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DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars

von

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Theorie und Praxis


 

13.
 

Theorie und Praxis
 

Am Abend des 31. Oktobers nach Terranischer Standardzeit hielten drei gewaltige Flottenverbände auf das Sol-System zu. Einer war vor zwei Wochen von Outpost aus aufgebrochen. Admiral Hilaria Inira Mbena hatte es gewagt eine komplette Flotte aus dem Gebiet von Delta-Cephei abzuziehen und auf den Weg zu schicken. Es handelte sich dabei um die Siebte Flotte, unter dem Kommando von Generalmajor Jonathan Joseph Montana. Diesem Mann sagte man nach dass er das riskante Spiel liebte. Seine Flotte traf sich mit der Zweiten Flotte, unter dem Kommando von Generalmajor Nadia Kaszmarek, innerhalb des Aldebaran-Systems.

Nadia Kaszmarek ihrerseits kannte sich nicht nur sehr gut in der Gegend des Aldebaran-Systems aus. Sie galt, wie auch Montana, als eine der fähigsten Flottenkommandeure, über die Hilaria Mbena aktuell verfügte. Nadia Kaszmarek wusste stets sehr gut einzuschätzen, wo ihr taktischer Vorteil lag. Dabei unterschied sie sich dennoch frappierend in ihren Anlagen von ihrem Kollegen Joe Montana.

Aus Richtung der Plejaden kommend hatte sich der zweite Verband mit der Zweiten und Siebten Flotte außerhalb des Aldebaran-Systems vereinigt. Dabei handelte es sich um die Sonnenwind-Flotte, die Mondschatten-Flotte und die Sternenlicht-Flotte der Farradeen-Allianz. Das Oberkommando über die drei Flotten hatte die Oberkommandierende der Raumflotte von Farradeen, Admiral Faora Ty-Verrin in die Hände von Generalmajor Arolic Traren, dem Kommandeur der Sonnenwind-Flotte, gelegt.

Der Dritte Verband hatte den kürzesten Weg ins Sol-System. Er war vom Wega-System aus aufgebrochen und bestand aus der Dritten Flotte und dem Großteil der Fünften Flotte, unterstützt durch zwanzig Raumkreuzer der Ersten Flotte, die Azadeh Hazrat, für diesen Einsatz, an Generalmajor Ilana Stern abgetreten hatte. Damit besaß dieser Verband die Stärke zweier Flotten.

Insgesamt hielten mehr als siebenhundert Kriegsschiffe auf das Sol-System zu. Der Angriffsplan sah vor, dass die Verbände, die aus dem Wega-Sektor anflogen, um zwei Stunden früher angreifen sollten. Ihre Aufgabe war es, über Titan zu erscheinen und den Rest der konföderierten Flotte auf sich zu ziehen, bevor die alliierte Hauptstreitmacht über dem Mars erschien und dort den Hauptangriff einleiten sollte. Während dieses Angriffs sollte die NOVA SOLARIS auf die Oberfläche hinabstoßen, landen und einen Stoßtrupp ausschleusen. Er sollte in Erfahrung bringen, wo exakt die Flotte lag, die man entführen zu können hoffte.

Nur ein Teil dieses Angriffsplans war Andrea von Garding bekannt, als sie die SATURN in Richtung des Sol-Systems steuerte. Dabei schien es ihr geradezu wie ein seltsamer Scherz, dass dieses Raumschiff nach jenem Planet benannt worden war, den sie nun anflogen. Die SATURN gehörte zu jenen zwanzig Raumkreuzern, die nun unter dem Oberbefehl von Generalmajor Ilana Stern standen.

Gelegentlich einen schnellen Blick mit ihrem Mann wechselnd, der an der Konsole der Waffensteuerung saß, dachte sie daran, dass auch Dean Corvin wieder mit von der Partie sein würde - und wieder sollte er mitten im Geschehen stehen. Dieser Gedanke beunruhigte die junge Frau und machte sie gleichzeitig wütend. Dean schien sich hervorragend mit seinem derzeitigen Kommandeur zu verstehen. Anders konnte es sich Andrea nicht erklären, wie er es schon wieder geschafft hatte, dass man die NOVA SOLARIS für den gefährlichsten Teil dieses Unternehmens ausgewählt hatte.

Der hat das Anrecht auf die wildesten Kommandounternehmen gepachtet, dachte die junge Frau grimmig. Aber falls er und ich diesen Wahnsinn überleben sollten, werde ich ihm was erzählen, sobald wir uns das nächste Mal sehen. Ist doch unerhört.

Der Teil von ihr, der im Dienst stets konzentriert blieb, achtete derweil darauf, dass der Schlachtkreuzer seine Position, am Rechten Flügel der Formation, hielt. Dabei fragte sie sich, was sie am Ziel des Fluges erwarten mochte. Mehr als siebenhundert Kriegsschiffe gegen etwa Fünfhundert der Konföderation Deneb. Vor einem Jahr hätte Andrea von Garding bei diesem Kräfteverhältnis auf einen klaren Sieg gesetzt, doch die Niederlage der Terranischen Raumflotte, zu Beginn des Jahres, hatte auch an ihrem Selbstbewusstsein genagt. Zwar waren alle Angriffsschiffe nun mit einem neuen System ausgestattet, das die Störsignale des Feindes absorbieren sollte, doch es war noch unerprobt.

Außerdem waren da noch die Abwehrstationen, die sicherlich mittlerweile von den Streitkräften der Konföderation übernommen worden waren. Sie würden das Kräfteverhältnis ziemlich ausgleichen, vermutete die Pilotin der SATURN.

Bei diesem Gedanken verfinsterte sich die Miene der Frau. Der Vorteil, den sich die Konföderation Deneb vor dem Angriff auf das Sol-System erschlichen hatte, war dahin. Diesmal würde es auf das Können der Soldaten ankommen, und die Soldaten des Terranischen Imperiums galten als die besten, aller fünf Sternenreiche. Diesmal würden sie dem Feind das Fürchten lehren.

Doch trotz aller Zuversicht war da diese Stimme im Hintergrund ihres Bewusstseins, die ihr zuflüsterte, vorsichtig zu bleiben.

Andrea von Garding kontrollierte wiederholt die Entfernung zum Sol-System. Noch drei Minuten Flug im Hyperraum, bevor die anfliegenden beiden Flotten, nahe des Saturn, in den Normalraum zurückfallen würden. Gleichzeitig gab der Kommandant Gefechtsalarm. Ähnliches würde sich auch auf den über zweihundert anderen Kriegsschiffen abspielen. Die beiden terranischen Kampfverbände machten sich bereit für den ersten Gegenschlag.
 

* * *
 

Rund neunhundert Lichtjahre vom Geschehen im Sol-Sektor entfernt brütete Oberleutnant Rodrigo Esteban, in seinem kleinen Büro, im militärischen Forschungszentrum auf Outpost, über zwei verschiedenen Schaltplänen. Im Grunde hätten sie sich viel weniger voneinander unterscheiden sollen, denn es handelte sich in beiden Fällen um einen Schaltplan für einen Garrett-Hellmann Prozessor.

Der Südländer sah etwas frustriert von den Plänen auf und erinnerte sich an ein Gespräch, dass fast ein Jahr zurücklag. Damals hatten ihn Dean und Kimi auf Luna besucht. Direkt von der Erde kommend, wo sie seinerzeit Cole Hauser, den Geschäftsführer der Garrett-Hellmann Incorporated, getroffen hatten. Die beiden Freunde waren damals jener Teufelei der Konföderation Deneb auf die Spur gekommen, die für die katastrophalen Missweisungen terranischer Ortungsanlagen verantwortlich gewesen war.

Doch bevor beide an handfeste Beweise gelangen konnten hatte die Konföderation bereits zugeschlagen.

Esteban schüttelte diese Gedanken ab und versuchte, sich wieder auf die beiden Pläne zu konzentrieren. Dabei summte er leise ein Lied vor sich hin, das ihm seine Freundin, Nayeli Gabriela García Herández beigebracht hatte. Er mochte es. Natürlich besonders deshalb, weil er dabei stets unbewusst an Nayeli dachte. Hier auf Outpost gehörte sie zu seinem Team, das hatte er bei seinen Vorgesetzten durchsetzen können. Dabei hatte er gute Gründe anführen können, denn außer dass er Nayeli liebte war sie eine exzellente Technikerin, die ihn bei seinen Forschungen gut beraten konnte. Sie ergänzten sich somit auch beruflich sehr gut.

Momentan arbeitete Nayeli an etwas, worum er sie vor einigen Stunden gebeten hatte. Er hatte herausgefunden, dass es bauliche Unterschiede gab, zwischen GH-Prozessoren, die vor dem Sommer 3220 produziert worden waren, und denen, die danach die Werke der Garrett-Hellmann Incorporated verlassen hatte. Die Mexikanerin sollte für ihn überprüfen, worin genau der Unterschied zwischen beiden Baureihen lag. Kein Mensch wäre besser dazu geeignet gewesen, denn die Frau hatte bereits daran mitgewirkt, jenes Anti-Stör-System zu entwickeln, durch das die alliierten Flotten in der Lage sein würden, die Störsysteme der Konföderation Deneb zu neutralisieren.

Zumindest hatte Rodrigo Esteban das geglaubt. Bis vor einem Tag. Zu diesem Zeitpunkt war ihm nämlich zum ersten Mal dieser Unterschied in den Schaltplänen aufgefallen. Eine Tatsache die ihm nicht gefiel. Zuerst hatte er umgehend seinen Vorgesetzten informieren wollen, doch was hätte er ihm ohne Beweis erzählen sollen. Nur aufgrund eines Bauchgefühls konnte er nicht erwarten, dass dieser die Flottenführung rebellisch machte.

Esteban griff nach der Tasse mit dem vierten Kaffee an diesem Abend. Drei Tassen Militär-Kaffee und deine Eingeweide sind wund, hatte es zu seiner Kadettenzeit geheißen. Vielleicht war heute ein guter Tag um herauszufinden, was fünf Tassen anrichten würden. Achtlos nach der Tasse angelnd verfehlte er sie und warf sie vom Tisch. Klirrend zerschellte sie auf dem Boden und der Spanier fluchte unterdrückt.

Mürrisch erhob er sich, sammelte die Scherben auf und entsorgte sie über den Abfallvernichter. Vielleicht war das ein Fingerzeig einer übernatürlichen Macht doch besser keinen weiteren Kaffee zu trinken, orakelte Esteban und gähnte herzhaft. Dabei setzte er sich wieder an seinen Arbeitstisch und schnitt sich einen Finger an der Kante des Plans auf, der etwas über die Tischkante heraus schaute.

Mit einem wütenden Schmerzlaut nahm er den Finger in den Mund, saugte einen Tropfen Blut auf und sah dabei mit funkelnden Augen auf den betreffenden Plan. Nach einem Augenblick erstarrte er und blickte unverwandt auf jenen Teil des Plans, an dessen Kante er sich den Finger aufgeschnitten hatte.

Als er sich endlich wieder aus seiner Starre löste, dachte er, mit einem ganz und gar unguten Gefühl in der Magengrube: Bei allem, was mir heilig ist, lass das ein Irrtum sein.

Den Schmerz in seinem Finger vergessend legte er den zweiten Plan so neben den Ersten, dass jene Bereiche, auf die es Esteban ankam, dicht nebeneinander lagen. Zweimal kontrollierte er, was er entdeckt zu haben glaubte. Dann war er sicher, dass er sich nicht geirrt hatte und verfiel in einen Zustand gepflegter Hektik. Wenn das wirklich wahr ist, dann gibt es neben Kim Tae Yeon noch einen Verräter, der von Terra stammt, dachte er schreckensbleich und aktivierte dabei gleichzeitig sein Computerterminal. Mit fliegenden Fingern tippte er, über zwei Holo-Tastaturen gleichzeitig, die zu prüfenden Parameter ein und startete eine Simulation für das neue terranische Anti-Stör-System. Einmal mit den Parametern für die GH-Prozessoren älterer Fertigung, und einmal mit den Parametern für die Kontakte, die nach dem Sommer 3220 von der Garrett-Hellmann Incorporated ausgeliefert worden waren.

Das Ergebnis der Simulation, die nur wenige Minuten in Anspruch nahm und die Auswirkung dessen, was es bedeutete, ließ ihn schlagartig munter werden. Er aktivierte den Interkom auf seinem Arbeitstisch und ließ sich mit der Zentrale des Hauptquartiers verbinden. Nachdem er den Diensthabenden Offizier um eine Verbindung zum Chef der Forschungsabteilung gebeten hatte, wartete er ungeduldig darauf verbunden zu werden.

Nach knapp einer Minute erschien wieder das Konterfei des Diensthabenden auf dem kleinen Holobildschirm des Kommunikationsgerätes. „Tut mir leid, der Chef der Forschungsabteilung ist gegenwärtig nicht auf Outpost, Oberleutnant.“

„Dann verbinden Sie mich mit General Mbena, Leutnant. Aber etwas dynamisch, es ist außerordentlich dringend.“

Das Abbild des jungen Leutnants verschwand erneut vom Holoschirm und Rodrigo Esteban fasste sich einmal mehr in Geduld. Dabei schienen sich die Sekunden ins Endlose zu dehnen, bis nach weiteren zwei Minuten endlich das Konterfei von Hilaria Inira Mbena auf dem kleinen Bildschirm erkennbar wurde.

Die Oberkommandierende sah ihn vom Holobildschirm missbilligend an und fragte, mit etwas gereiztem Tonfall. „Ich hoffe, das ist wirklich so wichtig, wie Sie dem Diensthabenden gegenüber behauptet haben, Oberleutnant. Ich war nämlich eben im Begriff ein Bad zu nehmen und das ist mir fast heilig.“

Esteban nahm vor dem Gerät unwillkürlich Haltung an. Stockend begann er, General Mbena davon zu erzählen was er entdeckt hatte. Nach dem Ende seiner beinahe überhasteten Ausführungen sah ihn Mbena aus großen Augen an. „Und Sie sind sich ganz sicher, dass das, was Sie da eben gesagt haben, wirklich zutrifft?“

„Jawohl, General. Absolut sicher, ich habe es zweimal überprüft.“

Mbena nickte mit versteinerter Miene. „Danke, Oberleutnant. Kommen Sie bitte auf dem schnellsten Weg ins Hauptquartier. Mbena, Ende.“

Einen Moment später hatte Hilaria Mbena die Verbindung bereits unterbrochen. Esteban fuhr sich fahrig mit den Fingern beider Hände durch das dichte, schwarze Haar und fluchte erbittert: „Verdammte Scheiße, warum ist das Niemandem eher aufgefallen?“ Dann besann er sich und eilte aus seinem Büro.
 

* * *
 

Exakt zum festgelegten Zeitpunkt fielen, etwa zehn Millionen Kilometer vom Saturn entfernt, mehr als zweihundert Kriegsschiffe aus dem Hyperraum und nahmen Kurs auf Titan, dem einzigen Himmelskörper von Interesse in diesem Sektor des Sol-Systems.

Die beiden terranischen Flotten wurden von den empfindlichen Ortungssystemen der Konföderation Deneb beinahe augenblicklich erfasst. Im Hauptquartier der Armada von Deneb, auf dem Mars, gab die amtierende Militärgouverneurin des Sol-Systems, Generalleutnant Khermina Skrin, gleich nachdem sie unterrichtet worden war, Großalarm für sämtliche Einheiten. Sie beorderte drei ihrer fünf Flotten in das Gebiet des Saturn, denn natürlich rechnete sie damit, dass die zweihundert Raumschiffe, die in das System eindrangen und auf Titan zu hielten, nur ein Ablenkungsmanöver sein könnten. Darum behielt sie zwei ihrer fünf Flotten in der Nähe des Mars. Im Notfall konnten sie von dort aus schnell Terra erreichen, doch Khermina Skrin glaubte nicht daran, dass Terra das Ziel einer Attacke werden könnte. Nein, wenn dann würde sich der Angriff der Terraner auf Mars und Titan richten.

Auf dem Mars hatte die Armada von Deneb momentan ihr Hauptquartier und auf Titan lagen die größten Umschlag-Raumhäfen des Systems. Man musste darum kein Genie sein, um zu erkennen, wo die Hauptziele für einen Angriff lagen.

Und Khermina Skrin war alles andere, als dumm. Erst vor wenigen Monaten war sie vom Diktator, kurz nach ihrer Beförderung zum Generalleutnant, belobigt worden, für ihren Einsatz als Befehlshaberin einer jener Flotten, die beim Angriff auf das Sol-System beteiligt gewesen waren, und für das harte Vorgehen gegen die terranischen Großstädte. Ihr Einsatz hatte Millionen terranischer Zivilisten den Tod finden lassen. Etwas, das Khermina Skrin keine schlaflosen Nächte bereitete. Sie persönlich vermutete, dass es genau diese Skrupellosigkeit war, die den Diktator auf sie hatte aufmerksam werden lassen.

Genauso hart, wie gegen die Zivilbevölkerung auf Terra, würde sie jetzt gegen die Flotten Terras vorgehen. Der Feind hatten sich endlich zu jenem Angriff entschlossen, mit dem Khermina Skrin schon seit einigen Wochen rechnete. Sie war bereit und ihre Flottenkommandeure ebenfalls. Bald schon würden sie, unter ihrem Oberbefehl stehend, den Gegenangriff der Terraner zerschmettern, dessen war sie sicher. Denn es gab etwas, von dem die Terraner vermutlich keine Ahnung hatten.

In ihrem Büro, im ehemaligen Hauptquartier der Terranischen Raumflotte, auf dem Mars, erhob sich Khermina Skrin aus ihrem Sessel, wobei sie unbewusst mit den Fingern der rechten Hand über den Zopf strich, der über ihrer rechten Schulter lag. Wie immer vor Dienstantritt hatte sie sich das früh ergraute Haar, von ihrer Ordonanz, flechten lassen. Von einem Major, der bereits seit fast zehn Jahren in dieser Position war. Ein Mann der lange gemeinsam mit ihr diente und dem sie bedingungslos vertraute.

Natürlich wusste sie von der Entführung der Fregatte, vor einem guten halben Jahr. Immerhin hatte sie persönlich dafür gesorgt, dass diese Entführung auch gelungen war. Glaubhaft gelungen wie es den Anschein hatte, denn ansonsten wären die Terraner nach wie vor in der Defensive geblieben.

Als der Diktator der Konföderation ihr die Gesamtplanung in die Hände legte, unmittelbar nach ihrer Auszeichnung, da hatte sie kaum an einen Erfolg dieser Strategie geglaubt. Doch nun stellte sich heraus, dass er richtig gerechnet hatte. Natürlich hatte auch Skrin, seit der Okkupation des Sol-Systems, erwartet, dass sich die Terraner, über Kurz oder Lang, in den Besitz ihres neuartigen Ortungs-Stör-Systems bringen würden. Aber dass sie es direkt hier in diesem System versucht hatte, das hatte selbst sie überrascht.

Um so zufriedener war Diktator Laskarin Carom mit ihr gewesen, weil sie bei dem Überfall der Terraner, vor einem halben Jahr, so schnell und umsichtig improvisiert hatte, nachdem der feindliche Stoßtrupp die WIRBELWIND unter seine Kontrolle brachte.

Sie hatte damals spontan entschieden, die WIRBELWIND nicht abzufangen oder zu vernichten, was ihren Flottenverbänden durchaus möglich gewesen wäre. Stattdessen hatte sie den Dingen ihren Lauf gelassen. Auch wenn sie das ein paar Kriegsschiffe gekostet hatte. An die Opfer unter den Besatzungen dachte Khermina Skrin dabei zu keinem Augenblick. Es handelte sich lediglich um Soldaten der Konföderation Deneb; nur um Schachfiguren auf dem Spielbrett der fünf Sternenreiche, in ihren Augen. Mehr nicht.

Khermina Skrin verließ ihr Büro und schritt mit raumgreifenden Schritten durch den Gang zur Kommandozentrale, die nicht weit von ihrem Büro entfernt lag. Dabei lag ein kaltes und nur leicht angedeutetes Lächeln auf ihren harten Gesichtszügen.

Als die hagere Frau den Kommandobereich betrat schien ein spürbarer Ruck durch die Haltung der anwesenden Männer und Frauen zu gehen. Obwohl Khermina Skrin zwischen den Männern und Frauen, die fast alle höher gewachsen waren, körperlich eher weniger auffiel, gebot allein ihre stolze Haltung Respekt. Dazu kam das kalte Funkeln ihrer ausdrucksstarken, eisgrauen Augen, das alle Menschen, denen sie begegnete, davon abhielt, sie fälschlicherweise zu unterschätzen.

Ihr Stellvertreter, Brigadegeneral Foril Astanak, wandte sich ihr zu, nahm Haltung an und meldete ohne Umschweife, weil er wusste, dass seine Vorgesetzte so etwas hasste: „Es handelt sich um etwas mehr als zweihundert feindliche Kriegsschiffe, Sir. Sie halten momentan direkt auf den Saturnmond Titan zu. Die Entfernung zu Titan unterschreitet gegenwärtig die Marke von einer Million Kilometern. Unsere Einheiten bei Saturn nehmen Abfangposition ein. Die beiden Flotten, die von hier aus gestartet sind, werden nach einem kurzzeitigen Flug im Hyperraum, inklusive Formierung, in etwa zehn Minuten vor Ort sein.“

„Danke, Brigadegeneral“, gab Skrin mit glockenheller Stimme zurück. „Achten Sie mir darauf, ob eventuell weitere Feindverbände im System erscheinen. Ich traue diesem Angriff auf Titan nicht so recht. Wäre ich der feindliche Befehlshaber, so würde ich anders vorgehen und auch den Mars attackieren.“

„Kommt vielleicht noch“, brummte der kräftig gebaute Mann erwidernd. „Vielleicht vermuten die Terraner aber auch eine Falle und versuchen zunächst einmal herauszufinden, ob wir ihre Ortungssysteme immer noch stören können.“

Ein fast verschmitzter Zug lag auf dem schmalen Gesicht der Militärgouverneurin, als sie meinte: „Diese Angst werden wir ihnen erst einmal nehmen, nicht wahr? Unsere Reizimpulssender werden erst dann in Aktion treten, wenn ich persönlich den Befehl dazu erteile – auf gar keinen Fall eher.“

Foril Astanak bestätigte. Er wusste um diese neuen, starken Sendeanlagen, die, während der letzten Monate, auf verschiedenen Planeten und Monden des Sol-Systems, entstanden waren. Die Pläne dazu hatte die Garrett-Hellmann Incorporated geliefert. Dabei fragte sich Astanak, ob die Terraner nicht inzwischen herausgefunden haben könnten, dass Cole Hauser dieses Unternehmen, schon seit Jahren, ganz im Sinne der Konföderation Deneb leitete. Allerdings musste der Mann zugeben, dass es einer guten Portion an Fantasie und Einfallsreichtum erfordern würde, Hausers Machenschaften zu durchschauen. Er ahnte nicht, dass es im Delta-Cephei-System einen Mann gab, der über diese Anlagen verfügte und der in diesem Moment, aus Ungeschick, eine Tasse Kaffee auf den Boden seines Büros warf.
 

* * *
 

Es wird Zeiten geben wo Sie hassen werden, was Sie im Dienst der Terranischen Raumflotte tun. An diesen Satz, den einer seiner Ausbilder an der Akademie zu ihm und seinen Kommilitonen gesagt hatte, musste Jayden Kerr denken, als die Flottenverbände die Entfernung von einer Million Kilometer zu Titan unterschritten und er die Waffensysteme der SATURN bereit machte. Sie waren bei dieser ersten Attacke nicht als Eroberer hier, sondern in erster Linie als Zerstörer. Sollten sie das System irgendwann schlussendlich dann doch wieder zurückerobern würden Terraner mühsam alles wieder aufbauen müssen, was nun von ihnen vernichtet werden sollte.

Jayden Kerr zwang sich nicht daran zu denken. Die Ziele, die er unter Feuer zu nehmen hatte, sobald sich der Verband in Schussreichweite befand, waren klar definiert.

Bereits vor dem Überfall der Konföderation hatten auf Titan nur wenige Zivilisten gelebt und Kerr vermutete, dass diese Wenigen mittlerweile zu einem der inneren Planeten gebracht worden waren. Zumindest hoffte er, dass man sie nicht einfach getötet hatte.

Einrichtungen zu beschießen, die von Terranern errichtet worden waren – das ging gegen Alles was man Jayden Kerr während der Ausbildung zum Offizier beigebracht hatte und gegen das, was seine Gefühle ihm einflüsterten. Obwohl er nicht zögern würde, das zu tun, was nun getan werden musste. Momentan befand sich der Titan unter feindlicher Kontrolle und er war somit ein Ziel, gegen das vorgegangen werden musste. Ungeachtet dessen, was seine Gefühle im sagten.

Noch verblieben einige Minuten und Kerr sah kurz in die Gesichter der übrigen Anwesenden im Kontrollzentrum. Den Männern und Frauen, inklusive seiner Frau, schien es nicht viel anders zu ergehen, als ihm selbst. Doch auch sie würden ihrer Pflicht nachkommen, ebenso wie er selbst. Noch schien bei den Einheiten der Konföderation Schockstarre zu herrschen, doch das änderte sich, als die terranischen Kriegsschiffe angriffen.

Weit querab der anfliegenden Verbände leuchtete ein heller Stern. Die heimatliche Sonne. Auf dem Hauptbildschirm konnte Jayden Kerr den Saturn und den etwas nach Grün verschobenen Mond Titan deutlich erkennen. Die errechneten Positionsangaben für die beiden stellaren Objekte waren korrekt.

Aus den bekannten, astronomischen Daten hatte man die mittlere Sonnenentfernung und Bahngeschwindigkeit des Gasplaneten und seiner Monde bestimmen können.

Nach diesen Grundlagen hatten terranische Mathematiker, im Militärischen Hauptquartier des Wega-Systems, den Eintauchpunkt in den Einstein-Raum berechnet. Das Manöver war so genau gelungen, dass die Flotten, die zusammen immerhin siebzehn Schlachtkreuzer aufboten, mit dem richtigen Vorhaltewinkel, zur Ekliptik von schräg unten kommend, auf den Saturnmond niederstießen.

Eine Minute verging bevor in der Schwärze des Raumes die ersten Kunstsonnen aufgingen. Jede von ihnen identisch mit einem vernichteten Feindkreuzer. Auch Jayden Kerr betätigte automatisch die Holo-Kontrollorgane die seine Konsole generierte. Bei einem Ausfall des Form-Holo-Systems gab es alternativ die Möglichkeit eine frei konfigurierbare Sensoroberfläche an der Konsole zu nutzen.

Die Geschütze der SATURN beschossen einen Zerstörer der Konföderation Deneb. Die Salve lag deckend. Jayden Kerr, der im Vorfeld dieses Angriffs insgeheim mit Komplikationen bei den Ziel-Scannern gerechnet hatte, atmete erleichtert auf. Er beobachtete auf seinen Holo-Anzeigen, wie das kleinere Kriegsschiff in einer Energiekaskade auseinander brach. Für einen Moment dachte der Jamaikaner an die Opfer, bevor er sich schnell wieder konzentrierte und das nächste Ziel ins Visier nahm.

Gleichzeitig meldete die Ortung: „Drei Flotten aus dem Bereich der Inneren Planeten haben sich formiert und sind vor einem Moment in den Hyperraum verschwunden. Mit ihrem Eintreffen ist in wenigen Minuten zu rechnen.“

Jason Haehrfoehr bestätigte knapp und befahl der Crew erhöhte Wachsamkeit. Fast gleichzeitig kamen die Basen auf Titans Oberfläche in Schussweite der Torpedos. Siebzehn Schlachtkreuzer feuerten beinahe synchron aus ihren jeweils vier frontalen Torpedoschächten ihre tödliche Fracht ab. Mit grell leuchtendem Antrieb jagten die Weltraumtorpedos auf die Oberfläche des Mondes hinab. Auch die kleineren Kriegsschiffe eröffneten das Wirkungsfeuer auf die Oberfläche des Mondes.

Es dauerte einige Augenblicke, bis es auf auf Titan in schneller Folge aufblitzte. Dort wo es passierte vergingen Verwaltungsbauwerke, Frachter, Werften, Depots, Nachschub und Menschen in einer Hitze von mehreren tausend Grad Kelvin.

Jayden Kerr dachte Grauen geschüttelt daran, dass die Hälfte des Angriffsverbandes, auf der gegenüber liegenden Seite des Saturnmondes, nun dasselbe Inferno auslöste.

Nach mehreren Folgesalven drehten die Kriegsschiffe von Titan ab. Nur einen Herzschlag später schrillte der Ortungsalarm durch das Kommandozentrum, und es folgte eine Meldung, die alle an Bord insgeheim erwartet hatten. Die Feindflotten waren da.
 

* * *
 

„Wir haben keine Möglichkeit den Angriff noch abzubrechen“, sagte Hilaria Mbena zu Rodrigo Esteban, nachdem er ihr von seiner Entdeckung berichtet hatte. „Die Kommandeure der Angriffsverbände haben strikte Order, die befohlene Funkstille einzuhalten, um eine vorzeitige Warnung des Feindes zu vermeiden. Ihre Entdeckung kommt um ein paar Wochen zu spät, Oberleutnant Esteban.“

Verbittert sah der Spanier seine höchste Vorgesetzte an. „Können wir denn gar nichts tun, um die Kommandeure zu warnen?“

Hilaria Mbena, die Esteban mit Brigadegeneral Guido Camparelli am Tisch des kleinen Besprechungsraumes gegenüber saß, verschränkte ihre Finger ineinander. Es war der Brigadier, der anstelle der Frau erwiderte: „Der Angriff der Verbände, die von Wega aus angreifen sollen, läuft bereits seit etwa einer halben Stunde. Falls es dabei zu jenen unerwarteten Zwischenfällen gekommen wäre, die Sie eben in Aussicht gestellt haben, so wären im Wega-System sicherlich Notrufe der beiden Flotten eingegangen. Ich bin sicher, der dortige Sektoren-Kommandant hätte uns in dem Fall umgehend in Kenntnis gesetzt.“

Hilaria Mbena nickte nachdenklich. „Vielleicht wissen die von der Konföderation gar nicht, was für einen taktischen Vorteil sie nutzen könnten, Oberleutnant Esteban. Sie sagten selbst, dass Sie die mögliche Beeinflussung der Garrett-Hellmann Prozessoren älteren Datums nur durch einen Zufall entdeckten.“

Rodrigo Esteban seufzte schwach. „General Mbena, bitte denken Sie nicht, ich würde mir ein Fiasko wünschen, doch ich glaube nicht an einen Zufall. Bereits vor dem Angriff der Konföderation, zu Beginn des Jahres, waren Dean und Kimi… Verzeihung, ich meinte, Major Corvin und Hauptmann Korkonnen, auf Terra, bei Cole Hauser. Der Geschäftsführer der Garrett-Hellmann Incorporated. Die beiden vermuteten bereits damals, dass irgendetwas an den Lieferungen dieser Prozessoren nicht mit rechten Dingen vorgeht. Nach dem, was mir die beiden später auf Luna berichteten, hat sich Hauser damals ziemlich bedeckt gehalten.“

„Das allein macht Hauser aber noch nicht zu einem Verräter“, warf Guido Camparelli ein. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er Estebans Befürchtungen nicht teilte.

Rodrigo Esteban sah von ihm zu Hilaria Mbena. „Vielleicht nicht, aber die Summe der einzelnen Verdachtsmomente ergibt ein etwas anderes Bild. Fakt ist: Wenn die Konföderation ein starkes Hyperfunk-Signal auf der richtigen Frequenz sendet, dann schalten sich sämtliche Garrett-Hellmann Prozessoren auf unseren Kriegsschiffen ab. Was das bedeutet muss ich Ihnen nicht erläutern. Die Raumschiffe wären anschließend zwar nicht komplett hilflos, doch so träge, dass sie jedem Angreifer hoffnungslos unterlegen wären. Bis auf jene wenigen unserer Kriegsschiffe, in denen bereits die neuen Prozessoren verbaut wurden. Eine Technikerin, mit der ich auf Luna zusammenarbeitete, fiel unmittelbar vor der Fertigstellung der NOVA SOLARIS auf, dass wegen einiger fehlerhafter GH-Prozessoren der Fertigungsprozess so weit nach hinten geschoben worden war, dass die Konföderation Deneb den Kreuzer gerade fertig hätte übernehmen können. Doch das wurde in letzter Sekunde durch Major Corvin und einiger mutiger Männer und Frauen verhindert. Wenn ich diese Tatsache mit einrechne, dann ergibt sich ein düsteres Bild, in Bezug auf Cole Hauser. Denn ich glaube nicht an so viele Zufälle, General.“

„Hilaria Mbena wandte sich zu Camparelli. „Informieren Sie, via Hyperrichtstrahl-Spruch, den Sektoren-Kommandant Wega. Geben Sie ihm alle Informationen in Bezug auf Oberleutnant Estebans Verdacht. Er soll uns sofort informieren, falls aus dem Sol-Sektor entsprechende Meldungen über fatale Fehlfunktionen der GH-Prozessoren eingehen.“

Der Brigadegeneral bestätigte, erhob sich vom Tisch und verließ eilig den Raum. Hilaria Mbena sah ihm sinnend nach, bevor sie sich wieder zu Esteban wandte. Sie sah den jungen Offizier eindringlich an und meinte: „Ihnen ist klar, dass wir in nächster Zeit nicht an neue GH-Prozessoren kommen werden. Auf Terra befinden sich die einzigen Fertigungsstätten für dieses Bauteil. Was also können wir mit den Mitteln unserer Raumschiff-Werften tun, um unsere Kriegsschiffe wieder sicher zu machen?“

Der Blick des jungen Mannes, mit dem er Mbena bedachte, sprach Bände. „Sir, es wird uns mindestens zwei Jahre kosten, bis wir das letzte Raumschiff umgerüstet haben. Bei optimistischer Schätzung. Dasselbe gilt für die Flotten von Farradeen. Ich halte es für nicht machbar, die GH-Prozessoren umzuändern und wieder in unsere Raumschiffe einzubauen. Wir müssen neue, annähernd ähnlich effiziente Prozessoren entwickeln und einbauen. Wenn Sie mir ein Spezialisten-Team zur Verfügung stellen und die entsprechenden Ressourcen dann mache ich mich gleich morgen an die Arbeit, General.“

„Wie effizient werden solche neuen Prozessoren voraussichtlich sein?“

Rodrigo Esteban, der mit dieser Frage gerechnet hatte, sah Mbena offen an: „Selbst wenn wir sehr gut arbeiten, werden diese Prozessoren nicht jene Effizienz erreichen, wie die GH-Prozessoren. Bestenfalls wird die Effizienz, im Vergleich, bei etwa achtzig…“

„Nicht etwa, Oberleutnant! Wie hoch genau?“

„Fünfundsiebzig Prozent, voraussichtlich. Das ist der Wert, den ich Ihnen garantieren kann, um unsere Verteidigungskapazität in einem angemessenen Zeitraum zu sichern.“

Hilaria Mbena schlug die Hände vor den Mund und murmelte unterdrückt: „Fünfundsiebzig Prozent, Oberleutnant. Wissen Sie, was das bedeutet?“

Rodrigo Esteban sah seine Vorgesetzte eindringlich an. „Die Angehörigen der Terranischen Raumflotte gelten als die besten Soldaten aller fünf Sternenreiche. Das gleicht einige Prozent zusätzlich aus. In der Gesamtsumme sehe ich den Wert bei etwa neunzig Prozent. Dieser Unterschied ist dann nicht so groß, Sir.“

Hilaria Mbena nahm die Hände vom Gesicht und lächelte nachsichtig. „Ihr jugendlicher Optimismus in Ehren, Oberleutnant, aber ich bin verpflichtet mit den tatsächlichen Werten zu rechnen. Auch wenn Sie vielleicht recht haben mögen.“

„Wenn es unerwartet gut läuft schaffen wir vielleicht ja auch die achtzig Prozent.“

Hilaria Mbena schmunzelte fein. Dann atmete sie tief durch und sagte: „Sie bekommen alle Spezialisten und Ressourcen, die Sie benötigen, Hauptmann Esteban.“

Rodrigo Esteban sah seine Vorgesetzte überrascht und fragend zugleich an und die Frau lächelte dünn, als sie erklärte: „Ich werde die Beförderung morgen Früh vornehmen, aufgrund besonderer Befähigung ihrerseits. Sie können wegtreten.“

Esteban erhob sich rasch, salutierte vorbildlich und verließ den Raum. Für einen Moment verspürte Hilaria Mbena eine ungewohnte Schwäche. Doch dann richtete sie sich abrupt auf. Es gab Hoffnung, solange sie auf Offiziere wie Esteban zurückgreifen konnte.
 

* * *
 

Als die kombinierten Flotten der Farradeen-Allianz und des ehemaligen Terranischen Imperiums aus dem Hyperraum in den Einstein-Raum zurück fielen, sah Major Dean Corvin im Kommandozentrum der NOVA SOLARIS auf den Hauptbildschirm. Der Mars zeichnete sich dort apfelgroß ab. Für einen Moment überkam ihn dabei ein Gefühl von Déjà-vu. Er dachte dabei kurz an Léa Le Garrec, die auf Farradeen weilte und erst den nächsten Einsatz mitmachen würde. Corvin schüttelte diese Gedanken und Gefühle schnell ab und befahl ruhig: „Stabsfeldwebel Dornarran: Taktische Anzeige auf den Hauptbildschirm. Leutnant Adamina: Kontakt halten zum Flaggschiff der Flotte.“

Die angesprochenen Besatzungsmitglieder bestätigten, was Corvin mit einem Ohr zur Kenntnis nahm. Seine Aufmerksamkeit galt dabei der eingespielten, taktischen Anzeige auf dem Hauptbildschirm, auf dem sich der Mars und der umgebende Sektor nun als dreidimensional berechnete Computerdarstellung abzeichneten. Inklusive der beiden Marsmonde Phobos und Deimos, und der dort befindlichen Feindverbände.

Curtis Newton hielt den Leichten Kreuzer exakt an seiner zugewiesenen Position innerhalb der befohlenen Formation und so brauchte Corvin hier nicht einzugreifen. So nutzte er die Gelegenheit, kurz vor dem bevorstehenden Gefecht, noch einmal schnell an seine Freundin zu denken, die nun zum Team von Oberleutnant Fatul Mahmalad gehörte. Ebenso, wie Karambalos Papadopoulos, der seinen neuen Vorgesetzten mit seiner Zack-Wumm-Marotte bereits mehr als einmal in den Wahnsinn getrieben hatte.

Insgesamt hatten sich beide sehr gut in die Mannschaft der NOVA SOLARIS integriert, ebenso, wie Diana Spencer, Harin Krezirin und die übrigen Raumlandesoldaten der neu ins Leben gerufenen 506. Raumlandeeinheit. Im letzten halben Jahr war es seine und Irina Hayes´ Hauptaufgabe gewesen, die angewachsene Mannschaft zusammenzuschweißen, wozu auch Hauptmann Spencer wesentlich beigetragen hatte. Zusammen hatten sie, in den letzten Monaten, eine homogene, gut funktionierende, Mannschaft geformt. Darauf war Dean Corvin sehr stolz denn er spürte diese unsichtbare Verbundenheit zu der Crew. Ein Teil dieser verschworenen Gemeinschaft zu sein erfüllte ihn mit einer Zufriedenheit, die er gerade in den Jahren auf Titan am meisten vermisst hatte.

Dabei spürte Corvin ebenfalls sehr deutlich, dass die Anwesenheit von Rian auf diesem Kreuzer gleichfalls sehr viel zu dieser Zufriedenheit beitrug. Obwohl sie sich, wegen der mitunter unterschiedlichen Schichten, weniger sahen, als es ihnen lieb war. Andererseits machte dieser Umstand aber auch ihre gemeinsame Zeit umso wertvoller. Mitunter gewann Dean Corvin den Eindruck, dass sich dieser Umstand sogar positiv auf ihre Beziehung auswirkte. Sie bekamen auf diese Weise keine Gelegenheit einander überdrüssig zu werden.

Es hatte sich viel ereignet, in den letzten Monaten. Noch zu Beginn des Jahres hatte sich Corvin gewünscht, das alles mit Andrea von Garding zu erleben. Nun war sie eine verheiratete Frau und er ein Mann, der in einer glücklichen Beziehung lebte. Mit Rian Onoro, was er zu Beginn des Jahres nicht einmal ansatzweise für möglich gehalten hätte.

„In der Nähe des Titan tobt eine heftige Raumschlacht“, meldete Stefanie Dornarran. „Etwa sechzig Prozent der Invasions-Flotten sind dort im Einsatz.“

„Danke, Stabsfeldwebel!“

Dean Corvin überschlug in Gedanken, dass sich der Hauptstreitmacht somit zunächst nur zwei Flotten entgegenstellen würden. Andererseits bedeutete dies aber auch, dass den Wega-Flotten eine Überzahl gegenüber stand. Er dachte kurz an Andrea und Jayden. Hoffentlich überstanden die Freunde diesen Einsatz.

An Corvins Kommandosessel aktivierte sich der holografische Bildschirm der direkten Schiff-zu-Schiff-Verbindung und das markante Abbild von Generalmajor Traren entstand vor dem Kommandanten des Leichten Kreuzers.

„Generalmajor Traren an Major Corvin“, klang die raue Stimme des farradeenischen Flottenkommandeurs auf. „Die Flotten formieren sich zum Angriff auf den Mars. Stoßen Sie, wie geplant, mit den terranischen Fregatten HUMBOLDT und HEISENBERG vor und landen Sie schnellstmöglich auf dem Mars. Das Zeitfenster für diese Aktion dürfte eng bemessen sein, denn im Moment wird der Sektoren-Kommandant vermutlich alle Flotten, die sich in der Nähe des Saturn befinden, zum Mars zurückrufen.“

„Major Corvin an Flottenkommandeur. Verstanden. Das Signal an die beiden Fregatten geht bereits raus. Wir stoßen vor, wie geplant. Corvin, Ende.“

Der Generalmajor lächelte humorlos und unterbrach die Verbindung. Dean Corvin wandte sich bereits zu Curtis Newton und Linaris Terrek: „Navigation: Einen Anflugkurs zum Mars setzen, der uns schnellstmöglich ins Zielgebiet bringt! Pilot: Kurs folgen und bereitmachen für eine etwas überhastete Landung auf dem Mars!“

Beide Offiziere bestätigten und Curtis Newton entfuhr dabei: „Mann, das ist doch mein Lieblingsmanöver!“

Irina Hayes räusperte sich bei dieser Bemerkung, sagte aber nichts. Sie wusste, dass solche kleinen Disziplinlosigkeiten mitunter die Kampfmoral zusätzlich anhoben. Zumindest hob die Bemerkung deutlich die Stimmung innerhalb des Kommandozentrums und lockerte die Anspannung einiger Anwesender deutlich. Sie wechselte einen schnellen Blick mit Corvin, dessen Gesicht ein Grinsen zeigte. War ja klar, dass dem das gefällt.

Dean Corvin nutzte die Gelegenheit und sagte unterdrückt: „Sie übernehmen jetzt, wie zuvor vereinbart, das Kommando, Hauptmann. Ich selbst werde mich bereit machen, das Landeteam zu begleiten.“

Irina Hayes bestätigte. Dabei verfiel auch sie ganz selbstverständlich in das dienstliche Sie, da sie nicht unter sich waren. „Ich übernehme, Sir!“

Rasch erhob sich Corvin aus seinem Sessel und Irina Hayes nahm an seiner Stelle Platz darin. Dabei sah sie ihm nach, als er die Zentrale verließ. Erinnerungen an den Einsatz auf Eris wurden dabei wieder in ihr wach. Auch dort hatte Dean den Landetrupp begleitet. Sie hoffte nur, dass es diesmal keine Schwerverletzten, oder gar Tote, gab. Obwohl sie wusste, dass diese Hoffnung höchst unrealistisch war.



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