As time goes on von Ouzomania ================================================================================ Kapitel 1: Das Eis brechen -------------------------- 24. Dezember 2002 Langsam wanderte der Vierzehnjährige die verlassene Straße entlang. Er hatte die Hände in die Hosentasche geschoben und sah gedankenverloren geradeaus. In seinem Kopf ließ er die Szenen des heutigen Tages Revue passieren. Sein Konzert und der Bandcontest waren nicht so gelaufen, wie er das gehofft hatte. Keiner hätte ahnen können, dass ihr Auftritt von einer unerwarteten Digimon-Invasion unterbrochen wurde. Er seufzte leise. Wenn er es recht bedachte, dann war der ausgefallene Bandcontest wahrlich eines seiner geringsten Probleme. Dass die Digimon einfach so in ihrer Welt auftauchten, konnte sie alle gewaltig in Schwierigkeiten bringen. Wenn sich solche Vorfälle häuften, hätten er und seine Freunde alle Hände voll damit zu tun, die Menschen vor den Digimon zu schützen. Und die Digimon vor den Menschen. Zwei Welten, die aufeinander prallten und sich gegenseitig nicht verstanden. „Alles in Ordnung, Matt?“, hörte er eine freundliche Stimme neben sich fragen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen als er kurz inne hielt, den Kopf zur Seite neigte und seinen Freund ansah, der ebenso schweigsam neben ihm hergelaufen war. Er entdeckte etwas Besorgnis in seinem Ausdruck. „Ja, Gabumon. Ich habe nur noch einmal über diesen Abend nachgedacht“, gab der Junge seinem Partner zur Antwort. Dieser schenkte ihm einen aufmerksamen Blick und sah ihn weiterhin prüfend an, als Matt sein Augenmerk erneut nach vorne richtete und weiter ging. Wieder wanderten seine Gedanken zurück zu den Ereignissen des heutigen Tages. Eine andere Erinnerung überschattete plötzlich seine Sorgen um die Geschehnisse in der Digiwelt. Mit einem Mal blitzte ihr Gesicht vor seinen Augen auf. Ausdrucksstarke braune Augen, die ihn ungewöhnlich nervös angeblickt hatten. Ein schüchternes Lächeln, das von zartrosa Wangen umrandet wurde. Die Erinnerung daran brachte ihn abrupt zum Stehen. Als Sora ihm heue Nachtmittag vor seinem Konzert ein kleines Weihnachtsgeschenk vorbei gebracht hatte, waren sie leider von dieser dämlichen Jun gestört worden. Vor seinem Auftritt hatte er deshalb nicht mehr die Möglichkeit gehabt, darauf wirklich zu reagieren. Sie hatten zwar den restlichen Abend miteinander verbracht, doch wegen der ganzen Aufregung durch den schwarzen Turm und die plötzlich auftauchenden Digimon hatten sie keine Zeit mehr nur für sich alleine. Dabei hatte er das Gefühl gehabt, dass sie diese noch einmal brauchen würden, als Sora ihm zaghaft ihre selbstgebackenen Kekse überreicht hatte, eine Geste mit der er so nicht gerechnet hatte. Als ihm dieses Gefühl in Erinnerung kam, verstand er auf einmal auch, weshalb er Soras Blicke auf sich gespürt hatte, während er sich vor einer viertel Stunde von den anderen verabschiedet hatte, weil die Wohnung seines Vaters in einer anderen Richtung lag als die von Tai, Izzy und Sora. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, dass er als Reaktion auf ihren zurückhaltenden Annäherungsversuch noch etwas sagen oder tun würde. Wieder entglitt ihm ein leises Seufzen. „Gabumon?“, sprach er vor sich hin und richtete nachdenklich den Blick gen Himmel. Es war schon stockfinster und bereits sehr spät. Aber als er an ihre rosa Wangen dachte, zwickte ihn eines leises Gefühl im Bauch und er verspürte das starke Bedürfnis, ihre Geste nicht unerwidert im Raum stehen zu lassen. „Hast du etwas dagegen, wenn wir einen kleinen Umweg machen, bevor wir nach Hause gehen?“ Einige Minuten später stand der blonde Junge zögernd vor dem großen Wohnhaus und sah nach oben zu dem Balkon, den er als zur ihrer Wohnung gehörend identifizierte. Das Licht in den Fenstern dahinter brannte noch und sagte ihm, dass Sora sicherlich noch wach war. Er hatte auch nichts anderes erwartet. Sie konnte schließlich auch noch nicht lange zu Hause sein. Wahrscheinlich aber, so befürchtete er, war sie nicht alleine in der Wohnung und Matt sträubte sich, zu klingeln und von Soras Mutter nach oben gebeten oder – wer konnte das schon wissen – aufgrund der Uhrzeit verscheucht zu werden. Er wollte sie auch nicht in eine peinliche oder unangenehme Situation gegenüber ihrer Mutter manövrieren, wenn er sie am Weihnachtsabend, der in Japan traditionell ein Abend der Liebenden war, zu so später Stunde aufsuchte. Aber er konnte auch unmöglich einfach wieder gehen. Dass sie ihm heute, an Weihnachten, so ein Geschenk gemacht hatte, sagte zu viel aus und er musste sich selbst eingestehen, dass nicht die Überlegung, sie könne bereits schlafen, oder die Befürchtung, durch die Anwesenheit ihrer Mutter könne die Situation unangenehm werden, ihn vor ihrer Tür zögern ließen. Vielmehr war es der Gedanke, ihr irgendwie mitteilen zu müssen, zu wollen, dass sein Bauchgefühl ihn mächtig zwickend daran erinnerte, auf welch großer Fläche ihr kleiner Annäherungsversuch in seinem Herzen ankern konnte, der ihn seltsam nervös machte und hadern ließ. Er wusste nicht erst seit kurzem, dass die junge Miss Takenouchi sein Herz schneller schlagen ließ. Er spürte es in jeder Situation, in der die Freunde zusammen trafen und sein Blick viel zu oft in ihre Richtung glitt, und bei jeder Berührung zwischen ihnen, die ihm die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Aber er hatte es bisher noch nicht einfach zugeben und zeigen können, dass er die Gleichaltrige so gerne mochte, wie er es tat. Es fiel ihm reichlich schwer, sein Herz auf der Zunge zu tragen. Das wusste jeder, der ihn kannte. Er seufzte wieder leise und versuchte, die Nervosität einzudämmen. Er kam sich ziemlich idiotisch vor. Er und seine Freunde hatten schon so viele gefährliche Situationen gemeistert, waren mit so vielen schwierigen Dingen konfrontiert worden. Vorhin standen sie einem riesigen Dinosaurier-Digimon gegenüber und es hatte ihm nichts ausgemacht, keine Nervosität, keine Panik, keine Angst. Und das hier ließ seine Knie zittern? Es war dämlich. Wo war nur seine Coolness, die seine Freunde ihm immer zu schrieben? Er schüttelte sachte für sich selbst den Kopf, zögerte nicht mehr länger und zog sein Handy aus der Hosentasche. Er wollte sie sehen, wenigstens kurz mit ihr reden. Vorher konnte er heute unmöglich nach Hause gehen. Kurz treffen? Ich warte unten vor eurem Haus. LG Matt Nachdem er die Nachricht abgeschickt hatte, warf er erneut einen Blick in Richtung Balkon. Vielleicht erhoffte er sich von dort irgendeine Reaktion auf seine SMS. Einen kurzen, leicht panischen Moment lang fragte er sich, was er tun würde, wenn sie nicht darauf reagierte. Er befürchtete, dass ihre nächste Begegnung dann äußerst peinlich werden könnte. Doch glücklicherweise hatte er keine Gelegenheit, sich weiter in diese Idee zu verrennen, denn es dauerte kaum eine Minute, bis er eine Antwort von ihr erhielt. Komme gleich runter. Zwei Minuten! Sora Als Sora wenig später vor ihm stand und sich erkundigte, weshalb er hergekommen war, wirkte sie ähnlich unruhig wie vor ein paar Stunden, während sie ihm sein Geschenk überreicht hatte. Er schmunzelte sachte. Nicht nur für ihn war diese Begegnung aufregend und schwierig. Er glaubte, sie fühlten sich irgendwie ähnlich. Der Gedanke half ihm, etwas mehr Sicherheit zu gewinnen und seine Nervosität nach außen hin zu überspielen. Irgendwie würde er das schon hinkriegen. „Ich habe dir noch nicht richtig Danke gesagt, das ist unhöflich. Für dein Geschenk, meine ich“, gab Yamato der Rothaarigen zur Antwort und bedachte sie mit einem Lächeln, „du weißt ja, wir wurden vorhin gestört und dann war das Konzert und die Digimon und, und, und. Ich hatte keine Gelegenheit mehr.“ Seine Gegenüber nickte nur sachte. Er bekam das Gefühl, die Situation war ihr plötzlich unangenehm. Sie hatte den Blick nach unten gerichtet, als sie ihm antwortete: „Das macht doch nichts. Dafür hättest du doch nicht noch einmal extra her kommen müssen. Du bist sicher auch total erledigt, nach deinem Konzert und der ganzen Aufregung.“ Er sah sie einige Augenblicke schweigend an. Verstand sie überhaupt, warum er wirklich noch einmal her gekommen war? Sie dachte doch nicht ernsthaft, dass er nur aus reiner Höflichkeit hier vor ihr stand? Gott, was war nur los mit ihnen beiden? Sie kannten sich seit acht Jahren, waren seit acht Jahren Freunde und konnten seit ebenso vielen Jahren doch immer ganz zwanglos miteinander über Dies und Das reden. Jetzt dagegen kam ihm der Moment ziemlich verkrampft vor. Irgendwie musste er etwas dagegen tun. Er trat etwas näher an sie heran und legte einen Finger unter ihr Kinn, um ihren Blick zu heben. „Doch, Sora, das musste ich“, erwiderte er überzeugt und suchte nun mit seinen blauen Augen ihren braunäugigen Blick, „ich fand es sehr schön, dass du auf meinem Konzert warst und habe mich wirklich über deine selbstgemachten Kekse gefreut.“ Er bemerkte, dass sich ihre Wangen wieder leicht rosa färbten, als sie seinen Blick erwiderte und seinen Worten lauschte. „Das ist gut“, gab sie nur leise, aber scheinbar erleichtert zur Antwort. Ihre Zurückhaltung trieb ihm erneut ein sachtes Lächeln auf die Lippen, bevor er fortfuhr. „Ich… weiß, was du mir damit irgendwie zeigen wolltest“, erklärte er und bemühte sich, das Gespräch in die Richtung zu führen, wegen der er hergekommen war. Sie sollte verstehen, dass es ihm genau so ging. Dass er ihr zugetan war und sie mehr mochte, als er bisher bereit war gegenüber ihr und ihren gemeinsamen Freunden zuzugeben. Vielleicht auch wegen der gemeinsamen Freunde. Was würden nur Tai und die anderen sagen, wenn sie diese Szene mitbekämen? Wäre es für sie in Ordnung? Er erlaubte sich nicht, den Gedanken weiter auszuführen. Stattdessen folgte er einem Impuls seines klopfenden Herzens und legte seine rechte Hand an ihre linke Wange. Sie fühlte sich zart und weich an – und warm. Er merkte, dass ihr noch mehr Blut in den Kopf schoss und sie noch weiter errötete, wegen seiner Berührung. Sein Kopf wollte einen kurzen Augenblick lang verrückt werden, weil sich seine Gedanken überschlugen. Seltsam wie sich so eine Situation, so einen Annäherung anfühlen konnte, wenn man jemandem gegenüber stand, den man wirklich gern hatte. Jemand, der einem wirklich etwas bedeutete. Wenn es nicht nur um Neugier ging, die Gelegenheit oder die Erfahrung. Wenn es um etwas ging, das plötzlich seltsam und ungewohnt wichtig und bedeutsam erschien und man auf einmal Angst bekam, etwas falsch zu machen. Er hielt sich davon ab, über diese Erkenntnis den Kopf zu schütteln, und konzentrierte sich auf das, weswegen er hier war. „Ich musste dich heute Abend noch einmal sehen, um dir wenigstens noch zu sagen, dass es mir genau so geht“, gab er schließlich zögernd zu und versuchte dabei, nicht ihren Blick aus seinen Augen zu verlieren. Womöglich hatte sie keine Ahnung, wie schwer es ihm fiel, das zu sagen. Vielleicht aber fühlte er das, was er sagte, auch nur, weil sie eine der wenigen war, die eben doch genau verstand, wie schwer es ihm fiel. Er vernahm ein nahezu lautloses „Oh Matt…“, das ihre Lippen stumm formten und ihm zeigte, dass letzteres der Fall war. Es brachte ihn zum Schmunzeln. Nachdem er ihre Reaktion vernommen hatte, reichte es ihm nicht mehr, ihr das nur zu sagen. Er wollte es ihr zeigen, er wollte, dass sie es fühlen konnte, wie er es fühlte. Vorsichtig legte er deshalb seine freie linke Hand an ihre Taille und zog sie noch etwas näher zu sich. Er merkte, wie sein eigener Puls in die Höhe stieg und sein Herz anfing zu rasen. Es war verrückt, wie aufgeregt er gerade war. Als hätte er sich noch nie einem Mädchen bis auf fünf Zentimeter genähert. Dabei kannte er das eigentlich schon. Aber bei ihr war es anders. Jeder Moment schien so unendlich wichtig. Er ließ seinen Daumen einmal sanft über ihre Wange streichen und suchte ein letztes Mal ihren Blick, bevor den Kopf etwas nach unten beugte und seine Lippen behutsam auf die ihren bettete. Eine Sekunde. Zwei Sekunden. Einen kleinen Augenblick, in dem er einfach ausprobieren wollte, wie sie schmeckte, wie es sich anfühlte, sie so zu berühren. Als er sich wieder von ihr löste und seine Stirn sanft an ihre lehnte, hielt er die Augen geschlossen und ließ diesen Eindruck auf sich einprasseln. Ob er sich schon jemals so gefühlt hatte? Noch immer hämmerte sein Herz wie wild in seiner Brust und er fürchtete fast, dass selbst Sora das nicht mehr überhören konnte. Doch gleichzeitig spürte er, dass es sich für sie wahrscheinlich genauso anfühlte, als er wieder ihren warmen Atem auf seiner Haut vernahm und sie sich etwas in die Höhe reckte, um die Lücke zwischen ihren Lippen erneut zu verschließen. Nach diesem ersten kurzen und kleinen Testlauf, der offensichtlich von beiden als ‚Mit Bravour bestanden‘ abgehakt wurde, wollten sie deutlich mehr von dem jeweils anderen. Seine Hand wanderte von ihrer Wange zurück in ihren Nacken, um sie fester halten und an sich drück zu können. Gleichzeitig spürte er, wie sie eine Hand in sein Haar legte und sich ihrerseits näher an ihn ziehen wollten. Sie pressten förmlich immer wieder ihre Lippen aneinander, statt sie nur sachte zu berühren, und küssten sich mit jeder Sekunde inniger. Immer mehr Hitze stieg in ihm auf. Er wusste nicht genau, wie lange sie so vor Soras Haustür standen und ihre erste gemeinsame Zweisamkeit genossen. Er verlor sich für den Augenblick in ihren Kuss, konzentrierte sich ganz auf ihre Gegenwart, sog ihren süßlichen Duft ein und genoss jede einzelne Berührung ihrer Lippen. Es dauerte deshalb, bis sie sich wieder etwas voneinander entfernten und eine kleine Atempause einlegten. Unweigerlich trat ein kurzes Grinsen auf die Lippen des Jungen. „Okay…“, kommentierte er heiter ihren ersten Kuss, der deutlich intensiver ausgefallen war, als er je gedacht hätte, „ich würde sagen, das funktioniert schon ‘mal.“ Sora, deren Wangen noch immer glühten, reagierte mit einem kurzen Kichern auf diese Feststellung. „Das kannst du laut sagen“, erwiderte sie etwas verschmitzt. Die anfängliche Nervosität, die sie zuvor noch gezeigt hatte, war kaum noch präsent. Wahrscheinlich, so dachte er, hatte sie vor allem die Unsicherheit geprägt, wie er zu ihr stand. Aber nach diesem Kuss … wer könnte da noch Zweifel haben, dass er wahrscheinlich absolut verknallt in sie war? Auch er fühlte sich deutlich befreiter als noch vor ein paar Minuten. Das Eis war gebrochen. Sie hatten einen ersten Schritt gewagt. Jetzt stellte sich die Frage, wie es weiter gehen sollte. Matt schmunzelte sachte, als er einen kleinen Schritt zurück trat und die Hände wieder in seine Hosentaschen schob. „Ich sollte jetzt besser langsam nach Hause gehen. Deine Mutter fragt sich sicher auch schon, was du hier unten machst“, begann er langsam und sah sie dabei forschend an, „aber darf ich dich morgen zum Frühstücken einladen? Vielleicht können wir dann über das alles hier …naja, ein bisschen reden?“ Er schlug vor, zu reden. Was hatte sie gerade mit ihm gemacht? Yamato Ishida war nicht gerade dafür bekannt, dass er ausführlich über seine Angelegenheiten diskutierte. Hin und wieder mit seinem besten Freund Tai, doch auch der musste ihm oft genug aus der Nase ziehen, was tatsächlich los war. Der Vierzehnjährige war jemand, der die Dinge lieber mit sich selbst aushandelte. Aber diese Sache war er gewillt, mit ihr gemeinsam auszuhandeln. Wahrscheinlich waren seine Sinne nicht mehr klar, weil er zu viel von ihrem lieblichen Duft in sich aufgenommen hatte. Die Rothaarige nickte nur sachte und lächelte. Er erkannte ein leichtes Funkeln in ihren Augen und wusste in diesem Moment, dass sie gerade glücklich war. „Gut, … ich melde mich bei dir“, versicherte er ihr schließlich mit einem schiefen Lächeln. Dann zögerte er kurz, eher er noch einmal etwas näher an sie heran trat. Behutsam legte er zum Abschied die Lippen an ihre Stirn. Er zwang sich selbst, sie nicht noch einmal auf den Mund zu küssen. Er wusste nicht, wie lange er brauchen würde, um dann zu gehen. Und Gabumon wartete wahrscheinlich schon viel zu lange auf ihn. „Gute Nacht, Sora Takenouchi“, verabschiedete er sich schließlich leise und machte noch ein paar Schritte rückwärts, um sie weiter anzusehen, bevor er sich abwandte und ging. Als Yamato sich eine Straße weiter auf einer Parkbank nieder ließ, war er noch immer ganz durcheinander von dem, was er gerade gesagt, getan und gefühlt hatte. Er war vierzehn, fast fünfzehn Jahre alt und hatte auch schon drei andere Mädchen geküsst. Aber die letzten Minuten hatten sich ganz anders angefühlt. Sie waren so intensiv, dass er das Gefühl hatte, sie passten gar nicht zu einem Jungen in seinem Alter. Er seufzte leise und wandte sich an seinen Freund, zu dem er sich gesetzt hatte. „Es tut mir leid, dass du hier so lange warten musstest, Gabumon“, entschuldigte er sich bei ihm und sah ihn an. „Das macht doch nichts!“, erwiderte sein Partner und kniff die Augen freudig zusammen, weil Matt wieder bei ihm war. „Konntest du denn Sora sagen, was du ihr sagen wolltest?“ Matt lächelte nur sachte und nickte, „ja das konnte ich.“ Sein Freund schien sich darüber sehr zu freuen, als Matt sich auf der Bank zurück lehnte und noch einmal in die Nacht sah, die für ihn heute irgendwie etwas Besonderes war. „Du magst Sora wirklich gerne, oder?“, hörte er Gabumon neben sich fragen. Ohne den Blick zu wenden, ließ Yamato nur ein nachdenkliches „Hmh“ verlauten, das seinem Freund die Frage beantworten sollte. „Magst du sie mehr als mich?“, wieder ertönte Gabumons Stimme, sie klang eine Spur traurig. Matt seufzte erneut leise und schloss nachdenklich die Augen, bevor er darauf antwortete. „Ich mag sie anders, Gabumon. Auf eine andere Art“, mit diesen Worten versuchte er ihm zu erklären, dass er für Sora nicht nur die freundschaftliche Liebe empfand, die ihn und Gabumon für immer aneinander band. Dann jedoch wandte er sich wieder zu seinem Freund um und lächelte ihn an. „Aber genug davon nun. Ich habe dich viel zu lange warte lassen!“, stellte er mit einem schiefen Grinsen fest und erhob sich, „dabei bin ich so froh, dass wir ein paar Tage zusammen haben. Lass uns schnell nach Hause gehen, damit ich dir zur Feier des Tages etwas Leckeres kochen kann. Du hast doch sicher schon einen Bärenhunger!“ Gabumon wirkte sofort wieder fröhlich, als er neben Matt von der Bank sprang und sich mit ihm in Bewegung setzte. „Oh toll, was willst du denn kochen?“, erkundigte sich das Digimon munter und sah zu Matt auf. Dieser lachte nur leise und versprach ihm, alles zu kochen, was Gabumon sich wünschte. Der restliche Abend sollte ganz ihnen gehören. ____________________________________ Als er an dem Abend auf seinem Bett lag und an die Wand darüber starrte, erinnerte er sich gut an die rosa Farbe, die Soras Wangen geziert hatten, als er sie vor dem Backstage-Bereich der großen Konzerthalle ertappt hatte – mit einem Geschenk für Yamato. Er konnte sich auch sehr gut daran erinnern, wie er seiner Freundin in diesem Moment Mut zugesprochen und ihr viel Glück gewünscht hatte. Aber tat er das wirklich? Wünschte er ihr viel Glück mit Matt? Es war sehr seltsam für ihn, zu wissen, dass seine beste Freundin offensichtlich romantische Gefühle für Yamato hegte. Wohlgemerkt für seinen besten Freund Yamato. Absolutely perfect. Er sah sich schon als fünftes Rad am Wagen jeden gemeinsamen Abend hinterher eiern. Aber gut, nichts überstürzen. Vielleicht kam es dazu ja überhaupt nicht – wusste er denn, ob Matt Interesse hatte? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er keine Ahnung. Matt und er redeten ständig über alles Mögliche, das sie gerade beschäftigte. Nun gut, zugegebenermaßen war es eher er selbst, der redete. Sein Kumpel Matt war doch eher von der schweigsameren Sorte, hörte sich lieber an, was er zu sagen hatte, und gab hin und wieder Kommentare dazu ab. Das Stichwort Mädchen war natürlich in den letzten ein, zwei Jahren auch immer häufiger in ihren ‚Männergesprächen‘ aufgetaucht. Hauptsächlich dann, wenn sie diese andere Spezies mal wieder nicht verstanden. Es war ihm beispielsweise nach wie vor ein Rätsel, weswegen sich Sora vor zwei Jahren so über sein Haarspangen-Geschenk erbost hatte. Aber auch, wenn es um kleine Schwärmereien gegangen war oder wenn er seinen Freund mal wieder damit aufzog, dass dessen Engagement in der Band ihn seither in eine Art Mädchenschwarm verwandelt hat. Tatsächlich hatte der gleichaltrige Blonde seitdem ein paar interessierte, weibliche Fans. Die meisten zum Glück deutlich dezenter als Davis anstrengende Schwester Jun. Matt hatte ihm zu diesem Thema schon einige amüsante Geschichten erzählt. Sein Freund hatte ihm deshalb aber zugegebenermaßen auch schon ein paar Erfahrungen mit Mädchen voraus. Taichi wusste, dass Yamato schon ein paar Mädchen geküsst hatte. Matt hatte ihm davon erzählt. Nun ja, er hatte es zumindest beiläufig erwähnt, wenn er selbst ihn danach gefragt hatte. Aber er hatte nie das Gefühl gehabt, dass diese Ereignisse oder eins von den Mädchen für seinen Freund irgendwie wichtig gewesen wären, deshalb hatte er nie großartig weiter gefragt, ob der junge Musiker denn Gefühle für eines der Mädchen hegte. Er wusste also überhaupt nicht, ob es da irgendein besonderes Mädchen im Leben seines besten Freundes gab, geschweige denn ob Sora dieses Mädchen war. Also erstmal nicht den Teufel an die Wand malen! Vielleicht blieb ja doch alles beim Alten. Kurz dachte Tai daran, ob Matt vielleicht auch Sora küssen würde? Ganz unabhängig davon, ob er Interesse an ihr hatte. Immerhin hatte er bei den anderen schließlich auch kein Interesse gehabt und es trotzdem gemacht. Allerdings müsste er seinem Freund dann wohl ordentlich den Kopf waschen – das wäre absolut daneben! Sein Magen zog sich kurz zusammen. Nicht nur das störte ihn bei der Vorstellung. Irgendwie gefiel ihm das Bild von Sora eng umschlungen mit Matt überhaupt nicht. Es gefiel ihm kein Bild, das Sora eng umschlungen mit einem Jungen zeigte, egal ob das nun sein Freund Yamato oder irgendein anderer war. Er seufzte leise und versuchte das Bild zu verdrängen, das er in seiner Vorstellung am liebsten ausmalte. Er hatte ihr doch viel Glück gewünscht … „Taiiii! Erde an Tai!“ – die Stimme riss den Braunhaarigen plötzlich aus seinen Gedanken und er sah, wie sich Agumon über ihn beugte und mit den Armen über seinem Kopf wedelte. Etwas irritiert blinzelte er und sah seinen orangen Freund an. „Was ist denn los, Agumon?“ erkundigte sich Taichi verwirrt und richtete sich auf. „Was ist denn mit dir los, Tai? Du bist so still und hörst mir schon die ganze Zeit gar nicht zu!“, antwortete Agumon seinem Partner mit aufmerksamen Augen. „Worüber hast du denn nachgedacht?“ Tai legte den Kopf schief und sah das Digimon nachdenklich an. „Darüber, wie kompliziert es ist, älter zu werden, denke ich…“, erwiderte er mehr zu sich selbst. „So?“, Agumon sah den Jungen irritiert an, „darüber habe ich noch nie nachgedacht!“ Tai lachte, als er die Antwort von seinem Freund hörte und schenkt ihm einen fragenden Blick. „Worüber denkst du denn nach, wenn du mal still bist?“, erkundigte er sich amüsiert. „Hm…“, das Digimon dachte einen kurzen Augenblick über Tais Frage nach, bevor es mit den Achseln zuckte, „meistens darüber, was ich gerne essen würde!“ Auf diese Antwort hin konnte Tai nur erneut lachen und ließ sich mit einem belustigten „Ach Agumon“ wieder zurück aufs Bett sinken, um seinen Gedanken weiter hinterher zu hängen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)