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DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars

von

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Resistance


 

11.
 

Resistance
 

In der Hocke, leicht gegen die Natursteinmauer gelehnt, spähte die bewaffnete, junge Frau, fast noch einem Mädchen gleichend, um die Ecke des halb zerstörten Gebäudes. Damit das lange, blonde Haar ihr nicht im unpassendsten Moment die Sicht nahm, hatte sie hinter dem Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Das Plasmagewehr, eine Waffe, die sie bereits vor Monaten vom Feind erbeutet hatte, hielt sie dabei fest in ihren schlanken Händen. Ebenso eine Beute der letzten Monate war das Kom-System, das sie trug und die Frequenzbrille, die gegenwärtig die Nacht beinahe zum Tag für sie werden ließ. Dabei war es nicht einfach gewesen, das Kom-System auf eine Frequenz zu eichen, die der Feind nicht benutzte und diese willkürlich gewählte Frequenz zusätzlich gegen eine zufällige Entdeckung durch Frequenzpeiler zu sichern.

Bei ihrem Blick um die Ecke, wäre die junge Frau, noch vor wenigen Monaten, erschrocken zusammengezuckt. Mittlerweile blieb sie kühl wenn sie Soldaten der Konföderation entdeckte, die kaum mehr als zwanzig Meter von ihr entfernt waren. Die Ruhe bewahrend zählte sie insgesamt vier Soldaten der Konföderation Deneb und prägte sich genau ein, wo sie sich aufhielten, bevor sie sich wieder vollkommen in den Sichtschutz der dicken Mauer zurückzog. Dort formte sie lautlos Worte, die von ihrem Kehlkopfmikrofon aufgenommen und an die jungen Männer und Frauen ihres Teams weitergeleitet wurden.

„Sperber-Zwei, hier Sperber-Eins: Vier Wölfe im Zielbereich bestätigt. Hat deine Gruppe ihren Ausgangspunkt eingenommen? Kommen.“

Es dauerte einen Moment, bis eine leise Männerstimme aus ihren Kopfhörern drang. „Sperber-Eins, hier Sperber-Zwei. Vier Wölfe bestätigt. Irgendwie habe ich das Gefühl, die suchen etwas. Keine weiteren Rudel auf einen Klick Radius. Bereit zum Einsatz, Kommen.“

„Sperber-Zwei, hier Sperber-Eins. Ja, sieht fast so aus. Wir rücken vor. Eröffnet erst das Feuer, nachdem wir den Feind abgelenkt haben. Ende und Aus.“

Bei diesen Worten griff sie zum Regler der Nachtsichtbrille und senkte die Leistung auf das absolute Minimum herunter. Hätte sie das nicht getan, dann würde bereits ein einzelner Plasmaschuss sie für eine halbe Minute blenden.

Ein hartes Lächeln huschte bei diesem Gedanken über das ovale Gesicht der jungen Frau. In den letzten zehn Monaten hatte sie sich angewöhnt, bei Beginn eines Feuergefechts, den ersten Schuss ungezielt und dafür in Augenhöhe des Gegners abzufeuern, um ihn zu blenden. Denn die Soldaten der Konföderation Deneb benutzten nachts die gleichen Sehhilfen, wie sie und ihr Team. Erst den zweiten Plasmaschuss gab sie dann gezielt ab. Bisher war diese Taktik bei ihren nächtlichen Guerilla-Überfällen stets aufgegangen.

Sie hielt, für die zwei Kameraden die sie begleiteten gut sichtbar, drei Finger ihrer Linken hoch und deutete dann zweimal auf die gegenüberliegende Seite der Straße. Gleich darauf verrieten ihr einige kaum vernehmbare Geräusche, dass Kelvin Gorlan, Code-Name: Sperber-Drei, seine Deckung hinter ihr verließ und sich auf die andere Straßenseite vorarbeitete. Die Zwanzigjährige verfolgte seinen dunklen Schemen, bis er hinter einem zerstörten Bodengleiter verschwand. Da niemand Alarm gab und auf ihn feuerte, war er offensichtlich unentdeckt geblieben.

Die junge Frau wandte sich zu dem ihr verbliebenen Begleiter um, deutete mit der Hand nach vorne, wo der Feind patrouillierte und schlich lautlos, die Waffe im Anschlag, aus ihrer bisherigen Deckung. Kenji Tanaka, alias Sperber-Sieben, folgte ihr dichtauf. Beide wussten, dass am anderen Ende der Straße Moshe Melnik, mit dem die blonde Frau eben über Funk geredet hatte, gespannt abwartete was nun geschah.

Etwa zehn Meter weiter ging die Hochgewachsene mit Tanaka wieder in Stellung und die Frau spähte vorsichtig über die verbeulte Außenhaut eines zerstörten Bodengleiters. Dem Zustand des Fahrzeuges nach lag es schon eine Weile hier auf der Straße. Den Kopf schnell wieder zurückziehend flüsterte sie ihrem Begleiter zu: „Die scheinen wirklich etwas zu suchen. Ich wüsste nur zu gerne was.“

Tanaka ging nicht darauf ein. Lakonisch erkundigte er sich: „Bereit?“

Die Frau nickte grimmig. „Auf Los geht´s los.“ Eine Sekunde später gab sie das Angriffssignal, erhob sich aus ihrer Deckung und feuerte den ersten Schuss ab.
 

* * *
 

Darweshi Amani Karume verwünschte in Gedanken seine Unachtsamkeit. Am Abend war er von einem Trupp Soldaten der Konföderation Deneb an Bord eines Luftgleiters entdeckt worden, nachdem er seinen Unterschlupf verließ und sich offensichtlich zu weit vorgewagt hatte. Doch die Knappheit an Wasser und Nahrung hatte ihn dazu gezwungen. Zudem hatte er an diesem abgelegenen Zipfel der Welt nicht mit einer Patrouille gerechnet.

Das war heute bereits sein zweiter Fehler gewesen.

Der erste und gravierendere Fehler, den er sich geleistet hatte, war, dass er seine Waffe und seine komplette Sanitäts-Ausrüstung in seinem Versteck zurückließ, das er nicht mehr rechtzeitig hatte erreichen können. So kauerte er nun, mehr oder weniger ohne die Chance sich wirksam zu verteidigen, hinter der Theke dieses ehemaligen Geschäftes für Antiquitäten. In einer menschenleeren Ortschaft und darauf hoffend, vielleicht nicht entdeckt zu werden.

Die Sekunden schienen sich zu einer halben Ewigkeit zu dehnen. Erbittert die Invasoren der Konföderation Deneb verfluchend, zogen innerhalb weniger Augenblicke die Schlüsselmomente der letzten Monate an ihm vorbei.

Er hatte mit seiner Familie, in Tansania, das neue Jahr begrüßt. In der Stadt Musoma, am Westufer des Viktoria-Sees gelegen. Dort war er vom Angriff der Konföderation Deneb auf das Sol-System überrascht worden. Eilig brach er von Zuhause auf, um sich, als Kadett der Terranischen Raumflotte, an seinem Standort zu melden. Der Sektion-Terra in Wellington, Neuseeland. Sein Fluggleiter war unterwegs mitten in den Generalangriff der Invasorenflotte geraten, die vom Weltall aus die großen Städte der Erde unter konzentrischen Beschuss aus den schweren Plasmakanonen ihrer Kriegsschiffe genommen hatte.

Ein Streifschuss hatte seinen Gleiter getroffen, als die Westküste Australiens bereits in Sicht gewesen war. Mit mehr Glück, als es einem einzelnen Menschen zukam, konnte er sich auf das Festland retten, nachdem er den Gleiter, südlich der Insel Tasmanien, notwassern konnte. Nur das nackte Leben retten könnend hatte er sich zunächst in der Küstenstadt Hobard mit dem Nötigsten und Sanitäts-Utensilien versorgt. Schnell feststellend, dass es in Hobard keine Möglichkeit gab, nach Neuseeland überzusetzen, hatte er sich auf den Weg nach Launceston, der zweitgrößten Stadt im Norden von Tasmanien, gemacht.

Einen Gleiter hatte er nicht auftreiben können. So hatte er ein uraltes Gefährt, ein sogenanntes Fahrrad, aufgetrieben und sich auf den Weg gemacht.

Damit hatte seine Odyssee begonnen.

Noch bevor er die Stadt erreichte war die Invasion Terras erfolgt. Zu seinem Glück konzentrierten sich die Raumlandetruppen der Konföderation zunächst auf strategisch wichtige Punkte auf Terra. So hatte er, nach einer Woche die nördliche Küste Tasmaniens erreicht. In einer abenteuerlichen Fahrt über Wasser war er schließlich auf dem eigentlichen, australischen Kontinent angekommen, etwa 250 Kilometer Süd-östlich von Melbourne. Mühsam hatte er sich zu der Metropole durchgeschlagen, um mit Entsetzen festzustellen, dass Melbourne nur noch eine Ansammlung ausglühender Trümmer war. Die phasengesteuerten Plasmakanonen der Armada von Deneb hatten ganze Arbeit geleistet.

Wieder war das Glück ihm hold gewesen. Auf einer verlassenen Farm, etwas westlich der Stadt, war er auf einen Bodengleiter gestoßen, der technisch in Ordnung war. Wo die Besitzer des Gleiters geblieben waren hatte er nicht herausfinden können. Nebenbei hatte er zusätzlich Nahrung und eine Waffe gefunden. Kein modernes Plasmagewehr, sondern eine altertümliche jedoch voll funktionsfähige Projektilwaffe. Wobei er schnell herausfand, dass es sich nicht um eine Jagdwaffe handelte. Viel mehr um ein militärisches Sammlerstück – eine der letzten Railguns, die gebaut worden war bevor moderne Plasmagewehre diese Waffengattung beim Militär ablöste.

Vorsichtig, immer nur bei Nacht und dabei nie mehr, als 50 Kilometer pro Tag zurücklegend, war er die Küste entlang in Richtung Canberra gefahren. Dort hatte er zum ersten Mal Truppen der Invasoren ausgemacht. Die blau uniformierten Soldaten hatten sämtliche Ausfallstraßen kontrolliert, und so kam er zu der Entscheidung einen Bogen um Canberra zu machen, um sich weiter nach Norden durchzuschlagen. Wenn es vielleicht im Hafen von Sydney ein Boot gab, so bestand vielleicht doch noch die Möglichkeit unbemerkt nach Neuseeland zu gelangen.

Umso enttäuschender war es gewesen, auch Sydney in Schutt und Asche vorzufinden. Den Hafen hatte er komplett zerstört vorgefunden, und in dem Tansanier hatte sich zu diesem Zeitpunkt die nüchterne Erkenntnis breitgemacht, möglicherweise für längere Zeit in Australien festzusitzen. Damit rechnend, dass auch die weiter nördlichen Küstenstädte entweder in Feindeshand, oder vernichtet, waren, hatte er sich schließlich nach Westen gewandt. Mit dem Gleiter unbemerkt des Nachts fahrend, bis es mit dem Gefährt nicht mehr weiterging. Am Ende war er wieder zu Fuß unterwegs gewesen.

Am Ende seiner Kräfte und Vorräte hatte er irgendwann, Anfang Juli, die alte, ehemalige Minenstadt Broken Hill erreicht. Zunächst hatte er hier nur zu neuen Kräften kommen wollen und sich in einem der Häuser am Rande der Ortschaft einigermaßen häuslich eingerichtet, nachdem er sich versichert hatte, dass es Energie gab und er somit den noch funktionierenden Nahrungssynthesizer des Hauses benutzen konnte. Mitten in tiefster Nacht angekommen, hatte er bei seinen ersten Erkundungen innerhalb der Ortschaft schnell festgestellt, dass niemand mehr in Broken Hill lebte. Insgeheim hatte er zu diesem Zeitpunkt begonnen sich zu fragen, was mit den Zivilisten der Städte passiert sein mochte, denn auch unterwegs war ihm kaum eine Seele begegnet.

Eine Antwort darauf hatte er bis dato nicht erhalten. Von hier wieder fort zu kommen hatte sich noch in derselben Woche als schwer durchführbar erwiesen. Denn funktionierende Gleiter gab es hier nicht und die feindliche Lufttätigkeit hatte schon zwei Tage nach seiner Ankunft rege zugenommen. So war er vor etwa drei Monaten zu dem Entschluss gekommen, auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten, zumal er in diesem Ort alles hatte, um zu überleben. Und so lag er heute Nacht in einem ehemaligen Geschäft dieser Ortschaft, und versteckte sich vor einer Patrouille der Invasoren.

Sie waren vor etwa einer halben Stunde mit einem Bodengleiter erschienen, wobei sich der Mann insgeheim fragte, ob sie zufällig hier waren oder aber ob sie gezielt nach ihm gesucht hatten, was ihm wenig wahrscheinlich erschien. Viel mehr glaubte er, dass die Patrouille generell nach versprengten Überlebenden forschten.

Dabei wäre Darweshi Karume sehr vieles klarer gewesen, hätte er von der Tätigkeit der Terranischen Resistance gewusst, die sich in den letzten Monaten auf Terra formiert hatte, und deren Aktionen nun langsam von den Besatzern als ernste Bedrohung eingestuft wurden. Doch er war seit seiner Ankunft auf diesem Kontinent von allen Nachrichten abgeschnitten, ein Zustand, der für den Tansanier noch vor einem Jahr absolut undenkbar gewesen wäre.

Irgendwo in dem Geschäft klirrte es leise. Darweshi verharrte absolut reglos und stellte die Vermutung an, es könne in diesem Laden Ratten geben. Doch dann hörte er ein schleifendes Geräusch. Entweder handelte es sich um eine Fünfzig-Kilogramm-Ratte, oder aber noch ein Mensch hielt sich in diesem Raum auf. Es wurde wieder still und Darweshi hätte fast einen Herzschlag erlitten, als eine leise Stimme aufklang, die flüsterte: „Bleiben Sie ganz ruhig hinter der Theke liegen, die suchen nach mir und nicht nach Ihnen. Ich bin desertiert, und wenn die mich entdecken, dann werde ich kämpfen. Tut mir leid, dass ich Sie da nun mit hinein ziehe.“

Darweshi erwiderte nichts darauf, denn vor dem Laden klangen jetzt lautere Stimmen auf. Die rechte Hand des Tansaniers tastete jedoch nach seinem Kampfmesser, das im Moment sein einziges Mittel zur Verteidigung war. Darweshi Karume war sich im klaren darüber, wie schlecht somit seine Chancen standen, falls er etwas unternehmen musste. Doch noch während der Mann fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser brenzligen Situation suchte und dabei gleichzeitig überlegte, in wie weit er der Deserteurin helfen konnte und sollte, nahm auf der Straße eine Entwicklung seinen Lauf, mit der Karume, an diesem einsamen und gottverlassenen Ort, nie und nimmer gerechnet hätte.
 

* * *
 

Ganz so, wie es sich die Anführerin des Sperber-Trupps der Resistance vorgestellt hatte, wurden die vier Angehörigen der Invasoren-Truppe von ihrem ersten Schuss geblendet, als sie sich einem der Läden zuwandten. Der nächste Schuss traf den Soldaten der ihr am nächsten stand, und geradezu unheimlich still ging er zu Boden.

Gleichzeitig handelten Moshe Melnik und dessen drei Begleiter. Aus dem Rücken des Gegners auftauchend bewirkten sie Panik bei den verbliebenen Gegnern.

Lediglich die vierte Person des feindlichen Trupps reagierte schnell genug, um dem Feuerüberfall zu entgehen.

Der erste Schuss, den Kelvin Gorlan auf den verbliebenen Soldaten abgab verfehlte ihn. Doch diesem Soldaten war kein Glück beschieden, denn Gorlan traf ein Fass mit einer brennbaren Flüssigkeit und brachte es zum explodieren. Wenn auch nur zufällig.

Der Soldat wurde von der Druckwelle erfasst und auf der Stelle getötet. Scharfkantige Splitter durchschlugen eine der großen Glasscheiben.

Im Innern des Ladens hatte sich die Frau, die mit Darweshi gesprochen hatte, vom Sperber-Trupp unbemerkt, erhoben um ihre Stellung zu wechseln. Ein Metallsplitter des Fasses sirrte hinter ihr her und traf sie in Höhe der Hüfte. Mit einem gellenden Schrei schlug die Deserteurin irgendwo im Laden auf. Danach war Stille. Die vier Soldaten der Konföderation Deneb lebten zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr.

Wie schon zu einigen anderen Gelegenheiten kam den sieben Widerstandskämpfern das kurze Gefecht im Nachhinein viel länger vor, als es tatsächlich gewesen war.

Als aus dem Innern des Geschäftes ein Schrei ertönte, rannte die Anführerin des Trupps zur Eingangstür und sah durch deren Scheibe. Dabei gab sie Dheran Collard, dem zumeist freundlich wirkenden Aborigine im Team, ein unmissverständliches Zeichen zu folgen und ihr Vorgehen zu sichern.

Mit der Waffe im Anschlag betrat sie den Laden. Was sie sah, ließ sie abrupt stehen bleiben und alarmiert brachte ihr Kamerad seine eigene Waffe in Anschlag.

Am Boden bewegte sich schwach eine weitere feindliche Soldatin, doch das war es nicht, was die Team-Führerin so sehr überrascht hatte. Über die Verletzte gebeugt war ein dunkelhäutiger Mann mit kurzem Haar. Es machte den Anschein, als würde er sie untersuchen. Zumindest schien seine Anwesenheit ebenso mysteriös, wie die der uniformierten Frau auf dem Boden.

Der kräftig gebaute Mann sah zu ihr auf und fragte mit sonorer Stimme: „Woher, zum Teufel, kommen Sie? Nicht dass ich mich über Ihr Hiersein nicht freuen würde, doch bisher hatte ich mich in dieser Ortschaft völlig allein gewähnt und ich hatte mich in Gedanken schon als Gefangener der Konföderation gesehen.“

Immer noch etwas verwundert musterte die Team-Führerin den am Boden knienden Mann und fragte nach einem langen Moment: „Wer sind Sie und was tun Sie hier?“

„Mein Name ist Darweshi Karume und die Geschichte, wie ich herkam, ist zu lang, junge Frau. Helfen Sie mir jetzt lieber mit dieser Verletzten.“

„Das haben wir gleich“, gab die bewaffnete Frau hart zurück und legte dabei auf die am Boden liegende Frau an.

Die Augen des Dunkelhäutigen weiteten sich und entschlossen schob er seinen Körper zwischen die Verletzte und die angeschlagene Waffe. Dabei fluchte er: „Sind Sie völlig von Sinnen? Sie können doch keine Wehrlose erschießen.“

„Diese Verbrecher haben nicht gezögert Zivilisten zu ermorden. Zu Millionen und Abermillionen. Also treten Sie beiseite.“

Statt der Aufforderung nachzukommen untersuchte der Mann die Verletzte wieder und erneuerte seine Aufforderung: „Ich bewohne ein kleines Haus am Rand dieser Ortschaft. Helfen Sie mir jetzt gefälligst, sie dorthin zu bringen. Ein Metallsplitter hat ihren Körper durchbohrt und sie verliert eine Menge Blut. Zu Ihrer Information, die Patrouille war hinter ihr her, weil sie desertiert ist.“

Wütend kam der Mann schließlich hoch und funkelte sein Gegenüber zornig an. „Wenn Sie diese Frau ermorden, sind Sie nicht besser, als die, welche Sie so sehr verachten!“

Für einen Moment maßen sie sich mit Blicken, wobei die Anführerin des Sperber-Teams feststellte, dass der Mann höher gewachsen war, als er zuvor, in kniender Haltung gewirkt hatte. Zudem bemerkte sie erst jetzt seine kräftige Statur. Sie musterte den Unbekannten einem Moment lang und traf eine vorläufige Entscheidung. Dheran Collard ein Zeichen gebend meinte zu ihrem Kameraden: „Hilf ihm mit der Verletzten.“

Damit wollte sie sich abwenden, doch die Stimme von Karume hielt sie zurück.

„Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind und wie Sie heißen, junge Frau?“

Die immer noch zornig wirkende Frau musterte ihr Gegenüber, bevor sie antwortete: „Mein Name ist Famke Korkonnen. Truppführerin des Sperber-Teams der Resistance.“
 

* * *
 

Auf der Straße angekommen versammelte Famke Korkonnen die Mitglieder ihres Teams um sich und erklärte ihnen rasch, was sich im Innern des Ladens ereignet hatte.

Verwunderung spiegelte sich in den Gesichtern der beiden Frauen und der drei Männer wider, als sie von der Halsstarrigkeit des Fremden berichtete.

„Ich schlage vor, wir machen alle beide kalt“, stieß Kelvin Gorlan hervor, der stets für direkte Maßnahmen zu haben war. „Vielleicht gehört der Knilch auch zur Konföderation und das mit der Deserteurin ist nur vorgeschoben.“

Von Alexandra Marsden, Sarah Anderson und Moshe Melnik kam Widerspruch. Die aus Melbourne stammende Alexandra brachte es auf den Punkt. „Kann aber auch stimmen. Wenn wir Unschuldige töten dann wären wir nicht einen Deut besser, als Die.“

Jeder wusste, wen die Schwarzhaarige mit Die gemeint hatte.

Jetzt, da Famke sich wieder etwas beruhigt hatte, war sie geneigt ihr zuzustimmen. Was sie eben zu dem Fremden gesagt hatte, war im ersten Affekt, nach einem Gefecht, passiert. Insgeheim schämte sie sich jetzt für ihre harten Worte, die sie ihm gesagt hatte.

„Wir bringen Sie zu dem Haus, dass dieser Darweshi Karume bewohnt“, entschied sie. „Danach sehen wir weiter. Ich will außerdem wissen, was dieser Kerl hier zu suchen hat. Noch dazu vollkommen allein.“

Die Übrigen bestätigten und Famke wies sie an: „Schnappt euch die Leichen und bringt sie zu ihrem Gleiter. Danach sprengt ihr ihn. Das Ganze soll wie ein Unfall aussehen. Ach, und bringt deren Waffen, Kom-Systeme und Frequenzbrillen mit, soweit diese Gegenstände noch zu gebrauchen sind.“

„Das alles könnte eine Falle der Verletzten sein“, legte Gorlan nochmal nach.

„Darum wirst du auch, gemeinsam mit Kenji, das Terrain erkunden, sobald wir auf dem Weg zu dem Unbekannten sind. Sollte der Fremde Verrat planen, dann werde ich ihn eigenhändig umlegen. Zufrieden?“

Kelvin Gorlan, dessen Haar etwas weniger hell war, als das der Frau, akzeptierte die Entscheidung. Trotz seiner Vorbehalte gegen die beiden Fremden. Danach half er seinen Kameraden mit den toten Soldaten der Konföderation. Die Sprengung des Gleiters, oder besser gesagt die Folgen, würden die Leichen zerreißen und anschließend verbrennen. Die Schussspuren würden dadurch nicht mehr nachweisbar sein.

Famke sahen hinüber zum Ladeneingang, als Darweshi Karume, mit der Verletzten auf seinen Armen, aus dem Laden auf die Straße hinaus trat. In einigem Abstand folgte ihm der Aborigine, ebenso dunkelhäutig wie Karume aber deutlich weniger muskulös.

„Was für ein Brocken“, entfuhr es Sarah Anderson und sie strich sich dabei eine Strähne ihrer schulterlangen, dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht.

Trotz der finsteren Gedanken, denen Famke Korkonnen nachhing, konnte sie nicht umhin zu grinsen, bei den Worten der Kameradin. Wie auch Alexandra stammte sie von diesem Kontinent, wenn auch nicht aus Melbourne sondern aus Geelong, am anderen Ende der Port-Philip-Bucht. Einmal mehr lag ihr das Herz auf der Zunge, wie es schien.

„Werde deswegen nur nicht nachlässig“, mahnte Famke ihre Kameradin. „Besser, wir achten darauf, dass uns keine weitere Patrouille überrascht.“

Sie machten sich auf den Weg. Als sie bereits um die Straßenecke verschwunden waren brüllte hinter ihnen eine Explosion auf. Den Gleiter hatte es, mitsamt der vier Leichen, zerrissen und die thermische Energie dabei löschte alle verräterischen Spuren.

Knapp drei Minuten später verlangsamte Darweshi Karume seine Schritte und sah vielsagend auf eines der Häuser am Ende der Straße. Die Verletzte so auf seinen Armen haltend, als würde er lediglich einen Beutel Federn tragen, sah er zu Famke Korkonnen und sagte ruhig: „Dort drüben ist es. Ich vermute, Sie werden erst einmal das Gelände sichern wollen, um sich davon zu überzeugen, dass ich Sie nicht in eine Falle locken will?“

Die geradezu aufreizende Ruhe des Mannes reizte die normalerweise kühle Blondine und sie musste sich beherrschen, als sie zurückgab: „Das werden wir tatsächlich.“

Sie schickte die zuvor eingeteilten Männer vor und folgte ihnen, zusammen mit dem Fremden an ihrer Seite. Dabei sagte der kräftig gebaute Mann besorgt: „Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass für die Verletzte jede Minute wichtig sein kann. Zum Glück scheint der Splitter einen größeren Blutverlust vorläufig zu verhindern. Aber er muss dennoch raus.“

Erst jetzt kam Famke Korkonnen auf die Idee zu fragen: „Sie scheinen sich in medizinischer Hinsicht etwas auszukennen?“

Der Mann nickte. „Ich hätte normalerweise, im letzten Juni, die Akademie abgeschlossen. An der Sektion-Terra, als Sanitäter bei den Raumlandetruppen. Doch der Angriff der Konföderation hat mir dabei einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

„Sektion-Terra, sagen Sie? Wie kommen Sie dann hierhin?“

„Wie ich Ihnen eben bereits sagte, die Geschichte ist zu lang“, erwiderte der Mann ironisch. „Aber falls Sie mir gleich mit der Verletzten helfen möchten, werden wir vielleicht Zeit finden, um uns darüber zu unterhalten. Was halten Sie von dem Vorschlag?“

„Also schön, Sie Nervensäge.“

Einen Augenblick später gaben Kenji Tanaka und Kelvin Gorlan Entwarnung und zusammen mit Darweshi Karume setzte sich Famke wieder in Bewegung.

„Die Tür ist unverschlossen“, gab der Kräftige Auskunft und die Finnin hielt, mit einer übertrieben galanten Geste, die windschief in den Angeln hängende Holztür für ihn und seine Last, die er auf seinen Armen trug, auf.

Das Innere war gemütlicher eingerichtet, als es der äußere Eindruck des Hauses vermuten ließ. Außerdem hielt der Bewohner offensichtlich auf Sauberkeit.

Der Sperber-Trupp verteilte sich im Haus und sah sich um. Nur Famke Korkonnen blieb bei dem Fremden. Inzwischen glaubte sie nicht mehr an einen Verrat durch ihn. Sie wusste, dass es ein Risiko war, doch sie spürte kein Falsch an diesem Mann.

In einem Raum, von der Straße weg, bettete Darweshi Karume die Verletzte auf ein breites Sofa. Danach begab er sich nach Nebenan, wo ihn Famke, die bei der Bewusstlosen blieb, eine Weile rumoren hörte. Mit einem Kunststoffkasten, Tüchern, einer Flasche Scotch und einer Schüssel heißen Wassers kam er wieder in den Raum zurück.

Die Sachen und die Schüssel stellte er ordentlich auf einen niedrigen Tisch. Er entnahm dem Kunststoffkasten einen Medo-Scanner mit dem er die Verletzte durchleuchtete, wobei er nachdenklich vor sich hin summte. Endlich nicke er zufrieden, legte den Scanner deaktiviert zur Seite und sah Famke auffordernd an: „Machen Sie bitte den Oberkörper der Verletzten frei, wenn ich sie anhebe. Aber zuerst nur auf der unverletzten Seite. Den Splitter möchte ich so spät wie nur möglich entfernen, denn dann beginnen die Probleme.“

Der misstrauische Blick, mit dem die Finnin den ihr fremden Mann plötzlich bedachte, war nicht zu missdeuten und etwas verstimmt meinte er: „Okay, ich gestehe Ihnen ja zu, dass Sie mich nicht kennen. Doch wenn ich tatsächlich bei einer Frau auf dumme Gedanken käme, dann ganz sicher nicht bei einer Halbtoten. Und jetzt: Bitte.“

Er hob die Bewusstlose an und Famke schälte sie auf ihrer linken Seite aus der Uniform. Dabei röteten sich die Wangen der Finnin sichtlich.

Darweshi Karume achtete nicht darauf. Jetzt galt es ein Leben zu retten. Dafür war er ausgebildet worden. Einen leisen Fluch voraus schickend meinte er ruhig. „Ich werde den Splitter nach vorne aus der Wunde ziehen. Zum Glück ist er relativ glatt, wie mir der Scanner zeigte. Außerdem wurden keine Organe geschädigt. Trotzdem besteht die Gefahr, der Frau damit noch mehr Verletzungen zuzufügen, wenn ich nicht aufpasse. Sobald der Splitter raus ist werde ich den Oberkörper der Frau ganz entkleiden und Sie legen sie zurück auf das Sofa. Sobald das passiert ist, kommen Sie hierher, heben die Verletzte an und schieben eins von diesen Tüchern unter die Austrittswunde. Alles verstanden soweit?“

Famke Korkonnen bestätigte und sah gespannt dabei zu, wie der Mann an ihrer Seite eines der Tücher vorsichtig um den scharfkantigen Splitter wickelte, der aus dem Körper der Frau ragte. Dann legte er vorsichtig seine Finger darum.

„Achtung, ich ziehe ihn jetzt heraus. Fixieren Sie den Oberkörper der Frau.“

Mit einer fließenden und dennoch vorsichtigen Bewegung zog Darweshi Karume an dem Splitter, der sich zu seiner Erleichterung nirgendwo verhakte. Als er das blutige Metallstück ganz aus dem Körper der Verletzten gezogen hatte, legte er ihn schnell auf den Tisch und hob die Frau etwas an um ihren Oberkörper ganz freizulegen.

Famke war bereits bei ihm und schob, so wie er sie zuvor angewiesen hatte, eins der weißen sauberen Tücher unter die Austrittswunde der Verletzten.

„Das haben Sie sehr gut gemacht“, lobte der Mann abwesend und griff nach dem Alkohol. Beim Öffnen der Flasche erklärte er: „Leider habe ich kein Desinfektionsmittel, also muss dieser gute Tropfen herhalten. Tränken Sie bitte inzwischen ein Tuch mit heißem Wasser, die Wunde muss zuerst gereinigt werden.“

Famke kam auch jetzt seiner Aufforderung umgehend nach. Dabei beobachtete sie ihn dabei, wie er ein weiteres Tuch mit dem Scotch tränkte und die längliche Wunde damit abwischte. Blut strömte jedoch sofort nach und er reichte mit einer Hand hinter sich.

Famke legte ihm automatisch das mit heißem Wasser ausgewaschene Tuch hinein und der Mann presste es auf die Wunde der Verletzten. Dabei fischte er gleichzeitig nach einem Instrument im Kunststoffkasten, dass entfernt an eine Pistole erinnerte. Allerdings endete der Lauf dieses Instrumentes in einer feinen Kanüle.

Der Mann führte die Spitze der Pistole vorsichtig in die Wunde ein und betätigte eine der Sensortasten. Erst als ein leiser Ton erklang entfernte er das Gerät. Vorsichtig tupfte er erneut die Wunde ab, die jetzt nur noch schwach blutete. Dabei erklärte er: „Das Heil-Gel, dass ich der Verletzten verabreicht habe, fließt nun in ihrem Körper entlang der Wunde und versiegelt dabei die verletzten Gefäße. In einer Minute etwa kann ich damit beginnen, die Eintrittswunde zu nähen. Leider besitze ich kein Instrument zum Versiegeln der äußeren Verwundungen. Also muss ich das nach der guten, alten Steinzeit-Methode erledigen. Zum Glück wird einem das an der Akademie auch beigebracht.“

Famke Korkonnen beobachtete ungläubig, wie der Mann zu Nadel und Faden griff. „Sie wollen die Wunden zunähen? Damit?“

„Ich bin offen für jeden vernünftigen Alternativvorschlag Ihrerseits“, spöttelte Darweshi Karume. Damit begann er, die Eintrittswunde der Verletzten zu vernähen. Nach einigen Minuten verknotete er die Enden der Fäden und sagte abwesend zu Famke: „Sie könnten mir jetzt dabei helfen, die Verletzte vorsichtig auf den Bauch zu drehen.“

Famke Korkonnen kam der Aufforderung auch diesmal nach. Die Austrittswunde hatte bereits komplett aufgehört zu bluten.

Darweshi Karume säuberte die Wundränder nochmals, bevor er auch die Austrittswunde ordentlich vernähte. Zu guter Letzt griff der Mann erneut in seinen Kasten und legte der Verletzten einen Verband an.

„Bitte helfen Sie mir, der Frau wieder etwas anzuziehen“, bat der Mann schließlich, nachdem er erleichtert ihren Puls gefühlt hatte. „Sie wird es hoffentlich schaffen.“

Gemeinsam zogen sie die Soldatin der Konföderation Deneb wieder an, und erst jetzt betrachtete Famke Korkonnen die Bewusstlose eingehender. Ihr Gesicht ließ den Schluss zu, dass es irgendwann einmal asiatische Vorfahren in ihrer Familie gegeben hatte. Die feingeschnittenen entspannten Züge wirkten sympathisch. Etwas, das der Finnin zu schaffen machte, denn damit verwischte sich ihr bisher so starres Feindbild.

Darweshi Karume nahm einen Schluck von dem Scotch und hielt Famke die Flasche hin. „Möchten Sie vielleicht auch etwas?“

„Nein, danke.“

Gerade so, als habe der Mann in ihre Seele geschaut, sagte er nachdenklich zu Famke: „Es fällt schwer in einem Menschen, der so hilflos daliegt, den Feind zu sehen.“

„Ja“, gab die Frau beinahe widerwillig zu. Das Thema wechselnd meinte sie dann feststellend: „Sie haben die Zimmer des Hauses mit einer Schicht isoliert, die es unmöglich macht, Infrarotstrahlung anzumessen. Wir sind hier also sicher, wenn das Bergungsteam der Konföderation auftaucht. Dann will ich jetzt endlich Ihre Geschichte hören, Herr Karume.“

„Darweshi“, verbesserte der Mann, sympathisch lächelnd. Er sah in die strahlend blauen Augen der jungen Frau und begann damit, ihr zu erzählen, was er in den Monaten, seit dem Überfall der Konföderation Deneb auf das Sol-System, erlebt hatte.

Als er endete, erkundigte sich Karume seinerseits: „Wie ist es mit Ihnen, Famke? Was hat Sie nach Australien verschlagen? Oder leben Sie hier schon länger?“

Die blonde Frau lächelte verzweifelt. „Überhaupt nicht. Ich war ebenfalls Kadett im letzten Jahr, an der Sektion-Venus, als der Überfall der Konföderation erfolgte. Hier in Australien hatte ich mit Freundinnen Silvester gefeiert, als es losging. Mit Alexandra und Sarah, die Sie bereits kennengelernt haben. Alexandra ist übrigens ebenfalls Kadett an der Sektion-Venus, so wie ich. Sie war es auch, bei der wir gefeiert haben, bis zu dem Überfall. Der Rest hat sich uns, mehr oder weniger zufällig, angeschlossen. Da es kein Wegkommen gab, beschlossen wir, in den Untergrund zu gehen und Widerstand zu leisten. In den letzten Monaten hatten wir sporadischen Kontakt mit anderen Widerstandszellen. Dadurch erfuhren wir, dass sich überall auf Terra die Resistance formiert und gezielt Sabotage betreibt. Doch wir handeln, nun fast seit Beginn der Invasion, im Grunde weitgehend unabhängig.“

„Das war und ist sicherlich nicht einfach“, meinte Karume und warf einen Blick auf die Bewusstlose. „Wissen Sie, ich glaube trotzdem nicht, dass Sie so hart sind, wie es vorhin in dem Laden den Anschein gehabt hat. Zumindest würde ich das gerne glauben.“

Famke Korkonnen schluckte und erwiderte leise, wobei sie dem Mann zum ersten Mal etwas länger in die Augen sah: „So hatte ich mir meine Zukunft wirklich nicht vorgestellt, Darweshi. Doch die von der Konföderation Deneb haben mir dieses Leben aufgezwungen, und Ihnen wohl auch, würde ich sagen.“

Der Mann sah Famke Korkonnen eindringlich an. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihr Haar länger war, als es zuerst in dem Laden den Anschein gehabt hatte. Die zusammengebundenen und von Natur aus gewellten Haare fielen bis zur Mitte ihres Rückens hinab.

Nach einem langen Moment deutete Darweshi Karume auf die Verwundete, nahm ihr das MFA ab, dass sie noch immer am Handgelenk trug, und sagte entschlossen: „Ich werde diese Frau jetzt nach oben, in den ersten Stock hinauf, bringen. In eins der beiden Schlafzimmer dort. Sie braucht jetzt nämlich dringend Ruhe. Vermutlich wird sie später noch ordentlich Fieber bekommen und leider habe ich keinerlei Antibiotika oder sonstige fiebersenkende Medikamente. Ich kümmere mich um sie, doch es wäre nett, wenn Sie jemanden abstellen könnten, der mich in ein paar Stunden ablöst. Denn ich selbst könnte auch etwas Schlaf vertragen.“

Mit nun wieder etwas finsterer Miene erwiderte die Frau: „Also schön, Darweshi. Ich werde Ihnen in vier Stunden jemanden schicken. Mein Trupp und ich können ohnehin nicht hier weg, bevor die Konföderation ihre Leute gefunden und abtransportiert hat. Aus der Luft wären wir, auf offenem Gelände, selbst bei Nacht, leicht auszumachen und da ihr Haus sicher ist, werden wir also die Gelegenheit nutzen selbst etwas Ruhe zu finden.“

Darweshi Karume nickte, hängte seine Waffe über den Rücken und nahm danach die Bewusstlose vorsichtig auf seine Arme. Famke ein Lächeln schenkend sagte er leise: „Sie sind mir willkommen. Ich hoffe, nachher mit Ihnen über Verschiedenes reden zu können.“

Damit wandte er sich ab und ging, wobei er eine sehr nachdenkliche Frau zurückließ.
 

* * *
 

Oben saß Darweshi Karume am Bett der Verletzten und sah sinnend vor sich hin, während er ab und zu die Temperatur an der Stirn der Bewusstlosen fühlte. In regelmäßigen Abständen tauchte er einen Lappen in eine Schüssel kalten Wassers und legte ihn der Frau auf die Stirn. Dabei kühlte er sporadisch auch die Schlagadern an ihrem Hals und wusch ihr den Schweiß vom Gesicht, dass er mittlerweile eingehender betrachtet hatte.

Die Unbekannte trug an ihrem Uniformkragen die unverkennbaren Rangabzeichen einer Obergefreiten; zwei schmale, goldene Querbalken, übereinander liegend. Sie wirkte noch sehr jung. Möglicherweise war sie noch keine zwanzig Jahre alt, so wie er.

Bei diesem Gedanken grinste der Mann schwach. Sein Geburtstag lag gerade erst einige Tage zurück und er hatte ihn in vollkommener Einsamkeit gefeiert. Bei dieser schmerzlichen Erinnerung wurde ihm klar, dass er von hier weg musste. Unter anderem darüber gedachte er, später mit Famke Korkonnen zu reden. Vielleicht konnte er sich Famke und ihrem Team anschließen. Einen Sanitäter konnten sie bestimmt gebrauchen. Aber was würde dann aus dieser schwerverletzten, jungen Frau werden?

Es frustrierte Darweshi, dass er vorerst keine Antwort darauf finden konnte. In dem Geschäft, in dem sie sich vorhin beide versteckten, da hatte diese Soldatin des Feindes behauptet, desertiert zu sein. Aber stimmte das denn wirklich? Vielleicht hatte dieser blonde Heißsporn in Famkes Team Recht? Vielleicht war das alles wirklich eine geschickt gestellte Falle? Darweshi musterte die Bewusstlose intensiver, so als würde seine Chance dadurch verbessert, die Wahrheit herauszufinden. Sein Gefühl neigte zu der Annahme, dass sie keinen Verrat geplant hatte. Dafür sprach, dass sie ohne sein Eingreifen gestorben wäre. Dass er Sanitäter war, konnte sie wohl kaum gewusst haben.

Darweshi Karume seufzte schwach und wischte der Frau erneut den Schweiß von der Stirn, der sich immer wieder darauf bildete. Ihr Körper begann allmählich auf die Verletzung zu reagieren. Noch immer war nicht gewiss ob sie es schaffen würde.

Es dauerte beinahe zwei Stunden, in denen der Mann immer wieder mit dem kühlen Lappen über das Gesicht und die Halspartien der Frau fuhr, bevor sie eine erste Reaktion zeigte. Ihr Kopf bewegte sich leicht hin und her und ihre Augen bewegten sich sichtlich unter den Lidern. Darweshi vermutete, dass Fieberträume sie in ihren Klauen hielten.

Vorsichtig schob der Mann eine Strähne ihrer braunen Haare aus dem Gesicht der Frau und legte sanft seine kräftige Hand auf ihre Wange, als sie leicht ihren Mund öffnete und ein leises Stöhnen von sich gab.

Mit ruhiger Stimme, im Ungewissen, ob die Frau sie überhaupt wahrnahm, sagte Darweshi rau: „Sie sind in Sicherheit. Versuchen Sie ruhig zu liegen. Sie wurden verletzt aber ich konnte die Verletzung behandeln.“

Die Augenbewegungen der Frau unter den Lidern wurden unruhiger und krächzend fragte sie schließlich, kaum zu verstehen: „Wo bin ich?“

„Vorläufig in Sicherheit“, erwiderte Darweshi einfach. „Haben Sie Durst?“

Die Frau nickte schwach und schnell griff Darweshi Karume zu der Isolierflasche, die er auf dem Nachttisch bereitgestellt hatte. Er schüttete das daneben stehende Glas halb voll, schob seinen linken Arm unter ihre Schultern um ihren Oberkörper etwas anzuheben und führte das Glas an ihren Mund. Zufrieden beobachtete er, wie die Frau trank, bis sie das Glas fast geleert hatte. Danach ließ er die Frau wieder auf das Lager zurück sinken.

Das Glas auf dem Nachttisch abstellend erkundigte sich Karume: „Wie ist Ihr Name?“

„Yunai“, gab die Frau schwach zurück. Im nächsten Moment erschlaffte ihr Körper und erschrocken maß der Mann an ihrem Bett ihren Puls.

Erleichtert nahm Darweshi Karume nach einem Moment seine Finger von ihrer Halsschlagader und murmelte leise: „Hallo, Yunai.“

Für einige Augenblicke hing er seinen Gedanken nach und nahm schließlich die Tätigkeit mit dem feuchten Lappen wieder auf. Diesmal dauerte es nur eine Viertelstunde, bis die Frau erneut zu sich kam und ihre Augen aufschlug.

„Gut, Sie sind wieder da?“

Ein leises Seufzen klang auf und es genügte Karume vorerst als Antwort. Dafür meinte er seinerseits. „Um unsere Vorstellung abzuschließen. Mein Name ist Darweshi.“

„Klingt eher nach einem Beruf“, gab Yunai schwach zurück. Ihr Blick irrte durchs Zimmer und mit etwas festerer Stimme fragte sie, dabei zu einem Sessel deutend: „Würden Sie mir bitte noch diese Decke dort drüben holen?“

Karume nickte. „Gerne.“

Er wandte sich ab und bekam nicht mit, dass die Verletzte, alle Kräfte zusammennehmend, sich aus dem Bett wand um sich die Waffe zu greifen, die er vorhin achtlos an die Wand gelehnt hatte. Erst als er sich mit der Decke in den Händen wieder zu Yunai wandte, sah er sie vor dem Bett stehen; ihn mit seiner eigenen Waffe bedrohend.

Karume fluchte in Gedanken. Das war bereits der dritte Fehler des Tages. Er hatte schlicht die Kraft und die Widerstandsfähigkeit dieser Frau unterschätzt, wie es schien.

Yunai wollte offensichtlich etwas sagen, doch sie öffnete nur langsam den Mund, ohne dass sie ein einziges Wort sprach. Im nächsten Moment entglitt die Waffe ihren Händen und polterte zu Boden. Einhergehend damit, dass die Frau die Augen verdrehte.

Karume ließ in demselben Moment die Decke fallen und machte einen Satz nach vorne. Gerade rechtzeitig um die Frau noch aufzufangen, bevor sie zu Boden fallen konnte. Er bettete sie wieder auf das Lager, hob seine Waffe auf und stellte sie hinter der Tür, in die Ecke, wo Yunai sie nicht wieder so schnell würde erreichen können. Danach deckte er die Frau zu und grummelte dabei: „Ha, das machst du mir aber nicht noch einmal, Mädchen.“

Als Yunai nach einer Weile erneut zu sich kam und spürte, dass Darweshi ihre Stirn kühlte, fragte sie matt: „Warum tun Sie das? Ich habe doch eben...“

„Halten Sie jetzt einfach mal den Mund und ruhen sich aus. Ich registriere den Versuch mit meiner Waffe unter: Partielle Unzurechnungsfähigkeit. Kein Wort mehr davon.“

Die gleichmäßigen Atemzüge der Frau sagten Karume, dass sie seiner Empfehlung bereits Folge leistete. Sie war vor Erschöpfung eingeschlafen.
 

* * *
 

Es war Sarah Anderson, die Darweshi Karume nach vier Stunden ablöste. Der Mann, der sich vor einiger Zeit schon in den Sessel gesetzt hatte und die Verletzte seitdem sinnend beobachtete, sah beinahe verwundert auf, als das etwas mollige Mädchen eintrat. Seine Waffe nehmend, die er über die Knie gelegt hatte, erhob er sich und schritt leise zu seiner Ablösung.

„Sie schläft“, flüsterte Karume und sah kurz hinüber zum Bett. „Ach, und achten Sie bitte gut darauf, Ihre Waffe nicht unbeaufsichtigt zu lassen.“

Im Gehen bekam Darweshi Karume noch mit, wie Sarah etwas befremdet meinte: „Wer macht denn so was?“

In dem Wissen, dass Sarah ihn durch die Tür, die er hinter sich geschlossen hatte, nicht sehen konnte, hob er schuldbewusst die Hand. Er stieg die Treppe hinab zum Erdgeschoss des Hauses und traf im Wohnzimmer, wie erhofft, auf Famke Korkonnen.

Die blonde Frau saß auf dem Sofa, auf dem er Stunden zuvor die Verletzte behandelt hatte und beugte sich über die erbeuteten Waffen. Die Frequenzbrillen und Kom-Systeme hatte sie bereits zuvor durchgecheckt und zur Seite geschoben.

Als Karume sich, ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, in einen Sessel fallen ließ, sah Famke kurz zu ihm auf und deutete auf die Gerätschaften. „Bedienen Sie sich, Darweshi, heute haben wir Frequenzbrillen und Kom-Systeme im Sonderangebot. Die Waffen kontrolliere ich gerade. Zumindest zwei von ihnen scheinen in Ordnung zu sein, im Gegensatz zu dieser Mistkrücke hier. Für die ist der Krieg wohl gelaufen.“

Der Mann lächelte bestätigend und sagte unvermittelt: „Ich würde Sie gerne um etwas bitten, Famke. Eigentlich eher um Zweierlei.“

Famke beendete ihre Untersuchung der Waffe, legte sie seitlich neben die Couch und musterte ihn fragend. „Dann heraus mit der Sprache.“

„Nun, zum Einen würde ich mich gerne dem Team anschließen. Auf mich allein gestellt, werde ich auf Dauer nicht in Freiheit bleiben. Zum Anderen wäre es mir lieb, wenn wir uns nicht so förmlich Siezen würden. Dabei fühle ich mich nicht wohl.“

Ein amüsiertes Lächeln umspielte die Lippen der Frau. „Das ist jetzt irgendwie komisch, denn immerhin war nicht ich es, die damit begonnen hat.“

Darweshi überlegte kurz und stimmte nach einem Moment zu: „Richtig, ich war es ja, der im Laden damit anfing. Das war mir gar nicht mehr so bewusst. Vielleicht kam das durch die Bedrohung zweier mir Fremder, die ihre Waffen auf mich richteten.“

Der feine Spott entging Famke nicht. Sie ging jedoch darüber hinweg und erwiderte beschwichtigend: „Na schön. Also ab jetzt du Nervensäge. Ein Punkt, der in diesem Zusammenhang vielleicht keine ganz unwichtige Rolle spielt: Was wird in dem Fall aus der Frau da oben im ersten Stock?“

„Wie ich sagte: Yunai, das ist ihr Vorname, hatte vor zu desertieren. Sie könnte von Wert für das Team sein, denn sie dürfte ein paar Interna des konföderierten Militärs kennen. Möglicherweise könnten wir davon profitieren.“

„Legst du für sie deine Hand ins Feuer?“

Darweshi Karume rollte mit den Augen. „Das kann ich ebenso wenig für sie, wie du es für mich tun könntest, denn dazu kennen wir einander viel zu wenig. Hör zu Famke: Es war nur eine Bitte. Wenn du dich gegen Yunai entscheidest, dann werde auch ich darauf verzichten dem Team beizutreten und es vielleicht lieber zusammen mit ihr allein versuchen. In dem Fall wäre es nett, wenn du mir trotzdem wenigstens eins der erbeuteten Gewehre und jeweils zwei der Kom-Systeme und Frequenzbrillen dalassen würdest.“

Famke presste die Lippen zusammen. Die kompromisslose Art und Weise des Mannes passte ihr nicht. „Du stellst Forderung nach Forderung. Irgendwann wirst du vermutlich genauso unerschütterlich verlangen, das Kommando über mein Team zu übernehmen.“

„Über diesen Sauhaufen?“, entfuhr es Darweshi prompt. Launig lachend lehnte er sich im Sessel zurück. „Hör zu, wenn es nur das ist, was dir Probleme bereitet, so kann ich dich beruhigen. Denn keine zehn Bodengleiter würden mich dazu bewegen können diese wilde Truppe anzuführen. Außerdem ist der Posten, meiner Meinung nach, bereits sehr gut besetzt. Es ist, wie ich es sagte: Ich bin hier draußen alleine auf Dauer aufgeschmissen und dein Team wiederum könnte vielleicht zukünftig einen Sanitäter ganz gut gebrauchen.“

Hinter der sommersprossigen Stirn der Blondine arbeitete es. Sie sah Karume lang in die Augen, bevor sie endlich meinte: „Nun gut, Darweshi. Du bist in meinem Team willkommen. Aber ich mache dich dafür verantwortlich, falls diese Yunai doch Verrat plant. In dem Fall werde ich nicht nur sie an die Wand stellen, sondern dich gleich mit dazu.“

Etwas verblüfft sah der Tansanier die Frau an, die sich süffisant grinsend bei ihm erkundigte: „Willst du immer noch, zusammen mit dieser Yunai, ins Team?“

Darweshi Karume erwiderte ernst ihren Blick. „Ja, das will ich.“



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