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Rang X

von

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I


 

Rauch steigt aus sieben Ringen;

Der rote Fisch entsteigt der See,

um zu verschlingen,

alles Leben an Land.“

Die Predigten von Madai – Kapitel 10, Vers 10

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Tsuyu war der stolzeste Inkling ganz Inkopolis, denn er hatte es endlich geschafft! Nach jahrelangem Training und unzähligen Revier- und Rangkämpfen, hatte Tsuyu zu guter Letzt den X Rang erreicht – den höchsten Rang, den ein Inkling erklimmen kann.

Überglücklich faltete der junge Inkling noch einmal den Brief, den er kurz darauf erhalten hatte auseinander und las ihn erneut.
 

„Lieber Tsuyu Aikawa (梅雨 相鮎),
 

die Inklinge der Grand Jury freuen sich, dich im Rang X willkommen zu heißen. Zu diesem feierlichen Anlass, möchten wir dich zum kommenden Treffen der X-Kämpfer einladen und dich an unserem Programm teilhaben lassen. Außerdem wirst du, mit einigen anderen X-Kämpfern, eine Einweihungszeremonie durchlaufen, damit wir dich offiziell als einen der unsrigen begrüßen können.
 

Wir freuen uns auf dein Erscheinen,

Grand-Jury-Vorsitzende, Numa Akagawa (沼 赤川)“
 

Tsuyu hatte das Gefühl, dass ein äußerst albernes Grinsen sein Gesicht stets zu schmücken schien, seit er den Brief erhalten hatte und auf dem Weg zum Treffen war. Niemand, außer die X-Kämpfer und die Grand Jury wissen, wo diese Treffen stattfinden, es ist alles stets etwas verschwörerisch und heimlich gehalten. Wer kein X-Kämpfer ist, dem geht die ganze Sache einfach nichts an.

Der vertraute Geruch der salzigen See zog sich wehmütig durch die große Stadt, so als sehne sie sich danach, auch diesen Teil des Landes zu verschlingen. So sehr Tsuyu den Geruch des Meeres auch mochte, genauso sehr fürchtete er ihn – wie jeder Inkling, der noch bei Verstand ist. Die salzige Seeluft vermischte sich mit dem Geruch von Essen, das überall verkauft wurde und Tinte, die von jungen Inklingen aus Spaß hier und dort verspritzt worden war. Tsuyu war zu nervös, um etwas zu essen. Zu Hause war er vor seinem vollen Kühlschrank gesessen, seine Mutter hatte ihm angeboten, sein Lieblingsfrühstück zuzubereiten, aber Tsuyu hatte dankend abgelehnt. Vor lauter Aufregung fühlte sein Magen sich an, als hätte jemand einen Knoten hineingemacht.

Immer weiter folgte Tsuyu der Wegbeschreibung, emsig brausten Autos an ihm vorbei und überall trieben sich Inklinge herum, saßen auf Bänken oder Bürgersteigen, unterhielten sich und zeigten sich Videos auf ihre Squidphones. Tsuyu würde ihnen am liebsten laut ins Gesicht brüllen, dass er es geschafft hatte, während sie ihren Tag mit den sozialen Netzwerken verplemperten, aber er hielt sich zurück. Noch nicht.

Nach und nach wich der beschwingte Gang aus Tsuyus knochenlosen Beinen und er geriet etwas ins Stocken. Die sommerliche Hitze brannte unangenehm auf ihn herunter und er strich sich seufzend mit seiner Hand über die schweißnasse Stirn. War er hier wirklich richtig? Sorgfältig überprüfte er, ob er sich nicht verlaufen hatte oder falsch abgebogen war. Er konnte einfach nicht richtig sein, unmöglich.

Tsuyu befand sich im Salmoniden-Viertel. Hier wohnen die so genannten Salmon Runner, eine furchtbar alte, eingesessene Sippe von Inklingen, die für die Beschaffung von Salmoniden-Eiern zuständig sind und die Salmoniden furchtlos zurück in die salzigen Fluten drängen, wenn sie versuchen an Land zu kommen. Die Salmon Runner sind ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft, ohne Frage, ihre Arbeit für die Inklinge geradezu überlebensnotwendig, aber so gut wie kein Inkling, der hier nicht hineingeboren wurde, wird freiwillig Salmon Runner! Dieser Job ist im wahrsten Sinne die Hölle! Diese Leute besitzen sogar ihren eigenen Friedhof und das nicht ganz ohne Grund. Wenn die Gerüchte stimmen, die Tsuyu gehört hatte, waren die meisten Gräber leer. Es heißt, Salmoniden reißen Inklinge in Stücken, wenn sie sie zu fassen kriegen.

Nur wenige ehemalige Revierkämpfer verkriechen sich ins Salmoniden-Viertel und wagen sich raus auf die raue See. Tsuyu kannte keinen Salmon Runner persönlich, aber ab und zu sah er sie in die Innenstadt kommen; mit diesem herablassenden Gesichtsausdruck, dem müden Lächeln, das sie vor allem für junge Revierkämpfer übrig hatten, die an ihrer Karriere feilten, und ihren auffälligen Klamotten – der orangefarbenen Latzhose, den grünen Stiefeln und dieser ulkigen Mütze, an die sie sich stolz zu tippen pflegen. Tsuyu ging ihnen aus dem Weg und die Salmon Runner erwarten das. Ihre Gesichter ähneln sich alle so sehr, alle bevorzugen sie das grelle Orange für ihre Tentakeln und fast alle haben sie diese stechend, blutroten Augen, mit denen sie einen ins Visier nehmen, als wäre man ein Salmonid und kein Inkling. Die Augenfarbe gehört zu den Dingen, die ein Inkling sich nicht aussuchen kann, und es war kein Geheimnis, dass die Salmon Runner nunmal unter sich bleiben. Eine verschworene Gemeinschaft von „Kriegern“ der besonderen Art, die schon zu Zeiten vor dem Großen Revierkampf der Gesellschaft ihren Dienst erwiesen haben und sogar noch lange, lange davor. Ohne zu untertreiben kann man sagen, dass die Salmon Runner eine ganz eigenen Kultur bilden, mit eigenen Läden, eigener Ausrüstung, eigenen sozialen Netzwerken und einem eigenen Sinn für Humor, selbst eigene Sprichwörter und Redewendungen, die viele Inklinge kaum verstehen, nennen sich ihr eigen.

Und genau hier war er nun, Tsuyu Aikawa, im Salmoniden-Viertel, am Straßenrand stehend, die dunkelorangefarbenen Häuserwände anstarrend und wieder und wieder die Wegbeschreibung studierend. Warum um alles in der Tinte wollten die X-Kämpfer sich denn bitte hier treffen?! Was hatten die X-Kämpfer schon mit den Salmon Runnern am Hut?

Tsuyu kam ein schrecklicher Verdacht! Was, wenn man ihn hereingelegt hatte? Wenn man ihm einen falschen Brief geschickt hatte, die Aufnahmezeremonie daraus bestand, dass er sich hier zum Depp machte? Unglücklich kaute Tsuyu auf seiner Unterlippe herum und wusste nicht, ob er weitergehen sollte oder nicht, und wenn er dies nicht tat, was tat er dann?

„Akagi, schau dir den an!“

Tsuyu zuckte heftig zusammen. Zu spät, man hatte ihn gesehen. Nun, das war ja auch nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ein Salmon Runner auf ihn aufmerksam wurde. Schließlich stach Tsuyu mit seiner Kleidung und Präsenz hier heraus, wie ein Octorianer auf dem Inkopolis-Platz.

Zwei junge Salmon Runner, ungefähr in Tsuyus Alter, schlenderten betont lässig und mit schief grinsenden Mündern auf ihn zu. Ihre Hände hatten sie in ihre ausgebeulten Hosentaschen geschoben und ihre roten Augen analysierten Tsuyu Kopf bis Fuß.

Einer der Salmon Runner hatte einen Tentakel seitlich über dem Gesicht hängen und zeigte Tsuyu herausfordernd seine spitzen Zähne.

„Wohin des Wegs, Revierkämpfer? Hast de dich verlaufen?“

Tsuyu wusste nicht, was er sagen sollte und seine Unsicherheit erheiterte sein Gegenüber sichtlich.

„Geht unser'm klein' Revierkämpfer die Düse? Ha'm Mama und Papa gesagt, dass de zu nix taugst, außer zum Eiersammeln?“, zischte der junge Inkling und seine Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen.

Mit zusammen gepressten Lippen schüttelte Tsuyu heftig den Kopf. Das letzte was er wollte, war eine Auseinandersetzung mit einem Salmon Runner, da hätte er, rein körperlich gesehen, eh keine Chance und schon gar nicht gegen zwei.

Der andere Salmon Runner hatte Tsuyus Brief entdeckte, boxte seinem Freund oder Verwandten gegen die Seite und zeigte darauf. „Was'n das, Dotani?“

Bevor Tsuyu auch nur einen Muskel rühren konnte, hatte der Salmon Runner Dotani ihm den Brief aus den Fingern gerissen und las ihn in Windeseile. Er zog die Augenbrauen hoch und strich sich den Tentakel aus dem Gesicht, der ihm über eines seiner roten Augen hing.

„X Rang, ja? Haste den bekomm', wa?“

Tsuyu griff hastig nach seinem Brief. „Ja, hab ich. Das ist meiner, gib ihn zurück!“

Dotani schnalzte nur mit seiner Zunge und tat tatsächlich was Tsuyu verlangte. Verdutzt nahm Tsuyu seinen Brief wieder an sich und musterte die beiden Salmon Runner Akagi und Dotani misstrauisch.

Dotani ging an Tsuyu vorbei, der blickte dem Salmon Runner verwirrt hinterher. Was war denn das für eine Aktion? Nach einigen Metern drehte Dotani sich um und winkte mit seiner Hand, dass Tsuyu näher kommen sollte.

„Kommste? Biste festgewachsen? Hopp, hopp, mir sin' spät dran, X-Kämpfer, ham nich' den janzen Tag Zeit! Die wer'n nich' auf dir warten!“

Wenn es etwas gab, neben den immer gleichen Gesichtern durch jahrelange Verheiratung untereinander, dann war es der nervige Dialekt, den die Salmon Runner sprachen und der bei Tsuyu ein unangenehmes Kribbeln auf der Haut auslöste. Unsicher folgte er seinem neuen Begleiter, den Kopf zwischen den Schultern, hoffend, dass er keinen schrecklichen Fehler beging.



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