Zyklon von ShindaHotaru ================================================================================ Prolog: -------- „Da kommt noch eine Welle!”, schrie man über die Reling, der klägliche Versuch irgendeiner Tat. „Was zur Hölle sollen wir tun?” Männer rannten umher, das Schiff, einfach alles, das einen Wert hatte, vor den Fängen der Meere zu retten. „Macht einfach weiter! Ich versuche einen Aus–” Die Welle verschluckte ihren Atem, ihre Worte, ihre Träume, doch sie selbst blieben über Wasser. Nur für wie lang?   Was war der Ozean mehr als eine Ansammlung an versunkenen Träumen und Überzeugungen, der Antrieb eines jeden Mannes Selbstwertes?   Wo immer das Schiff noch trocken war, fand ihre Panik einen Unterschlupf. Hin und her, der Kurs des Schiffes wurde nun vom Sturm entschieden. Sollten sie folgen, würden sie nie wieder zurückkehren. „Nami! Was sollen wir machen? Die Wellen werden uns noch umstoßen!” „Denkst du, das weiß ich nicht? Wir müssen einfach weiter dagegen ankämpfen! Der Sturm sollte bald vorüber sein!” Hände verkeilten sich in das Schiff, verzweifelt nach jeder Chance greifend, in Holz so voll gesogen von Meerwasser und Angst.   Wie soll man einen festen Halt bekommen, wenn da keine Erde ist, um einen Boden zu bilden? Wie soll man eine Balance halten, in einer formlosen Welt?   Kaum ließen ihre Hände los, zu erschöpft um an ihrem Leben festzuhalten, war ihr Körper verloren in dem gewaltigen Sturm und den Tiefen des Ozeans. Ohne sie, waren ihre Hoffnungen passé, ebenso ihre Leben. Nichts konnte ihre Schicksale ändern, und so folgten sie ihr einer nach dem Anderen, ihrer Lebenskraft bestohlen und von der Freiheit betrogen, der sie immer so sehr vertraut hatten.   Wenn irgendetwas   „Das ist nicht real! Das ist ein Albtraum–”   Ohne einen Hafen in Sicht   „Ruffy!”   Ein neuer Tag muss beginnen.   „Ja, was denn?” Seine Finger schwebten wenige Zentimeter über den Tasten, die nächsten Worte drohten ihm schon aus den Fingerspitzen zu gleiten. Verärgerung war ein überwältigendes Gefühl, das er vermied, denn es lockerte seine Konzentration.   Die Stimme klang dichter, doch war noch immer keine physische Form zu sehen, und trotzdem hörte sie nicht auf, die Worte aus seinen Fingern zu ziehen. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du den Müll rausbringen sollst? Ich bin spät dran, also könntest du das bitte endlich tun?” Sie folgte ihrer Stimme zur Türschwelle seines kleinen Zimmers.   Entglitten. Seine Emotionen wurden zu Ärger und Irritation, schließlich gab er auf, denn es gab keine Verbindung mehr zu den Gedanken, die er hatte tippen wollen. Alles verblasst; was er nicht fühlte, konnte er nicht in Worte fassen. „Ich mach das schon, Robin.” So hohl seine Worte waren, trotz, dass es nicht ihre Schuld war, dass seine Entschlossenheit davon geschwemmt worden war.   „Gut”, zwang sie mit einem Lächeln hervor, wissentlich, dass ihre guten Absichten nicht zu ihm durchdrangen. „Ich will dich nicht in irgendwelche Regeln einsperren, aber es würde das Leben erleichtern, wenn wir uns die Aufgaben teilen würden. Und ein kreativer Spaziergang würde dir nicht schaden.”   Ruffy drehte sich zu ihr um, ein Grinsen auf den Lippen. „Zum Müllcontainer. Sicher.”   „Sicherlich. Wenn andere ihre Inspirationen beim Toilettengang finden, wieso solltest du deine Muse nicht beim Müllcontainer antreffen?” Jedes ihrer Worte trug ihren charakteristischen Humor mit sich, untermalt mit ihrem typischen neutralen Gesichtsausdruck. Nur für einen Moment, denn sein Grinsen war immer noch ansteckend.   Nicht mehr länger genervt von ihr, als ob er das jemals für lange sein könnte, rollte Ruffy mit den Augen und wandte sich seiner Schreibmaschine wieder zu; das Grinsen schon fast ein Lachen. „Geh zur Arbeit! Deinem Gehirn muss ja langweilig sein…”   „Bis ich heute Abend wieder durch dein grammatikalisches Chaos lesen muss.” Robin verabschiedete sich mit zwei ihrer zusätzlichen Hände, die seine schwarze Haarpracht zärtlich durchwühlten, und ging zur Arbeit.   „Welches grammatikalische Chaos, es ist doch besser geworden…”, murmelte Ruffy und richtete seine Haare wieder her. Wenigstens passten seine Worte zu seinen Bedeutungen und diese erreichten den Leser genau wie er es wollte. Würde er sie sonst anders begeistern? Ein neuer Tag muss beginnen. Um zu finden, was verloren wurde. ︳ Kapitel 1: Erdrutsch -------------------- Feuchtigkeit tropfte von oben herab, ein einziger Tropfen schaffte es zu ihm durch und sammelte sich auf seiner Stirn. Demnach regnete es wieder so sehr, dass es durch den Boden sickerte. Eine plötzliche Idee des Gefühls, ausgetrocknet zu sein, wanderte durch seine Knochen, doch er war sich nicht so sicher; flüchtige Empfindungen hatten ihre Bedeutung verloren, als die Zeit stehen geblieben war. Wenn es da nicht den gelegentlichen Regen gäbe, gab es nichts mehr für ihn zu fühlen außer der Angst, die nun auf seinem Brustkorb saß. Wie sehr dieses Gefühl den Platz so viel kleiner machte; er hatte vergessen, wie sehr ihn das störte.   Und wie der Regen floss und vertrocknete, niemals mehr als ein paar Tropfen für ihn, so schrumpfte seine Seele zu der dichtesten und schwersten Emotion. Jene, die sich von ihrem Eigenfett noch weit über das geistige Verhungern hinaus ernähren konnte. Er war schon einmal an diesem Punkt gewesen. Was sich angefühlt hatte wie eine zeitlose Dimension, hatte es doch nicht einmal hundert Jahre angedauert. Nur fast.   Er war schon einmal dort gewesen. In der Dunkelheit, in der Leere, in einem tauben Körper. Durch ein Nichts treibend, aber zumindest mit einem Plan, der in seinem Kopf herumspukte. Etwas, das ihn antrieb, wenn auch nur durch die vernebelte Leere, die sein Leben geworden war. So sehr hatte es sich wie die schlimmste Form der Hölle für ihn angefühlt, und für jeden Anderen wäre es dasselbe.   Was könnte schlimmer sein als eine schwimmende Hölle, aus der man ihn vor nicht allzu langer Zeit gerettet hatte?   Nun, eine Hölle sechs Fuß unter der Erde.   —————   Das amüsierte Glitzern in ihren Augen öffnete Türen für seine Verunsicherung. Nichts Neues, wenn er ihr Urteil erwartete, trotzdem fragte er: „Was ist so lustig?” Denn keines seiner Worte sollte komisch klingen.   „Dass ein Ausflug zum Müllcontainer tatsächlich deine Produktivität gefördert hat. Ich kann mich kaum erinnern, wann du mir das letzte Mal so viele Wörter gegeben hast”, lächelte Robin. „Und es ist lustig, dass du nach deinem Ausflug scheinbar aufgehört hast, Zeilen immer wieder neu zu schreiben.” In ihrer Stimme hallte Stolz wider, zum einen hatte ihr Vorschlag funktioniert, zum Anderen, so wusste Ruffy, gebührte ihm das Meiste von diesem Stolz.   Von Anfang an war es ihre Idee gewesen. Als eines Tages seine Erinnerungen ihn erblinden ließen, er unfähig war einen Sinn in allem zu sehen, und ihre lauten, tobenden Wellen seinen Kopf mit imaginärem Meerwasser füllten, hatte Robin gesagt: „Schreib es auf. Wenn es auszusprechen zu sehr schmerzt, flüstere es dem Papier.” Später hatte Ruffy bemerkt, dass es zu lesen für sie auch weniger schmerzhaft war.   Aber Schreiben war so schwer. Ruffy hatte niemals einen Grund zum Schreiben oder zum Lesen, denn dafür hatte er Robin. Obwohl man ihm beides beigebracht hatte, hatte die Zeit diese Fähigkeiten zu einem miserablen Zustand verkommen lassen. Mit Hilfe und etwas Unterricht von Robin, hatte er schließlich gelernt mit Worten seine Gedanken und Gefühle so auszudrücken, dass sie für andere verständlich wurden.   „Es hat vielleicht was gebracht”, gab Ruffy Augen rollend zu und lächelte. Ihr Stolz auf seine Entwicklung und die Ergebnisse, die er ihr jeden Abend zu lesen gab, bedeuteten ihm so viel, dass sie an manchen Tagen der einzige Grund zum Aufstehen waren.   „Dann schlage ich vor, du wiederholst das. Die frische Luft und die Bewegung würden dir gut tun.” Einer ihrer mütterlichen Ratschläge, die Ruffy zu lieben, aber genauso zu hassen begonnen hatte. Manchmal machten sie es schwer für ihn, sich zu erinnern, wer sie wirklich war.   „Es wird nächsten Monat einen Wettbewerb geben, du solltest auf jeden Fall eine deiner Geschichten einreichen.” Aus ihrer Arbeitstasche zog sie einen zerknitterten Flyer, den sie zuerst glatt faltete, bevor sie ihn Ruffy übergab. „Es gibt keine Einschränkungen beim Schreibstil oder Genre. Keine große Sache, nur ein kleiner lokaler Wettbewerb – aber die Preise sind nützlich.”   Stirnrunzelnd beäugte Ruffy den Flyer. Von der Arbeit Flyer mitzubringen war nicht unüblich für Robin, doch meistens waren es Jobangebote für kleinere Tätigkeiten wie Fegen oder Babysitten. Ihr Gehalt reichte aus, um dieses winzige Apartment mit gerade so viel Platz für sie beide zu finanzieren; sie hatte vor allem Angst, ihn jeden Tag allein mit seinen Erinnerungen zu lassen. Ruffy verstand, dass all ihre Belehrungen und Regeln lediglich Robins Art waren, Verantwortung über die Situation zu übernehmen und ihre starke Loyalität zu ihm auszudrücken. Trotz der Lage, in der sie sich befanden.   Erster Platz: Gutschein im Wert von 1500 Beli stand neben dem Logo des lokalen Einkaufszentrums. Zweiter Platz würde mit einem Gutschein im Wert von 500 Beli für den Schreibwarenladen ausgezeichnet werden. Auch wenn dickeres Papier und ein besseres Notizbuch auf seiner Wunschliste standen, wollte er natürlich den Hauptpreis gewinnen, sollte er teilnehmen. „Muss ich mich da nicht mit meinem richtigen Namen anmelden?”   Robin schüttelte den Kopf: ”Schriftsteller nutzen auch Pseudonyme. Das ist ganz üblich und laut den Teilnahmebedingungen auch erlaubt.”   Tatsächlich stand alternativ können Teilnehmer ihre Werke auch unter einem Pseudonym einreichen unten im Kleingedruckten. „Und… du glaubst, ich könnte gewinnen?”   „Ich bin davon überzeugt.”   Kapitel 2: Westwinddrift ------------------------ Blick hinauf gerichtet, gab es dort doch nichts zu sehen außer grauer Endlosigkeit, hier und da unterbrochen von kahlen Baumkronen. Die Natur hatte ihre farbenfrohe Vielfalt nun komplett abgeworfen und mittlerweile war er sich sicher, dass es Winter sein musste. Starke Winde wehten durch die Äste, rüttelten gefährlich an den jüngeren Zweigen zur Demonstration ihrer grausamen Kräfte. Vereinzelt fand sich etwas Grün auf dem Boden an, hartnäckige Moose, die denselben Bedingungen trotzten, denen bereits die Blätter und Blumen vor einigen Wochen zum Opfer gefallen waren. Seiner Erfahrung nach konnte das kaum Winter sein. Milde Temperaturen sorgten dafür, dass die Gewässer fließend blieben und der Regen nicht aufhörte, zu fallen. Jede Nacht durchnässte er ihn, bis er selbst nicht mehr wusste, ob er den Ozean jemals verlassen hatte oder noch immer sank. Ja, vielleicht war es so? Unfähig, sich noch länger auf den Beinen zu halten, ließ er sich auf das schwammige Moos nieder, auf dem er stand, und sank sofort ein bisschen ein. Wäre es nicht so durchtränkt, wäre es bequem. Ein heftiger Regen durchzog ihn mit Kälte, Leere und Einsamkeit. Wenigstens als das Gelb und das Rot die Enden der Zweige noch in Herbsttöne gefärbt hatten, die Böden noch von verschiedenen Gräsern geschmückt wurden, wenigstens da hatten Tiere ihre Gesellschaft mit ihm geteilt. Nun waren sie alle im Winterschlaf und er zurückgelassen in der verbliebenen Stille, die die leeren Flächen der Natur füllte. Und der Stille in ihm, isoliert von den Waldbewohnern durch seine biologische Andersartigkeit, getrennt von jenen, mit denen er emotional verbunden war. Was Einsamkeit bedeutete, das hatte er bereits erfahren. Doch wie kalt sie sein könnte, hatte er nie gewagt, sich vorzustellen. ————— Es war unnötig, darüber nachzudenken, dass Robin schon wieder richtig lag. Ihre Erfahrung und ihr Wissen würden für immer außerhalb seiner Reichweite liegen, außerhalb seiner Vorstellungskraft, doch– wofür sollte er sie übertreffen wollen? Oder ihr ebenbürtig werden, wenn sie doch immer an seiner Seite war, um ihn mit ihrer Intelligenz und Weisheit zu unterstützen. Sie war da und sie war bei ihm und es gab Nichts, das wichtiger war. Sobald Robin zur Arbeit durch die Tür entschwunden war, empfand Ruffy die Größe des winzigen Apartments als störend. An Wochenenden fühlte es sich erdrückend an, da Robin das gemeinsame Wohnzimmer nachts als Schlafzimmer nutzte. Das Geld, das sie in der Bibliothek verdiente, reichte nur für ein Single-Apartment im 5. Stock der billigsten Wohnanlage der Stadt aus und besaß nicht mehr als ein Bad, eine Küche für eine Person, ein Wohnzimmer und eine kleine Vorratskammer (so hatte Robin sie bezeichnet), die nun Ruffys Schlafzimmer war. Nach und nach hatten sie sich eingerichtet, sammelten Möbel vom Sperrmüll und Robins Arbeitskollegen. Es war ausreichend für beide; ein sicherer Platz zum Schlafen, Geld für die grundlegenden Bedürfnisse und Robins Kochkünste wurden langsam zu Ruffys alltäglichem Highlight. Und was am Ende des Monats überblieb, sparten sie für Notfälle. Nur einmal hatten sie sich Luxus gegönnt. An Zorros Geburtstag hatten sie eine gebrauchte Schreibmaschine für Ruffy und eine Kaffeemaschine für Robin erworben. Bis heute das einzige Mal, dass sie sich über mehrere Stunden gemeinsam in der Öffentlichkeit zum Vergnügen aufgehalten hatten. Um der Einsamkeit und Langeweile zu entkommen, entschloss Ruffy sich, Robins Vorschlag auszuprobieren. Gekleidet in einer für das Wetter angemessenen Jacke und Stiefeln, die er nicht mochte, wanderte er durch die Passagen, die sich zwischen den Hochhäusern der Wohnsiedlung schlängelten. Eine secondhand Umhängetasche war über seine Schulter geschlungen, die eine Plastiktüte für ihn trug, in der sein Notizbuch und ein paar Stifte vor dem Regen geschützt lagen; eine Vorkehrung, nach dem einen Zwischenfall mit heftigem Regen. Drei Gebäude südlich von ihrem befand sich ein Spielplatz, der zu dieser Tageszeit von Kindern aus der Nachbarschaft besucht wurde. Ein klarer, wolkenloser Himmel, der so blau und frisch wirkte, war ein vielversprechender Zustand für das Leben, den kleinen und traurigen Wohnungen zu entfliehen. Laut dem Wetterbericht im Radio sollte es bis Dezember keinen Niederschlag mehr geben, also hoffte Ruffy dem Spielplatz an jedem Tag der restlichen Woche einen Besuch abstatten zu können. Als er sich auf eine Bank nahe des einzigen Baumes setzte, winkten ihm drei Jungen bei der Rutsche zu und grinsten, als er zurück winkte. Ende September, ungefähr drei Monate nach der Katastrophe, als Robin noch den Elan hatte, ihn aus dem Haus zu zehren und manchmal sogar auszuschließen bis ihre Schicht vorbei war, hatte Ruffy sich mit den Dreien angefreundet. Für gewöhnlich hatten sie immer bis spät in den Abend hinein zusammen gespielt, weshalb sich Ruffy fragte, ob sich ihre Eltern keine Sorgen machten. Dass Elfjährige im Dunkeln draußen spielten, erschien ihm nicht falsch, dennoch wirkte es oftmals, als würden sie gar nicht nach Hause gehen. Oder projizierte er da nur etwas? Es dauerte nicht lange, bis sie sich um ihn herum versammelten, begeistert und überrascht, ihn nach Wochen wiederzusehen. „Bist du zum Spielen hier? Bis deine Mama dich wieder abholt?” Ruffy lächelte; er hatte es allmählich aufgegeben, andere zu korrigieren. „Nicht wirklich, ich suche nach Inspirationen.” „Inspi– was?” Der Junge vor ihm, Gary, schaute ihn verwirrt an. „Er hat keine Ideen mehr, Blödmann!” Nathan rollte mit den Augen über die Dummheit seines Freundes und wandte sich wieder seinem älteren Freund zu: „Du zeichnest also?” „Äh, nee, ich schreibe”, antwortete Ruffy kopfschüttelnd. „Da wird’s einen Wettbewerb in der Bibliothek geben, für den ich was schreiben will.” „Oh! Ich weiß davon! Meine Schwester hat da letztes Jahr den zweiten Platz gemacht!”, warf Ian voller Aufregung ein. „Aber ihre Geschichte war so grus’lig.” „Ja, ich hab gehört, die mögen grus’lige Geschichten lieber”, stimmte Nathan zu. „Sie haben die besten Geschichten letztes Jahr auf’m Schulfest vorgelesen.” Die ganze Zeit beobachtete Ruffy die Drei mit einem Lächeln. Nicht, dass das Zusammenleben mit Robin ihn einsam fühlen ließ, aber sie waren so unterschiedlich in vielerlei Weise, dass die Interaktion mit anderen Leuten das Loch in seinem Innern etwas füllte. „Also denkt ihr, ich soll eine Geistergeschichte schreiben?” Konnte er das überhaupt? Bisher hatte er nur den Unfall zu Papier gebracht, all den Schaden, den sein Verstand, sein Herz und seine Seele davongetragen hatten. Eine Geistergeschichte schien mehr kreatives Schreiben zu sein, als einfach nur seine Gedanken aufzuschreiben. „Genau! Schreib über das unheimliche Grab in Hitchwick!”, klinkte sich Gary wieder mit lauter Stimme ein. „Mein Onkel erzählt davon immer! Man kann Geräusche ‘raus hören, aber eigentlich ist es ja tot. Es ist so unheimlich und…” Während die Jungen weiter über das ach so gruselige Grab rätselten, überlegte Ruffy, ob er ihnen von wirklich unheimlichen Dingen erzählen sollte, die er schon erlebt hatte. Doch der bloße Gedanke an diese Erlebnisse drohte eine Wunde aufzureißen, die langsam auf Robins Fürsorge reagierte und Ruffy hatte nicht vor, die Heilung zu stoppen. „...nee, wirklich! Ich schwöre, der Typ war nur noch Knochen”, beharrte Gary vehement mit einem Schmollen im Gesicht. „Warte, was?” Ruffys Aufmerksamkeit wurde gewaltsam zurück auf die Unterhaltung der Jungen gezogen. „Du meinst ein Skelett?” „Ja, so wie das im Süßigkeitenladen an Halloween. Onkel Jacob meinte, die haben den im Fluss gefunden und dann vergraben und später hörte man Geräusche aus dem Grab. Als ob er gar nicht tot wäre”, wiederholte Gary die Geschichte für seinen älteren Freund. „Mama sagt, dass es nur Plastik ist und dass die Leute in Hitchwick nur alle erschrecken wollen”, entgegnete Ian. „Damit die Kinder nicht am Fluss spielen.” „Aber es stimmt! Mein Onkel ist kein Lügner!” Garys Gemüt färbte sein Gesicht rot und die Fingerknöchel seiner geballten Fäuste weiß. Emotionen wurden durch den Wechsel der Stimmung aufgewühlt, also mischte sich Ruffy schnell ein: „Na ja, ich kann mir das mal selbst anhören. Und dann entscheide ich, ob ich drüber schreibe.” „Echt? Cool!”, strahlte Gary, die Anerkennung seines Freundes beschwichtigte ihn sichtlich. „Onkel Jacob verkauft Fleisch im Einkaufszentrum, da kann ich dich hinbringen!” Ruffy lächelte und antwortete mit einem kurzen Schütteln seines Kopfes: „Danke, aber ich muss… auf meine Mutter warten.” Und darauf, dass dieser seltsame Knoten in seinem Brustkorb sich löste. Kapitel 3: Leichte Winde ------------------------ „Nehmt euch in Acht vor der Bestie!”   Endlich allein am Rande des Waldes drehten sich die zwei Männer zur Weite der Natur, die sich über das unebene Terrain erstreckte. Auf ihren Rücken geschultert, befanden sich Taschen gefüllt mit Ausrüstung, die sie brauchen würden, aber niemals gebrauchten. Das außergewöhnlich schwache Wild in dieser Gegend zu jagen war keine große Anstrengung für keinen der beiden, ob mit oder ohne Waffen. Und sollten sie welche benutzen, dann nur ihre Eigenen.   „Ich frag mich, was diese Bestie sein soll”, grübelte einer von ihnen laut, während sie über die Wurzeln der riesigen Bäume am Waldesrand stiegen. Zwar gab es vorbestimmte Wege für Wanderer und die Anwohner, doch sie bevorzugten das Training.   „Vielleicht du”, antwortete der andere und schritt schneller voran, seine Motivation auf die Reaktion des anderen einzugehen war ihm abhandengekommen. Als allerdings keine sein peripheres Blickfeld störte, drehte er sich zu seinem Kameraden um: „Mach schneller!”   „Kommandier mich nicht herum!”, keifte er zurück und eliminierte den Abstand zwischen ihnen. „Diese Situation macht dich nicht automatisch zum Boss.”   „Doch. Das ist genau meine Aufgabe in der Crew.” Seine Stimme wurde leiser, sanfter, wie immer wenn Erinnerungen hochkamen.   Beide hatten sie die Veränderungen bemerkt; die Erinnerungen, die sie mieden, die Nächte, die sie fürchteten, die Namen, die sie nicht aussprechen konnten. Keiner von ihnen traute sich, diese Erkenntnis gegen den Anderen zu verwenden. Schon immer hatte es Respekt zwischen ihnen gegeben, eins der wenigen Dinge, die der Ozean ihnen nicht nehmen konnte.   Würden sie Schwankungen in der Laune des anderen merken, Dunkelheit in des anderen Augen und Worten, so würden sie ihre Verspottung verstummen lassen. Es war ein Schmerz, den sie schließlich beide in ihrer Brust trugen, und es fühlte sich wie Wasser in ihren Lungen an, das nicht verebbt war. Eine Kraft, die sie abermals versuchte zu ertränken, sie um Fragen zu erleichtern –wie sollte es weitergehen? wo sollten sie hingehen?–, indem sie ihren Geisteszustand verkorkste. Ihre Willenskraft nicht aufzugeben, weiter zu suchen, würde zerbröckeln, würden sie sich nicht aufeinander einlassen.   Diese Last gemeinsam zu tragen, machte sie für beide leichter.   —————   „Aber das kann kein Fake sein!” Ruffy saß am Esstisch, Emotionen brachen aus ihm heraus, die er seit Monaten nicht mehr gespürt hatte.   Robin hatte ihm den Rücken zugewandt, sie war nicht dazu in der Lage, ihm ins Gesicht zu sehen. „Aber ein Zufall. Ich sage lediglich, dass wir unsere Hoffnungen nicht auf dünne Informationen wie diese aufbauen sollten.” Wie sollte sie mit der Schwere seiner Enttäuschung umgehen? Wie sollte sie ihn wieder auffangen, wenn es schon alles von ihr abverlangte, ihn zu halten?   „Dann müssen wir eben mehr herausfinden!” Ruffy wollte standhaft bleiben, doch all seine Überzeugung wurde ihm entrissen, als Robins Schultern sich senkten; sie hatte bereits aufgegeben. „Bitte, willst du nicht auch endlich von hier abhauen?”   Die Stille, die darauf folgte, war nicht das Schlimmste, mit dem Ruffy klarzukommen hatte; es war ihr Schweigen. Von all den Dingen, die sie für sie beide tat, der Mut, den sie jeden Tag aufbrachte, um das Dach über ihren Köpfen, das Essen auf ihren Tellern und den Optimismus in seinem Denken zu behalten, er wusste, dass all das nur ein Mittel für sie war, um sich vor ihrem eigenen Schmerz zu verstecken. Einmal hatte er versucht, es in Worte zu fassen: Sie wirkte wie ein Geist, umhüllt von einem Heiligenschein aus Kummer.   Und wie sehr die Strahlung von diesem Kummer auch ihn ergriff, er würde es ihr niemals sagen können.   Denn sie baute ihr Selbstbild auf der Fürsorge für ihn auf. Eine ihrer Lebenssäulen, damals wie heute, war es, sich um ihn zu kümmern und ihn zu beschützen, hingleich der Konsequenzen und Kosten. Und nicht nur aus Dankbarkeit wollte er sich genauso um sie kümmern.   „Ähm… Ich hab heut’ nichts geschrieben”, gab Ruffy etwas beschämt zu, um die negativen Gefühle zu verscheuchen. Keinen schriftlichen Nachschub zu bringen passierte selten, denn er hatte angefangen es zu genießen, Robin mit Unterhaltung für ihren Feierabend zu versorgen. „Ich weiß einfach nicht, was ich für den Wettbewerb machen könnte. Was ich bisher gemacht habe, ist irgendwie nicht so passend. Ich will mal was Neues versuchen.”   Es wurde wieder still, doch diesmal fühlte sich die Atmosphäre lebhafter an. Nach einem Moment Bedenkzeit, ihrer Körpersprache nach zu urteilen, hob Robin ihren Blick und sah aus dem Fenster. „Wie wäre es mit Fiktion?” Sie drehte sich zu ihm herum, endlich abgewandt von den Pflanzen auf der Fensterbank, gegen die sie lehnte. „Du müsstest dir beibringen, wie man zusammenhängende Plots und authentische Charaktere schreibt. Das braucht seine Zeit, bis man es beherrscht.”   „Das klingt nach einem Haufen Arbeit”, stöhnte Ruffy auf. „Und es sind nur noch drei Wochen bis zur Deadline.”   „Aber was stimmt denn nicht mit deinem jetzigen Schreibstil? Er ist ausbaufähig und anwendbar auf andere Emotionen und Situationen”, fragte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Esstisch. Die Tischplatte war kaum groß genug, damit sie beide auf ihr essen konnten. „Anstatt über die Gefühle durch deine Erinnerungen zu schreiben, könntest du über Gefühle schreiben, die du an unproduktiven Tagen hast.”   Ruffy sah sie ungläubig an. „Wer sollte das denn lesen wollen?”   „Das kannst du dir nicht vorstellen”, lächelte Robin amüsiert. „Was besonders wichtig ist, ist, wie du es ausdrückst. Werde nicht zu persönlich, aber auch nicht zu oberflächlich und vage. Lass dich über das Gefühl der Unproduktivität aus und sehr viele Leute werden es auf sich beziehen.”   „Hmmh.” Ruffy versuchte sich vorzustellen, dass sich jemand für die banalen Gefühle einer fremden Person interessieren könnte, aber beließ es schnell dabei, dass Robin sicher recht hatte. „Ich versteh’s nicht.”   „Dann solltest du mich morgen zur Bibliothek begleiten”, lächelte Robin mit einer Begeisterung in der Stimme, die sich Ruffy ebenso schwer vorstellen konnte.   Kapitel 4: Frühlingsbrise ------------------------- Zwei Männer vermisst – Gerüchte von Bestie wahr? Am Dienstag ging bei der Polizei in Pineshaw ein Notruf eines ansässigen Bauern ein, der zwei seiner Mitarbeiter seit einem Jagdausflug vermisst. Die zwei Männer um die 20 sind für ihre Zuverlässigkeit und Tüchtigkeit bekannt, ihr plötzliches Verschwinden ist ein Rätsel für den Bauern und seine Frau. „Sie brauchten nie länger als zwei Stunden im Wald und kamen nie ohne Beute zurück”, erzählt Bauer Thompson. „Wir fingen an, uns Sorgen zu machen, als sie zum Abendessen immer noch nicht da waren. Mit all den Gerüchten von der Bestie weiß man ja nie, nech.” Weiter merkt er an, wie ungewöhnlich stark die beiden Männer waren. „Aber wie stark ist die Bestie?” Wir haben bereits vor einigen Wochen über den Fall berichtet, als uns eine Gruppe Wanderer ein Foto von der sogenannten Bestie vom Pineshaw Forest zukommen lassen haben. Ihre Beschreibungen stimmen mit denen der Anwohner überein, die mit den ersten Sichtungen vor zwei Monaten für Furore sorgten. Die Kreatur unbekannter Spezies soll größer als ein Mensch und stämmiger als ein Bär sein. Anwohner bezeichnen es als Bestie wegen seines Fells und seiner Statur, aber auch wegen seinem Verhalten. „Vor einer Weile haben ein paar Wanderer gesehen, wie es auf zwei Beinen lief und Wildtiere in seinen riesigen Pranken trug”, fügt Bauer Thompson hinzu. „Niemand weiß, ob es auch Menschen angreift.” Ein Team aus Biologen, Zoologen und Förstern werden noch diese Woche ihre Untersuchungen beginnen. „Wir hoffen, mehr über seine Ernährung und Verhalten anderen Tieren gegenüber zu erfahren”, sagt Teamleiter Rees. „Es ist notwendig, erst das Verhalten zu beobachten, um herauszufinden, wie gefährlich es wirklich ist.” Das Team wird von Sanitätern begleitet, sollten die vermissten Männer gefunden werden. „Sie waren eines Tages einfach da”, erzählt Bauersfrau Thompson. „Beide in einem miserablen Zustand, als wären sie Opfer einer Naturkatastrophe gewesen. Aber es war ja nichts!” Das Ehepaar ließ die beiden Männer bei sich unterkommen, im Gegenzug sollten sie auf dem Hof aushelfen. „Sie sind wirklich fleißig! Einer ist mir eine bessere Küchenhilfe als mein eigener Mann!” Niemand hätte sich vorgestellt, dass sie eines Tages einfach verschwinden würden. „Solch nette junge Männer! Ich hoffe wirklich, dass man sie bald findet.” „Von unserem aktuellen Wissensstand aus, können wir sagen, dass die Bestie nicht an Menschen interessiert ist”, sagt Rees. „Aber bisher war niemand nah genug dran.” Sie würden mit den besten Fachleuten zusammenarbeiten, um die Wahrheit hinter den Gerüchten zu lüften. Die Sonnenbrille zurück auf seine silberne Nase geschoben, die Tageszeitung fest in einer Hand umklammert, schloss er seine Augen und atmete erleichtert auf. Was ein Rätsel für den Rest der Welt war, war für ihn so klar wie der Himmel über ihm. ————— Robin schreckte hoch. Kalter Schweiß klebte an ihrer Stirn und ihrem Nacken, während die Welt um sie so ein vernebeltes Chaos war wie an jenem Tag. Ihre Atmung war unkontrolliert und schmerzhaft wie es ihren Brustkorb hob und senkte und der Panik freie Bahn ließ. Das Rauschen der Wellen, die gegen das Holz gepeitscht hatten, betäubte ihre Ohren, die Ohnmacht vom Salzwasser, dessen Tropfen sich angefühlt hatten wie eine Millionen Stecknadeln, die sich gegen ihre Haut pressten; alles, alles war wieder da – oder immer noch? Ganz langsam legten sich die Winde um sie herum und sie legte ihr Gesicht in schwitzige Hände. Würde es jemals aufhören? Diese Albträume; diese unbändige, zerstörerische Macht, die ihr den Schlaf raubte? Nach Monaten, in denen sie die Katastrophe immer und immer wieder erneut durchleben musste, war sie am Ende ihrer Kräfte. Die Erinnerungen nagten an ihrem Geisteszustand, Biss für Biss rissen sie ein Stück raus, wann immer sie sich nachts in ihre Gedanken schlichen. Es wurde immer schwieriger für sie, stark zu bleiben, auf beiden Beinen zu stehen und sich ihrem neuen Lebensstil anzupassen, in den sie und Ruffy gezwungen wurden. Für einen Moment blieb Robin regungslos sitzen und versuchte angestrengt ihre Tränen zurück in ihr schmerzendes Herz zu drücken. Die Wände des billigen und winzigen Apartments waren so dünn wie Ruffys Schlaf leicht, er würde sofort aufwachen, wenn er sie weinen hörte. Sie konnte ihm keine weiteren Sorgen bereiten. Über der Anrichte zeigte die Uhr Viertel vor sechs an, ungefähr zwei Stunden vor dem Weckerklingeln. Noch einmal einschlafen war unmöglich, sie hatte es so oft bereits versucht, doch ihre Gedanken würden sie niemals wieder Ruhe finden lassen, sobald sie einmal aufgewühlt waren. Stattdessen sollte ihr eine Tasse Tee helfen, in den frühen Tag zu finden. Mehr Zeit zum Zubereiten des Frühstücks für Ruffy und sie war nun auch gegeben, so könnten sie seit langem wieder zusammen vor ihrer Schicht essen. Mit einem leichteren Gefühl im Brustkorb, das sich verstärkte je weiter sie sich von ihrem Bett entfernte, machte sich Robin auf Zehenspitzen auf den Weg in die Küche. Vor einigen Monaten wäre das nicht notwendig gewesen, ihr Käpt’n hatte einen undurchdringbaren Schlaf gehabt, nahezu nichts hätte ihn aufwecken können. Doch seit er sie eines Nachts in dem festen Griff einer Panikattacke vorgefunden hatte, die Sicht geblendet von den Bildern jener Katastrophe, wollte sein Kopf ihn nicht mehr tiefer schlafen lassen. Und mit der mangelnden Verausgabung jeden Tag war da kaum Erschöpfung, von der er sich nachts erholen müsste. Selbst mit Ruffys Zimmertür geschlossen versuchte Robin sich so leise wie nur möglich zu bewegen, so wie sie es ohnehin schon immer getan hatte und mit Hilfe ihrer Fähigkeiten war es umso einfacher, sich geräuschlos fortzubewegen. Sie machte sich einen Kräutertee und plante ein reichhaltiges Frühstück für ihren Käpt’n, gedanklich ging sie die vielen Male durch, in denen sie Sanji beobachtet hatte. Von ihrem kleinen Budget kaufte sie immer mehr Essen für Ruffy ein als für sich selbst und trotzdem aß sie oftmals auch von seinem, denn Ruffy teilte sehr gern. Aus diesem Grund hatte sie sich über Rezepte informiert, die ihnen beiden schmecken könnten, und fand mittlerweile Vergnügen daran, zu experimentieren. Und so begann sie mit einem Lächeln auf den Lippen, das Frühstück vorzubereiten. „Schon wieder ein Albtraum?” Der bloße Klang seiner Stimme allein zerbrach ihr Lächeln. △ Kapitel 5: Sommergewitter ------------------------- Während einer üblichen Jagd, auf dem üblichen Weg, mit dem üblichen Gestänker, machten sie eine unübliche Entdeckung. Unüblich, aber umso mehr willkommen. Wie üblich war die Jagd ein Wettbewerb zwischen den beiden, der niemals nicht in einem Unentschieden endete. Es machte keinen Unterschied mehr; das Vergnügen und die Genugtuung, die es einst brachte, erreichte ihren Stolz ohnehin nicht mehr. Um der Situation aus unangenehmen Schweigen und Anspannung zu entkommen, erledigten sie die Jagd so schnell wie möglich. Doch der Winter machte es viel schwerer, wilden Tieren zu begegnen und an jenem Tag schienen sie alle verschwunden. Der Regen hatte glücklicherweise aufgehört, dennoch würde der Wald noch seine Zeit brauchen, sich von ihm zu erholen. Ganze Flächen aus Moos und Gräsern waren durchnässt, der Pfad war eine einzige Masse aus kaltem, nassen Schlamm. Hatten sie nicht Glück, angemessene Kleidung zu besitzen? Mit weniger Glück schien die kleine Kreatur ein paar Meter vor ihnen gesegnet zu sein. Versunken im sanften grünen Boden, den Kopf gesenkt, war es die bildliche Darstellung von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Es weckte Sympathie in ihnen, dieser Anblick, aber vor allem das Gefühl der Vertrautheit. Und die Einsicht traf sie beide gleichzeitig, auf ihre eigene Art. „Chopper!“, rief einer von ihnen und näherte sich ohne zu zögern dem jüngeren Kameraden. Er kniete sich neben ihn, seine Stiefel sanken in das durchtränkte Moos, aber was kümmerte es ihn? Sie hatten so lange nach ihren Kameraden gesucht, endlich hatten sie einen von ihnen gefunden. Seine Stimme klang unerwartet gefühlvoll, emotionaler als gewöhnlich; der Moment erschwerte sein Gemüt. „Chopper?“ Die kleine Kreatur drehte seinen Kopf zu ihm, so erschöpft, so müde, so taub, und sein Gesundheitszustand deutlich ins Gesicht geschrieben. Ein paar Augenblicke waren nötig, bis es verstand und heiser flüsterte: „Zorro?“ ————— Ruffy blieb stehen, ein weiteres Mal. „Ich denke nicht, dass sie dich rausschmeißen, wenn du mal einen Tag freimachst. Wenn's dir nicht gut geht, solltest du nicht zum Arbeiten zwingen.“ Drei Schritte vor ihm, verlangsamte Robin ihr Tempo und verstärkte ihren Griff um den Taschengurt in ihrer Faust. „Mir geht es gut. Und würdest du bitte weitergehen? Meine Schicht beginnt gleich und wir haben noch einiges an Weg vor uns.“ „Na gut“, grummelte Ruffy, beschleunigte seine Schritte und ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging an Robin vorbei. Nun begleitete sie schwere, dichte Stille, die zwischen ihnen schwebte, wie Nebel, der es so viel schwieriger machte, die Gegenwart des anderen zu spüren. Meinungsverschiedenheiten wie diese waren nicht selten, aber sie waren neu. Vielleicht durch die plötzliche und unerwartete Intimität, die sie nun in der kleinen Wohnung teilten, die ihnen so wenig für sie selbst ließ. Diese Nähe war ihnen beiden bisher fremd, Ruffy hatte sich niemals zuvor mit einem Mädchen in solch einer Situation befunden, geschweigedenn mit einer älteren Frau. Leben auf einem Schiff mit Anderen in weiter Freiheit war ein ziemlicher Kontrast zum Leben in dem winzigen Apartment mit nur einer Person; gefangen in einer Routine, in die sich niemand von ihnen einfinden konnte. Er hatte Seiten von Robin gesehen, an die er bisher nicht einen Gedanken verschwendet hatte. Gute Seiten, die einen seltsamen Nachgeschmack hinterließen, schlechte Seiten, die die Ränder seiner Sichtweise auf sie verschwimmen ließen. Ruffy mochte Robin sehr, trotz allem. Aber ihre Freundschaft könnte niemals wieder dieselbe sein. Und das war manchmal eine unangenehme Vorstellung. Zwei Minuten vor Beginn von Robins Schicht, erreichen sie den Mitarbeitereingang der Bibliothek. Es war keine große Einrichtung, aber es bot eine angemessene Sammlung für diesen Teil der Stadt. Ruffy hatte Robin schon mehrmals begleitet und ihre sehr freundlichen, offenen Kollegen hatten sich bislang nicht über seine Besuche durch den Hintereingang beschwert. Ihre Begrüßungen waren immer so warm und herzlich, dass er sich manchmal schlecht fühlte, nicht so oft vorbei zu kommen, wie er es versprochen hatte. „Hallo, Ruffy! Lang nicht gesehen!“ Ein Mädchen mit petrolfarbenem Haar, ungefähr sein Alter, begrüßte ihn mit einem großen Lächeln und übernahm die Situation, die Robin an der Türschwelle fallen gelassen hatte. „Bist du wieder da, um unsere Kekse zu stehlen?“ Sie hatte ihre Art, ihm zu schmeicheln. „Ich wollte etwas Recherche betreiben... warte, was meinst du? Ich hab sie nicht gestohlen!“ Er hatte alle gegessen, das war allseits bekannt. „Du hast gesagt, ich kann sie alle essen und sie waren so lecker!“ „Danke“, lächelte sie und streckte ihm die Zunge raus. Ihr Charakter strahlte wieder einmal zu hell für seine Augen, und seine Wahrnehmung. „Ich hätte ja wieder welche mitgebracht, hätte ich gewusst, dass du uns mit deiner Anwesenheit beglückst – wie du es so oft angekündigt hast.“ Verschleiert von vorgetäuschter Akzeptanz hörte man ihre Enttäuschung deutlich. Ruffy ließ seine Schultern fallen und setzte sich neben sie, was auch immer ihrer Meinung so viel Gewicht verlieh, was immer sie so bedeutsam machte: Er konnte es nicht abschütteln. Stattdessen befeuerte es nur wieder einen hastigen Versuch, den Schaden, den er angerichtet hatte, zu beheben. „Tut mir leid, Dera. Wirklich! Ich war so beschäftigt mit’m Schreiben in letzter Zeit und ich wollte nicht hier rumhängen, während ihr alle am Arbeiten seid. Es war–“ Dera kicherte: „Hör schon auf, okay? Es ist nicht nötig, dass du dich rechtfertigst, ich habe mir schon gedacht, dass du deine Gründe hast. Und die hattest du.“ Ein Schmunzeln breitete sich auf Ruffys Gesicht aus, dabei verteilte sich ein warmwohliges Gefühl in seiner Brust. Er hoffte, dass es sich nicht zeigte, was es nicht tat, aber es hallte in seinen Worten wider. „Trotzdem... kann ich es irgendwie wieder gut machen? Wir könnten nach deiner Schicht zusammen abhängen und irgendwo was essen oder... Sachen machen.“ „Wir könnten“, lächelte sie leicht verschmitzt, „...Sachen machen.“ Ruffy konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. „Du Idiot! Ich weiß einfach nicht, was du so machst oder was du machen willst? Ich hab’s nicht so gemeint!“ „Weiß ich doch!“, lachte Dera. Nach einem kurzen Moment des Schweigens und einem Schluck Kaffee, machte sie einen Vorschlag: „Hast du von diesem seltsamen Fund in Hitchwick gehört? Ich würd’ mir das gern mal ansehen. Vielleicht willst du ja mit?“ Was für ein Zufall! „Auf jeden Fall!“ Ruffy strahlte sie förmlich voller Begeisterung an; wieder einmal hatte sie ihn mit ihren gemeinsamen Interessen nicht enttäuscht. Aus der Ferne beobachtete Robin das Szenario mit einem Lächeln, und einem Gewicht an ihrem Herzen. △ Kapitel 6: Sandteufel --------------------- Die Sonne schien durch die tiefhängenden dichten Wolken am Himmel. Ein schöner Tag für Ende November, so dachte er die Worte vom alten Mann. So war es dennoch wahr; die letzten Tage waren mit Regen und Sturm vergangen und kosteten ihm Nächte wertvollen Schlafes. Das Wetter wurde zu einer wahren Nemesis für sie. Mit der gefalteten Zeitung in der Hemdtasche verstaut, fühlte sich Franky zum ersten Mal seit Monaten erleichtert. Wenigstens wusste er nun von den Aufenthaltsorten drei seiner Kameraden, und von ihrem Überleben ebenfalls, zusammen mit den Gerüchten über das Skelett, welche diesen Küstenabschnitt erst erreicht hatten, gab es genug Nachrichten, die ihm eine bessere Laune verschafften. Brook befand sich an einem Ort in seiner Reichweite, Chopper auch, der – zumindest verstand Franky den Zeitungsartikel so – inzwischen in Sanji und Zorros Obhut war. Ein weites Lächeln setzte sich auf seinen Lippen ab, als er zum Rand des Anlegers ging, der sein derzeitiges Zuhause war, und blickte hinauf in das riesige, hölzerne Gesicht. „Nur noch vier fehlen. Wir bringen sie alle wieder nach Hause, Sunny.“ ————— Gegen 16 Uhr entschied Ruffy, eine Pause und eine frühe Teatime zu machen. Er wusste nicht genau, ob es typisch war oder nur eine Angewohnheit der Bibliotheksmitarbeiter, dass sie sich zwischen 16:30 Uhr und 17:30 Uhr die Zeit nahmen, einen Tee zu trinken – natürlich mit den leckersten Snacks. Es erinnerte ihn an die Mahlzeit zwischen Mittag- und Abendessen, aber er war sich nicht sicher, ob Sanji dabei einer Sitte gefolgt ist, denn bisher hatte Ruffy immer gegessen ohne groß nachzudenken. Was immer die Verbindung war, er hatte erst seit kurzem akzeptiert, dass diese Gewohnheit ein kultureller Schatz der Gemeinschaft war, wie Robin es ihm erklärt hatte, und so sah er es nur noch als Snack an, statt als richtige Mahlzeit. Das ganze Konzept kultureller und gemeinschaftlicher Aktivitäten, Sitten und Regeln wurde ihm erst jetzt so richtig klar. Beim Betreten des Pausenraums, fragte Ruffy sich, wann Dera wohl ihre Schicht beenden würde und war sichtlich überrascht, als er sie bereits auf ihn wartend vorfand. Ihre Tasche war gepackt und aufbruchsfertig so wie sie selbst, nur die Tasse Tee vor ihr war es noch nicht. Da war dieses warme Lächeln auf ihren Lippen, als sie ihn bemerkte, das durch seine Erwiderung noch mehr aufblühte. „Fertig mit deiner Recherche?“, fragte sie, ihr Kinn ruhte auf ihrer Handfläche, die andere Hand umschloss locker die Tasse. „Mehr oder weniger... Ich bin mir nicht sicher, ob’s überhaupt was gebracht hat“, seufzte Ruffy, schnappte sich eine Dose Limonade aus dem Automaten und nahm neben ihr Platz. „Muss ich wohl morgen wieder kommen.“ „Na dann bin ich froh, dass deine Recherche keinen Erfolg brachte. Wonach suchst du überhaupt?“ Wie sich ihre Lippen um den Rand der Tasse legten, wirkte natürlich, gewöhnlich, und trotzdem konnte er nicht wegsehen. Ruffy schreckte rechtzeitig aus seiner Trance. „Äh... Robin meinte, es würde Bücher über verschiedene Schreibstile geben und ich brauche Inspiration. Will mal was neues ausprobieren für den Wettbewerb.“ „Oh, du nimmst teil? Aufregend“, grinste Dera, „Deine Chancen stehen auch gut. Die meisten Teilnehmer schreiben nur für den Wettbewerb und haben kaum Übung. Es findet auch nur statt, um mehr Besucher herzulocken.“ „Werden wir sehen.“ Es löste ein merkwürdiges Gefühl in ihm aus, aber er wusste nicht, woher es kam. Wenn Dera sich über seine Teilnahme so freute, musste er einfach das Beste schreiben, nicht wahr? „Also... willst du immer noch nach Hitchwick?“ „Definitiv! Ich wollte dich nach meinem Tee einsammeln, aber du musst wohl meine Gedanken gelesen haben“, schmunzelte sie mit leicht erröteten Wangen. Hah, das war also nicht einseitig, stellte Ruffy fest. „Scheint wohl so.“ Ruffy hatte keine Kontrolle über das Grinsen, das sich über seine Gesichtszüge legte und wenn er ehrlich war, wollte er es auch nicht. Zeit konnte eine so mysteriöse, eigenartige Sache sein. Während man alles in Zeitraffer erlebte, versank die Sonne hinter dem Horizont in einem Augenblick, ein Blinzeln später war es schon pechschwarz. Winter verhielt sich nunmal so, ganz kalt und düster und bedrohlich, doch dieses Konzept entwich Ruffys Gedanken vollständing während der Fahrt. Auf dem Beifahrersitz neben dem Mädchen zu sitzen, das in letzter Zeit einen beeindruckenden Platz in seiner Gedankenwelt innehielt, ihrer sanften Stimme zu zuhören, die irgendeinem Song aus dem Radio einen weiteren Klang verlieh; warum fühlte es sich so warm und angenehm, gleichzeitig so aufregend an? Sie hielten auf einem Parkplatz neben dem Diner, der Garys Familie gehörte. Während der Fahrt hatte Dera offenbart, was sie inzwischen alles über das ,Hitchwick-Skelett’ herausgefunden hatte und wie gern sie herkommen wollte, doch bisher hatte sie der Gedanke zu sehr gegruselt, um allein herzufahren. Welch ein Glück, dass Ruffy seine eigenen Gründe hatte, diesen Fall zu erforschen. Auch wenn Dera wusste, wo das Hitchwick-Skelett vergraben sein sollte, war es zu dunkel für beide, um sich zu orientieren und so entschieden sie sich, im Diner nach dem Weg zu fragen. Neuerdings war es der Ort für Informationen zum gruseligen Fund, und alles, was es darüber hinaus gab. Als Dera nach jemanden suchte, der ihnen den Weg zeigte, sah sich Ruffy in der Souvenir-Ecke um. Unzählige schlechte und mittelmäßige Zeichnungen und Postkarten, die alle nicht wie Brook aussahen, aber irgendwie doch, denn am Ende war ein Skelett immer noch ein Skelett. Einige Minuten später führte sie ein barscher Mann über den Parkplatz zur nächsten Farm, jeder von ihnen mit einer Taschenlampe ausgestattet. „Die Geräusche haben vor einiger Zeit aufgehört. Ich weiß noch, dass wir eine Woche nach dem Vergraben Hilfsarbeiter von der Pineshaw Farm da hatten, die das Skelett sehen wollten, aber keiner von uns wollte es wieder ausgraben“, erzählte er müde, ein langer Tag voller Arbeit deutlich hörbar. „Sie stellten viele Fragen. Über die Kleidung, ob wir Gegenstände gefunden hätten und ob das Skelett Haare hatte – was merkwürdig ist, weil an dem Schädel eine Afro-Perücke geklebt war, aber nach sowas fragt man ja in der Regel nicht.“ „Dann ist das wirklich Merkwürdige passiert. Einer von denen hat sich auf das Grab gekniet und fing an, lauter zu reden. Plötzlich kamen Geräusche von unter der Erde, als ob er eine Reaktion ausgelöst hätte“, fuhr er fort und öffnete ein Tor zur Farm. „Ich hätte sie gern wieder da, um das nochmal zu testen, aber die beiden werden immer noch vermisst. Ich schätze, ihr habt davon gehört?“ „Die vermissten Männer von der Pineshaw Farm? Ja, sehr bedauerlich. Es gibt nur noch wenig Hoffnung, dass man sie findet“, seufzte Dera und verzog das Gesicht ein wenig, die ganze Angelegenheit gruselte sie immer mehr, doch gleichzeitig wuchs ihre Aufregung. Kurz darauf erreichten sie die Grenze des Hofes und betraten ein ungenutztes, grasloses Feld. Ein paar Schritte vor ihnen entdeckte Ruffy ein Holzkreuz in die Erde gestampft, nur sichtbar durch das silberne Mondlicht. Dieser Anblick machte ihm bewusst, wie sehr ihm Robin an seiner Seite fehlte; hier zu stehen, das provisorische Grab seines Freundes zu sehen, drehte seinen Magen um. Robin würde verstehen, was er durchmachte, wie er Halt brauchte. Wissentlich, dass Brook nicht mehr sterben konnte, änderte das nichts an den Horror der Szene vor ihm. „Das ist die Stelle“, sagte der Mann und deutete auf das Kreuz mit der Taschenlampe. „Ich muss wieder zurück. Ich vertrau euch, selbst zurück zu finden.“ Mit diesen Worten verschwand er im Innern des Farmhauses. „Das ist gruseliger als ich dachte. Fühlt sich an wie eine dieser Szenen im Film, bevor die Dummen vom Bösen getötet werden.“ Dera sah sich um, in der Ferne erstreckte sich der Wald am Horizont. Ruffy konnte nicht leugnen wie seltsam diese Situation war, allerdings nicht gruselig für ihn, da er ja wusste, was sich unter der Erde befand. Zumindest hoffte er das. „Außer, dass wir nicht die Dummen sein werden“, grinste er und schritt hinüber zum Grab. Die Erde war noch immer durchnässt von den schweren Regenfällen der letzten Wochen, die nächtliche Kälte begann schon die oberste Schicht des Bodens zu vereisen. Er warf die Taschenlampe beiseite und kniete nieder, ungeachtet des kalten Matsches, der sich durch seine Hose fressen wollte. Zögerlich legte er seine Hand flach auf das Grab und sprach in einer lauten Stimme, sodass seine Worte bis zum Rand des weiten leeren Feldes reichten: „Das wäre was für Robin – sowas creepy und düsteres.“ „Oh ja, sie würde es lieben!“, lachte Dera zustimmend. Ruffy lehnte sich mit seinem ganzen Gewicht vor, beide Hände nun auf dem Grab. Erneut sprach er so laut wie er konnte. „Sie hat einen sehr eigenartigen Humor. Einen alten Freund von mir, Lysop, hat sie immer richtig gern gegruselt.“ Und plötzlich begann der Boden zu vibrieren. Dumpfe Geräusche kamen von unten, verzweifelt versuchten sie sich durch die vielen Schichten Erde an die Oberfläche zu kämpfen. Als würde sich jemand einen Weg hinauf bahnen wollen, der Boden bebte immer stärker. Das reichte Ruffy als Beweis. „Was zur Hölle passiert hier!“ Dera konnte ihren Augen und Ohren nicht trauen, ihre Stimmung schwenkte um in Panik. Ungeachtet ihrer Reaktion fing Ruffy an, zu graben. Es gab keine Verwechslung mehr, es gab kein Leugnen mehr, da unten war Brook, unfähig sich selbst zu befreien. Wie wild schob er die Erde beiseite, Schicht für Schicht, so schnell er nur konnte mit seinen bloßen Händen. So weich und locker der Boden auch war, er war kalt und durchnässt, was das Durchkommen erschwerte. „Was machst du da?! Bist du verrückt?“ Deras Worte klangen irritiert und schockiert von seinem Verhalten, doch zum ersten Mal war es ihm egal. „Ruffy! Was zur Hölle!“ Er ignorierte sie. Er musste sich konzentrieren, er musste zu Brook durchkommen, er musste ihn aus diesem Albtraum befreien. Und so grub er und grub und grub, Adrenalin rauschte durch seine Adern in einer Intensität wie seit Monaten nicht mehr, seit dem Sturm. Seine Hände handelten nach keiner Logik, er konnte nicht mehr klar denken, machte er überhaupt Fortschritte? Wie tief hatten sie ihn nur vergraben? Vielleicht war dort unten tatsächlich nichts– nein, Brook war da, er hatte auf seine Stimme reagiert! All diese Gedanken drehten sich in Ruffys Kopf und seinem Magen, Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und Nacken und seine Knie sanken immer tiefer ins Erdreich hinab. So verlor er sich in diesem Moment, und den Bezug zu seiner Umwelt. Bis etwas sein Blickfeld störte, ein Gegenstand wurde ihm vor das Gesicht gehalten und zwang ihn, sein hektisches Graben zu unterbrechen. Es dauerte eine Sekunden, bis Ruffy die Schaufel erkannte und Dera, die sie ihm anbot. „Du kommst ja sonst kaum voran“, zwinkerte sie ihm etwas verunsichert zu, eine weitere Schaufel in der anderen Hand. Verwundert und für einen Augenblick sogar benommen von der Schnelligkeit ihres Wandels, hellte sich Ruffys Gesichtsausdruck allmählich auf, bis zu jenem breiten Grinsen, wie er es vor dem Sturm getragen hatte. Um keine Zeit zu verschwenden, richtete er sich auf und nahm Dera eine Schaufel ab, damit sie zusammen das Grab ausheben konnten. Tatsächlich kamen sie so schneller voran, geführt vom Licht des Mondes und der Taschenlampen; umgeben von der Dunkelheit der beginnenden Nacht befanden sie sich fern jeder Blicke. Entdeckt zu werden war das Letzte, das Ruffy in diesem Moment in den Sinn kam. Nach gefühlt Ewigkeiten brachen sie durch die letzte Schicht Erde oder so schien es, als sich plötzlich eine knochige Hand aus dem Boden streckte. Dera kreischte vor Schreck und krabbelte aus dem Loch, das sie gegraben hatten, aber verblieb beim Grabesrand. Unkoordiniert versuchte die Hand nach etwas zu greifen, wühlte dabei nur noch mehr das Erdreich auf, also warf Ruffy seine Schaufel aus der Grube und schob die restliche Erde mit seinen Händen beiseite. Sobald die Hand frei war, ergriff er sie und zog mit aller Kraft den verbundenen Körper an die Oberfläche. Und da war es – das Gesicht, das er so sehnsüchtig sehen wollte. „Brook!“, rief er überwältigt und warf voller Erleichterung die Arme um den Mann. Nun in einer aufrechten Haltung, fühlte Brook sich gelähmt von der plötzlichen Freiheit. All diese Nächte und Tage in der Tiefe nur mit Sorge und Angst in seinen Gedanken; Verzweiflung, die zur Hoffnungslosigkeit und schließlich zur Stille verblasste. Und jetzt, jetzt war er frei – ein weiteres Mal befreit von seinem Käpt’n. „Es tut mir so leid! Ich hab erst gestern von dir erfahren... hätte ich eher gewusst, wo du bist, wäre ich eher hier gewesen!“ Die Worte stolperten nur so über Ruffys Lippen, es war noch schwerer als zuvor, seine Gefühle im Zaun zu halten, als er in das Gesicht seines Kameraden sah. „Ruffy-san...“ Seine Stimme klang so heiser und rau wie seine Gefühle, die langsam wieder zum Leben erwachten. Er konnte seinen Wahrnehmung nicht trauen. „Ja, ich bin's. Ich nehm dich jetzt mit nach Hause... na ja, zu Robin und mir. Du bist jetzt sicher“, grinste Ruffy und richtete sich auf, um Brook vom Rest des Grabes zu befreien. Wieder zurück in Deras Wagen, war das Grab wieder vollständig hergerichtet. Da es niemand wieder ausheben würde, würde niemand herausfinden, dass das Skelett fehlte. Es würde so funktionieren, irgendwie, Ruffy hatte das alles nicht wirklich durchdacht. Er hätte, hätte Robin zugestimmt, zusammen nach Brook zu suchen. Anstatt impulsiv zu agieren, hätte sie sich einen cleveren Plan ausgedacht, aber was sollte er machen? Impulsiv war nun mal seine Art. Einige Kilometer Schweigen später, fiel Ruffy erst auf, dass Dera bei der ganzen Prozedur dabei gewesen war, und was das bedeutete. Schließlich war sie kein Teil der Crew, sie wusste nicht, wer sie alle wirklich waren und was musste ihr wohl durch den Kopf gehen? Sie hatten eben ein lebendes Skelett ausgegraben, das nun halb-sitzend, halb-liegend versuchte, auf die Rückbank des eher kleinen Autos zu passen. Und trotzdem, stellte Dera keine Fragen. „Ich, ähm... Ich schulde dir was“, brach Ruffy das Schweigen, verlegen rieb er sich den Nacken. „Ja – eine Erklärung“, antworte Dera mit den Augen auf die spärlich beleuchtete Straße vor ihnen gerichtet, „Und eine Mahlzeit, um sie zu erzählen.“ Ruffy wollte etwas erwidern, dann bemerkte er das Lächeln auf ihren Lippen und die sanfte Röte auf ihren Wangen. „Tu ich. Und danke.“ „Keine Ursache. Ich bin froh, dass ich eine Hilfe sein konnte und immerhin bin ich auch auf meine Kosten gekommen“, strahlte Dera und wandte sich zu Brook über den Rückspiegel: „Hi, ich bin übrigens Dera.“ „Welch schöner Name, Dera. Ich bin Brook.“ Kein Scherz, kein Gelächter folgte. Es würde seine Zeit brauchen, zu sich selbst zurück zu finden. „Also bist du ein Freund von Ruffy? Oder Familie?“ Ruffy gestikulierte mit seiner Hand schwenkend in der Luft. „Beides, kann man sagen.“ „Ich verstehe“. lächelte Dera Brook zu, „Ich bin froh, dass wir dir helfen konnten.“ „Die Freude liegt ganz bei mir“, erwiderte Brook erheitert. Es war bereits nach acht, als sie Ruffys Wohnsiedlung erreichten. Die Fahrt war leicht und unbeschwert gewesen, der Schreibwettbewerb das Hauptthema und welche Art von Story Ruffy verfassen könnte; während Brook sie stumm beobachtete. Wenn der Moment kam, getrennte Wege zu gehen, stieg Ruffy zu erst aus dem Auto aus, um Brook hinaus zu helfen (war Brook schon immer so riesig gewesen?), bis Dera ebenfalls helfen musste. Sobald der große Mann unbeschädigt neben dem Auto stand, wendete sich Ruffy zu seiner Begleitung, die schon auf eine ordentliche Verabschiedung wartete. Es passierte wieder, seine Augen waren fixiert auf ihr Gesicht, das ihm inzwischen so vertraut war. „Also... wir sehen uns dann morgen?“, fragte sie vorsichtig, eine lose Strähne schob sie hinter ihr Ohr. „Jap! Und danke noch mehr für deine Hilfe. Ich schulde dir wirklich was“, wiederholte Ruffy sein Versprechen und trat näher, „Vielleicht könnten wir ja morgen zusammen Mittag essen?“ „Hört sich gut an“, schmunzelte Dera, „Aber du solltest dich jetzt um deinen Freund kümmern. Gute Nacht.“ Zur Untermalung ihrer Worte, lehnte sie sich vor und küsste seine Wange zum Abschied. Nachdem er ihr beim Wegfahren hinterher gesehen hatte, eine Hand die feuchte Stelle auf seiner Wange berührend, drehte sich Ruffy zu Brook und führte ihn durch das Labyrinth der Wohnhäuser zu seinem. Die Siedlung war leer und still, zu kalt waren die Nächte geworden als dass sich irgendwer in den Pfaden zwischen den Gebäuden aufhalten wollte. Eine willkommene Menschenleere, denn so musste Ruffy nicht erklären, warum das Skelett von Hitchwick neben ihm her lief; dafür war er schließlich nicht clever genug. Endlich vor der Haustür angekommen, zog Ruffy den Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss mit einem breiten Grinsen für Brook (er musste das immer noch verarbeiten) die Tür auf – ahnungslos darüber, was ihn auf der anderen Seite erwarten könnte. „Du hast also doch nach Hause gefunden.“ Noch immer in ihrer Arbeitskleidung, stand Robin in dem kleinen Flur zwischen Küche und Wohnzimmer. Sorge und Röte waren sichtbar in ihren braunen Augen und legten sich wie ein Schatten über ihr schönes Gesicht. „Ich weiß, ich sollte mich nicht in dein Privatleben einmischen und es ist nicht meine Angelegenheit, was du mit wem in deiner Freizeit machst–“ „Robin.“ Ruffy stand auf der Türschwelle, vor Brook, der noch immer im dunklen Treppenhaus wartete. „–es stört mich nicht, dass du mit wem anderes Zeit verbringst, wirklich nicht, ich–“ „Robin.“ „–aber es wäre nett, wenn du mir wenigstens Bescheid geben würdest, wenn du irgendwo hingehen willst und nicht einfach verschwindest. Okay? Weißt du, wie es sich angefühlt hat, als ich dich nicht finden konnte und keiner wusste, wo du warst? Ich wusste nicht...“ Sie strich sich neue Tränen aus dem Gesicht, ihre vorherige Frustration über sein Fehlverhalten wich aus ihrem Kopf. Die letzten Stunden klammerten sich erneut um sie mit einem engen Griff und sie verlor jegliche Kontrolle über ihre Gefühle. Als sie ihr Gesicht in ihren Händen verbarg, begriff Ruffy, wie wichtig es für sie war, ihrer Wut und Besorgnis Luft zu machen. Er hatte es vermasselt und diese Schuld ergriff ihn sofort. „Tut mir echt leid...“ Ohne weiter zu zögern eilte er zu ihr und machte dabei Platz für Brook, die Wohnung zu betreten und die Tür hinter ihnen zu schließen. „Du hast recht, ich hätte dir Bescheid sagen sollen – es tut mir leid“, entschuldigte sich Ruffy und schloss sie in seine Arme, so gut er konnte. „Aber ich bin ja jetzt hier... Ich werde immer zurück kommen.“ Robin hielt sich an ihm fest, zu gefangen in ihrem emotionalen Turmult, um die dritte Person mit dem besorgten Ausdruck zu wahrzunehmen. „Ich wüsste nur einfach nicht, was ich machen sollte, wenn ich dich verliere... Es tut mir leid, wie ich heute Morgen zu dir war. Ich hasse es, mich mit dir zu streiten.“ „Ich weiß, und es ist okay. Mach dir keine Gedanken, okay?“ Mit einem Lächeln löste er die Umarmung ein wenig: „Ich hab da was, was ich dir zeigen muss.“ Er war nicht einmal ganz beiseite gegangen, da war Robin schon bei Brook und untypisch für sie, warf ihre Arme um seinen Torso. Von seinem Platz aus beobachtete Ruffy die beiden, wie sie Worte der Zuneigung und Erleichterung austauschten – ein Anblick, den er nie wiedersehen würde, nicht mit diesen beiden. △ Kapitel 7: Habub ---------------- Hand in Hand verließen sie das Café und hielten an der Ecke, an der sich ihre Wege trennten. Ruffy konnte sein Glück kaum fassen; das Date war perfekt gewesen und wer hätte gedacht, dass Hände halten so schön sein könnte? Wie sie nun draußen standen, sich verabschieden mussten, wusste er nicht, was zu tun war. Sollten sie sich küssen? Machte man das so? Wollte er es überhaupt? Bevor er einen der vielen wie wild kreisenden Gedanken fangen konnte, spürte er warme, weiche Lippen auf seiner Wange. Versteinert von dem Kuss, brachte er es nur zu einer schwachen Geste und winkte ihr mit einem verträumten Grinsen hinterher. „Also das machst du, wenn du allein bist.“ Ruffys Haltung verkrampfte, seine Augen weiteten sich, als der Klang der Stimme immer tiefer in seinen Gehörgang kroch. Diese Stimme... konnte es sein...? „Du wirst von uns getrennt und landest gleich in den Fängen irgendeines Mädchens“, setzte die weiche, aber hohe Stimme fort, offensichtlich näherte sie sich ihm. „Wer hätte gedacht, dass gerade du dich auf sowas einlässt...“ Warmer Atem umschmeichelte sein Ohr, Hände schlossen sich um seine Oberarme und übten angenehmen Druck aus; es war schon fast eine zärtliche Annäherung. Der restliche Körper lehnte sich in seinen Rücken, offenbar der einer Frau und außerdem einer Person, die er sehr gut kannte. Sie schob ihre Arme unter seine und umarmte seinen Torso, während ihre Lippen sanfte Pfade auf seinem bloßen Nacken fuhren. „N-Nami“, brachte er nur raus. Es fühlte sich nicht richtig an. „Du erinnerst dich... Das ist gut.“ Ihre Stimme war so anders von ihrem üblichen Ton. So kannte er ihren Klang nur, wann immer sie jemanden durch Flirten manipulieren wollte. Was war hier nur los? Was auch immer es war, allmählich schien Ruffy darauf zu reagieren. Eine intensive Empfindung erwachte in seinem tiefen Innern und sendete Impulse durch seinen Körper mit jeder Berührung ihrer Lippen auf seiner Haut. Ein Gefühl ähnlich dem für Dera, nur war es so viel mehr und so viel und so nostalgisch. Wie aber konnte er mit diesem Gefühl so vertraut sein, geschweigedenn dieser Reaktion, vor allem mit Nami? Was, wenn er sich irrte? Mit mehr Kontrolle in seinem Körper, drehte sich Ruffy in ihrer Umarmung, um ihre Identität sicher zu stellen – und blickte geradewegs in diese klaren braunen Augen, die er so sehr vermisst hatte. „Nami... es... du bist es wirklich...“ Sie legte ihren Kopf schief. „Natürlich bin ich es, wer sollte es sonst sein?“ „Ich hab dich nur nicht erwartet...“, seufzte er und erwiderte ihre Umarmung schließlich. Der Duft von Orangen, Blumen, etwas Tinte und besonders der Meeresbrise erfüllten seine Nase und Sinne, endlich wieder. Es war definitiv seine Nami. „Ich hab dich vermisst...“ „Ah ja... so sehr, dass du dir gleich ein neues Mädchen zulegst?“ Sie lehnte ihren Kopf von ihm weg, als er sein Gesicht in ihrem Haar verstecken wollte und löste dabei die Umarmung ein Stück. „...was?! Nein!“ Ruffy verstand nichts mehr. Welches andere Mädchen? Welche anderen Gefühlen? Es hatte immer nur eines gegeben und das... das war mit Nami verbunden? „Ich werde dich niemals ersetzen!“ Sie kicherte: „Ich weiß, Dummkopf. Du könntest gar nicht, selbst wenn du wolltest...“ Und so lehnte sie sich in seine Arme, ihre perfekte Nase berührte seine, ihr perfekter Körper schmiegte sich an seinen, ihre perfekten Lippen trafen auf seine... ————— Ruffy schreckte keuchend hoch. Was?! Sein Gehirn war zu sehr verheddert mit den Ereignissen seines Traumes, um zu verstehen, was auch immer gerade passiert war, das immer noch an seiner physischen Form hing. Die Berührungen waren noch immer auf seiner Haut, er spürte sie noch immer so nah, so unbeschreiblich nah und warm. Welchen Einfluss es auf ihn und seinen Körper und seinen Verstand hatte, es klammerte immer noch an ihm wie der Schweiß auf seiner Haut. Was war nur gerade passiert? Und was passierte? Etwas tippte seine Schulter an und ließ ihn erneut aufschrecken, sein Kopf schlug dabei gegen die Wand neben ihm. Verstört starrte er die Quelle für diesen Schreck an –noch immer nicht ganz erwacht aus seinem Traum– und sah in ein Gesicht, das er nicht erwartet hatte. Erleichterung zog ihn nun endgültig zurück in die Realität, er schluckte schwer und keuchte anschließend: „Es bist nur du, Brook...“ Es war offensichtlich, denn nun mit einer Person mehr in dem Apartment hatten sie Robin ins kleinere Zimmer ziehen lassen, sodass Brook und er sich das Wohnzimmer teilten. Sein Traum musste wohl auch in der Realität deutlich hörbar gewesen sein, um den älteren Mann zu wecken und zu besorgen. Wie viel hatte er gehört? „Geht es dir gut, Ruffy-san?“ Nicht nur reine Sorge klang in seinen Worten wider, doch Ruffy war noch zu benommen, um zu erkennen, was es noch war. „Ja... Ich... hatte nur einen komischen Traum...“ Er fühlte sich so seltsam, sein ganzer Körper bebte noch von den Emotionen und etwas fühlt sich sehr, sehr unangenehm an. „Von dem Mädchen Dera, nehme ich an?“ „Wer, was?“ Ruffy runzelte die Stirn etwas irritiert, bis Brooks Blick sich von ihm abwandte und in Richtung seiner mittleren Körperregion deutete, die sich deutlich unter der Decke abzeichnete. Also daher kam das unangenehme Gefühl. „Nein, nicht Dera... ich, ähm...“ Brook hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. „Du musst dich nicht erklären. Eines Mannes spezielle Träume mögen sein Geheimnis bleiben.“ Gut. Denn das hätte sonst peinlich werden können. „Eine kalte Dusche wäre allerdings ratsam. Du möchtest sicher nicht Robin-san so gegenüber treten, yoho“, fügte Brook mit einem Schmunzeln hinzu. Stunden später erst hatte Ruffy alle mentalen Verbindungen zu seinem Traum verloren. Oder eher Albtraum? Er war sich darüber nicht so sicher oder was es bedeuten könnte, was es bedeuten sollte; die kalte Dusche hatte alle störenden Überbleibsel des Zwischenfalls aus seinem System gewaschen. Einen Rückfall konnte er allerdings nicht ausschließen. Gegen Acht saßen sie an dem kleinen Tisch für eine Tasse Tee und Frühstück. Robin wirkte fröhlicher als sonst, während sie den Tisch mit allem Essbaren deckte, das sie besaßen – um zu feiern, Brook zu verwöhnen oder ihn zu beeindrucken, Ruffy konnte es nicht sagen. Das gestrige Drama schien aus ihrem Kopf zu verschwinden und Brooks Anwesenheit unterstützte das nur mehr, wenn man nach dem Lächeln in ihrem Gesicht ging, das sich verstärkte, sobald Brook sprach oder in ihrem Blickfeld auftauchte. Ruffy brannte sich diese Momente ins Gedächtnis ein. „Ist schon komisch, Dera und der Farmer meinten, dass zwei Typen in... weiß ich nicht mehr, vermisst werden und dass die beiden auch an Brook interessiert waren“, sagte Ruffy, nach angenehmem Schweigen zwischen ihnen. „Sie wussten von seiner Afro.“ Robin sah ihn an, Neugierde glitzerte in ihren Augen. „Nur jemand von uns könnte das wissen. Jeden von hier, den wir bisher getroffen haben, schien keinerlei Wissen über die Welt außerhalb der Insel zu haben.“ „Ich erinnere mich“, warf Brook mit in Konzentration gerunzelter Stirn, „Eines Tages dachte ich, ich hätte eine vertraute Stimme gehört. Wenn auch gedämpft und unklar, dennoch bin ich irgendwie überzeugt, dass es Zorro-san war.“ Nun runzelten sie alle die Stirn, jene Idee in Betracht ziehend, verfielen sie wieder in Schweigen, jeder seinen eigenen Gedankenstrang nachgehend. Wenn Brooks Annahme wahr war, wussten sie zumindest von Zoros Überleben, doch würde es schwierig werden, jemanden zu finden, der keinerlei Orientierungssinn hatte. Aber vielleicht würde er wegen Brook zurückkommen? „Wir hatten diese Unterhaltung auf der Arbeit neulich, über die beiden vermissten Männer von der Pineshaw Farm. Zwei Männer in ihren späten Teenager-Jahren wurden von einem Anwohner als vermisst gemeldet, nachdem sie von einer Jagd im Wald nicht zurückgekehrt waren“, wiederholte Robin die Fakten, so gut sie sie erinnerte. „Ich konnte soweit keine Verbindungen ziehen. Aber wenn diese beiden Personen, die der Farmer erwähnt hatte, dieselben sind wie in dem Artikel, dann...“ „...könnten das Zorro und Sanji sein – oder Lysop“, schlussfolgerte Ruffy mit wachsendem Enthusiasmus. „Wie kommen wir nach Pineshaw?“ △ Kapitel 8: Böe -------------- Manche Tage waren schlimmer als andere. Wenn sich die Wäsche stapelte, wenn das Spielzeug über die ganzen Treppen verteilt lag, wenn die Pubertät der ältesten der drei Mädchen wieder zu Besuch war. Und wenn die Nächte dann noch voller schrecklicher Erinnerung und schmerzlicher Sehnsucht waren – wie lange noch? An den schlimmsten Tagen wusste sie die Antwort: Nie mehr. Sie könnte einfach weglaufen –mit ein paar Wertgegenständen– und es auf eigene Faust versuchen. Darin hatte sie schließlich Übung, früher schon hatte sie für sich selbst sorgen müssen und konnte überall überleben. Das Leben hatte sie sehr intensiv auf solch unliebsame Situationen vorbereitet. Aber nicht für solch eine. Wie könnte sie nur diese Familie verlassen –und ausrauben–, die sie, nachdem der Sturm sie an ihren Strand gespült hatte, ohne Fragen aufgenommen hatte? Diese freundlichen Menschen, die ihre Wunden behandelt hatten und sie selbst nach der Heilung bleiben ließen? Und es war angenehm, bequem, die meiste Zeit. Von dem Verdienst einer reichen Familie zu leben würde die drei Töchter, um die sie sich zu kümmern hatte, wett machen; wenn diese sie nicht so herablassend behandeln würden. Dazu kam noch die Sorge und die Ungewissheit über den Zustand ihrer Kameraden, der fehlende Kontakt zu ihnen, was sie allmählich an ihre Grenzen zwang. Wie viel länger hatte sie all das noch zu ertragen? Vielleicht, dachte sie eines Tages, als sie während des Einkaufs wieder einmal dem Wanderzirkus gegenüber stand, ein plötzlicher Drang ließ sie in ihrer Bewegung stoppen. Vielleicht würde sie jemand einfach mitnehmen. ————— „Ich frag mich, wann die endlich aufhören, nach uns zu suchen.“ Zwei Tage des Umherwanderns im Wald erreichten bald die Grenzen seiner Geduld. Jeder von ihnen war hungrig, durchnässt und müde, am schlimmsten ging es Chopper, und er selbst brauchte dringend eine Zigarette. „Außer sie suchen gar nicht nach uns.“ Grummelnde Zustimmung folgte von dem anderen Mann. „Die werden nicht aufhören, bis sie ihr Monster haben.“ „Da sind ein paar echt krasse Geschichten über dich im Umlauf, was zur Hölle hast du getan, um alle so zu verschrecken?“ Sanji versuchte amüsiert zu klingen, doch er selbst war in keiner starken mentalen Verfassung, wie sollte er das erschöpfte Rentier, das kraftlos auf Zorros Rücken saß, aufmuntern? „Ich bin durchgedreht, als... jemand einen Luchs erschießen wollte. Sie hatte gerade erst Junge bekommen und ich... bot an, nach Nahrung zu suchen, als sich ihr jemand mit einem Gewehr näherte“, erzählte Chopper mit dünner, schwacher Stimme, unterbrochen von Husten. Erschöpfung zehrte gewaltsam an seinem Bewusstsein, doch hatte er zu viel Angst, um nachzugeben; was, wenn er erwachte und Zorro und Sanji waren nur eine Illusion gewesen? Zorro musste schmunzeln. „Du hast die richtig erschreckt. Bist schon fast zur Legende geworden.“ „Hast dir echt einen Namen gemacht“, fügte Sanji an, „Die Leute erzählen schlimmere Geschichten als Lysop. Du bist in allen Zeitungen und überall im Radio. Vielleicht hört jemand der anderen von dir.“ „Ja, das wär’ was“, stimmte Zorro wieder zu, und es störte ihn nicht. An irgendeinem Punkt war die Gegenwart des Kochs von einem Ärgernis zu einer angenehmen Ergänzung geworden. Nach und nach spiegelte sich das sogar in seinem Verhalten dem anderen gegenüber wider. „Hat irgendwer einen Plan? Wir können nicht für immer im Kreis laufen.“ „Gut, dass dir das auch endlich mal aufgefallen ist“, schnaubte Sanji, da er eben dies schon mehrmals in den letzten achtundvierzig Stunden gesagt hatte, „Aber ich schätze, du bist daran gewöhnt, im Kreis zu kaufen. Macht der Gewohnheit, stimmt’s?“ „Hörst du mal auf damit? Wir müssen uns langsam was überlegen.“ Genervt von dem Gezeter des blöden Kochs, bewegte sich Zorro etwas zu ruckartig für Chopper, der sich mit einem schmerzhaften Stöhnen äußerte. „Sorry, Chopper, is’ alles okay?“ Chopper nickte in seine Schulter, der Schmerz wich langsam aus seinen Gelenken. Nach einem weiteren Hustenanfall, krächzte er: „Wir sind nah am anderen Ende des Waldes... die Küste muss da sein... Ich kann das Meer riechen.“ „Na dann, auf zur Küste.“ △ Kapitel 9: Wolkenbruch ---------------------- Der erste Kontakt war ein Mann unklaren Alters, aber deutlichem Mangel an Hygiene. Und es brauchte nicht lange, bis sie realisierte, dass seine Position im Zirkus nicht so elegant war, wie der Zirkus selbst wirkte. Es hätte eine Warnung sein sollen, nicht so leichtfertig mit der nächsten Gelegenheit die Stadt zu verlassen, aber um ihr schuldbewusstes Herz etwas zu entlassten, würde sie sich von ihrer Gastfamilie angemessen verabschieden. „Sag mal, hast du irgendwas zu tun für ein begabtes und hübsches Mädchen wie mich?“ Sie setzte ihr typisches manipulatives Lächeln auf, untermalt von Gesten unschuldigem Interesses. Wegen der harschen Temperaturen war ihr Outfit keine große Unterstützung ihres koketten Verhaltens. Offensichtlich genervt durch die Störung, senkte der Mann die abgenutzte Zeitung und musterte sie von der Brust zum Kopf, zu den Füßen. Eindeutig angetan von dem, was er sah, raunte er mit einem dreckigen Grinsen: „Ich finde was.“ Zu viel. „Großartig. Ist hier auch jemand, der dafür verantwortlich ist? Um einen Vertrag auszuhandeln?“, fragte sie mit süßlicher Stimme, in der Hoffnung, sie würde den schäbigen Mann loswerden und dafür mit jemandem in höherer Position sprechen können. Alles hungrige Interesse entwich seinen Gesichtszügen, wieder irritiert von ihr, gröhlte der Mann über seine Schulter: „Beweg deinen Arsch rüber, Erstauner.“ Hinter ihm öffnete sich der Trailer und ließ zunächst eine körperlose Stimme ins Freie: „Kannst wenigstens ,bitte’ sagen.“ Folgend trat ein Mann in einem eher durchschnittlichen, schlichten Outfit für einen Zirkusartisten aus dem Trailer und stand im unmittelbaren Kontrast zum schmierigen Mann. Sobald er die Treppe des Trailers hinabgestiegen war und sich auf Augenhöhe befand, fühlte Nami ihr Herz einen Schlag überspringen. Lysop? ————— Manche Fehler müssen getan werden, um Fortschritte zu erzielen. Manchmal ist der Verlust gar keiner, sondern ein langfristiger Gewinn. Und manchmal... Da machst du einfach einen Fehler. Einmal zu oft. Mit diesem Aspekt im Hinterkopf wusste Ruffy, dass er den sauren Blick Deras verdient hatte. Hatte er nicht versprochen, öfter vorbeizukommen, hatte er ihr nicht versprochen, gewisse Dinge zu erklären, und trotzdem – es war erst zwei Tage später, als er Dera während einer seiner Spaziergänge durch die Stadt traf. Alle Bilder des verdammten Traumes erschienen wieder vor seinem inneren Auge, aber Ruffy wusste nicht, wieso. Es irritierte seine Reaktionszeit und als er es endlich begriff, war Dera schon fast über alle Berge – wäre er ihr nicht nachgerannt. „Dera, warte!“ Und es ließ sie anhalten, wenn auch nur mit diesem sauren Blick in ihrem Gesicht. Sie sahen sich einen Moment schweigend an und Ruffy könnte sich irren, aber ihre Gesichtszügen schienen sich mit jeder Sekunde mehr zu entspannen. „Ich verdiene, was immer du mich nennen willst. Es tut mir leid, aber das is’ wahrscheinlich nicht mehr genug“, entschuldigte Ruffy sich, „Da war so viel, das wir besprechen mussten die letzten Tage, wegen Brook und was wir herausgefunden haben und – is’ auch egal, ich hätte mich bei dir melden sollen oder vorbeikommen sollen, wie ich es versprochen habe.“ „Ich bin froh zu hören, dass du so denkst“, sagte sie in einer Stimme, die nicht ferner ihres üblichen Klanges sein konnte, „Man könnte meinen, eine einfache Nachricht auf einem Stück Papier würde einfach sein, aber da gibt es immer jemanden, der dich eines besseren belehrt.“ Dieser kühle Kommentar war schockierend, aber dennoch wusste er, dass er es verdiente. „Ich... hab’s echt vermasselt. Hör zu, wir müssen uns nicht wieder treffen oder miteinander reden, aber ich will dir die Erklärung geben, die ich dir schulde. Wenn du willst.“ Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht im typischen Lächeln. Jenes Lächeln, das er nur zu gut kannte – von ihr, und gleichzetig auch nicht; dieser Blick, der sagte, dass sie ihn genau da hatte, wo sie ihn wollte, dass sie mit ihm nur gespielt und natürlich gewonnen hatte. So manipulativ und berechnend – Eigenschaften, die Ruffy nur mit einer Person verband... Nami. Sein Magen krampfte sich zusammen. „Ich denke schon. Vielleicht sollte ich später zu dir kommen?“ Deras Stimme klang nun wieder sanfter und verlangte seine gesamte Aufmerksamkeit, von der er ihr nur einen Hauch geben konnte. Er fühlte sich krank. Und warm. Und benommen. Und schwindelig von dem Traum, der aus den dunkelsten Ecken seinen Verstandes wieder hervorkroch, irgendetwas musste es sich wieder vorstellen – und was noch alles hätte passieren können. „Ich nehme das als ,Ja’.“ Dera rollte mit den Augen, ein Lächeln auf den Lippen, die eine Sekunde später seine Wange berührten. „Ich seh dich später.“ Als das Mädchen mit dem petrolfarbenen Haar aus seinen Sinnen verschwand, drängte sich die Erinnerung an ein rothaariges Mädchen immer mehr in seinen Fokus und blendete ihn nahezu, wie Sonnenlicht, das ihn erblinden ließ. So hypnotisiert wie er da mitten auf dem Gehweg stand, entwickelte sich eine Feststellung in seinem Kopf. Und diese traf ihn wie ein Wolkenbruch. △ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)