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DEAN CORVIN: 02. Brennpunkt Mars

von

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Aufbruchstimmung


 

3.
 

Aufbruchstimmung
 

Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck trat Hauptmann Kimi Korkonnen aus dem Quartier der Kommandantin der VESTERGAARD, auf den Gang hinaus. In Richtung des Kommandozentrums des Leichten Kreuzers schreitend, rief er sich nochmal ihre lobenden Worte in Erinnerung. Außerdem hatte er dabei endlich erfahren, wohin die Reise des Kreuzers ging. Bisher hatte die Kommandantin es für ratsam gehalten, das Ziel des Fluges nicht preiszugeben. Erst vor wenigen Minuten hatte sie ihn eingeweiht und ihm erlaubt, das Ziel auch der Besatzung der Zentrale bekanntgeben zu dürfen.

Seit nun knapp vier Monaten diente Kimi Korkonnen, als Erster Offizier, auf diesem Leichten Kreuzer der Neunten Terranischen Raumflotte. Noch vor dem Ende der Kämpfe mit der Konföderation Deneb um das Delta-Cephei-System, in dem die Neunte, die Vierte, und die Achte Flotte seitdem dauerhaft stationiert waren, war der Wechsel erfolgt.

Fast genauso lange hatte er seinen besten Freund, Dean Corvin, nicht mehr gesehen, und für eine Unterhaltung via Hyper-Kom waren die Plejaden zu weit von Delta-Cephei entfernt. Zumindest für die Funkanlage des Leichten Kreuzers. Größere planetare Anlagen überbrückten diese Entfernung leicht. Noch weiter von dort entfernt war das Wega-System, in dem sich vermutlich immer noch Andrea und Jayden, an Bord der SATURN, befanden.

Auf dem Gesicht des Finnen bildeten sich Sorgenfalten, als er an Miriam dachte. Miriam Rosenbaum, seine Freundin, die sich vermutlich ebenfalls im Wega-System aufhielt. Sie hatte, unmittelbar vor dem Angriff der Konföderation Deneb auf das Sol-System, jene Strahlung entdeckt, die für das Versagen sämtlicher Funkanlagen, Ortungsgeräte und Zielscanner der Imperialen, innerhalb des Systems, verantwortlich gewesen war. Doch diese Entdeckung war leider zu spät erfolgt, um das Sol-System retten zu können. Es befand sich nun in Feindeshand, und ein Gegenschlag kam nicht in Frage, bevor es keine Möglichkeit gab die neu entwickelte Störsender-Technologie zu neutralisieren.

Nun zu wissen, dass sich die VESTERGAARD dem Wega-System gegenwärtig mit jeder Stunde die verstrich um rund vier Lichtjahre annäherte, war der zweite Grund, weshalb sich auf dem Gesicht des Finnen Zufriedenheit abzeichnete.

Korkonnen bog in einen Seitengang ab, der direkt zum Kommandozentrum führte. Dabei mutmaßte er, anhand der Informationen seiner direkten Vorgesetzten, dass die VESTERGAARD für mindestens eine Woche auf einem der drei bewohnten Planeten des Wega-Systems zwischenlanden würde. Der Leichte Kreuzer der Neunten Flotte sollte nämlich nicht nur wichtige Depeschen zum Sektoren-Kommandanten des Systems bringen, sondern im Anschluss in Richtung des Sol-Systems vorstoßen, um dort einerseits Aufklärungsarbeit zu leisten, und andererseits einen Rückzug des geplanten Stoßtrupps der Farradeen-Allianz, in Richtung des Wega-Systems, zu decken.

Beim Gedanken daran, welches Kriegsschiff dieses geplante Kommandounternehmen durchführen würde, wusste Korkonnen nicht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Denn sein bester Freund war mit von der Partie und ihn in Gefahr zu wissen gefiel ihm nicht.

Kimi Korkonnen erreichte das Schott zur Zentrale des Leichten Kreuzers und legte seine Hand auf den Impulsgeber. Innerhalb von Sekundenbruchteilen wurden seine Handabdrücke abgetastet, die Individualschwingung seiner Zellkerne gemessen, und diese Daten mit den im Bordcomputer gespeicherten Referenzdaten abgeglichen. Fast ohne Zeitverlust erkannte die Automatik, dass Korkonnen berechtigt war, das Kommandozentrum zu betreten. Mit leisem Zischen glitten die beiden Hälften des Panzerschotts zur Seite.

Für Korkonnen war das Ganze eine Routinehandlung, über die er sich keinerlei Gedanken machte. Ganz selbstverständlich betrat er das Kommandozentrum des Kreuzers und begab sich zum Sessel des Kommandanten, denn genau das war sein Platz wenn sich Major Ayasha Umm Qasr at-Tabari bint Amana Saif ad-Dīn nicht hier aufhielt.

Zuerst waren sich Korkonnen und Ayasha Saif ad-Dīn gegenseitig ziemlich fremd vorgekommen, doch inzwischen verstanden sie sich ganz gut. Während Korkonnen nach einigen Wochen erkannt hatte, dass die tief religiöse Araberin durchaus einen guten Blick für Realitäten besaß, hatte die Kommandantin der VESTERGAARD inzwischen herausfinden können, dass der Finne kein emotionsloser Eiswürfel war, wie sie zu Beginn seines Hierseins zunächst angenommen hatte.

Der Finne schmunzelte unmerklich bei diesem Gedanken, während er sich an den Navigator und gleichzeitig Zweiten Offizier der VESTERGAARD, Oberleutnant Gajus Lakarius, wandte. „Wie ist unsere momentane Position, Oberleutnant Lakarius?“

Der gerade einmal 1,67 Meter große, dürre Mann, der hinter dem Sessel seiner Navigations-Konsole stand, sah zu seinem Vorgesetzten und meldete mit heller Stimme: „Der Verband befindet sich gegenwärtig noch zwanzig Lichtjahre vom Wega-System entfernt. In guten fünf Stunden werden wir die Bahn des zweiundvierzigsten Planeten des Systems überfliegen, Hauptmann. Zumindest, wenn der Verband seinen Kurs beibehält.“

Kimi Korkonnen grinste schwach, bei der unausgesprochenen Frage des Zweiten Offiziers. Natürlich wollten alle an Bord wissen wohin ihre Reise führte.

„Danke, Oberleutnant Lakarius. Der Kurs wird nicht geändert werden, denn genau dort liegt unser vorläufiges Ziel. Bitte nehmen Sie wieder ihren Platz ein.“

Während der Kleinwüchsige Korkonnens Befehl Folge leistete, wobei er sich ein Lächeln erlaubte, setzte sich der Finne in den Sessel des Kommandanten. Etwas, dass andere Offiziere des Kreuzers vermieden, wenn sie stellvertretend das Kommando führten. Es gehörte, seit der offiziellen Gründung der Terranischen Raumflotte, im Jahr 2400, zum guten Ton der Flotte, dass sich nur der Kommandant und sein Erster Offizier im Sessel des Kommandanten niederließen.

Möglicherweise, so überlegte Korkonnen, hatte sich Irina Hayes deshalb so vehement dagegen gesträubt, im Kommandantensitz der NOVA SOLARIS Platz zu nehmen, als Dean sie damals nachdrücklich dazu aufgeforderte. Während unserer Flucht von Luna. Die Folge einer sehr verstaubten Tradition, die mehr als achthundert Jahre überdauert hat.

Kimi Korkonnen bemerkte die vielsagenden Blicke unter den Anwesenden in der Zentrale und er räusperte sich leicht. Dabei schweiften seine Gedanken ab. Er wusste, dass die NOVA SOLARIS in diesem Moment bereits ebenfalls unterwegs sein würde, und er konnte nur hoffen, dass sein Freund, und die Kameraden, die er auf dessen Kreuzer hatte, das ganze Unternehmen, von dem er nur einen Bruchteil kannte, gut überstehen würden.

Dabei war es nicht etwa so, dass er den Fähigkeiten seines besten Freundes, der im Grunde weit mehr für ihn war, als ein Freund, nicht vertraut hätte. Es war viel eher die Sorge um Dean, den er als eine Art Bruder ansah, und mit dem er sich mindestens ebenso verbunden fühlte, wie er sich seiner leiblichen Schwester, Famke, verbunden fühlte.

Famke weilte in diesem Moment vermutlich auf der Erde – einer Erde, die vor vier Monaten von der Konföderation Deneb erobert worden war. So, wie seine gesamte Familie, und die Familien von Jayden, Miriam und Rodrigo. Dean besaß keine lebenden Verwandten auf Terra und die gesamte Familie von Andrea war, durch den Absturz eines Schlachtkreuzer-Wracks, direkt in jene Gegend Europas in der sie gelebt hatte, umgekommen.

Terra war seit Beginn dieses Jahres vom Feind besetzt. Hauptsächlich wegen eines neuartigen Ortungs-Störsystems, gegen das es gegenwärtig für das Imperium und dessen Verbündete kein Mittel gab. Was letztlich der Grund für das Unternehmen war, bei dem die NOVA SOLARIS die Hauptrolle spielen sollte.

Kimi Korkonnen sah zwischenzeitlich auf, rief die Statusmeldungen der einzelnen Abteilungen des Raumschiffes ab und blickte dann auf den großen Bildschirm, der einige Meter vor den Kontrollkonsolen des Kommandozentrums beinahe die gesamte Stirnwand einnahm. Im Moment war darauf lediglich leicht wallendes Rot, durchzogen von einem etwas helleren, orangeroten, sehr filigranen Netzmuster zu sehen. Ein Zeichen dafür, dass der Hyperraum an dieser Stelle des Kosmos gefahrlos durchflogen werden konnte.

Gewisse Ereignisse oder kosmische Objekte im Normalraum wirkten sich hingegen unmittelbar auf den Zustand des Hyperraums aus. So war es eine allgemein bekannte Tatsache, dass Magnetstürme dafür sorgten, dass es im Hyperraum so etwas wie Wetterfronten gab. Diese Frontensysteme zeichneten sich im Hyperraum durch einen gelben Farbton aus. Objekte, wie Planeten oder Sterne beeinflussten den Hyperraum noch nachhaltiger. In ihrer näheren und weiteren Umgebung verfärbte sich der Hyperraum grün, blau, oder gar violett, wobei es nicht ratsam war, grüne oder blaue Zonen zu durchfliegen. In violetten Bereichen wurde ein Hyperraumflug so gut wie unmöglich. Dort verhinderten die auftretenden Scherkräfte nebenbei sogar den Übergang vom Einstein-Raum in den Hyperraum. Im Hyperraum selbst befindlich, konnte man zwar theoretisch in einen violetten Bereich einfliegen, doch das Leben der betreffenden Besatzung wäre in einem solchen Fall keinen Credit mehr wert gewesen.

Neben den Frontensystemen im Hyperraum gab es dort gleichfalls Bereiche, in denen es sogenannte Strömungen gab. Diese waren dazu in der Lage die maximale Überlicht-Geschwindigkeit von 4,23 Lichtjahren pro Stunde, trotz voller Beschleunigung, entweder herabzusetzen, oder aber, wenn man sich mit der Strömung bewegte, zu erhöhen.

Kimis Mundwinkel verzogen sich bei dem Gedanken daran. Während seiner Zeit an der Akademie waren er und seine Kameraden, im Simulator, diesen Verhältnissen ausgesetzt worden. Dabei hatte er gar nicht schlecht abgeschnitten. Doch es war Dean gewesen, der beinahe eine Art siebten Sinn für die Verhaltensweisen solcher Verhältnisse entwickelte. Mochte er auch in Mathematik seine Defizite haben, für das Fliegen von Raumschiffen war Dean geradezu wie geschaffen. Das hatten selbst seine Ausbilder zugeben müssen.

Kimi Korkonnen seufzte unterdrückt. Er fragte sich, wann er Dean wiedersehen würden. Aber zumindest hatte er demnächst vielleicht die Gelegenheit Miriam und vielleicht auch Andrea und Jayden zu sehen. Das hoffte er sehnsüchtig. Vielleicht sollte er Miriam, falls er sie tatsächlich zu sehen bekam, gleich einen Heiratsantrag machen. Auch wenn Sehnsucht keine Basis für eine Ehe war – das würde einem von ihnen beiden die Gelegenheit geben, sich zeitnah in die Nähe des Anderen versetzen zu lassen.

Für einen Moment grübelte Korkonnen über das Für und Wider. Zwar fand er den Gedanken fürchterlich, hauptsächlich aus diesem Grund eine solche Hau-Ruck-Aktion in Erwägung zu ziehen, doch andererseits liebten sie sich. Vermutlich würden sie es ohnehin irgendwann tun. Warum also nicht gleich, und dadurch einer längeren Trennung vorbeugen?

Korkonnen verwarf schließlich den Gedanken daran, denn immerhin hatte dabei Miriam auch noch ein Wörtchen mitzureden. Möglicherweise würde sie total ausflippen, wenn er ihr mit dieser Idee kam. Darüber hinaus gefiel ihm der Gedanke daran, dass Dean in diesem Fall möglicherweise nicht dabei sein konnte, ganz und gar nicht.

„Die verdammten Konföderierten Deneb soll der Teufel stückweise holen“, murmelte der Finne, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass die Besatzung der Zentrale ihm zuhörte.

„War das ein Befehl, Hauptmann?“, erkundigte sich Gajus Lakarius spitzfindig und sah über die Schulter hinweg amüsiert zu ihm.

Anfangs hatte ihm Korkonnen für ähnliche Bemerkungen einige lange Blicke zugeworfen. Bis er erkannte, dass das nicht böse gemeint, sondern einfach der Humor dieses körperlich so unscheinbaren Mannes war.

Weil Kimi Korkonnen dies also wusste, konterte er in demselben Tonfall: „Ja, Oberleutnant, und ich bin, offen gestanden, ernsthaft enttäuscht darüber, dass noch keiner meinen Befehl ausgeführt, und die Bande zum Teufel gejagt, hat.“

Die Crew ihrerseits kannte Korkonnen ihrerseits mittlerweile gut genug um zu wissen, wie diese Bemerkung zu bewerten war. Lakarius erlaubte sich ein Grinsen, der weibliche Leutnant an der Steuerung hustete verdächtig laut und zwei Feldwebel an der Ortung und den Maschinenkontrollen, sowie der Waffenoffizier, beherrschten sich so mustergültig, dass Korkonnen offen in deren Richtung grinste, bevor er sich wieder sammelte und übertrieben streng meinte: „Ich bitte um die nötige Disziplin, meine Damen und Herren.“

Dabei erhob sich Korkonnen aus dem Kommandantensitz und schritt langsam die einzelnen Konsolen ab. Er hielt es nie lange auf dem Sessel des Kommandanten aus und er hätte etwas dafür gegeben jetzt an Stelle von Gajus Lakarius zu sein. Dieses scheinbare Nichtstun als Stellvertretender Kommandant lag ihm nicht so sehr. Viel lieber war es ihm, wenn die Kommandantin anwesend war, und er den Kreuzer navigieren durfte. Doch diesen Luxus leisteten sie sich nur selten. Damit die Kommandantin und er nicht rund um die Uhr Dienst schieben mussten, wechselten sie sich zwangsläufig während der meisten Zeit dabei ab, den Kreuzer zu kommandieren.

Der Finne wusste dabei, wie ungerecht es gewesen wäre, sich über seinen momentanen Posten zu beschweren, denn er war immerhin der Flotte beigetreten um irgendwann ein eigenes Kommando zu haben. Jetzt tat er genau den Dienst, den ein Kommandant verrichtete, und er beschwerte sich in Gedanken. Das war schon etwas schräg.

Natürlich war Korkonnen klar, dass er sich im Grunde nicht über seinen momentanen Posten beschwerte, sondern darüber, von den Leuten getrennt zu sein die ihm etwas bedeuteten. Oder auch weit mehr, als nur etwas.

Hinter dem Zweiten Offizier blieb der hochgewachsene Blonde stehen und sah ihm eine Weile über die Schulter, bevor er so leise, dass nur der Oberleutnant ihn verstehen konnte, sagte: „Ich weiß es zwar nicht mit Sicherheit, aber die Kommandantin deutete vorhin an, dass die VESTERGAARD für rund eine Woche auf einem der Wega-Planeten zwischenlanden wird, bevor wir weiterfliegen. Vielleicht gibt es ja Urlaub.“

Ebenso leise raunte der dürre Mann zurück: „Das wäre etwas. Ich denke, dass wir in weniger als fünf Stunden erfahren werden, ob Sie Recht haben.“
 

* * *
 

„Natürlich habe ich Recht.“

Jayden Kerr sah seine Verlobte überzeugend an und fügte hinzu: „Ich habe die Information, dass ein Verband der Neunten Flotte schon bald hier eintreffen soll, nämlich von Major Saranya Yokida persönlich. Die war noch nie dafür bekannt, falsche Gerüchte in Umlauf zu bringen. Das weißt du.“

Andrea von Garding erwiderte den Blick des Jamaikaner forschend. Seine dunklen Augen mit ihrem Blick fixierend erkundigte sie sich dann, etwas mürrisch weil er sie aus dem Schlaf geweckt hatte: „Und was daran ist nun so weltbewegend?“

Der fast immer gut gelaunte, dunkelhäutige Mann genoss einen Moment lang die Spannung, bevor er antwortete: „Eigentlich nichts, wenn man von der Tatsache absieht, dass der Richtspruch, den der Leichte Kreuzer VESTERGAARD kürzlich abstrahlte, von einem gewissen Hauptmann Kimi Korkonnen aufgegeben wurde.“

Die blauen Augen der rotblonden Frau weiteten sich langsam immer mehr. Für eine ganze Weile sah sie ihren Verlobten nur an, bevor sie ungläubig erwiderte: „Du glaubst wirklich, dass das unser Kimi ist? Du hast doch eben selbst gesagt, es wäre ein Hauptmann Kimi Korkonnen. Aber unser Kimi kann doch unmöglich bereits Hauptmann sein. Bis vor Kurzem konnte er noch froh sein, dass man ihn überhaupt vom Leutnant zum Oberleutnant befördert hat. Hm, ob das vielleicht ein Namensvetter ist? Ich sage dir, das kann gar nicht unser Kimi sein, denn in dem Fall stimmt irgendwas in dieser Flotte nicht mehr. Außerdem sagte Dean, als er im Januar kurz hier war, er und Kimi wären auf der NOVA SOLARIS.“

Jayden Kerr, der neben Andrea auf der Bettkante, im Schlafraum ihres Gemeinschaftsquartiers, hockte das sie an Bord der SATURN bewohnten, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Nasenspitze. „Und du denkst, das hätte sich in den letzten vier Monaten nicht signifikant ändern können? Da wird die momentane Oberkommandierende, General Mbena, vielleicht andere Pläne gehabt haben, als den, Kimi und Dean auf demselben Kreuzer zu belassen.“

Andrea, die sich etwas beruhigte, gab besänftigend zurück: „Ich wünschte mir ja auch, dass er es ist. Ich will nur nicht, dass wir uns falsche Hoffnungen machen, und am Ende ist es ein ganz anderer Typ, der den Spruch abgeschickt hat.“

Jayden streichelte sanft die Wange der jungen Frau. „Das ist meine Andrea – immer dazu bereit den Sieg in eine Niederlage zu verwandeln. Komm schon, ich spüre einfach, dass es unser Kimi ist. Völlig unmöglich, dass innerhalb der Neunten Flotte noch irgendwer einen so abgedrehten Namen hat. Wie absurd wäre das denn?“

Andrea gab Jayden einen herzhaften Schlag mit der flachen Hand gegen die Brust. Dabei meinte sie kapitulierend: „Ich gebe es auf. Weißt du, dass du manchmal ziemlich auf die Nerven gehen kannst?“

„Früher hast du das geliebt.“

Die Augen der jungen Frau funkelten ironisch. „Wann war dieses Früher?

Jayden Kerr beugte sich zu Andrea hinab und gab ihr einen langen Kuss. Flüsternd sagte er, nach einer Weile: „Warum ich überhaupt hier bin habe ich dir noch gar nicht sagen können. Die SATURN ist auf Wega-IX gelandet. Für die gesamte nächste Woche wird sie auf dem Raumhafen der HARRISON-CROENEN-BASIS liegen, um Nachschubgüter und Ersatzteile an Bord zu nehmen. Wir zwei haben Urlaub. Eben vom Ersten Offizier genehmigt.

Mit einem Mal war Andrea hellwach. „Urlaub? Aber das ist ja toll. Wann hast du den denn für uns eingereicht?“

Jayden grinste breit. „Gleich, nachdem ich von der Landung erfuhr. Ich dachte mir, dass wir etwas natürliche Gravitation und etwas frische Luft gut gebrauchen könnten. Außerdem war ich noch nie auf Wega-IX.“

Der Jamaikaner legte schnell seine Uniform ab und schlüpfte zu seiner Verlobten unter die Bettdecke. Mit einem zufriedenen Brummen nahm er sie in seine Arme und sah, etwas ernster als zuvor, in ihre Augen. „Vielleicht kommst du dabei auf andere Gedanken. In den letzten Monaten warst du so in dich gekehrt und betrübt, wegen der Ereignisse auf der Erde. Ich wünschte, ich könnte dir in deinem Schmerz noch besser zur Seite stehen.“

Die energische Frau küsste ihn sanft auf die Wange und auf die Lippen. „Aber du tust bereits, was du kannst, Jayden. Du bist für mich da, und darüber bin ich sehr glücklich. Ohne deine Nähe, deine Liebe und deine Fürsorge wäre der Tod meiner Familie noch viel unerträglicher und ich wäre bestimmt daran zerbrochen.“

Sie küssten sich erneut.

Nachdem Andrea den Jamaikaner wieder freigegeben hatte, sah sie ihn entschlossen an und streichelte sanft seine Wange. „Lass uns heiraten, Jayden. Nicht gleich in der nächsten Woche, aber bitte noch in diesem Jahr.“

Unglaube stand im Gesicht des sonst stets heiter und unbekümmert wirkenden Mannes. Sie hatten sich zwar zu Weihnachten, letzten Jahres, verlobt, doch über eine Heirat noch nie wirklich gesprochen. Bisher zumindest. Nach der Hiobsnachricht, die Dean Corvin ihr zu Beginn dieses Jahres überbrachte hatte er das Thema auch nie ernsthaft in Betracht gezogen, denn zuerst einmal musste Andrea mit ihrer Trauer über den Verlust ihrer Verwandten klarkommen. So hatte er zumindest bisher gedacht. Er freute sich zwar darüber, dass Andrea dieses Thema nun ansprach, aber dennoch hatte er gleichzeitig auch Angst davor, dass das nur eine Gegenreaktion auf den erlittenen Verlust sein könnte. Darum schwieg er einen Moment lang und erkundigte sich dann vorsichtig: „Bist du dir, in Hinsicht auf deine momentane Gefühlslage, ganz sicher, dass du das möchtest?“

In den blauen Augen der Frau zeichnete sich Verstehen ab. Ihre Gesichtszüge wurden um eine Spur weicher, als sie leise erwiderte: „Ich weiß, welche Gedanken dir jetzt gerade durch den Kopf gehen und ich würde an deiner Stelle auch gewisse Vermutungen anstellen, Jayden. Aber das ist kein Wunsch, der erst nach der Botschaft von Dean in mir entstanden ist sondern bereits da war, als wir uns verlobten. Wir sind jetzt seit gut vier Jahren zusammen und ich bin mir ganz sicher, dass ich mein Leben an deiner Seite verbringen will. Mehr, als jemals zuvor.“

Jayden Kerr zog seine Verlobte, unter der Decke, ganz eng zu sich heran und strahlte glücklich. Heiser sagte er: „Das wünsche ich mir auch, mein Engel. Sehr sogar.“

Sie kuschelten miteinander, und erst nach einer Weile bemerkte Jayden, dass die Umarmung seiner Verlobten schwächer geworden war. Dafür ging ihr Atem nun langsam und gleichmäßig.

Eingeschlafen, dachte der Jamaikaner amüsiert. Er nahm es als gutes Zeichen, denn nur allzu oft war Andrea, während der letzten Monate, aus einem unruhigen Schlaf schreiend aufgewacht. Sie jetzt so friedlich in seinen Armen liegen zu sehen und so ruhig schlafend zu erleben erfüllte ihn mit einer gewissen Erleichterung.

Nachdem Andrea vom Tod ihrer Familie erfahren hatte, da hatte er sich ernsthafte Sorgen um den seelischen Zustand der Frau gemacht, die er über alles liebte. Zumal sie anfangs jede professionelle Hilfe abgelehnt hatte. Doch er hatte Andrea schließlich, beharrlich bleibend, davon überzeugen können, die Bord-Psychologin aufzusuchen. Danach, das hatte sie schnell selbst zugegeben, war es ihr leichter gefallen, mit dem Verlust umzugehen und sie hatte nach einer Weile damit angefangen, ihn innerlich zu verarbeiten. Dabei hatte er sie, wo immer es ging, unterstützt.

Aber nicht nur er, sondern gleichfalls seine Vorgesetzten, die ihre Dienstpläne so abgefasst hatten, dass sie gemeinsam Dienst taten. Bis vor einer Woche jedenfalls. Wofür Jayden seinen Vorgesetzten unendlich dankbar war. Vermutlich hatte der Erste Offizier auch deswegen die Urlaubsanträge so schnell durchgewunken.

Andrea beinahe übervorsichtig in seinen Armen haltend und ihren Kopf sanft auf seine Schulter bettend, schweiften seine Gedanken ab.

Es schien Jayden Kerr etwas bizarr, dass drei der ältesten und bedeutendsten Kolonial-Planeten niemals Eigennamen bekommen hatten. Man hatte sie schlicht durchnummeriert und sie Wega-VII, Wega-VIII und Wega-IX genannt.

Der neunte Planet des Wega-Systems umkreiste seinen bläulich-weißen Zentralstern dabei in einem mittleren Abstand von 8,1 Astronomischen Einheiten. Beginnend mit dem Jahr 2335 war Wega-IX, zeitgleich mit Wega-VII und Wega-VIII, von Terranern besiedelt worden. Mit einem Durchmesser von 11.893 Kilometern war Wega-IX der zweitgrößte der drei besiedelten Welten des Wega-Systems. Zu Beginn seiner Besiedlung, so wusste Jayden Kerr, hatte dieser Planet nur knapp 17 Prozent Sauerstoffanteil besessen. Im Laufe der nächsten einhundert Jahre war dieser Anteil, durch atmosphärisches Terraforming, langsam auf rund zwanzig Prozent angehoben worden. Diese lange Zeitspanne wurde seinerzeit deshalb gewählt, um der natürlichen Flora und Fauna des Planeten eine nicht zu abrupte Anpassung zu ermöglichen. Hier herrschten, für Menschen, sehr angenehme Lebensverhältnisse. Mit einer Eigenrotation von 25,2 Stunden Terra-Standard und einer mittleren Temperatur von zwanzig Grad Celsius ähnelte er sehr stark Terra.

Etwa 76 Prozent der planetaren Oberfläche bestanden aus Wasser. Die Landmassen verteilten sich auf einen großen, und vier deutlich kleinere, Kontinente. Nur etwas weniger als ein Prozent entfiel dabei auf die kleinen Inseln des Planeten.

Momentan lebten rund 3,9 Milliarden Menschen auf diesem Planet.

Die Sektion-Wega, eine der zwölf Sektionen der Terranischen Raumflotten-Akademie, lag auf einem der vier kleineren Kontinente, in der klimatisch gemäßigten Zone der planetaren Nordhalbkugel. Außerdem unterhielt die Terranische Raumflotte mehrere große Basen auf dem Hauptkontinent, auf dem auch die HARRISON-CROENEN-BASIS lag.

Die industrielle Kapazität dieses Planeten lag, seit etwa einhundert Jahren, sogar höher, als die von Terra. Allein dies zeigte die Wichtigkeit dieser Welt, innerhalb des Terranischen Imperiums, auf. Um die natürlich auch die Konföderation Deneb wusste. Deshalb galt dieses System auch als ein vordringliches strategisches Ziel, weshalb es kaum verwunderte, dass die Flottenkonzentration hier, seit dem Überfall auf das Sol-System, massiv zugenommen hatte.

Permanent flogen Kriegsschiffe an den Grenzen des Systems Patrouille und die Werften der Terranischen Flotte produzierten gegenwärtig mit einhundert Prozent Auslastung. Seit Monaten wurde dieses System zu einer Festung ersten Ranges ausgebaut und es war nur eine Frage der Zeit, nach Kerrs Ansicht, wann der Feind sie auch hier heimsuchte.

Das zweite strategisch wertvolle Ziel war das Delta-Cephei-System. Natürlich hatten er und Andrea mittlerweile davon gehört, dass dort, wenige Wochen nach dem Überfall auf die Erde, ebenfalls eine Raumschlacht, zwischen der Konföderation und dem Imperium, stattgefunden hatte. Gerüchten zufolge sollte die Farradeen-Allianz, auf Seiten des Imperiums ebenfalls daran beteiligt gewesen sein. Falls dies stimme, so war das ein Lichtblick in diesem Krieg, was Kerr betraf. Als Alliierte konnten beide Sternenreiche der Konföderation Deneb ganz bestimmt Paroli bieten. Zumindest seiner Einschätzung nach.

Er und Andrea hatten aufmerksam die nachfolgenden Verlustlisten studiert, doch die Namen ihrer Freunde waren zu ihrer Erleichterung nicht darauf zu finden gewesen. Also hatten sie die Freunde weiterhin bei Delta-Cephei vermutet. Doch nun schien es so, als befände sich mindestens einer von ihnen nicht dort, sondern bald schon in ihrer Nähe.

Hauptmann Kimi Korkonnen, sinnierte Jayden Kerr und fragte sich dabei, ob das wirklich der Freund sein konnte. Hauptmann. Sollte das wirklich unser Kimi sein, was zur Hölle ist dann bloß bei Delta-Cephei passiert?

Der Jamaikaner schüttelte diese fruchtlosen Grübeleien schnell ab. Vielleicht waren er und Andrea schon bald schlauer, sobald die VESTERGAARD im System eingetroffen war. Vorsichtig hob er seinen linken Arm und sah auf das Chrono-Feld seines MFA. Dabei gab Andrea ein schwaches Seufzen von sich und kuschelte sich, im Schlaf, enger an ihn.

Jayden sah in ihr entspanntes Gesicht und dachte dabei glücklich: Ja, ich will.
 

* * *
 

Zufrieden lächelnd sah Kimi Korkonnen, auf dem Bildschirm der Zentrale, wie sich die VESTERGAARD der Oberfläche des neunten Wega-Planeten immer weiter annäherte. Vor einem Moment hatte der Leichte Kreuzer die Zehntausend-Meter-Marke unterschritten.

Jetzt wieder an den Kontrollen der Navigationskontrollen sitzend, warf er einen kurzen Blick nach Rechts, wo Leutnant Renée Killkennen, eine waschechte Irin, an den Kontrollen der Steuerung des Kreuzer saß. Ruhig und konzentriert flog sie den Kreuzer in den Bereich des Landeleitstrahls und folgte ihm, mit der Präzision einer gut ausgebildeten Pilotin der Terranischen Flotte.

Die Zufriedenheit des Finnen rührte dabei daher, dass es, nach der Landung auf dem Raumhafen der Flottenbasis, tatsächlich Urlaub gab für den Großteil der Besatzung. Ganze zehn Tage, wobei sich Korkonnen und die Kommandantin des Kreuzers diese zehn Tage normalerweise geteilt hätten. Der Nachteil, wenn man einen führenden Posten auf einem Raumschiff inne hatte.

Doch der Zweite Offizier hatte ihm freiwillig angeboten, seine fünf Tage Dienst an Bord zu übernehmen, unter der Voraussetzung, dass Korkonnen das nächste Mal für ihn übernehmen würde. Auf dem Flug hierher hatte Korkonnen dem Oberleutnant davon erzählt, dass er vielleicht die Chance haben würde, hier seine Freundin wiederzusehen. Dennoch kam das sehr großzügige Angebot seines Kameraden unerwartet. Umso mehr hatte er sich darüber gefreut und er war dem Zweiten Navigator der VESTERGAARD sehr dankbar dafür.

„Wir haben Landefreigabe für Sektion VII-015“, meldete Leutnant Marius Wolf, der Kommunikationsoffizier des Leichten Kreuzers.

„Danke!“, bestätigte Major Saif ad-Dīn. Etwas leiser murmelte die schlanke Araberin, mit der markanten Adlernase: „Die haben sich aber ganz schön Zeit gelassen, wenn man bedenkt, dass der Landeleitstrahl bereits aktiviert wurde.“

„Unser Schiff liegt exakt auf Kurs, Major“, gab Kimi Korkonnen Auskunft. „Die VESTERGAARD steigt mit gleichmäßiger Sinkrate ab. Landeschoren fahren aus.“

Die Kommandantin, die ihr blau-schwarzes, langes Haar hinter dem Kopf mit einer Goldspange gebändigt hatte, erwiderte mahnend: „Ich will eine vorschriftsmäßige Landung erleben, meine Damen und Herren. Nicht dass die von der Heimatflotte auf die unsinnige Idee kommen, hier würden sich Stümper an Bord befinden.“

„Wir werden Sie nicht blamieren und die Ehre der Neunten Flotte bleibt unangetastet, Major!“, gab Kimi Korkonnen übertrieben zackig zurück und erntete dafür einen fragenden Blick seiner Vorgesetzten. Allgemein war das nicht die Art des Finnen.

„Werden Sie mir bloß nicht übermütig, Hauptmann Korkonnen“, ging die Frau auf den Tonfall ihres Ersten Offiziers ein. „Das hat noch keinem Offizier der Flotte gutgetan.“

Kimi Korkonnen, dem erst jetzt auffiel, wie er mit seiner Vorgesetzten gesprochen hatte, nickte stumm und wandte sich schnell ab. Er fragte sich, was da eben in ihn gefahren war. Solche flotten Sprüche waren eher die Art von Dean gewesen, als sie noch die Akademie der Terranischen Raumflotte besucht hatten. Vermisste er ihn so sehr, dass er nun dessen schlechte Angewohnheiten übernahm, um ihm dadurch näher zu sein?

Auf die Schnelle zu keinem Ergebnis kommend, sagte er sich, wütend auf sich selbst, dass dies die Ausnahme bleiben musste. Denn das eben war so gar nicht er selbst gewesen.

„Die VESTERGAARD setzt in voraussichtlich zehn Sekunden auf“, meldete der Blonde nach einer Weile und zählte dann laufend die einzelnen Sekunden herunter. Das lenkte ihn selbst etwas von dem vorangegangenen Fauxpas ab. Bei Null setzte der Kreuzer, mit einem kaum wahrnehmbaren Vibrieren auf dem Bodenbelag auf.

„Der Kreuzer ist gelandet.“

Major Saif ad-Dīn hatte den kleinen Vorfall scheinbar schon abgehakt. Mit ruhiger Stimme sagte sie: „Ich bedanke mich für diese Bilderbuch-Landung.“

Dabei erhob sie sich aus ihrem Sitz, schritt zu Korkonnen und sagte beinahe lautlos und mit verschwörerischem Tonfall: „Die Ehre der Neunten Flotte bleibt heute in der Tat unangetastet, Hauptmann Korkonnen.“

Als sich ihr Erster Offizier erhob und sie unangenehm berührt ansah, lächelte sie fein und sagte deutlich lauter: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub, Hauptmann.“

„Danke, Sir. Melde mich ab.“

Korkonnen grüßte vorschriftsmäßig, wobei er seiner Vorgesetzten einen dankbaren Blick dafür zuwarf, dass sie nicht weiter auf seine etwas undisziplinierte Bemerkung von eben eingehen wollte. Danach wandte er sich schnell ab und verließ die Zentrale des Kreuzers um sein Quartier aufzusuchen. Es gab ein paar Dinge, die er dort noch zu holen gedachte, bevor er die VESTERGAARD verließ.

Auf dem Gang hörte er schnelle Schritte hinter sich. Als sich der Finne umsah bemerkte er, dass es Renée Killkennen war, die sich beeilte zu ihm aufzuschließen. Er hatte sich von Beginn an sehr gut mit ihr verstanden. Die kleine, quirlige Frau, mit den rot-braunen, mittellangen Haaren und den auffallend grün-grauen Augen, sah ihn, irgendwie erheitert, von unten herauf an und erkundigte sich launig: „Sie haben es aber mächtig eilig vom Schiff zu kommen, Sir. Ich hätte Ihnen übrigens einen so flotten Spruch, wie den eben während der Landung, gar nicht zugetraut.“

Korkonnen grinste schief. „Ja, lassen Sie uns bitte nie wieder darüber reden, Leutnant. Ich musste nur an meinen Freund Dean denken, da ist mir das so herausgerutscht.“

„Ich kenne unsere Kommandantin schon etwas länger, als Sie, und ich bin mir sicher, dass sie es Ihnen nicht krumm genommen hat. Ihren Freund muss ich unbedingt mal kennenlernen, Sie reden sehr oft von ihm. Scheint eine interessante Persönlichkeit zu sein.“

Sie bogen nach rechts, in einen der beiden zentralen Längsgänge auf dem Hauptdeck ein, auf dem nicht nur die Zentrale zu erreichen war, sondern auch die Offiziersquartiere. Dabei erwiderte Korkonnen das Lächeln der Frau und meinte, in Gedanken: „Aber hüten Sie sich, falls er Sie je zum Tanz auffordern sollte.“

Fragend sah die Irin ihren Begleiter an, der sie um gut einen Kopf überragte. „Warum das? Tanzt ihr Freund denn so miserabel?“

Kimi schüttelte amüsiert den Kopf. „Ganz im Gegenteil. Aber wenn er einmal damit anfängt dann kann es dauern, bis er wieder aufhört. Das könnte an die Substanz gehen.“

„Ich bin fit“, gab die Frau leichthin zurück. Mit etwas verändertem Tonfall fragte sie dann: „Wie ist es mit Ihnen, Hauptmann? Tanzen Sie.“

„Fürchterlich, Leutnant“, seufzte der Finne grinsend. Bevor ich es mit meiner Freundin wagen könnte, müsste ich erst einmal intensiv üben. Mit Rücksicht auf ihre Füße.“

„Oh“, machte die Irin. Ihr Lächeln verlor sich etwas. „Ich wusste nicht, dass sie bereits in festen Händen sind, Sir.“

Der Finne lächelte in Gedanken. „Ja, seit kurz vor dem Angriff der Konföderation. Aber eigentlich hat es bereits auf der Akademie seinen Anfang genommen.“

Renée Killkennen grinste gezwungen. „Schüchtern, Herr Hauptmann?“

„Vorsichtig“, deklamierte Korkonnen mit erhobenem Zeigefinger. „Nun ja, wir sind beide nicht gerade als Draufgänger bekannt, wissen Sie.“

„Vielleicht fehlt Ihnen das ja“, legte die Irin keck nach.

Kimi Korkonnen schritt etwas langsamer aus und warf seiner Kameradin einen leicht erstaunten Blick zu. „Wie meinen Sie denn das, Leutnant?“

Die Begleiterin des Finnen lachte verlegen. „Entschuldigen Sie, Sir, das ist mir jetzt spontan herausgerutscht. Schenken Sie dem keine Beachtung, das passiert mir manchmal. Da vorne ist ja schon mein Quartier. Nun ja, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub.“

Damit schritt die Frau schnell an Korkonnen vorbei und war einen Moment später bereits in ihrem Quartier verschwunden.

Für einen Augenblick lang sah der Finne ihr überlegend nach, bevor er den Kopf schüttelte und sein eigenes Quartier betrat.
 

* * *
 

Kaum dass Kimi Korkonnen das Gelände des Raumhafens, an Bord eines Zuges der hiesigen Magnetbahn, hinter sich gelassen hatte, führte er über sein Multi-Funktions-Armband die automatische Erfassung bei der Planetaren Erfassungsbehörde durch. Damit war er auf diesem Planet registriert und gleichzeitig in der Lage, alle anwesenden Flottenangehörigen auf diesem Planeten, über das Funksegment seines MFA, zu erreichen. So, wie er nun auch von allen anderen Flottenangehörigen auf dieselbe Weise erreicht werden konnte. Dieses Vorgehen gehörte zu den Pflichtaufgaben von Flottenangehörigen, sobald sie auf einem Planeten des Imperiums gelandet waren.

Kimi wusste also, dass er Miriam, Andrea und Jayden erreichen konnte, falls sie tatsächlich auf Wega-IX weilten. Doch hier, in dem voll besetzten Abteil der Magnetbahn, wollte er keinen Kontakt herstellen. Das hatte Zeit bis er die nahegelegene Stadt Erron erreicht hatte.

Es dauerte nur Minuten, bis die Magnetbahn in einen der äußeren, riesigen Bahnhofbereiche von Erron einfuhr. Diese planetare Metropole beherbergte momentan mehr als fünf Millionen Menschen, und das wurde für den Finnen schnell deutlich.

Kimi Korkonnen verließ das Zugabteil, orientierte sich kurz auf dem Bahnsteig und folgte dann den gelben Markierungen an den weißen Metallplastik-Wänden des Gebäudes.

Als der Finne endlich durch eine der sich automatisch öffnenden und schließenden Glastüren des Haupteingangsbereichs schritt und den Vorplatz des Bahnhofsbereiches betrat, atmete er tief durch und sah sich um.

Gegenüber gab es einen großen Park. Zu seiner Linken erhob sich die vielfach verglaste Skyline des Stadtzentrums, und zu seiner Rechten schlossen sich an die kleineren Gebäude der Vorstadt die hügeligen Ausläufer der entfernt erkennbaren Gebirgskette an.

Am tiefblauen Himmel waren nur vereinzelt weiße Federwolken zu entdecken, die im Begriff schienen, sich aufzulösen. Die weit entfernte, weiße Sonne strahlte hier eine angenehme Wärme aus. Für einen kurzen Moment fühlte sich Kimi Korkonnen auf seinen Heimatplaneten Terra zurück versetzt.

Mit einem leisen Gefühl von Heimweh setzte sich der Finne wieder in Bewegung. Er überquerte den weiten Platz, schritt um den zentralen Springbrunnen herum, und beobachtete die Leute die hier verkehrten. Sie unterschieden sich im Wesentlichen nicht von denen, die man in irgendeiner Stadt der Erde erwartet hätte. Doch dann fiel dem Blonden auf, dass hier deutlich mehr Menschen, die auf dem benachbarten Planet Wega-VIII geboren worden sein mussten, unterwegs waren. Sie unterschieden sich durch ihren blass-blauen Hautton von andere Menschen, ein Phänomen, dass sich ab der vierten Generation bei den Wega-VIII-Kolonisten eingestellt hatte. Durch das etwas andere Spektrum des Sterns hatten sich die Gene der auf diesem Planet geborenen Menschen dahin gehend geändert. Außerdem hatte die höhere Schwerkraft des Planeten, im Laufe der Generationen, dafür gesorgt, dass die Bewohner des achten Wega-Planeten allgemein von sehr kräftiger Gestalt waren, und, wegen der höheren Lichteinstrahlung dort, dichtere Augenbrauen und sehr tiefliegende Augen besaßen. Zudem wies das sehr dichtes Haar dieser Kolonisten-Nachkommen zumeist einen dunkelroten bis kupferroten Farbton auf.

Der Finne ließ den belebten Platz hinter sich und atmete innerlich auf, als er in den weniger belebten Bereich des Parks hinein schritt. Der Duft ihm unbekannter, bunter Blumen, die hier zu Tausenden angepflanzt worden waren, empfing ihn. Niedrige, knorrige Bäume spendeten dabei mit ihrem Blätterdach, dass sich über die Wanderwege spannte, Schatten. Auf einer der, in regelmäßigen Abständen stehenden, Parkbänke ließ er sich schließlich nieder, aktivierte sein MFA und gab per Stimmenkommando die Anweisung, eine Verbindung zu Oberleutnant Miriam Rosenbaum herzustellen. Danach wartete er gespannt.

„Verbindung kann nicht hergestellt werden“, meldete eine sanft modulierte Computerstimme. „Teilnehmer nicht in Reichweite.“

Ihr Schiff ist vermutlich gerade auf Patrouille, mutmaßte Korkonnen missgestimmt. Dann hellte sich seine Miene auf und er versuchte es erneut. Diesmal gab er Jayden Kerr als Teilnehmer an und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die bekannte Stimme des Freundes aus dem Empfangssegment seines MFA erklang.

„Hier Jayden. Mensch Kimi, du bist tatsächlich auf Wega-IX. Wo genau steckst du?“

„Wenigstens du bist erreichbar“, gab Kimi erleichtert zurück. „Miriam konnte ich nicht erreichen. Ich bin gerade mit der Magnetbahn in den Außenbezirk von Erron eingefahren und habe es mir, gegenüber vom Bahnhof, in einem Park gemütlich gemacht.“

„Den kenne ich“, erwiderte Jayden und seine Stimme klang gutgelaunt. „Andrea und ich habe ein paar Tage frei. Bleib wo du bist, wir kommen hin. Dauert nur eine halbe Stunde. Übrigens, Miriams Zerstörer, die AURORA, ist noch unterwegs, auf Patrouille. Der Zerstörer landet aber heute Abend noch hier. Du wirst also die Gelegenheit haben sie zu sehen.“

„Das sind gute Nachrichten, mein Freund. Beeilt euch. Kimi, Ende.“

Ein Lachen kam zurück. „Wir sind gleich da. Ende und Aus.“

Kimi Korkonnen deaktivierte den Sender seines MFA und lehnte sich gut gelaunt auf der Parkbank zurück. Nicht mehr lange, und er würde Jayden und Andrea endlich wiedersehen – und Miriam war ebenfalls in Reichweite. Versonnen sah der Finne unter das Blätterdach der Bäume und dachte: Ich wünschte nur, dass Dean und Don Rodrigo auch hier wären. Dann wäre die Truppe wieder zusammen. Hoffentlich werden wir es in absehbarer Zeit schaffen, tatsächlich alle sechs einmal wieder zusammenzukommen. Schade, dass gerade Dean momentan so unerreichbar zu sein scheint. Der ist jetzt vermutlich schon auf dem halben Weg ins Sol-System. Verdammt, mein Freund, pass bloß auf deinen Hintern auf.

Kimi Korkonnen versuchte, diese finsteren Gedanken zu verbannen, und an positivere Dinge zu denken. Von Dean hatte er, nach dessen Besuch auf der SATURN, erfahren, dass Jayden und Andrea nun verlobt waren. Die beiden machten offensichtlich ernst.

Bei diesem Gedanken erinnerte sich Kimi an die Reaktion seines besten Freundes, als er ihm gegenüber seine Freude darüber geäußert hatte. Dean hatte zwar behauptet, dass er sich längst mit der Tatsache abgefunden hatte, dass Andrea sich für Jayden, und gegen ihn, entschieden hatte, doch so sicher, wie in den Jahren davor, war sich der Finne nach dem Gespräch mit seinem besten Freund nicht mehr. Er hatte gespürt, dass nach Deans Besuch auf der SATURN der Freund etwas anders gewesen war, als in den zweieinhalb Jahren davor.

Vielleicht lag das aber auch nur an der Nachricht, die er ihr überbracht hatte. Die Reaktion der Freundin auf seine Worte zu erleben; ihren seelischen Zusammenbruch in seinen Armen, das war möglicherweise schon der einzige Grund für sein verändertes Verhalten gewesen. Dean und Andrea hatten sich von Beginn an sehr nahe gestanden, als Freunde. Vielleicht interpretierte er da etwas ganz Falsches hinein.

Was seine Laune deutlich verbesserte war, dass Rodrigo und Nayeli Herández sich wenigstens regelmäßig sehen konnten. Beide waren jetzt auf Outpost stationiert.

Kimi wusste, dass das Verhältnis zwischen Nayeli und Tabea Carrick, die beim Absturz der KIROV, nach dem Angriff eines Kriegsschiffs der Konföderation Deneb, den Tod fand, ähnlicher Natur gewesen war, wie das zwischen ihm und Dean. Nach Tabeas Tod war Rodrigo ihr seelischer Anker gewesen. Beide hatten zwar schon zuvor tiefe Gefühle füreinander entwickelt, doch nach dem Tod von Nayelis Freundin hatten sich diese noch intensiviert. Die gemeinsamen Erlebnisse während und nach der Flucht aus dem Sonnensystem hatten sie dabei noch enger zusammengeschweißt.

Beide arbeiteten momentan intensiv an einer Lösung für das Problem, dass die Raumschiffe der Imperialen Raumflotte, wegen der neuartigen Störsender hatten, die von der Konföderation, beim Angriff auf das Sol-System zum Einsatz gebracht worden waren. Doch von einem Durchbruch war man noch weit entfernt. Darum war es so eminent wichtig, einen dieser Störsender in die Finger zu bekommen. Wenn man wusste, wie sie aufgebaut waren, dann konnte man etwas dagegen entwickeln. Das hoffte der Finne zumindest.

Tief durchatmend sah Korkonnen über die Blumenbeete in der Umgebung. Dabei richteten sich seine Gedanken schließlich auf eine junge Technikerin, die sie auf Luna hatten zurücklassen müssen. Er hatte den Eindruck gehabt, dass Dean und sie sich nicht sonderlich grün gewesen waren. Allerdings hatte der Freund, während des Fluges des geretteten Leichten Kreuzers NOVA SOLARIS nach Delta-Cephei, zu Beginn des Jahres, immer wieder davon erzählt, wie schwer es ihm gefallen war, sie zurückzulassen und dass er ihr versprochen hatte, zurückzukehren und sie zu holen. Dabei musste der Freund doch gewusst haben, wie aussichtslos ein solcher Versuch sein musste. Selbst dann, wenn er ihn wirklich ernsthaft in Erwägung ziehen würde. Nun, Dean würde zwar bald wieder ins Sol-System zurückkehren, doch allein nach dieser Rian Onoro zu suchen kam bei der geplanten Mission nicht in Frage. Noch weniger ein Vorstoß zum Erdtrabant, um sie zu befreien. Er selbst hatte während der Flucht von dort erlebt, wie ausgeklügelt die Sicherheitsmaßnahmen dort waren. Er ging fest davon aus, dass die Mondbasen mittlerweile alle fest unter Kontrolle der Truppen der Konföderation Deneb sein würden.

Kimi Korkonnen ging indessen nicht davon aus, dass sich die dunkelhäutige Frau noch in Freiheit befand. Niemand würde sich auf Dauer in einer geschlossenen Mondbasis verstecken können. Auch dann nicht, wenn man sich dort so hervorragend auskannte, wie sie.

Ein wenig verstand er die Frustration, die er bei Dean gespürt hatte, jedesmal wenn er mit ihm darüber nachgegrübelt hatte, wie man ihre Vorgesetzten zu einer Befreiungsaktion überreden könne, und er ihn auf den Boden der Tatsachen hatte zurückbringen müssen.

Dass Dean nun nicht einmal mehr in der Terranischen Raumflotte diente, sondern in der Flotte der Farradeen-Allianz, hatte die Aussicht, etwas für die junge Technikerin tun zu können, verschwindend gering werden lassen. Kimi hoffte nur, dass Dean keine Dummheit machen, und einen Alleingang starten würde, während des kommenden Einsatzes.

So in Gedanken sah er schließlich den Weg zurück, den er gekommen war. Was er dabei sah, beschleunigte beinahe übergangslos seinen Herzschlag. Keine zwanzig Meter von sich entfernt erkannte er die unverkennbaren Silhouetten von Jayden und Andrea. Hand in Hand kamen sie ihm entgegen.

Beinahe wie in Trance erhob sich der Finne und nahm dabei den Anblick der Freunde in sich auf, bis sie ihn schließlich erreicht hatten.

Auf den letzten Metern hatte sich Andrea von Jayden gelöst und fiel ihm nun lachend um den Hals. Dabei stieß sie erleichtert aus: „Du bist es wirklich! Mensch, Kimi, dass wir dich endlich wiedersehen!“

Der Finne drückte die Freundin kurz und schob sie dann mit sanfter Gewalt von sich. „Ich freue mich genauso sehr.“

Im nächsten Moment war Jayden bei ihm und er umarmte ihn nicht weniger erfreut, als es Andrea getan hatte. Dann trat der Jamaikaner einen halben Schritt zurück und musterte den Freund. „Da scheint sich Einiges ereignet zu haben, seit wir uns das letzte Mal gesehen habe, wie mir scheint. Du trägst die gelben Streifen, statt der orangen und du trägst die Abzeichen eines Hauptmanns. Sag schon, wem hast du die Uniform geklaut?“

Korkonnen grinste erheitert. „Wenn du das bereits für eine Sensation hältst, dann halt dich besser irgendwo fest, denn das ist gar nichts im Vergleich dazu, was sonst noch passiert ist. Ach, und zu deiner Information, das ist meine Uniform.“

„Du wirst uns alles schön der Reihe nach erzählen“, mischte sich Andrea ein. „Aber nicht hier im Freien, sondern in dem kleinen Café, das es hier im Park gibt. Und nur damit du es weißt, wir haben auch eine kleine Überraschung für dich.“

„So? Welche denn?“

Die junge Frau lachte hintergründig. „Das erfährst du schon noch, aber erst, nachdem du uns alles erzählt hast.“

Kimi verzog das Gesicht. „Dann sollten wir nicht noch mehr Zeit vertrödeln und hier herumstehen. Wo ist dieses Café?“
 

* * *
 

Es dauerte keine zehn Minuten, bis die drei Freunde das Park-Café erreicht hatten. Nachdem sie sich an einen der Tische, im Schatten einer überdachten Terrasse, niedergelassen und ihre bestellten Getränke bekommen hatten, sah Kimi zu Andrea und Jayden.

„Also schön, ihr Beiden. Wo soll ich damit beginnen zu erzählen, was sich ereignet hat, seit unserem Abschied in Casablanca.“

Es war Andrea, die meinte: „Fang am besten mit dem Angriff auf das Sol-System an. Die Informationen, die Dean uns gegeben hat waren bestenfalls vage. Ist auch kein Wunder, bei dem, was er mir sonst noch mitzuteilen hatte.“

Kimi trank etwas von seinem Kaffee, stellte die Tasse auf den Tisch zurück und begann danach von den Ereignissen während des letzten Jahreswechsels zu berichten.

Als der Blonde davon berichtete, wie sie den Experimentalkreuzer aus der Luna-Werft geflogen hatten, mit Dean Corvin als Kommandant und Pilot, da weiteten sich die Augen der beiden Kameraden gleichermaßen und Kimi fragte unsicher: „Das hat Dean dann wohl nicht erzählt, als er auf der SATURN war?“

Jayden Kerr nickte zustimmend. „Kein Wort. Ich dachte, ihr zwei wärt als Passagiere auf einem der Kreuzer der Heimatflotte entkommen.“

Nein, wir haben die NOVA SOLARIS, den besten und neuesten Leichten Kreuzer der Flotte, gekapert und sind dann zuerst einmal zum Merkur geflogen. Dort sollten zwei eminent wichtige Aggregate lagern, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die NOVA SOLARIS eingebaut worden waren. Also sind wir hin, um sie an Bord zu nehmen. Doch das Ganze stellte sich als Fehlschlag heraus, denn die beiden Aggregate, um die es ging, hatte die Chefin des Geheimdienstes bereits woanders hin transportieren lassen. Aber als hätte das alleine noch nicht gereicht, hatten wir obendrein noch drei Schlachtkreuzer der Konföderierten am Hintern kleben, bei dieser Aktion. Denen mussten wir dann erst einmal entkommen.“

Andrea, die fasziniert zugehört hatte, fragte gespannt: „Na, und wie habt ihr die abgehängt, Kimi. Nun rede schon.“

Der Finne amüsierte sich sichtlich, bevor er sagte: „Gar nicht. Die waren bereits über Merkur, als wir wieder von dort abhoben. Die drei Schlachtkreuzer näherten sich aus drei verschiedenen Vektoren, und was machte Dean, der verrückte Kerl? Der hat genau das Manöver geflogen, dass damals, im Simulator auf der Venus, so spektakulär schief ging.“

Jayden und Andrea stießen fast gleichzeitig aus: „Was?“

Kimi grinst belustigt. „Ihr habt richtig verstanden. Dean hat die NOVA SOLARIS genau zwischen den drei Angreifern hindurch geflogen. Dabei haben wir zwei der feindlichen Kriegsschiffe schwer erwischt. Dean hatte die Idee, die Suchköpfe der Torpedos, wegen der Störungen ihrer Zielscanner, zu deaktivieren. Stattdessen haben wir mit den Breitseiten des Kreuzers gezielt. Mit den Plasma-Geschützen haben wir auf Sicht geschossen.“

„Also, das ist doch das Letzte!“, entfuhr es Andrea von Garding. „Dean hat dieses Irrsinns-Manöver in einem realen Gefecht angewandt und er ist damit durchgekommen?“

Kimi lachte trocken. „Ja, und so wie es aussieht, hatte er damals an der Akademie Recht. Der Gegner hat nicht damit gerechnet, dass jemand so wahnsinnig sein könnte ein solches Manöver zu versuchen. Jedenfalls hat es funktioniert, sonst wäre ich nicht hier.“

Andrea funkelte Kimi giftig an. „Na warte, dem werde ich was erzählen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Was macht er jetzt überhaupt?“

Kimi grinste breit. „Nun ja, damit komme ich jetzt zu der Stelle, an der ihr Zwei euch besser festhalten solltet. Nachdem wir mit der NOVA SOLARIS das Delta-Cephei-System erreicht hatten, empfing uns General Mbena persönlich. Sie befragte uns ausgiebig zu den Ereignissen im Sonnensystem. Dabei erfuhren wir von General Mbena, dass unmittelbar vor dem Angriff der Konföderation auf das Sonnensystem Beweise gefunden wurden, die Dean und mich von dem Vorwurf, der unsere Karrieren versaut hat, entlasteten. Man fand Beweise dafür, dass es die beiden Freunde von Kim Tae Yeon waren, mit denen sie damals bereits an der Sektion-Terra herummachte. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass Kim selbst dahintersteckt. Sie ist übergelaufen zur Konföderation. Das haben wir auf Luna erfahren, bevor wir von dort geflohen sind.“

„Dieses verdammte Miststück!“, stieß Andrea fassungslos aus. Jayden einen schnellen Blick zu werfend fügte sie hinzu: „Du hättest mich damals nicht daran hindern sollen, dieser falschen Schlange den Hals umzudrehen. Aber erzähl weiter, Kimi.“

Der Finne nickte ernster werdend. „Also schön. Nachdem sich Mbena unsere Geschichte angehört hatte, meinte sie, dass Dean genau der Richtige sei, um den Experimentalkreuzer einzufliegen. Unglücklicherweise hatte sie keinen Major zur Hand, den sie hätte als regulären Kommandanten für die NOVA SOLARIS abstellen können. Also hat sie kurzerhand Dean zum Hauptmann-ZBV befördert und ihn zum Kommandanten des Kreuzers bestimmt. Mich brauchte sie als XO für die VESTERGAARD. Doch damit ist die Geschichte nicht zu Ende. Es kam wenig später zur Schlacht um Delta-Cephei und wir hätten nicht gut ausgesehen, wenn die Farradeen-Allianz uns nicht beigestanden hätte. Es kam zu schwierigen Allianz-Verhandlungen nach der Schlacht, und die NOVA SOLARIS und ihre Besatzung an die Allianz abzutreten war Teil dieser Vereinbarung.“

Andrea sah verständnislos zu dem Freund. „Was willst du damit sagen?“

Kimi schluckte trocken. „Ich will damit sagen, dass Dean nicht mehr Offizier der Terranischen Raumflotte ist, und er ist auch kein Bürger des Imperiums mehr. Es gehörte zu dem erwähnten Allianzvertrag mit Farradeen, dass die Besatzung ihre Staatsbürgerschaft aufgibt und die der Farradeen-Allianz annimmt. Die NOVA SOLARIS gehört ebenfalls jetzt zur Raumflotte von Farradeen. Das Militär von Farradeen hat die gesamte Besatzung des Leichten Kreuzers in ihren Dienst übernommen.“

Sprachlos starrte Andrea den blonden Mann an, so als würde sie ihm kein Wort glauben wollen. Auch Jaydens Blick wirkte ungläubig.

Kimi nutzte den Moment um anzufügen. „Es ist wahr, Freunde. Da ist übrigens noch etwas. Die von der Farradeen-Allianz kennen keinen ZBV-Status. Andererseits verbieten die Bestimmungen ihrer Flotte, dass sie jemanden, den sie ihn in ihren Dienst übernehmen, degradieren. Was aber de facto der Fall gewesen wäre, wenn sie Dean im Rang eines Hauptmanns übernommen hätten. Darum blieb ihnen nur übrig, ihn im nächsthöheren Rang zu übernehmen, den es in ihrer Flotte gibt. Also als Major.“

Kimi sah an den Mienen der beiden Freunde, dass sie seine Worte erst einmal verdauen mussten. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee.

Keinen Moment zu früh, denn einen Augenblick später schlug Andrea so fest mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Tassen von ihr und Jayden auf hüpften und klirrend wieder auf der Oberfläche landeten. „Dean ist Major? Sind die von der Farradeen-Allianz noch ganz bei Trost? Und viel wichtiger: Ist Dean noch ganz bei Trost? Was fällt dem Kerl ein, dem Imperium den Rücken zu kehren?“

Kimi hob seine Hände. „Dean hatte keine große Wahl, Andrea. Wie du sicherlich mittlerweile erfahren hast gibt es mit der Konföderation Querelen wegen dem Kombattanten-Status der militärischen Angehörigen des Imperiums. Andererseits ist es unerlässlich, dass bei dem geplanten Kommandounternehmen, in Richtung Mars, Leute dabei sind, die sich dort auskennen. Sollten die nun aber in Gefangenschaft geraten und der Imperialen Flotte angehören, so würde das eins bedeuten: Erschießungskommando. General Mbena wollte keinem der Besatzungsmitglieder der NOVA SOLARIS, die am besten dazu geeignet sind einen solchen Einsatz durchzuführen, ein solches Risiko zumuten. Darum kam es zu dieser Vereinbarung. Momentan können sich nur Angehörige der Farradeen-Allianz, die auch die Uniform der Farradeen-Allianz tragen, in solche hoch riskanten Manöver stürzen. Dort wimmelt es nämlich momentan vor feindlichen Truppen.“

„Ich wollte, ich könnte Dean dabei zur Seite stehen“, seufzte Jayden Kerr inbrünstig und Kimi nickte zustimmend. „Auch wenn alles dafür spricht, dass sich Dean da auf eine Art Himmelfahrtskommando begibt.“

Andrea ihrerseits sah bei diesen Worten, und der Reaktion des Finnen darauf, beide mit funkelnden Augen an und meinte, zunächst beherrscht, wobei ihre Stimme jedoch zum Ende hin immer lauter wurde: „Na, das ist ja süß. Ihr zwei würdet also am liebsten mitmischen und Dean bei einem Himmelfahrtskommando beistehen. Sagt mal, seid ihr jetzt völlig behämmert! Ihr sprecht von einem Himmelfahrtskommando!“

Die beiden Männer sahen Andrea etwas konsterniert an. Jayden nahm schnell ihre rechte Hand in seine und erwiderte ruhig: „Ich weiß, warum dich das so aufregt. Du machst dir Sorgen um Dean. Das tun Kimi und ich doch auch.“

Die Deutsche atmete tief durch und erklärte: „Tut mir leid, Jungs. Vielleicht will ich nur nicht noch jemanden verlieren, an dem mir etwas liegt.“

„Das ist verständlich“, beruhigte sie der Finne. „Andererseits würden wir Dean natürlich gerne zur Seite stehen. Vielleicht beruhigt es dich ja, wenn ich dir verspreche, dass Deans Erster Offizier eine Frau ist, deren Vernunft ebenso ausgeprägt zu sein scheint, wie die deine, Andrea. Ich schätze sie so ein, dass sie ein wachsames Auge auf ihn haben wird.“

„Ach“, machte Andrea und sah Kimi interessiert an. „Klingt nach einer interessanten Persönlichkeit.“

Korkonnen machte eine zustimmende Geste. „Das ist sie. Dean und ich haben sie am Silvesterabend kennengelernt. Zuerst war sie uns, da sie von dem Zwischenfall an der Sektion-Terra gehört hatte, nicht sonderlich grün. Aber nachdem ich ihr die Hintergründe der leidigen Geschichte erzählt hatte, entpuppte sie sich als ganz patente Person.“

Kimi Korkonnen trank seinen Kaffee aus und erkundigte sich dann: „Aber jetzt will ich wissen, was du vorhin meintest, als du von einer Überraschung gesprochen hast.“

Andrea sah kurz auf das Chrono-Feld ihres MFA, bevor sie sich lächelnd zu Kimi wandte. „Wir haben uns für heute Abend mit Miriam zum Abendessen verabredet. Im feinsten Restaurant der Stadt. Ihr zwei seid eingeladen. Miriams Zerstörer müsste in zwei Stunden dem Raumhafen niedergehen. Es wird also nicht mehr sehr lange dauern, bis sie hier ist, und du sie endlich in die Arme nehmen kannst.“

Erstaunen lag im Blick des Finnen, und Jayden meinte, breit grinsend: „Wir wissen von Miriam, dass ihr zwei ein Paar seid, und das müssen wir natürlich feiern.“

„Das werden wir auch“, versprach Kimi gut gelaunt. „Ich hoffe nur, dass uns kein Gefechtsalarm in die Quere kommt.“

„Unsere kürzlich ausgesandten Spähsonden haben keinerlei Anzeichen dafür finden können, dass die Konföderierten uns hier angreifen wollen. Es sieht viel mehr so aus, als würden die ihre Stellung im Sol-System ausbauen und dort ihre Macht festigen wollen. Zumindest in den nächsten Tagen und Wochen sind wir hier sicher.“

„Die sollen sich ruhig Zeit lassen“, knurrte Kimi finster. „Wenn der Einsatz, den Dean durchführen soll, Erfolg hat, denn wird General Hilaria Mbena denen bestimmt schon bald die Hölle heiß machen. Dann werden die bedauern, dort geblieben zu sein. In etwa zehn Tagen ist es soweit. Dann bricht die VESTERGAARD ebenfalls auf, nach Alpha-Centauri. Aber das behaltet ihr zwei für euch, damit das klar ist.“

Jayden und Andrea sahen sich kurz an bevor der Jamaikaner meinte: „Dann ist Dean also nicht ganz so allein da draußen, wie wir dachten?“

„Nein, das ist er nicht“, bestätigte der Finne. „Ich glaube fast, General Mbena hat einen Narren an ihm gefressen und darum die VESTERGAARD losgeschickt, damit sie als Horchposten dient. Die geheimen Depeschen für den Sektoren-Kommandanten hat sie bestimmt nur vorgeschoben.“

Sie lachten, und beinahe kamen sie sich vor, wie zu Akademiezeiten.



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