Die Karten legt das Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 17: Beim Jugendamt -------------------------- Ungeduldig tippte ich mit den Fuß auf den Boden und verschränkte die Arme vor der Brust. Pünktlich war ich von der Arbeit aufgebrochen und war nun endlich im Jugendamt angekommen. Phil hatte mir geschrieben, dass ich mich dringend bei ihm melden sollte. Er mache sich Sorgen um mich, schließlich hatte ich ihn vor meiner Reise nach Arizona angerufen und mich danach nicht weiter bei ihm gemeldet. Auch wusste er nicht, dass ich heute den Termin hier hatte, noch wusste er von Brian. Jedoch hatte Paul sich gemeldet und mir gesagt, ich sollte ruhig und besonnen bleiben. Ich hatte geschmunzelt als ich die Nachricht gelesen hatte. Er hatte sich tatsächlich die Zeit genommen um daran zu denken. Etwas, was mich wirklich sehr freute und den Knoten in meiner Brust zu lockern schien. Kurz betrachtete ich das Bild des Mannes um mich abzulenken, doch gerade wollte es nicht so richtig funktionieren und obwohl seine Worte mich erfreuten, wirklich Einfluss auf meine Gefühlslage hatten sie nicht. Ruhig und besonnen, wenn er wüsste. Ich war alles, aber sicher nicht ruhig und besonnen. Hier ging es schließlich um mein Kind. Doch ich wusste, dass er auch Recht hatte. Nun in Panik zu verfallen wäre schließlich auch nicht schlau. Wie man Vernünftig reagieren sollte in so einer Situation, dass wusste ich selbst nicht genau. Meinen Blick schweifen lassend, sah ich mich auf dem Flur um. Überall an den Wänden hingen Bilder oder Poster. Ein schwarz weißes Poster zeigte ein Kind, welches traurig in die Kamera blickte, während ihre Mutter es auf dem Arm hielt. Ein roter Schriftzug zierte das Bild und darauf stand: „Auf der Straße, haben sie Angst um ihr Kind. Zuhause haben ihre Kinder Angst um sie.“ Darunter war das bekannte Zeichen einer christlichen Hilfsorganisation. Ich blickte weg von diesem Bild und sah eine Spieleecke für kleine Kinder und einige Malbücher. Meine Augen wanderten auf meine Armbanduhr. Eigentlich hätte ich bereits vor fünf Minuten meinen Termin gehabt und endlich wurde die Tür geöffnet. Eine Frau, ich vermutete ungefähr in meinem Alter, ließ mich eintreten. Sie war nicht schlank und auch nicht dick. Sie trug die blonden Haare zusammengebunden und eine moderne Brille auf der Nase. „Mr. Prescot“, grüßte sie mich höflich und reichte mir die Hand. Wir schüttelten einander die Hände und auch ich grüßte die Sozialarbeiterin. Es war nicht dieselbe, welche mir damals vor drei Jahren geholfen hatte. Diese war deutlich älter gewesen. Wir setzten uns an einen Tisch und ich ließ meinen Blick durch das Büro gleiten. Es hingen einige Spruchkarten herum. Einige zum Motivieren und einige sicherlich aus humorösen Gründen. Hinter ihrem Schreibtisch sah ich einen Aktenschrank. Er war ziemlich voll und einige Akten lagen auf ihrem Schreibtisch. Einige waren sehr dick, doch alle lagen so, dass ich den Namen nicht erkennen konnte. Freundlich lächelnd setzte sich Mrs. Brown mir gegenüber und legte einen Block zwischen uns auf den Tisch. „Wir hatten ja schon am Telefon besprochen, weswegen Sie zu mir kommen sollten“, begann sie das Gespräch und ich sah, wie sie oben das Datum eintrug, „Ich werde mir nur Notizen zu dem Gespräch machen, damit ich nichts wichtiges vergesse.“ Ich nickte nur, dass kannte ich selbst von meiner Arbeit, nur war es ein seltsames Gefühl, dass ich nicht aufschrieb was gesagt wurde, sondern ich rezitiert wurde. „Okay“, meinte ich und nervös wippte mit dem Fuß auf den Boden herum. Ich kramte kurz in meiner Aktentasche herum und holte das Schreiben des Gerichtes heraus, welches ich in der Post hatte. Zu dem Papier blickend sprach Mrs. Brown: „Ich habe das gleiche Anschreiben erhalten wie Sie. Sind ihnen meine Aufgaben und meine Funktion vertraut? Ich weiß ja, dass sie Rechtsanwalt sind.“ Ich nickte wage und erklärte sofort: „Jein. Ein wenig weiß ich, aber ich bin nicht als Familienanwalt tätig. Deswegen wäre es wirklich nett, wenn Sie mir erklären, warum das Jugendamt sich jetzt einmischt.“ Höflich nickte Mrs. Brown und freundlich, aber auch geschäftig erklärte sie: „Na klar. Ich bin ihre Bezirkssozialarbeiterin und deswegen sitzen wir hier in meinem Büro. Neben dem Wächteramt, werden wir eingeschaltet, wenn es zu familiengerichtlichen Angelegenheiten kommt. Dazu zählen Umgangsangelegenheiten, Sorgerechtstreitigkeiten oder auch Umgangsvereinbarungen.“ Ich nickte und aufmerksam hörte ich ihr zu. Ich strich mir leicht über das Kinn und richtete mich gerade auf. Wie immer, wenn es um ernste Angelegenheiten ging. „Sie sagten ja schon, dass mein Ex-Mann bei ihnen war“, sagte ich mit gerunzelter Stirn und blickte Mrs. Brown in die Augen. Sie nickte nur und meinte dann erklärend: „Ihr Mann, Entschuldigung, Ex-Mann, hat über seinen Anwalt beantragt, dass er das alleinige Sorgerecht für Madeline haben möchte. Ich hatte mich mit ihm und seiner Lebensgefährtin gestern getroffen. Jetzt treffe ich mich mit Ihnen und wenn es möglich wäre, würde ich gerne das nächste Treffen gemeinsam organisieren.“ Ich biss die Zähne wütend zusammen. Ich wollte mich nicht mit ihm treffen. Auch nicht hier. Könnte er nicht einfach wieder verschwinden?! Das war doch das, was er offensichtlich am besten konnte! „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist“, meinte ich ausweichend. Mrs. Brown nickte leicht und schob eine grüne Akte zu sich. Ich sah in der Ecke den Namen meiner Tochter geschrieben. Es war keine dicke Akte, doch natürlich war damals eine angelegt worden. „Ich habe mir ihre Akte durchgelesen, Mr. Prescot“, erklärte sie und blätterte zu einem verfassten, kurzen Bericht, „Sie haben damals unsere Hilfe aufgesucht und ich weiß aus den Berichten, dass die Trennung zwischen ihnen Beiden alles andere als harmonisch über die Bühne gegangen ist. Das hat auch ihr Ex-Partner bestätigt.“ Zornig blickte ich die Frau an. Sie kannte mich nicht, sie kannte Madeline nicht und sie kannte die verdammte Situation von damals nicht, also brauchte sie auch nicht so zu tun, als sei es ihr geläufig. „Ich werde mir mein Kind nicht wegnehmen lassen“, fuhr ich sie gereizter an, als ich es eigentlich wollte. Doch ich schaffte es kaum, Professionalität zu wahren. „Weder von Ihnen noch von meinem Ex!“ Sie schrieb etwas auf den Zettel, was genau, konnte ich nicht lesen. Höflich sah sie mir ins Gesicht und beschwichtigend hob sie die Hände: „Mr. Prescot, ich versichere Ihnen, das werde ich nicht machen. Ja, ich soll eine Stellungnahme schreiben und diese dem Gericht zukommen lassen. Doch ich kann Ihnen sagen, dass ich keine Veranlassung sehe, warum Madeline ihren Lebensmittelpunkt wechseln soll. Sie leben schon immer mit ihr zusammen und sind ihre Bezugsperson. Sie aus ihrem Haushalt in den Haushalt einer ihrer unbekannten Person wechseln zu lassen, wäre dem Kindeswohl nicht dienlich. Es gibt keine negativen Bemerkungen von Seiten des Kindergartens und Sie haben sich bereits Hilfe gesucht, als es Probleme gab. Ich sehe Madeline, obwohl ich sie nicht kenne, bei Ihnen gut aufgehoben. Das werde ich dem Gericht auch so mitteilen und das habe ich ihrem Ex-Mann auch so gesagt. Für mich geht es hier um eine Umgangseinigung.“ Während ich der Sozialarbeiterin lauschte beruhigte es mich und machte mich zugleich wütend. Mir war bewusst, dass Brian keine Chance hatte, das alleinige Sorgerecht zu bekommen, doch ich war mir sicher, dass es ihm nur darum ging Madeline wieder zu sehen. „Ich will nicht, dass Madeline ihn kennen lernt. Sie hat einen Vater“, raunte ich und merkte selbst, dass ich gerade pampig klang. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und blickte stur auf die Sozialarbeiterin, welche sich erneut Notizen machte. „Mr. Prescot“, begann sie und ich war fast erstaunt, wie ruhig sie blieb, „Sie sind beide Eltern. Sie und Mr. Nolan. Ja, es ist ungewöhnlich, auch für mich, dass es sich in diesem Fall um zwei Väter handelt. Allerdings, kann ich Sie deswegen nicht anders behandeln, als andere Eltern. Sie haben sich gemeinsam entschieden, eine Familie zu gründen und im Falle einer Scheidung haben alle Eltern dieselben Rechte. Egal, ob es sich dabei um zwei Mütter, oder zwei Väter oder eine Mutter und einen Vater handelt. Mr. Nolan hat das Recht, Besuchskontakt zu seiner Tochter zu haben, auch wenn er kein Sorgerecht innehat.“ Wütend biss ich mir auf die Lippe. Sie hatte Recht damit, dass ich wegen meiner Homosexualität keine Sonderstellung bekommen sollte, aber ich wollte eine, in diesem Augenblick. Doch wenn dies so gesetzlich war, dann war es so. Doch es machte mich wütend. Ich wollte einfach nicht, dass Madeline ihn kennen lernte. „Ich würde diese Angelegenheit gerne in einem gemeinsamen Termin besprechen und schauen, ob wir eine Übereinkunft treffen können“, sagte Mrs. Brown weiter. Ich konnte mir nicht vorstellen, mit Brian in einem Raum zu sitzen. Und wenn ich mir vorstellte, dass es dann darum ging, dass besprochen werden sollte, wann er Madeline sehen kann, hätte ich kotzen können. „Ich kann es mir ja mal überlegen“, raunte ich zornig und presste die Lippen aufeinander, „Hat Ihnen Bri- Mr. Nolan eigentlich gesagt, dass er der Meinung sei, dass ich wegen meiner Homosexualität kein Kind erziehen sollte?“ Wieder notierte sich die Frau etwas auf ihrem Block und nach einem Augenblick sagte sie: „Das hat er. Und ich sage Ihnen das gleiche, was ich Mr. Nolan auch gesagt habe. Ich sehe darin keine Kindeswohlgefährdung, oder etwas was rechtfertigt, dass dies ein Garant für eine schlechte Erziehung ist. Ich meine, schauen sie sich den Aktenberg hinter mir an. Ich kann Ihnen versichern, da sind glaube ich keine einzigen Homosexuellen dabei.“ Ich wusste nicht, ob mir Mrs. Brown sympathisch war oder nicht. Doch sie schien wirklich objektiv an die Angelegenheit heranzugehen, etwas, worüber ich ziemlich froh war und auch ein wenig verblüfft. Sie blickte mir in die Augen und schien zu sehen, dass ich verwundert schien. Sie grinste kurz und sagte: „Mr. Prescot… Ich bin auf keiner Seite. Ich bin kein Rechtsanwalt. Mich interessiert nur, dass es Ihrer Tochter gut geht. Ich werde, wenn Sie oder Mr. Nolan mich fragen, immer auf der Seite ihres Kindes sein. Darf ich fragen, was Madeline alles über Mr. Nolan weiß?“, wollte sie wissen und ich blieb einen Augenblick lang stumm. Nachdenklich kratze ich mir an der Stirn und meinte nach einigen Augenblicken: „Sie kennt ihn von zwei Bildern und sie weiß, dass er uns verlassen hat, als sie klein war.“ Wieder notierte sich Mrs. Brown meine Worte und als sie mich fragte, wie ich ihr das erklärt habe antwortete ich: „Ich… Ich habe es ihr gar nicht erklärt. Als sie mich mal fragte, habe ich immer gesagt, dass ich dies auch nicht wisse. Das ist noch nicht so lange her. Ich wollte nicht, dass sie glaubte, sie sei Schuld daran.“ Freundlich lächelte mich die Sozialarbeiterin an und schrieb eifrig meine Sätze, stichpunktartig mit. „Das ist sehr gut. Das ist ja fast schon vorbildlich“, meinte sie fast schon eine Spur zu fröhlich. Doch vermutlich hatte sie hier ständig Paare sitzen, welche ihren Streit über ihre Kinder austrugen. „Hat er Ihnen auch gesagt, dass er letztens vor unserer Tür stand und Madeline gesagt hat, dass er sie mitnehmen möchte“, meinte ich mit ruhiger und doch grimmiger Stimme. Leicht nickte sie und notierte sich wieder etwas, bevor sie auf das Gesagte einging. „Ja“, meinte sie ruhig, „Dass hat Mr. Nolan. Darf ich fragen, wie dies abgelaufen ist?“ Sofort berichtete ich der Frau, wie Brian plötzlich und für mich vollkommen unerwartet vor der Tür stand. Ich schilderte, wie grauenvoll ich dies fand und das er Madeline ziemliche Angst gemacht hatte. Zustimmend nicke Mrs. Brown und sagte: „Sowas kann ich auch nicht gut heißen. Das habe ich Mr. Nolan und seiner Lebensgefährtin auch so gesagt. Wie hat Ihre Tochter das eigentlich verkraftet?“ Sofort berichtete ich ihr, wie ängstlich und eingeschüchtert meine Tochter war. Ich erzählte, wie sie in meinem Bett schlafen wollte und auch am Wochenende sich immer wieder darüber Gedanken gemacht hatte. All dies schien sich Mrs. Brown zu notieren und leicht nickte sie, während meiner Erzählung. Ich glaubte zu sehen, dass sie nicht besonders zufrieden damit war, was ich ihr erzählte und ja, dieses Wissen erfreute mich! Denn für mich hieß es, Brian hatte Scheiße gebaut! Ich konnte mir einen weiteren Seitenhieb auf Brian einfach nicht verkneifen. „Er hat die Familie damals verlassen, weil er enttäuscht war, dass ich Madelines biologischer Vater bin“, sagte ich und verblüfft blickte mich Mrs. Brown an. Also hatte Brian diese Kleinigkeit unter den Tisch fallen gelassen. Ich konnte mich selbst nicht anlügen, ich fand es klasse, dass ich einen weiteren Joker ausgelegt hatte. „Aha“, kam es von ihr und erneut schrieb sie meine Sätze auf. „Und ich will auch nicht, dass man Madeline eintrichtert, das es unnormal sei, wie ich, wie wir leben“, meinte ich und dachte kurz an Paul. Sollte es wirklich ernst werden, würde sie schließlich bald wissen, dass er nicht nur ein Freund war. Erneut nickte sie und fragte nach: „Wie kommen Sie darauf?“ „Mr. Nolan war vor wenigen Wochen in meinem Büro mit seiner neuen Freundin. Er meinte, dass es nicht normal sei und dass er Madeline nun zeigen wolle, was eine richtige Familie sei. Auch scheint er total christlich geworden zu sein. Als ich ihn rausschmiss, sagte er, dass Pastor Keine Ahnung und Gott auf seiner Seite ständen“, sagte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. Erneut schrieb Mrs. Brown meine Aussagen mit. „Es ist aber nicht verwerflich, oder gefährdend, einem Kind den christlichen Glauben zu zeigen“, meinte sie und ernster, als ich dachte sah sie mich an. Doch ich kannte diese Frau nicht und wusste schließlich nicht, wie sie zum Glauben stand. „Das meinte ich damit auch nicht“, raunte ich und erklärte: „Ich will einfach nicht, dass er über diesen Weg versucht Madeline zu sagen, dass es falsch sei, dass ich schwul bin. Ich finde es persönlich auch einfach nur heuchlerisch so etwas zu sagen. Wir waren schließlich fast zehn Jahre zusammen gewesen.“ Sie nickte nur, doch sagte sie nichts zu meiner Aussage. Natürlich nicht. Sie musste schließlich neutral bleiben. „Könnten sie sich vorstellen…“, begann sie nach einem Augenblick zu fragen, „…gemeinsam mit ihrem Ex-Mann eine Familientherapie aufzusuchen?“ Familientherapie? Davon hatte ich noch nie gehört. Als ich ihr dies sagte, erklärte Frau Brown: „In der Familientherapie werden positive Veränderungen der Beziehungen zwischen allen Beteiligen angestrebt. Also Sie, ihr Ex-Mann und Madeline. Dabei werden Themen wie Kommunikation und Familiendynamiken besprochen. Man soll lernen, Empathie füreinander zu gewinnen und auch Verständnis. Man kann während dieser Therapie vergangenes aufarbeiten und unter fachlicher Führung diese Gespräche angehen. Auch, wenn es Familientherapie heißt, kann es auch bereits getrennt lebenden Eltern helfen.“ Unschlüssig sah ich sie an und runzelte die Stirn. Ich wollte gar nicht so viel mit Brian machen! „Wir sind aber keine Familie“, meinte ich und erneut stellte ich fest, dass ich äußerst pampig klang, „Also ist das ja nicht nötig.“ Höflich lächelte mich Mrs. Brown an und sagte jedoch: „Sie und Mr. Nolan haben eine gemeinsame Tochter. Egal, ob er da war oder nicht, er ist ein Elternteil ihres Kindes und dementsprechend ein Teil der Familie ihrer Tochter.“ Natürlich, hatte diese Frau Recht, doch ich wollte nicht, dass sie Recht hatte. Als sie mich erneut fragte, ob ich mir so eine dämliche Therapie vorstellen könnte, zuckte ich unwissend mit den Schultern. „Weiß ich nicht“, sagte ich ehrlich und fügte hinzu, „Das kann ich nicht einfach so entscheiden.“ Sie nickte und schrieb sich erneut meine Antwort auf. „Wie wäre es, wenn wir uns einfach zu dritt treffen. Nur ich, ihr Ex-Mann und Sie und dann besprechen wir hier gemeinsam, wie es weiter gehen kann. Außerdem, würde ich Sie gerne mal Zuhause besuchen, um ihre Tochter kennen zu lernen.“ Ich wusste, dass ich eigentlich eh keine andere Wahl hatte und so nickte ich wiederwillig. „Meine Tochter ist zwar bald vier aber sie kann ihnen noch keine vernünftigen Antworten sagen“, meinte ich ruhig und sofort nickte Mrs. Brown. „Dessen bin ich mir auch bewusst“, meinte sie ruhig und erklärte, „Es gehört trotzdem dazu, sie und ihre Tochter einmal zu besuchen, für meinen Bericht.“ Ruckartig nickte ich, wenn sie es musste, sollte sie es machen, schließlich hatte ich nichts zu verheimlichen. Sie holte einen Kalender aus der Tasche und ich öffnete im Handy den meinen. Schließlich sollte ein Termin gemeinsam mit Brian gefunden werden. Ich war fast schon erleichtert, dass ich erst in zwei Wochen wieder hier hin sollte. Doch es war ein komisches Gefühl zu wissen, dass ich dann Brian gegenüber sitzen würde. Es war gerade mal halb fünf, als ich im Kindergarten ankam. Seit dem Gespräch im Jugendamt hatte ich ein komisches Gefühl im Magen. Was es war, konnte ich nicht beschreiben. Schwer atmete ich durch, drückte die Klinke hinunter und betrat die Einrichtung. Ich sah einige Kinder und Eltern im Flur stehen. Viele kannte ich kaum oder nur von diesen komischen Elternabenden. Ich nickte ihnen höflich zu und ging in den Gruppenraum. Ich sah Madeline am Maltisch sitzen, alleine und auf ihr Bild konzentriert. Ihre Haare waren, anders wie noch am Morgen, zu einem schönen und gleichmäßigen Zopf geflochten. Anna kam auf mich zu und begrüßte mich höflich. „Haben Sie noch einen Moment?“, wollte sie ruhig wissen und da Madeline mich noch nicht bemerkt hatte, nickte ich. Ich folgte der Kindergärtnerin wieder in den Flur und etwas abseits fragte sie: „Ist Zuhause irgendetwas passiert? Madeline erzählte irgendetwas mit ausziehen und sie weiß nicht, ob Sie mitkommen oder nicht. Keiner hat es wirklich verstanden.“ Ein tiefes und ein wenig frustriertes Seufzen entkam meinen Lippen. Ich schüttelte leicht den Kopf und ruhig aber auch ehrlich sagte ich: „Ihr Vater war da und hat ihr gesagt, dass sie vielleicht bei ihm wohnen solle. Wir haben da gerade ein wenig Probleme. Ich werde aber mit ihr sprechen. Natürlich wird sie bei mir wohnen bleiben. Es gibt keinen Grund, warum sie zu meinem Ex-Mann ziehen sollte.“ Anna nickte leicht und mitleidig sah sie mich an. Sie kannte meine Geschichte und vermutlich fand sie es genauso schlimm wie ich, nun einfach wieder bei dem Kind aufzutauchen Sie schüttelte den Kopf und meinte: „Na gut, dann weiß ich Bescheid. Ich hoffe, Sie haben jetzt nicht noch mehr Stress. Wenn sie hier noch mal so etwas sagt, werden wir einfach sagen, dass sich für sie nichts ändert.“ Freundlich nickte ich der Erzieherin zu und bedankte mich höflich bei ihr. „Ja, dass wäre wirklich gut. Für Madeline wird sich auch nichts ändern und wenn, nicht von jetzt auf gleich.“ Verstehend nickte mir Anna zu und entließ mich aus diesem kurzen Gespräch. Erneut betrat ich den Raum und sah meine Tochter genau dort, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Immer noch zeichnete sie und langsam und leise ging ich zu ihr. Als ich mich neben ihr nieder ließ, blickte sie mich mit große Augen an. Ein Lächeln glitt über ihr hübsches Gesicht und fröhlich rief sie: „Du hast dich angeschlichen!“ Leise lachte ich nur und nickte. Ich blickte auf ihr Bild und sah viele Farben auf dem oberen Ende des Blattes, vermutlich ein Regenbogen. „Schön“, meinte ich und gab ihr einen Kuss auf die Wange, „Und? Sollen wir langsam nach Hause? Und wer hat dir die Haare so schön gemacht?“ Ich strich ihr über den geflochtenen Zopf und sofort erklärte Madeline: „Niki, die arbeitet hier für ein wenig.“ Skeptisch überlegte ich, was Madeline damit meinte. „Aha“, meinte ich ruhig und entschied mich, nicht weiter nachzufragen. Wenn ich die neue Mitarbeiterin kennen lernte, dann würde ich sie sicherlich zu Gesicht bekommen. Ich nahm das unfertige Bild mit und zog Madeline Schuhe und Jacke an, bevor wir nach draußen gingen. Ich ließ sie ihren Rucksack tragen und endlich fuhren wir nach Hause. Müde strich ich mir über meine Augen und atmete schwer durch. Meine Gedanken flogen dahin und automatisch gab ich Gas, kuppelte und bremste. Immer noch war ich bei dem Gespräch mit der Frau vom Jugendamt. Wenn Brian Besuchskontakte bekommen würde, wie würde dies ablaufen? Würde sie dann nicht irgendwann dort übernachten? Könnte ich mir das überhaupt vorstellen? „Bist du traurig“, hörte ich plötzlich hinter mir die Stimme meiner Tochter. Verwirrt blickte ich in den Rückspiegel und bemerkte, dass ihre grünen Augen mich besorgt musterten. Ich wollte unter keinen Umständen, dass sie sich Sorgen um mich machte! Das war nicht ihre Aufgabe und das sollte es auch nie werden! Ich schüttelte den Kopf und erklärte: „Der Tag war einfach etwas stressig. Ich hätte einfach viel lieber noch frei gehabt.“ Tatsächlich war es mir heute Morgen schwer gefallen aufzustehen. Ich war sehr müde und wäre sehr gerne weiter liegen geblieben. Unsicher nickte Madeline und ich war mir unschlüssig, ob sie mir glaubte oder nicht. Ich versuchte abzulenken und meinte: „Paul kommt heute und will kochen. Mal schauen wie es so schmeckt.“ Sie nickte und fragte, was er kochen wollte. Unwissen zuckte ich mit den Schultern und erklärte, dass ich das nicht wisse. Der Verkehr zog sich, doch eigentlich achtete ich kaum darauf. „So viele Autos“, meinte ich ruhig und seufzte genervt auf. Zustimmend nickte Madeline und immer noch wirkte sie nachdenklich. Ich hasste es, dass sie sich so viele Gedanken machte. Ich hasste es, dass sie von Brian mitbekommen hatte, dass er wieder aufgetaucht war und ich hasste es, dass ich unsicher war, wie ich mit ihr umgehen sollte. Endlich bogen wir in die Straße ein, in der wir wohnten und als ich mit Madeline unserer Haus betrat, verließ ein erleichtertes Seufzen meine Lippen. Madeline setzte sich auf die unterste Treppenstufe und zog gerade ihre Schuhe aus. Ich hängte den Schlüssel an mein Schlüsselbrett und setzte mich neben meine Tochter. „Hey, Madeline…. Anna hat mir gerade gesagt, dass du im Kindergarten gesagt hast, dass du Sorge hast, dass du ausziehen musst. Stimmt das?“, fragte ich vorsichtig und legte meinen langen Arm um ihren Körper. Ich zog sie an meine Seite und ich hoffte, dass mein Lächeln sie ermutigen würde zu sprechen. Unsicher sah sie mich und ich streichelte über ihren Arm, während ich sie lieb an mich drückte. Sie schwieg und ich glaubte, dass ihr die Worte einfach fehlten. Sie sah hinunter auf ihre Hände und erneut überkam mich eine riesen Wut auf Brian. „Hey Mäuschen“, sagte ich leise, „Schau mich an.“ Langsam hob sich der Blick meiner Tochter und unsicher sahen ihre grünen Augen in die Meinen. „Niemals, werde ich hier wegziehen und schon gar nicht ohne dich. Glaub mir Madeline. Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Dich würde ich niemals hergeben“, sagte ich aufrichtig und sehr ehrlich zu ihr und konnte nur hoffen, dass sie mir das auch glaubte. „Nicht mal deine Arbeit?“, fragte sie und was genau sie damit meinte, wusste ich nicht. Doch ich glaubte zu verstehen. Ich schüttelte den Kopf und erklärte weiterhin mit ruhiger Stimme: „Nicht einmal meine Arbeit ist mir so wichtig, wie du. Und wenn Brian hier wieder ist und so einen Blödsinn redet, brauchst du wirklich keine Angst zu haben. Wir sind doch ein Team.“ Aufmunternd schaute ich sie an und erneut blickte meine Tochter hinunter auf den Boden. „Ich finde es einfach gemein, dass er so etwas sagt“, meinte sie leise und ich sah, wie sie sich leicht auf die Lippen biss. Ich strich ihr über den Kopf und meinte leicht lächelnd: „Das ist auch nicht nett und das gehört sich auch gar nicht, da hast du Recht.“ Erneut schwieg Madeline, doch was erwartete ich auch von einem kleinen Kind? Sie konnte gut sprechen, doch es brauchte noch einige Zeit, bis sie für alle ihre Gefühle die passenden Worte finden konnte. „Vielleicht kannst du ja dein Bild weiter malen“, schlug ich vor und lächelte sie leicht an. Langsam stand ich von der Treppe auf und holte das Bild hervor, welches sie im Kindergarten begonnen hatte. Stumm nahm sie es entgegen und fragte: „Darf ich das in der Küche zu Ende malen?“ Ich zog mir gerade meine Schuhe aus und nickte Maddy zu und fügte der nonverbalen Aussage hinzu: „Aber hol bitte eine deiner Unterlagen von oben, ja?“ Endlich schlich sich wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht und fröhlich lief sie nach oben. Betrübt blickte ich ihr nach, ich hätte nie gedacht, was das alles anrichten würde, bei meiner Tochter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)