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DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars

von

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Auf unbekanntem Kurs


 

7.
 

Auf unbekanntem Kurs
 

An Bord der VESTERGAARD hatte sich eine gewisse Eintönigkeit breit gemacht, während der letzten beiden Tage. Seit dieser Zeit kreuzte das Kriegsschiff des Terranischen Imperiums, nur 4,3 Lichtjahre vom Sol-System entfernt, bei Alpha-Centauri. Seit dieser Zeit liefen an Bord des Leichten Kreuzers nur die nötigsten Aggregate.

Der Kommandant der VESTERGAARD war dabei kein Risiko eingegangen und sehr nahe der Alpha-Sonne des trinären Sternensystems aus dem Hyperraum gefallen. Danach hatte sich der Kreuzer weiter dem Stern genähert, so dass seine Energiestrahlung die Energieemissionen der auf Minimallast laufenden Systeme des Kreuzers überlagerten. Dabei hielt die Pilotin des Leichten Kreuzers genügend Abstand zu dem Stern, dass die auftreffende Strahlung nicht zu einem Problem werden konnte. Die Schiffspanzerung genügte auf diese Distanz immer noch voll und ganz, um sie abzuweisen.

Außerdem war da auch noch zu berücksichtigen, dass der Kreuzer als vorgeschobener Horchposten zu dienen hatte. So war ein gewisser Mindestabstand zum Stern nötig, um einlaufende Hyperfunk-Signale aus dem Sol-System klar empfangen zu können.

Die gemeinsame Schicht von Kimi Korkonnen und Renée Killkennen ging langsam zu Ende und der Finne freute sich bereits darauf, die Messe aufzusuchen um seinen Hunger stillen zu können, der ihn seit etwa einer Stunde fest in seinen Klauen hielt. Dabei wunderte er sich etwas darüber, dass ihm die Sorge um seinen Freund nicht längst auf den Magen geschlagen war. Denn Dean musste sich, laut Plan, in diesem Moment bereits seit einem Tag im Sol-System aufhalten. Korkonnen hoffte inständig, dass es seinem Freund gutging.

Als der Finne, bei seiner Wanderung durch die Zentrale der VESTERGAARD an der Steuerkonsole vorbei kam, fragte Renée Killkennen, so als habe sie seine Gedanken gelesen: „Was halten Sie von einer kleinen Stärkung in der Messe, sobald unser Dienst beendet ist, Hauptmann? Ich habe einen ziemlichen Hunger.“

„Ich bin dabei, Leutnant“, schmunzelte Korkonnen und blieb schräg hinter ihrem Platz stehen. Einen kurzen Seitenblick auf die junge Frau werfend fügte er belustigt, und etwas ironisch hinzu: „Dieses stetige Umkreisen des Sterns zerrt aber auch an den Kräften.“

Renée Killkennen erwiderte nichts darauf, und so nahm Korkonnen seine Wanderung wieder auf und erkundigte sich bei Hauptfeldwebel Tarrik Barun: „Gibt es bisher irgendwelche Unregelmäßigkeiten?“

„Nein, Sir.“

Korkonnen dankte und wandte sich danach an Leutnant Marius Wolf. „Gibt es neue Erkenntnisse, was die bisher aufgefangenen Funkmeldungen angeht?“

Der Leutnant erwiderte ruhig: „Nein. Es gibt weder eine auffällige Zunahme des Funkverkehrs, noch haben wir bisher militärisch Relevantes empfangen können. Falls der Stoßtrupp der Allianz bereits wirklich im Sol-System eingedrungen ist, so wurde er demzufolge noch nicht entdeckt, wie es scheint.“

Kimi Korkonnen beruhigte sich innerlich, bei den Worten des Angesprochenen. „Danke, Leutnant Wolf.“

Als sich das Schott des Kommandozentrums öffnete und die Kommandantin eintrat, stellte Korkonnen bei einem schnellen Blick auf sein MFA fest, dass die letzten Minuten seines Dienstes erstaunlich schnell verstrichen waren. Während die Kommandantin zu ihm schritt und er seinen Übergabebericht bei ihr abgab, traf auch die Ablösung der übrigen Zentrale-Besatzung ein und übernahm für die nächsten zwölf Stunden.

Als Letzter verließ Korkonnen, hinter Renée Killkennen, das Kommandozentrum des leichten Kreuzers. Nebeneinander schritten sie in Richtung der vorderen Offiziersmesse.

Der Irin war in den letzten Tagen aufgefallen, dass Kimi Korkonnen, ganz entgegen seines vorherigen Verhaltens, nach dem Urlaub auf Wega-IX auffallend schweigsam geworden war. Sie fragte sich, was die Ursache dafür sein konnte. Vielleicht hatten sie sich gestritten. Vielleicht hatte ihm seine Freundin aber auch schlechte Nachrichten überbracht. Wegen dieser letzten Möglichkeit hatte sie den Hauptmann nicht weiter darauf angesprochen, in der Hoffnung, dass er sich ihr in diesem Fall vielleicht anvertrauen würde. Doch er hatte bisher geschwiegen und die Frau brannte innerlich förmlich darauf, bald zu erfahren, was mit Korkonnen los war. Weil es sie traurig stimmte, diesen sympathischen Mann so sehr in sich gekehrt zu erleben. Vielleicht ergab sich beim Essen eine Möglichkeit nachzuforschen.

Nachdem sie sich in der Messe, am Nahrungsmittel-Synthesizer, beide ein opulentes Mal zusammengestellt hatten nahmen die beiden Offiziere an einem der kleineren Tische Platz, wo sie für sich waren.

Renée Killkennen, die begeistert zugriff, beobachtete ihr Gegenüber dabei, wie er nach den ersten Bissen scheinbar lustlos in seinem Essen herumstocherte. Unruhig rutschte sie dabei auf auf ihrem Platz hin und her. Schließlich hielt sie die Schweigsamkeit des Mannes nicht mehr länger aus und fragte offen: „Was ist denn los mit Ihnen, Hauptmann? Seit Ihrem Urlaub auf Wega-IX sind Sie wie ausgewechselt.“

Korkonnen sah etwas abwesend von seinem Essen auf und schien mit sich zu ringen, bevor er mit deprimiertem Tonfall erklärte: „Es ist wegen Miriam. Ich habe sie auf Wega-IX wiedergesehen, aber das hatte ich Ihnen bereits erzählt. Nun, was ich nicht erzählte war, dass ich Miriam vorgeschlagen habe, darüber nachzudenken, ob wir vielleicht heiraten sollten.“

Beinahe erschrocken sah Renée den Finnen an, doch sie hatte sich schnell wieder in der Gewalt und fragte rau: „Kommt das nicht etwas schnell? Wie hat sie darauf reagiert?“

Kimi Korkonnen lachte verzweifelt. „Miriam reagierte in etwa so, wie Sie eben. Ich habe versucht ihr zu erklären, dass das vielleicht der einzige Weg wäre, nicht vielleicht für Jahre voneinander getrennt zu sein. Doch sie fand die Idee trotzdem besch… bescheiden.“

Die Irin strich sich mit beiden Händen ein paar Strähnen ihrer kupferroten Haare hinter die Ohren und fragte dann entsagungsvoll: „Wundert Sie das etwa? Ihre Freundin will einen Heiratsantrag aus Liebe bekommen.“

„Das hat sie doch“, gab Korkonnen frustriert zurück. „Wissen Sie, ich möchte irgendwann auch eine Familie gründen. Nicht jetzt gleich, doch auch nicht erst in zehn Jahren. Keiner von uns weiß, wie lange dieser Krieg dauern wird, und ich habe einfach Angst, dass Miriam und ich uns entfremden, falls wir uns nur noch sporadisch sehen.“

„Irgendetwas sagt mir, dass wir uns dem eigentlichen Problem nähern“, stellte die Irin sachlich fest. „Haben Sie mit ihrer Freundin auch darüber gesprochen?“

Kimi Korkonnen sah Renée direkt an. „Ja, und Miriam gab mir sehr deutlich zu verstehen, dass sie keine Kinder haben will. Nicht in solchen Zeiten. Darüber haben wir ausgiebig diskutiert. Sehr heftig sogar. Am Ende haben wir uns im Streit getrennt.“

„Aber das lässt sich bestimmt wieder begradigen“, machte Renée einen vorsichtigen Versuch, Kimi etwas zu beruhigen.“

Langsam schüttelte der Finne den Kopf. „Nein, ich fürchte nicht. Ich liebe Miriam wirklich, zumindest glaubte ich das. Doch während unseres Wiedersehens im Wega-System hat sich zwischen uns eine Kluft aufgetan und ich spüre, ganz tief in mir, dass wir diese Kluft nicht überwinden können. Darüber bin ich sehr traurig, aber weg zu sehen ist keine Lösung.“

Impulsiv legte Renée ihre Hand auf die von Korkonnen. Zunächst wollte sie sie, erschrocken über ihr Handeln, wieder wegziehen. Doch sie tat es nicht, fast so, als wäre sie paralysiert. Andererseits entzog der Finne ihr seine Hand auch nicht. Endlich schaffte sie es, seine Hand leicht zu drücken und sie wieder loszulassen.

„Das alles tut mir sehr leid für Sie, Hauptmann“, sagte Renée leise. Dabei tat es ihr innerlich weh, Kimi leiden zu sehen. Im Moment schien es ihr auch nicht passend, sich darüber zu freuen, dass der Mann, für den sie mehr als nur Kameradschaft empfand, vielleicht wieder zu haben war. Nicht wenn der Hauptmann dafür am Boden zerstört war.

Der Blonde sah sie dankbar an. „Es tut gut, mit Ihnen darüber reden zu können, Leutnant Killkennen. Das bedeutet mir sehr viel. Umso mehr, als dass mein bester Freund, mit dem ich normalerweise über solche Dinge reden würde, unerreichbar ist.“

„Vielleicht sehen Sie ihn bald“, munterte Renée ihn auf. „Wenn das Unternehmen der NOVA SOLARIS und ihrer Besatzung zu einem Erfolg führt, dann wird er ja bald in diesem Sternensystem auftauchen. Dann ergibt sich vielleicht die Gelegenheit dass Sie auch mit Ihrem besten Freund über all diese Dinge reden können.“

„Ja, vielleicht“, stimmte Korkonnen zu und seine Laune verbesserte sich dabei sichtlich. Mit einem schwachen Lächeln in Richtung der Frau machte sich Kimi endlich über sein Essen her. Dabei fragte er sich, wie es Dean in diesem Moment ergehen mochte.
 

* * *
 

Vor wenigen Minuten hatte Dean Corvin, an der Spitze des Stoßtrupps, den gekaperten Frachter der Konföderation Deneb verlassen. Unbemerkt waren sie zu den Lagerhallen am Rande des Landefeldes gelangt. Durch einen Zugang im Boden der Lagerhalle, der im verriegelten Zustand nicht als solcher zu erkennen war, hatte der Stoßtrupp, inklusive Kim Tae Yeon und Leutnant Léa Le Garrec, einen niedrigen Gang betreten. Dabei wurde Le Garrec klar, dass sie nun keine Wahl mehr hatte, als sich auf die Seite der Eindringlinge zu schlagen. Selbst wenn die Frachter-Pilotin gewollt hätte, wäre ihr nach Kims Anklage gar keine andere Wahl mehr geblieben, als sich Corvin anzuschließen. Wobei sie dem Terraner hoch anrechnete, dass er versucht hatte sie zu schützen, indem er behauptete, die Information über die Gefangenen von ihrem Co-Piloten erhalten zu haben.

Krezirin und der kräftige Unteroffizier aus Diana Spencers Einheit hielten Kim immer noch zwischen sich und achteten darauf, dass sie ihnen nicht entkommen konnte. Vor ihnen bewegten sich Corvin und Diana Spencer an der Spitze, dabei mit ihren Schock-Waffen sichernd; die Plasmagewehre, mit dem Lauf nach unten, quer über den Rücken gehängt.

Die Beleuchtung des mit hellgrauem Kunststoff verkleidete Ganges hatte sich selbsttätig aktiviert, nachdem sie eingetreten waren. Nach Eingabe des korrekten Zugangscodes, durch Corvin, erfolgte offensichtlich keine weitere Kontrolle, wer den Gang betreten hatte. Zumindest ließ sich das nicht verifizieren.

Nach einer Weile führte der Gang in einer weiten Kurve nach links, um später wieder etwas nach rechts abzuknicken.

Anhand der zuvor an Bord des Frachters ermittelten Entfernung des weitgehend zertrümmerten, ehemaligen Hauptquartiers der Terranischen Flotte und der Schritte, die Dean Corvin stumm in Gedanken mitzählte versuchte der Major zu ermitteln, wann sie ihr Ziel erreicht haben würden. Als er der Meinung war, dass sich der Trupp seinem Ziel unmittelbar angenähert haben musste, gab er Diana Spencer ein Zeichen mit der Hand, etwas hinter ihm zurückzubleiben. Jetzt einige Schritte vor der Frau schritt Corvin etwas vorsichtiger aus.

Trotz der widrigen Sichtverhältnisse war zu erkennen, dass der Gang, seit seinem Bestehen, noch niemals benutzt worden war denn eine dicke, gleichmäßige Staubschicht lag auf dem Boden, über den sie gingen. Dean Corvin nieste unterdrückt, rümpfte die Nase und murmelte leise: „Eine Seite des Imperiums die der normale Tourist nie zu sehen bekommt.“

Diana Spencer schmunzelte unterdrückt, bei den Worten des Terraners. Allmählich begann sie, sich an den etwas schrägen Humor des Majors zu gewöhnen.

Im nächsten Moment mündete der Gang in eine Treppe mit breiten Stufen und der Trupp schritt immer weiter aufwärts, bis er schließlich abrupt vor Dean Corvin endete.

Zur Linken des Terraners gab es eine antiquiert wirkende Tastatur – ähnlich jener, die Corvin am Einstieg zur Codeeingabe verwendet hatte. Allerdings hatten die Erbauer hier darauf verzichten können, sie zu tarnen. Wer sich in diesem Gang befand, der wusste logischerweise von seiner Existenz.

Auch hier gab Dean Corvin den Code ein, den er, über den Umweg des Generalmajors Arolic Traren, von Generalleutnant MacPherson erhalten hatte.

Annähernd lautlos verschwand ein Teil der Wandung zur Seite und gab die Sicht auf einen kleinen Lagerraum frei, dessen Bodenfläche kaum mehr als 70 Quadratmeter besitzen konnte. Außer mehreren kleinen Behältern enthielt er keinerlei Güter, so dass der Trupp genügend Platz fand, während sich hinter ihm das Schott zum Geheimgang wieder schloss.

Am gegenüber liegenden Schott sagte Dean Corvin zu Kim Tae Yeon: „Wir befinden uns jetzt auf Höhe der untersten der fünf Tiefetagen. Auf welcher Ebene befinden sich die beiden Gefangene, die hier festgehalten werden?“

Die dunklen Augen der Koreanerin schienen von Innen heraus zu glühen, als sie widerwillig erklärte: „Beide befinden sich im Gefangenen-Trakt auf dieser Ebene. Um dafür zu sorgen, dass dein Trupp eine Fregatte betreten kann, muss ich jedoch zu meinem Büro.“

Corvin lächelte kalt. „Den Versuch nehme ich dir nicht übel. Doch zum Glück weiß ich, dass du dazu nicht in dein Büro musst. Generalleutnant MacPherson hat vor dem Einsatz die Information freigegeben, dass es auf der Etage über dieser einen Kommandoraum gibt, von dem aus du das ebenfalls bewerkstelligen kannst. Was ich jetzt noch wissen will ist: Wie viele Leute sind hier unten aktuell tätig?“

Die Koreanerin presste die Lippen auf einander. Erst als Krezirin etwas Nachdruck anwendete antwortete sie zischend: „Um diese lokale Uhrzeit ist hier unten gar nichts los.“

„Sehr gut“, gab der Terraner zurück und öffnete das Schott. Vorsichtig spähte er auf den Gang hinaus, doch er lag verlassen, was Kims Aussage zu bestätigen schien.

Kim Tae Yeon erklärte Corvin den Weg zum Zellentrakt und es dauerte nur wenige Minuten, bis sie ihn erreicht hatten. Es gab keine Wachen vor dem Schott, da die Zellen ohnehin optisch überwacht wurden.

„Wird der Gang zu den Zellen überwacht?“, fragte Corvin, als sie vor dem Gefangenentrakt angekommen waren.

Kim schüttelte den Kopf.

Corvin nickte in Gedanken. „Aber die Zellen werden ganz bestimmt überwacht. Also werden wir jetzt erst einmal zur Ausweichzentrale marschieren. Dort wirst du die Überwachungsanlage, mit eingefrorenen Bildern der Zellen überlagern. Nachdem du dafür gesorgt hast, dass die Fregatte neben dem Frachter niedergeht und von seiner Besatzung verlassen wird. Dafür wird dir schon eine passende Begründung einfallen, nicht wahr? Aber zuvor wirst du, per Stimmenkommando dieses Schott öffnen. Außerdem wirst du mir sagen, in welchen Zellen die beiden Gefangenen festgehalten werden.“

Wieder funkelte Kim den Terraner wütend an. Sie befahl akustisch das sich das Schott öffnen sollte, und sagte dann: „Die beiden letzten Zellen rechts und links des Gangs.“

Der Terraner beließ, bis auf sechs Leute, den Trupp, unter Spencers Führung, vor dem offenen Schott und setzte sich dann wieder in Bewegung. Dabei jagte ein ganzer Strom von Gedanken durch seinen Kopf. Rian Onoro ahnte nicht, wie nah er daran war, endlich das Versprechen einzulösen, das er ihr vor Monaten gegeben hatte. Doch zuvor gab es noch etwas zu erledigen. Darauf musste er sich konzentrieren.

Sie benutzten keinen der leicht zu überwachenden Lifte sondern stiegen über das Nottreppen-System eine Etage höher. Von dort, wo sie es verließen war es nicht weit zu dem geheimen Kommandoraum, auf dieser Ebene.

Um ihn zu erreichen mussten sie durch ein großes Forschungslabor mit gepanzerten Panoramafenstern zu den Vorräumen auf beiden Seiten. Niemand, der nicht eingeweiht war, hätte auf der anderen Seite des Komplexes den Kommandoraum vermutet.

Wieder war es Dean Corvin, der eine verborgene Code-Tastatur zum Vorschein brachte, indem er seine Hand auf eine bestimmte Stelle der Verkleidung legte und sie in eine Vertiefung drückte.

Wenig später fuhren die Systeme des Kommandoraums hoch und Dean Corvin deutete einladend auf eine der Konsolen. Dabei hielt er sie, außerhalb des Erfassungsbereiches der Holo-Kamera mit seinem Plasmagewehr in Schach. Der Rest des Teams verblieb im Vorraum zum Labor.

„Beim geringsten Versuch uns zu hintergehen stirbst du“, raunte Corvin. In diesem Moment meinte er seine Worte ernst.

Kim, die ihn kurz ansah erkannte seine Entschlossenheit, seine Worte in die Tat umzusetzen, und so wagte sie keinen Verrat. Mit zornloderndem Blick aktivierte sie das Sendezentrum und nahm Kontakt zum Kommandanten einer Fregatte mit dem Namen WIRBELWIND auf.

Dean Corvin bekam mit, wie Kim die Fregatte zur Landung auf dem Raumhafen anwies und befahl, dass die Besatzung das Raumschiff zu räumen hatte. Angeblich weil der Geheimdienst das Raumschiff für eine geheime Mission benötigte. Sie befahl dem Kommandanten, dass er sich mit seiner Mannschaft in exakt acht Stunden am genannten Landeplatz einzufinden habe, um die Fregatte dann wieder zu übernehmen.

Corvin lächelte zufrieden, als er die Bestätigung des Offiziers vernahm unter dessen Kommando die WIRBELWIND stand.

Nachdem Kim auch die Überwachung der Gefängniszellen ausgeschaltet und die Anlage deaktiviert hatte, sah sie Corvin an und fragte zornig: „Bist du jetzt zufrieden, Dean? Wirst du mich jetzt erschießen?“

„Du hast mich nie wirklich kennengelernt!“, schrie Corvin die Frau wütend an, die erschrocken über diesen Ausbruch zurückzuckte. „Sonst würdest du wissen, dass ich ein einmal gegebenes Versprechen halte – obwohl ich jetzt gerade nicht übel Lust hätte, dich wirklich zu erschießen! Und jetzt raus hier!“

Kim verließ den Kommandoraum und Corvin gab den Code ein, der diesen Kommandoraum wieder verriegelte. Danach trat er etwas zurück, hob seine Waffe an und schoss. Ein grell violett glühender Plasmastrahl von einer Viertelsekunde Dauer jagte in die Tastatur und zerschmolz sie komplett. Dean Corvin befahl dem Trupp sich auf den Rückweg zu machen. Wieder übernahm er die Spitze.

Den Abschluss bildete Krezirin, der die Koreanerin am Oberarm gepackt hielt. Als Letzter durchschritt der Raumlandesoldat mit Kim das Schott des Labors.

Der Angriff von Kim kam für den Oberleutnant unerwartet. Zudem hatte Krezirin offensichtlich die Kraft der Frau unterschätzt. Sie versetzte ihm einen Stoß, der ihn durch das Schott in den Vorraum beförderte und gab schnell den geheimen Verriegelungs-Code ein, der ihr als Angehörige des Geheimdienstes bekannt war und der für alle Schotts dieses Komplexes übergeordnete Gültigkeit besaß.

Das Panzerschott des Labors schloss sich rasch hinter Harin Krezirin, bevor dieser realisierte, was geschehen war.

Vor ihm war Dean Corvin aufmerksam geworden und hastete zu Krezirin. Dem Oberleutnant einen wütenden Blick zuwerfend wandte er sich zu dem Panoramafenster, durch das ihn Kim anstarrte.

Corvin eröffnete das Feuer auf die Scheibe, doch ohne eine sichtbare Wirkung zu erzielen. Dabei stieß er heftig aus: „Das ist dieses verdammte Panzer-Glassit-Zeug!“

Der Terraner beobachtete Kim dabei, wie sie sich der Scheibe näherte. Nur diese verdammte Scheibe und etwas Luft stand zwischen ihnen.

Beinahe entschuldigend sah die Koreanerin ihn an und zu Corvins Erstaunen rannen zwei Tränen über ihre Wangen. In einer fast zärtlichen Geste küsste sie ihre Fingerspitzen und legte ihre Hand dann auf die Scheibe – dabei den Terraner nicht aus den Augen lassend.

In beinahe ohnmächtigem Zorn hob Corvin seine Waffe und schlug mit dem Kolben , wie von Sinnen, auf die Scheibe ein, wohl wissend, dass er damit natürlich noch weniger Wirkung erzielte, als zuvor. Doch die Geste der Asiatin schien ihm der pure Hohn zu sein, in Anbetracht dessen, was sie ihm zu Akademiezeiten angetan hatte.

Nach einigen kräftigen Hieben auf genau jene Stelle der Scheibe, an der auf der anderen Seite die Hand von Tae Yeon ruhte, ließ Dean Corvin, mit einem wütenden Schrei, schließlich seine Waffe sinken.

Krezirin näherte sich Corvin und meinte entschuldigend: „Tut mir leid, Sir. Ich war für einen Moment unachtsam. Da werden wir sie so schnell nicht heraus kriegen.“

Corvin machte einen Schritt zurück und zog den Oberleutnant am Oberarm mit sich. „Dann werde ich wenigstens dafür sorgen, dass Sie ihrerseits auch nicht dort weg kommt.“

Damit feuerte er auf den Rahmen des Schotts bis sich das Material des Rahmens, an einigen Stellen, mit dem des Schotts verbunden hatte. Schließlich stieß er aus: „Das hält für einige Stunden, selbst wenn sie sofort Hilfe bekommen sollte, sobald wir weg sind. Doch das halte ich eher für unwahrscheinlich. Kommen Sie, hier können wir nichts mehr tun.“

Harin Krezirin nickte und war froh darüber, dass Corvin seinen Fauxpas nicht weiter erwähnte. Neben Corvin schritt er schnell aus, bis sie den Rest des Trupps eingeholt hatten. Dabei sagte Dean Corvin zu dem Oberleutnant: „Vermutlich wird man Kim dort drinnen erst in einigen Stunden entdecken. Dann spielt es keine Rolle mehr.“

„Es ist meine Schuld, dass sie uns entkommen ist!“, bekannte der Oberleutnant zerknirscht. „Tut mir leid, Major Corvin, diese Frau hätte unseren Leuten bestimmt einiges erzählen können. Außerdem: Wie öffnen wir jetzt die Gefängniszellen?“

„Den Code weiß ich. MacPherson hat Traren wirklich umfassend informiert und dabei an Alles gedacht“, erklärte Corvin. „Vergessen wir es also. Ist ja doch nicht zu ändern.“

Beim Gefängnis-Trakt angekommen sah Diana Spencer den Terraner fragend an, nachdem sie bei den Zurückkehrenden nirgendwo die Koreanerin entdecken konnte. „Haben Sie es sich anders überlegt, und Kim unterwegs...“

„Nein“, schnitt ihr der Kanadier das Wort ab und warf einen bezeichnenden Blick zu Krezirin. „Sie entkam unserem Zugriff, kann aber ihrerseits im Moment keinen Unsinn anstellen, weil sie selbst festsitzt. Das System ist soweit, dass wir die Gefangenen unbemerkt aus den Zellen holen können. Eine Fregatte namens WIRBELWIND wird nahe des Frachters landen, mit dem wir hierher gekommen sind.“

Damit schritt er an Diana Spencer vorbei in den Gang des Gefängnis-Traktes. Hinter ihm gab Diana Spencer Krezirin und Anaris Ikari einen Wink ihr und Corvin zu folgen.

Am Ende des Ganges angekommen gab Corvin zuerst den Öffnungs-Code für die linke Zelle ein, und danach für die Zelle auf der rechten Seite des Gangs. Ungeduldig spähte er in die zuerst geöffnete Zelle, und erkannte einen Mann, der sich halb von seiner Pritsche erhob und ein verblüfftes Gesicht machte, als er ihre schwarzen Uniformen erkannte. Corvin wandte sich ab und schritt rasch in die gegenüber liegende Zelle, in der sich bereits Anaris Ikari aufhielt. Schnell drängte er sich an Ikari vorbei und sah hinunter auf die schlafende Gestalt, die noch gar nichts mitbekommen hatte. Sie schlief friedlich.

Erschüttert sah der Terraner in das abgezehrte Gesicht der jungen Frau und er versuchte sich vorzustellen, welche Qualen und Erniedrigungen sie erlitten hatte. Er schüttelte sich leicht, als ihm der Gestank gewahr wurde, der von ihr ausging. Was hatten diese Verbrecher von der Konföderation sich nur dabei gedacht, sie so vor sich hin vegetieren zu lassen? Welche Menschenverachtung gehörte dazu?

Dean Corvin spürte, dass ihm die Tränen kamen, doch er riss sich zusammen und sagte rau zu Anaris Ikari: „Ich wecke die Gefangene jetzt. Falls sie nicht selbst gehen kann, dann werden wir beide sie in die Mitte nehmen.“

„Verstanden Sir.“

Dean Corvin kniete sich ab und streckte seine linke Hand aus. Ganz vorsichtig, damit sie sich möglichst nicht erschreckte, berührte er sanft die Schulter der Frau. Als sie nicht darauf reagierte, verstärkte er den Druck seiner Hand etwas, rüttelte sie leicht und sagte mit leiser Stimme: Rian Onoro, wachen Sie auf. Wir holen Sie hier heraus.“

Rian Onoro gab einen undefinierbaren Laut von sich und schlug, im Halbschlaf, nach der Hand auf ihrer Schulter. Langsam zu sich kommend realisierte die Frau, dass die Hand an ihrer Schulter real war, denn ihre eigene Hand hatte sie berührt. Sie sah in das Gesicht jenes Mannes, der stets in ihren Gedanken gewesen war, in der letzten Zeit.

„Was für eine Teufelei habt ihr euch jetzt wieder ausgedacht“, fragte sie schwach, weil sie nicht glauben konnte, was sie sah.

„Feldwebel Onoro, ich bin es wirklich. Dean Corvin. Ich habe Ihnen versprochen, dass ich zurückkehren werde. Kommen Sie, wir verschwinden von hier.“

Dean Corvin ignorierte den momentan verwirrten Zustand der Frau. Sich auf die Kante der Pritsche setzend schob er einen Arm unter ihre Schulter hindurch und half ihr dabei sich aufzurichten.

Erst jetzt endgültig zu sich kommend sah Rian Onoro in das Gesicht des Mannes, von dem sie dachte, ihn nie wiederzusehen. Beinahe ängstlich streckte sie ihre zitternde Hand aus und berührte schließlich seine Wange. „Sie sind es wirklich?“

Corvin schluckte und lächelte aufmunternd. „Ja, ich bin es wirklich.“

Mit einer fahrigen Geste zog Rian Onoro sich die dünne Bettdecke weg und erhob sich, mit Corvins Unterstützung, von der Pritsche. Einen Moment lang sah sie den Kanadier einfach nur an, sah das Mitleid in seinen Augen und fiel ihm dann schluchzend um den Hals.

Sich so hilflos fühlend, wie nur einmal in seinem bisherigen Leben, nahm Corvin die Frau in seine Arme. Er bettete ihren Kopf ganz sachte an seine Schulter und ließ sie eine Weile gewähren, bevor er ruhig sagte: „Wir müssen hier weg. Können Sie gehen?“

„Ja“, erwiderte die Frau mit erstickter Stimme. Ein leises Schniefen folgte, bevor sie etwas sicherer sagte: „Sie haben Wort gehalten, Sir. Aber wie...“

„Später, jetzt haben wir keine Zeit für lange Gespräche.“

Sie verließen, hinter Ikari, die Zelle. Auf dem Gang des Traktes trafen sie auf Diana Spencer und Harin Krezirin, die ihrerseits dem baumlangen Schwarzhaarigen erklärt hatten, wer sie waren und warum sie hier waren.“

Als der Name Corvin fiel, da sah der männliche Gefangene zu Diana Spencer und fragte überrascht: „Sprechen Sie von Dean Corvin? Der ist hier?“

„Ja, der Major dort drüben“, gab die Frau bereitwillig Auskunft. „Warum fragen Sie?“

„Weil es hier jetzt gleich Zack-Wumm gehen wird!“, erwiderte Karambalos Papadopoulos erbost und stampfte auf den Kanadier zu.

Rian Onoros Augen weiteten sich, als der Grieche sich näherte. Schützend umarmte sie Corvin und ächzte dabei: „Karambalos, vergiss alles, was ich dir über Dean Corvin gesagt habe. Das war doch nur Theater für die Leute, die unsere Zellen überwachen. Ich wollte denen keine Munition gegen mich in die Hand geben.“

Etwas ratlos blieb Papadopoulos stehen und sah fragend auf Rian hinab. „Du meinst, du hast mich angelogen und dieser Kerl ist gar kein Arsch?“

„So in etwa“, gab Rian kläglich zu. „Tut mir leid.“

„Mann, das wäre aber fast schiefgegangen“, brummte der Hüne. Zu Corvin gewandt sagte er: „Das Missverständnis tut mir leid, Sir.“

„Vergessen Sie es“, gab Corvin drängend zurück. „Raus hier, jetzt!“

Sie setzten sich in Bewegung, wobei Corvin sich nach einer Weile den linken Arm von Rian Onoro um die Schulter legte und seinen rechten Arm um ihre Hüfte legte, damit sie schneller voran kamen. Dabei rief er Diana Spencer zu die Führung zu übernehmen.

Als sie den Geheimgang erreichten sah Rian Onoro den Kanadier etwas aufmerksamer an, als zuvor. Erst jetzt fiel ihr bewusst auf, dass er nicht die terranische Uniform trug, sondern die der Farradeen-Allianz. Außerdem trug er am Kragen seines Kampfanzuges nicht die Insignien eines Oberleutnants, sondern die eines Majors. Die Frau kannte sich aus, was den Beförderungstakt beim Militär betraf und auch in der Allianz wurden Offiziere nicht innerhalb von vier Monaten vom Oberleutnant zum Major befördert. Irgendetwas Seltsames musste in dieser Zeit passiert sein.

„Wie kommen Sie zu den Rangabzeichen eines Majors?“

Dean Corvin sah die Frau an seiner Seite ungläubig an. „Haben Sie keine anderen Sorgen, Feldwebel? Ich werde es Ihnen erzählen, aber die Geschichte ist zu lang, um das jetzt und hier zu tun. Später werden Sie alles erfahren, was sich in den letzten Monaten ereignet hat. Ich vermute mal, man hat Sie darüber weitgehend im Unklaren gelassen?“

„Sogar weitestgehend“, gab die Frau grimmig zurück. „Sagen Sie mal, ekeln Sie sich nicht vor mir? Ich stinke doch bestimmt ganz entsetzlich.“

Demonstrativ packte Corvin die Frau etwas fester in der Hüfte und gab bestimmt zurück: „Nein, Feldwebel, und jetzt halten Sie gefälligst den Mund, wenn´s gefällt!“

Die Frau seufzte schwach, weil sie nicht die Kraft hatte, sich mit dem Mann an ihrer Seite anzulegen. Doch das würde sie schon noch nachholen, schwor sie sich.
 

* * *
 

Als Hauptmann Marquant Gu, Kommandant der WIRBELWIND, die Verbindung zu Major Kim Tae Yeon unterbrochen hatte, sah er sich im Kommandozentrum seiner Fregatte um und meinte verständnislos zu seinem ersten Offizier, Corinne Fabienne: „Das ist doch der reine Wahnwitz. Was, bei allen Heiligen, will der Geheimdienst ausgerechnet mit meiner Fregatte anfangen? Darüber hinaus ohne jede Vorankündigung.“

„Ein wirklich merkwürdiger Befehl“, stimmte Oberleutnant Fabienne zu. „Ist denen vom Geheimdienst etwa langweilig? Was soll denn das?“

„Das werden uns die vom Geheimverein bestimmt nicht erzählen, und einem solchen Priorität-Befehl muss ich Folge leisten“, gab der Hauptmann grimmig zurück. „Aber sobald wir gelandet sind, werde ich bei denen vorstellig, das dürfen Sie wissen. Ich möchte zumindest eine Erklärung haben, was los ist.“

„Soll ich die Besatzung darauf vorbereiten, dass sie unter Umständen schnell wieder an Bord kommen, Sir?“, erkundigte sich Corinne Fabienne. „Nur für den Fall, dass mit diesem Befehl etwas nicht stimmen sollte.“

Der Hauptmann überlegte kurz bevor er zustimmend erwiderte: „Ja, tun Sie das.“

Abwesend beobachtete Gu, wie sein Erster Offizier seinen Befehlen Folge leistete. Dabei grübelte er darüber, dass ihm schon ordentlich Ärger drohen konnte, wenn er sich zu weit über seinen Kompetenzbereich vor wagte. Er hatte bereits zu Beginn seiner Karriere als ziemlich emotional gegolten und er war sich dessen bewusst, dass er gelegentlich über das Ziel hinaus schoss, wenn ihm diese Emotionalität seine Handlungsweise vorgab.

Doch andererseits schien dem Hauptmann dieser Befehl, den er von einem gewissen Major Kim bekommen hatte, mehr als seltsam. Was wollte der Geheimdienst mit seiner Fregatte? Eine solche Übernahme waren an sich nicht ungewöhnlich. Wohl aber die Tatsache, dass sie so kurzfristig und unangemeldet erfolgte, wie in diesem Fall.

Marquant Gu war davon überzeugt, nicht nur ein guter Offizier zu sein, sondern auch einen gewissen Instinkt zu besitzen, der ihm sagte, wenn etwas nicht stimmte. Und dieser Instinkt hatte sich vor einigen Minuten bei ihm zu Wort gemeldet. Dennoch überlegte er momentan, ob seine erste Reaktion die Richtige war.

Erst als sich die WIRBELWIND auf den Bodenbelag des zugewiesenen Landefeldes abgesenkt hatte und die Aggregate herunter fuhren, traf Gu die endgültige Entscheidung darüber, wie er weiter vorgehen würde.

„Oberleutnant Fabienne, beordern sie bitte die Besatzung der WIRBELWIND zur nahegelegenen Raumhafenkantine und begeben Sie sich selbst ebenfalls dorthin. Lassen Sie zuvor an jedes Besatzungsmitglied ein Plasmagewehr ausgeben, ich verantworte das. Bleiben Sie dort und achten Sie darauf, wenn ich über MFA mit Ihnen in Kontakt trete. Eventuell wird sich alles als vollkommen harmlos erweisen. Aber halten Sie sich und die Mannschaft bereit, um schnell zu handeln. In wie fern das dann sein könnte, wird sich dann schon erweisen.“

Die Frau nickte zustimmend. „Ja, Kommandant!“

Wenig später verließen genau 78 Raumfahrer der Konföderation Deneb die Fregatte WIRBELWIND. Eine einzelne Person trennte sich vom Rest der Besatzung, übergab seinem Ersten Offizier seine Waffe und hielt dann, gemessenen Schrittes, auf das weitgehend zerstörte Gebäude des ehemaligen Hauptquartiers der Terranischen Flotte zu. Hätte Hauptmann Marquant Gu geahnt, welche Hintergründe der seltsame Befehl an ihn und seine Mannschaft hatte; er wäre vermutlich nicht gegangen, sondern gerannt.
 

* * *
 

Als sie das Ende des Ganges erreicht hatten wartete Diana Spencer auf Dean Corvin, der Rian Onoro für einen Moment losließ um den Code für das Schott einzugeben. Danach kümmerte er sich wieder um die misshandelte Technikerin, während Diana Spencer weiterhin die Spitze des Trupps übernahm.

Die blonde Frau entdeckte sofort die 147 Meter lange Fregatte, die etwas nach vorne versetzt neben dem Frachter gelandet war. Keiner der Besatzung war auf dem Raumhafen zu sehen. Dennoch schickte Diana Spencer Harin Krezirin los. Er sollte gemeinsam mit Léa Le Garrec erkunden, ob die Luft rein war. Besonders die Frau konnte sich natürlich unauffällig umsehen, da sie in ihrer nachtblauen Uniform keinen Verdacht erregte. Anders als der Rest des Stoßtrupps.

In den blauen Uniformen des Feindes wäre der Kommandotrupp weit weniger aufgefallen, doch sowohl in der Farradeen-Allianz, als auch beim Terranischen Imperium wurde das Tragen einer falschen Uniform mit dem Tod bestraft. Aus geradezu lächerlich erscheinenden Gründen waren Mitglieder der jeweiligen Geheimdienste von dieser Regelung ausgenommen.

Laut der Charta der Raumflotte des Terranischen Reiches, das seit dem Krieg in dem sich die Menschheit in fünf autarke Splitterreiche geteilt hatte, nicht mehr existierte. Die fünf Splitterreiche hatten diesen Passus dennoch, obwohl absolut nicht zeitgemäß, für ihre jeweiligen Kriegsgesetze übernommen.

In diesem Moment verwünschte Diana Spencer diesen Passus. Im Schatten der Lagerhalle wartete sie, zusammen mit dem Rest des Stoßtrupps, während die beiden Offiziere die Lage erkundeten. Über das Kom-Set gab Krezirin nach einigen Minuten bekannt: „Landefeld ist feindfrei, Hauptmann. Sie können den Trupp an Bord bringen.“

Diana Spencer wiederholte das, was Krezirin gesagt hatte und Dean Corvin setzte sich als Erster des Trupps in Bewegung. Der Rest des Stoßtrupps folgte, wobei Diana Spencer den Abschluss bildete.

Als der Kanadier über den Belag des Landefeldes auf die, ganz nach Kims Befehl nicht verriegelte, Fregatte zu hastete, überkam ihn ein Gefühl von Déjà Vu. Auch diesmal würde ein untergebener Offizier im Kommandanten-Sessel sitzen, während er selbst ein entwendetes Raumschiff steuerte. Zum Glück gehörte ein Semester Astronautik auch innerhalb der Farradeen-Allianz zu den Pflichtfächern für angehende Offiziere der Flotte. So konnten ihn Krezirin und Spencer weitgehend unterstützen. Ein Glücksfall war, dass Léa Le Garrec, letztlich zwangsläufig zu ihnen übergelaufen, ebenfalls etwas von der Materie verstand. Damit hatte er im Vorfeld nicht rechnen können.

Für einen kurzen Augenblick dachte er daran, dass er die Fregatte nur bis Alpha-Centauri mit einer Notmannschaft steuern musste. Nach Eris zurückzukehren empfand er als zu riskant, darum vertraute er darauf, dass die versprochene Unterstützung der Neunten Terranischen Raumflotte dort auf ihn wartete.

Im Laufen raunte er dabei seiner Begleiterin zu: „Feldwebel, sobald wir in der Schleuse sind, werde ich Sie einem der Sanitäter übergeben. Denn dann werde ich zum Kommandozentrum der Fregatte sprinten um so schnell wie möglich mit dem gestohlenen Raumschiff von hier zu verschwinden.“

„Wir klauen ein Kriegsschiff?“

Dean Corvin lachte lautlos in der Erinnerung an ihr letztes Zusammentreffen. „Das müssten Sie doch eigentlich schon von mir gewohnt sein, Feldwebel.“

Die Frau grinste breit. „Sie sagen es.“

Harin Krezirin wartete bereits am Fuß der ausgefahrenen Rampe auf sie, während Leutnant Léa Le Garrec bereits hinauf gerannt war, um das Schott zu öffnen.

Dean Corvin trug Rian Onoro mehr die Rampe hinauf, als dass sie selbst lief, wobei die Frau die Energie bewunderte, die dem Kanadier inne wohnte. Wie er es angekündigt hatte, setzte er sie auf dem Boden ab – hektisch und etwas unsanft.

„Etwas mehr Rücksichtnahme, wenn´s gefällt, Herr Major“, beschwerte sich die Frau, doch da war Corvin bereits im Innern der Fregatte verschwunden und seufzend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen die Wand der geräumigen Schleusenkammer.

Diana Spencer bildete zusammen mit Oberfeldwebel Ikari den Abschluss des Trupps. Als Letzte verließ sie die Deckung der Lagerhalle. Fast in demselben Moment setzten die misstönenden Alarmgeber des Raumhafenkomplexes ein.

„Jetzt wissen die von der Konföderation, was Sache ist!“, rief Anaris Ikari grimmig und beschleunigte ihren Spurt zum Raumschiff, so wie auch ihre Vorgesetzte.

„Ach was!“, machte Diana Spencer. Dabei dachte sie wütend: Ich wüsste nur zu gerne, wie die so schnell drauf gekommen sind.

Bei einem Blick über die Schulter erkannte Anaris Ikari einige blau uniformierte Gestalten am Rand des Landefeldes auftauchen. Sie erkannte Waffen und machte ihre Vorgesetzte durch einen alarmierenden Warnschrei darauf aufmerksam.

Als erste die Rampe erreichend ging Anaris Ikari dort kniend in Deckung und riss das Plasmagewehr von ihrem Rücken. Die ersten Energieschüsse der Gegner jagte über ihren Kopf hinweg, als sie das Feindfeuer erwiderte. Mit Erschrecken sah sie, dass Hauptmann Spencer von einem Schuss des Gegners in der rechten Schulter getroffen wurde und nur wenige Meter von ihr entfernt zu Boden stürzte.

Inzwischen hatten die Soldaten des Landetrupps, die in der Schleusenkammer in Stellung gegangen waren und auf sie warteten, reagiert. Wütendes Plasmafeuer schlug den Soldaten der Konföderation von dort aus entgegen.

Anaris Ikari biss wütend die Zähne zusammen, hängte sich ihr Gewehr wieder um und hastete zu ihrer Vorgesetzten, die leblos auf dem Boden lag. Sie fasste unter, wuchtete sich die Frau über die Schulter und rannte, so schnell sie konnte, die Rampe hinauf.

Ein Plasmaschuss strich dicht an ihrer Wange vorbei, als sie die Schleuse beinahe erreicht hatte und Anaris Ikari schrie gellend ihren Schmerz hinaus.

Bevor ihr schwarz vor Augen wurde hechtete sie, mit ihrer Vorgesetzten über der Schulter, in die Schleusenkammer und brachte damit sich selbst und ihre Vorgesetzte außer Feuerreichweite des Gegners. Dass sie von ihren Kameraden weiter ins Innere der Schleusenkammer gezogen wurde, bekam sie nicht mehr mit. Auch nicht das Zittern, dass das Raumschiff in diesem Moment durchlief.

Im Kommandozentrum der Fregatte hatte Dean Corvin die Aggregate hochgefahren und wartete auf das Eintreffen von Diana Spencer, während sich Léa Le Garrec neben ihn setzte und sich mit der Konsole der Navigation vertraut machte.

Krezirin, der an der Ortung Platz genommen hatte, sah Corvin aus brennenden Augen an, als die Nachricht einging, dass Diana Spencer niedergeschossen worden war.

„Dann müssen wir es ohne den Hauptmann versuchen!“, rief Corvin aus. „Krezirin kümmern Sie sich darum, dass jemand den Feuerleitstand übernimmt!“

„Verstanden, Sir!“, gab der Oberleutnant zurück, als Dean Corvin sich längst wieder auf den Start der Fregatte konzentrierte. Dabei sprach er die Frau an seiner Seite, in einem fast tranceähnlichen Zustand an: „Leutnant Le Garrec, programmieren Sie einen Kurs zum System Alpha-Centauri. Wir wollen dicht am Alpha-Stern aus dem Hyperraum fallen. Achtung, die Fregatte hebt mit Notwerten ab.“

Auf dem Haupt-Bildschirm des Kommandozentrums konnten die drei Offiziere und der Hauptfeldwebel, der von Harin Krezirin herbestellt worden war, beobachten, wie der Mars immer schneller unter der Fregatte weg fiel. Eine optische Täuschung, denn es war natürlich die Fregatte, die sich mit hoher Beschleunigung vom Mars entfernte.

Corvin steuerte die Fregatte auf einen Kurs, der zur Wega führte, würde er ihn beibehalten. Dabei fragte er halblaut: „Haben Sie den Kurs programmiert, Leutnant?“

Léa Le Garrec bestätigte: „Ja, Sir!“

Corvin nickte schmunzelnd. Die Frau hatte sich schnell an seine Führungsrolle gewöhnt. An einen Verrat ihrerseits glaubte er ohnehin nicht mehr. „Dann übernehmen Sie für einen Moment das Steuer der Fregatte.“

Damit erhob er sich vom Platz des Piloten und die Frau rutschte auf seinen Sessel hinüber. Corvin begab sich inzwischen zur Konsole des Kommunikations-Offiziers. Nachdem er Eris als Ziel angewählt hatte sandte er einen Richtspruch zum zehnten Planet des Sol-Systems. Nur ein kurzer Impuls, der aus lediglich drei Buchstaben bestand und Irina Hayes darüber in Kenntnis setzen würde, nicht länger auf seine Rückkehr zu warten, sondern mit der NOVA SOLARIS umgehend in Richtung Wega-IX aufzubrechen. Denn spätestens mit der Flucht der Fregatte würde der verantwortliche Kommandeur im Sol-System umgehend einen systemweiten Alarm auslösen.

Wenn die Station auf Eris diesen Befehl nicht bestätigte dann würden die Verantwortlichen der Konföderation Deneb sehr schnell dahinter kommen, dass dort etwas nicht stimmte und dort Nachforschungen anstellen.

Nachdem Corvin die Symbolgruppe zweimal auf der festgelegten Frequenz wiederholt hatte, deaktivierte er die Konsole und nahm wieder seinen Platz ein.

Als die Fregatte WIRBELWIND sich weit genug vom Mars entfernt hatte, aktivierte Corvin die Überlichtaggregate und das Kriegsschiff verschwand aus dem Normalraum. Kaum in den Hyperraum eingedrungen änderte Dean Corvin den Kurs auf die Route, die Leutnant Léa Le Garrec programmiert hatte, nicht ohne den Kurs dabei zu prüfen. Zufrieden mit dem Ergebnis aktivierte Corvin den Autopiloten, der die Fregatte bei Maximalgeschwindigkeit auf Kurs Alpha-Centauri hielt.

„Oberleutnant Krezirin, Sie behalten den Kurs im Auge“, wies Corvin den Raumlandesoldaten an. „Bestellen Sie genügend Ihrer Leute hierher um alle Konsolen besetzen zu lassen und übernehmen Sie vorübergehend das Kommando. Falls der Gegner uns folgen sollte, so geben Sie mir umgehend über das Kom-System Bescheid. Ich möchte nach Hauptmann Spencer sehen. Rufen Sie mich spätestens dann an, wenn die Fregatte weniger als fünf Minuten vom Ziel entfernt ist.“

Krezirin bestätigte.

Mit dem Eintreffen der angeforderten Soldaten verließ Dean Corvin das Kommandozentrum und machte sich auf den Weg zum Krankenrevier der Fregatte.
 

* * *
 

Die beiden Sanitäter des Landetrupps empfingen Corvin mit ernsten Mienen und der Major erkundigte sich ohne große Umschweife: „Wie steht es um Hauptmann Spencer?“

Die ranghöhere Frau erwiderte mit eindringlicher Miene: „Wir konnten den Hauptmann stabilisieren, doch sie braucht innerhalb von zwei Stunden einen Arzt, sonst können wir für nichts garantieren.“

Dean Corvin sah beide betroffen an. „Die Fregatte fliegt bereits mit höchster Überlichtgeschwindigkeit. In etwas mehr als einer Stunde werden wir das Alpha-Centauri-System erreichen. Dort erwartet uns, falls nichts dazwischen gekommen ist, ein Kriegsschiff der Neunten Terranischen Raumflotte. Die werden ein Ärzte-Team an Bord haben. Was ist mit Oberfeldwebel Ikari?“

„Plasmaverbrennungen auf der linken Gesichtshälfte“, gab der andere Sanitäter Auskunft. „Wir haben diese Verletzung bereits behandelt. Der Oberfeldwebel hat reichlich Glück im Unglück gehabt. Nichts Ernstes, Sir.“

Corvin atmete leicht auf. „Wie geht es Feldwebel Onoro?“

„Mir geht es gut genug, um diese verdammte Krankenstation zu verlassen“, ließ sich die Frau aus dem Nebenraum vernehmen. „Alles was ich brauche ist eine Dusche.“

„Sie bedarf noch der Schonung, Sir“, widersprach der Sanitäter. „Es wäre bestimmt besser sie während des Fluges hier zu behalten.“

„Dann werden Sie mich schon hier festbinden müssen!“, kam es wütend aus dem Nebenraum und Corvin grinste breit.

„Legen Sie sich besser nicht mit dieser Frau an“, riet Corvin dem Sanitäter und nickte bedeutungsvoll. Dann meinte er amüsiert: „Dieser Feldwebel hat wirklich eine Dusche verdient. Ich werde Rian Onoro mitnehmen und verantworte das. Falls sie wirklich zu schwach sein sollte, dann werde ich Sie Ihnen zurückbringen, versprochen.“

Damit schritt Corvin in den Nebenraum, in dem sich Rian Onoro bereits auf die Liege gesetzt hatte, um ihm zu demonstrieren, dass es ihr wirklich besser ging.

Der Terraner hatte da so seine eigenen Vermutungen, doch er sah ein, dass eine Dusche und danach etwas Ruhe weitaus mehr bewirken konnten, als in diesem Krankenrevier zu liegen und sich selbst nicht riechen zu können. Abgesehen davon wollte sie nun vermutlich auch ein ihr vertrautes Gesicht sehen.

Als Rian Onoro aufstand wurde ihr prompt schwindelig und Dean Corvin fing sie auf, als sie ihm um den Hals fiel. Der Major legte sich erneut ihren linken Arm über die Schulter und legte wieder seinen rechten Arm um sie. Dabei meinte er raunend: „Lassen Sie bitte zukünftig diesen Blödsinn sein und warten Sie gefälligst, bis ich Ihnen helfe.“

Gemeinsam verließen sie das Krankenrevier, ohne dabei auf die Blicke der beiden Sanitäter zu achten. Zum Glück gab es ganz in der Nähe der Krankenstation einige Offiziersquartiere, von denen sie das am nächsten liegende betraten.

Dean Corvin brachte Rian Onoro in das Bad des Quartiers und die Frau deutete schwach auf den Mundreiniger, der neben dem Waschbecken in einer Wandhalterung hing.

Corvin schritt mit Rian zum Waschbecken, nahm das Gerät und wartete, bis sie den Mund geöffnet hatte, bevor er es vorsichtig hinein schob und aktivierte.

Das Gerät passte sich im Inneren der Mundhöhle nun automatisch in seiner Form an, sonderte ein Sekret ab, dass die Zähne und den gesamten Mundraum innerhalb weniger Augenblicke reinigte. Dabei gleichzeitig einen angenehmen Duft hinterlassend.

Als das Gerät sich, nach getaner Arbeit, selbsttätig wieder deaktivierte nahm Dean Corvin es Rian aus dem Mund und verstaute es wieder in der Halterung. Danach sah er Rian Onoro fragend an.„Können Sie sich selbst ausziehen und in die Nasszelle begeben?“

Die Frau antwortete erst nach einer Weile: „Ich glaube nicht, Sir. Sie werden mir helfen müssen. Das ist hoffentlich in Ordnung für Sie, denn ich will nicht mehr länger so erbärmlich stinken, wie in den letzten vier Monaten.“

„Ich helfe Ihnen, Feldwebel. An Ihrer Stelle würde ich dasselbe wollen, wie Sie. Können Sie wenigstens allein stehen?“

Rian Onoro, die diese Frage ohne weiteres mit einem Ja hätte beantworten können, erwiderte stattdessen unsicher: „Das wird sich zeigen, Sir.“

„In Ordnung, ich lasse Sie jetzt für einen kurzen Moment lang los“, gab Dean Corvin besorgt zurück, dem die Situation bis zu einem gewissen Grad peinlich wurde. Zunächst etwas befangen begann er damit, Rian Onoro zu entkleiden. Vorsichtig hob er den Stoff des zerschlissenen T-Shirts an und zog es der Frau über den Kopf aus. Da einer der beiden Sanitäter den Verband abgenommen hatte, sah Dean Corvin die dunklen Flecke, die von den Blutergüssen stammten, die Kim Tae Yeon ihr zugefügt hatte.

„Erinnerungen an Ihre Ex-Freundin“, murmelte Rian Onoro düster, als sie mit ihren Augen den Blicken des Mannes folgte.

Zorn loderte in den Augen Corvins auf, als er erwiderte: „Dafür werde ich die Verräterin irgendwann zur Rechenschaft ziehen.“

Für den Moment hatte er vergessen, dass Rian Onoro mit nacktem Oberkörper vor ihm stand. Wie selbstverständlich bückte er sich und öffnete die Magnetverschlüsse ihrer Kampfstiefel. Nachdem er sie und die Strümpfe, die sie darunter trug, ausgezogen hatte, wobei er sich Mühe gab nicht angewidert das Gesicht zu verziehen, richtete er sich wieder auf und öffnete ganz selbstverständlich die Verschlüsse der Uniform-Hose. Zusammen mit dem Slip schob er sie nach unten.

Sich bei Corvin festhaltend schlüpfte Rian Onoro aus den Kleidungsstücken, die nun um ihre Füße fielen, und sie klammerte sich dabei weiterhin an den Major.

„Alleine wird das wohl doch nichts“, seufzte der Mann entsagungsvoll und begann damit sich ebenfalls zu entkleiden, was einige Zeit erforderte. Seine Kleidung warf er dabei in das Nebenzimmer. Schließlich ebenfalls nackt hob Dean Corvin die Frau in seinen Armen einfach ein Stück an und trug sie in die Nasszelle.

Als Corvin die vektorisierbaren Wasserdüsen der Zelle aktivierte erzeugten diese einen feinen, wärmenden Wassernebel, der sie beide innerhalb weniger Augenblicke vollkommen durchnässte. Vorsichtig betätigte er den Duschgel-Spender während sich Rian Onoro fest an ihn klammerte und ein wohliges Schnurren von sich gab.

„Das warme Wasser tut so gut“, seufzte Rian, als Dean Corvin damit begann, zuerst ihre Haare, und danach ihr Gesicht und ihren Hals mit sanften, beinahe vorsichtigen Berührungen zu waschen. Nachdem er den Schaum aus ihrem Gesicht und aus ihren Haaren gespült hatte, rieb er ihre Schultern, ihre Arme, die Hände und ihren Rücken ein. Dabei vermied er zunächst unwillkürlich, seine Hände unterhalb ihrer Gürtellinie wandern zu lassen. Erst als Rian Onoro ihn spöttisch deswegen anlächelte wurde ihm bewusst, wie unsinnig das war, angesichts der Tatsache, dass er sie ohnehin am gesamten Körper würde einseifen müssen. Also ging er nach einem Moment des Zögerns in die Knie.

Rian stützte sich mit ihren Händen auf den Schultern Corvins ab, als dieser damit begann nun auch ihren Po und ihre Beine, bis hinunter zu ihren Füßen einzuseifen, die sie abwechselnd anhob. Dabei glaubte sie, ihre Haut würde Feuer fangen, als seine Hände sich an ihren straffen Beinen hinauf bewegten und er schließlich auch ihren Unterleib wusch. Am Ende wanderten seine Hände über ihren flachen Bauch, bis hinauf zu ihren festen Brüsten.

Als Corvin, nun wieder aufrecht vor ihr stehend, beide Brüste beinahe übervorsichtig berührte und ihre dunklen Knospen auf seine sanften Berührungen reagierten, errötete Corvin sichtlich. Umso mehr, als ihn Rian Onoro mit undefinierbarem Blick ansah. Er spürte eine ihrer Hände auf seinem Rücken, und die andere Hand in seinem Nacken, als sich ihr Gesicht seinem näherte. Im nächsten Moment küsste Rian Onoro ihn, und ohne sein bewusstes Dazutun erwiderte er den Kuss. Dabei zog er die junge Frau ganz sacht etwas enger an sich.

Es dauerte mindestens eine volle Minute, bis Corvin begriff, dass Rian Onoro nicht so geschwächt war, wie sie ihm vorgespielt hatte. Mit Nachdruck löste er sich von ihr und musterte sie, halb fassungslos, halb ungläubig.

Um Vergebung bittend sah Rian Onoro den Major von unten herauf an und sagte leise: „Ich fühle mich wirklich noch etwas geschwächt und unsicher auf den Beinen.“

Für einen langen Moment sahen sie sich nur an und Rian nutzte die Gelegenheit um zu fragen: „Weißt du, wann ich das zum ersten Mal tun wollte?“

„Sind wir plötzlich per Du?“

„Wir haben uns geküsst, oder etwa nicht?“

Dean Corvin schwieg und grinste nach einem Moment schwach. Fast gegen seinen Willen. Schließlich räumte er ein: „Das ist ein Argument… Rian. Um deine Frage zu beantworten: Ich vermute, seit wir uns auf Luna getrennt haben?“

Die Frau gab Corvin mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand einen leichten Nasenstüber. „Du bist entweder sehr vergesslich, oder aber du hast mich auf der Treppe zur Festhalle, beim Akademie-Ball in Casablanca, gar nicht richtig angesehen.“

Dean Corvin kramte in der Erinnerung bis ihm einfiel, auf was Rian anspielte. „He, ja klar. Du warst der Unteroffizier, den ich damals auf der Treppe versehentlich angestoßen habe. Hattest du nicht so einen unfreundlichen Kerl als Begleiter dabei?“

„Ja, ein Typ zum vergessen“, knurrte Rian finster. „Ich wollte mich seinerzeit bei dir für dessen Verhalten entschuldigen, doch bevor ich dazu kam, bist du mit deiner blonden Kameradin, die an Bord der KIROV starb, auf die Tanzfläche verschwunden. Später habe ich dich dann vollkommen aus den Augen verloren.“

„Dieses erste Zusammentreffen ist fast drei Jahre her“, erwiderte Corvin überrascht. „Dazwischen gab es doch bestimmt den ein oder anderen Partner?“

Nun war die Reihe an Rian, dass sich ihre Wangen röteten. „Nun ja… äh… Im Grunde meine ich nein. Während meiner Zeit auf Luna hatte ich fast ausschließlich nur Zeit für meine Arbeit. Das Projekt rund um die NOVA SOLARIS hat mich voll und ganz in Anspruch genommen.“

„Oh!“, machte Dean Corvin. Bevor er noch etwas sagen konnte hatte Rian sich wieder seinem Gesicht genähert und sie küssten sich erneut. Diesmal länger als zuvor. Dabei spürte der Kanadier, zum ersten Mal seit seiner Abfuhr bei Andrea von Garding, wieder genau jenes Kribbeln im Magen, wie damals, als er sich in die deutsche Kameradin verliebt hatte.

Schließlich war es Rian Onoro, die sich von Corvin löste und mit leiser Stimme meinte: „Meine Haut fängt an schrumpelig zu werden, Dean. Ich möchte mich jetzt abtrocknen und etwas ausruhen. Hilfst du mir beim Abtrocknen?“

„Übertreib es nicht“, warnte der Major spöttisch.

„Hat dir das Einseifen etwa nicht gefallen?“, fragte sie herausfordernd. „Ich hatte da eben aber einen ganz anderen Eindruck.“

Bei diesen Worten langte Rian mit einer Hand hinunter und ihre tastenden Finger spürten deutlich seine Erregung. Dabei sagte sie bedauernd: „Ich wollte, es ginge mir besser.“

Dean Corvin, dessen Wangen und Ohren sich erneut röteten, erwiderte nichts darauf. Stattdessen deaktivierte er die Wasserdüsen, aktivierte dafür die Warmluftanlage der Nasszelle und hielt Rian Onoro etwas auf Abstand zu sich selbst, damit sie beide vollkommen von dem belebenden Luftstrom erfasst werden konnten. Dabei meinte er belustigt: „Kein händisches Abtrocknen nötig. Ein Hoch auf die moderne Technik.“

„Du bist ja so romantisch“, beschwerte sich Rian, gespielt verdrossen. Dabei ließ sie es zu, dass Dean sie an die Hand nahm und aus der Zelle führte.

Als eine Art Wiedergutmachung legte Dean der jungen Frau eines der beiden flauschigen weißen Badetücher über die Schultern und wickelte sie behutsam darin ein, bevor er sich das zweite Badetuch nahm und um seine Hüften wickelte. Dann hob er Rian, die ihn überrascht musterte, auf seine Arme und trug sie in den Schlafraum des Quartiers. Vorsichtig bettete er sie auf das weiche Lager und legte sich dann neben sie.

Sanft ihre Wange streichelnd sah er sie an und sagte, plötzlich sehr ernst: „Ich bin sehr froh, dass du nicht länger in den Händen der Konföderation bist, Rian. Jeden verdammten Tag, in den letzten vier Monaten, habe ich mit dem Schicksal gehadert. Dich auf Luna zurücklassen zu müssen war beinahe unerträglich. So etwas will ich nie wieder tun müssen.“

Rian legte ihre Hand auf seine und umklammerte sie fest. Dabei füllten sich ihre Augen unaufhaltsam mit Tränen.

Dean Corvin, der ahnte, dass in diesem Moment der Ruhe alles nochmal an die Oberfläche gespült wurde, was Rian in den letzten Monaten erlitten hatte, so wie in der Zelle, nahm sie ganz liebevoll in die Arme und bettete ihren Kopf an seine Schulter. Dabei flüsterte er: „Lass jetzt auch das raus, was du in der Zelle noch zurückgehalten hast, Rian. Lass alles raus, dann wird es dir hinterher besser gehen. Ich werde ab jetzt für dich da sein.“

Rian Onoro zitterte am gesamten Körper, als sie ihrem seelischen Schmerz nachgab. Sie schrie zwischenzeitlich, wild und hemmungslos und krallte sich dabei so fest an Dean Corvin, als habe sie Angst, er könnte sich zwischen ihren Fingern auflösen, würde sie ihn auch nur etwas weniger stark festhalten.

Mit beruhigendem Tonfall versicherte der Major ihr immer wieder, dass ihr Martyrium nun endgültig vorbei sei und dass sie sich nun in Sicherheit befand. Dabei nahm er Zuflucht zu stereotypen Worten, die er ständig wiederholte. Leise und mit sanftem Tonfall verfehlten sie ihre Wirkung nicht.

Mit der Zeit immer ruhiger werdend schmiegte sich Rian an Dean Corvin, wobei ihre fast eiserne Umklammerung sich langsam lockerte. Schließlich hielt sie ihn so sanft in ihren Armen, wie er sie. Endlich rieb sie sich über die Augen und sah den Mann in ihren Armen fragend an. „Hast du das eben ernst gemeint? Ich meine, dass du für mich da sein wirst?“

Dean Corvin sah fest in Rians Augen. „Ja, das war mein voller Ernst. Ich werde Generalmajor Traren, ihm unterstehe ich aktuell, und General Mbena davon überzeugen, dass ich dich für den Dienst an Bord der NOVA SOLARIS unbedingt brauchen werde. Wenn du willst, heißt das. Du kennst dich mit diesem Kreuzer so gut aus, wie kaum sonst jemand, wenn ich mich nicht irre.“

Rian Onoro nickte schwach und fragte dann: „Wo ist die NOVA SOLARIS momentan? Wer kommandiert sie?“

„Das wird dir jetzt gefallen, schätze ich“, schmunzelte Corvin und machte eine kleine Kunstpause, bevor er damit herauskam: „Ich bin der Kommandant des Leichten Kreuzers. Wie es dazu kam werden wir aber an einem anderen Tag erörtern, denn diese Geschichte ist zu lang, um sie bis Alpha-Centauri auch nur zur Hälfte zu erzählen.“

Der Kanadier beugte sich vor und küsste Rian sanft auf die Lippen. „Jetzt solltest du aber wirklich ruhen und etwas Schlaf nachholen. Ich selbst werde mich wieder zur Zentrale der Fregatte begeben. Wenn wir das Terranische Kriegsschiff dort antreffen, dann werde ich dafür sorgen, dass man neben einem Ärzte-Team auch eine Uniform in deiner Größe und mit den entsprechenden Rangabzeichen zur WIRBELWIND schickt.“

Rian Onoro nickte, zaghaft lächelnd. Sie legte das Badetuch ab und schlüpfte unter die Bettdecke.

Dean Corvin deckte die junge Frau zu und legte noch einmal ganz sanft seine Hand auf ihre Wange, bevor er sich nach Nebenan begab, wo seine Uniform lag.



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