DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 12: Zielpunkt Mars -------------------------- 12. Zielpunkt Mars Das Sperber-Team verbrachte einige Tage im Haus, das Darweshi Karume in Broken Hill bewohnte. Ein Bergungsteam der Konföderation Deneb kam und ging, ohne dass ihre Anwesenheit bemerkt wurde. Die Konföderierten bargen die Leichen ihrer Kameraden, untersuchten den Ort des angeblichen Unfalls und zogen nach einem Tag wieder ab. Erst fünf Tage danach hatte Famke Korkonnen den Befehl zum Aufbruch gegeben. So wie die übrigen Mitglieder ihres Teams, schien auch sie froh zu sein, den Ort zu verlassen. Yunai Lee hatte sich inzwischen weit genug erholt um den Ortswechsel mitmachen zu können. Erst unterwegs erfuhren sie und Darweshi, wo ihr Ziel lag. Ein gebirgiges Gelände, westlich vom Lake Frome, etwa 250 Kilometer von Broken Hill entfernt. Zunächst in westlicher Richtung unterwegs, bogen sie nach etwas mehr als der Hälfte der Strecke in Richtung Norden ab. Die letzten zehn Kilometer zu ihrer Basis legten sie zu Fuß zurück, nachdem sie die Gleiter in einem, dafür wie geschaffenen, Höhlensystem versteckt hatten. Darweshi half Yunai dabei, die schwierigeren Passagen zu überwinden, wobei es schließlich Sarah Anderson war, die ihm dabei gelegentlich zur Hand ging. Darweshi Karume hatte es mit einem dankbaren Lächeln quittiert und die junge Frau hatte es, etwas verlegen wirkend, erwidert. Als sie schließlich die kleine Lichtung am Ende eines tiefen Einschnitts in den Felsen rings herum erreichten staunte Darweshi mit großen Augen. Weniger wegen der perfekten Tarnung nach oben hin, als wegen der unberührten Schönheit dieses Fleckchens Erde. Aus dem Dickicht des Urwaldes, der sich zur Öffnung der Lichtung hin erstreckte, mäanderte ein flacher Flusslauf am Rande der Lichtung entlang. Am anderen Ende des Taleinschnitts floss er in einen Teich, der an keiner Stelle tiefer zu sein schien, als etwa einen Meter. Soweit man das erkennen konnte. Darweshi, der Yunai weiterhin stützte, vermutete, dass der schmale Fluss über ein Höhlensystem, unterhalb der klaren Wasseroberfläche, weiter floss. Sonst wäre dieser Flecken vermutlich längst überflutet worden. In einer Höhe von mehreren Metern spannten sich einige Tarnnetze, die eine optische Sicht von oben, auf die Lichtung, unmöglich machten. Ein uraltes Prinzip, aber dennoch wirksam, solange keine modernen Ortungssysteme zum Einsatz kamen. Dabei dachte der Tansanier anerkennend, dass es eine schwierige Arbeit gewesen sein musste, die Netze in dieser Höhe über die gesamte Lichtung zu spannen. Immerhin besaß die Lichtung die ungefähre Größe mehrerer Speedball-Felder. Aus den Beständen des Sperber-Teams hatten die Männer und Frauen, ausgenommen der Verletzten, ein zusätzliches Zelt an einer windgeschützten Stelle, am Rand der Lichtung, in der Nähe der übrigen Unterkünfte aufgebaut. Darweshi und Yunai sollten es sich teilen, was dem Sanitäter ganz recht war, denn so konnte er den noch nicht besonders guten gesundheitlichen Zustand der Frau im Auge behalten. Famke Korkonnen, die inzwischen mehrmals ernsthaft mit Yunai Lee, einmal davon im Beisein von Darweshi Karume, gesprochen hatte, war in dieser Beziehung emotional zwiegespalten. Einerseits hatte ihr Yunai versichert, dass sie wirklich keinen Verrat plante sondern bereits vor Wochen desertiert sei. Dabei hatte sie Famke gleich nochmal ihrerseits darum gebeten, sich dem Sperber-Team anschließen zu dürfen. Zum Anderen spürte die Finnin, dass Yunai mit irgendetwas zurückhielt. Möglicherweise war das nicht von Belang, möglicherweise aber auch doch. Zumindest verursachte es eine gewisse Unruhe in ihr, die sie so gar nicht mochte. Darüber hinaus war da auch noch Darweshi, den sie im Moment noch nicht ganz einzuschätzen vermochte. Zwar traute sie dem Mann grundsätzlich, denn sie spürte immer deutlicher, dass an ihm kein Falsch war, doch an seine Art, sie zu behandeln, war sie nicht gewöhnt. Seine selbstbewusste und gleichzeitig so ruhige Art verwirrte sie etwas. Was Letzteres betraf so ähnelte Darweshi ihrem Bruder Kimi. Auf einem großen Stein am Ufer des Teiches sitzend starrte Famke Korkonnen über die Wasserfläche, ohne sie wirklich zu sehen. Sie sah über die Schulter, als sie Schritte vernahm, die sich ihrer Position näherten. Famke Korkonnen erkannte den Tansanier, der zwei Schritt von ihr entfernt stehen blieb und sie fragend ansah. „Darf ich mich zu dir gesellen? Mir ist aufgefallen, dass du dich in den letzten Tagen etwas abgesondert hast.“ Famke deutete auf die freie Fläche, links neben sich und Karume nahm neben ihr Platz. Einen Moment lang, so wie die blonde Frau, über die Wasserfläche blickend, fragte der Mann schließlich: „Du bist dir immer noch nicht sicher, ob du Yunai und mir über den Weg trauen kannst. Das kann ich dir nicht verdenken.“ Famke beugte sich vor, so wie der Mann. Sie legte die Unterarme dabei auf ihre Oberschenkel und verschränkte die Finger ihrer Hände umständlich ineinander. „Nein, ich denke, dass ich zumindest dir trauen kann, Darweshi. Bei Yunai bin ich mir hingegen noch nicht ganz sicher, da hast du Recht. Irgendetwas hält sie zurück, das spüre ich.“ Vielleicht etwas, dass sie während der Flucht vor der Konföderation erlebt hat“, gab Darweshi zu bedenken. Nachdenklich sah er zu Famke, die in demselben Moment zu ihm herüber blickte. Ihre Blicke verschmolzen für einen Moment lang. Schließlich räusperte sich der Tansanier kurz und fragte mit verändertem Tonfall: „Aber da ist noch mehr, was dich gerade umtreibt?“ Famke nickte mit melancholischem Blick. „Ja. Ich musste an meinen Bruder denken, kurz bevor du herkamst. Weißt du, er ist ein ebenso ruhiger Typ, wie du.“ Sie blickte zum Abendhimmel hinauf, an dem der zunehmende Mond sichtbar war. „Zuletzt war er dort oben, auf Luna, bevor der Angriff der Konföderation erfolgte. Bei einer Silvesterfeier mit seinen Freunden von der Akademie. Ich frage mich, was aus ihm wurde. Wird er vielleicht in genau diesem Moment von irgendeinem Soldat der Konföderation verhört? Vielleicht ist er auch in einem der zahlreichen, sogenannten Umerziehungslager der Konföderation gelandet, die überall auf Terra von den Invasoren errichtet wurden. Falls er überhaupt noch lebt.“ Die Frau wandte sich ab. Darweshi Karume hatte bemerkt, dass Tränen über ihre Wangen rannen und er besaß genügend Feingefühl einen Moment lang zu schweigen, bevor er beruhigend meinte: „Diese Art von selbstzerstörerischen Gedankengängen führt meistens zu nichts. Man stellt sich alles Mögliche vor, aber man trifft damit nicht die Wahrheit, sondern nur sich selbst. Ich habe zu Beginn meiner Odyssee auch permanent solche Überlegungen angestellt. Irgendwann habe ich damit ganz bewusst aufgehört. Das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr an meine Familie denke. Ich habe nur dieses sinnlose Orakeln aufgegeben.“ Eine Pause entstand in ihrer Unterhaltung und erst, als Famke sich mit den Händen über die Wangen wischte, fragte Karume leise: „Dein Bruder ist also bei der Flotte? Darf ich fragen, wie alt er ist?“ Famke sah den Mann erneut an. „Er heißt Kimi und er wird in genau zwei Wochen vierundzwanzig Jahre alt.“ „Also am neunundzwanzigsten Oktober“, stellte Darweshi nüchtern fest. Dann lächelte er und sagte aufmunternd: „Immerhin hast du selbst gerade wird gesagt. Das zeigt mir, dass du die Hoffnung nicht aufgegeben hast. Ich halte das für sehr wichtig.“ Der Tansanier legte seine Hand ganz sacht auf die Schulter der Frau. Dabei sah er sie an und ein Lächeln überflog sein Gesicht, bis Famke die Stirn runzelte. „Warum starrst du mich so an?“ Ertappt setzte Darweshi Karume ein verlegenes Gesicht auf. „Nun ja, ich versuche die Sommersprossen in deinem Gesicht zu zählen. So viele habe ich noch nie gesehen.“ Famke grinste schief. „Der beste Freund meines Bruders hat mir mal gesagt, dass mir nur ein paar Dutzend Sommersprossen fehlen würden, für eine nahtlose Bräune. Was diese Art von Plasmaschuss-Komplimenten betrifft: Da könnt ihr zwei euch die Hand reichen.“ „Entschuldige, bitte.“ Darweshi sah verlegen zum Himmel hinauf. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, doch es war immer noch drückend warm. Das Thema wechselnd fragte der Tansanier unvermittelt: „Hat die Resistance Informationen darüber, wie viele Truppen die Konföderation auf Terra und den anderen Planeten und Monden gelandet hat?“ „Es heißt, dass es zwischen fünf und zehn Millionen Raumlandesoldaten sind“, gab Famke Korkonnen Auskunft. Das Gros davon befindet sich natürlich auf Terra. Aber auch auf der Venus, dem Mars und auf den äußeren Monden und Planeten sollen sie gelandet sein.“ Erstaunen und Schrecken spiegelte sich auf Darweshi Karumes Gesicht. „So viele feindliche Soldaten? Damit hatte ich nicht gerechnet. Dann ist die Lage ernster, als ich es mir in meinen düstersten Träumen ausgemalt hatte.“ „Ich halte es für notwendig, dich und Yunai, gleich morgen, auf unseren Informationsstand zu bringen. Vielleicht habt ihr zwei ja auch etwas beizusteuern. Jetzt möchte ich mich noch mit Yunai unterhalten. Ungestört.“ Sie erhob sich. Darweshi stand ebenfalls von dem Stein auf, allerdings gemächlicher. Dabei sah er Famke Korkonnen sinnend nach auf ihrem Weg zum Zelt, das er sich mit Yunai teilte. * * * Yunai Lee hatte sich in den letzten Tagen zunehmend von ihrer Verletzung erholt. Fragend sah sie zu Famke Korkonnen auf, als diese das Zelt betrat. Die Finnin verzichtete auf großartige Umschweife und sagte ganz offen: „Ich bin gekommen, um mit dir über den Grund zu sprechen, aus dem du desertiert bist.“ Yunai richtete sich im Feldbett auf und stellte die Füße auf den Boden. Dabei erwiderte sie den forschenden Blick der blonden Frau und rang sich dabei zu einer Entscheidung durch. „Vielleicht sollte ich damit beginnen, was ich in den bisherigen kurzen Unterhaltungen verschwiegen habe. Ich wusste ja nicht, ob ich unter Druck gesetzt werde, oder nicht, also habe ich das Wichtigste bisher für mich behalten.“ „Darf ich?“, fragte Famke und deutete dabei auf die Bettkante. Yunai machte eine einladende Geste. Nachdem sich die Anführerin des Sperber-Teams gesetzt hatte begann sie: „Wie du vielleicht an meinen Uniformstreifen erkannt hast war ich bei der Abteilung Logistik tätig. Ich habe hauptsächlich, vom Hauptquartier auf dem Mars aus, den Transport wichtiger Güter ins und aus dem Sol-System organisiert. Dabei fiel mir vor mehreren Wochen auf, dass eine Menge Garrett-Hellmann-Prozessoren von Transportraumschiffen der Nimrod-Handelsgesellschaft zu verschiedenen Planeten des Bundes von Harrel geliefert werden. Es handelt sich um jene Art von Prozessoren, die bei der Eroberung des Sol-Systems eine entscheidende Rolle spielten.“ Famke musterte Yunai verwundert. „Wie denn das?“ Yunai Lee erklärte Famke, warum diese Prozessoren eine wichtige Rolle in den Eroberungsplänen des Diktators von Denebarran spielten. Sie informierte die Finnin damit gleichzeitig davon, wie es hatte geschehen können, dass es zu fatalen Missweisungen der Zielscanner und Ortungssysteme auf terranischer Seite hatte kommen können. Wohl wissend, dass sie damit ihren einzigen Trumpf bei Verhandlungen über ihre Zukunft bei diesem Team der Resistance aus der Hand gab. Auch Famke Korkonnen war sich dieser Tatsache bewusst und sie registrierte es insgeheim als einen Pluspunkt für die Deserteurin. Mit ausdrucksloser Miene fragte sie: „Aber was hat das mit den Lieferungen zum Bund zu tun?“ „Der Umfang der Lieferungen kann nur bedeuten, dass langfristig auch die Grenzwelten des Bundes von Harrel angegriffen werden sollen. Der Bund von Harrel ist neutral und ein wichtiger Handelspartner für die Menschen des Wega-Systems. Diese Nachschublinie zu kappen wäre eine Katastrophe für die Reste des Imperiums. Andererseits würde dieser Schritt endgültig alle fünf Sternenreiche destabilisieren und am Ende den Krieg derart ausweiten, dass der Letzte dagegen wie ein Picknick wirken würde. Denn bereits jetzt munkelt man, dass der Diktator mit dem Imperator des Antares-Sternenreiches in Verhandlungen steht, wegen einer Allianz. Bereits im letzten Krieg hat Antares insgeheim an der Seite der Konföderation Deneb gestanden.“ Yunai machte eine kurze Pause um ihre Worte wirken zu lassen, bevor sie fortfuhr: „Die meisten Offiziere glauben, wir unteren Chargen würden nicht mitkriegen, was die so alles planen und ausführen. Doch ich höre stets gut zu, was so alles von denen gesprochen wird und manch einer sagt im Laufe eines Tages sehr viel. Mit etwas Verstand kann man sich aus all diesen spärlichen Einzelinformationen ein gutes Gesamtbild machen.“ Famke Korkonnen deutete ein Lächeln an. „Das werde ich mir gut merken, falls ich es jemals doch noch zum Offizier bringen sollte.“ Sie wurde schnell wieder ernst. „Hast du zufällig auch erfahren können, ob es einen präzisen Zeitplan für das gibt, was du vermutest?“ „Nein. Doch ich bin mir sicher, dass der Befehlshaber des Konföderierten Geheimdienstes darüber Bescheid weiß. Ich habe, kurz bevor ich mich von der Truppe abgesetzt habe und nach Terra floh, von einem Kameraden, der als Ordonanz des Oberstleutnants dient, erfahren, dass der bei dem Flug eines Transporters, der am einunddreißigsten diesen Monats abfliegt, mit an Bord sein wird. Inoffiziell wohlgemerkt. Zunächst den Anflug der Außenwelten des Bundes überwachend soll er, auf dem Rückweg im Antares-System abgesetzt werden. Er ist beauftragt, im Auftrag des Diktators persönlich dort mit dem Imperator Geheimverhandlungen führen.“ „Ich werde zukünftig die, wie du es nanntest, unteren Chargen, nie wieder unterschätzen, das kann ich dir versichern.“ Famke überlegte fieberhaft. Dann fragte sie nachdenklich: „Siehst du eine Chance, falls wir die passenden Uniformen auftreiben können, dass wir vor dem Abflug des Transporters den Mars erreichen können? Um dann dort wiederum unbemerkt an Bord des Frachters zu gelangen.“ Yunai machte eine wiegende Geste mit ihrer Linken. „Vom Raumhafen bei Adelaide fliegt alle zwei Tage ein Transporter zum Mars zurück, nachdem er seine Ladung für die Provisorische Militärbasis dort gelöscht hat. Dieser Raumhafen wird nur sehr sporadisch bewacht. Dort haben wir vermutlich mehr Glück, als anderswo. Außerdem liegt er, von unserer jetzigen Position aus, am nächsten.“ Famke lächelte zufrieden. „Sehr gut. Dann besprechen wir morgen Vormittag alles Weitere. Ich hatte ohnehin vor, dich und Darweshi auf den aktuellen Stand zu bringen. Danach werden wir darüber beraten, ob wir einen Ausbruch zum Mars wagen wollen.“ Yunai machte ein zweifelndes Gesicht, sagte aber nichts dazu. Famke Korkonnen erhob sich und verabschiedete sich schnell von ihr. Sich wieder auf das Feldbett sinken lassend, denn noch fühlte sie sich ziemlich zittrig, hörte sie, wie die Finnin draußen vor dem Zelt einige Worte mit jemandem wechselte. Gleich darauf erschien Darweshi Karume im Zelt und nickte ihr aufmunternd zu. „Wie war das Gespräch mit ihr?“ Yunai zeigte ein zaghaftes Lächeln und antwortete: „Besser, als ich befürchtet hatte. Sie scheint mir nicht mehr völlig zu misstrauen. Ich hoffe nur, dass sich ihr Misstrauen, und das des gesamten Teams gegen mich irgendwann legen wird.“ „Ein paar von denen haben bestimmt auch noch Vorbehalte gegen mich. Aber das wird schon irgendwann werden.“ „Bei diesem Kelvin Gorlan bin ich mir da nicht so sicher.“ Das Lächeln des Mannes verlor sich. „Ja, in dessen Nähe heißt es aufpassen. Wir sollten ihm keinen Grund geben, an uns zu zweifeln. Noch mehr zu zweifeln, meine ich.“ Draußen war es mittlerweile fast vollkommen finster geworden. Darweshi entkleidete sich zwanglos, bis auf die Unterhose, und schlüpfte danach schnell unter die leichte Decke auf seinem Feldbett. Wie an den Abenden zuvor unterhielten er und Yunai sich noch eine Weile, bevor der Mann ihr eine Gute Nacht wünschte und ihr den Rücken zu drehte. Für eine Weile lag Yunai noch wach, bevor sie ihre Augen ebenfalls schloss und leise meinte: „Ich wollte, ich wüsste, wie das alles enden wird.“ * * * „Das alles wird kein gutes Ende nehmen“, prophezeite Irina Hayes überzeugt. Vor einigen Minuten war sie, als Letzte von drei Leuten erschienen, die Dean am Abend in seinen Bungalow eingeladen hatte. Sie sah von Dean Corvin zu Rian Onoro und zuletzt zu Karambalos Papadopoulos, die gemeinsam mit ihr und Dean Corvin, bei einem kleinen Snack und einem Tee, im Wohnraum saßen. Beide trugen seit einigen Monaten bereits die schwarze Uniform der Farradeen-Allianz. „Ihr seid, vor knapp einem halben Jahr erst, glücklich vom Mars entkommen und jetzt wollt ihr da wieder hin?“ „Die Crew der NOVA SOLARIS hat sich freiwillig gemeldet, für das geplante Landeunternehmen, während des Großangriffs auf die Flottenverbände der Konföderation Deneb im Sol-System.“ Irina Hayes schnappte nach Luft. Sie wusste natürlich um die für Anfang November geplante Offensive der alliierten terranischen und farradeenischen Raumflottenverbände. Dabei sollte der Angriff der vereinten Flotten aus verschiedenen Vektoren erfolgen. Vor drei Monaten hatte der gegenwärtig höchste, zivile Regierungsvertreter des ehemaligen Terranischen Imperiums überraschend entschieden, die Welten des Terranischen Imperiums als Protektorate an die Farradeen-Allianz abzutreten. Dabei hatte er, nach einigem Zögern, dem Druck der führenden terranischen Militärs nachgegeben, deren Flotten wegen der Aberkennung des Kombattanten-Status für terranische Militärs, durch den Diktator von Denebarran, quasi handlungsunfähig waren. Die folgenden, komplizierten Verhandlungen waren auf Farradeen erfolgt. In Dauersitzungen, die sich aneinandergereiht hatten. Am Ende waren die Vertreter des ehemaligen Imperiums und der Farradeen-Allianz überein gekommen, beide Sternenreiche, nach und nach, zu einem einzigen zusammenzuschließen. Doch bis dieses Ziel erreicht sein würde, konnten noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, vergehen. Aber der erste Schritt war gemacht worden, mit der Ratifizierung des Vertrages, vor knapp vier Wochen. Immerhin erlaubte die Abtretung der Terranischen Planeten, als Protektorate der Regierung auf Farradeen, die Flotten des ehemaligen Terranischen Imperiums unter ihren Oberbefehl zu stellen. Somit war das Argument des Diktators, in Bezug auf den Status der ehemaligen Terranischen Raumflotte, hinfällig. Zumindest in den Augen der terranischen und farradeenischen Rechtsgelehrten. Seit der Ratifizierung des Vertragen trugen die terranischen Soldaten, zum Übergang nun dunkelgraue Uniformen, statt der hellgrauen. Gleichfalls wurden gegenwärtig, bei den letzten terranischen Kriegsschiffen, die Markierungen des Terranischen Imperiums entfernt und die des Farradeen-Protektorats angebracht. Dass dieser Prozess am Ende dann doch so schnell in Gang gesetzt werden würde, damit hatte im ehemaligen Imperium niemand wirklich gerechnet. Die terranischen Generale, unter der Führung von General Hilaria Inira Mbena, hatten es verstanden, den aktuell verantwortlichen Politikern anhand mehrerer Holosimulationen eindringlich zu erläutern, was militärisch passieren konnte, wenn die ehemalige Terranische Raumflotte noch weiter handlungsunfähig bleiben würde. Man hatte ihnen klargemacht, dass die neun Flotten die Initiative zurückerlangen mussten. Eine reine Verteidigung der Planeten spielte am Ende der Konföderation Deneb in die Hände. Das hatten die Verantwortlichen eingesehen. Vermutlich auch deshalb, weil die verantwortlichen terranischen Politiker, offiziell in beratender Funktion, in die Regierung von Farradeen integriert worden waren. All das war Irina Hayes bekannt, als sie ihre momentane Überraschung überwand und sich giftig bei Corvin erkundigte: „Wieso freiwillig?“ Dean Corvins Augenbrauen hoben sich leicht. „Du kennst die Antwort. Unser Kreuzer ist für die Landung auf dem Mars am besten geeignet, sobald sich die Flotten, rings um Mars herum, miteinander prügeln. Die NOVA SOLARIS ist schnell und wendig, und wie wir bei Eris erlebt haben, hält sie auch etwas aus. „Die NOVA war annähernd schrottreif, als wir von dem letzten Einsatz im Sol-System zurückkehrten“, versetzte Irina erbost. „Jetzt versuchst du, das Schiff endgültig zu ruinieren.“ Perplex wegen dieses unsachlichen, verbalen Angriffs konterte Corvin unwillig: „Gerade du müsstest wissen, dass das nicht stimmt, Irina. Die NOVA SOLARIS liegt mir am Herzen, und noch mehr die Besatzung. Natürlich könnten die vereinten Flotten mit Torpedos das Hauptquartier auf dem Mars dem Erdboden gleichmachen, doch wir wollen lieber den befehlshabenden Militärgouverneur schnappen, damit er die Kapitulation befehlen kann. Das würde uns eine Menge Verluste ersparen.“ Irina Hayes nahm einen Schluck von ihrem Tee. Sie wusste natürlich, dass die Argumente des Majors nicht von der Hand zu weisen waren. Sie hatte nur gehofft, dass sich Corvin nicht mehr so sehr um solche Risikoeinsätze bemühen würde, nachdem er in Rian Onoro seine Lebensgefährtin gefunden hatte, wie es schien. Deshalb blieb ihr Blick auch letztlich bei der Dunkelhäutigen hängen. Die Hände in die Hüften stemmend meinte sie finster: „Von Ihnen bin ich schwer enttäuscht, Rian. Ich hatte gehofft, Sie würden einen besseren Einfluss auf Dean haben.“ Bevor Rian Onoro etwas darauf erwidern konnte, winkte Irina Hayes ab und seufzte: „Vergessen Sie es, der Major wird sich ja doch nie ändern.“ „Es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir wieder da runter müssen“, warf Karambalos Papadopoulos ein. Wie ich bereits vor einiger Zeit erklärte, haben ich und das Team, dem ich angehörte, an etwas gearbeitet, dass von den Ingenieuren als Autonomes-Taktisches-System, kurz ATS, an Bord einer neuen Flotte von Raumschiffen eingebaut worden ist. Zu Beginn des nächsten Jahres wäre die Zehnte Flotte in Dienst gestellt worden, die dieses neue System hätte testen sollen. Ich denke, dass die Konföderation diese Flotte fertigstellen will und dann selbst bemannen wird. Allerdings wissen die nichts von ATS. Zumindest bin ich auf dem Mars nie danach gefragt worden. Vielleicht misst man innerhalb der Konföderation aber diesem System auch nicht die Bedeutung bei, die es verdient.“ Dean Corvin nickte zustimmend in Richtung des Griechen. „Wenn ich das richtig verstanden habe, so sind die Raumschiffe, wenn das System aktiviert wird, nicht nur dazu in der Lage, ohne jegliche menschliche Einflussnahme, alle notwendigen taktischen Manöver auszuführen, sondern die Computer der einzelnen Kriegsschiffe sind auch untereinander vernetzt, so dass sie ihre Vorgehensweise untereinander abstimmen können.“ „Das ist korrekt, Major. Falls die Besatzungen der Kriegsschiffe ausfallen, so soll dieses System gewährleisten, dass die Raumschiffe nicht zur leichten Beute für den Feind werden. Dass dieses System sehr viel weitreichender funktioniert, das fand man erst nach einigen Simulationen mit diesem neuen System heraus.“ Irina Hayes wandte ein: „Was macht Sie so sicher, dass die Techniker der Konföderation nicht längst von diesem System wissen?“ Der Hüne grinste offen. „Dazu müssten die erst einmal wissen, wonach sie dabei zu suchen hätten. Die zusätzlichen Systeme sind relativ klein und verraten ihre Funktion nicht. Die einzig verdächtige Komponente dieses Systems befindet sich innerhalb des Haupt-Schiffscomputers. Sie fällt also gar nicht auf. Dazu müsste man schon das Computersystem der neuen Raumschiffe zerlegen. Ich glaube jedoch, dass die Konföderation eher bestrebt ist, die neuen Raumschiffe fertigzustellen um sie schnellstmöglich in den Einsatz zu schicken.“ „Dafür sprechen auch einige Bemerkungen, die ich während meiner Gefangenschaft von den Wachsoldaten der Konföderation aufschnappen konnte“, stimmte Rian Onoro zu. „Das habe ich auch bei meinem Gespräch mit Generalmajor Traren zu Protokoll gegeben.“ „Woraufhin er den Kommandoeinsatz befürwortet hat“, fasste Dean Corvin mit einem Lächeln zusammen und wechselte ein paar schnelle Blicke mit seiner Freundin. Wieder ernst werdend erklärte er: „Im Computer des Provisorischen Hauptquartiers der konföderierten Invasoren, auf dem Mars, werden die Daten zu finden sein, die uns verraten, wo sich die Einheiten der Zehnten Flotte momentan befinden. Nach letzten Geheimdienst-Erkenntnissen sollen die Raumschiffe auf einem der kleineren Raumhäfen, in der Nähe eines Werftkomplexes, liegen. Sobald wir es genau wissen kommt der wirklich schwierige Teil. Wir müssen an Bord eines dieser Raumschiffe gelangen, die Schiffssysteme aktivieren und den Kommando-Code eingeben. Einmal aktiviert sendet dieses eine Kriegsschiff das Prioritätssignal an die übrigen Raumschiffe, das sie vom Warte-Modus in den Aktiv-Modus versetzt. Und dort wird dann ebenfalls das ATS hochgefahren.“ „Und dann geht es für die Raumschiffe Zack-Hopp und Weg“, frohlockte Karambalos Papadopoulos und rieb sich die übergroßen Hände. Rian Onoro sah ihn grimmig an und meinte, etwas gereizt: „Dein ewiges Zack-Und-So-Weiter geht mir langsam auf die Nerven, mein Freund.“ „Grundsätzlich hat unser Stabsunteroffizier Recht“, schmunzelte Corvin. „Sobald das Prioritätssignal gesendet worden ist, werden die einhundert Kriegsschiffe ein, zumindest für die Konföderierten, gespenstisches Eigenleben entwickeln. Der Code, der in einen der Bordcomputer eingegeben wird, enthält auch das Ziel für diese Flotte.“ Irina Hayes sah fragend zu Dean Corvin und wandte kritisch ein: „Aber die Konföderierten werden diese Raumschiffe doch fraglos verfolgen.“ Der Kanadier stimmte beinahe fröhlich zu: „Ja und genau darauf hofft Generalmajor Traren. Er hat nämlich nicht vor, die Raumschiffe ohne Besatzung allzu weit fliegen zu lassen. Eine halbe terranische Kriegsflotte wird mit Offizieren und Mannschaften, für diese Raumschiffe, am Treffpunkt warten, wo die Schiffe von ihnen übernommen werden. Es steht zu vermuten, dass der Feind keine ganze Flotte abziehen wird, für die Verfolgung. Die Verfolger werden also einer Übermacht gegenüber stehen, sobald sie den Hyperraum verlassen um die Flotte wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Vermutlich wird man sogar eher an einen technischen Defekt glauben, anstatt dass wir daran gedreht haben.“ „Ah“, machte Irina Hayes. „Der Feind soll also zusätzlich auch noch Kriegsschiffe verlieren. Sehr schön ausgedacht – nur funktionieren muss das Ganze noch.“ „Wird es“, gab sich Corvin zuversichtlich. „Der psychologische Effekt wird dabei eine weitaus wichtigere Rolle spielen, als der militärische Erfolg. Die Terranische Flotte musste beim Überfall auf das Sol-System hart einstecken. Wir haben das am eigenen Leib erfahren, Irina. Das nagt natürlich am Selbstbewusstsein der Männer und Frauen und somit an der Moral der Terraner. Ein erster, kleiner Sieg wird ihnen neuen Auftrieb geben.“ Dean Corvin blickte in die Runde, als er geendet hatte. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass ihn drei Augenpaare intensiv musterten. „Was ist denn?“ Es blieb für eine Weile still, in der Papadopoulos zu Rian sah, Rian zu Irina und Irina zu den beiden neuesten Besatzungsmitgliedern der NOVA SOLARIS. Schließlich fasste sich Irina Hayes ein Herz und sprach das aus, was ihnen allen dreien aufgefallen war. „Es ist die Art, wie du eben von Terranern gesprochen hast. So als wärst du nicht ebenfalls auf der Erde aufgewachsen, sondern hier auf Farradeen.“ Dean Corvin sah die Anwesenden nach der Reihe an. Als seine Freundin sacht, beinahe entschuldigend, mit dem Kopf nickte, sagte er ruhig: „In meinem Herzen werde ich immer ein Terraner bleiben. Doch seit ich diese schwarze Uniform trage, hat sich etwas verändert. Zuerst ist mir das nicht bewusst geworden, doch mittlerweile spüre ich es. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich Loyalität als sehr wichtig erachte. Solange ich die Uniform der Farradeen-Allianz trage möchte ich sie, und das wofür sie steht, in Ehren halten. Doch das wird schwer, bei geteilter Loyalität. Solange ich also die Uniform der Farradeen-Allianz trage, gilt der Allianz auch meine ganze Loyalität. Ich empfinde so. Ich erwarte nicht von euch, dass ihr das genauso empfindet. Zumindest nicht außerhalb des Dienstes. Doch macht euch bitte klar, dass ihr drei denselben Eid geschworen habt, wie ich.“ Karambalos Papadopoulos lehnte sich im Sessel zurück und schlug das rechte Bein über das Linke. „Es ist nicht für jedermann einfach, Terra hinter sich zu lassen und den Verein zu wechseln. Einigen von uns fällt das schwer.“ Für diese Bemerkung erntete der Grieche einen unwilligen Blick von Rian Onoro. Sie ergriff schnell eine Hand ihres Freundes, der auf dem Sofa neben ihr saß, und drückte sie für einen kurzen Augenblick. Doch anders, als Rian es befürchtet hatte, brauste Dean nicht auf sondern erwiderte etwas eindringlicher: „Das ist mir, zu Beginn dieses Jahres, mindestens genauso schwer gefallen, wie jedem von euch. Ich habe zwar keine eigene Familie auf Terra, doch die Familien von Jayden und Kimi liegen mir nicht weniger am Herzen. Besonders Kimis Schwester Famke steht mir so nah, wie eine eigene Schwester. Was wir momentan tun, das tun wir nicht zuletzt auch für sie und jeden Menschen im Sol-System.“ Wieder blieb es für einen Moment still, bevor sich Irina erhob, wobei sie dem Griechen einen beschwörenden Blick zuwarf. „Es ist spät geworden. Wird Zeit, dass ich mich auf den Weg zu mir mache.“ Papadopoulos erhob sich ebenfalls schnell und meinte: „Ich komme mit. Natürlich nicht mit zu Ihnen, Hauptmann. Ich meinte, für mich wird es ebenfalls Zeit.“ Dean und Rian begleiteten die beiden Kameraden zum Schott, dass hinaus auf die Straße führte. Sie verabschiedeten sich rasch und Arm in Arm sahen sie ihnen nach, bevor der Kanadier das Schott schloss und sich seiner Freundin zu wandte. „Karambalos meinte es eben bestimmt nicht böse“, sagte Rian leise und sah Dean dabei inständig an. Dabei beobachtete sie, wie sich seine Züge langsam entspannten. „Er wollte dich ganz bestimmt nicht verurteilen, wegen deiner Ansicht. Die ich übrigens verstehen kann, Dean.“ „Papa ist etwas direkt, doch das kann ich ihm nicht verübeln“, erwiderte der Mann ruhig. „Mir ist das lieber, als würde er hinter dem Berg halten, mit seiner Meinung.“ Rian lächelte beruhigt. Sie küsste Dean sanft, bevor sie ihn an die Hand nahm und mit sich in Richtung des Schlafraums zog. Dabei fragte sie, mit unschuldigem Augenaufschlag: „Was machen wir zwei nun mit dem angebrochenen Abend, nachdem dein Erster Offizier es für richtig hielt so überstürzt aufzubrechen.“ Dean lachte leise. „Das ist also nicht nur mir aufgefallen. Irina ist einerseits schon ziemlich hart, wenn es um den Dienst geht, und mitunter auch mal ziemlich direkt. Doch im Grunde ihres Herzens sehnt sie sich nach Harmonie, dessen bin ich mir sicher.“ Rian aktivierte das Licht des Schlafraumes nicht. Durch das Fenster fiel nur ein sehr schwacher Lichtschein und im Dunkel des Zimmers legte sie ihre Arme um Corvins Nacken. „Ihr seid euch verdammt ähnlich“, flüsterte Rian und küsste Dean sacht auf die Lippen. „Ihr beide könntet glatt Geschwister sein.“ Es dauerte eine Weile, bis Dean Corvin erwiderte: „Manchmal wünschte ich mir, sie wäre tatsächlich meine Schwester. Ich hatte nie eigene Geschwister. Was dem am nächsten kommt ist meine Freundschaft zu Kimi und seiner Schwester Famke. Und seit Beginn des Jahres eben auch die Freundschaft, und die damit verbundenen geschwisterlichen Gefühle, die mich mit Irina verbindet. Davon habe ich bisher niemandem erzählt.“ „Wenn ich nicht wüsste, dass sie mit Diana Spencer glücklich ist, dann würde ich jetzt glatt eifersüchtig werden. Na ja, so wie du von ihr sprichst.“ Corvin zog seine Freundin etwas enger zu sich heran und gab leise zurück: „Vermutlich habe ich bisher deshalb keinem Menschen davon erzählt. „Nicht einmal Kimi?“ „Nicht einmal Kimi. Ich frage mich, was inzwischen aus Famke geworden ist.“ * * * Famke Korkonnen lag, fast mit dem Untergrund verschmolzen und im Schutz einiger niedriger Büsche, hinter einer kleinen Anhöhe. Zusammen mit den Mitgliedern des Sperber-Teams, zu dem nun auch Darweshi Karume und Yunai Lee zählten. Der militärisch genutzte Raumhafen von Adelaide lag im hellen, grellweißen Licht der Tiefenstrahler. Abseits des erleuchteten Gebietes herrschte noch tiefe Finsternis. Die Morgendämmerung würde erst in gut einer Stunde einsetzen. Hier bereits nach lokaler Zeit den 31. Oktober schreibend, war es nach gültiger Standardzeit noch der 30. Oktober. Sie beobachteten gemeinsam das vor ihnen stattfindende, geschäftig wirkende, Treiben auf dem Raumhafengelände. Die Frequenzbrillen hatten sie auf die niedrigste Leistungsstufe eingestellt, denn sonst wären sie von den Tiefenstrahlern, die rund um den Raumhafen herum installiert waren, geblendet worden. Die geschäftige Betriebsamkeit auf dem Landefeld des Raumhafens war selbst bis zu diesem Versteck spürbar. „Da ungesehen auf einen feindlichen Frachter zu gelangen wird bestimmt nicht einfach werden“, unkte Kelvin Gorlan. „Wenn das nur gut geht.“ „Ruhe jetzt, Sperber-Drei!“, fauchte Famke heiser. „Wir schaffen das. Dort hinten, an der westlichen Ecke der Lagerhallen, werden wir Deckung nehmen. Von dort aus ist es nicht weit zu dem Militärfrachter, der eben gelandet ist. Das ist unser Transportmittel zum Mars, würde ich sagen. Alle anderen Raumschiffe tragen zivile Markierungen.“ „Am besten wird es sein, wir verstecken uns zwischen den Frachtstücken“, raunte Moshe Melnik. „Dann werden wir, ganz gemütlich, an Bord transportiert.“ Famke sah von ihrer Linken, wo Moshe auf dem Boden lag, zur anderen Seite und warf Yunai Lee einen fragenden Blick zu. Die dunkelhaarige Frau machte eine zustimmende Geste und sah wieder nach vorne. Dabei flüsterte sie: „Von hier aus werden bestimmt keine Güter zum Mars gebracht, die einer besonderen Kontrolle bedürfen. Somit dürfte es relativ leicht werden unbemerkt an Bord des Frachters zu gelangen, wenn wir uns nicht ungeschickt anstellen.“ „Falls sich jemand zufällig absichtlich ungeschickt anstellt, werde ich ihn erschießen“, prophezeite Gorlan düster und Yunai wusste, dass er sie damit gemeint hatte. Sie ließ sich davon jedoch nichts anmerken. Angestrengt sah sie weiter geradeaus. Darweshi, der sich an ihrer Seite hielt, legte dafür seine Hand beruhigend auf ihren Unterarm und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, als sie ihn ansah. „Das gilt für jeden“, betonte Famke Korkonnen vermittelnd. „Wir halten uns hinter dieser Anhöhe und umgehen das Landefeld etwa einen Kilometer in westlicher Richtung. Dort nähern wir uns im Sichtschutz einiger Baumgruppen. Ausführung.“ Sie zogen sich in tiefster Gangart zurück, bevor sie sich erhoben und im Sichtschutz des Hügels geduckt in Richtung Westen marschierten. Dabei übernahm Dheran Collard, der über das beste räumliche Wahrnehmungsempfinden von ihnen allen verfügte, automatisch die Führung. So hatten sie es beim Sperber-Team von Beginn an gehalten. Darweshi Karume fiel dieser eingespielte Automatismus auf, während er sich, dicht an Yunai Lee haltend, hinter dem Aborigine durch die Graslandschaft pirschte. Sie brauchten fast zehn Minuten bis zu der nächsten Baumgruppe, hinter der sie sich aufrichteten. Um einen der dicken Baumstämme herum spähend erklärte Famke Korkonnen zufrieden: „Sehr gut, einige der Baumgruppen stehen fast ideal hintereinander, von hier aus gesehen. Das vereinfacht die Annäherung an die Lagerhallen. Zum Glück ist dieser Raumhafen in der Vergangenheit niemals abgesperrt worden. Trotzdem sollten wir damit rechnen, dass es hier Patrouillen gibt. Deshalb warten wir hier jetzt ein paar Minuten und beobachten wieder. Besser ist besser. Also die Augen auf und den Mund geschlossen halten.“ Sie verhielten sich lautlos, knieten sich ab und hielten aufmerksam Umschau. Dabei vertraute Darweshi Karume bei der herrschenden Finsternis mehr auf seine Ohren, als auf seine Augen. Nach seiner Meinung hörte man im Dunkeln mehr, als man mit seinen Augen sah. Doch außer den Geräuschen einiger nachtaktiver Tiere konnte er nichts feststellen. Während sich die Zeit zu dehnen begann, machte sich Karume Gedanken zu Famke Korkonnen. Sie führte diesen Trupp, zumindest nach dem, was er bisher mitbekommen hatte, sehr gut. Offensichtlich hatte sie sich in die Rolle der Anführerin hineingefunden. Er spürte auch, dass diese Rolle von keinem Mitglied des Trupps in Frage gestellt wurde. Auch von ihm selbst nicht und Yunai schien ihre Funktion ebenfalls zu akzeptieren. Bei diesem Gedanken warf er der Überläuferin einen schnellen Blick zu. Zwar vertraute Karume ihr grundsätzlich, doch er war natürlich nicht so naiv, wie es vielleicht ein Kelvin Gorlan glaubte. Er hatte schon vor ihrem Aufbruch von Broken Hill beschlossen, sie sehr genau im Auge zu behalten. Wie hatte es Famke eben so treffend formuliert? Besser ist besser. Endlich gab Famke Korkonnen das Zeichen zum Vorrücken. Im Dunkel des frühen Morgens huschten neun Menschen von Baumgruppe zu Baumgruppe und kamen den anvisierten Lagerhallen des Raumhafens immer näher. Als sich Kelvin Gorlan bei der letzten schützenden Baumgruppe als Erster löste hielt Yunai Lee ihn überraschend am Arm zurück und deutete nach vorne zur Ecke der Lagerhalle. Kelvin Gorlan fluchte unterdrückt. Es dauerte einen Augenblick, bis Gorlan den Wachposten entdeckte, der im nächsten Moment am Rand des Landefeldes entlang davon schritt. Weder er, noch Famke auf seiner anderen Seite, hatten den Posten vorher bemerkt. „Seien wir froh, dass Yunai bessere Augen hat, als wir zwei“, flüsterte die Famke Korkonnen. „Ich denke, wir wissen jetzt, dass sie keinen Verrat plant.“ Kelvin Gorlan wirkte nicht völlig überzeugt, widersprach aber auch nicht. Sie warteten einige Minuten, um sicher zu sein, dem Wachposten nicht doch noch in die Arme zu laufen, bevor sie sich wieder in Marsch setzten. Darweshi Karume sah in dieser Zeit kurz zu Yunai und hob den Daumen in ihre Richtung. Dicht an die Außenwand der Lagerhalle geschmiegt arbeiteten sich die Mitglieder des Sperber-Teams weiter vor. Zum Glück reichte das Licht der Tiefenstrahler nicht bis ganz an diese, etwas abseits liegende, Halle heran. Famke Korkonnen kniete sich an der Ecke der Halle ab und warf einen raschen Blick um die Ecke. Niemand war zu sehen und so huschte sie einen Moment später um die Ecke, mit dem Handzeichen, ihr zu folgen. Darweshi Karume bildete jetzt, zusammen mit Sarah Anderson, die Nachhut. Nebeneinander rannten sie in Richtung des Frachters, der sie nun gegen eine Sicht aus der Richtung des deutlich belebteren anderen Endes des Raumhafens schützte. Unangefochten erreichten sie den Frachter und Yunai übernahm, zusammen mit Famke Korkonnen die Spitze. Dabei flüsterte die dunkelhaarige Frau: „Ich hoffe nur, dass man in den letzten Wochen die Standard-Codes, die ich noch kenne, nicht geändert hat.“ Famke nickte nur. Als die Anderen aufgeschlossen hatten gab Yunai Lee den Code zum Öffnen des Schotts ein. Zu ihrer Erleichterung funktionierte er. Mit einem leisen Zischen glitten die beiden Hälften des äußeren Schotts zur Seite. Rasch drangen die Männer und Frauen ein und Yunai schloss das äußere Schott wieder. Das spärliche Licht der Minimal-Beleuchtung im Innern der Schleuse reichte Yunai Lee aus um den Öffnungsmechanismus des inneren Schotts zu erkennen. Es dauerte einen Augenblick, bevor sich die beiden Schotthälften teilten und den Weg ins Innere des Frachters freigaben. Im Innern des Frachters drangen vielfältige Stimmen an ihre Ohren und Yunai zischte überrascht: „Das ist jetzt seltsam. Hier sollten im Grunde nur die beiden Piloten des Frachters anwesend sein.“ „Das scheint aus einem der Frachträume zu kommen“, flüsterte Moshe Melnik zurück. „Wir sollten nachsehen, was da los ist.“ Sie schlichen durch den Gang, durchquerten das leere Passagier-Abteil des Standard-Frachters und begaben sich weiter in Richtung der Laderäume. Das Schott von einem der Räume stand offen. Aus dem Innern des betreffenden Laderaumes kamen die Stimmen, die sie im Gang gehört hatten. Es mussten mindestens ein halbes Dutzend sein, eher noch mehr. „Verdammt!“, fluchte Famke Korkonnen unterdrückt. „Verdammt, verdammt! Wir können uns nicht mit so vielen Gefangenen belasten.“ Darweshi Karumes Miene versteinerte, denn er wusste, was diese Worte bedeuteten. Gleichzeitig war ihm klar, dass sie Recht hatte. So war der Krieg. „Wir werden zuerst einige Informationen einfordern“, flüsterte Famke und gab dann das Zeichen einzudringen. Sie überraschten die beiden Piloten des Frachters, zusammen mit acht Soldaten der Konföderation Deneb. Aus ihren Gesprächen hatte das Sperber-Team unschwer erkennen können, dass sie zum Mars mitfliegen sollten. Offensichtlich hatten sie den beiden Piloten dabei geholfen, die Fracht zu überprüfen, um rascher hier weg zu kommen. Mit vorgehaltenen Waffen hielt das Sperber-Team die Anwesenden in Schach. Famke übernahm es, den Soldaten zu befehlen: „Die Piloten des Frachters folgen mir zum Cockpit. Der Rest verhält sich ruhig und zieht die Uniformen aus.“ Ein Mann und eine Frau traten etwas zur Seite und verließen, auf Famke Korkonnens Zeichen hin den Frachtraum. Moshe Melnik und Alexandra Marsden übernahmen es, sie vor sich her in Richtung des Cockpits zu treiben. Die restlichen Anwesenden kamen der Aufforderung nach, die Uniformen abzulegen. Dabei erklärte Famke ihrem Team unterdrückt: „Die Uniformen werden uns auf dem Mars unter Umständen nützliche Dienste leisten.“ Den hell-gelben Uniformstreifen und den Abzeichen auf ihren Uniformen nach handelte es sich bei den drei Offizieren und fünf Unteroffizieren um Angehörige des Fliegenden Personals. Famke ließ die sechs Männer und zwei Frauen etwas zurücktreten, während Sarah Anderson und Darweshi Karume die Kleidung einsammelten. Sie sah zu Karume und Sarah und meinte: „Bringt die Sachen am besten ins Passagierabteil.“ Darweshi Karume, der ahnte, was mit den Gefangenen passieren würde, war versucht zu widersprechen, doch er verzichtete darauf. Einerseits war ihm klar, dass Famke Recht damit hatte, dass sie sich nicht mit Gefangenen belasten konnten. Andererseits hätte es die Autorität der Finnin untergraben. Etwas, das er vermeiden wollte, denn in ihrer Situation konnten sie so etwas ganz und gar nicht gebrauchen. Dennoch verspürte er einen imaginären Knoten im Magen, während er Sarah aus dem Lagerraum hinaus auf den Gang folgte. Im Passagierabteil sah Sarah Anderson zu dem Tansanier und meinte, gerade so, als habe sie seine Gedanken gelesen: „Es geht nicht anders, Darweshi. Aber falls es dich tröstet, mir tut es auch weh, was da gleich passieren wird.“ Darweshi Karume sah in die Augen der Frau, in denen sich tatsächlich Kummer abzeichnete. Mühsam beherrscht nickte er und erwiderte tonlos. „Ich weiß, Sarah. Aber ich will verdammt sein, an dem Tag, an dem ich mich an so etwas gewöhne.“ Sarah sah ihn verstehend an und gab leise zurück: „Ich auch.“ Beide legten die Sachen auf zwei der Sitze des Passagierabteils. Sie verzichteten darauf, zum Lagerraum zurückzukehren, froh darum, nicht dabei sein zu müssen. Dabei fragte sich Darweshi Karume, ob Famke wohl absichtlich Yunai dabehalten hatte. Vielleicht wollte sie die Loyalität der Überläuferin noch auf eine weitere Probe stellen. Nur unterbewusst nahm er wahr, dass die Stimmen aus dem Lagerraum verstummten. Als das leise Zischen der Plasmagewehre aufklang sah er verzweifelt zu Sarah Anderson, die impulsiv, für einen Augenblick lang, ihre Hand auf seine Schulter legte. Als Famke und der Rest des Sperber-Teams zu ihnen ins Passagierabteil kamen sah Darweshi Karume sie an. Allen schien es ähnlich zu gehen, wie ihm selbst. Selbst Kelvin Gorlan, der bisher stets einen etwas anderen Eindruck bei ihm erweckt hatte. Deprimiert sah Famke Korkonnen ihn an und sagte rau: „Wir haben Glück gehabt, den Frachter noch zu erwischen. Fast wären die weg gewesen. Ich werde die Piloten des Frachters jetzt anweisen, um Starterlaubnis zu ersuchen.“ Damit schritt sie an Karume vorbei. Von ihr zu Sarah Anderson blickend murmelte Karume: „Sieht so aus, als wären wir auf dem Weg zum Mars.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)