab Famke zurück. „Ich schätze, wir werden es bald erleben. Auf die Schwüle könnte ich dabei ganz gut verzichten.“ Darweshi Karume, der ebenfalls bemerkt hatte, dass die Luft schweißtreibender geworden war wischte sich über die Stirn. „Ja, das ist etwas unangenehm. Der Regen wird es nur bedingt besser machen, bevor es anschließend schlimmer werden wird. Wenn die Sonne später auf den nassen Wald scheint und das Wasser wieder verdunstet, dann können wir vermutlich anfangen durch die Luft zu schwimmen.“ Unermüdlich marschierten sie weiter. Dabei kam das Grollen immer näher bis die ersten Blitze über den finster gewordenen Himmel zuckten. „Ich fürchte, da wird einiges an Regen herunterkommen“, murrte Famke. „Hoffentlich nimmt es nicht zu sehr Überhand.“ Wie zur Bestätigung fielen kurz darauf die ersten dicken Tropfen durch das Laubdach. Bereits wenige Augenblicke später regnete es in Strömen und die Haare der Frau tropften vor Nässe. Wenigstens trugen sie imprägnierte Monturen und wasserdichte Stiefel. Nach einer Weile schimpfte sie: „Tolles Wetter hier. Zuerst ersticken und anschließend absaufen. Hier muss ich unbedingt mal länger Urlaub machen.“ „Es könnte schlimmer kommen.“ Zum Trommeln und Rauschen des Regens gesellte sich nach einer Weile ein merkwürdiges Klatschen. Erst als Darweshi Karume hart an der rechten Schulter von etwas Weißem getroffen wurde, und er schmerzerfüllt aufstöhnte, wusste Famke was es war. Hagelkörner, so dick, wie Hühnereier. „Jetzt ist es schlimmer!“, schrie die Frau erbost zurück. „Zufrieden?“ Der Tansanier hörte, wie der Hagel schlimmer wurde. Schnell zog er Famke in seine Arme und kauerte sich dicht an einen der größeren Bäume, die Frau mit seinem Körper schützend. Dabei hielt er eine seiner großen Hände über seinen Kopf. Es dauerte eine Minute, bis es vorbei war und der Hagel ganz aufhörte. Zumindest in dieser Gegend des Mars. Misstrauisch kauerte sich Darweshi noch einige Augenblicke mit Famke an den Baum, bevor er seinen Arm zurückzog und sich langsam wieder erhob. Dabei räusperte er sich und meinte rau: „Das hätten wir überstanden.“ „Beschrei es nicht“, warnte Famke und sah misstrauisch zum Himmel hinauf. Dabei erhob sie sich ebenfalls und sah den Mann dankbar an. „Das war übrigens sehr galant, eben.“ „Nicht der Rede wert“, wehrte Karume etwas verlegen wirkend ab. „Wir sind Kameraden, und die achten aufeinander, richtig?“ „Richtig. Aber jetzt nichts wie weiter, dieser Unglücksplanet und sein Wetter wird mir allmählich unheimlich.“ * * * Entgegen ihrer ursprünglichen Vermutung hörte der Regen bis zum Abend nicht auf, sondern es regnete durch, bis es bereits fast vollkommen finster geworden war. Dabei hatte es empfindlich abgekühlt. Kurz bevor Darweshi Karume und Famke Korkonnen die Hand nicht mehr vor Augen sehen konnten fanden sie einen riesigen, hohlen Baum, in dem sie etwas geschützt vor dem immer noch starken Regen die Nacht verbringen konnten. Mehr schlecht als recht kauerten sie, nach einem bescheidenen Abendessen, in seinem Schutz. An ein Ausstrecken war dabei nicht zu denken. Für eine Weile saßen sie so dicht beieinander in der Finsternis, wobei Karume das Bibbern seiner Begleiterin spürte. Schließlich legte er einen Arm um sie und zog sie zu sich heran. Dabei raunte er leise: „Das ist vielleicht etwas bequemer und wärmer für dich.“ „Ja, das ist es.“ Für einen langen Moment blieb es still. Schließlich sagte Famke mit vibrierender Stimme: „Es ist schon eine ganze Weile her, dass sich jemand um mich gekümmert hat und einfach für mich da war. In den Monaten des Widerstandes war im Grunde immer ich diejenige, die sich um die anderen im Team kümmerte.“ Famke spürte, wie sich der Körper ihres Begleiters etwas anspannte und beeilte sich, ihren Worten hinzuzufügen: „He, das war keine Beschwerde. Es fiel mir nur gerade auf.“ Darweshi Karume atmete erleichtert auf. „Du machst dir Sorgen um den Rest unseres Teams, nehme ich an. Ich denke, Moshe ist ein Typ, der auf sich und alle anderen aufpassen kann. Ich hoffe nur, dass sich auch Yunai zurechtfinden wird.“ „Du magst sie sehr?“ Ein leises Lachen war die Antwort. Dann raunte der Mann. „Ja, ich mag Yunai. Aber nicht so, wie du jetzt vielleicht denkst. Es ist eher dieses besondere Verhältnis, dass sich wohl immer dann irgendwie entwickelt, wenn ein Mensch das Leben eines anderen Menschen in der Hand gehalten hat. Das hat eher etwas mit Besorgnis zu tun. Und anders herum, mit Dankbarkeit, würde ich sagen.“ Für eine Weile waren nur ihre ruhigen Atemzüge zu hören und das gleichmäßige Trommeln der Regentropfen auf den Blätterdach des Waldes. Erst nach einer geraumen Weile hob Famke leise wieder an: „Wir zwei im...“ Weiter kam sie nicht, denn Darweshi legte in diesem Moment fest seine Hand auf ihren Mund. Bevor sie protestieren konnte, flüsterte er in ihr Ohr: „Nicht falsch verstehen aber du musst jetzt mal still sein. Ich habe eben etwas gehört.“ Für einen Moment hatte sich Famkes Körper angespannt, bevor sie sich schnell wieder beruhigte. Gleichzeitig hörte sie draußen ein leises Schmatzen und Zischen. Fast in demselben Moment deutete Darweshi mit seiner freien Hand auf ein schwach bläulich fluoreszierendes, längliches Objekt und Famke fragte, annähernd lautlos: „Was ist das denn? Sehe ich jetzt Gespenster?“ „Vielleicht ist das nur eine Schlange“, erwiderte der Mann ebenso leise. „Ruhig jetzt.“ Sie beobachteten das Wesen, wenn es überhaupt ein Wesen war. Gleichmäßig schlängelte es sich zwischen den Bäumen und das Unterholz hindurch. Dabei kam es etwas näher und Ringstrukturen wurden erkennbar. In diesem Moment erinnerte das bläuliche Etwas eher an einen riesigen Wurm. Seine Länge musste wenigstens zehn Meter betragen. Sie erkannten auch, wodurch das Zischen verursacht wurde, denn dort, wo der Regen die Haut des Wesens berührte, stiegen feine Rauchwölkchen auf. Es glitt in nur wenigen Metern Abstand an dem hohlen Baum vorbei und verschwand schließlich im Dickicht. Dabei wurde das Schmatzen und Zischen immer leiser, bis es schließlich ganz verstummte. Nach etwa einer Minute fragte Famke leise: „Scheint, im wahrsten Sinne des Wortes, ein heißes Teil zu sein. Ob es weg ist?“ Darweshi seufzte schwach. „Das hoffe ich. Es sah für mich aus, wie ein riesiger blau leuchtender Wurm.“ „Was der hier im Wald wohl macht?“ „Er leuchtet blau.“ Ein leises Schnauben der Frau war zu hören. „Das hätte mir auch jemand sagen können, der längere Ohren hat, als du. Vielleicht magst du ja ein ganz intelligenter, junger Mann sein, aber gerade im Moment merkt man davon leider gar nichts.“ Ein leises Lachen des Mannes folgte. „Versuch jetzt etwas zu schlafen, Famke. Ich übernehme die erste Wache.“ „Dann werde ich diese Nacht wenigstens nicht durch dein Schnarchen wachgehalten.“ Entrüstet erwiderte Darweshi Karume heiser: „Ich schnarche nicht.“ „Ja, klar.“ Mit einem breiten Grinsen, dass der Mann nicht sehen konnte, schmiegte sie sich vertrauensvoll an ihn. Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis sie endgültig innerlich zur Ruhe kam und ihre Augen schloss. * * * Als Famke aus einem erholsamen Schlaf erwachte, fand sie sich dicht bei Darweshi wieder. Ihr Ohr lag an seiner Brust und sie lauschte für einen Moment lang, mit geschlossenen Augen, dem ruhigen Schlag seines Herzens. Und seinen leichten Schnarchgeräuschen, die er von sich gab. Erst einen Moment später realisierte sie, dass er sie gar nicht geweckt hatte, damit sie die zweite Wache übernahm. Schnell löste sie sich von ihm, wobei sie sich den Kopf an der Rinde des Baumes stieß und sah fassungslos in das friedliche, entspannte Gesicht des Mannes. Einige Augenblicke zu lang, wie sie ärgerlich befand, bevor sie ihn heftig, mit beiden Händen anstupste. „He! Aufwachen, du Schnarchnase!“ Seine Augen blieben geschlossen. Er gab lediglich ein leises Brummen von sich. Bei ihrem nächsten, heftigeren Schubs kollidierte sein Kopf mit der Rinde des Baumes, auf seiner Seite. Verschlafen die Augen öffnend sagte er: „Ich habe mir den Kopf gestoßen. Verdammt, hast du mich etwa geschubst?“ „Ja, habe ich“, grollte die Frau. „Auf Wache einschlafen, das habe ich gerne.“ Darweshi sah seine Begleiterin entschuldigend an. „Tut mir leid. Als ich deinen regelmäßigen Atemzügen lauschte, da sind mir einfach die Augen zugefallen. He, reg dich nicht auf, wir leben ja beide noch. Bist du morgens immer so gutgelaunt?“ Famke gab lediglich ein nicht deutbares Grummeln zurück und löste sich dabei aus den Armen des Mannes. Einige Meter vor dem hohlen Baumstamm reckte sie sich und seufzte dabei gähnend: „Wenigstens der Regen hast aufgehört.“ „Kann ja auch nicht immer regnen. Die Luft ist viel klarer, als gestern.“ Die beiden jungen Leute fanden einen Platz an dem sie in Ruhe frühstücken konnten. Danach nahm Darweshi noch eine der Anti-Schmerzpillen ein und sie machten sich wieder auf den Weg. Dabei hoffte der Tansanier, dass auf sein Richtungsgefühl Verlass war. Sie marschierten am Lauf eines kleinen Baches entlang, dessen Wasser ihre bereits deutlich zu Neige gegangenen Wasservorräte wieder auffüllte. Dank der Tabletten mit denen man Wasser entkeimen konnten, die sich ebenfalls in den Notfall-Sets ihrer Rucksäcke befanden, stellte das kein Problem dar. Da die Strecke heute überwiegend über leicht abschüssiges Gelände führte, marschierten sie, ohne es zu merken, bis zum frühen Nachmittag durch. Bereits zuvor hatte sich der Wald um sie herum immer mehr gelichtet, bis sie schließlich durch eine fast parkähnliche Landschaft gingen. Durch hohes Gras voranschreitend pflückte Famke eine der vielen bunten Blumen und steckte sie sich in Haar. Dabei sah sie zu Darweshi und fragte: „Wie sieht das aus? Kann ich so etwas tragen?“ „Unbedingt“, grinste der Tansanier belustigt und Famke schnitt ihm eine Grimasse. Nach einer weiteren halben Stunde kamen sie an einem steil abfallenden Felsgrat an, der sie allmählich wieder bergauf führte. Als sie am Nachmittag die höchste Stelle des Felsens erreichten, bekamen sie Gelegenheit, einen größeren Teil der, vor ihnen liegenden, Landschaft zu überblicken. Sie sahen in zwei langgestreckte Täler, von denen eins so wirkte, als sei es ein Einschlagkrater. Mehrere gewundene, silbern schimmernde, Bänder von schmalen Flüssen schlängelten sich hindurch. Große Wälder wechselten sich mit, von Blumen bewachsenen, Wiesen ab, deren Abermillionen Blüten ihnen einen betäubenden Geruch entgegen wehte. Weit in der Ferne erkannten sie eine schmale Seenplatte und von den gegenüber liegenden, blau schimmernden, Bergen stürzten mehrere beeindruckend große Wasserfälle zu Tal, deren Tröpfchenschleier das Sonnenlicht, in allen Farben des Regenbogens, brachen. Am Rand des Felsgrats marschierten sie entlang und entdeckten erst nach Stunden einen Pfad, über den sie vom Felsgrad hinabsteigen konnten. Eine Dunstglocke schien über den Tälern zu liegen. Je tiefer sie kamen, desto wärmer wurde es nun wieder. Erneut drangen sie in einen dichten Wald ein. Dort machten sie eine etwas längere Rast und aßen etwas, bevor sie weitergingen. In dem Wald kamen sie nun wieder zügiger voran, und durch die hohen Baumwipfel konnten sie erkennen, dass sich die Sonne bereits merklich dem Horizont entgegen geneigt hatte. Zufrieden stellte Famke unterwegs fest, dass dem Tansanier sein lädiertes Fußgelenk keine Probleme zu bereiten schien. Sie kamen überein, in einer der Höhlen, die sie in den Felsausläufern am Rande der beiden Täler entdeckt hatten, zu übernachten. Dort waren sie geschützter als auf der weiten Ebene wo sie Tieren ausgeliefert gewesen wären, die sie zum Großteil nicht kannten. Das hatte sie die letzte Nacht nur zu eindringlich gelehrt. Als die Dämmerung bereits voll eingesetzt hatte entdeckten sie eine kleine, halbwegs trockene, Höhle, in der sie Unterschlupf für die Nacht zu finden gedachten. Während sich Famke daran machte, mit einigen Büschen, die sie mit ihrem Messer vor dem Höhleneingang abgeschnitten hatte, den größten Schmutz aus der Höhle zu kehren, sammelte Darweshi etwas trockenes Holz und kehrte damit in die Höhle zurück. Er deutete hinauf zur Decke der Höhle, wo es einige schmale Öffnungen gab. „Wir können ein kleines Feuer machen, ohne an einer Rauchvergiftung einzugehen. Es dürfte ähnlich kalt werden, wie gestern Nacht, denke ich. So ein kleines Feuer, hier am Arsch des Mars, werden die von der Konföderation durch den Felsen hindurch bestimmt nicht anmessen. Besonders, da wir ziemlich weit weg sind, von der nächsten Ansiedlung.“ Famke überlegte kurz, bevor sie zustimmte. Darweshi machte sich daran, aus zwei der Holzstücke eine Feuer zu quirlen. Dabei gab er zum Besten, dass das bei seinen Vorfahren eine lange Tradition gehabt habe. Die blonde Frau sah ihm fast zehn Minuten lang bei seinen vergeblichen Versuchen zu, bevor sie schmunzelnd meinte: „Ich habe Dheran Collard mal bei so etwas zugesehen. Er ist Aborigine und auch bei seinen Vorfahren hat das Feuermachen eine lange Tradition. So, und jetzt lass mich mal da ran.“ Mit zweifelndem Blick überließ Karume der Frau das Feld. Zu seiner Verwunderung zog sie ihr Kampfmesser und schnitt erst einmal dünne Holzspäne von einem der kleineren Äste. Dann suchte sie in der Ecke der Höhle etwas dürres Gras zusammen und drapierte es um das Stück Holz, an dem sich Darweshi eben vergeblich versucht hatte. Die Holzspäne in die bereits entstandene kleine Vertiefung gebend begann nun sie damit, einen der kleineren Äste darin herum zu quirlen. Zu seinem gelinden Erstaunen dauerte es keine zwei Minuten, bis von dem Stück Holz eine schwache Rauchfahne aufstieg. Einige Augenblicke später züngelte eine kleine Flamme aus dem trockenen Gras und etwas Luft zu pustend legte Famke einige der dünnen Holzäste darüber, damit auch sie Feuer fangen konnten. Als schließlich ein kleines munteres Feuer in der Höhle prasselte, sah Famke ihren Begleiter grinsend an. „Wenn Dheran das jetzt sehen könnte, würde er mich sofort in den Stamm seiner Vorfahren aufnehmen.“ „Ich auch“, erwiderte Karume und ehrliche Anerkennung schwang in seiner Stimme mit. „Auf die Idee, mit den kleinen Holzspänen, wäre ich nie gekommen.“ Verlegen wegen des unverhofften Lobs wechselte Famke das Thema und erkundigte sich bei Darweshi: „Was denkst du? Brauchen wir eine Wache, heute Nacht?“ „Ich habe keine größeren Tiere gesehen, seit wir in dieser Gegend sind. Und diese Leuchtwürmer scheinen sich eher im Dickicht des Hochwaldes wohl zu fühlen.“ „Dann verzichten wir darauf“, entschied Famke. „Wir brauchen jeden Schlaf, den wir kriegen können, um möglichst schnell die Zehnte Flotte zu erreichen. Immerhin wird sie von einem Kontingent der Flotte erwartet. Die fragen sich bestimmt schon jetzt, wo wir bleiben.“ „Die werden mit möglichen Zwischenfällen rechnen“, beruhigte sie Darweshi. Dabei beobachtete er, wie Famke sich auf dem felsigen Boden zusammenrollte. Er selbst machte es sich, das Feuer zwischen ihm und Famke, ebenfalls bequem, dabei einen Arm unter den Kopf gelegt. Sinnend sah für einige Augenblicke zu seiner Begleiterin hinüber, bevor auch er die Augen schloss. Doch Schlaf wollte sich nicht bei ihm einstellen. Zu viele Dinge gingen ihm momentan im Kopf herum. Er erschrak beinahe, als Famkes Stimme aufklang. Sie sagte: „Ich kann nicht schlafen, Darweshi. Gestern Nacht, als du mich im Wald einfach festgehalten hast, da fiel es mir irgendwie leichter Schlaf zu finden.“ Es dauerte eine ganze Weile, bis er endlich erwiderte. „Na, dann komm doch einfach zu mir herüber. Ich werde schon nicht auf dumme Gedanken kommen.“ „Das solltest du auch nicht, denn immerhin bin ich mit einem Messer bewaffnet.“ Damit erhob sie sich geschmeidig, ging zu ihm hin und legte sich an seiner Seite zu Boden. Einen Arm um den Mann legend bettete Famke ihren Kopf an seine Schulter und gab schließlich ein wohliges Schnurren von sich. „Viel besser.“ Es dauerte nur eine Minute, bis Famke einschlief. Darweshi Karume, der ihren regelmäßigen Atemzügen lauschte, lag hingegen noch eine geraume Weile wach, bevor auch ihn endlich der Schlaf übermannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)