DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 15: Verzweiflungstaten ------------------------------ 15. Verzweiflungstaten Vor wenigen Augenblicken hatte es begonnen. Zunächst wusste niemand an Bord der angreifenden Kriegsschiffe, der alliierten Flotten des Terranischen Imperiums und der Farradeen-Allianz, genau, was sich zutrug. Doch seitdem die Funkoffiziere der Kriegsschiffe das Reizimpulssignal der stationären Sendeanlagen auf Venus, Terra, Mars, Pluto, Eris und Titan empfingen kam es an Bord der Kriegsschiffe verstärkt zu seltsamen Störungen und Systemausfällen. Ein Angriffsverband aus insgesamt zwanzig Kriegsschiffen der Farradeen-Allianz bekam die Auswirkungen dessen, was Generalleutnant Khermina Skrin vor wenigen Augenblicken angeordnet hatte, zuerst zu spüren. Der Verband flog mit einigen Tausend Kilometern Überhöhung und einem Abstand von zwanzigtausend Kilometern zur Hauptflotte, an der hinteren Flanke. Beim Auftauchen der drei Flotten, die aus Richtung von Titan zum Mars zurückkehrten, schwenkten sie ein um die Fregatten und Zerstörer der feindlichen Frontsicherungsverbände anzugreifen. Doch mitten im Kursschwenk begannen die zwanzig Kriegsschiffe plötzlich so träge zu reagieren, als würden die Steuerimpulse in Zeitlupe bei den Antriebs-Emittern eintreffen. Dasselbe galt für die Geschütztürme dieser Einheiten. Bevor die Besatzungen der zwanzig Einheiten die Lage unter Kontrolle bringen konnten, wurden sie mit voller Wucht der eben angekommenen Kriegsschiffe der Konföderation Deneb attackiert. Ohne ihre normale Wendigkeit ausspielen zu können wurden die zwanzig Einheiten zur leichten Beute der auf sie abgefeuerten Weltraumtorpedos und Plasmaschüsse. In schnell hintereinander aufleuchtenden Energiekaskaden wurden die zwanzig Kriegsschiffe der Farradeen-Allianz förmlich zerrissen und vergingen. Auf beinahe 95 Prozent der alliierten Kriegsschiffe kam es zu ähnlichem Versagen der Bordsysteme und die ersten offenen Notrufe wurden von den Hyperfunk-Antennen, der alliierten Einheiten, in Richtung Wega abgestrahlt. Auf der STELLARIS erkannte Generalmajor Arolic Traren mit höchster Geschwindigkeit, dass der so optimistisch begonnene Überraschungsangriff zu einer militärischen Katastrophe zu werden drohte, wenn er nicht umgehend handelte und die Konsequenzen aus dieser unheilvollen Entwicklung zog. Auf der Allgemeinen Notfrequenz ließ er, mit höchster Sendeleistung, das Signal zum Rückzug senden. Auch auf den Kriegsschiffen der terranischen Ersten Flotte wurde das Signal empfangen. Inzwischen wusste die Besatzung jedoch auch ohne dieses Kommando, dass irgendetwas fürchterlich schiefgegangen war. Jetzt zahlte sich der harte Drill der Mannschaften, der bei der Flotte des ehemaligen Terranischen Imperiums berüchtigt gewesen war, aus. Sie handelten genau so, wie sie es gelernt hatten. Schnell und sicher. Derweil versuchten die Flotten der Konföderation den Gegner einzukesseln und es wurde absehbar, dass die terranischen Einheiten bald in der Falle sitzen würden. Verzweifelt, aber dennoch diszipliniert, handelten die Raumfahrer der ehemaligen Imperiums-Flotte. Sie igelten sich nicht ein, wie der Feind es offensichtlich hoffte. Immer fünf Kriegsschiffe bildeten einen Pulk. Nachdem dieses Umgruppieren beendet war, gaben die Piloten der Raumschiffe volle Energie auf die hinteren Antriebs-Emitter. Die Raumschiffe jagten an den überraschten gegnerischen Einheiten vorbei und verschwanden im interplanetaren Raum, dabei immer mehr Fahrt aufnehmend. Nicht jedem der Pulks gelang dieses Manöver und die alliierten Flotten der Terraner und Farradeener mussten empfindliche Verluste hinnehmen. Dennoch gelang etwa 70 Prozent der Kriegsschiffe, viele von ihnen mehr oder weniger stark beschädigt, die Flucht in den Hyperraum. Dabei nahmen die alliierten Flotten Kurs auf das Wega-System. Die wenigen Kriegsschiffe, die keine Einschränkungen aufwiesen blieben etwas hinter den fliehenden Verbänden zurück um eventuelle Verfolger abwehren zu können. Doch bald schon stellte sich heraus, dass die Einheiten der Konföderation nicht daran dachten nachzusetzen. Vorläufig war das Gros der kombinierten Flotte in Sicherheit. * * * Als die Alarmgeber auf dem Mars einsetzten, hielt sich Kim Tae Yeon im Büro ihres Freundes auf. Sowohl sie, als auch Larenan Farralen, hatten mit dem Auftauchen weiterer terranischer und farradeenischer Flottenverbände gerechnet. Dabei fragte sich Kim für einen kurzen Augenblick, ob vielleicht auch diesmal Dean Corvin mit von der Partie war. Larenan Farralen sah bezeichnend zu der Asiatin, ohne von ihren Gedankengängen etwas zu ahnen. Was er ebenfalls nicht ahnte war, welche Gedanken ihr in Bezug auf ihn selbst durch den Kopf gegangen waren, in den letzten Wochen und Monaten. Kim war ihm in den letzten Monaten sehr viel näher gekommen, was er begrüßte. Er hasste die Streits, die sie noch vor einigen Monaten geführt hatten; unmittelbar nachdem ein farradeenischer Kommandotrupp auf dem Mars gewesen war. Der Boden bebte und Farralen meinte missmutig: „Die meinen es ernst. Ich verstehe Generalleutnant Skrin nicht. Spätestens jetzt sollte sie die Überlagerungssender aktivieren.“ Kim Tae Yeon, die zu seiner Linken halb auf der Kante seines Schreibtisches saß, spielte mit einer metallenen Trophäe, die er dort aufgestellt hatte. Dabei erwiderte sie nachdenklich: „Vermutlich will sich Skrin ganz sicher sein, die Verbände in der Falle zu haben. Auch jene, die garantiert vom Titan aus nun ebenfalls zum Mars aufbrechen werden.“ Larenan Farralen schenkte der Asiatin ein Lächeln. „Irgendwann wirst du in der Hierarchie des Militärs der Konföderation ganz oben stehen, vermute ich. Du siehst die strategische Lage stets mit einer Klarheit, die vielen anderen Militärs fehlt.“ „Du schmeichelst mir“, winkte Kim lächelnd ab und gab sich verlegen. Dabei drehte sie die schwere Auszeichnung in ihren Händen und wog sie dabei überlegend. „Es ist nichts Besonderes, anhand von vorliegenden Daten, eine strategische Lage zu analysieren.“ Eine erneute Erschütterung durchlief das Gebäude und für einen kurzen Augenblick war der Oberstleutnant abgelenkt, als er sich von Kim abwandte. Die zierliche Frau, der man die Kraft, die in ihrem sehnigen Körper steckte, kaum ansah und auch kaum zutraute, handelte und nutzte den momentanen Vorteil ohne zu zögern. Sie hob die Hand, welche die Auszeichnung hielt, und schlug zu, so fest sie konnte. Mit einem fürchterlichen Geräusch traf der Sockel der Auszeichnung den Hinterkopf des Mannes, der im Sessel vornüber kippte. Mit einem dumpfen Laut schlug seine Stirn auf die Schreibtischplatte. Blut sickerte aus der Wunde am Hinterkopf, die Kim ihm beigebracht hatte. Überlegend sah Kim die leblose Gestalt an, bevor sie noch zweimal zuschlug. Erst dann ließ sie die Auszeichnung fallen, wo sie stand. Verächtlich schnaubend sagte die Asiatin kalt: „Du hättest mich – das instabile Element, wie du es vor einigen Monaten abwertend nanntest – beseitigen sollen, als du es noch konntest. Ich bin nämlich wirklich ein instabiles Element, du blinder Narr.“ Im nächsten Moment schlug ein Torpedo der angreifenden Verbände dicht am Hauptquartier ein und die Scheiben des Büros zersprangen. Mit einem Satz warf sich Kim zu Boden. Keinen Augenblick zu früh, denn im nächsten Moment brach die halbe Zimmerdecke weg. Dicht neben ihr schlugen scharfkantige Stücke der Decke auf, doch sie blieb, wie durch ein Wunder, unverletzt. Mit einem Blick über die Schulter stellte Kim fest, dass Larenan halb unter einem Schuttberg begraben lag. Sehr gut, damit fällt kein Verdacht auf mich. Keiner wird vermuten, er wäre nicht durch den Angriff getötet worden. Hustend, weil ihr Staub in die Lunge geriet, erhob sich die Asiatin und taumelte aus dem Büro hinaus. Sie eilte durch den annähernd unzerstörten Gang in Richtung des nächsten Treppenhauses. Lifts wollte sie in der gegenwärtigen Situation nicht vertrauen. Unterwegs aktivierte sie das Funksegment ihres MFA und nahm Verbindung zu Generalleutnant Skrin auf. „General, hier spricht Major Kim. Oberstleutnant Farralen wurde bei dem letzten Beschuss des Feindes in seinem Büro getötet. Ich selbst entkam nur mit knapper Not.“ Es dauerte einen Moment, bis eine Antwort erfolgte. „Hier spricht Brigadegeneral Astanak. Generalleutnant Skrin ist beschäftigt. Sie sagten, der Oberstleutnant ist tot?“ „Ja, Sir. Was wird nun aus seinem Auftrag? Eine Kurze Pause entstand bevor der Brigadier antwortete: „Kommen Sie umgehend in die Kommandozentrale. Ich weise Sie ein. Sie werden den Auftrag übernehmen, Major.“ Kim bestätigte und schaltete ab und beeilte sich, mit einer seltsamen Erleichterung in ihrem Innern, die Kommandozentrale zu erreichen. Die Einweisung des Brigadiers fiel denkbar kurz aus. Am Ende überreichte er ihr einen Spezialausweis, mit dem sie sich jenen Verhandlungspartnern gegenüber legitimieren konnte, denen sie während ihrer Reise begegnen würde. Kim Tae Yeon verstaute die Kunststoffkarte in der Brusttasche ihrer nachtblauen Kampfkombination und machte sich rasch auf den Weg zum Raumhafen. Dabei lag ein fast diabolisches Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie hatte sich ihres arroganten Liebhabers entledigt, dessen sie überdrüssig geworden war und sie hatte gleichzeitig eben die Chance erhalte, weiter, und zwar rasch, aufzusteigen beim Militär der Konföderation Deneb. * * * Von diesen Ereignissen bekamen Moshe Melnik und seine fünf Begleiter nichts mit. Direkt nach der Landung war es ihnen gelungen, unbemerkt eine der an ihnen vorbei schwebenden Ladeplattformen zu erklimmen und unbemerkt an Bord des Frachters zu gelangen, der bald in Richtung des Einflussbereiches, des Bundes von Harrel aufbrechen sollte. An Bord verließen sie den Lagerraum umgehend und verbargen sich nahe des Antriebssektors. Dorthin würden sich die Piloten und der zu erwartende Geheimdienst-Offizier am allerwenigsten verirren, mutmaßte Melnik. Der hauptsächliche Grund in diesem Bereich abzuwarten war der, dass Melnik und seine Leute hier, anhand der Arbeitsgeräusche, bestimmen konnten, wann der Frachter in den Hyperraum eindringen würde. Erst zu diesem Zeitpunkt sollte die Übernahme des Frachters, durch die sechs Mitglieder des Sperber-Teams erfolgen, damit niemand an Bord ohne weiteres einen Notruf würde absetzen können. Also harrten sie dort zu sechst aus und warteten ab. Dabei schien die Zeit von Sekunde zu Sekunde immer langsamer zu verstreichen, bis Moshe Melnik den Eindruck gewann sie würde gar nicht mehr vergehen. Fast überraschte es ihn, als die Geräusche der Aggregate sich unmerklich um eine halbe Oktave steigerten und erleichtert sah er in die Runde. „Der Frachter ist offensichtlich in den Hyperraum eingedrungen. Wir warten sicherheitshalber noch eine Weile hier, bevor wir den Maschinenraum verlassen. Das wird die beiden Piloten und den Geheimdienstoffizier, der nun hoffentlich an Bord ist, in Sicherheit wiegen. Denkt daran, den wollen wir lebend.“ „Schon klar“, knurrte Dheran Collard beruhigend. Dann schüttelte er den Kopf und meinte sinnend: „Ich werde weiter raus ins All fliegen, als je zuvor.“ „Ich nicht!“ Fünf Augenpaare richteten sich auf die junge Frau, die diese Worte so ruhig und bestimmt gesagt hatte. Yunai Lee. Wegen der plötzlichen Aufmerksamkeit etwas verlegen meinte sie erklärend: „Nun ja, Denebarran liegt 2107 Lichtjahre weit weg. Selbst wenn wir jetzt bis zum Harrel-System fliegen sollten, wären das fünf Lichtjahre weniger.“ „Das ist weit weg von Zuhause“, sagte Alexandra Marsden mitfühlend, die erahnte, was in der Frau von Denebarran gerade vorgehen musste. „Aber warten wir erst einmal ab, vielleicht geht die Reise, für uns alle. noch sehr viel weiter.“ „Ja, vielleicht“, nahm Moshe Melnik den Faden auf. „Doch darüber nachzugrübeln bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was unmittelbar vor uns liegt und das ist zunächst die Übernahme des Frachters.“ Kenji Tanaka nickte lediglich dazu und sah dann zu Yunai Lee. „Das geht nicht gegen dich Yunai, doch ich wünschte, du wärst noch nicht so weit herumgekommen.“ „Ich auch“, versicherte die junge Frau ernsthaft. „Es wird Zeit“, unterbrach Moshe Melnik die Unterhaltung. „Günstiger wird die Gelegenheit nicht werden, würde ich sagen.“ Die sechs Mitglieder des Sperber-Teams packten ihre Waffen fester und folgten Moshe Melnik, der die Führung übernahm. Dicht gefolgt von Alexandra Marsden und den übrigen vier jungen Leuten. Auf dem Gang zwischen den Laderäumen kam ihnen niemand entgegen und so erreichten sie unangefochten das Passagierabteil des Frachters. Einen Moment vor dem Schott verharrend gab Melnik schließlich das Zeichen zum Vorstoß. Er öffnete das Schott und sie stürmten in das Passagierabteil. Dabei gelang es dem Team, die völlig überraschte, asiatische Frau, mit den Insignien eines Majors am Kragen, zu entwaffnen, bevor sie zu einer Bewegung fähig war. Alexandra Marsden hielt sie, gemeinsam mit Kenji Tanaka, in Schach, während die restlichen Vier weiter vordrangen, zum Cockpit. Schüsse fielen und aus geweiteten Augen sah Kim im Passagierabteil zu den beiden Gestalten auf, die sie mit ihren Plasmagewehren bedrohten. Offensichtlich handelte es sich nicht um Soldaten der Konföderation, auch wenn sie deren Uniformen trugen. An dieser Stelle ihrer Überlegung fragte sie irritiert: „Wer seid ihr Mörder und was wollt ihr hier?“ Dheran Collard zerrte einen der getöteten Piloten ins Passagierabteil. Gefolgt von Moshe Melnik, der die zweite Leiche ins Passagierabteil zerrte. Dabei bekam Melnik die Frage der Frau mit und begab sich zu ihr. In seinen Augen lag beinahe ein trauriger Zug, als er antwortete: „Wir sind vom terranischen Widerstand, Major. Wie sie vielleicht bemerkt haben werden: Wir haben mit den Kriegsgesetzen wenig zu schaffen. Das sollten Sie nicht vergessen, wenn ich Ihnen jetzt einige Fragen stelle. Zunächst will ich nur eins wissen: Wo ist der Oberstleutnant, der diesen Flug mitmachen sollte?“ Der Widerständler erkannte Überraschung im Blick der Asiatin. Während er auf eine Antwort von ihr wartete, dachte er kurz an Famke Korkonnen. Ihr würde vermutlich nicht gefallen, dass er beschlossen hatte, außer dem Geheimdienstoffizier, keine weiteren Gefangenen zu machen. Doch dies war seine Entscheidung, da er momentan dieses Team führte und er wollte keinerlei unnötige Risiken eingehen. Erst als ihre beiden Bewacher bedrohlich die Waffen etwas anhoben erwiderte Kim mit wutverzerrter Miene: „Mein Kollege wurde bei dem Angriff getötet. Ich fliege nun an seiner Stelle mit. Von wem wissen Sie davon?“ „Die Fragen stelle ich hier“, wich Moshe Melnik aus. „Falls Ihre Antworten nicht zu meiner Zufriedenheit ausfallen, dann werden Sie enden, wie die beiden Piloten dieses Frachters, Major. Ich erwähne das nur für den Fall, dass Ihnen das nicht klar sein sollte.“ Zorn loderte in den dunklen Augen der Asiatin, als sie Moshe Melnik ansah. Es war unschwer zu erahnen, wie es in ihr aussah. Moshe Melnik beschloss, die Asiatin vor sich, mit seinem Wissen über ihre Mission zu konfrontieren. „Was wir nicht wissen wollen ist, welchen Auftrag Sie haben, denn der ist uns genau bekannt. Ihnen wird nicht gelingen, die noch immer gut funktionierende Handelsbeziehung zwischen dem Bund von Harrel und dem Imperium zu unterbrechen. Was wir am Ziel tun werden, ist, Sie der zuständigen Militärbehörde auf Harrel III auszuliefern, nachdem wir denen verraten haben, was Ihr Plan gewesen ist.“ „Dazu habt ihr gar kein Recht“, zischte die Asiatin wütend. „Ihr gehört nicht zum Militär sondern ihr seid nur eine wilde Bande von Bewaffneten, die sich anmaßt, in diesen Krieg mitkämpfen zu dürfen. Ihr seid Kriegsverbrecher.“ Kim Tae Yeon erhob sich von ihrem Sitz, doch rasch trat Alexandra Marsden vor und versetzte der Frau eine schallende Ohrfeige, die sie in den Sessel zurück warf. Dabei meinte die bewaffnete Frau höhnisch zu Kim: „Das dürfen Sie gerne auf die Liste der Verbrechen setzen, die Sie uns vorwerfen. Sie verkennen die Situation, in der Sie sich befinden.“ Die Asiatin warf Alexandra Marsden einen mörderischen Blick zu. „Wenn ich jedesmal einen Credit bekommen hätte, wenn mich einer mit einer Waffe bedroht hat, dann wäre ich bereits eine reiche Frau.“ „Machen Sie so weiter und es war das letzte Mal.“ Moshe Melnik gab seiner Kameradin einen Wink und übernahm wieder. „Hören Sie zu, Major: Zunächst will ich Ihren Namen wissen.“ Kim wog ihre Chancen ab. Sie traute dieser Frau, die sie eben geohrfeigt hatte, durchaus zu, sie ohne Skrupel zu erschießen, wenn sie sich querstellte. Darum sagte sie, nach einem kurzen Moment des Zögerns: „Mein Name ist Kim Tae Yeon. Major des Militärischen Geheimdienstes der Konföderation Deneb.“ Moshe Melnik war sich nicht sicher, ob die Frau in anlog, oder die Wahrheit sagte. Doch er gab sich vorerst damit zufrieden. „Wir werden Sie in einen der kleineren und ungenutzten Lagerräume einsperren, Major Kim. Zusammen mit einem ausreichenden Vorrat an Notrationen und Wasser.“ Flüchtig lächelnd fügte er hinzu: „Und einem verschließbaren Vakuumbehälter.“ Damit wandte er sich zu Alexandra. „Du nimmst zuvor eine Leibesvisitation vor. Ich will nicht, dass diese Frau in dem Frachtraum irgendeinen Unsinn anstellt.“ „Das wäre der letzte Unsinn ihres Lebens“, knurrte Alexandra Marsden finster, wobei sie sich von Kim abwandte, so dass diese nicht sehen konnte, wie sie Melnik zu zwinkerte. „In Ordnung. Dann fang an.“ * * * Auf der NOVA SOLARIS herrschte bereits Alarmzustand, als Dean Corvin endlich die Rampe zur vorderen Steuerbordschleuse hinauf rannte. Die akustischen Signale der Alarmgeber erfüllten das Raumschiff. Noch bevor sich die beiden Schotthälften der Schleusenkammer geschlossen hatten, gab Corvin über sein MFA den Startbefehl und der Leichte Kreuzer hob gleich darauf ab. Anerkennend registrierte Corvin, dass Irina keine Zeit verlor, seinen eben erst erteilten Startbefehl umzusetzen. Er spürte das Vibrieren der Schiffszelle unter den Stiefelsohlen seiner Kampfmontur, als er sich zum Innenschott begab. Er musste, so schnell es nur irgend ging, die Zentrale erreichen. Über sein MFA erhielt Corvin von Irina Hayes die Meldung, dass es insgesamt zehn Kriegsschiffe der Konföderation Deneb waren, die auf die NOVA SOLARIS zu hielten. Offensichtlich hatten sie es geschafft den Riegel der angreifenden alliierten Flotten zu durchbrechen, was zu der vorangegangenen Meldung passte, dass sich dort hoch über der Oberfläche des Mars, eine Katastrophe anbahnte. Immer noch auf dem unteren Deck rannte Corvin in Richtung des nächsten Aufzuges. Vom Bug des Leichten Kreuzers etwas zur Mitte hin. Ein Schlag lief gleich darauf durch den Kreuzer und hob den Kanadier von den Beinen. Die Welt begann sich um ihn zu drehen und ächzend kollidierte er mit einer der Gangwände. Instinktiv spannte der Mann seinen Körper an und schützte seinen Kopf mit den Armen, als er zu Boden ging. Etwas benommen lag er dort einen Moment lang, bevor er den Kopf schüttelte um wieder zu sich zu kommen, sich dabei auf den Händen abstützend. Bei dem Versuch, auf allen Vieren, langsam wieder vom Boden aufzustehen, durchlief eine weitere Erschütterung durch die NOVA SOLARIS, so dass Corvin den Versuch abbrach, bis sich der Boden unter ihm nicht mehr bewegte. Erst dann unternahm er einen erneuten Anlauf. Gerade wieder auf den Beinen taumelte er weiter, auf den Lift zu. Im nächsten Moment erhielt das Raumschiff einen fürchterlichen Schlag. Dicht vor dem Kanadier krachte ein Deckenelement auf den Boden des Ganges. Eine Flammenlanze zuckte aus der dort entstandenen Öffnung und hinterließ einen geschwärzten Fleck auf dem Bodenbelag. Corvin, der nur knapp ausweichen konnte, wurde zum Spielball der Elemente, als ein weiterer Schlag den Leichten Kreuzer erschütterte. Ein Element der Innenwandung platzte weg und scharfkantige Stahlplastik-Splitter flogen durch die Luft. Gleichzeitig explodierte ein Aggregat hinter der Verkleidung. Aus den Augenwinkeln sah Dean Corvin schattenhaft etwas auf sich zu fliegen und instinktiv streckte er seinen linken Arm aus um der Gefahr zu begegnen. Eine fatale Entscheidung. Ein rasiermesserscharfes Aggregat-Element fetzte wie ein Geschoss auf seinen linken Oberarm zu und durchschnitt ihn, im Bruchteil einer Sekunde. Gellend schrie Corvin auf und stürzte zu Boden. Noch im Fallen kam es zu einer verheerenden Folgeexplosion. Die Schockwelle erwischte Corvin und wirbelte ihn durch den Gang, vorbei am Schott des Lifts. Glühende Metallfragmente wirbelten, wie Geschosse, durch den Gang und zwei von ihnen streiften Corvins Gesicht, seitlich des linken Auges, als er auf dem Rücken landete. Doch das bekam Corvin bereits nicht mehr mit. Bewusstlos lag er im Gang, während das aus dem linken Armstumpf rinnende Blut langsam aber stetig eine sich immer weiter ausbreitende Lache auf dem Boden bildete. * * * Als der erste Plasmastrahl die Dualschilde der NOVA SOLARIS durchschlug und den hinteren Bereich des Leichten Kreuzers traf, wurde Irina Hayes beinahe aus dem Kommandosessel geschleudert, in dem sie eben erst Platz genommen hatte. Sie fluchte erbittert und sah sich gleichzeitig zu Oberfeldwebel Akira Takeda, der an den Maschinenkontrollen saß. „Takeda, geben Sie mir eine Meldung!“ „Die Dualschilde sind kurzzeitig ausgefallen. Ein Plasmaschuss hat die Panzerung des Kreuzers im hinteren Drittel durchschlagen. Die Schotts des betreffenden Sektors haben sich selbsttätig geschlossen und einen Atmosphärenverlust verhindert.“ Kaum hatte Takeda die Meldung gemacht, wurde der Kreuzer ein zweites Mal schwer erschüttert. Unaufgefordert meldete Takeda: „Hauptmann, der Kreuzer wurde im an Steuerbord, im Bugbereich getroffen. Auch dort haben die Schotts schlimmeres verhindert.“ Irina Hayes rückte sich auf dem Sessel zurecht. „Danke, Oberfeldwebel.“ Sie wandte sich gleich darauf an den Piloten. „Leutnant Newton, schaffen Sie die NOVA aus der Kampfzone heraus. Schließen Sie zum Hauptverband auf und nehmen Sie eine Defensiv-Position an der hinteren Flanke ein. Wir decken den Rückzug der übrigen Kriegsschiffe. Vor wenigen Minuten hatte es begonnen. Aus noch ungeklärten Gründen reagierten die alliierten Kriegsschiffe plötzlich sehr träge auf die Steuerschaltungen. Das machte sie träge und zur leichten Beute für die wütend attackierenden Kriegsschiffe der Konföderation Deneb. Nur wenige Kriegsschiffe von Farradeen und der Terranischen Flotte waren nicht betroffen. Unter ihnen die NOVA SOLARIS, ohne dass Irina Hayes die geringste Ahnung hatte, warum das so war. Vor wenigen Augenblicken hatte Generalmajor Arolic Traren den Befehl erlassen, dass sich die Verbände schnellstmöglich aus dem Sol-System zurückziehen sollen. Dabei übernahmen die noch voll funktionsfähigen alliierten Kriegsschiffe die Deckung dieser verzweifelt anmutenden Aktion. Bei einem Seitenblick bemerkte Irina Hayes, dass sich die Navigatorin wiederholt das linke Handgelenk massierte. Offensichtlich hatte sie sich bei der letzten Erschütterung verletzt, doch sie tat ihren Dienst weiter, worüber die momentane Kommandantin des Kreuzers froh war. Sie konnte aktuell nicht auf sie verzichten. Gleichzeitig fragte sich Irina Hayes wo Dean blieb. Er hätte längst hier sein müssen. Sie überlegte kurz und hob dann ihr linkes Handgelenk an um ihn MFA zu aktivieren. Sie versuchte Corvin zu kontaktieren, doch der Mann antwortete nicht. Nach einigen Versuchen gab sie es auf und nahm dafür zu Diana Spencer Kontakt auf. „Hauptmann Spencer, hier Hayes. Ich vermisse den Kommandanten. Über MFA kein Kontakt. Geben Sie Ihren Leuten Befehl, nach im zu suchen. Corvin kam nach der Landung auf dem Mars, über die vordere Steuerbordschleuse wieder an Bord. Hayes, Ende.“ Natürlich konnte die rothaarige Frau es sich nicht erlauben, während des Dienstes ihre Lebensgefährtin zu duzen. Eine solche Disziplinlosigkeit würde sich auch Diana nicht leisten, das wusste sie. Im nächsten Moment klang die Stimme der blonden Frau aus den hochwertigen Lautsprechern des Armbandgerätes auf. „Verstanden Hauptmann. Leite Suche ein.“ Irina Hayes schaltete ab. In Kampfsituationen im Weltraum waren die Männer und Frauen des Landekommandos, über das gesamte Raumschiff verteilt, um den Technischen Abteilungen Unterstützung zu geben, oder, wie in diesem Fall, Rettungsteams zu bilden. Da sich Oberfeldwebel Anaris Ikari mit einem Team aus drei weiteren Angehörigen der 506. Raumlandetruppe, im vorderen Steuerbordbereich aufhielt, nahm sie Verbindung mit ihr auf und befahl ihr, den kürzesten Weg von der Schleuse zum Kommandozentrum abzusuchen. Als sie die Verbindung unterbrach spiegelte sich Sorge auf ihrem Gesicht. * * * Diesen Kerl darf man aber auch wirklich nicht allein lassen, dachte Anaris Ikari, beinahe wütend, nachdem sie von Diana Spencer angerufen worden war und ihre Vorgesetzte ihr erklärt hatte, worum es ging. Das nächste Mal weiche ich nicht von seiner Seite. Sie instruierte ihre drei Teammitglieder und sie machten sich, im Laufschritt, auf den Weg. Ihre momentane Position lag etwa auf der Hälfte des Weges zwischen der letzten bekannten Position des Majors, und der Zentrale. An der nächsten Gangkreuzung teilte sie ihr Team auf und schickte zwei Männer los, die den Weg von hier zur Zentrale absuchen sollten. Sie selbst begab sich, mit dem Hauptgefreiten Haril Kerazan, der aus derselben Gegend auf Farradeen stammte, wie Oberleutnant Krezirin, in die entgegengesetzte Richtung, um den Weg von hier bis zur Schleuse abzusuchen. Dabei hoffte sie nur, dass der Major wirklich den kürzest möglichen Weg eingeschlagen hatte. Was bei diesem Mann gar nicht so sicher war, denn nur allzu oft entschied Corvin spontan etwas nicht vorhersehbares zu unternehmen. Viel zu oft, nach dem Geschmack der Frau. Nebeneinander hasteten sie durch die Gänge, kontrollierten Liftkabinen und Notaufgänge, ohne zunächst auf den Gesuchten zu stoßen. Schließlich erreichten sie das untere Deck und der Schrei ihres Begleiters, ließ Anaris Ikari herumfahren. „Da liegt einer auf dem Boden, Oberfeldwebel!“ Die Frau sah in die Richtung, in die Kerazan deutete und ihr schien es so, als würde in demselben Moment eine eisige Hand nach ihrem Herzen greifen. Dabei sah sie zunächst nur die Gestalt des Majors, unweit eines Lifteinstiegs, auf dem Boden liegen. Sie rannten zu der Gestalt hin. Als sie ankamen erkannten sie, dass es sich wirklich um Corvin handelte, der dort lag. Aber sie erkannten auch noch etwas anderes. „Bei allen Heiligen“, stieß Kerazan aus und deutete auf den Armstumpf. Auch die Augen der Frau weiteten sich beim Anblick des Bewusstlosen. Gleichzeitig aber aktivierte sie bereits ihr MFA. „Krankenstation, hier Oberfeldwebel Ikari! Wir brauchen ein Notfall-Team auf Deck-12. An Steuerbord, Bugbereich, Gang – Moment – 12-II-B.“ Der Hauptgefreite hatte inzwischen seine Finger an die Halsschlagader gelegt und nickte nun seiner Vorgesetzten zu. „Puls fühlbar aber schwach, Oberfeldwebel.“ Anaris Ikari überwand ihren anfänglichen Schrecken und packte den Armstumpf des Majors direkt unterhalb der Achsel. Dabei erklärte sie: „Ich drücke die Hauptschlagader ab, damit der Major nicht noch mehr Blut verliert. Weisen Sie das Rettungsteam ein, sobald es hier auftaucht, Hauptgefreiter.“ Während der Mann bestätigte und sich erhob, brauchte Anaris Ikari einen Moment, bis sie die richtige Stelle zum Abdrücken gefunden hatte. Dabei überschlugen sich ihre Gedanken. Die Medizin und auch die medizinische Technik des 33. Jahrhunderts waren weit fortgeschritten, aber bei einer so extremen Verletzung würde es nicht funktionieren, einfach den abgetrennten Arm mit dem Stumpf wieder zu verbinden. Dies funktionierte bei Fingern und Zehen einigermaßen. Doch ein ganzer Arm, da würde nur eine mechanische Prothese in Frage kommen. Bei dieser Überlegung traten Tränen in die Augen der Frau. Sie wusste um sein Verhältnis zu Rian Onoro und sie konnte sich gut vorstellen, welcher Belastung die Beziehung in der nächsten Zeit ausgesetzt sein würde. Allein durch den psychischen Zustand des Majors, der in der nächsten Zeit sicherlich nicht der beste sein dürfte. Doch zunächst einmal musste er diese Verletzung überhaupt überleben. Sich von diesen düsteren Gedanken frei machend wischte sie sich kurz mit dem rechten Handrücken über das Gesicht. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass hinter ihrem Rücken das Rettungsteam erschien. Gleich darauf kniete Oberleutnant Asuka Langdon neben Anaris Ikari und sagte: „Drücken sie noch etwas weiter ab, Oberfeldwebel.“ Dabei untersuchte sie den Major mit einem Bio-Scanner, las die Werte ab und machte ein besorgtes Gesicht. „Der Major hat bereits eine Menge Blut verloren.“ Dabei öffnete die Ärztin ihren Notkoffer und entnahm ihm einige handgroße Gerätschaften. Sich erneut zu Ikari wendend meinte sie. „Lassen Sie jetzt los, ich werde die Wunde am Arm jetzt provisorisch versiegeln. Danach legen wir den Major auf die mitgebrachte Bahre und bringen ihn schnellstmöglich zur Krankenstation.“ „Was passiert mit dem abgetrennten Arm?“ Die Bordärztin nahm Anaris Ikari die letzte vage Hoffnung, indem sie den Kopf schüttelte und sagte: „Die Verwundung ist zu schwer. Da ist mit dem Arm nichts mehr zu machen. Einer meiner Kollegen wird ihn mitnehmen, doch an ein Verbinden mit dem Armstumpf ist nicht zu denken, Oberfeldwebel. Anaris Ikari, die bereits mit einer solchen Antwort gerechnet hatte, nickte nur stumm und meinte: „Wir helfen Ihnen und Ihrem Team, den Major rasch zur Krankenstation zu bringen, Oberleutnant.“ Die Ärztin war bereits bei der Arbeit, als sie kurz bestätigte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bevor sie die Gerätschaften in ihren Koffer zurücklegte und ihrem Team ein Zeichen gab, dass der Major nun transportfähig war. Zu dritt legten sie den Mann auf die Bahre und die drei Sanitäter in Langdons Begleitung, sowie Haril Kerazan hoben sie vorsichtig und gleichmäßig an. Während die Ärztin nun eilig in Richtung des Lifts schritt, bildete Anaris Ikari den Abschluss. Die Raumlandesoldatin hatte zuvor bereits ihr MFA aktiviert und Hauptmann Irina Hayes darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Major vorerst ausfallen würde. Dabei hatte sie ihr aber die Schwere der Verletzung nicht genannt. In dem momentan stattfindenden Gefecht war es nicht allzu gut, wenn die Frau, die dieses Kriegsschiff kommandierte, mit ihren Gedanken nicht bei der Sache war. Auch auf die Gefahr hin, dass Hayes später stinksauer auf sie sein würde. Leise fragte Anaris Ikari ihren Kameraden, der die Bahre hinten rechts trug: „Geht es, Hauptgefreiter?“ In dem Versuch, die gedrückte Stimmung etwas zu lockern erwiderte der kräftige Mann: „Ein farradeenischer Yak-Bulle wiegt die Hälfte.“ Der Versuch misslang und der Mann sagte während sie mit dem Lift zu Deck-7 hinauf fuhren: „Er wird bestimmt durchkommen, Oberfeldwebel.“ „Das wird er bestimmt“, gab ihm Asuka Langdon aufmunternd recht. Danach blieb es still und Anaris Ikari hoffte inständig, dass die Ärztin recht behielt. Dabei dachte sie kurzzeitig an die blonde Frau, die Corvin auf dem Mars begrüßt hatte und sie fragte sich, in wie fern sie in Beziehung mit dem Major stand. * * * Auf dem Mars waren Famke Korkonnen und Darweshi Karume eilig zurück zu dem gekaperten Frachter gestürmt. Als sie das Cockpit erreichten warf sich die junge Frau in den Sessel neben Kelvin Gorlan, während der Tansanier im Schottrahmen stehen blieb. Noch bevor Gorlan eine entsprechende Frage stellen konnte unterrichtete ihn Famke in aller Schnelle darüber, was sich ereignet hatte. Gleichzeitig startete sie die Aggregate des Frachters und hob ihn vom Boden der Landefläche ab. Gar keine ungefährliche Aktion, denn immer noch schlugen Plasmaschüsse und Torpedos auf der Oberfläche des Planeten ein. Kelvin Gorlan, der Famke zunächst ungläubig angesehen hatte, unterstützte sie nach Kräften dabei, den Frachter auf Kurs zu halten und zu beschleunigen. „Ich brauche die Navigationsdaten, Kelvin!“, drängte die Frau ihren Kameraden. „Ohne die finde ich das verdammte, südpolare Nest nicht, bei dem die Flotte liegen soll!“ „Die Daten kommen ja schon!“, gab Gorlan zurück. Dabei sah er sich kurz zu Darweshi Karume um. „Die Kriegsschiffe können wirklich ferngesteuert werden, wenn wir das tun, was dieser Dean Corvin gesagt hat?“ „So lautet zumindest die Information von ihm.“ Famke Korkonnen, der dieser kurze Dialog nicht entging, warf scharf ein: „He, ihr zwei Ungläubigen! Dean kenne ich von Kindesbeinen an. Dem vertraue ich mein Leben an! Bedingungslos, wenn euch das was sagt! Wenn der sagt, es ist so, dann ist es so, klar?“ Die beiden Männer sahen sich gleichermaßen erstaunt an bevor sie, wie aus einem Mund, erwiderten: „Klar.“ Für einen Moment blieb es still im Cockpit, bevor Famke etwas zugänglicher erklärte: „Dean und ich; wir stehen uns nahe, wie Geschwister. Ich weiß, dass ich mich auf ihn verlassen kann. Er war zwar früher ein ziemlicher Haudegen, doch an seiner Ehrlichkeit habe ich auch zu dieser Zeit nie gezweifelt. Weil es dazu nie einen Grund gab.“ „Wenn er Recht hat, dann können wir einen wichtigen Teilerfolg erzielen, indem wir die brandneuen Kriegsschiffe unseren Leuten zuführen“, gab Karume zu. „Außerdem dürfte das der Moral des Feindes einige, deutliche Kratzer verpassen.“ Famke Korkonnen lachte mit einem irgendwie schadenfrohen Unterton. „Das hoffe ich. Außerdem wären wir anschließend bei unseren Leuten und könnten uns der Truppe wieder anschließen.“ „Zumindest die von uns, die zuvor beim Militär waren“, kommentierte Kelvin Gorlan mürrisch. „Mir wäre es lieber, das Sperber-Team würde zusammenbleiben.“ „Du könntest auch ins Militär eintreten. Einen erfahrenen Kämpfer werden unsere Leute sicherlich gerne nehmen.“ Kelvin Gorlan, der sich wieder auf seine Kontrollen konzentrierte, murmelte leise: „Na, warten wir erst einmal ab.“ Dabei aktualisierte er die Kursdaten des Frachters. „Noch etwa einhundertundzwanzig Kilometer bis zum Ziel“, gab Famke Korkonnen nach einer Weile bekannt. Beinahe gleichzeitig jagte ein Torpedo, der im All sein Ziel verfehlt hatte, dicht an dem tief fliegenden Frachter vorbei. Im nächsten Moment detonierte er schräg unter dem Frachter auf der Marsoberfläche. Selbst durch die sofort selbsttätig abdunkelnden Frontscheiben drang so grelles Licht, dass die drei Menschen, im Cockpit des Frachters, ihre Augen schlossen. Famke konnte gerade noch brüllen: „Festhalten!“ Im nächsten Moment schien der Frachter, wie von der Faust eines Titanen gepackt und wild in die Luft gehoben zu werden. Dabei wurde die strukturelle Integrität des Frachters deutlich überbeansprucht. Überall auf dem Raumschiff rissen Verbindungen und einen Augenblick später wurde der Frachter wild durchgeschüttelt. Nur einen Herzschlag später brach die Schiffszelle, mit einem ohrenbetäubenden Kreischen, auseinander. Gleichzeitig fielen die Andruck-Absorber aus und einige Gravos kamen durch, als die vordere Hälfte des Frachter taumelnd der, an dieser Stelle sehr dicht bewaldeten, Oberfläche des Mars entgegen stürzte. Reflexartig klammerte sich Darweshi Karume am Schottrahmen fest und griff nach vorne zu Famke Korkonnen, die es aus ihrem Sitz zu schleudern drohte. Mit fast übermenschlicher Kraftanstrengung zog der Tansanier die junge Frau zu sich heran und warf sich zusammen mit ihr zu Boden. Dabei bekam er mit seiner freien linken Hand irgendetwas zu packen, an dem er sich verzweifelt festhielt. Bereits im nächsten Moment erfolgte der Aufprall auf die Oberfläche des Planeten. Darweshi Karume verlor den Halt und schützend legte er nun seine Linke über den Kopf von Famke, die er fest gegen sich presste, in der Hoffnung, dass sie sich nicht verletzte. Eine wilde Karussellfahrt begann, als sich das Wrack-Segment wieder und wieder überschlug. Dabei drang ein Krachen und Splittern von Bäumen und Unterholz an ihre Ohren. Irgendwann hörte diese Bewegung auf und rücklings krachte Darweshi Karume, zwischen den Sitzen des Passagierabteils auf den Boden. Gemeinsam mit Famke kugelte er er durch die Schiffszelle und befand sich einen Moment später im freien Fall. Jedoch nur für einen nicht messbaren Augenblick. Dann schlug er mit Wucht auf der dicht bewachsenen Oberfläche dieser planetaren Gegend auf und schlitterte über den Boden. Irgendwer schrie, aber Karume konnte nicht sagen, ob es Famke war, oder er selbst. Für einen kurzen, klaren Moment realisierte er, dass sie aus dem geborstenen Passagierabteil gefallen sein mussten, bevor die Realität einen Schritt zur Seite machte. Der Mann kam wieder zu sich, als er eine Hand auf seinem Gesicht spürte. Jemand rief seinen Namen. Wieder und wieder. Dann spürte er brennende Schmerzen, als ihn Famke mehrmals heftig rechts und links ohrfeigte. „Was, zur Hölle, soll denn das?“ Verärgert öffnete Karume seine Augen. Die wilden Bewegungen hatten aufgehört. Auf dem Rücken liegend erkannte er die belaubten Baumkronen eines Hochwaldes durch die das tiefe Blau des Himmels brach. Dann fiel sein Blick auf das Gesicht von Famke Korkonnen, die rittlings auf seinem Bauch saß. Ihn nun erleichtert ansehend stieß sie aus: „Gott sei Dank, du kommst endlich wieder zu dir. Ich dachte schon...“ „Weshalb drischst du auf mich ein?“ Sich mit den Händen auf seine Schultern stützend sah die Frau Karume irritiert an und fragte schließlich erbost: „Was sollte ich denn anderes tun, wenn du hier faul in der Gegend herumliegst und pennst, Darweshi?“ Erst jetzt wieder richtig zu sich kommend ächzte der Mann: „Wie geht es dir? Ist dir was passiert?“ Erleichtert seufzend erwiderte Famke: „Einige Schrammen und blaue Flecke, aber ansonsten bin ich noch heil. Was ist mit dir?“ Karume hob etwas den Oberkörper und ächzte: „Ich scheine mir die rechte Schulter geprellt zu haben. Außerdem beginnt mein linkes Fußgelenk höllisch zu schmerzen.“ Erschrocken sah die blonde Frau den Tansanier an: „Ob du aufstehen kannst?“ „Wenn du endlich von mir heruntersteigst, dann werde ich das feststellen können.“ Der Mann lächelte schwach bei Famkes Miene und ließ sich von ihr auf helfen. Schließlich auf dem rechten Fuß stehend versuchte er mit Links aufzutreten. Dabei verzerrte sich seine Miene und er meinte: „Vermutlich verstaucht. Fühlt sich aber nicht gebrochen an.“ „Leg deinen Arm um meine Schulter, ich stütze dich“, verlangte Famke. „Wir müssen nachsehen, was aus Kelvin geworden ist. Hoffentlich hatte er ebenso viel Glück, wie wir.“ Darweshi Karume folgte der Anweisung der Frau. Hier auf Held zu machen hatte nämlich gar keinen Sinn und wäre lediglich ein Zeichen von Dummheit gewesen. Mit Famkes Hilfe gelang es Karume einigermaßen gut, sich fortzubewegen und nach den ersten hundert Metern begann er, den Schmerz im Fußgelenk, nach und nach, zu ignorieren, bis er zu einem dumpfen Pochen absank. Sie mussten einen halben Kilometer marschieren um das Vorderteil des Frachter-Wracks zu erreichen, dass eine ziemliche Schneise in den Wald geschlagen hatte. Es lag, um etwa 170 Grad herumgedreht, beinahe auf dem Kopf. Famke Korkonnen ließ Darweshi an der abgebrochenen Hülle auf einen quer liegenden Baumstamm sinken. „Bleib du hier, ich gehe nachsehen, was mit Kelvin ist.“ Darweshi Karume nickte stumm und sah der Frau sinnend nach, als sie im Innern des Wracks verschwand. Famke Korkonnen musste einige abgerissene Passagiersitze zur Seite räumen und über verbogene Metallplatten und Streben klettern, bevor sie das auf dem Kopf stehende Schott zum Cockpit erreichen konnte. Von hinten erkannte Famke die Gestalt des Kameraden, der vor ihr lag, und sie hoffte inständig, dass er nur bewusstlos war. Sie erreichte ihn und drehte ihn an den Schultern herum. Zwei gebrochene Augen starrten an ihr vorbei ins Leere. Erschrocken tastete die Frau, mit zitternden Fingern nach seinem Hals. Sie erstarrte für einen Augenblick und die Umgebung verschwamm vor ihr. Beinahe mechanisch wischte sich Famke die Tränen fort und sagte leise: „Es tut mir leid, Kelvin.“ Sie schloss dem Toten die Augen und wandte sich, mit einem Gefühl unendlicher Müdigkeit ab. Als Famke, mit zwei flachen Rucksäcken endlich wieder zu Darweshi zurückkehrte, sah der Tansanier sie fragend und ahnungsvoll zugleich ansah.“ Wortlos setzte sich Famke Korkonnen neben den Tansanier auf den Baumstamm, legte die beiden Rucksäcke ab und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ihre Schultern zuckten und ein leises Schluchzen klang auf. Ganz sacht legte der Mann seinen rechten Arm um sie und zog sie zu sich heran. Dabei sagte er rau: „Du kannst nichts dafür, Famke.“ Die junge Frau lehnte sich für einen Moment lang an ihn, bevor sie sich straffte und über das Gesicht wischte. Sie tastete nach der Code-Karte und sagte dann leise: „Wir müssen weiter, Darweshi. Das Ziel lag noch mehr als einhundertundzwanzig Kilometer entfernt, als es unseren Frachter erwischt hat. Denkst du, dass du diese weite Strecke schaffen kannst, mit deinem lädierten Fußgelenk?“ „Wird sich herausstellen. Notfalls lässt du mich liegen und gehst allein weiter.“ Die Frau funkelte ihr Gegenüber aufgebracht an, bei seinen setzten Worten: „Wenn du je wieder einen solchen Quatsch daher redest, dann bekommst du noch ein paar Ohrfeigen von mir! Aber dann richtige! Ich lasse dich nicht zurück und wenn ich dich tragen müsste.“ Darweshi Karume nickte auffordernd. „Dann lass uns gehen.“ Sie erhoben sich und erneut stützte Famke den Mann an ihrer Seite. Dabei sah sie zwischen den Bäumen hindurch. Selbst wenn sie es, mit Hilfe der von ihr gefundenen, Notrationen schafften, würde es mehrere Tage dauern, bis sie das Ziel erreicht haben würden. Die von Dean erwähnte Flotteneinheit, die auf die Zehnte Flotte wartete, würde vermutlich mehrere Tage lang auf glühenden Kohlen sitzen, denn mit Darweshi Karumes Limitierung würde es wohl mindesten vier Tage dauern, bis sie die Strecke zurückgelegt haben würden. Wenn nicht sogar länger. Famke hoffte nur, der Flottenverband würde so lange ausharren, denn ansonsten würden Darweshi und sie bald Gefangene der Konföderation Deneb sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)