DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars von ulimann644 ================================================================================ Kapitel 6: Schatten der Vergangenheit ------------------------------------- 6. Schatten der Vergangenheit Im wahrsten Sinne zerschlagen sank Rian Onoros geschundener Körper auf die Pritsche in ihrem Quartier, als ihre beiden Bewacher sie losließen und die Zelle verließen. So sehr, wie in den letzten Stunden, war sie bisher noch nie misshandelt worden. Dabei hatte sich, einmal mehr, auch Kim Tae Yeon persönlich an den Misshandlungen beteiligt. Zum Ende des Verhörs hin hatte die Koreanerin sogar mehrmals auf sie eingetreten. Einer der Militärärzte der Konföderation hatte sie unmittelbar nach diesem letzten Verhör reanimieren und anschließend behandeln müssen. Dabei wusste Rian Onoro nicht zu sagen, ob das heftige Wortgefecht zwischen dem Arzt und Kim tatsächlich stattgefunden hatte, oder ob das lediglich ihrer, zu diesem Zeitpunkt umnachteten, Fantasie entsprungen war. Mit eingefallenen Wangen und leerem Blick lag sie auf der Pritsche, vollgepumpt mit den Medikamenten die der Arzt ihr verabreicht hatte. Er schien Mitleid mit ihr gehabt zu haben, denn zum ersten Mal seit Wochen verspürte sie keine Schmerzen, als sie nach einem Verhör wieder zu sich kam. Um ihren Leib, unterhalb ihrer Brüste, bis hinab zu ihrem Bauchnabel, hatte der Arzt einen straffen, flexiblen Verband angelegt. Für einen Moment schloss Rian Onoro die Augen und achtete darauf, gleichmäßig ein und wieder auszuatmen. Dann fragte sie mit krächzender Stimme: „Karambalos?“ „Anwesend!“, kam es dunkel zurück. „Was hat diese Geheimdienst-Schlampe heute wieder mit dir angestellt?“ Ein kratziges Lachen, das in den Ohren der Erzeugerin seltsam klang war die erste Antwort, bevor sie zugab: „Diesmal hat sie mich ganz schön in die Mangel genommen. Das verdammte Miststück kapiert einfach nicht, dass ich ihr nichts sagen will.“ Weil ich ihr gar nichts sagen KANN, dachte Rian verzweifelt. Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Atmung, bevor sie wieder das Wort ergriff. „Weißt du, was komisch ist? Diese Verbrecherin macht auf mich den Eindruck, als würden da ziemlich heftige Gefühle für diesen verfluchten Dean Corvin in ihr toben. Jedenfalls fragt sie mich, während beinahe jeder ihrer Folter-Sitzungen, nach dem Typ. Fast könnte man auf die Idee kommen, sie bewundert diesen Scheißkerl. Vielleicht ist da sogar noch mehr.“ Richtig so. Gib den Leuten, die dich abhören, mal was zum Nachdenken, dachte die Frau dabei grimmig und von Zorn erfüllt. Die wissen nicht, dass mir Dean verraten hat, was da lief, und vielleicht wissen die nicht einmal von der Tatsache an sich. Es dauerte eine Weile, bevor Papadopoulos sich neugierig erkundigte: „Willst du damit etwa sagen, dass unsere Peinigerin und dieser Corvin sich kennen? Rian Onoro nutzte die Steilvorlage des Griechen dazu ihr kleines Rollenspiel etwas auszuweiten, wobei sie in Gedanken bedauerte, den Mitgefangenen anzulügen. „Keine Ahnung, aber irgendwie werde ich diesen Gedanken nicht mehr los. Dieses koreanische Miststück benimmt sich jedenfalls so, als wäre da etwas gewesen. Sehr viel mehr gewesen, als bloße Freundschaft, wenn du verstehst, was ich meine.“ „Ach du Schande!“, rief Karambalos Papadopoulos prompt aus. „Wenn das zutrifft, dann wird es vermutlich Zack-Rums und Peng gehen, wenn die sich nochmal über den Weg laufen! Aber vielleicht irren wir zwei uns ja auch, und die beiden fallen sich stattdessen in die Arme. Was hältst du von dieser Theorie?“ Das erzähle ich dir ganz bestimmt nicht, dachte Rian Onoro, die allein bei diesem Gedanken wütend wurde. Stattdessen gab sie mürrisch zurück: „Zuzutrauen wäre es ihnen.“ Entschuldige bitte, Dean, dachte Rian Onoro mit geschlossenen Augen. Falls ich das hier nicht überleben sollte, so hoffe ich inständig, dass du nie erfahren wirst, was ich alles über dich gesagt habe. Falls ich es aber doch überlebe, und wir uns wiedersehen sollten, so werde ich mich aufrichtig bei dir entschuldigen, für all diese schlechten Dinge, die ich über dich gesagt habe. Aber doch nur, zum Zweck der Irreführung. Sie hörte Schritte auf dem Gang und zuerst befürchtete sie, dass man sie bereits wieder abholen wollte, um sie erneut zu foltern und zu verhören. Doch dann vernahm sie die Stimme von Karambalos, der offensichtlich nicht begeistert davon zu sein schien, dass er nun an der Reihe war, zum Verhör abgeholt zu werden. Nach einer Weile wurde es wieder still draußen, und Rian Onoro beschloss, etwas auszuruhen und Schlaf zu finden, solange die Medikamente noch ihre Wirkung taten. Einen Moment später schlief sie bereits tief und traumlos. * * * An anderer Stelle blickte Larenan Farralen sinnend auf den Holo-Monitor, der die Zelle von Rian Onoro zeigte. Die Worte der Gefangenen erzeugten auch jetzt noch ein Ziehen in seiner Magengegend, denn er fragte sich, ob sie vielleicht zutrafen. Er hatte Kim Tae Yeon bereits vor einigen Monaten auf Dean Corvin angesprochen. Damals war sie beinahe explodiert und sie hatte ihn als einen Crétin der den Tod verdient bezeichnet. Doch bereits damals hatte ihn die Emotionalität der Koreanerin nachdenklich gestimmt. Denn so emotional wurde man nicht bei Menschen, die einem egal waren. Farralen strich sich mit der Hand über das glatte, dunkelblonde Haar. Vor einigen Tagen hatte Kim vorgeschlagen Agenten nach Delta-Cephei zu entsenden. Vordringlich, weil dieses System zu den beiden wichtigsten Kolonien des Imperiums zählten. Doch mittlerweile hatte Larenan Farralen in Erfahrung gebracht, dass der Experimentalkreuzer, der ihnen knapp durch die Lappen gegangen war, vermutlich dorthin geflogen war. Nun fragte sich der Chef-Agent des Sol-Systems, ob nicht doch mehr hinter dem Vorschlag seiner Freundin steckte. Seit einigen Monaten waren sie offiziell ein Paar. Sie hatte davon profitiert, sich von ihm für die Konföderation anwerben zu lassen, denn unter normalen Umständen wäre Kim Tae Yeon bestenfalls Oberleutnant gewesen. Durch geschicktes Verhandeln ihrerseits hatte sie es, nach ihrem Verrat am Terranischen Imperium, erreicht, als Major in den Dienst der Konföderation übernommen zu werden. Doch auch er selbst war dabei gut weggekommen. Der Alleinherrscher über die Konföderation persönlich hatte ihn, im vorletzten Monat, auf Denebarran ausgezeichnet und ihn zum Oberstleutnant befördert. Gleichzeitig hatte der Diktator von Deneb ihn zum Chef-Agenten des Sol-Systems ernannt, was ihm dort beinahe unumschränkte Macht verlieh. Nach seiner Rückkehr von Denebarran hatte er damit begonnen, die Ortungsstationen im Sol-System aufrüsten zu lassen, für die Zwecke der Konföderation Deneb. Die hauptsächliche Schwierigkeit, die sich dabei ergab war, die terranischen Systeme dahingehend anzupassen, dass es auch bei aktiven Störsendern der Konföderation Deneb keine Missweisungen mehr gab. Das führte dazu, dass momentan beinahe alle ehemals imperialen Ortungsstationen deaktiviert waren. Nur die polaren Ortungsstationen der beiden äußeren Planeten funktionierten bereits einwandfrei. Das war auch der Grund dafür, dass der Großteil der konföderierten Flotten, die zu Beginn des Jahres dieses System überfallen hatten, zur Zeit im interplanetaren Raum verteilt war und Patrouillendienst verrichtete. Das Gros der Flotte rund um Terra und zwischen den Planetenbahnen von Saturn und Uranus. Larenan Farralen machte sich im Moment keine Sorgen über einen Gegenschlag der Flotten des Terranischen Imperiums. So schnell würden sie kein Gegenmittel gegen das neue Störsystem der Konföderation Deneb finden, und so lange würden sie sich hüten anzugreifen. Der Oberstleutnant ging davon aus, dass die Imperialen aktuell die beiden Systeme Wega und Delta-Cephei signifikant befestigten. In diesen beiden Sternensystemen konzentrierte sich, nach den letzten Agentenmeldungen, das Gros ihrer gesamten Streitmacht. Dabei bildete die Flottenkonzentration bei Wega, nach Farralens Ansicht, die größere Bedrohung, denn dieses System verfügte nicht nur über das größte Industriepotenzial des ehemaligen Imperiums, sondern Wega lag gerade mal 27 Lichtjahre vom Sol-System entfernt. Ein Anflug von dort ließ sich also in weniger als sieben Stunden bewerkstelligen. Doch das galt für beide Seiten. Larenan Farralen machte sich viel mehr Gedanken über seine Freundin. Er fragte sich, welche Überlegungen sie wirklich zu ihrem Vorschlag bewogen hatten. Fühlte sie vielleicht viel mehr für diesen Dean Corvin, als sie bisher zugegeben hatte? Die Worte der Gefangenen konnten eine Irreführung sein, doch selbst nachdem sich der hochgewachsene Mann dies mehrfach gesagt hatte, blieb ein Rest von Zweifel in ihm zurück. Schließlich traf Farralen eine Entscheidung. Sich straffend wandte er sich an den Leitenden Wachhabenden der Gefangenen-Überwachung. „Behalten Sie die Gefangenen weiter unter Beobachtung.“ Damit schritt der Einunddreißigjährige zum Schott hinaus und machte sich auf den Weg zum Büro seiner Freundin. Er hatte beschlossen Tae Yeon aufzusuchen um mit ihr endlich ausführlich über einen gewissen Dean Corvin zu sprechen. Als der Oberstleutnant kurz darauf in das Büro seiner Freundin eintrat, nachdem er sich bei ihr angekündigt hatte, fand er sie in einem nachdenklichen Zustand vor. Während sie bei den Verhören von Rian Onoro stets persönlich anwesend war schienen sie die Verhöre des Riesenkerls, der momentan wieder an der Reihe war, nicht sonderlich zu interessieren. „Worüber grübelst du so intensiv“, erkundigte sich Farralen bei Kim statt eines Grußes und erntete dafür einen scharfen Blick von ihr. „Was ist denn mit dir los?“, erkundigte sich die Koreanerin prompt bei ihm und erhob sich aus dem Sessel hinter ihrem Schreibtisch, in dem sie bisher zurückgelehnt gesessen hatte. „Hast du irgendwelchen Ärger gehabt?“ Sie kam zu ihm und Larenan Farralen wiegelte schnell ab: „Nein, ich bin nur etwas überarbeitet, das ist alles. Ich habe übrigens nochmal über deinen Vorschlag nachgedacht, Agenten nach Delta-Cephei zu entsenden. Ich finde, momentan ist es wichtiger, dass das Wega-System überwacht wird. Wenn uns Ungemach droht, dann von dort.“ „Ungemach“, echote Kim belustigt, ohne sich anmerken zu lassen, was sie in Bezug auf seine Entscheidung dachte. „Woher hast du denn den alten Ausdruck?“ Farralen wurde unsicher, was seine vorangegangene Vermutung betraf. Schließlich beschloss er es mit einer Finte zu probieren, während er Kim in seine Arme nahm. Ihr hübsches Gesicht nah vor seinem sah er in ihre Augen und sagte, wie nebenbei: „Ich habe erfahren, dass du diesem Dean Corvin einmal näher standest, als du mir gegenüber bisher zugeben wolltest. Warum hast du mir das verschwiegen?“ Kim Tae Yeon schob ihren Freund ein Stück von sich und funkelte ihn mit ihren dunklen Augen an. In demselben Moment erkannte der Mann, dass er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. „Das war lange vor deiner Zeit und geht dich verdammt noch mal rein gar nichts an!“, fuhr Kim ihren Freund wütend an. „Das ist längst Vergangenheit. Warum interessiert dich das überhaupt? Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“ Farralen grinste humorlos. „Wir reden von dem Kerl, der den wichtigsten Kreuzer des bekannten Weltalls, direkt vor unserer Nase, aus dem Sol-System entführt hat. Da wunderst du dich darüber, dass ich hellhörig werde, wenn ich erfahre, dass meine Freundin mal etwas mit diesem Mann hatte? Und dann willst du mich dazu überreden, Agenten in eben jenes System zu entsenden, in das er den Kreuzer vermutlich gebracht hat. Entschuldige, aber da ist doch wohl die ein oder andere Frage angebracht.“ „Was genau willst du wissen?“, erkundigte sich Kim schnippisch bei ihrem Freund. Vielleicht ein paar schmutzige Details? Willst du wissen, wie gut er im Bett war?“ Wütend ließ Farralen Kim los und begann in dem kleinen Büro herumzuwandern. „Hör auf damit! Wenn einer wütend sein sollte, dann bin ich das doch wohl. Hier geht es nicht darum, dass du etwas mit ihm hattest, sondern darum, wie du emotional zu ihm stehst. Gegenwärtig, meine ich. Ein instabiles Element in meiner Einheit ist das Letzte, was ich gerade gebrauchen kann, Tae Yeon.“ „Ein instabiles Element?“, fauchte Kim zornig. „Das bin ich also für dich? Wenn das so ist, dann verschwinde und lass mich in Ruhe!“ Larenan Farralen schluckte seinen Ärger und konterte geistesgegenwärtig: „Ich bin hauptsächlich dienstlich hier. Der Transporter mit den Protokollen der Eris-Ortungsstationen wird bald eintreffen. Ich möchte, dass du dem Pilotenteam persönlich Order gibst, dass sie im Anschluss nach Pluto weiterfliegen. Die Order zur Aufnahme des Nachschubs für den dortigen Stützpunkt habe ich bereits erteilt. Mach denen etwas Dampf, die haben sich nach Eris und zurück nämlich viel zu viel Zeit gelassen, nach meinem Geschmack. Wenn du bei denen etwas Dampf ablässt, so wird das seine Wirkung nicht verfehlen.“ Der Mann ging grußlos, wie er gekommen war. Fassungslos sah Tae Yeon ihm hinterher und als das Schott sich bereits hinter ihm geschlossen hatte, zischte sie vibrierender Stimme: „Wie du mich eben behandelt hast wirst du noch einmal sehr bedauern, mein Freund.“ * * * Etwa zu derselben Zeit befand sich der Transporter POLARSTERN noch etwas mehr als eine Flugstunde vom Mars entfernt. Das Team um Hauptmann Spencer hatte die Pilotin des Frachters, und ihren Navigator, problemlos überwältigt, kurz nachdem ihr Frachter auf der Landeplattform der Kontrollstation, auf Eris, gelandet waren. Die NOVA SOLARIS hatten die beiden Raumfahrer dabei nicht bemerkt, was Dean Corvin positiv stimmte. Corvin hatte, unmittelbar vor dem Start von Eris, Moana Adamina zum Kreuzer zurückgeschickt. Es beruhigte ihn, sie nun wieder auf der NOVA SOLARIS zu wissen. Sie würde die bisher empfangenen Funksprüche der Konföderierten auswerten und dabei feststellen, ob ihrem Stellvertreter vielleicht etwas entgangen war. Der Navigator der POLARSTERN war im hinteren Teil des Passagierabteils untergebracht, wo er bewacht wurde. Die Pilotin steuerte das Raumschiff, wobei momentan Oberleutnant Harin Krezirin bei ihr war und überwachte, dass sie nicht aus der Reihe tanzte. Corvin saß indessen, im Passagierabteil des Standard-Frachters, Diana Spencer gegenüber und besprach mit ihr das weitere Vorgehen. „Also schön“, meinte die Frau mit gedämpfter Stimme. „In etwas mehr als einer Stunde landen wir auf dem Mars. Wie geht es jedoch ab da weiter? Ihre bisherigen Angaben in dieser Hinsicht waren etwas vage, Sir.“ Der Dunkelblonde grinste jungenhaft. „Dass Generalleutnant MacPherson, vor der Schlacht bei Delta-Cephei, in besagtem System erschien, erweist sich nun als Glücksfall. Sie hat Generalmajor Traren darüber informiert, dass es vom Raumhafen aus einen Zugang zum Kommandozentrum der Raumflotte gibt, der nicht allgemein bekannt ist. Genauer gesagt kennen den nur hochrangige Militärs des Terranischen Geheimdienstes. Von MacPherson erhielt Traren sowohl die Information, wo dieser Zugang zu finden ist, als auch den Code für die Sicherheitsschotts. Der Zugang verläuft weitgehend unter der Oberfläche des Planeten. Ich hatte Order vom General, diese Information erst mit Ihnen zu teilen, wenn wir den Mars erreichen, Hauptmann. Also kein Grund, mich derart tadelnd anzusehen.“ Diana Spencer, die mit den Marotten von Arolic Traren vertraut war, nickte lediglich zu den Worten des Terraners. „Das sieht dem alten Griesgram ähnlich. Also gelangen wir durch diesen Zugang ins Hauptquartier. Wo liegt der Zugang und wo kommen wir heraus?“ Corvin beugte sich etwas vor. „Der Zugang liegt in einer der Lagerhallen am Rand des Raumhafens. Glücklicherweise liegen die Landefelder für Transporter zwangsläufig in deren Nähe, da sie von dort aus mit Nachschubgütern beladen werden. Wir werden demzufolge keine große Strecke im Freien überwinden müssen, und bei Nacht sind alle Katzen grau, wie einer meiner terranischen Freunde stets so gerne sagt. Am besten wird es sein, wenn wir eine der Transport-Schwebeplattformen kapern und damit den Landetrupp weitgehend ungesehen in die Halle bringen.“ „Klingt gut, Sir“, stimmte Diana Spencer zu. „Ich hoffe, dass uns die Nachschub-Abteilung lange genug in Ruhe lassen wird, damit wir die Zeit dafür haben.“ „Beschreien Sie es nicht!“, erwiderte Corvin unwillig. „Selbst wenn die uns diesen Gefallen tun wird die folgende Aktion noch schwierig genug werden.“ „Es ist Ihr Plan“, konterte die blonde Frau trocken. „Machen Sie mich nicht dafür verantwortlich, wenn er hier und da auf das Prinzip Glück vertraut.“ Corvin grinste schief. „Schon klar. Ich werde ihren Stellvertreter ablösen und mich mal ein wenig mit der Pilotin unterhalten. Vielleicht können wir sie ja für unsere Zwecke einspannen. Was denken Sie, Hauptmann?“ „Darauf würde ich nicht bauen, Sir.“ „Danke“, gab Corvin etwas ironisch zurück, als er sich erhob und streckte. „Sie wissen, wie man Optimismus versprüht.“ Im Cockpit des Frachters sah Harin Krezirin auf, als Dean Corvin sich näherte. Der Mann hielt sein Plasmagewehr fest umklammert und zielte auf die Pilotin. „Ich löse Sie ab, Oberleutnant“, sprach Corvin den Raumlandesoldaten an. „Ich möchte ein paar Worte mit der Pilotin wechseln.“ Krezirin erhob sich geschmeidig und meinte: „Natürlich, Major.“ Damit schritt er an Corvin vorbei, der wartete, bis der Mann das Cockpit verlassen hatte, bevor er das Zugangsschott hinter ihm schloss. Dann setzte er sich umständlich auf den Sitz des Navigators, wobei ihn die Pilotin der Konföderation Deneb aufmerksam beäugte. Als Corvin neben der Frau saß und sie neugierig musterte, blickte sie demonstrativ geradeaus, aus den großen Sichtscheiben hinaus ins All. Dort zeichnete sich die schmale Sichel des Mars bereits erbsengroß vor der samtenen Schwärze des Weltalls ab. Trotzdem bemerkte Corvin, dass ihr Blick immer wieder zu seiner Waffe huschte, und gleichfalls ihre Unruhe dabei. Erst nach einem Moment wurde dem Terraner klar, was in der Frau vorging und er legte die Waffe so auf seinen Schoß, dass der Lauf nicht mehr auf sie gerichtet war. Dabei meinte er mit gedämpfter Stimme: „Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, Leutnant. Ich will ihnen nichts tun. Ich möchte lediglich in Ruhe mit Ihnen reden, das ist alles. Kein Grund zur Unruhe.“ Die Frau sah ihn misstrauisch an. Mit klarer, heller Stimme sagte sie: „Ich glaube Ihnen kein Wort. Meine Vorgesetzten berichteten, vor Beginn der Aktion gegen Terra, davon, dass unsere Gegner keine Gefangenen machen. Also werden Sie mich und den Feldwebel töten, sobald wir den Mars erreicht haben.“ Unwillkürlich drängten sich die Bilder der Toten, die sie in der Eris-Kontrollstation zurückließen in Dean Corvins Gedanken. Dabei musterte er die schwarzhaarige Frau eingehender. Ihr ovales, ebenmäßiges Gesicht wirkte nicht unsympathisch. Der Eindruck wurde lediglich von dem Ausdruck in ihren grünen Augen beeinträchtigt. Was Corvin nicht weiter verwunderte, angesichts dessen, was die Konföderation Deneb offensichtlich über die Mentalität ihrer Gegner verbreitete. Ihre, nach Corvins Geschmack, etwas zu breiten Lippen zuckten unbewusst und verrieten, wie es innerlich um sie stand. Als der Blick der Terraners auf die breiten, orange-gelben Streifen ihrer Uniform fiel verspürte ein Gefühl von Melancholie. Dabei hatte er es gehasst, über zwei Jahre lang selbst diese Streifen getragen zu haben. Wegen der Intrigen von Kim Tae Yeon. Corvin verscheuchte diese Gedanken und konzentrierte sich auf das Naheliegende. Mit beruhigendem Tonfall sagte er: „Hören Sie, Leutnant. Ich kann Ihnen nicht ihre Vorbehalte gegen mich und meine Untergebenen nehmen, fürchte ich. Trotzdem möchte ich Ihnen nochmal versichern, dass Ihnen und Ihrem Kameraden nichts Schlimmes droht. Na ja, vielleicht mal abgesehen davon, dass wir Sie beide vielleicht betäuben werden. Aber Unangenehmeres als das wird Ihnen nicht widerfahren, darauf haben Sie mein Wort.“ Das Misstrauen aus dem Blick der Pilotin schwand nicht. „Sie verlangen viel, wenn Sie erwarten, dass ich dem Feind vertraue.“ „Ich habe den Krieg nicht gewollt, und bei allem nötigen Respekt, Leutnant, wir Terraner haben ihn auch nicht angefangen!“, gab Corvin hart zurück. „Ihre Einheiten waren es, die das Sol-System überfielen. Dabei wurde eine gute Freundin von mir getötet. Darum entschuldigen Sie, wenn ich die Lage aus einer etwas anderen Sichtweise beurteile.“ Der Ausbruch überraschte die Pilotin sichtlich. Dann zog sie die Stirn in Falten und fragte verwundert: „Aber Sie sind doch von Farradeen, oder täusche ich mich? Warum bezeichnen Sie sich als Terraner?“ Dean Corvin überlegte. Er wusste, dass man kein Vertrauen erwarten konnte, wenn man sein Gegenüber belog. Innerhalb eines Augenblicks traf er eine Entscheidung: „Mein Name ist Dean Everett Corvin und ich bin gebürtiger Terraner. Ich habe die Akademie der Terranischen Raumflotte besucht und dort meinen Abschluss gemacht. Beim Angriff der Flotten von Deneb war ich im Sol-System und habe miterleben müssen, wie Freunde und Kameraden gestorben sind. Mir gelang die Flucht aus dem Sol-System und die Oberkommandierende der Terranischen Flotte hat mich kurze Zeit später ehrenhaft aus dem Dienst der Flotte entlassen, damit ich der Raumflotte von Farradeen beitreten konnte. Sie werden verstehen, warum ich Ihnen die näheren Umstände dafür nicht erläutern werde.“ Die Pilotin sah Corvin aus großen Augen an. Fast gegen ihren Willen erwiderte sie: „Mein Name ist Léa Le Garrec.“ „Klingt, als würden Ihre Vorfahren aus jener Region der Erde stammen, die man Frankreich nennt“, hakte Corvin ein. „Ich war vor meiner Zeit an der Akademie einmal in Paris. Eine sehr interessante Stadt. Ich hoffe, sie existiert noch.“ „Die Vorfahren meiner Familie wanderten zur Mitte des neunundzwanzigsten Jahrhunderts von der Erde aus“, erklärte die Frau, nun etwas ruhiger, als zu Beginn der Unterhaltung mit Corvin. Sie sollen im Seine-Tal ein großes Weingut besessen haben.“ Dean Corvin registrierte die geringfügige Veränderung bei Leutnant Le Garrec. Vorsichtig formulierte er seine nächste Frage. „Ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber mich würde interessieren, was Sie dazu bewogen hat, dem Militär eines kriegstreiberischen Regimes beizutreten, Leutnant.“ Zu Corvins Überraschung erwiderte die Frau: „Ich wurde nicht gefragt. Meine Leistungen in der Schule waren sehr gut, deshalb wurde ich automatisch vom Militär für die Offizierslaufbahn vorgesehen und an der Akademie der Armada von Deneb angemeldet. Wissen Sie, was die Regierung mit den Verwandten von Personen macht, die sich einer solchen Zwangsverpflichtung verweigern?“ Corvin schüttelte den Kopf. Nach einer Weile fragte er: „Dann sind Sie also nicht aus Überzeugung Offizier der Armada von Deneb?“ In den Augen der Pilotin loderte Zorn, als sie erwiderte: „Ich hasse das Militär und ich hasse Gewalt, Major Corvin. Darum habe ich an der Akademie auch den Eindruck erweckt, dass es nicht zu mehr reicht, als für den Dienst bei der Logistik. Dieser Dienst unterfordert meine Fähigkeiten, doch ich bin wenigstens nicht gezwungen Menschen zu töten. Haben Sie schon Menschen getötet, Major Dean Everett Corvin?“ Der Terraner wich dem Blick der Frau nicht aus. Wahrheitsgemäß gab er zu: „Ja, Leutnant, das habe ich. Um die Machtambitionen der Konföderation zu stoppen. Glauben Sie mir, ich empfinde so etwas als schrecklich. Die Alternative allerdings bestünde darin, sich einem verbrecherischen Regime zu unterwerfen. Das werde ich jedoch niemals tun.“ „Immerhin sind Sie ehrlich.“ Für eine Weile blieb es still im Cockpit und Léa Le Garrec sah wieder zum Fenster hinaus. Erst als Corvin das Wort an sie richtete, sah sie ihn wieder an. „Ich nehme an, Ihre Familie hätte nichts zu befürchten, falls sie als im Einsatz vermisst gelten würden?“ Die schmalen, geschwungenen Augenbrauen der Pilotin hoben sich leicht. „Was bezwecken Sie mit dieser Frage, Major?“ Dean Corvin zögerte für einen Moment, bevor er den Vorstoß wagte: „Sie sagten eben, dass man Sie nicht gefragt habe. Die Farradeen Allianz würde Sie fragen, und falls Sie nicht beim Militär dienen wollten, so würde man Ihnen, nach einer eingehenden Befragung zum Thema Konföderation Deneb, bei der Sie kooperieren, wohl freistellen was Sie tun möchten. Da bin ich mir sicher. Um so mehr, falls Sie uns bei dieser Kommandoaktion freiwillig unterstützen würden.“ Die Augen der Frau weiteten sich ungläubig. „Sie verlangen von mir, dass ich desertiere, Major, Corvin? Ist Ihnen nicht bewusst, dass ich in diesem Fall nie wieder nach Denebarran zurückkehren könnte?“ „Doch, das ist mir klar, Leutnant“, antwortete der Terraner mit fester Stimme. „Doch was wäre die Alternative? Die Terranische Flotte wird nicht ewig stillhalten, das wissen Sie selbst. Gemeinsam mit Farradeen an seiner Seite wird das Sol-System irgendwann zurückerobert werden, und dann werden Sie entweder in Gefangenschaft geraten, oder aber getötet werden. Auch dann kehren Sie nie wieder in die Heimat zurück. Doch falls Sie auf unserer Seite stehen wenn wir gewinnen, haben Sie zumindest eine Chance darauf.“ Unsicher sah Léa Le Garrec den Terraner an. Sie war sich nicht darüber im Klaren, ob er seine Worte ernst meinte. Schließlich fragte sie deprimiert: „Würden Sie ihre Heimat aufgeben, an meiner Stelle?“ Der Blick des Mannes verdunkelte sich. „Das habe ich bereits. Ich weiß deshalb, dass eine solche Entscheidung nicht leicht ist. In meinem Fall hat der Krieg sie notwendig gemacht. Doch für das, was ich aufgab, habe ich auch andererseits auch etwas Neues hinzugewonnen. Neue Freunde zum Beispiel.“ Corvin war nicht ganz wohl bei dem Gedanken daran, dass er der Pilotin des Frachters verschwieg, schon seit Jahren keine Verwandtschaft mehr auf Terra zu haben. Doch er wollte andererseits keine Konfusion stiften, deshalb verzichtete er darauf. In demselben Moment erkundigte sich Léa Le Garrec: „Was werden Sie unternehmen, falls ich mich weigere auf Ihr Angebot einzugehen?“ Dean Corvin, der nicht sagen konnte, warum ihm plötzlich so sehr daran gelegen war, diese junge Frau auf seine Seite zu ziehen, zog nun den Trumpf, den er sich bereits vor einigen Minuten zurechtgelegt hatte. Mit einem feinen Lächeln erwiderte er: „Oh, nichts Schlimmes. Sie sollten sich jedoch viel mehr fragen, was die Leute Ihres eigenen Geheimdienstes mit ihnen anstellen werden, wenn sie erfahren, dass Sie uns zum Mars gebracht, und unser Unternehmen erst ermöglicht haben. Die werden Sie streng verhören, nehme ich an, und sich wohl zurecht fragen, warum Sie keinen Widerstand geleistet haben. „Aber...“, begann die Pilotin fassungslos und unterbrach sich schnell. Sie hatte bereits ein paar Gerüchte gehört, wie der Geheimdienst der Konföderation mitunter mit den eigenen Leuten umsprang, seit sie beim Militär war. Man sprach gelegentlich, natürlich nur unter der Hand, vom spurlosen Verschwinden von Menschen, die der Geheimdienst, begründet oder nicht, ins Visier genommen hatte. Daran, dass auch sie in dessen Fänge geraten könnte, hatte sie bisher nicht gedacht, doch Corvin hatte nicht Unrecht mit seiner Vermutung. Sie schluckte, und Dean Corvin, dessen Augen unverwandt auf dem Gesicht der jungen Frau ruhten, spürte, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. „Sie geben mir persönlich Ihr Wort darauf, dass mich Ihre Vorgesetzten nicht als Kriegsgefangene behandeln werden, sobald diese Aktion gelaufen ist?“ Dean Corvin war sich im Klaren darüber, dass er sich sehr weit aus dem Fenster lehnte, bei seinen nächsten Worten. Doch er sagte überzeugend: „Sie haben mein Wort, Leutnant Le Garrec. Was denken Sie übrigens in Bezug auf Ihren Kameraden?“ Die Frau lachte humorlos auf. „Der ist einer dieser Fanatiker, der inbrünstig genau das glaubt, was unsere Vorgesetzten uns permanent einreden, seit wir zur Schule gegangen sind. Der würde Ihnen nie freiwillig helfen, oder gar die Seite wechseln. Der Feldwebel ist fest von der Richtigkeit dieses Krieges überzeugt.“ Dean Corvin wusste es nicht rational zu erklären, doch etwas in ihm sagte ihm, dass sie aufrichtig war und ihm nichts vorspielte. Darum fragte er sie: „Ich vermute, dass das Hauptquartier einige Code-Anfragen senden wird, sobald der Frachter über dem Mars ankommt. Brauchen Sie den Feldwebel, um sie korrekt zu beantworten?“ Die Frau schüttelte leicht den Kopf. „Nein, die korrekten Antworten kenne ich alle selbst. Die Bildverbindung werde ich deaktiviert lassen und vorgeben, es handele sich um einen Defekt, den ich erst während der Landung auf Eris festgestellt habe. Sie können also hier bleiben und mich bewachen, während der Landung.“ Léa Le Garrec lächelte, beinahe erleichtert wie es schien. Corvin erwiderte es und antwortete: „Ich bleibe gerne, aber nur um Ihnen Gesellschaft zu leisten. Eine kurze Pause entstand, bevor Corvin etwas einfiel. „Ach, eine Frage habe ich da noch, Leutnant. Kennen Sie sich im ehemaligen Hauptquartier der Terranischen Raumflotte aus? Steht es überhaupt noch?“ „Zum Teil“, gab die Pilotin wahrheitsgemäß Auskunft. „Neben der Anflugkontrolle hat der konföderierte Geheimdienst dort seinen Stab eingerichtet. Außerdem werden dort gegenwärtig zwei Gefangene festgehalten und verhört, soweit mir bekannt ist.“ Plötzlich sehr interessiert horchte Dean Corvin auf. Seine Gestalt straffte sich, als er nachhakte: „Wissen Sie zufällig, ob eine Frau darunter ist – und falls ja, wie sie heißt?“ Echtes Bedauern spiegelte sich in den Augen der Frau, als sie verneinend sagte: „Tut mir leid, Major Corvin. Ich hörte lediglich Gerüchte darüber, dass man einen der Gefangenen auf Luna aufspürte. Diese Person soll dem zufolge einigen anderen Terranern die Flucht, an Bord eines Leichten Kreuzers, ermöglicht haben.“ Freude zeichnete sich auf dem Gesicht des Terraners ab, und auf den fragenden Blick der Frau hin meinte er gutgelaunt: „Sie ahnen ja nicht, wie sehr Sie mir bereits jetzt geholfen haben, Leutnant Le Garrec.“ * * * Der Anflug des Frachters POLARSTERN, auf den Mars zu, verlief reibungslos. Im Cockpit des Frachters, neben Dean Corvin, immer noch an den Flugkontrollen sitzend, beantwortete Léa Le Garrec alle einlaufenden Code-Anfragen der Anflugkontrolle. Dean Corvin glaubte zwar nicht, dass die Pilotin des Frachters falsches Spiel mit ihm trieb, doch er beobachtete sie dennoch bei jeder ihrer Handlungen und achtete ebenso sehr genau darauf, welche Worte sie mit den Leuten der Anflugkontrolle wechselte. Léa Le Garrec blieb dieses Beobachten von Seiten des Terraners nicht verborgen und während der Frachter sich bereits innerhalb der Marsatmosphäre befand meinte sie missmutig zu Corvin: „Ihr Misstrauen ist fast spürbar aber unangebracht.“ „Würden Sie denn nicht misstrauisch sein, wenn Sie an meiner Stelle wären?“ Die Pilotin gab zu: „Doch, vermutlich wäre ich das. Ich bin es ja auch, denn ich kann mir ja genauso wenig sicher sein, ob Sie es ernst meinen, Major Corvin.“ Corvin presste die Lippen zusammen und räumte nach einem Moment ein: „Sie haben natürlich Recht, Leutnant. Wir müssen beide etwas guten Willen aufbringen.“ Sie sahen sich für einen Moment lang an, bevor sich die Pilotin wieder auf die bevorstehende Landung konzentrierte. Als der Frachter bei seinem Abstieg die Zehntausend-Meter-Marke unterschritt kam von der Anflugkontrolle die Anweisung, sich bereit zu halten einen Major der Abwehr an Bord zu nehmen, sobald die POLARSTERN gelandet war. Nach Nennung des entsprechenden Landefeldes sah Léa Le Garrec zu Corvin und meinte: „Sie haben Glück, Major. Das betreffende Feld liegt etwas abseits, nahe der Lagerhallen. Dort werden Sie kaum auffallen, beim Ausstieg.“ Dean Corvin erwiderte nachdenklich: „Ja, aber was hat das mit dem Geheimdienst-Offizier zu bedeuten? Ist das normal?“ „Nein“, antwortete die Pilotin zögerlich. „Doch es passiert gelegentlich, dass wir einen Offizier, während eines Transportes, mitnehmen zum entsprechenden Zielort. Vielleicht können Sie zu Ihrem Vorteil nutzen, dass dieser Major an Bord kommt.“ Der Terraner machte ein nachdenkliches Gesicht. Schließlich rief er durch das Schott, dass nach seiner letzten kurzen Unterhaltung mit Diana Spencer bereits geöffnet geblieben war: „Hauptmann Spencer wir setzen zur Landung auf dem Mars an! Betäuben Sie jetzt den Gefangenen und machen Sie sich bereit, einen an Bord kommenden Major des Geheimdienstes in Empfang zu nehmen!“ Er hörte die Bestätigung der Frau gefolgt von einem leisen, hohen Sirren. Dabei dachte er: Ein Problem weniger. Doch er hütete sich, das laut zu sagen. Stattdessen meinte er mit belegter Stimme: „Ihr Kamerad schläft, Leutnant. Wie hoch sind wir noch?“ Die Pilotin schluckte: „Noch zweitausend Meter, bis zum Boden, Major. Was wird aus dem Feldwebel nun werden?“ „Der bleibt zunächst hier an Bord. Sollten wir den Frachter später brauchen, dann lassen wir ihn in einer der Lagerhallen zurück. Ihm wird nichts geschehen, genauso, wie ich es Ihnen bereits versichert habe, Leutnant.“ Die Frau blieb konzentriert, während sie erwiderte: „In Ordnung. Wir befinden uns fünfhundert Meter über dem Raumhafen. Ich fahre die Landeschoren aus.“ Ein leises, dumpfes Brummen bestätigte die letzten Worte der Frau. Über die Schulter hinweg rief Corvin in das Passagierabteil: „Bereit für den Geheimdienstler, Hauptmann?“ „Kann kommen!“ Corvin grinste dünn und beobachtete Léa Le Garrec dabei, wie die den Frachter sanft auf dem harten Belag des Raumhafens aufsetzen ließ. Routiniert schaltete sie die Aggregate auf Bereitschaft und sah dann zu ihm. Der Terraner kam ihrer Frage zuvor, indem er meinte: „So, und nun warten wir erst einmal auf den Major.“ Vom Rand des riesigen Landeareals näherte sich ein Bodengleiter und die Pilotin sah vielsagend durch die Scheibe des Frachters. „Das könnte er sein.“ Corvin, der sich in den Hintergrund des Cockpits zurückzog erwiderte: „Dann geht es los.“ Sich im Rahmen des Verbindungsschotts zur anderen Seite wendend sagte er lauter: „Hauptmann Spencer, wir kriegen gleich Besuch!“ Gleich darauf kam über Funk die Meldung des sich nähernden Offiziers. „Major Kim ruft Leutnant Le Garrec von der POLARSTERN. Öffnen Sie das Schott des Frachters und fahren Sie die Rampe aus, ich komme zu Ihnen an Bord.“ Corvin nickte und die Pilotin erwiderte, etwas nervös: „Hier Leutnant Le Garrec. Ich habe verstanden. Ich und mein Co-Pilot erwarten sie an Bord.“ Damit nahm die Pilotin des Frachters die notwendigen Schaltungen vor. Dabei wunderte sie sich über das plötzlich wie versteinert wirkende Gesicht des Majors. Längst hatten sich die Leute des Stoßtrupps in dem Passagiermodul so weit zurückgezogen, dass sie von draußen durch das Schott nicht gesehen werden konnten. Corvin selbst blieb stehen wo er stand und versuchte seiner Aufgewühltheit Herr zu werden. Er hatte Kim irgendwo auf Luna vermutet. Oder auf der Erde. Dass ausgerechnet sie nun an Bord kam, machte dieses Unternehmen nicht gerade einfacher für ihn. Er beobachtete, wie die unverkennbare, drahtige Gestalt der Koreanerin durch die kleine Luftschleuse ins Passagierabteil schritt, wo sie augenblicklich von Spencer und Krezirin gepackt wurde. Ein dritter Soldat des Kommandotrupps entwaffnete die Frau. Völlig überrumpelt erstarrte Kim für einen Moment und versuchte sich dann wild strampelnd zu befreien, bis ihr die Läufe von zwei Plasmagewehren an die Kehle gesetzt wurden. Dann erfassten ihre fast schwarzen Augen Corvin und sie erstarrte erneut. Während Léa Le Garrec bereits wieder das Außenschott geschlossen hatte, entfuhr es der Koreanerin: „Du hier? Und dann in der Uniform von Farradeen? Was bedeutet das!“ Die Frachter-Pilotin, die neben Dean Corvin getreten war, fragte leise: „Sie kennen diesen Major unseres Geheimdienstes?“ „Kennen ist gar kein Ausdruck“, erwiderte der Terraner tonlos. Erst dann stieß er sich, seine Waffe dabei so fest umklammernd, dass die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten, vom Rahmen des Verbindungsschotts ab. Gewaltsam das Verlangen nieder ringend, die Asiatin umgehend zu erschießen, näherte Dean Corvin sich ihr langsam, bis er dicht vor ihr stand. Dabei ignorierte er die fragenden Blicke von Diana Spencer und einigen anderen Frauen und Männern des Landeteams. Für eine Weile maßen sich der Major und die asiatische Frau in nachtblauer Uniform mit Blicken, bevor Corvin, mit kratziger Stimme sagte: „Dafür hast du Terra verraten? Um Major beim Geheimdienst der Konföderation zu werden?“ Kim bedachte ihr Gegenüber mit einem spöttischen Blick. „Dir ist schon klar, wie seltsam du dich anhörst, wenn du mal in den Spiegel blickst?“ Die Augenlider des Terraners verengten sich unmerklich: „Dafür wurde ich nicht zum Verräter an Terra. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Du hingegen hast Kriegstreibern dazu verholfen, Millionen unschuldiger Menschen zu töten und ihnen unsere Heimat vor die Füße geworfen! Allein deshalb sollte ich dich hier und jetzt erschießen!“ Die Asiatin lachte leise. „Das würdest du nie fertigbringen, Dean Everett Corvin, denn immerhin haben wir beide...“ Die Linke des Majors zuckte vor und packte die Kehle der Frau. Ihr mit der Hand die Luft abschnürend zischte er wütend: „Erwähne nie wieder, dass ich mal so geistig umnachtet gewesen bin, zu glauben, dass du etwas für mich empfunden haben könntest. Sonst mache ich dir gleich jetzt den Garaus.“ Immer fester drückte Corvin zu, und die Augen der Asiatin weiteten sich unnatürlich. Vor seinen Augen sah er dabei wieder sich und sie, während verschiedener Anlässe in der Vergangenheit seines Lebens. Erst die scharfen Worte von Diana Spencer brachten ihn in die Wirklichkeit zurück. „Major Corvin!“ Der Terraner erweckte den Eindruck, aus einem Traum zu erwachen, als er Hauptmann Spencer ansah. Er ließ die Kehle der Asiatin los und atmete mehrmals tief durch. „Schon gut, Hauptmann.“ Kim bedachte ihren ehemaligen Freund mit einem beinahe mörderischen Blick. Doch es lag gleichfalls eine Spur Melancholie darin. Nachdem sie wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, krächzte sie ätzend: „Da habe ich nun fast vier Monate lang diesen widerspenstigen Feldwebel Onoro gefoltert, um zu erfahren, wo du stecken könntest. Ganz umsonst. Vermutlich hätte dieses verdammte Miststück noch Monate geschwiegen. Und jetzt stehst du hier vor mir. Wenn das keine Ironie ist. Vermutlich ist die NOVA SOLARIS nicht weit, oder bist du mit einem anderen Raumschiff hergekommen?“ Der Terraner erkannte, dass Kim immer noch mindestens so durchtrieben war, wie zuletzt. Ganz nebenbei versuchte sie herauszufinden, wo der Experimentalkreuzer geblieben war. Wohl in der Hoffnung, sich bald aus dieser misslichen Lage befreien zu können. Mit einem spöttischen Lachen überspielte Corvin seine Überraschung, zu erfahren, dass Rian Onoro nicht auf Luna oder auf der Erde gefangengehalten wurde, sondern hier auf dem Mars. Dabei gab er überzeugend zurück: „Der Experimentalkreuzer ist unersetzlich für das Imperium. Denkst du etwa, General Mbena würde ihn so leichtfertig in die Höhle des Löwen schicken? Der liegt vermutlich, bestens gesichert, immer noch dort, wo wir ihn vor vier Monaten hingebracht haben.“ Der Terraner lächelte überlegen wobei er dachte: Wenn du unbedingt Spielchen spielen willst, das kann ich auch. Außerdem würdest du vermutlich toben, wenn du wüsstest, welchen Gefallen du mir mit der Erwähnung getan hast, dass Rian Onoro noch lebt. Die Asiatin begann wieder, sich etwas im Griff der beiden Uniformierten zu winden, gab es aber gleich darauf auf. Immer noch nur mit Corvin redend fragte sie: „Was willst du hier auf dem Mars? Glaubst du etwa, du könntest etwas bewirken? Schon sehr bald wirst auch du ein Gefangener der Konföderation sein, und mit dir dein gesamtes Team.“ „Mag sein, aber das wirst du nicht mehr erleben“, konterte Dean Corvin finster. „Zumindest nicht lebend.“ „Du liegst doch an der kurzen Leine von diesem Hauptmann“, höhnte die Asiatin. Im nächsten Moment gab sie ein unterdrücktes Knurren und Stöhnen von sich. Diana Spencer hatte den Arm der Gefangene so weit verdreht, dass es schmerzen musste. Außerdem hatte sie der Asiatin ihr Knie in den Steiß gerammt. Sie näherte sich ganz nah dem Gesicht der misshandelten Frau und zischte heiser: „Sie sehen das völlig falsch, Major Kim. Er ist es, der mich an der Leine halten muss. Aber gelegentlich lässt er mir etwas mehr Freiraum, wenn Sie verstehen, was ich Ihnen damit sagen will.“ Respekt, Hauptmann Spencer, dachte Corvin anerkennend. Laut sagte er zu Kim, wobei er einen riskanten Bluff wagte: „Wir wissen von dem Störsystem, das die Konföderation, im letzten Herbst, mit Hilfe von angeblichen Handelsraumschiffen in das Sol-System gebracht haben. Eins dieser Geräte werden wir mitnehmen, mit deiner Hilfe.“ „Ich soll euch also Zutritt zu einem unserer Kriegsschiffe, hier auf dem Mars, ermöglichen“, erwiderte Kim feststellend, ohne zu ahnen, dass sie Corvins Planung mit ihren Worten in diesem Moment völlig umgestoßen hatte. „Ja, das ist eine viel bessere Idee, als meine“, nickte Corvin. Bisher hatte er nicht gewusst, dass die Geräte auch auf den Kriegsschiffen der Konföderation eingebaut waren. Offensichtlich eine Entwicklung, die erst nach der Schlacht bei Delta-Cephei in Gang geraten war. Gleichzeitig wurde dem Terraner klar, wie gefährlich das war, was Kim Tae Yeon eben so leichtfertig und unbeabsichtigt ausgeplaudert hatte. Einen schnellen Blick mit Diana Spencer wechselnd wandte er sich wieder Kim zu, die wohl zu ahnen begann, dass hier etwas im Gange war, von dem sie nichts mitbekam. „Nun, im Grunde hatten wir eigentlich vor, die Luna-Werften zu überfallen, doch lediglich ein Kriegsschiff von hier zu entführen wäre natürlich sehr viel einfacher.“ Erneut wand sich Kim im Griff von Krezirin und Spencer. Wütend funkelte sie Dean Corvin dabei an, bevor sie sich wild umsah und schrie: „Du wolltest die Luna-Werften überfallen? Mit dieser lächerlichen, kleinen Bande? Ihr seid ja nicht einmal genug Leute um eine Abstellkammer zu überfallen!“ „Wir sind bis zum Mars vorgestoßen, und wir hätten es auch bis Luna geschafft“, gab Corvin kalt zurück. „Aber dank dir ist das ja nun nicht mehr nötig. Doch bevor du dafür sorgst, dass wir Zutritt zu einem eurer Kriegsschiffe erlangen, wirst du uns die beiden Gefangenen aushändigen, die in deiner Gewalt sind.“ Bei den Worten des Terraners schweifte der Blick von Kim zu der Pilotin des Frachters ab. Nur sie konnte Corvin von den Gefangenen erzählt haben. Mit hasserfülltem Tonfall zischte Kim in ihre Richtung: „Verräterin!“ Corvin lachte spöttisch. „Das sagt gerade die Richtige. Außerdem stammt die Information nicht von ihr, sondern von ihrem Co-Piloten.“ Dann änderte sich sein Tonfall und mit einer gewissen Kälte in der Stimme verlangte er: „Schluss jetzt mit diesen Spielchen, Tae Yeon. Wir werden jetzt über einen geheimen Zugang ins Hauptquartier eindringen, und du wirst uns dabei Gesellschaft leisten. Solltest du falsches Spiel treiben, dann wird es mir ein ganz besonderes Vergnügen sein dich umzubringen. Wir schaffen es notfalls auch ohne deine aktive Mitwirkung. Ob du den morgigen Tag erleben wirst liegt also ganz bei dir.“ Bis zu einem gewissen Grad hatte Corvin seine Worte ernst gemeint. Das spürte die Asiatin instinktiv und ließ sie frösteln. Ihren Widerstand vorerst aufgebend entgegnete sie: „Also gut, du hast gewonnen. Ich füge mich der Gewalt.“ Diana Spencer gab einem ihrer Leute einen Wink und ein kräftig gebauter Mann übernahm für sie. Sie nahm Corvin ein paar Schritte zur Seite und fragte flüsternd: „Sie vertrauen dieser Frau doch nicht etwa?“ Ebenso leise gab Corvin zurück: „Nicht weiter, als ich die Haupt-Feldspule eines Raumschiff-Antriebs werfen könnte. Doch sie wird uns ganz sicher zu den Gefangenen bringen und uns Zugang zu einem der Kriegsschiffe verschaffen. Danach werden wir sie ausschalten und unseren Auftrag zu Ende führen.“ „Ich muss Ihnen nicht sagen, dass unser Angriffsplan nicht vorsieht Gefangene zu befreien“, gab die Frau zu bedenken. Der Terraner funkelte die blonde Frau an. „Einer meiner Ausbilder hat einmal behauptet, dass kein noch so guter Plan den ersten Feindkontakt übersteht. Ich denke er hatte Recht. Außerdem wusste ich nicht, dass ich eine Gelegenheit erhalten würde, das Versprechen einzulösen, das ich Rian Onoro vor vier Monaten gab. Bedenken Sie zudem: Diese Gefangene hat an der NOVA SOLARIS mitgearbeitet. Ihre Befreiung ist also auch von einem strategischen Standpunkt aus gesehen sehr sinnvoll.“ „Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.“ „Wie kommen Sie denn darauf?“, spottete Corvin und zwinkerte der Frau zu. Dann wandte er sich zu dem Landetrupp um, gab den Befehl das Kom-Mikro-System anzulegen und sagte laut vernehmlich: „Der Einsatz beginnt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)