Isiqalo von Morwen (T'Challa x Erik) ================================================================================ Isiqalo ------- Erik konnte nicht schlafen. Die Zeiger der holografischen Uhr auf seinem Nachttisch zeigten auf kurz vor drei. Nicht mehr lange, dann würden die ersten Sterne verblassen und die Sonne sich allmählich über den Horizont schieben. Doch obwohl ihm die Erschöpfung in den Gliedern steckte und seine Augenlider schwer wurden, war sein Verstand noch immer hellwach. Immer wieder spielte sich vor seinem inneren Auge der Moment ab, in dem T’Challa sich am Abend zuvor von ihm verabschiedet hatte – der Moment, in dem der andere Mann auf ihn zugetreten war und ihn geküsst hatte, nur um sich dann ohne ein weiteres Wort abzuwenden und zu gehen, als hätte er Eriks Welt mit dieser simplen Geste nicht völlig auf den Kopf gestellt. Der Kuss war dabei nicht das Problem gewesen und dass sie beide Männer waren – noch dazu Cousins – noch viel weniger. Erik war beim Geschlecht seiner Bettpartner nie wählerisch gewesen und scherte sich nicht im Geringsten um das, was die Gesellschaft als richtig oder falsch erachtete, dazu hatte er zu viel Zeit seines Lebens in moralischen Grauzonen verbracht. Nein, was ihm wirklich zu schaffen machte, war die Tatsache, dass er keinen einzigen Augenblick lang daran gedacht hatte, T’Challa daran zu hindern. Und das hätte nicht passieren dürfen. Dafür hatte er Situationen wie diese für gewöhnlich zu gut unter Kontrolle und bestimmte selbst, wer ihm nahekommen durfte und wer nicht. Erik schlang seine Decke fester um seinen Körper und drehte der Uhr den Rücken zu. Zwei weitere Stunden sollten vergehen, bis er endlich Ruhe fand. Es war später Vormittag und Erik blickte aus seinem Fenster hinaus in den Hof, wo der König gerade mehrere Mitglieder des wakandischen Geheimdienstes empfing, die in die Hauptstadt zurückgekehrt waren. Während er T’Challa dabei zusah, wie er die Männer und Frauen würdevoll begrüßte, um sich anschließend mit ihnen zu weiteren Besprechungen in den Thronsaal zurückzuziehen, wurde Erik bewusst, dass es nicht so war, dass er den anderen Mann hasste. Missgönnte er ihm sein Erbe und seinen Thron? Definitiv. Beneidete er ihn um die unerschütterliche und respektvolle Beziehung zu einer Familie, deren Teil er nie sein durfte? Zweifellos. Doch Erik war mittlerweile zu der Erkenntnis gekommen, dass Hass nicht der Name für das Gefühl war, dass seinen inneren Aufruhr beschrieb, wann immer er in das ruhige und besonnene Gesicht seines Cousins sah. Vielleicht war er das nie wirklich gewesen. Die Frage war nur – was war es dann...? Als T’Challa an diesem Abend sein Zimmer betrat, sprach keiner von ihnen den Kuss an. „Was tust du da?“, fragte Erik misstrauisch, als T’Challa seine Hand nahm und ein Armband über sein Handgelenk streifte. Die dunklen, glatten Perlen, die darauf aufgefädelt waren, fühlten sich seltsam kühl auf seiner Haut an. „Du hast sicher schon bemerkt, dass fast jeder hier solch ein Band trägt“, entgegnete T’Challa, bevor er Eriks Hand wieder losließ und auf sein eigenes, fast identisches Armband zeigte. Erik nickte knapp. Ihm war der eigenartige Schmuck nicht entgangen, sowie die erstaunlichen Dinge, die seine Träger damit zu tun vermochten. „Ich versprach dir mehr Freiheit“, fuhr T’Challa fort. „Und die Kimoyo-Perlen werden sie dir gewähren.“ Er deutete auf eine der Perlen an Eriks Handgelenk. „Diese wird dir die meisten Türen im Palast öffnen, sowie das Tor zur Stadt. Die daneben dient hauptsächlich der Kommunikation mit anderen Trägern der Kimoyo-Perlen. Bisher besteht jedoch nur eine Verbindung zu mir.“ „Oh, welch Freude“, sagte Erik mit leisem Spott, doch T’Challa ignorierte seinen Einwurf und fuhr fort: „Diese Perle hier dient dazu, deine Vitalfunktionen zu messen, und diese hier ist dafür da, um Verletzungen jeglicher Art zu stabilisieren.“ Er zögerte. „Ich hoffe jedoch, du wirst dafür keine Verwendung haben.“ Erik schenkte ihm als Antwort nur ein Lächeln, das seine Zähne aufblitzen ließ. Dann dachte er einen Augenblick nach. „Du sagtest, das Armband wird mir die meisten Türen im Palast öffnen“, sagte er. „Die meisten, aber nicht alle?“ T’Challa sah ihn ruhig an. „Der Zutritt zu den Gemächern meiner Mutter und meiner Schwester werden dir verwehrt bleiben“, erwiderte er. „Außerdem der Hangar, die Vibranium-Lagerstätten und Shuris Labor.“ Interessant. „Was ist mit deinen Gemächern?“, fragte Erik provokant. T’Challa lächelte geduldig. „Ich habe nichts zu verbergen. Sie stehen dir jederzeit offen.“ Denn natürlich taten sie das. Der andere Mann war viel zu sehr von seiner körperlichen Überlegenheit überzeugt, als dass er es für nötig hielt, sich vor Erik in Acht zu nehmen. Arroganter Mistkerl. Doch Erik schaffte es, seine Wut herunterzuschlucken. Stattdessen dachte er wieder an ihren Kuss und fragte mit samtweicher Stimme: „Ist das eine Einladung?“ T’Challa blinzelte und der überraschte Ausdruck in seinen großen, braunen Augen erfüllte Erik mit einer gewissen Genugtuung. Dann senkte sein Cousin den Kopf, als wollte er seinem Blick ausweichen. „Ich interpretiere dies als ‚ja‘“, meinte Erik mit einem Lächeln. T’Challa schüttelte jedoch nur den Kopf, bevor er sich abwandte. „Es würde mich schmerzen, würdest du mir in den nächsten Tagen einen Grund geben, dir die Perlen wieder abzunehmen“, sagte er. „Nutze sie darum weise und versuche, dich in meiner Abwesenheit mit ihnen vertraut zu machen.“ Erik hob eine Augenbraue. „In deiner Abwesenheit?“ Der andere Mann sah ihn ruhig an. „Ich werde morgen früh für zwei Tage nach Amerika fliegen, um mich um ein paar Angelegenheiten zu kümmern“, erklärte er. Erik dachte kurz nach. „Ich nehme an, es ist sinnlos, dich nach den Details zu fragen“, vermutete er. „Ja“, sagte T’Challa schlicht, und Gott, wie Erik sein verdammtes Pokerface doch manchmal hasste. „Schick mir eine Postkarte“, brummte er und kehrte T’Challa den Rücken zu. Der andere lachte nur leise, dann hörte Erik, wie sich seine Schritte entfernten. Endlich. Er konnte es kaum erwarten, für ein paar Tage seine Ruhe zu haben. Erik war nicht dabei, als die Königinmutter und Shuri T’Challa am nächsten Morgen vor dem Palast verabschiedeten. Das wäre auch lächerlich gewesen und hätte bei dem anderen Mann den Eindruck hinterlassen, dass Erik ihn vermissen würde. Und das würde er ganz sicher nicht. Er schlief länger als sonst an diesem Morgen, allein aus Prinzip. Als er sich schließlich dazu bequemte, endlich aufzustehen, war es schon fast Mittag. Geduscht und in eine schwarze Robe mit goldbesticktem Saum gekleidet, beschloss er, die Kimoyo-Perlen an seinem Handgelenk endlich auszuprobieren. Wie T’Challa es ihm versprochen hatte, öffneten sich die Türen seines Zimmers augenblicklich. Die Dora Milaje, die davor wachten, warfen ihm misstrauische Blicke zu, als er zwischen ihnen hindurch auf den Flur hinaustrat, doch sie ließen ihn ungehindert passieren. Erik lächelte grimmig. Wenigstens war auf das Wort seines Cousins Verlass. Kaum hatte er ein halbes Dutzend Schritte den Gang hinunter gemacht, hörte er hinter sich ein leises Klimpern. Ein Blick über die Schulter bestätigte seine Vermutung, dass seine beiden Wächterinnen ihm mit ein paar Metern Abstand folgten. Erik verdrehte die Augen. Er bezweifelte, dass er sie würde abschütteln können – nicht, ohne dabei den halben Palast in Alarmbereitschaft zu versetzen – und so beschloss er, sie schlichtweg zu ignorieren. Erik hob sein Handgelenk und rief mit einer der Perlen an seinem Armband ein holografisches 3D-Modell des Palastes auf. Einige der Räumlichkeiten waren ihm bereits vertraut, wie etwa der Thronsaal oder die königlichen Gemächer, die er nach der Thronübernahme für sich beansprucht hatte. Der Großteil war ihm jedoch noch unbekannt, und so legte Erik mit Hilfe der Holografie eine Route fest und begann dann seinen Erkundungsgang durch den königlichen Palast. Die weitläufige Trainingsarena, die sich im Innenhof in der Nähe des Palasteingangs befand, war auf Anhieb einer seiner Lieblingsorte. Sie bot nicht nur ein unebenes und abwechslungsreiches Terrain, das zum Klettern und zum Parkour einlud, sondern auch eine Reihe von futuristisch anmutenden Sportgeräten, von denen Erik noch nicht einmal erahnen konnte, für welche sportlichen Übungen sie gedacht waren, sowie eine kreisrunde, ebene Fläche, auf denen die Dora Milaje – und mindestens zweimal wöchentlich auch der König selbst, wie man ihm mitteilte – ihre Übungskämpfe austrugen. Erik nahm sich fest vor, am nächsten Tag hierher zurückzukehren, um die kahlgeschorenen, stolzen Kriegerinnen zum Kampf herauszufordern, vielleicht sogar die Anführerin der Leibgarde – wie war ihr Name noch mal? Okoye? – höchstpersönlich. Nach ihren bisher eher frostigen Begegnungen würde es ihnen beiden gewiss nicht schaden, ihre Differenzen auf diese Weise zu klären. Doch das war morgen. Heute würde Erik endlich die Mauern des Palastes hinter sich lassen, um in die Menschenmassen auf den Straßen von Birnin Zana einzutauchen. Er dachte kurz darüber nach auszutesten, wie weit er sich vom Palast und der Stadt entfernen konnte, bis man ihm behutsam, aber unmissverständlich klar machen würde, dass seine Rückkehr erwünscht war. Doch Fakt war, dass Erik gar nicht vorhatte, Wakanda wieder zu verlassen, jedenfalls nicht für den Moment – und ganz sicher nicht, bevor er alles über die kleine Nation erfahren hatte, was es zu erfahren gab, und ihr auch ihre am besten gehüteten Geheimnisse entlockt hatte. Er musste schließlich wissen, wo sich die Schwachpunkte befanden, wenn er das nächste Mal versuchte, den Thron zu erobern. Einen hatte er jedenfalls schon gefunden. T’Challa war zu gutherzig und zu naiv, um lange an der Spitze eines so hochtechnisierten Landes zu überleben, daran bestand für Erik kein Zweifel. Es hatte nur zwei Tage der gemeinsamen Reise gebraucht, bis T’Challa ihm weit genug vertraut hatte, um ihm sein eigenes Armband mit Kimoyo-Perlen zu geben und ihm zu erlauben, sich frei im Palast zu bewegen. Diese Art von Offenheit war gefährlich, und früher oder später würden auch andere versuchen, T’Challa auszunutzen. Erik hätte jedoch lügen müssen, hätte er behauptet, dass er ihre gemeinsame Reise nicht genossen hätte. Und nicht alles, was in diesen beiden Tagen vorgefallen war, war gespielt gewesen. In der ersten Nacht im Hotel war es tatsächlich Eriks Absicht gewesen, den anderen Mann zu töten und anschließend zu verschwinden, doch T’Challas überraschende Akzeptanz seines Schicksals und das Verständnis in seinen Augen hatten ihn lange genug zögern lassen, um sich sein Vorhaben noch mal zu überlegen. Auch die Momente, in denen er T’Challa danach sein Herz geöffnet hatte, waren nicht geplant gewesen – doch sie hatten ihm geholfen, das Vertrauen des Königs zu erringen. Und wenn es nicht mehr als das brauchte, um T’Challas Sympathie zu gewinnen... ... dann stellte sich ihm doch die Frage, ob T’Challa nicht auch noch für mehr zu haben war, als einen simplen Kuss – und falls ja, was für Freiheiten das dann für Erik bedeutete. Erik war im Laufe seiner militärischen Karriere schon an vielen Orten der Welt gewesen, doch Birnin Zana konnte selbst ihn noch mit seiner Symbiose aus traditioneller Lebensweise und hohem technologischen Fortschritt überwältigen. Die Anwesenheit der Dora Milaje sorgte dafür, dass sich die Menge vor ihm teilte, doch davon abgesehen schenkte man ihm nur wenig bis gar keine Beachtung, was Erik vermuten ließ, dass sich T’Challa oft unter seine Untertanen begab und die Mitglieder der königlichen Familie ein vertrauter Anblick auf den Straßen der Hauptstadt waren. Ein König, der die Nähe zu seinem Volk schätzt, dachte Erik mit fast widerwilligem Respekt. Er wusste selbst nicht, warum ihn T’Challas nobles Wesen noch immer so überraschen konnte, doch das tat es. Trotzdem verwunderte ihn das Desinteresse der Menschen an seiner Person ein wenig – er hatte mit Furcht gerechnet, oder auch mit verächtlichen oder hasserfüllten Mienen – bis ihm einfiel, dass vermutlich niemand sein Gesicht kannte, da sein Coup verhindert worden war, bevor sein Bild groß an die Öffentlichkeit gelangen konnte. Was vermutlich das Beste war, sonst wäre sein Stadtrundgang bei weitem nicht so entspannt gewesen. Während er durch die Straßen schritt, sah er Vertreter sämtlicher Stämme Wakandas mit ihren jeweiligen stammestypischen Gewändern und Dialekten, die selbst für Erik, der von Kindheit an mit seinem Vater neben Englisch auch Xhosa gesprochen hatte, manchmal nur schwer zu verstehen waren. Die Wege waren sauber und gepflegt, und anstatt des bei Städten dieser Größe üblichen Dieselgeruchs lag der Duft von Blumen und Gewürzen in der Luft, die auf den Märkten verkauft wurden. Alle Menschen, denen er begegnete – insbesondere die Kinder – wirkten wohlgenährt und gesund, ein ungewohnter Anblick für Erik, der in den letzten Jahren in anderen Ländern Afrikas oft ein solches Leid und eine solche Armut gesehen hatte, dass selbst ihm manchmal die Worte dafür gefehlt hatten. Es war darum wenig überraschend, dass der Anblick der blühenden Stadt um ihn herum einmal mehr die Wut in Erik weckte. Schon seit seiner Gründung besaß Wakanda einen Vorteil, den alle anderen Länder des Kontinents nie besessen hatten: es war immer stark genug gewesen, um sich gegen sämtliche Eroberer zu verteidigen. Doch es hatte nie daran gedacht, seine Stärke mit den Unterdrückten zu teilen, sondern nur schweigend zugesehen, wie Millionen und Abermillionen ihren Familien entrissen und versklavt worden waren, um schwere körperliche Arbeiten für grausame Kolonialherren zu verrichten. Erik konnte nicht verstehen, wie eine Nation, die so stolz auf die Bewahrung ihrer Traditionen und ihrer Menschlichkeit war, so gleichgültig dem Schicksal anderer gegenüber sein konnte. Er würde es niemals verstehen. Und selbst die Tatsache, dass T’Challa plante, sich der Welt nach Jahrtausenden der Isolation endlich zu öffnen, würde dieses vergangene Unrecht nie wirklich auslöschen können. Erik beendete seinen Spaziergang durch die Stadt knapp zwei Stunden später, um zum Palast zurückzukehren. Er konnte den Anblick all der glücklichen, sorglosen Gesichter nicht länger ertragen, und für einen Augenblick brannte wieder derselbe Zorn in ihm, der ihn damals nach Wakanda getrieben hatte. Würde er T’Challa mittlerweile nicht besser kennen und auf dessen Versprechen, die Isolation zu beenden, vertrauen, hätte er den Rest seiner Zeit während der Abwesenheit des Königs dazu genutzt, einmal mehr den Thron an sich zu reißen. Doch für den Moment würde er damit noch warten, bis er gesehen hatte, wozu der andere Mann fähig war und was für Veränderungen er durchsetzen würde. T’Challa war gütig und vertrauensselig, aber er war kein völliger Narr. Vielleicht... Vielleicht würde er bei seinen Entscheidungen sogar auf Erik hören. Nicht, dass Erik den Thron einfach aufgeben würde, oh nein... aber vielleicht fand er eine bessere Lösung, T’Challas Widerstand zu brechen und seine Zweifel zu beseitigen, um Wakanda in eine neue Zukunft zu führen. Wenn Erik eines war, dann anpassungsfähig. Vielleicht vermisste er T’Challa doch ein bisschen. Es war schon spät und Eriks Finger verharrten über der Kimoyo-Perle, die ihn mit dem König verbinden würde. Eine Vierteldrehung der oberen Hälfte, mehr war nicht nötig, um wieder T’Challas ruhige, frustrierend geduldige Stimme hören zu können. Doch Erik gelangte allmählich an den Punkt, an dem er in Versuchung kam, es zu tun. Denn an wen er sich im Palast auch wandte, er begegnete stets einer Mauer des Schweigens. Die Dora Milaje ignorierten ihn beharrlich, die Königinmutter reagierte nicht auf seine Anfragen für ein Treffen und Shuri hatte sich in ihr Labor zurückgezogen, einen der wenigen Orte, die er nicht betreten konnte. W’Kabi hätte möglicherweise mit ihm gesprochen, aber als er Okoye fragte, wo er ihn antreffen konnte, wandte sie sich nur abrupt ab und verließ ohne ein einziges Wort den Raum. Erik war in seinem Leben oft über längere Zeiträume allein gewesen, doch damals hatte er noch Kontakte aus seinen Studienzeiten und dem Militär gehabt, die er jederzeit hatte anrufen können, wenn die Stille zu laut wurde. Hier war dies jedoch nicht möglich... und sein einziger Kontakt war ausgerechnet der Herrscher von Wakanda. Er ließ seine Hand wieder sinken. Nein. So tief war er noch nicht gesunken. Er zog das Armband über sein Handgelenk und ließ es achtlos auf den Nachttisch fallen. Dabei wurde die Kimoyo-Perle aktiviert, die ihm die Türen des Palastes öffnete, und ihr Holobildschirm erwachte flackernd zum Leben. Erik warf einen flüchtigen Blick darauf und wollte gerade nach dem Armband greifen, um ihn wieder zu deaktivieren, als ihm plötzlich ein Symbol in der unteren Ecke des Bildschirms auffiel, das er zuvor nicht bemerkt hatte. Zögernd streckte er die Hand aus und drückte darauf, und plötzlich entfaltete sich vor ihm eine holografische Tastatur. Erik erstarrte für einen Moment, während sein Blick auf die vertrauten Buchstaben fiel. Dann wurde ihm klar, was für Möglichkeiten sich ihm damit eröffneten, und langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er war in den letzten Jahren vielleicht etwas eingerostet, aber diese Sache würde er immer noch hinbekommen. Er krempelte die Ärmel hoch und ließ die Fingerknöchel knacken, dann öffnete er die Kommandozeile und machte sich an die Arbeit. Shuri studierte gerade die Pläne für die neue Schule, als eine der Perlen an ihrem Handgelenk plötzlich zu leuchten begann. Das übliche Anrufsignal ertönte dieses Mal jedoch nicht und sie sprang vor Schreck zurück, als über ihrem Handgelenk auf einmal das flackernde Abbild eines Mannes schwebte. Das Bild war leicht verzerrt, als würde ein Störsignal die Übertragung erschweren, doch sie erkannte ihn dennoch. „Erik?“, rief sie überrascht. „Hallo, Prinzessin“, grüßte er sie gelassen. „Shuri“, erwiderte sie aus Gewohnheit; sie mochte es nicht, auf ihre Position in der königlichen Familie reduziert zu werden. „Wie auch immer.“ Erik zuckte mit den Schultern. Sie starrte ihn einen Moment lang an, als würde sie an seiner Existenz zweifeln. „Okay“, meinte sie dann und runzelte die Stirn. „Wie hast du diese Verbindung gefunden?“ „MIT, Schätzchen, schon vergessen?“, erwiderte Erik und tippte sich an die Schläfe. „Nur weil ihr Vibranium als Grundlage für eure gesamte Kommunikation verwendet – und ich muss zugeben, ich bin beeindruckt, wozu dieses Zeug alles fähig ist – bedeutet das noch lange nicht, dass eure Technologie der unseren in den Grundlagen nicht ähnelt.“ Er grinste. „Nur die Programmiersprache ist eine andere.“ Shuri fluchte leise. „Scheint, als müsste ich die Sicherheitsprotokolle noch mal überarbeiten“, murmelte sie und rief auf ihrem Holobildschirm umgehend die entsprechenden Programme auf. Erik musste zugeben, er war beeindruckt von der Geschwindigkeit und Sicherheit, mit der ihre Finger über die Tastatur huschten. „Ich mag es übrigens nicht, Schätzchen genannt zu werden“, sagte sie, während sie arbeitete, ohne Erik dabei anzusehen. „Das ist so...“ „Was?“, fragte er amüsiert. „Wahr?“ „Abwertend“, erwiderte sie. Erik lachte auf. „Oh, sei unbesorgt, Prinzessin, du hast meinen vollen Respekt.“ Shuri warf ihm einen genervten Blick zu. „Sicher doch.“ „Glaube, was auch immer du willst“, entgegnete Erik und zuckte mit den Schultern. „Fakt ist, dass ich jeden respektieren würde, der so eine Wahnsinnstechnologie entwickeln kann.“ Shuri gab keine Antwort, doch ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Es fühlte sich ein bisschen wie ein Sieg an. Für eine Weile arbeitete sie still, während Erik ihr zusah und versuchte nachzuvollziehen, was sie tat. Doch sie verwendete nicht nur eine Programmiersprache, die er kaum kannte, sondern hatte diese zusätzlich noch codiert, und nach ein paar Minuten gab er den Versuch auf, sich die einzelnen Befehle zu merken. „Warum rufst du mich eigentlich an?“, fragte sie plötzlich. „Gib's zu, du vermisst meinen Bruder, weil er der einzige ist, der die Geduld hat, mit dir zu reden.“ Erik verdrehte die Augen. „Wie leicht du mich doch durchschaut hast, Prinzessin.“ Doch sie ließ sich nicht provozieren und schüttelte nur den Kopf über seine spöttische Bemerkung. „Ich missgönne dir die Gespräche mit ihm nicht, aber im Ernst – ich frage mich, was er an dir findet.“ Erik gab keine Antwort; es war eine Frage, die er sich oft genug schon selbst gestellt hatte. Dann erhellte sich ihr Blick und ein zufriedener Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Okay, das müsste das Problem beseitigen“, sagte sie und schloss die Dateien wieder. „Und ich dachte, wir könnten uns noch ein bisschen unterhalten“, meinte Erik. „Nur in deinen Träumen“, erwiderte Shuri. „Gute Nacht, Erik.“ „Gute Nacht, Prin-“ Und dann war sie weg. Hatte ihn einfach aus der Leitung gekickt wie einen blutigen Anfänger. Erik war für einen Moment so beeindruckt, dass er sie noch nicht einmal dafür verfluchen konnte. Er tüftelte noch eine Weile an den Kimoyo-Perlen herum, doch es schien, als wäre Shuri tatsächlich gründlich gewesen und hätte seinen Zugang komplett gesperrt. Und so oft er es auch versuchte, er fand keinen Weg darum herum. Die einzige Verbindung, die ihm offenblieb, war die zu T’Challa. Einmal mehr sah er auf das Armband in seinen Händen herab und kämpfte gegen den Drang an, seinen Cousin zu kontaktieren... und einmal mehr siegte sein Stolz. Erik fluchte leise, dann deaktivierte er die Perlen und begab sich ins Bett. Nach einem kurzen Frühstück am nächsten Morgen begab sich Erik zur Trainingsarena. Die kleine Gruppe von Dora Milaje, die dort gerade ihre Kampfübungen durchführte, warf ihm flüchtige Blicke zu, als er eintrat, bevor sie ihn wieder ignorierte, was Erik nur recht war. Er brauchte Ablenkung, und erfahrungsgemäß kam er am besten auf andere Gedanken, wenn er sich körperlich völlig verausgabte. Im Gegensatz zum vorigen Tag trug er dieses Mal nur eine knielange Hose und ein schlichtes Shirt. Wer auch immer seine Garderobe zusammengestellt hatte, schien damit gerechnet zu haben, dass Erik der königlichen Roben schnell überdrüssig sein würde, und ihm auch eine Auswahl an typisch westlicher Kleidung zur Verfügung gestellt. Während er ein paar Dehnübungen machte, um seine Muskeln aufzuwärmen, wanderten Eriks Gedanken zurück zum letzten Abend und dem Moment, in dem er beinahe schwach geworden wäre und T'Challa angerufen hätte. Doch dem Drang nachzugeben hätte bedeutet, auch das letzte bisschen Würde aufzugeben, das er noch besaß, und so verzweifelt war Erik noch lange nicht. In der nächsten Stunde durchlief er mehrfach die Standardübungsstrecke der Arena, um ein Gespür für das künstliche Terrain zu bekommen, bevor er sich eine eigene Strecke heraussuchte, die über etwas anspruchsvolleres Gelände führte. Ohne Seil oder eine andere Form der Absicherung erklomm er schließlich den höchsten Punkt der Arena, der sich gut ein halbes Dutzend Meter über dem Übungsgelände erhob, und legte auf der schmalen Plattform eine Pause ein. Von hier oben konnte er nicht nur den ganzen Innenhof überblicken, er fühlte sich auch unantastbar. Selbst seine beiden Wächterinnen waren ihm nicht so weit gefolgt, sondern hatten am Rande der Arena Stellung bezogen, wo sie geduldig auf ihn warteten. Erik setzte sich an den Rand der Plattform und ließ die Beine über der Kante baumeln. Für eine Weile starrte er hinab. Der Fall wäre tief genug, um ihm das Ende zu verschaffen, das er sich gewünscht hatte, aber das ihm sein Cousin nicht gegönnt hatte. Alles nur wegen T’Challas schlechtem Gewissen und seiner unerträglichen Selbstgerechtigkeit. Alles nur, weil er trotz allem, was vorgefallen war, die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, Erik retten zu können. Aber konnte Erik denn noch gerettet werden? Und wenn ja – wollte er es überhaupt...? Er war ein Mann der Tat, wenn er könnte, würde er die perfekte Idylle Wakandas mit bloßen Händen niederreißen. Doch die Tage mit T’Challa hatten ihm gezeigt, dass sich Veränderungen auch auf friedvollere Weise bewirken ließen. Die Zeit und Geduld, die sie kosteten, waren jedoch etwas, was Erik schlichtweg nicht hatte. Seine Vorfahren waren so lange unterdrückt worden, dass jede weitere Sekunde der Untätigkeit und des Wartens auf Veränderungen ihm wie blanker Hohn erschien. Und T’Challas Methode der Unterstützung würde Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen, vorausgesetzt, der Rest der Welt kooperierte und beschloss nicht schon vorher, sich einfach gegen Wakanda zu vereinen um das Land seiner Technologie zu berauben. Was Wakanda brauchte, war kein sanfter Schubs in die richtige Richtung, sondern ein kräftiger Stoß. Und Erik hatte vor, derjenige zu sein, der ihn initiierte. Stunden vergingen, in denen er auf der Plattform saß und seinen Gedanken nachhing, und dabei das nagende Hungergefühl ignorierte, das sich mit der Zeit in ihm breitmachte. Doch schließlich riss ihn eine Stimme von unten aus seinen Gedanken. „Killmonger!“ Erik sah zu der Frau hinab, die am Fuße der Erhebung stand und zu ihm hinaufblickte. Okoye. Er starrte zurück. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie sie sich genähert hatte. „Ich habe gehört, du willst kämpfen?“, fragte sie. „Dann komm herunter und kämpfe! Ich habe nicht den ganzen Tag lang Zeit.“ Für einen Moment war er beinahe beeindruckt von ihrem Mut, dann legte sich ein spöttisches Grinsen auf seine Lippen. „Was, hast du etwa Mitleid mit dem Außenseiter bekommen?“ Sie verdrehte die Augen. „Wenn du kein Interesse hast, dann sag es einfach“, erwiderte sie und wandte sich ab, um wieder zu gehen. Doch Erik hielt sie zurück. „Warte.“ Sie blieb stehen und sah ihn an. Erik zögerte. Es stimmte, er konnte das Training gebrauchen, und was auch immer Okoyes Gründe für ihr Angebot waren, seine Verachtung für sie war nicht groß genug, um es abzulehnen. Mal ganz davon abgesehen, dass er tatsächlich kurz davor war, sich zu Tode zu langweilen. „Gib mir eine Minute“, sagte er dann, bevor er sich erhob und zügig, aber mit sicheren Griffen die Felswand wieder hinabkletterte. „Warum tust du das?“, fragte er, als sie sich wenig später im Ring gegenüberstanden, jeder von ihnen mit einem Speer bewaffnet. „Ich habe deinen König schwer verwundet und eine der deinen getötet. Du solltest mich hassen.“ „Oh, sei unbesorgt, das tue ich“, erwiderte sie mit kalter Stimme. „Doch T’Challa scheint der Meinung zu sein, dass du die Mühe wert bist. Und jetzt sei still und kämpfe.“ Erik lächelte. „Mit Vergnügen.“ Es war ein langer und intensiver Kampf. Ohne den Anzug des Goldenen Panthers und die Kraft des herzförmigen Krautes geriet er mehrfach in ernsthafte Bedrängnis, war Okoye doch sehr viel sicherer im Umgang mit dem Speer, als er, und zeigte kein Erbarmen, während sie wieder und wieder seine Angriffe konterte. Doch Erik hatte schon T’Challa besiegt und er gab auch hier nicht klein bei, und nach einem fast fünfzehnminütigen Kampf konnte er sie schließlich außer Gefecht setzen – nicht ohne jedoch zuvor von ihr entwaffnet zu werden. „Gib auf“, keuchte er. Er hatte seinen rechten Arm von hinten um ihren Hals geschlungen, während er mit der anderen Hand ihren Speer festhielt. Sie wehrte sich tapfer, das musste er ihr lassen, doch sie hatte trotzdem keine Chance. Schließlich klopfte sie mehrmals auf seinen Oberarm, das Zeichen, dass sie ihre Niederlage anerkannte, und Erik ließ sie wieder los. Blitzschnell hatte Okoye Abstand von ihm genommen und hielt ihm ihre Speerspitze unter das Kinn. „Denke ja nicht, dass diese Sache schon entschieden ist“, sagte sie mit gefährlich leiser Stimme. „Das hoffe ich doch nicht“, erwiderte Erik mit einem selbstsicheren Grinsen. Sie starrte ihn an, dann ließ sie ihren Speer wieder sinken. „Morgen früh um acht Uhr“, sagte sie dann und drehte sich um. „Komm nicht zu spät.“ Er sah ihr mit halb überraschter, halb amüsierter Miene nach. „... okay?“ Warum eigentlich nicht. Er wollte sich ebenfalls abwenden, als ihm noch etwas einfiel. „Hey, warum bist du eigentlich hiergeblieben, anstatt deinen König zu beschützen?“, rief er ihr nach. Okoye hielt inne. „Zwei meiner besten Kriegerinnen begleiten ihn“, erwiderte sie, ohne Erik dabei anzusehen. „Außerdem ist Nakia bei ihm.“ Nakia? Erik runzelte die Stirn. Wenn er sich recht erinnerte, war dies die junge Frau, die er schon mehrmals an T’Challas Seite gesehen hatte, und die sich als Mitglied des Geheimdienstes herausgestellt hatte. Und wenn er die langen Blicke zwischen dem König und ihr richtig interpretiert hatte, dann war sie seinem Cousin in der Vergangenheit mehr als nur eine gute Freundin gewesen. Dass sie ihn auf seiner Reise begleitete, konnte viele Gründe haben, obwohl es ihm wie ein merkwürdiger Zufall erschien, dass sie ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt hatte. Erik versuchte jedoch, nicht zu viel hineinzuinterpretieren. „Das beantwortet nicht meine Frage“, sagte er stattdessen. Okoye drehte sich zu ihm herum und sah ihn ruhig an. „Du bist ein kluger Mann, ich denke, du findest es auch von selbst heraus“, entgegnete sie. Ihre Bemerkung gab ihm zu denken, und es dauerte nicht lange, bis er die Antwort gefunden hatte. „Er hat dich gebeten, seine Familie vor mir zu beschützen, ist es nicht so?“, fragte er leise. Okoyes Augen weiteten sich, als würden seine Worte sie ernsthaft überraschen. Dann schüttelte sie zu seiner Verwunderung jedoch den Kopf. „Wenn es das ist, was du denkst, dann scheinst du den König schlecht zu kennen“, sagte sie. „Was glaubst du, warum ich dich aufgesucht habe...?“ Mit dieser Frage wandte sie sich endgültig ab und ging. Erik starrte ihr lange nach und als ihm endlich die Erkenntnis kam, fühlte er sich wie ein Narr. Seinetwegen. T’Challa hatte sie seinetwegen in Wakanda zurückgelassen. Fast als hätte er geahnt, dass Erik sich einsam fühlen würde. Er wusste ehrlich gesagt nicht, was er davon halten sollte, doch Okoyes Worte sollten ihn noch für die nächsten Stunden beschäftigen. Nach seiner Rückkehr in seine Gemächer schälte er sich umgehend aus seinen Trainingssachen und stieg unter die Dusche, um sich den Schmutz und Schweiß von der Haut zu waschen. Sauber und trocken, ein Handtuch um seine Hüften gewickelt, ging er dann in seinen Schlafraum, um sich etwas zum Anziehen zu holen. Doch kaum hatte er die Hand nach der Tür seines Schrankes ausgestreckt, als eine der Kimoyo-Perlen seines Armbandes, das er vor dem Duschen achtlos auf sein Bett geworfen hatte, plötzlich einen Signalton von sich gab und aufleuchtete. Im nächsten Moment materialisierte sich das holografische Abbild seines Cousins im Zimmer. Erik ließ seine Hand wieder sinken. „Sieh an“, sagte er und verschränkte die Arme vor seiner nackten Brust. „Womit verdiene ich die Ehre?“ Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie überrascht er von dem Anruf war. „Erik.“ T’Challa klang müde, aber das kleine Lächeln, das um seine Lippen spielte, sprach eine eigene Sprache und machte deutlich, dass er erfreut war, ihn zu sehen. Vom Hals abwärts war er in seinen Black-Panther-Anzug gekleidet, der Erik trotz der mittelmäßigen Bildqualität des Hologramms ziemlich mitgenommen erschien. Es sah aus, als hätte der andere Mann eine lange Nacht hinter sich gehabt, und seinem Zustand nach zu urteilen war es keine von der angenehmen Sorte gewesen. Erik trat näher und setzte sich auf das Bett. „Was ist passiert?“, fragte er. Er hob eine Augenbraue. „Bist du verletzt?“ Er wusste nicht wieso, aber es machte ihn wütend, dass offenbar jemand versucht hatte, T’Challa nach dem Leben zu trachten. Wenn jemand sich das Recht verdient hatte, gegen seinen Cousin anzutreten, dann war er es, kein dahergelaufener Niemand. T’Challa schüttelte den Kopf. „Nur ein paar Kratzer, nichts, was mich dauerhaft beinträchtigen könnte“, erwiderte er gelassen. Erik verdrehte nur die Augen, doch er war klug genug, keine Antwort darauf zu geben. Stattdessen fragte er: „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du mich sprechen wolltest?“ T’Challa sah ihn aus dunklen Augen an. „Ich wollte dich einfach sehen“, sagte er leise. Erik starrte ihn an. Was zur Hölle sollte er mit dieser Bemerkung anfangen...? Doch bevor er etwas erwidern konnte, sah er, wie T’Challa den Kopf ein Stück zur Seite drehte und sein Blick seltsam distanziert wurde. „Einverstanden“, sagte er einen Augenblick später, offensichtlich zu einer Person, die sich im selben Raum befand, die Erik jedoch verborgen blieb. „Es tut mir leid, dass ich nicht länger mit dir sprechen kann“, wandte er sich dann an Erik. „Wir sind unserem Ziel sehr nahe; jetzt zählt jeder Moment.“ Er zögerte. „Es freut mich jedoch zu sehen, dass es dir gut geht“, fuhr er fort. „Auf Wiedersehen, Erik.“ Erik hob die Hand, als könnte er T’Challa physisch daran hindern, zu gehen. „Warte...!“, rief er. Doch der andere hatte die Verbindung bereits wieder unterbrochen. Frustriert fuhr sich Erik mit einer Hand durch seine Dreadlocks. Die kryptische Unterhaltung hatte ihm nicht viel verraten, außer, dass T’Challa offenbar auf einer Art von Mission war und der Person, die er verfolgte, dicht auf den Fersen. Er schien außerdem schon mindestens einen bewaffneten Konflikt hinter sich zu haben, der ihm viel abverlangt hatte. Was auch immer sein Cousin gerade durchmachte, es juckte Erik in den Fingern, ihn zu... ja, was eigentlich? Ihn zu unterstützen? An seiner Seite zu kämpfen? Ihn zu beschützen. Erik fluchte leise, dann trat er erneut zu seinem Schrank hinüber und zog neue Sachen daraus hervor. T’Challa machte ihn sentimental und weichherzig, und je eher er sich wieder von ihm distanzierte, umso besser. Er wurde jedoch das Gefühl nicht los, dass dies einfacher gesagt war, als getan. Nach einer mittlerweile schon lauwarmen Mahlzeit, die man ihm gebracht hatte, während er in der Trainingsarena gewesen war, unternahm Erik einmal mehr einen Ausflug in die Stadt. Dieses Mal beobachtete er die Menschen und die Umgebung mit einem klaren Ziel: um Schwachpunkte zu finden, die sich bei einem Angriff als kritisch erweisen würden. Birnin Zana hatte keine erkennbaren Abwehrmechanismen, die Menschen schienen sich voll und ganz auf die Kuppel hoch über ihnen am Himmel zu verlassen, die sie vor den Blicken der restlichen Welt abschirmte. Auch sah Erik nur wenige Bewohner, die über offensichtliches Waffentraining verfügten, und die meisten von ihnen trugen die Farben von W’Kabis Stamm, der die Grenzen von Wakanda bewachte. Sollte jemals eine ausländische Macht in die Stadt einfallen, sie hätte ein leichtes Spiel mit der Bevölkerung, die so ahnungslos und friedvoll war, wie es nur Menschen sein konnten, die nie in ihrem Leben Gewalt oder Krieg kennengelernt hatten. Aber Birnin Zana zeigte ihm auch nur einen Ausschnitt der kleinen Nation. Er musste die einzelnen Stämme und ihre Lebensweisen besser kennen und verstehen lernen, um sich davon zu vergewissern, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Außerdem waren da noch die Jabari, deren Sitz weit außerhalb der Stadt lag, und deren Krieger keineswegs zu unterschätzen waren. Erik nahm sich vor, T’Challa zu einer Rundreise durch Wakanda zu überreden, sobald er wieder in der Hauptstadt eingetroffen war. Sein Cousin hatte mehrfach deutlich gemacht, dass er ihn als Verbündeten wünschte, anstatt als Gegner. So viel war er Erik daher schuldig. Und vielleicht – nur vielleicht – würde Wakanda das Desaster, das eine Öffnung des Landes bedeuten würde, heil überstehen. Auf seinem Rückweg zum Palast beobachtete Erik aufmerksam die Menschen um sich herum, wenn auch aus einem anderen Grund, als zuvor. Während seines Stadtrundgangs war ihm bewusst geworden, wie wenig er über Wakandas Kultur und Traditionen wusste, und vielleicht würde er darin auch die Antwort für T’Challas Kuss vor zwei Tagen finden. Schließlich gab es in vielen Nationen auf der Welt den Brauch, Freunde oder enge Familienmitglieder zur Begrüßung oder zum Abschied zu küssen, und vielleicht war das alles, was es war, und er hatte die ganze Situation von Anfang an falsch interpretiert. Doch seine Beobachtungen lieferten keine zufriedenstellende Erklärung. Er sah Freunde, die sich mit der typischen wakandischen Geste der gekreuzten Arme oder per Handschlag begrüßten, und er sah Familien, deren Mitglieder ihre Wiedersehensfreude durch Umarmungen ausdrückten. Doch er sah nirgendwo Menschen, die sich küssten, ohne in einer eindeutig romantischen Beziehung zu sein. Was nur einen einzigen Rückschluss zuließ. Ein seltsamer Schauer lief über Eriks Rücken, als er durch die Tore des Palastes schritt, und plötzlich konnte er T’Challas Rückkehr kaum noch erwarten. Die Sonne ging gerade unter, als sein Cousin sich ein weiteres Mal bei ihm meldete. Dieses Mal war die Müdigkeit aus T’Challas Gesicht verschwunden, und er wirkte ausgeruht und in guter Verfassung. „Ich sehe, du hast etwas Schlaf nachgeholt“, sagte Erik ohne große Einleitung. Er saß mit überkreuzten Beinen auf seinem Bett, während die letzten Strahlen der Abendsonne sein Gesicht wärmten. Er hatte ihn mittlerweile schon ein dutzend Male gesehen, doch der Sonnenuntergang war immer wieder ein spektakulärer Anblick. „Nach dem erfolgreichen Abschluss der Mission waren mir ein paar Stunden vergönnt gewesen“, erwiderte T’Challa mit einem kleinen Lächeln, das die Grübchen um seine Mundwinkel herum vertiefte. Erik wünschte sich, er könnte die Hand ausstrecken und sie mit dem Daumen berühren. „Heißt das, meine Ruhe ist ab morgen wieder vorbei?“, fragte er stattdessen mit leichtem Spott. T’Challa stieß ein theatralisches Seufzen aus. „Ich befürchte, ich muss mich bald wieder auf diesen furchtbar unbequemen Thron setzen, ja.“ „Du weißt, dass ich dich jederzeit von diesem tragischen Schicksal erlösen könnte“, entgegnete Erik und hob vielsagend eine Augenbraue. T’Challa lachte auf. „Keine Chance.“ Dann sah er Erik ruhig an und ein warmer Ausdruck trat in seine Augen. „Du fehlst mir“, sagte er leise und mit einer Selbstverständlichkeit, die den anderen Mann für einen Moment sprachlos machte. Schließlich schluckte Erik mehrmals und räusperte sich. „Shit, Mann, du kannst solche Sachen nicht einfach sagen, ohne dass ich anfange, mir Gedanken darüber zu machen“, erwiderte er mit rauer Stimme. T’Challa schenkte ihm jedoch lediglich ein sanftes Lächeln, der Mistkerl. „Ich könnte sie dir auch verschweigen, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass das meistens eine schlechte Idee ist.“ „Mein Gott“, sagte Erik, „du bist wirklich...!“ Unerträglich. Ein Narr. Der frustrierendste Mensch, der mir je begegnet ist. Er wollte alle diese Dinge sagen, doch er brachte sie nicht über die Lippen, und so schüttelte er nur den Kopf. „Was willst du von mir?“, fragte er stattdessen. T’Challas Miene wurde nachdenklich und er gab lange Zeit keine Antwort. „Das versuche ich gerade selbst herauszufinden“, entgegnete er schließlich. „Nakia und ich...“ Er zögerte. „Wir hatten ein längeres Gespräch.“ „Ah“, machte Erik. Was sollte er auch dazu sagen, wenn T’Challa von seiner Exfreundin sprach, während er ihm gleichzeitig extrem gemischte Signale sendete...? Der andere Mann senkte den Blick. „Sie... hat mir die Augen geöffnet und mir geholfen, Gefühle zu akzeptieren, die ich nicht hatte wahrhaben wollen“, fuhr er leise fort. „Gut für euch“, sagte Erik und zuckte demonstrativ mit den Schultern, als würde ihn das ganze Thema nicht berühren – als wäre da nicht dieses seltsame, hartnäckig schlagende Ding in seiner Brust, das schmerzte, wann immer er an T’Challa und die hübsche junge Agentin dachte. „Erik...“ T’Challa sah auf und einmal mehr ruhten seine warmen, unerträglich verständnisvollen Augen auf Erik. „Erik, das war nicht das, was ich damit sagen wollte...“ „Hey, ich bin sicher der letzte, der es dir missgönnt, endlich wieder ein Sexleben zu haben“, unterbrach ihn Erik gleichmütig, der seine Emotionen endlich wieder in den Griff bekommen hatte. „Bei deinem Job kannst du es weiß Gott gebrauchen.“ „Erik...“ Erik rieb sich müde das Gesicht, er hatte plötzlich keine Lust mehr, mit seinem Cousin zu sprechen. „Bis morgen“, sagte er nur knapp, dann unterbrach er die Verbindung, bevor T’Challa ein weiteres Wort sagen konnte. Er wusste selbst nicht, wieso, aber plötzlich war seine gute Laune verflogen. Wie versprochen erwartete Okoye ihn am nächsten Morgen im Ring der Trainingsarena. „Wag es ja nicht, mich zu schonen“, war alles, was Erik sagte, bevor er seinen Speer fest mit beiden Händen packte und sich auf sie stürzte. Okoye schenkte ihm nur ein flüchtiges Lächeln, dann trat ein konzentrierter Ausdruck auf ihr Gesicht, als sie den Angriff elegant abblockte. Erik kochte innerlich vor Wut, während er sie Schlag um Schlag zurücktrieb, ohne ihre Verteidigung dabei auch nur einmal zu durchbrechen. Er wusste selbst nicht genau, warum er so aufgebracht war, doch schon seit dem Aufstehen brodelte eine innere Unruhe in ihm, für die er keine richtigen Worte fand. Und er hasste sich dafür, hasste seine mangelnde Selbstkontrolle, trübte sie doch nicht nur sein Urteilsvermögen, sondern machte ihn auch schwerfällig und uneffektiv im Kampf. Als Okoye schließlich zwischen seinen kraftvollen Angriffen eine Lücke in seiner Verteidigung fand, nutzte sie ihre Gelegenheit sofort und rammte ihm gezielt das Ende ihres Speers gegen die Brust, so dass er nach hinten stolperte und hart mit dem Rücken auf dem Boden der Arena aufkam. „Was ist los?“, fragte sie stirnrunzelnd und richtete die Spitze ihres Speers auf sein Herz. „Du bist heute nicht richtig bei der Sache.“ „Halt den Mund“, stieß Erik verächtlich hervor und wollte sich gerade wieder erheben, als eine der Kimoyo-Perlen an seinem Armband aufleuchtete. Sein Armband war nicht das einzige, auch das von Okoyes begann zu leuchten, sowie die aller anderen Dora Milaje, die sich in der Arena aufhielten. „Was zum...?“, murmelte Erik und starrte sein Handgelenk an. Okoye schien hingegen genau zu wissen, was vor sich ging, denn sie straffte sich und ließ den Speer sinken. „Der König ist zurückgekehrt“, sagte sie. Dann nickte sie ihm knapp zu. „Bitte entschuldige mich.“ Sie kehrte ihm den Rücken und verließ die Arena, und die restlichen Kriegerinnen folgten ihr geschlossen, mit Ausnahme seiner beiden Wächterinnen. Erik starrte ihnen nach, während sie in Richtung des Landeplatzes verschwanden. Shit, dachte er. Erik beschloss, allein weiter zu trainieren und Okoyes Worte komplett zu ignorieren. Er hatte kein Interesse daran, T’Challa zu sehen; wenn der König mit ihm sprechen wollte, dann konnte er verdammt noch mal zu ihm kommen. Erik würde sicher nicht springen, sobald der andere mit den Fingern schnippte, egal, was der Rest des Hofstaates davon hielt. Nach einer Weile erklomm er schließlich wieder den Felsen, den er schon am Tag zuvor hinaufgeklettert war, um dort eine Pause einzulegen. Nachdem er sich rücklings auf den rotbraunen Stein der Plattform hatte sinken lassen, schloss er die Augen und döste nach ein paar Minuten ein, während die Sonne warm auf sein Gesicht schien. „Da bist du ja“, weckte ihn schließlich eine leise Stimme aus dem Schlaf und als Erik die Lider hob, sah er in das warme Braun von T’Challas Augen. „Okoye sagte mir, dass ich dich hier finden würde“, fuhr der andere Mann fort, während er sich neben Erik auf die Plattform setzte. „Und was ist so dringend, dass du dazu herabgelassen hast, persönlich herzukommen?“, brummte Erik, während er sich in eine sitzende Position stemmte. T’Challa schüttelte den Kopf. „Ist es so schwer vorstellbar, dass ich dich einfach sehen möchte, Erik?“, fragte er ruhig. Erik schnaubte nur leise. „Ja, Mann, was auch immer“, erwiderte er. „Erik.“ T’Challa hob eine Hand und legte sie an Eriks Wange und zwang ihn sanft, aber unnachgiebig, ihm in die Augen zu sehen. „Ich befürchte, es gab bei unserem gestrigen Gespräch ein paar Missverständnisse“, sagte er leise. „Ich möchte sie nun endlich klären.“ Erik starrte ihn an, wobei sein Blick zwischen T’Challas Augen hin und hersprang. Doch alles, was er sah, war die vertraute Gelassenheit und Offenheit des anderen Mannes, als gäbe es nichts, was er zu verbergen hätte. Schließlich nickte er knapp. „Ja, okay.“ T’Challa schenkte ihm ein kleines Lächeln. „Danke, Erik.“ Dann beugte er sich vor und küsste ihn sanft auf den Mundwinkel. Erik war für einen Moment wie erstarrt. „Was zum...?“, begann er hilflos, doch T’Challa ließ ihn nicht aussprechen. „Als ich gestern sagte, dass Nakia mir dabei half, meine Gefühle zu verstehen und zu akzeptieren, sprach ich nicht von meinen Gefühlen für sie“, sagte er und streichelte sacht mit dem Daumen über seine Wange. Erik wagte kaum zu atmen, sondern sah in T’Challas Augen, die so warm und so gütig und so voller Zuneigung waren... ... und endlich verstand er. Ohne auch nur einen Moment länger zu zögern, nahm er T’Challas Gesicht in seine Hände und presste seine Lippen auf die des anderen. Und während er seinen Mund mit Zunge, Lippen und Zähnen plünderte, machte sich ein unbeschreibliches Glücksgefühl in ihm breit, als er spürte, dass der andere seinen Kuss mit derselben Intensität und Leidenschaft erwiderte. Als sie sich schließlich wieder voneinander lösten, waren Eriks Wangen fast ebenso rot, wie seine Lippen, und T’Challa ging es nicht anders. „Ich hatte Recht“, raunte Erik, „du bist wahnsinnig.“ Doch anstatt ihm eine Antwort zu geben, zog T’Challa ihn nur mit einem Lachen in seinen dunklen Augen zu einem weiteren Kuss heran. „Ich werde dich auf jedem Schritt deines Weges bekämpfen, das muss dir klar sein“, sagte Erik, als sie später Seite an Seite zum Palast zurückkehrten. „Und ich werde niemals – kann niemals – das für dich sein, was du dir wünschst.“ Doch T’Challa griff nur nach seiner Hand und drückte sie kurz, ein Lächeln auf den Lippen, als wären Eriks Worte nicht mehr als ein weiteres diplomatisches Problem, das es zu lösen galt. „Wir werden sehen“, erwiderte er. Oh ja, dachte Erik. Das würden sie. Gemeinsam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)