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DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars

von

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Verlust und Gewinn


 

16.
 

Verlust und Gewinn
 

Die letzten Einheiten der kombinierten Flottenverbände des ehemaligen Terranischen Imperiums und der Farradeen-Allianz zogen sich aus dem Sol-System zurück. Einigermaßen geordnet doch zweifellos auf der Flucht.

Arolic Traren hatte die Zweite Terranische Flotte und die Farradeen-Verbände zum Aldebaran-System zurück beordert, während er der Siebten Flotte das Wega-System als Rückzugspunkt zugewiesen hatte. Aus der Überlegung heraus, dass nach der Katastrophe, über dem Mars, das momentan wichtigste Sternensystem des ehemaligen Terranischen Imperiums sehr gut weitere, militärische Unterstützung gebrauchen konnte. Außerdem brauchten die, mehr oder weniger beschädigten, Einheiten dieser Flotte gut ausgebaute Werftanlagen um die Schäden beheben zu können. Dabei rätselte Traren noch immer daran herum, was eigentlich genau über dem Mars passiert war.

Zu derselben Zeit liefen auf Outpost die ersten genaueren Berichte über die Schlacht im Sol-System ein. Dort wusste man, durch Rodrigo Esteban einigermaßen genau, was sich bei der Schlacht ereignet hatte. Vor allen Dingen aber wusste man dort, was für das Debakel der alliierten Flotten verantwortlich war. Die ersten Hinweise darauf hatte die große Hyperfunk-Station auf Outpost bereits in Richtung Wega, Farradeen und Aldebaran gesandt, damit die technischen Abteilungen und die Flottenwerften in diesen drei Sternensystemen umgehend erste Maßnahmen ergreifen konnten. Eine gewaltige Umrüstung-Aktion von noch nie dagewesenem Umfang musste jetzt für die Flotten von Terra und Farradeen anlaufen.

Dabei war den Verantwortlichen auf Outpost und auf Farradeen klar, wie angreifbar sie in dieser Zeit für die Flotten der Konföderation waren. Eine dringende Warnung war bereits an alle militärischen Stützpunkte ergangen. Zumindest gab es eine positive Nachricht von Outpost. Dort hatte das Team um Hauptmann Esteban herausgefunden, dass die bisher noch nicht geschädigten Prozessoren auf den Raumschiffen der alliierten Flotten gegen das Überlagerungssignal abgeschirmt werden konnten. Das machte die beiden Sternenreiche zumindest nicht vollkommen wehrlos und die Lage war somit nicht ganz so dramatisch, wie sie sich zunächst dargestellt hatte. Die Flotten, die an der Schlacht im Sol-System teilgenommen hatten würden jedoch für Monate weitgehend ausfallen, was eine deutliche Schwächung der alliierten Flottenverbände bedeutete.

Nach ersten Meldungen, die vom Wega-System auf Outpost eintrafen war von Totalverlusten die Rede, die bei rund 35 Prozent lagen. Alle anderen Kriegsschiffe der Flotten, die das Sol-System angegriffen hatten, waren mehr oder weniger stark beschädigt. Nur die wenigsten Kriegsschiffe hatten den Angriff unbeschadet überstanden.

In den nächsten Tagen wollte sich die Oberkommandierende der ehemals Terranischen Flotte mit ihrer Kollegin von der Farradeen-Allianz eingehend auf Outpost beraten. Beide Frauen waren dabei überein gekommen, dass ein Wissenschaftler-Team von Farradeen auf Outpost stationiert werden sollte. Im Gegenzug überlegte Hilaria Mbena, den Fachleuten der Farradeen-Allianz alle Daten und Forschungsergebnisse in Bezug auf die Garrett-Hellmann Prozessoren auszuhändigen. Gemeinsam hofften die beiden Oberkommandierenden schneller greifbare Resultate erzielen zu können.

Da Farradeen im Notfall schnell Hilfe nach Outpost entsenden konnte, hatte sich Hilaria Mbena überdies dazu entschlossen, die ersten fünfzig Kriegsschiffe, die gegen eine Beeinflussung durch Reitimpulssignale im Eilverfahren geschützt worden waren, Zum Planeten Wega-IX zu entsenden. Die VESTERGAARD hatte sie bereits vor zwei Wochen wieder dorthin entsandt. Als Kurier, wie das erste Mal. Dieser Flottenverband sollten dort für zusätzlichen Schutz in diesem strategisch so wichtigen Sternensystem sorgen. Dabei war Mbena bewusst, dass sie den Rest ihrer Verteidigungslinien gefährlich ausdünnte. Dabei lief es schlicht auf folgende Überlegung hinaus. Auf einen schwach besiedelten Außenposten konnte sie notfalls verzichten, nicht aber auf das eminent wichtige Wega-System. Das war zwar hart, aber eine, wenn auch unangenehme, Tatsache. Vordringlich mussten zuerst einmal die Kernsysteme gehalten werden, danach konnte man sich über den Rest Gedanken machen.

Von alldem ahnte Kimi Korkonnen, der sich, an Bord der VESTERGAARD, seit einem halben Tag, wieder im Wega-System aufhielt, nur einen Teil. Gestern hatte er die furchtbare Meldung erhalten, dass sein bester Freund, bei dem Angriff auf das Sol-System schwer verwundet worden war und momentan im Militärkrankenhaus von Erron weilte. Wie schwer diese Verletzung tatsächlich war, das wusste er hingegen noch nicht, als sich die VESTERGAARD im Landeanflug auf den Raumhafen der HARRISON-CROENEN-BASIS befand. Wobei Korkonnen unwillkürlich an seinen ersten Besuch auf diesem Planeten denken musste. Er hatte nicht erwartet so rasch wieder hier zu sein.

In den ersten zwölf Stunden nach der Landung hatte er Bereitschaft gehabt, doch danach, so hatte ihm die Kommandantin zugesagt, würde er zwölf Stunden Sonderurlaub bekommen um seinen Freund besuchen zu können.

Kimi Korkonnen brannte bereits jetzt darauf, Dean im Krankenhaus zu besuchen, auch wenn er durch Jayden und Andrea wusste, dass er immer noch in einem künstlichen Koma lag. Dennoch wollte er sich selbst ein Bild vom Zustand des Freundes machen und auch die Versicherungen von Andrea und Jayden, dass der Freund sich nicht in Lebensgefahr befand, hatten ihn nicht von diesem Vorhaben abbringen können.

Die Zeit bis zum Ende der Bereitschaft hatte sich scheinbar bis ins Unendliche gedehnt, so dass es Korkonnen so vorkam, als wäre eine halbe Woche vergangen, als ihn endlich die Kommandantin ablöste und ihm die Erlaubnis gab, das Raumschiff zu verlassen.

Eine halbe Stunde später stürmte der Finne ungeduldig in das Krankenhaus und erkundigte sich am Empfang nach der Zimmernummer des Freundes. Auch dort wurde Korkonnen darauf aufmerksam gemacht, dass sich Corvin nicht bei Bewusstsein befand. Ebenso, dass der Patient der Schonung bedürfe, doch Korkonnen ließ sich auch jetzt nicht von seinem Vorhaben abbringen, seinen besten Freund zu besuchen.

Er benutzte einen der Lifts, nachdem er seine Auskunft erhalten hatte und verließ ihn auf Höhe der siebten Etage. Als er die Intensivstation beinahe erreicht hatte, öffnete sich vor ihm die Tür dieser Abteilung und eine Frau, in der schwarzen Uniform der Farradeen-Allianz kam heraus. Ihre kurzen, blonden Haare wirkten zerzaust.

Korkonnen wollte bereits an ihr vorbei gehen, als sich die Fremde ihm in den Weg stellte und fragte: „Hauptmann Kimi Korkonnen?“

Überrascht sah Korkonnen der Fremden in die Augen. „Kennen wir uns?“

„Nur vom Hörensagen“, schmunzelte die blonde Frau und wurde schnell wieder ernst. „Ich habe geraten. Sie sehen so aus, wie Major Corvin Sie des Öfteren mal beschrieben hat.“

„Da hat er offensichtlich gut beschrieben“, erwiderte Korkonnen. „Darf ich auch erfahren, wer Sie sind?“

„Natürlich. Ich bin Hauptmann Diana Spencer. Meine Raumlandeeinheit ist auf der NOVA SOLARIS stationiert. Ich komme gerade aus Major Corvins Zimmer.“

„Genau zu dem will ich gerade“, beschied ihr der Finne und wollte erneut an ihr vorbei, doch wieder verstellte sie ihm den Weg und etwas unwillig sah er die Frau an.

„Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, Hauptmann Korkonnen, doch…“

„Mit der Bitte kommen mindestens drei Sekunden zu spät.“

Diana Spencer ließ sich nicht beirren und sagte eindringlich: „Ich will sie nur kurz davon abhalten, Ihren Freund zu besuchen. Bitte opfern Sie mir ein paar Minuten Ihrer Zeit, Hauptmann Korkonnen. Es ist sehr wichtig.“

Der Finne runzelte die Stirn und nickte schließlich.

Diana Spencer bedankte sich und deutete den Gang hinunter, den Korkonnen eben erst hierher durchschritten hatte. Während sie langsam nebeneinander her gingen, sagte die Frau ruhig: „Ich weiß nicht, in wie weit Sie über die Schwere der Verletzung Ihres Freundes unterrichtet wurden. Vielleicht sollten Sie wissen, dass er bei dem letzten Einsatz seinen linken Arm verloren hat.“

Betroffen sah Korkonnen die Frau an und entgegnete: „Das wusste ich tatsächlich nicht. Meine Freunde sagten mir nur, dass Dean schwer verletzt worden sei.“

Die Frau, die auf Korkonnen so wirkte, als sei sie einige Jahre älter, als er, nickte in Gedanken. „Vielleicht wussten sie nicht was sich tatsächlich ereignete. Vielleicht wollte man Sie auch nicht aufregen. Aber deshalb wollte ich eigentlich weniger mit Ihnen sprechen, Hauptmann Korkonnen. Unser Landeunternehmen auf dem Mars mussten wir zwar abbrechen, doch wir trafen, während unseres kurzen Aufenthaltes dort, auf eine junge Frau und einen ihrer Begleiter. Sie sagte, sie gehöre zum Widerstand, der sich inzwischen auf der Erde formiert hat. Dabei bekam ich mit, dass der Name Famke fiel.“

Ruckartig blieb der Finne stehen und sah Diana Spencer aus großen Augen an. Ein seltsames Feuer glomm in ihnen, als er mit zittriger Stimme fragte: „Famke? Sie haben sie wirklich gesehen?“

Die schwarz Uniformierte lächelte angedeutet. „Der Major und die junge Frau umarmten sich herzlich. Ich bin mir sicher, dass er sie Famke nannte und nach dem, was er mir einmal über sie erzählte, bin ich mir sicher, dass es sich um Ihre Schwester handelte.“

Die Freude auf dem Gesicht des Mannes war unverkennbar. Mit Tränen in den Augen stieß er hervor: „Mein Gott, sie lebt also. Seit fast einem Jahr weiß ich nicht, was mit meiner Familie ist und nun sagen Sie mir, dass Sie meine kleine Schwester auf dem Mars gesehen haben. Wissen Sie auch, was Famke dort zu suchen hatte?“

Diana Spencer machte eine vage Geste. „Soweit ich es mitbekam wollte ihr Team mit einem Frachter zum Bund von Harrel. Der Major schickte mich zurück an Bord des Kreuzers, bevor er sich noch einmal intensiv mit Ihrer Schwester unterhielt. Deshalb weiß ich nicht, was dabei besprochen wurde, zwischen ihnen.“

„Sie sprachen eben von einem Begleiter und von ihrem Team. Was bedeutet das?“

Nun, soweit ich es mitbekam ist ihre Schwester die Anführerin jenes Teams von Widerstandskämpfern, das zum Bund von Harrel wollte. Ihre Schwester blieb, nach eigener Aussage, auf dem Mars um einen anderen Teilauftrag zu erfüllen. Der männliche Begleiter Ihrer Schwester wirkte ruhig und er erweckte nicht den Eindruck, übereilt zu handeln. Mehr ist mir nicht bekannt.“

Für einen Moment legte der Finne begeistert seine Hände auf die Oberarme der Frau und sah sie, dankbar und erleichtert zugleich, an. Erst einige Herzschläge später wurde ihm der Fauxpas bewusst und schnell nahm er seine Hände fort.

Die Frau schmunzelte beinahe vergnügt. „Ich kann Ihre Gefühle sehr gut verstehen, Hauptmann Korkonnen. Bevor ich Sie zu Ihrem Freund lasse, nur noch dies. Die Ärzte haben Ihrem Freund bereits einen mikromechanischen Prothesen-Anschluss aus Stahlplastik angefertigt und mit dem verbunden, was von seinem Oberarm übrig war. Dieser sehr komplizierte und bei vollem Bewusstsein vermutlich sicherlich unangenehme und schmerzhafte Eingriff, schien ihnen sicherer zu sein, solange Ihr Freund noch im künstlichen Koma liegt. Erschrecken Sie also nicht, wenn Sie gleich diesen futuristisch aussehenden Armanschluss an ihrem Freund sehen.“

Kimi Korkonnen nickte und schluckte trocken. „Wurde er sonst noch verletzt.“

„Einige tiefe Einschnitte von glühenden Trümmerfragmenten, die sein Gesicht neben dem linken Auge streiften“, gab Diana Spencer Auskunft. „Diese Wunden im Gesicht sehen momentan nicht schön aus, aber der Major hatte dabei ungeheures Glück. Weder sein Auge, noch das Ohr wurden in Mitleidenschaft gezogen. Allerdings werden zwei deutlich sichtbare Narben zurückbleiben, wie der Arzt sagte.“

Kimi Korkonnen sah die Frau ernst an und meinte schließlich: „Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und dafür, dass Sie mir von meiner Schwester berichten konnten.“

„Bedanken Sie sich auch bei Hauptmann Irina Hayes. Sie war es, die den allgemeinen Rückzugspunkt für die farradeenischen Kriegsschiffe ignorierend, die NOVA SOLARIS hierher flog, damit der Major schnellstmöglich versorgt werden kann. Den prompten Rüffel des Generalmajors, der den fadenscheinigen Vorwand vermutlich durchschaut haben dürfte, dass während des Gefechtes die Funkanlage in Mitleidenschaft gezogen worden ist, hat sie dabei billigend in Kauf genommen. Aus Freundschaft zu Major Corvin.“

„Bitte danken Sie ihr dafür in meinem Namen, Hauptmann Spencer. Wir hatten zu Beginn des Jahres das Vergnügen, gemeinsam von Luna zu fliehen. Zuletzt sah ich sie auf der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin von Dean und mir. Ich hoffe, es geht ihr gut.“

Die blonde Frau lächelte. „Ja, Irina geht es bestens. Ich empfehle mich nun.“

Der Finne reichte der Frau spontan die Hand. „Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann gesund wieder, Hauptmann Spencer.“

Damit wandte er sich ab und schritt nun eilig auf die Tür zur Intensivstation zu.
 

* * *
 

Nachdem Kimi Korkonnen seine Hand auf den Öffnungskontakt des Schotts gelegt hatte, dass die Kennzeichnung trug, die er am Empfang in Erfahrung brachte, erwartete ihn die nächste Überraschung.

Im Zimmer hielten sich, außer dem Patienten, zwei Frauen auf. Eine von ihnen hatte er auf der Hochzeit von Andrea und Jayden gesehen. Rian Onoro, seine damalige Begleiterin. Die zweite Frau war ihm hingegen unbekannt. Mit Diana Spencer, die offensichtlich zuvor ebenfalls hier gewesen war, machte das drei Damen, die an seinem Krankenbett gesessen hatten, bevor er hier eintraf.

Der hat einen Fan-Club, wie mir scheint, dachte Korkonnen für einen Augenblick spöttisch, wurde dann aber sehr schnell wieder ernst und sagte leise: „Guten Abend.“

Rian Onoro erhob sich von ihrem Stuhl und schritt ihm entgegen. „Guten Abend. Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Kimi. Diese Kameradin ist Oberfeldwebel Anaris Ikari. Sie war dabei, als Ihr Freund mich aus dem Gefängnistrakt, auf dem Mars, befreit hat.“

Kimi Korkonnen zog die Stirn in Falten. „Warum denn so förmlich? Wir hatten uns doch bereits geduzt, auf der Hochzeitsfeier von Jayden und Andrea.“

Rian druckste herum und der Finne verstand. Heute waren sie beide in Uniform und zudem nicht unter sich. Beruhigend sagte er deshalb: „Wir sind einerseits nicht im Dienst und darüber hinaus bin ich nicht dein direkter Vorgesetzter. Wir bleiben also beim Du.“

„Das ist mir auch lieber“, gab Rian, erfreut über seine Worte, zu.

Als Anaris Ikari sich erhob und Haltung annahm, als sich Kimi ihr zu wandte, da ergänzte der Mann schnell: „Und Sie, Oberfeldwebel Ikari, werden mir bitte auch nicht übertrieben zackig werden, nur weil ein Offizier im Raum steht. Ich gehöre nicht zu diesen übertrieben formellen Typen.“

Damit trat Kimi Korkonnen zum Fußende des Krankenbettes, in dem sein Freund lag. Die Augen geschlossen und regelmäßig ein und aus atmend erweckte Dean den Eindruck unerschütterlicher Ruhe und Zufriedenheit. Nur der künstliche Armanschluss, der am Armstumpf des Freundes zu sehen war, störte diesen Eindruck etwas. Von dem biomechanischen Anschluss, den die Medo-Techniker am Oberarm des Kanadiers angebracht hatten, zog sich eine etwa zwei Finger breite, durch Untergliederung bewegliche Stahlplastik-Leiste am Oberarm des Bewusstlosen hinauf, bis knapp unterhalb der Schulter. Die einzelnen, quadratischen Elemente waren mit der Muskulatur und den Nerven dieses Bereiches verbunden. Das untere Element dieser Kette aus biomechanischen Steuerelementen saß direkt an der Stelle, an der die Steckverbindungen der Mikroschaltkreise des Armstumpf-Segments mit denen des künstlichen Arms verbunden werden konnten. Fünf flache Verschluss-Elemente würden dann später den Stumpf mit dem künstlichen Arm verbinden.

Kimi Korkonnens Blick schweifte zum Gesicht des Schlafenden ab und er war dankbar dafür, dass Diana Spencer ihn vorgewarnt hatte.

„Die Ärzte haben die Auflagen über den Narben im Gesicht erst gestern entfernt“, sagte Rian Onoro, die den Blick des Mannes bemerkte. „Momentan sieht er damit aus, als würde er sein Geld als Raumpirat verdienen und nicht als Offizier der Raumflotte von Farradeen. Aber der Arzt meinte, das wird noch.“

„Natürlich wird das noch“, stimmte Korkonnen beruhigend zu. „Dean ist unverwüstlich und bestimmt bald wieder ganz der Alte.“

Es war eine Lüge und Rian war dem Finnen, im Moment, dankbar dafür. Niemand wusste, welche psychischen Auswirkungen der Verlust seines Armes bei Dean haben würde. Aber Rian war sich sicher, dass es Auswirkungen haben würde und sie hoffte, ihrem Freund tatkräftig zur Seite stehen zu können. Sie liebte Dean und sie wollte nicht, dass sich etwas zwischen sie drängte.

Nach einer Weile fragte Kimi Korkonnen, ohne sich dabei umzudrehen: „Wie ist es passiert? Ich nehme an, er war nicht in der Zentrale, denn in dem Fall wäre der Kreuzer wohl nicht zur Wega zurückgekehrt?“

„Er war unterwegs, von der Bodenschleuse zum Kommandozentrum“, antwortete Rian Onoro. „Ein Treffer schlug ganz in der Nähe ein.“

Anaris Ikari übernahm an der Stelle und ergänzte: „Einer meiner Kameraden und ich suchten und fanden ihn, auf dem Boden liegend. Das scharfkantige Trümmerteil eines explodierten Nebenaggregats hatte offensichtlich den Arm abgetrennt. Ich konnte die Armschlagader so lange abdrücken, bis die Bordärztin da war.“

Kimi Korkonnen drehte sich zu der Frau um. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mitgeholfen haben, diesen Mann zu retten. Er steht mir so nahe, wie ein Bruder.“

„Das hat Dean ebenfalls öfter mal erwähnt“, sagte Rian leise. „Er vermisst dich und eure Freunde.“

Kimi Korkonnen wandte sich Rian zu und erklärte ihr: „Ich bin mir sicher, dass Dean in dir und Irina und in anderen Menschen, mit denen er nun in Kontakt steht, einige neue und sehr gute Freunde gefunden hat. Es mag nicht ganz dasselbe sein, aber es ist trotzdem wichtig. Darum bin ich sehr froh darüber, dass er dich hat. Deine Liebe macht es ihm leichter, da bin ich mir sicher, Rian. Ich erinnere mich noch daran, wie sehr es ihm zu schaffen machte, dich damals auf Luna zurücklassen zu müssen und das lag, in erster Linie, nicht an übertriebenem Pflichtgefühl oder an einem schlechten Gewissen. Das weiß ich.“

Rian lächelte den Mann dankbar an. Dann sahen beide gleich besorgt zu Dean Corvin, von dem niemand sagen konnte, wie lange er noch im Koma liegen würde.
 

* * *
 

Als Kimi Korkonnen nach all den Stunden, die er im Krankenhaus zugebracht hatte, wieder zur VESTERGAARD zurückkehrte, beschloss er Renée Killkennen aufzusuchen.

Eine halbe Stunde nachdem er selbst das Krankenzimmer seines besten Freundes betreten hatte, waren Andrea und Jayden ebenfalls dort erschienen. Erfreut hatte er die Freunde begrüßt und sich mit ihnen unterhalten. Zu diesem Zeitpunkt hatte Anaris Ikari das Krankenzimmer bereits verlassen. Am Bett des Freundes hatten sie sich zu viert leise unterhalten, wobei Andrea mehrmals zur Toilette verschwunden war. Offensichtlich war ihr übel gewesen, was man ihr kaum verdenken konnte, nach den Ereignissen der letzten Tage und dem Anblick des schwerverletzten Freundes.

Nun fühlte Kimi das Verlangen in sich aufsteigen, mit der Irin zu reden. Über alles, was ihn bewegte, oder er würde noch seelisch platzen. In einer halben Stunde bereits hatten sie beide ohnehin wieder gemeinsam Dienst.

Überhaupt wurde es Zeit für ihn, sich einmal intensiv mit Renée zu unterhalten, befand der Finne. Denn in der letzten Zeit benahm sich die Frau, ihm gegenüber, immer merkwürdiger, wie er fand. Vielleicht lag es daran, dass er nach der Hochzeit von Andrea und Jayden das Thema Beziehung vermieden hatte. Andererseits hatte sie ihrerseits ihn auch nicht dazu ermutigt, wie er meinte. Vielleicht hatte er das Thema deswegen vermieden.

Kurze Zeit später erreichte er das Schott zum Quartier der jungen Frau und er legte seinen Zeigefinger auf den Meldekontakt.

Einen Moment später teilten sich die beiden Schotthälften vor ihm und eine neutral klingende Stimme aus dem Innern rief: „Herein!“

Kimi Korkonnen leistete der Aufforderung Folge und schritt in die Mitte des Wohnraumes. Das leise Zischen hinter ihm, ausgelöst durch das Schließen des Schotts nahm er nur unterbewusst wahr.

Ein eigenartiges Funkeln lag in den Augen der Frau, als sie ihn erkannte und etwas grimmig, wie es schien, eröffnete sie Kimi: „Ach Sie sind es. Was gibt es denn so Wichtiges, dass es nicht noch eine halbe Stunde Zeit gehabt hätte?“

Etwas ernüchtert durch diese unfreundliche Begrüßung fehlten dem Mann zunächst die Worte. Endlich erwiderte er: „Ich dachte, wir könnten reden.“

„Na, das wäre ja mal etwas ganz Neues“, giftete die Irin. „Ich warte bereits seit einem halben Jahr darauf, dass wir über etwas reden, Kimi.“

Kimi seufzte leise. Er hatte also eben richtig vermutet. Vermittelnd fragte er: „Wollen wir uns nicht setzen, Renée?“

Die Frau deutete, mit einer übertrieben Geste, einladend auf eine der Couchen. „Wenn Sie wünschen, Hauptmann.“

Kimi setzte sich auf die angebotene Couch, ohne dass Renée Anstalten machte, sich ebenfalls irgendwo niederzulassen. Stattdessen machte sie einen Schritt auf ihn zu und sah ihn, mit in die Hüften gestemmten Fäusten, zornig an. In diesem Moment schien es Korkonnen viel eher so, als würde sie gleich platzen. Dass er damit nicht falsch lag stellte sich bereits im nächsten Moment heraus, als sie ihn anfuhr.

„Vor einem halben Jahr, Kimi, haben Sie mich darum gebeten, etwas Geduld mit ihnen zu haben. Etwas! Was verstehen Sie eigentlich unter Etwas? Zehn Jahre? Zwanzig? Ich habe seitdem mehr als nur etwas Geduld gehabt!“

„Ich weiß, Renée.“

„Nichts wissen Sie! Gar nichts!“ Einen weiteren Schritt auf ihn zu machend deutete sie, beinahe anklagend, mit dem Finger auf ihn und legte frustriert nach: „Wenn Sie auch nur einen Hauch wüssten, dann hätten wir schon vor Monaten miteinander geredet!“

Betroffen sah Kimi Korkonnen der Frau in die Augen, die förmlich von innen heraus zu glühen schienen. Sein Schweigen schien die Frau nur noch mehr in Fahrt zu bringen.

Überraschend setzte sich die Irin, auf den Mann zu, in Bewegung. Schwungvoll sprang sie zu ihm auf die Couch, so dass sie rittlings über ihm, auf ihren Knien, dort landete, die Hände recht und links, neben den Schultern des Hauptmanns in die Rücklehne krallend.

Doch damit hatte Renée Killkennen dem Möbelstück etwas zu viel zugemutet, denn es neigte sich, wie in Zeitlupe nach hinten und begann dann endgültig zu kippen.

Kimi Korkonnen, der zunächst seinen Kopf reflexartig zurückgezogen hatte, legte instinktiv seine Arme um die Frau, die sich ihrerseits nun an ihn klammerte. Er konnte dabei gerade noch eine Hand schützend an ihren Hinterkopf legen. Bereits im nächsten Moment krachten sie zu Boden und rollten, eng aneinander geklammert, ein Stück über den Boden.

Endlich kamen sie zur Ruhe und für eine Weile blieb es Still im Raum, bevor Kimi, auf dem Rücken liegend, grummelnd meinte: „Ganz toll, Renée. Sind Sie nun zufrieden?“

Als Korkonnen ihren Kopf freigab, hob sie ihn an, dabei auf ihm liegen bleibend. Sich mit den Händen auf seinen Schultern abstützend sah sie ihn an und erwiderte, etwas weniger wütend, als zuvor: „Zumindest kommt das meiner Vorstellung von dem, was längst hätte passieren sollen, schon etwas näher, Hauptmann Korkonnen.“

Sie maßen sich für einen langen Moment mit Blicken, bevor Renée Killkennen sich etwas zu ihm hinunter beugte und ihre Lippen seine fanden.

Dass Kimi Korkonnen den sanften Kuss der Irin erwiderte geschah ohne sein bewusstes Zutun. Ebenfalls, dass sich seine Arme um sie legten.

Es dauerte mehrere Minuten, bevor sich die Lippen der Frau von seinen lösten. Sie sah ihn an und von ihrem Zorn war nichts mehr zu bemerken. Zufrieden lächelnd raunte sie: „Das war doch jetzt gar nicht so schwierig.“

Bevor der Finne etwas darauf erwidern konnte hatte Renée bereits ihre rechte Hand über seinen Mund gelebt. „Du hast die ganze Zeit nichts gesagt, also halt gefälligst auch jetzt mal für eine Weile deinen Mund, du Spätzünder.“

Im nächsten Moment küsste sie ihn bereits wieder und Kimi kam ihrer Aufforderung zwangsläufig nach. Dabei fuhr seine Rechte an ihrem Rücken hinab, bis zu ihrem Po.

Sich von Kimi lösend, sagte die Irin gespielt grimmig: „Sie nehmen sich ja ganz schön was heraus, Hauptmann Korkonnen.“

Die blauen Augen des Mannes hielten ihren Blick fest, als er erwiderte: „Wenn du mich, außerhalb des Dienstes, noch einmal mit Rang oder Sie, oder mir dem Nachnamen ansprechen solltest, dann werde ich ungemütlich, mein irischer, kleiner Teufel.“

„Teufel? Ich? Also, das ist doch…“

Kimi brachte die Frau in seinen Armen mit einem flüchtigen Kuss zum Schweigen und meinte anschließend mahnend: „Vielleicht sollten wir mal langsam wieder aufstehen, und dein Quartier aufräumen, bevor unser Dienst beginnt.“

„Einen Moment noch.“ Nach einem kurzen, leidenschaftlichen Kuss meinte Renée Killkennen dann: „So, jetzt können wir.“

Sie erhoben sich vom Boden, richteten die Couch gemeinsam auf und rückten sie zurecht, bevor sie darauf Platz nahmen. Eng an Kimi geschmiegt, fragte die Irin unvermittelt: „Worüber wolltest du übrigens reden?“

Kimi lachte leise: „An diese Sprunghaftigkeit werde ich mich wohl gewöhnen müssen.“ Er seufzte übertrieben, bevor er Renée davon berichtete, was er im Krankenhaus gesehen und erlebt hatte und schloss mit den Worten: „Morgen werden die Ärzte den künstlichen Arm anschließen.“

Seine Wange streichelnd munterte ihn die Irin auf: „Dass du nun weißt, dass deine Schwester noch lebt, ist doch wirklich schön. Und deinem Freund wird es bestimmt auch bald wieder besser gehen. Da bin ich mir sicher.“

Kimi drückte die Frau in seinen Armen sanft. „Ja, doch nach dem, was mir Rian im Krankenhaus erzählte, sollte die Zehnte Flotte längst im Zielgebiet aufgetaucht sein. Ist sie aber bisher nicht. Ich weiß auch nicht, was meine Schwester auf dem Mars anstellt. Als Anführerin eines Teams der Terranischen Resistance – wer hätte das gedacht?“

„Vielleicht siehst du sie ja bald schon wieder, Kimi. Vom Mars aus gibt es sicherlich eine Gelegenheit aus dem Sol-System zu entkommen. Vielleicht eine bessere, als von Terra aus. Meinst du nicht?“

„Möglich“, räumte Korkonnen ein. „Zumindest weiß ich jetzt, dass sie noch lebt und sie weiß, durch Dean, dass es auch mir gutgeht, wie mir eine Frau der Raumlandetruppen berichtete, die meinen Freund besuchte. Das gibt ihr bestimmt Auftrieb.“

„Das sehe ich ganz genauso“, stimmte ihm Renée zu und fuhr mit den Fingern ihrer rechten Hand durch sein Haar. „Also lass den Kopf nicht hängen.“

Kimi sah der Frau in seinen Armen in die Augen und erklärte leise: „Ich bin so ein Blödmann, dass ich nicht längst vorher zu dir gekommen bin.“

„Besser spät als nie, heißt es.“ Renée Killkennen hauchte dem Mann einen Kuss auf die Wange, bevor sie seufzend meinte: „Komm, unser Dienst fängt gleich an.“



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