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My bloody Soulmate

von

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Prolog

Rot traf auf grün, zwei Augenpaare von Personen, die nicht verschiedener sein konnten. Er entblößte seine Fangzähne, bereit, seine Beute niederzustrecken und für sich zu nehmen. Er hatte nicht vor, zu teilen. Sie beugte sich seinem Blick nicht, erwiderte ihn bis zum bitteren Ende. Ein Finger berührte kalten Stahl, welcher sich in der Halterung ihres Gürtels befand. Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben, als sie ihre Waffe zog und dem blutrünstigen Monster vor ihr eine Kugel durch den Kopf verpasste. Sie wusste zwar, dass es ihn nicht töten würde, aber es gab ihr einen Vorsprung. Den Vorsprung, den sie benötigte, um einen Weg zu finden, diese Rasse ein für alle Mal loszuwerden.
 

Mit einem Seufzen schloss die Hobbyautorin ihren Laptop, nachdem sie den letzten Fortschritt ihres Kapitels abgesichert hatte. Sie hatte zwar noch Ideen in ihrem Kopf, aber ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es an der Zeit war, ihre Sachen zu packen. Ja, Sachen packen, denn leider sollte sich ihr Leben bald für immer verändern. Es hatte ihr nicht gefallen, wie ihre Eltern nicht auf die Diskussion eingehen wollten, sie abgespeißt hatten als hätte sie damals Wahnvorstellungen gehabt. Sie! Und Wahnvorstellungen! Sie konnte sich noch bestens daran erinnern, wie die Nachricht ihr Zuhause erreichte: Stephan war ermordet vorgefunden worden. Und nun sollte sie denselben Ort besuchen, dieselbe Schule, in der er damals umgekommen war: Die Insignia Akademie.

Ihr war damals das Herz in die Hose gerutscht. Sie konnte nicht verstehen, was vor sich ging. Was man ihr da sagen wollte. Dass es hieß, ihr großer Bruder würde niemals wieder nach Hause kommen. Tage hatte es gedauert, Wochen, bevor sie ihre Trauerphase hinter sich gebracht hatte. Ihr Bruder war schon immer ihr ein und alles gewesen. Er war ihr Vorbild, die Person, zu der sie aufgesehen hat. In größter Not hatte sie sich an ihn gewandt und hatte immer Hilfe erhalten. Er hatte sogar ihre Geschichten gelesen, als sie gerade angefangen hatte, zu schreiben. Hatte sie dazu ermutigt, weiter zu machen und nicht aufzugeben. Nur dank ihm war sie nun so weit. Und er, er war weg. Ermordet. Von diesen blutsaugenden Monstern, die ebenso wie Menschen Insignia besuchten. Woher sie das wusste? Der Bericht befand sich in den Nachrichten. Man hatte die Leiche eines jungen Mannes blutleer im Wald in der Nähe der Akademie gefunden. Blutleer! Das konnte nur eines bedueten und Wynne war nicht dumm. Diese Biester hatten ihr ihren Bruder genommen. Und das würde sie ihnen nicht verzeihen.

Sie konnte nur nicht verstehen, warum ihre Eltern sie der gleichen Gefahr aussetzten. Was, wenn ihr etwas zustoßen würde? Wenn sie die nächste war, die man tot im Wald vorfinden sollte? Sie hatte versucht, es ihnen auszureden. Zu erklären, dass die Ausbildung an ihrer Schule doch ausreichen war, um das zu werden, was sie sein wollte. Aber nein. Sie bestanden darauf. Wollten nur das beste für ihr Kind, so wie sie es eigentlich auch für Stephan gewollt hatten. Wynne war sich im Klaren, dass sie mit diesem Schulwechsel nicht nur ihre alte Schule hinter sich lassen musste. Ihre Freunde wechselten nicht, beziehungsweise noch nicht. Es war nicht klar, denn ihre Eltern konnten sich einfach nicht entscheiden. Nervig, wie Wynne dachte. Doch auch ihre gewohnte Umgebung müsste zu zurück lassen und mit diesen verhassten Monstern zurecht kommen. Oder zumindest damit, dass sie unter einem Dach unterrichtet worden. Hoffentlich müsste sie nicht zu viel mit ihnen in Kontakt treten müssen.

Ihren Laptop durfte sie wenigstens mitnehmen. Hätte man ihr das Schreiben an der Schule verboten - Denn da es sich bei der Akademie um ein Gelände handelte, welches nicht nur weit weg von ihrem Zuhause war sondern auch Schlafeinrichtungen für die Schüler anbot, würde sie dort für die Dauer ihrer Ausbildung auch bleiben - wäre sie wahrlich wahnsinnig geworden. Schreiben war ihr Leben. Auf die Spiele, die sie mit ihren Freunden spielte, konnte sie gerade noch zu verzichten, denn dafür würde sie vermutlich sowieso keine Zeit haben. Aber nicht das Schreiben.
 

Ihren Laptop packte sie gleich als erstes ein, bevor sie durch ihre Sachen ging. In wenigen Tagen würde es bereits losgehen, dann wären die Ferien zu Ende und ein neues Schuljahr würde beginnen. Von ihren Freunden hatte sie sich schon verabschiedet, eigentlich sogar versprochen, sich ab und an mal zu melden, falls sie die Möglichkeit dazu hatte. Sie wusste ja noch nicht, was auf sie zukommen würde. Was die Schule alles von ihr abverlangen würde. Und das alles anders kommen würde, als sie es sich gehofft hatte.

Jetzt war ich hier, vor den Eingangstoren der Insignia Akademie. Vom Zaun aus konnte man bereits die Schlafsäle sehen, welche sich über den vorderen Teil des Campus erstreckten. Erst im hinteren Teil gelangte man in die Schule, damit man keinen Blick auf die Einrichtung hatte. Ja, es war ungewöhnlich, da man es von anderen Akademien anders gewohnt war. Ich seufzte, betrachtete das große eiserne Doppeltor vor mir, schwarz und mit Mustern ineinander verschlungen, sodass es zusammen hielt. Immer wieder ging es auf und zu, neue Schüler traten ein, das alte Abschlussjahr verließ den Campus. Viele lachten, einige waren sehr ernst und still. Ein paar Grüppchen hatten sich bereits gebildet, vermutlich zumeist Mädchen, die sich bereits von früher kannten.

Das Dumme an der ganzen Sache war – Insignia hatte die höchste und beste Ausbildung, die man sich wünschen konnte. Wenn man es zu etwas bringen wollte, musste man entweder hier durch oder hatte einflussreiche Eltern, aber diese schickten ihre Kinder meist dann auch hierher. Natürlich war hier nichts normal. Denn hier teilten sich Mensch und Vampir einen Campus, mussten miteinander klarkommen und friedliche koexistieren. Ich weiß nicht, wer sich diesen Schwachsinn auch nur ausgedacht hatte, aber so viele ließen sich von der Sache mitreißen, dass ich es nur als verrückt abstempeln konnte. Und natürlich wurden diese blutsaugenden Monster, die sich an einen hängen konnten wie Mücken, regelrecht verehrt. Warum? Weil sie perfekt waren. Das ist kein Scherz. Diese makellosen Biester hatten es in den Genen, gut auszusehen, um damit ihre Beute um den Finger zu wickeln. Die meisten sahen aus wie aus früherem Adel und benahmen sich auch so. Manche waren auch alt genug, um Kriege von vor 5 Jahrhunderten miterlebt zu haben. Und ja, darüber habe ich mich bestens erkundigt.

Seufzend packte ich den Griff meines Rollkoffers fester. Bislang hatte ich nur meine Kleidung mit, Alltagskleidung, die ich außerhalb von Schulzeiten tragen würde. Innerhalb gab es Uniformspflicht, um ein sauberes Äußeres auszustrahlen. Bereits von hier konnte ich erkennen, dass sich viele Schüler die Freiheit nahmen, diese dann so zu gestalten, wie sie es wollten. Der Rock war normalerweise lang genug, um die Beine bis zu den Kniekehlen zu bedecken. Die Mädchen rollten den Bund nach oben, damit dieser kürzer und erotischer wirkte, wohl um das andere Geschlecht anzulocken, indem sie ihre 'langen' Beine zur Schau stellten. Ohne Mist? Bei den meisten sah es aus, als hätten sie Hühnerstelzen.

Die Jungs hingegen banden sich die Krawatte entweder nicht, trugen Jacke oder auch das Hemd darunter offen (oder mit einigen offenen Knöpfen). Genervt verleierte ich meine Augen und rümpfte die Nase. Anstand wurde bei den Gestalten hier so klein geschrieben, dass man es kaum noch lesen konnte. Gut, dass ich mit ihnen nichts zu tun haben musste, so lange es nicht um Projektarbeiten ging. Ich gehörte zwar nicht zu diesen Leuten, die mit sozialem Kontakt nichts anfangen konnten, aber ich bevorzugte es dann doch mir diejenigen auszusuchen, mit denen ich reden würde. Und die Auswahl würde hier ziemlich schwer fallen ...

Ich betrat also nach langem Herumstehen schließlich das Schulgelände, indem ich das Tor passierte und mir meinen Weg zum Anschlagbrett bahnte. Es war nicht leicht, einen Blick auf den Zettel mit der Zimmeraufteilung zu erhaschen. Als jemand, der aus einem besseren familiären Stand kam als die meisten anderen hier, hatte ich das Glück, in den hinteren Teil der Wohnsäle zu kommen und mir nur mit einer einzigen Person das Zimmer teilen zu müssen. Andere, die nicht so viel Glück hatten, mussten mit bis zu vier anderen Menschen rechnen, mit denen sie sich um ihren Schlafplatz streiten mussten. Und das Anstehen am Waschsaal erst ... Darum musste ich mir keine Gedanken machen. Es war jetzt nicht so, dass ich auf die anderen hinab sah. Es tat mir zum Teil sogar ziemlich leid, dass ihnen etwas Derartiges angetan wurde. Sogar nur den Menschen! Die Vampire mussten so etwas nicht ertragen. Aber mal ganz unter uns: Niemand, der in meiner Situation wäre, würde mit einer der ärmeren Gestalten tauschen, nur um als Ritter in Weißer Rüstung angesehen zu werden. Es war natürlich schwer, für meine Einstellungen zu argumentieren. Immerhin hatte ich diese Privilegie nicht selber verdient, sondern bekam sie durch die Summe, die meine Eltern an dieses Internat zahlten. Dafür musste ich mich aber auch anstrengen.

Mehrere Menschen standen vor dem Anschlagbrett und unterhielten sich lautstark über die Zimmeraufteilung. Einige kannten sich untereinander bereits und freuten sich, miteinander das Zimmer zu teilen. Andere waren frustriert darüber, mit wem sie zusammen gesteckt wurden, aber darüber hatten sie keine Macht. Wie ich gehört hatte, war die Verwaltung dieser Einrichtung unbestechlich. Sogar dermaßen, dass einige Eltern ihre Kinder wieder abzogen, nachdem sie nicht ihren Willen bekamen. Man kann eben auch nicht alles im Leben haben. Das musste ich auch lernen. Damit nicht alles noch schmerzlicher verlief, hielt ich mich im Hintergrund, bis sich die Traube vor mir langsam auflöste und mit dem Nachrücken der neuen Schüler um mich herum sich eine neue bildete. Wir standen eng beieinander, fast Schulter an Schulter, rempelten uns an, nur um einen Blick auf die Zimmereinteilung zu riskieren. Schnell huschten meine Augen über das Blatt. Da mein Vorname mit A begann, musste ich recht weit oben stehen. Amand, Wynne Luria. Da war er ja auch schon. Oh wie ich es nicht leiden konnte, mit meinen Augen einer gestrichelten Linie zu folgen, nur um die Nummer des Zimmers zu erfahren, im welchen ich die nächsten Jahre untergebracht werden sollte. Zimmer A230 Block D. Block D? Mir war bislang gar nicht bewusst, wie groß dieser Ort doch war. Wie viele Blöcke es im Allgemeinen wohl gab?

"Entschuldigung, dürfte ich bitte durch?", fragte ich einen Jungen neben mir, welcher bereitwillig den Weg frei machte und mich durch ließ. Immerhin ein paar Manieren legten sie noch an den Tag und so konnte ich meinen Weg fortsetzen. Einige Schüler – Ältere, wie ich vermutete, denn sie schienen nicht besonders darauf erpicht, in dem ganzen Gemenge mitzumischen – unterhielten sich am Rand des Weges, manche saßen auf den bereitgestellten Bänken, andere wiederrum tummelten sich am Brunnen, vor welchem die Anschlagtafel stand. Alles in allem war es ein sehr einladender Ort, der Vorgarten war gut gepflegt mit einigen Blumen und einer großen Wiese, auf welcher man sich sicherlich gut entspannen konnte. Anliegend an das Grundstück war ein Wald mit Wanderpfad, wie ich mitbekommen hatte. Wenn ich also mal den Kopf freibekommen müsste, wusste ich schon mal, wo ich hinging. Noch lief ich den steinernen Weg entlang und suchte nach Schildern, die mir meinen weiteren Pfad weisen würden. Meine Augen betrachteten die Umgebung genau, huschten gelegentlich über die Schüler hinweg und blieben letztlich an einer größeren, blonden Dame hängen, welche sich mit einigen Neuankömmlingen unterhielt, welche man nur zu leicht an deren Gepäck erkennen konnte.

"Wir 'aben dieses Jahr einen ordentlichen Zuwachs an Schülern! Es freut mich so sehr, euch 'ier begrüßen zu dürfen!", sprach die Blondine mit einem stark französischem Akzent. Ich hob eine Braue und musterte sie. Sie musste zur Lehrerschaft gehören, oder zumindest etwas ähnlichem, denn ihre Kleidung verriet eine gewisse Autorität. Keine, die man von älteren Mitschülern erwarten würde. Sie könnte ich sicherlich um eine Wegbeschreibung bitten.

"Verzeihung", mischte ich mich ein und hob dabei eine Hand, um auf mich aufmerksam zu machen. Die Frau hob den Blick von den anderen Schülern und wandte sich mir zu. Ihr Lächeln wurde noch breiter.

"Ah, willkommen! Wie kann ich dir be'ilflich sein?", fragte sie sofort, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

"Ich würde gern wissen, wie ich Zimmer A230 finde. Block D."

"Block D", wiederholte sie überrascht und weitete die Augen. "Eine vornehmere Dame, wie ich se'e." Ich seufzte leise und senkte den Blick. Den anderen schien es nicht gerade zu gefallen, dass ich eine von den anderen war. Von denen, die genug Geld für eine bessere Chance hier hatten.

"Schau, Kind.", sprach mich die Frau an, ging auf mich zu und legte eine Hand sanft auf meine Schulter. Ihre Finger waren lang und schmal, sahen fast zerbrechlich aus. Sie kannte kein hartes Handwerk, sah aber nicht nach jemandem aus, der keine Ahnung von harter Arbeit hatte. Vielmehr kam sie mir wie eine Person vor, die nichts anderes mehr schätzte, als alles zu geben und sich anzustrengen, egal wie das Ergebnis war. Mit der anderen Hand deutete sie nun in eine Richtung, zwischen den Häusern hindurch. "Folge einfach dem Weg. Siehst du diese Abzweigung da ‘inten Ge'e nach rechts und folge ab da deiner Nase, bis du ein Schild mit der Aufschrift 'Block D' findest. Es ist etwas weiter 'inten, aber ich denke, du wirst es schon se'en. A230 ist dann auch nicht mehr weit. Weitere Beschriftungen findest du dann an den Zimmern" Ich nickte der Dame zu und bedankte mich herzlich für ihre Hilfe. Nach einer kurzen Verabschiedung setzte ich mich wieder in Bewegung. Ihr 'Wir sehen uns im Unterricht' vernahm ich noch, bevor ich meine Gedanken abschweifen ließ.

Das Zimmer zu finden benötigte eine halbe Weltreise. Sicher, Block D war schnell aufzufinden, einmal rechts und dann immer dem Weg folgen war nicht schwer. Aber die Aufschrift an den Zimmern war ätzend klein. So viel Glück wie ich in letzter Zeit gehabt habe, hätte es auch glatt bei 'A1' anfangen können. Zum Glück war dem nicht so, und das erste Zimmer war 'A100' und ging in Zehnerschritten weiter. Dementsprechend war ich also im 23. Zimmer von Block D untergebracht. Es lag im Obergeschoss und man hatte von hier aus einen schönen Blick auf die Blumenwiese, auf welcher man sich sicherlich gut entspannen und Ideen sammeln konnte. Meine Zimmergenossin war noch nicht angekommen, denn als ich die Tür öffnete, stand noch alles vollkommen leer. Es war ein recht geräumiges Zimmer. Eingeteilt war es in 2 Abschnitte mit angrenzendem Bad. Der erste Abschnitt bestand aus einem kleinen Vorsaal mit Couch und Bücherregal, Haken für die Jacken und einen Platz für unsere Schuhe. An der Tür befand sich ein Schlitz für Briefe und an der Seite gab es einen Kasten, in welchem Pakete eingelagert werden konnten. Anscheinend war es gestattet, Post hier zu empfangen, was mich beruhigte. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen und abgestellt hatte, begab ich mich in den hinteren Teil des Zimmers, welcher um einiges weitläufiger war als der vordere Teil. Dieser war unser Schlaf- und Arbeitszimmer. Zwei Schreibtische standen an einem Panoramafenster mit einer wunderschönen Aussicht auf den Hof. Gardinen befanden sich jeweils an den Seiten, sodass es kein Problem sein sollte, nach Bedarf auch für Dunkelheit zu sorgen. An den jeweils gegenüberliegenden Seiten befanden sich die unbezogenen Betten. Nichts Besonderes, ganz einfache Einzelbetten, wie man sie sich simpler nicht vorstellen konnte. Eine Kommode für unsere Kleidung war auch vorhanden, eine für jeden im Zimmer. Da es relativ egal war, für welche Seite ich mich entscheiden würde, stellte ich meinen Koffer einfach an der linken Kommode ab und legte meine Jacke auf das Bett. Es war überraschend warm in diesem riesigen Zimmer. Für Durchzug würden die kleineren Fenster sorgen, denn das große würden wir dank der Schreibtische nicht öffnen können. Ich betrachtete diese genauer und stellte schon mal meine Laptoptasche oben ab. Es war simpel, einfaches Holz und doch fein verarbeitet. Um in den Wintertagen auch in der Früh hereinbrechenden Dunkelheit arbeiten zu können (Oder wie es bei einigen Schülern üblich war, so auch bei mir, einfach mal in der Nacht), befand sich eine Schreibtischlampe auf der rechten Seite. Mein Blick folgte dem Kabel und ich erkannte schnell eine Steckerleiste auf jeder Seite. Immerhin müssten wir uns nicht um den Strom streiten, gut.

Kaum öffnete ich die Laptoptasche, hörte ich, wie jemand hinter mir die Tür aufmachte. Ich vermutete sofort, dass es sich hierbei um meine Zimmergenossin handeln musste und drehte mich um, um diese zu begrüßen. Zunächst kam mir niemand ins Blickfeld, immerhin konnte man vom Schlafteil nicht ganz in den Vorsaal sehen und umgekehrt – Der Raum war noch abgetrennt mit einer einfachen Schiebetür, die ich leicht aufgelassen hatte. Was ich aber nicht sehen konnte, hörte ich umso lauter. Mit Ächzen und Stöhnen hievte jemand etwas in den Vorsaal. Ich beschloss, meine Hilfe anzubieten und begab mich in den anderen Raum. Ein überraschter Blick entgegnete mir, ein junges Mädchen, vermutlich ein gutes Jahr jünger als ich, blickte mich an. Ihre braunen Haare hingen ihr wild im Gesicht und ich sah ihr an, dass sie schon länger mit ihrem Gepäck zu kämpfen hatte.

"Lass mich dir helfen", bot ich ihr an, begab mich zu ihr und zusammen zogen wir am Griff des Koffers. Diesen über die Schwelle zu bekommen war fast ein Akt des Unmöglichen, aber gemeinsam schafften wir es, wobei es recht amüsant endete. Denn kaum hatten wir das Ding über die Kante, gab es uns mit unserer Zugkraft einen dermaßenen Ruck, dass wir nach hinten fielen und froh sein konnten, dass uns das Teil nicht erschlagen hat. Mit vor Überraschung geweiteten Augen sahen wir uns erst gegenseitig an, bevor wir lachten.

"Was hast du da drin, Ziegelsteine?!", scherzte ich und stand auf. Zur Hilfe bot ich ihr eine Hand an, welche sie dankend annahm und half ihr auf die Beine.

"Meine Eltern machen sich Sorgen, dass ich mir etwas einfange, während ich hier bin. Ich hab ein schwaches Immunsystem und deswegen oft mit Krankheiten zu kämpfen. Dementsprechend haben sie vorgesorgt. Tut mir leid, dass ich dir Umstände bereitet habe", entschuldigte sie sich.

"Mach dir keinen Kopf", meinte ich nur und stemmte die Hände an meine Hüfte. "Das Ding ist jedenfalls so schwer, das könnte als Mordwaffe gelten. Und ich glaube, da dort sogar dein Blut dran klebt, würdest du damit durchkommen"

Die jüngere lachte leise auf und zusammen beförderten wir ihren Koffer in den Schlafraum.

"Ich hoffe, es ist okay, dass ich die linke Seite schon besetzt habe."

"Klar, kein Problem. Ich fühl mich sowieso besser, wenn ich in der Nähe des Bades schlafe" Ach ja, unser Zimmer hatte das angrenzende Bad am Schlafraum. Die Tür war mir schon aufgefallen, immerhin sah man auf den ersten Blick, dass sie verschließbar war. Da fiel mir ein, dass ich keinen Schlüssel gebraucht hatte, um in das Zimmer zu kommen. Waren unsere Sachen hier sicher? Man konnte es doch sicher abschließen.

Während sich die Brünette daran machte, ihre Seite einzuräumen und ihr Bett bereits zu beziehen, suchte ich nach den Zimmerschlüsseln. Es dauerte zum Glück nicht lang, viele Plätze dafür gab es immerhin nicht. Zunächst suchte ich meine Kommode ab, wäre da ein Schlüssel drin, würde das Mädchen sicher auch bald einen bei sich finden. Jedoch war dort Fehlanzeige. Meine nächste Überlegung war zunächst noch der Vorsaal. Vielleicht gab es eine Ablage, die mir vorher nicht aufgefallen war. Oder man hatte in dieses Paketfach ein Päckchen eingeworfen. Ich öffnete die Klappe, doch war nichts darin. Es befand sich auch im Bücherregal keine Ablage und neben der Tür kein Haken, der mir vorher einfach nicht aufgefallen war. Zurück im Schlafabteil ging ich rüber zum Schreibtisch, der letzte Ort, wo es für mich noch plausibel klingen würde, einen Schlüssel unterzubringen. Immerhin – Um ein paar Unterlagen ablegen zu können oder einfache Dinge zu verstauen, gab es einige Schieber. Praktisch, dachte ich mir nur, da meine Zettel schon bald diesen Platz schmücken würden. Ich durchsuchte also die Schieber und ganz zu meiner Zufriedenheit fand ich tatsächlich einen Schlüsselbund. Gelegentlich blickte ich rüber zu dem Mädchen, um nachzusehen, ob sie Hilfe brauchte. Aber trotz ihrer Unbeholfenheit kam sie ganz gut allein zurecht, sodass ich ohne weitere Bedenken zunächst den Schlüssel ausprobieren konnte. Es gab insgesamt drei Schlüssel. Einer war für die Eingangstür, das fand ich schnell heraus. Der zweite, den ich austestete, für die Paketklappe, damit nicht jeder Vollidiot auf unsere Pakete Zugriff hatte. Der dritte und kleinste war für die Schubladen am Schreibtisch. Gut, so waren auch meine Dokumente auf diese Art und Weise sicher.

"Hast du was entdeckt?" Der braune Schopf der anderen ließ sich an der Schiebetür blicken. Triumphierend hielt ich den Schlüsselbund hoch.

"Schau mal in die Schubladen deines Schreibtisches. Du müsstest auch so einen haben" Sie nickte und verschwand im Zimmer, dicht gefolgt von mir, denn ich musste mich auch noch einrichten.

Es dauerte nicht lang, da saßen wir auf unseren Schreibtischstühlen, zueinander gewandt, und plauderten. Inzwischen hatten wir uns auch endlich untereinander vorgestellt. Sie hieß Kira Finea Inaya, ein recht ungewöhnlicher Name, aber ich war die letzte, die über ungewöhnliche Namen sprechen durfte. Als ich mich als 'Wynne Luria Amand' vorstellte, kicherte sie und meinte, dass wir uns bei unseren eigenartigen Namen die Hand geben konnten. Das Mädchen wurde mir sehr schnell sympathisch und ich konnte mir gut vorstellen, dass wir kaum Probleme miteinander haben würden. Sie war eine der intelligenten Sorte, eine Musterschülerin, wie ich mitbekommen hatte. Im Gegensatz zu mir fiel es ihr aber leicht, ich musste mich etwas anstrengen, um meine Noten auf diesem Stand zu halten. Was aber gut war – Sie bot mir ihre Hilfe an. Im Gegensatz dazu wollte sie meine Geschichten probelesen. Denn wie sich herausstellte, war sie ein Fan von meinen Hobbyerzählungen 'Unter einem Himmel' und 'Schwarze Nacht', ein Schriftstück, an dem ich noch arbeitete. Ja, dies war der Anfang meiner Jahre an der Insignia-Akademie. Und leider auch mein letzter ruhiger Tag.

Es war Punkt 7:45 Uhr des nächsten Tages und der Wecker schellte. Kira und ich waren uns einig geworden, uns eine dreiviertel Stunde Zeit zu geben, bevor wir los mussten, um pünktlich genug im Schulgebäude zu sein. Da ich um einiges schneller auf den Beinen war als sie – Ich hatte 'senile Bettflucht', wie sie es beschrieb – ließ sie mich als erste ins Bad, während sie sich langsam fertig machte. In altbekannter Manier steckte ich meine Haare nach oben und machte sie fest, um so ordentlich wie möglich auszusehen. Vorher wusch ich mir das Gesicht und kümmerte mich im Allgemeinen um meine Hygiene. Make Up interessierte mich dabei nicht, ich hatte nicht vor, mich für irgendjemanden dort besonders hübsch zu machen. Denn der letzte Ort, wo ich einen Jungen kennen lernen wollte, war an einer Akademie, an der es auch Vampire gab. Fertig angezogen verließ ich das Bad und räumte Kira somit ihren Platz ein. Hätte ich nur früher gewusst, dass uns an diesem Morgen ein Päckchen erwarten würde. Ich hörte nur, wie jemand etwas einwarf und schnappte mir sofort den Schlüssel. Durch meine alte Paranoia war ich es gewohnt, alles abzuschließen, was ich konnte, wenn es niemanden etwas anging, was sich darin befand. In der Postklappe fand ich zwei Pakete vor, eines davon adressiert an mich, das andere an meine Zimmergenossin.

"Kira", rief ich und klopfte gegen die Tür. "Hier ist ein Paket. Ich glaube, wir sollen das aufmachen" Wie ich darauf kam? Vielleicht gab der ganz dezente Zettel, auf dem mit fettgedruckten Buchstaben Schuluniform geschrieben stand, den Hinweis. Mental zuckte ich mit den Schultern und drückte der Brünetten das Päckchen in die Hand, als sie die Badtür öffnete. Verschlafen bedankte sie sich und verkroch sich wieder in das Zimmer zurück. Ich zu meinem Teil öffnete es. Um ehrlich zu sein hatte ich mich schon gewundert, wann und wie wir unsere Uniformen bekommen würden. Diese Frage war aber nun geklärt. Sorgfältig zog ich die Kleidungsstücke heraus. Ein Hemd, Krawatte, Jacke und Rock. Alles in einem schlichten Weiß-Hellblau gehalten. Was aber meine Aufmerksamkeit erregte war eine seltsame Binde, welche sich an einem Arm der Jacke befand. Mit einer unauffälligen Sicherheitsnadel war diese dort fest gemacht, damit sie leicht abgemacht werden und somit auch nur mit dem Hemd getragen werden konnte. Was mich verwirrte war diese abstrakte Malerei darauf. Sollte das ein Symbol sein? Ein blauer, rundlicher Kristall mit Schweif – oder sollte das ein Flügel sein? - und einer kleinen blauen Kugel darüber. Ein wirklich seltsames Design, aber ich war nicht in der Position, das zu hinterfragen. Ohne weiter darüber nachzudenken schlüpfte ich in die Schuluniform und richtete meine Haare Mithilfe des Spiegels im Vorsaal, bevor ich meine Brille aufsetzte und meine Tasche schnappte. Inzwischen hatte auch Kira es geschafft, sich fertig anzuziehen. Im Gegensatz zu gestern trug sie keinen Pferdeschwanz mehr, sondern ihre Haare hingen ihr offen über den Rücken. Zwei Strähnen umrahmten ihr Gesicht und ließen sie mithilfe der grünen großen Augen nur noch jünger aussehen, als sie es eh schon tat.

"Also, wollen wir?", fragte ich sie und sie nickte mir zu. So traten wir unseren Weg zur Begrüßungszeremonie an.
 

Bevor wir schlafen gegangen sind, erhielten wir noch eine Nachricht. Unterrichtsbeginn wäre 9 Uhr, Schluss 17 Uhr. Zwischen den Stunden gab es je zehnminütige Pausen, bis auf eine große, welche eine Stunde umfasste. Eine wirkliche Ausgangssperre gab es nicht wegen der Vampire, da wollte man Gleichberechtigung durchsetzen. Jedoch würde zu den Abendstunden ab 23 Uhr am Eingangstor ein Lehrer stehen, der vermerkte, wann wer geht und wiederkommt. Schüler, die am nächsten Tag nicht zum Unterricht erschienen und nicht als zurück gekehrt gemeldet wurden, werden gesucht.

Schüler des ersten Jahrganges haben sich am ersten Schultag zu einer 'Begrüßungszeremonie' einzufinden. Diese würde im Hauptsaal des Schulgebäudes stattfinden. Für eine Wegbeschreibung sollten wir uns an das Sekretariat wenden. Weitere Erkundungen des Campus wären an den folgenden Nachmittagen und Wochenenden gestattet. Wir erhielten sogar eine Liste mit Namen von Lehrern und Aufsichtspersonen, welche ebenfalls die Aufgabe angenommen hatten, Neulinge herumzuführen. Zum Glück, dachte ich mir da nur. Denn dieses Gelände war nicht gerade klein.
 

Als Kira und ich den Saal betraten, wimmelte es schon nur so von Schülern. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, wie viele es waren. Noch unterhielten sie sich laut miteinander, keiner hatte sie zum Schweigen aufgefordert. Ein Blick auf die Uhr über der Bühne verriet, dass es Fünf vor um Neun war, wir waren also noch pünktlich. Ich sah mich um, ob es eine Aufteilung gab. Dabei fiel mein Blick auch auf die Binden an den Armen der anderen. Einige hatten die gleiche Malerei wie Kira und ich – einen blauen Kristall. Andere ... hatten eine rote Rose. Da machte es Klick in meinem Kopf – Diese Zeichen sollten die Menschen von den Vampiren unterscheiden. Ich tippte meine neugewonnene Freundin an und deutete zu der Masse an Menschen, damit wir uns dorthin begaben. Ganz so einfach war es jedoch nicht, denn kaum hatten wir uns in Bewegung gesetzt, wurde ich von jemanden von meinen Füßen gerissen und fand mich auf dem Boden wieder. Mit einem Ächzen und einem leisen Fluchen rieb ich mir mein Hinterteil und wagte es noch gar nicht, aufzublicken. Wer auch immer es gewesen sein mag, dem würde ich die Hölle heiß machen, wenn er sich nicht entschuldigte!

"Pass doch auf, wo du hinrennst", wurde ich angezischt. Wie bitte?! Was für ein Idiot! Ich war ja wohl diejenige, die hingefallen ist! Mit einem eiskalten Blick entgegnete ich dem Übeltäter und stand langsam wieder auf, während ich meine Uniform zurecht strich.

"Ich bin keine zwei Schritte gegangen, da hast du mich umgerannt, Mister Wichtig. Ich würde ja sagen, du solltest dir mal die Tomaten von den Augen nehmen" Unwillentlich fiel mein Blick auf die Armbinde. Eine Rose. Eine ... schwarze Rose? Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Sicherlich war er irgendeine Art von Vampir. War er gefährlich? Wichtig? Hochrangig? Was auch immer. Manieren hatte er nicht! Mit einem abfälligen Blick musterte er mich von Kopf bis Fuß.

"Du hast ganz schön viel Mumm für einen kleinen Menschen.", gab er spöttisch von sich und fasste mir auf den Kopf. Knurrend schlug ich seine Hand weg, ganz zu seiner Überraschung. Sein Kumpel, welcher neben ihm stand, gab ein beeindrucktes Pfeifen von sich. Bei seinem nächsten Grinsen zeigte der Übeltäter seine Zähne. "Pass auf, dass du dir nicht das Genick brichst, Mädel. Nicht alle bekommen hier eine zweite Chance"

"Auf diese zweite Chance kann ich gut und gerne verzichten."

"Wynne ...", meldete sich Kira kleinlaut neben mir und deutete zu den anderen menschlichen Schülern. Ich nickte ihr nur zu, giftete mein Gegenüber noch einmal mit meinem Blick an, bevor ich mich an ihm vorbei drängelte – Jedoch nicht, ohne ihn mit meiner Schulter noch einmal einen Stoß zu verpassen. Natürlich musste ich aufpassen, dass das Ganze nicht auf mich zurück schlägt und ich wieder auf dem Boden landete. Ich hatte schon bemerkt, dass mit der Kraft dieses Typen nicht zu scherzen war. Verdammt. Ich hoffte nur, dass ich nie wieder was mit ihm zu tun haben musste.

Wir fanden uns an unserem Platz ein, oder zumindest an einem Plätzchen, wo wir noch in Ruhe stehen konnten. Mit ein paar Leuten kamen wir ins Gespräch, jedoch nicht lang, da wurden wir mit dem Läuten einer Klingel zur Ruhe aufgerufen. Drei Gestalten begaben sich auf die Bühne vor uns – Eher noch im Hintergrund standen eine Frau und ein Mann, welche ihre Blicke über die neuen Schüler schweifen ließen. Auf den Lippen der Frau zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, welches aber recht schnell wieder erstarb, als ihre Augen an etwas hängen blieben. Mh, was es wohl war ...? Der Mann neben ihr strahlte allein von dort weit vorn eine unglaubliche Dominanz aus. Niemand würde es sich auch nur im Geringsten wagen, ihm zu widersprechen. Zumindest keiner von den Menschen. Die dritte Person war die blonde Frau vom vorherigen Tag, welche ich um Hilfe gebeten hatte. Mit einem aufgeregten Lächeln trat sie nach vorn an das Mikrofon.

"Wir 'eißen euch 'erzlich Willkommen an der Insignia-Akademie, neue Schüler!", rief sie aus und hob die Arme, wobei sie lachte, gefolgt von einer milden Runde Applaus. Kira und ich stimmten mit ein. Ich mochte diese Frau und ihre Art irgendwie. "Es ist uns eine unaussprechliche Ehre, dieses Jahr so viele neue Gesichter bei uns begrüßen zu dürfen. Menschen so wie auch Vampire befinden sich wie bekannt unter uns und sollen 'ier in Einklang leben und lernen – Voneinander und miteinander! Es wird bei uns nicht einfach werden. Wir werden euer Können und Wissen bis zum letzten bisschen testen. Gebt euer bestes und lernt fleißig. Ich weiß, ihr könnt es schaffen und eure Schulzeit 'ier mit Bravour beste'en! Ich glaube an euch alle!" Mit einer Verbeugung erntete sie eine weitere, lautere Runde an Applaus und trat nach hinten, um den Platz mit der anderen Frau zu tauschen. Ich richtete meine Brille und betrachtete sie genauer. Dunkelbraunes Haar zierte ihr Haupt. Ihre Kleidung war eher schlicht gehalten mit einem schwarzen Oberteil und Rock, welcher ihre Füße bedeckte. Die Haare hatte sie nach oben gebunden, wodurch sie nicht nur elegant aussah, sondern auch eine autoritäre Präsenz ausstrahlte. Erneut beäugte sie die Masse vor sich, bevor sie herzlich und warm lächelte.

"Schülerinnen und Schüler. Jeder von uns weiß, welche Standards wir an der Insignia-Akademie vertreten. Für einige von euch wird es ein Albtraum werden, ich will euch nichts vormachen. Manche werden wir nächstes Jahr auch nicht wieder begrüßen dürfen, aus verschiedenen Gründen. Seid euch aber auch bewusst – Wenn ihr Schwierigkeiten habt, steht euch die Lehrerschaft zur Verfügung." Sie legte die Hände auf ihren Rücken und streckte diesen durch, wodurch ihre Gestalt noch größer wurde. "Als Direktoren dieser Schule wünschen wir uns nur das Beste für unsere Schüler. Es wird nicht leicht für euch, am Anfang miteinander auszukommen. Für derartiges sind auch eure älteren Mitschüler für euch da. Sie teilen gerne ihre Erfahrungen und ihr gesammeltes Wissen mit euch. Fühlt euch frei, euch jederzeit mit ihnen zu unterhalten. Sei es nun im Aufenthaltsraum, bei abendlichen Spielen, während Feiern. Wir werden mehr als nur eine Feierlichkeit abhalten, mehr als nur ein Projekt starten, welches Mensch und Vampir weiter zusammen bringen soll. Wir möchten mit dieser Schule beweisen, dass wir zusammen leben können." Frustriert entwich mir ein Seufzen. Natürlich musste das Thema 'Zusammenleben von Mensch und Vampir' angesprochen werden. Ich für mein Verhältnis hatte nicht vor, viel mit der anderen Rasse zu reden. Sie interessierten mich Schlicht und ergreifend nicht auf eine Art und Weise, welche man 'Verehrung' nenne könnte. Herrgott, sie interessierten mich einfach nicht. Ich wollte einfach nur meinen Abschluss hier schaffen und meine Arbeit als Autorin beginnen. Seufzend setzte ich meine Brille ab und kniff mir in den Nasenrücken. Eine Geste die ich ausführte, wenn ich frustriert oder genervt war. So hatte ich es mir irgendwann angewohnt.

Die Ansprache der Dame war alsbald zuende und die letzte Person trat nach vorn. Dem Mann hätte man auch gut und gerne das Mikrofon wegnehmen können und es hätte keinen Unterschied gemacht. Seine Stimme war laut und hallte durch den Saal. Er ließ keine Widersprüche zu, so wie die Aura, die er ausstrahlte. Ich hörte nicht ganz so gespannt zu wie die anderen, jedoch wurde meine Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne gelenkt, als Kira mich antippte und hindeutete mit den Worten "Ist das nicht der Typ, der dich umgerannt hat?"

Ich weitete die Augen, als ich den Kerl da vorne stehen sah. Mit Stolz erhobenem Haupt und einem widerlichen Grinsen auf den Lippen stand er da – Die mittellang schwarzen Haare zerzaust im Gesicht, die Uniform halb offen, sodass die Frauen (vor allem die Menschlichen) rundherum über seinen Oberkörper schwärmen konnten.

"Ab diesem Jahr wird auch unser Sohn, Caleb, diese Schule besuchen.", sprach der Direktor und wandte sich dem Jungen zu. "Er wird sich organisatorisch um die Feste und Projekte kümmern, um Verantwortung zu lernen. Sobald seine Schulzeit vorbei ist, wird er nämlich das Amt des Direktors antreten und uns ablösen" Na ganz große Klasse.
 

Ich rieb mir die Schläfen und versuchte, meine Kopfschmerzen loszuwerden. Nicht nur, dass ich einen Vampir angerempelt hatte. Nein. Es war auch noch der Sohn der Direktoren. Ich schwor sofort, sollte er mich verpetzen, würde ich ihm die Nase brechen, bevor ich den Campus verließ. Mir egal, ob meine Hand dabei auch für die nächsten Wochen unbrauchbar werden würde. Mir. Sowas. Von. Egal.

"Argh!" Ich könnte mir die Haare rausreißen! Kira neben mir zuckte über mein Ausraster zusammen. Wir befanden uns gerade auf dem Weg zur ersten Unterrichtsstunde und ich war jetzt schon am Verzweifeln. Ich benötigte dafür nicht mal Lernstoff. Nein, alles, was ich brauchte, war eine miese Begegnung mit einem Vampir.

"Das ... das wird schon, Wynne. Ich meine, nur, weil er in unserem Jahrgang ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch in unsere Klasse geht" Ich nickte ihr zu. Wir hatten das Glück, zusammen in eine Klasse gesteckt zu werden. Und ich wollte mich bei welch heiliger Macht auch immer dafür bedanken.

"Na sieh mal einer schau", hörte ich eine nur schon allzu bekannte Stimme sagen. Zum Glück hatte ich den Tag noch nicht vor dem Abend gelobt ...

"Das ist nicht dein beschissener Ernst", entwich es mir, als ich den schwarzhaarigen Vampir am Türrahmen zum Klassenzimmer lehnen sah. Sein Kumpel stand bei ihm, musterte uns und blickte zu dem anderen.

"Was für schmutzige Worte da deinem kleinen Mündchen entkommen, Mensch. Hast du dir etwa nicht die Zähne geputzt?"

"Fragt derjenige, dessen Mundgeruch man bis hier rüber riechen kann. Jetzt mach die Biege bevor meine Laune den Tiefpunkt erreicht"

"Ach, ihr wollt hier rein?", hinterfragte Caleb spöttisch und blickte hinter sich. "Na, was ein Zufall. Sieht aus, als wären wir Klassenkameraden." Mir lief es eiskalt den Rücken runter, als er das Wort dermaßen betonte. Er geilte sich daran auf, wie er mich zur Weißglut bringen konnte. Kochend drängte ich mich an ihm vorbei, gefolgt von Kira. Während sie aber hindurch kam, wurde ich am Handgelenk gepackt und fand mich binnen weniger Sekunden dicht vor dem Vampir wieder. Nur wenige Zentimeter trennten uns voneinander und ich hörte das scharfe Einatmen einiger weiblicher Klassenkameraden.

"Hör zu, Mädel. Im Gegensatz zu dir habe ich hier eine Stimme, eine ziemlich laute sogar. Und wenn du nicht spurst, brauch ich nur mit den Fingern zu schnippen, und du fliegst von der Schule. Also eigne dir Respekt an, oder ich breche deinen Geist, damit du mit hängendem Kopf nach Hause gehst" Vampire und Menschen sollen friedlich miteinander leben, mein Arsch! Ich biss die Zähne zusammen um ihm nicht ins Gesicht zu spucken und weiter damit zu reizen. Was ich jedoch schaffte, war, ihm mein Handgelenk zu entreißen, obwohl er dies vermutlich auch zugelassen hat. Ohne einen weiteren Ton, was für ihn leider als Triumph galt, wandte ich mich ab und suchte mir einen Sitzplatz aus. Kira hatte sich inzwischen schon einen gesucht und mit ihren Sachen eingerichtet. Sie befand sich mit einem anderen Mädchen im Gespräch. Ihre feuerroten Haare waren kaum zu übersehen.

"Wynne!", rief sie mich herüber und deutete auf den Platz, welchen sie neben sich frei gehalten hatte. Die andere saß vor ihr, hatte sich für das Gespräch umgedreht und sich auf dem Tisch abgestützt. Als ich näher kam, entdeckte ich die Armbinde mit einer schwarzen Rose. Ganz große Klasse.

"Hallo", zischte ich. Das Feuermädchen richtete sich auf und blickte mich an.

"Hast du dich gerade ernsthaft mit Caleb Lecrune gestritten?", hakte sie sofort nach und ich seufzte nur genervt.

"Das geht dich einen feuchten Dreck an, Vampir", fuhr ich sie an und setzte mich, bereit, meine Sachen rauszuholen und mich endlich auf den Unterricht zu konzentrieren. Das Mädchen zuckte zurück und suchte bei meiner Zimmergenossin nach Hilfe.

"Wynne, jetzt ... jetzt sei doch nicht so. Nicht alle Vampire sind wie er", versuchte diese mich nun zu beruhigen. Oh, wenn sie wüsste, wie tief mein Hass für diese Biester reichte.

"Es ist mir scheiß egal. Das könnte die heilige Mutter Theresa sein und es wäre mir egal. Vampir bleibt Vampir. Blutsauger bleibt Blutsauger" Verletzt senkte die rothaarige ihren Blick, während ich meine Tasche öffnete und meinen Block und Federmappe herausholte.

"Ich ... Ich bin jedenfalls Neva. Freut mich ..." Ich gab darauf einfach nichts zurück und begann, an einem Konzept zu arbeiten, bis die Stunde beginnen würde. Nach einer Schweigepause fing Kira mit dem Vampirmädchen auch wieder ein Gespräch an.

"Woran arbeitet sie da?", flüsterte die Vampirin noch laut genug, damit ich es hören konnte.

"Vielleicht am nächsten Kapitel ihrer Geschichte. Sie ist die Autorin von 'Schwarze Nacht' und 'Unter einem Himmel'"

"Echt jetzt?!", die andere konnte ihre Aufregung gar nicht verbergen. "Ich liebe diese Geschichte. Am Anfang dachte ich nicht mal, dass es sich um eine Romanze handelt!"

"Es war auch nicht als so eine gedacht", mischte ich mich ein und legte den Stift weg. Ich hatte kaum zwei Zeilen geschrieben. Wie sollte ich auch so arbeiten? "Ich wollte eigentlich nur eine einfache Fantasy-Geschichte schreiben. Der Arbeitstitel hieß auch nicht 'Unter einem Himmel', sondern 'Die Legende von Eleandu'. Nur ... irgendwie haben sich die Charaktere und ihre Geschichte verselbständigt."

"Wie cool ...", murmelte die Rothaarige und sah mich mit strahlend goldenen Augen an. "Du musst dringend den Autoren-Kurs besuchen. Viele Hobbyautoren haben sich schon angemeldet. Mein Bruder auch. Ich kann dir sicher-"

"Ich brauche deine Hilfe nicht, um in diesen Kurs zu kommen", unterbrach ich sie. Und als wöllte die höhere Macht, der ich es zu verdanken habe, mit Caleb in einem Klassenraum zu sitzen, sich entschuldigen wollen, ließ sie es in diesem Moment zum Unterricht klingeln, sodass sich die Vampirin umdrehen und auf den Lehrer konzentrieren musste.
 

Es war durchaus angenehm, nicht dieses nervige hin und her Laufen zu haben, wie an meiner früheren Schule. Der Raum, in dem wir waren, war so gesehen unser Klassenraum. Er befand sich an der Nordseite des Schulgebäudes, direkt über der Mensa. In den Raum passten gut 28 Schüler, keiner mehr und keiner weniger, ohne dass diese aufeinander sitzen mussten. In unserem Alter konnte man wenigstens davon ausgehen, dass die meisten schon einen gewissen Standard an Anstand hatten, wodurch es nur selten (ja, selten) zu Papierknöllchenschlacht kam. Zusammen mit Kira saß ich in der hinteren Reihe, am Fenster, von wo man den Raum recht gut im Überblick hatte. Der großkotzige Vampir saß auf der anderen Seite an der Wand neben seinem Freund, welcher weniger die Klappe aufmachte als der schwarzhaarige neben ihm. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich fast gesagt, dass er der Sohn eines Mafiabosses ist, so wie er sich aufführte. Und es blieb auch nicht unbemerkt, dass sich die meisten Menschen im Zimmer sich für die Mücken interessierten. Solange ich nicht mit reingezogen wurde, war mir das auch recht egal. Da konnte sich auch Kira mit so einem Biest unterhalten. Es war ihr gutes Recht, welches ich ihr nicht nehmen konnte. Sie schien ja auch regelrecht einen Narren an dieser Vampirin gefressen zu haben. Besagte Frau wurde in einer der Pausen von ihrem großen Bruder besucht, welcher gerade mal eine Jahrgangsstufe über ihr war, jedoch glatt 3 Jahre älter aussah. Was ich so mitbekommen hatte, war sein Name Yakeno. Eigentlich interessierte es mich nicht, ich mischte auch in den Gesprächen nicht mit, selbst als es um Schriftstellerei ging und um den Autorenkurs. Der Vampir sprach mich sogar selber an, gab aber auf, als ich nach dem dritten Mal immer noch nicht auf ihn reagierte. Was ich stattdessen tat? Ich arbeitete an meinem Konzept für das nächste Kapitel von 'Schwarze Nacht', welches Kira gierig beäugte. Mir war klar, dass sie unglaublich neugierig war. Anders ging es mir bei ihren Zeichnungen aber auch nicht. Manchmal erwischte ich sie im Unterricht, wie sie einen weißen Zettel hervorholte und begann, darauf zu skizzieren. Sie war unglaublich talentiert, dass mir der Neid fast ins Gesicht geschrieben stand.

"Du musst mal meine Charaktere zeichnen", scherzte ich, als ich eine Skizze von ihr musterte. Ganz nervös mit einem Mal lief die Brünette rot an und starrte auf ihren Bleistift.

"W-Wenn du magst, gern!", erwiderte sie zu meiner Überraschung und ich lachte auf. Oh, das wäre bestimmt interessant. Wenn sie es sogar so gut hinbekommen würde, wie ich vermutete, könnte ich damit ein Cover für das Buch erstellen!
 

Der erste Tag zog sich langsam dahin. Manchmal fand ich mich in einem Gespräch mit Vampiren wieder, ungewollt. Kira brachte mich immer wieder dazu, mit dieser Neva ein zwei Worte zu wechseln, bevor ich mich wieder an meinen Entwurf machte. Der Unterricht war eher langweilig, aber etwas anderes hatte ich mir nicht erwartet. Die ersten Seiten meiner Ordner waren jedenfalls schon mit Notizen beschriftet und bereit, als Lernmaterial verwendet zu werden. Es war nicht besonders viel, da die meisten Lehrer sich erst einmal vorgestellt und erzählt haben, was uns erwartet und was sie für Ansprüche an uns haben. Caleb's dumme Sprüche hie und da trugen auch überhaupt nichts zum Unterricht bei. Am liebsten wäre ich es fast gewesen, welche ihm eine Papierkugel an den Kopf geworfen hätte. Oder ein Stein. Ein Stein wäre passender gewesen.

Die Mensa hatten wir auch besucht. Sie war groß genug, um einige Schüler zu fassen. Die Jahrgangstufen mischten sich hierbei untereinander und es war der perfekte Ort, um sich auszutauschen. Andere zogen es vor, ihre Essenspause nach draußen zu verlegen. Was mir aber auch aufgefallen war – Es gab einige Menschen, deren Kristalle auf den Armbinden hatten andere Farben. Schwarz, wie die Rose der Vampire, wenn ich mich nicht getäuscht hatte. Und die meisten, die einen solchen schwarzen Kristall hatten, waren in der Gegenwart von Vampiren aufzufinden. Was nicht heißen sollte, dass dies unmittelbar miteinander zusammen hing, absolut nicht. Es war nur eine kleine Beobachtung, die ich gemacht habe. In der Schule gab es noch ein System, von dem wir Schüler aus dem ersten Jahrgang nichts wussten. Und eines kann man mir glauben – Ich hätte am liebsten auch nie etwas darüber erfahren.

Alles, was sie benötigte, war ein präziser Schuss. Gut platziert über der Schwachstelle eines jeden Lebewesens – Dem Herzen. Es gab kein Wesen, das dies überleben würde. Mit ihrer handgefertigten Waffe zielte sie auf die Stelle, das vor Angst verzogene Gesicht ihres Gegenübers brachte ihr Herz zum schneller schlagen. Sie wartete nicht lang und drückte ab. Blut beschmutzte ihre Hände, aber das war nicht das erste Mal, dass dies der Fall war. Sie war es gewohnt zu töten. Es war Teil ihrer Rache. Denn irgendwann war sie nah genug an ihm dran. Irgendwann hatte sie seine Lakaien ausgemerzt und wäre bereit, ihrem Anführer gegenüber zu treten und ihre Rache zu bekommen.
 

Die ersten zwei Monate zogen sich dahin. Der Unterricht lief normal ab und es gab gelegentlich Gruppenarbeiten in manchen Fächern, bei welchen es sich die Lehrer zum Spaß machten, die Rassen untereinander zu mischen. Aber immerhin befand ich mich noch in der Gnade eines unsichtbaren Schutzgeistes und wurde noch nicht mit Mister 'Mein Ego ist zu groß für dieses Gelände' zusammen gesteckt. Im Allgemeinen sahen wir uns nicht einmal mit unseren Hinterteilen an, wenn wir uns begegneten. Von einem Gespräch ganz zu schweigen. Er erhob sich selber recht schnell zur Glucke der Klasse und man sah ihn oft im Mittelpunkt. Was sollte man aber auch anderes erwarten.

Was mich anging – Ich hatte mich für den Kurs eingeschrieben und wartete noch immer auf eine Antwort. Es hieß, dass die Schüler des ersten Jahrganges mindestens drei Monate warten müssten, nachdem sie eine Anmeldung abgegeben hatten. Gelegentlich besuchte uns der Bruder der Mückenfreundin von Kira und versuchte, mit mir ein Gespräch anzufangen und mir zu vergewissern, dass sie mich auf keinen Fall übergehen würden. Mit einem leisen Seufzen hatte ich mich schlicht bedankt und wieder meiner Arbeit zugewandt. Es war nicht so, dass ich nicht mit den anderen redete. Kira musste mich auch unbedingt darauf hinweisen, dass ich die Vampirin mit ihrem Namen angesprochen hatte. Ich vermied es an sich eigentlich, aber in letzter Zeit fiel auch mir auf, dass ich mich etwas mehr mit Neva unterhielt. Na gut, im Gegensatz zu manch anderen konnte man mit ihr noch reden.

Was in dieser Schule tatsächlich groß geschrieben wurde, war diese 'Zusammenarbeit'. Man wollte uns hier unbedingt eintrichtern, mit den Vampiren zurecht zu kommen, genauso auch umgekehrt. In den höheren Klassenstufen konnte man eine Auffälligkeit beobachten – Die beiden Rassen hingen recht nah beieinander, meistens hatten die Menschen, die sich sehr stark in der Nähe von Vampiren aufhielten, diesen schwarzen Kristall. Also musste es da irgendeinen Zusammenhang geben.

Ich hatte mir vorgenommen, mir nicht allzu sehr Gedanken darüber zu machen. Es war zwar nicht einfach, aber es gelang mir dennoch, mich mit meinem Schriftstück abzulenken. Ein paar Kapitel mehr konnte ich meiner Geschichte nun hinzufügen und hatte diese auch online gestellt. Die ersten Kommentare waren von meinen Freunden zuhause. An den ersten Wochenenden hatte ich kaum Zeit gefunden, etwas mit ihnen zu unternehmen und das hielten sie mir vor. Aber ich fand es wichtiger, das Gelände abzugehen und mir dabei die Gebäude einzuprägen, denn der Campus bestand nicht nur aus Wohnzimmern und Schulgebäude. Es gab noch Sporthalle und -platz, ein Gebäude für Freizeitaktivitäten und eine Schwimmhalle. Logisch, wenn man bedachte, dass in unmittelbarer Nähe nicht mehr als ein Wald war. Und in einem See wollte ich sicher nicht schwimmen gehen.

Während unserer ersten Woche zeigte man uns noch viel von der Schule. Die verschiedenen Stockwerke waren unter den Jahrgängen aufgeteilt und Klassen wurden vom finanziellen Stand her gemischt. Das hieß: Es gab Fünf Stockwerke, jeweils eins für jeden Jahrgang. Das wiederrum bedeutete, dass man für fünf Jahre an dieser Schule gefangen war. Außer man vermasselte es in Hinsicht von erbrachter Leistung oder dem eigenen Verhalten. Oder die Eltern nahmen einen wieder von der Schule, weil man ein verzogenes und verwöhntes Kind war und mit dem Leben nicht zurechtkam. Und ganz ehrlich – Diese Schule hatte eigentlich alles und man brauchte sich nicht über Kleinigkeiten zu beschweren. Ich wusste zwar nicht, wie es in der unteren Schicht aussah, aber auch den Schülern schien es nicht allzu schlecht zu gehen. So schlimm konnte es also nicht sein.

Was die Klassen betraf, so hatte jede davon einen Mischmasch aus ärmeren und wohlhabenderen Leuten. Ein paar von den Verwöhnten hielten sich natürlich für etwas Besseres und redeten nicht mit den Ärmeren. Die meisten in der Jahrgangstufe über uns hatten diese Art abgelegt und erzählten, dass man so in dieser Schule nicht weiterkam. Sie waren in mehr als nur eine Falle getappt, als sie versuchten, ihre Probleme allein zu bewältigen. Das bezog sich auch auf die Zusammenarbeit mit der anderen Rasse – Leider. Momentan war noch keiner darauf aus, große Freundschaften zu schließen. Jeder versuchte, beim anderen Geschlecht einen guten Eindruck zu machen, ohne darauf zu achten, ob derjenige einem in den nächsten Sekunden am Hals hängen könnte.

Während der ganzen Vorstellungsgeschichte erzählte man uns auch von der Schulwebsite, auf welche man nur als eingetragener Schüler zugreifen konnte. Dafür brauchte man Daten, mit welchen man sich einloggte um auf alles zuzugreifen. Und lasst mich euch eines sagen – Dort gab es alles. Ohne Probleme konnten wir auf unsere Stundenpläne zugreifen und jegliche Änderungen mitbekommen. Vertretungen und Ausfall wurden separat vermerkt und übersichtlich gelistet. Auf einer anderen, dazugehörigen Seite befand sich eine Liste mit den Namen der Lehrer, einem Bild und deren Zuständigkeitsbereich. Die blonde Frau von meinem ersten Tag an der Schule war unter 'Spezialstunden' vermerkt. Ihr Name lautete Cécilia Legrand, sie war Organisatorin und Sprecherin für die Schule. Alles, was an die Direktoren ging, bekam auch sie mit und anscheinend war es ihre Entscheidung, ob es überhaupt weiter geleitet werden würde. Am häufigsten traf man sie im Sekretariat an, manchmal auch in der Mensa, wo sie sich vor allem mit denen aus dem letzten Jahr unterhielt.
 

Wären die Vampire nicht, könnte man meinen, das hier sei eine ganz normale Schule. Mit dem Unterschied, dass man nicht mit einem festen Alter hier her kam. Entweder entschieden die Eltern oder man selber, wenn man alt genug war. Deswegen sah Yakeno auch drei Jahre älter aus als Neva, er war es nämlich tatsächlich. Während ihre Eltern entschieden, dass die Rothaarige bereits mit 17, so wie auch Kira, an diese Akademie gehen sollte, war es bei ihrem Bruder so, dass er erst mit 19 dieses Gelände betreten hatte. Er war halt nicht gerade der Schnellste, wie mir auffiel. Manchmal, wenn er uns in den Pausen Gesellschaft leistete, schweifte sein Blick ab und er schien in eine ganz andere Welt einzutauchen. Neva musste ihn dann in die Realität zurückholen. Es wunderte mich, wie er überhaupt noch hier war, wenn er im Unterricht genauso weg trat. Diese Angewohnheit machte ihn aber zu einem umso besseren Schriftsteller. Er hatte uns im Laufe des Gesprächs seinen Benutzernamen auf der Webseite genannt, auf welcher auch ich meine Werke hoch lud. Und neugierig wie ich war, konnte ich mir das natürlich nicht entgehen lassen.

"Eines muss man ihm lassen", meinte ich eines Abends eher zu mir selber, doch Kira lauschte mit, während sie gerade ihre Haare nach der Dusche trocknete. "Er hat einen interessanten Schreibstil. Man könnte fast meinen, er schreibt, wenn er in dieser Trance ist"

"Vielleicht ist er währenddessen nicht abwesend, sondern nimmt nur alles anders wahr?" Ihre Aussage gab mir einen wichtigen Denkanstoß und ich blickte zu der kleinen Brünetten. Das könnte sein. Man könnte es als eine Art Kraft oder Fähigkeit von ihm ansehen. Ob jeder Vampir etwas Derartiges besaß? Eine gute Frage, die mich zum Nachdenken brachte. Es würde einigen von ihnen die Beutejagd einfacher machen. Daran zu denken jagte mir einen Schauer über den Rücken. Natürlich mussten diese Monster noch irgendwas haben. Sie durften ja nicht einfach nur perfekt sein, nein. Mutter Natur spielte Bitch und gab ihnen auch noch übernatürliche Fähigkeiten. Fuck my life.
 

Neuer Tag, neues Glück. So sagt man doch eigentlich. Manche Tage waren für mich eher unglücklich, aber ich machte das Beste daraus. Hätte ich gewusst, dass mich der Horror meines Alltags erwarten würde, wäre ich im Bett geblieben und hätte mich krankschreiben lassen.

Der Unterricht verlief recht normal. 'Lebenskunde' war eines der Fächer in dem wir das eine oder andere über den anderen lernten. Menschen lernten über Vampire und umgedreht. In diesem Fach war es in den letzten zwei Monaten vermehrt zu Zweier- oder Gruppenarbeiten gekommen, immerhin war das angestrebte Ziel ein harmonisches Miteinander Leben und Arbeiten. Meinetwegen hätte man mich mit jedem Vampir der Klasse zusammenstecken können. Es waren ja nicht einmal genügend anwesend, um auf jeden Menschen einen Vampir zu zählen. Bislang hatte ich immer Glück gehabt und musste mit jemanden von meiner Rasse arbeiten. Diesmal aber musste mir das Schicksal so richtig in den Arsch treten.

Der Lehrer rief die Namen derer hintereinander auf, welche zusammen arbeiten mussten. Kira hatte Glück und bekam Neva – Was für ein Zufall, ich würde ja glatt behaupten, da mangelt es jemandem an Kreativität beim Schreiben -, während ich die Arschkarte schlechthin zog.

"Miss Amand. Mister Lecrune", rief der Lehrer auf und die Welt um mich herum blieb stehen und mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. Scheiße. Verdammt. Besagter Vampir sah auch nicht begeistert drein, als er mich ansah. Eher konnte man ein 'Ist das euer verdammter Ernst?' rauslesen. Verzweifelt legte ich meine Brille ab und kniff mir in den Nasenrücken. Das konnte einfach nicht wahr sein. Das durfte einfach nicht sein. Die Teams fanden langsam zueinander. Mit einem leisen 'Viel Glück' stand Kira auf und setzte sich zu Neva, um ihre Arbeit zu beginnen. Der Idiot fand sich bald neben mir ein, ausnahmsweise ohne einen Ton des Spotts von sich zu geben. Klasse, ich konnte mich kein bisschen aus unsere Aufgabe konzentrieren. Verwirrt blätterte ich in unserem Buch und versuchte, mich daran zu erinnern, was wir eigentlich tun sollten.

"Unsere Aufgabe ist es, die Vor- und Nachteile des Zusammenlebens aufzuschreiben, Trottel", meldete sich der Vampir zu Wort und entriss mir das Buch, um die richtige Seite aufzuschlagen. Zischend blickte ich ihn an und verengte die Augen, entschloss mich aber dazu, mich einfach der Arbeit zu widmen, ohne ihm großartig viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ohne es abzusprechen übernahm er die Vor- und ich die Nachteile. Es ging mir leichter von der Hand, diese aufzulisten und aufzuzählen. Zu meiner Überraschung arbeitete er ebenfalls recht gewissenhaft und ohne sich großartig ablenken zu lassen. Meine Neugierde verfluchte ich jedoch jedes Mal, wenn ich einen Blick auf ihn warf. Wenn er nicht gerade ein Arschloch sein musste und mir auf die Nerven ging, sondern ernst auf seine Notizen starrte und arbeitete, kam er einem schon ganz sympathisch vor für einen Blutsauger. Das lag wohl daran, dass er seine Klappe einfach nicht aufmachte. Sobald er das nämlich tat, strotzte er nur so von Idiotie und Ego bis zur Decke.

Was mir vorher nie aufgefallen war – zum einen, weil es mich nicht interessierte und zum anderen, weil ich ihm nie wirklich so nah war, ohne dass wir uns gegenseitig ankeiften -, war der kleine Ohrring in seinem rechten Ohr. Es sah aus wie eine kleine schwarze Feder und er stellte sicher, dass man diese auch sehen konnte, denn jedes Mal, wenn eine Strähne davor fiel, strich er sich diese sofort wieder hinters Ohr.

"Mach doch ein Foto, hält länger", sagte er zu mir gewandt und grinste mich hämisch an. Er hatte mich ertappt, ganz große Sache. Und da ließ er auch wieder den Macker raushängen.

"Eher zerstör ich meine Kamera, anstatt sie für ein Foto von dir zu misshandeln. Im Gegensatz zu dir empfinde ich Mitleid"

"Du willst gar nicht wissen, wie Leid du mir manchmal tust. Du versuchst hier die Starke zu mimen aber ich merke, dass du gerade zitterst"

"Ich zittere gar nicht!", widersprach ich lautstark und lenkte ungewollt die Aufmerksamkeit der Klasse auf mich. Mit einem Räuspern mischte sich unser Lehrer ein.

"Amand, wenn Sie das Bedürfnis haben, zu schreien, dann tun Sie das bitte während der Pause. Ansonsten müsste ich Sie meines Unterrichts verweisen"

"Verzeihung ...", entschuldigte ich mich kleinlaut und senkte den Kopf. Die Peinlichkeit machte schnell der Wut wieder Platz, als ich Lecrune neben mir kichern hörte.

"Wende dich deiner Arbeit zu, anstatt wie ein kleines Mädchen in deinen nicht vorhandenen Bart zu kichern, Blutsauger"

"Wärst du nicht so zickig, könnte ich dir zeigen, dass ich auch ganz andere Dinge sauge"

Vor Scham und Wut gleichzeitig rot im Gesicht holte ich mit meiner flachen Hand aus und fuhr mit dieser mit gewaltiger Kraft über die Wange dieses Kerles, ohne weiter darüber nachzudenken. Perplex hielt er sich die Wange und starrte mich an, während ich meine Sachen packte, mich entschuldigte und den Raum verließ. Das ließ ich nicht mit mir machen! Angepisst ging ich die Treppe runter und verließ das Gebäude. Um meine Arbeit fortzusetzen, beschloss ich, mich im Vorgarten auf eine der Bänke zu setzen und meine Notizen zu vervollständigen. Wirklich konzentrieren konnte ich mich dabei nicht mehr, diese Unverschämtheit blieb einfach zu stark in meinem Kopf hängen. Und ich wusste jetzt schon, dass es das nächste Kapitel meiner Geschichte beeinflussen würde.
 

Als es zur Pause läutete begab ich mich zurück zum Klassenzimmer. Kurz vor der Tür wurde ich von unserem Lehrer abgefangen und nach einer Erklärung für mein Verhalten gefragt.

"Ich hätte nicht gedacht, dass eine derartig respektlose Dame in Ihnen steckt, Amand.", tat er seine Enttäuschung über mich kund, bevor er mich überhaupt erklären ließ. Seufzend entschuldigte ich mich, versuchte dann aber auch, meinen Standpunkt zu erklären. Man nickte mir nur zu, verstand mich wohl auch bis zu einem gewissen Punkt, jedoch konnte man auch nach der Erklärung mein Verhalten nicht gut heißen. Da es das erste Mal war, dass ich so auffiel, beließ mein Lehrer es dabei und wünschte mir eine schöne Pause. Ich bedankte mich und betrat das Klassenzimmer. Ohne mich umzusehen lief ich auf meinen Platz zu, erleichtert, Kira dort wieder vorzufinden und mich nicht mit dem Arschloch an Persönlichkeit auseinander setzen zu müssen.

"Geht's dir gut?", fragte Neva kurz nachdem sie sich umgedreht und ihre Arme auf unseren Tisch gelegt hatte. Ich war mit nicht ganz sicher, ob ihre Sorge ernst gemeint oder nur geheuchelt war, aber ich ließ mich einfach mitreißen und redete mit ihr. Sie war mir um einiges lieber als dieser Idiot.

"Wie man's nimmt. Das war mir grad einfach zu viel", erklärte ich. Als nächstes meldete sich die neugierige Kira zu Wort.

"Was ist eigentlich passiert? Ich weiß, dass ihr euch gegenseitig gerne mit Worten angreift, sobald ihr auch nur einen Tonwechsel habt, aber ich hätte nicht gedacht, dass du ihn schlägst!"

"Sag wir es so: Ich begebe mich sicherlich nicht auf ein vulgäres Niveau herunter, welches sich unter der Gürtellinie befindet .... wortwörtlich" Die beiden Mädchen verstanden, worauf ich hinaus wollte. Die Vampirin erklärte mir, dass es Gerüchte gab, dass Lecrune schon öfter dabei erwischt wurde, wie er auf eine sehr direkte Art und Weise mit anderen Mädchen flirtete. Es war wohl eher die Tatsache, dass es an mich gerichtet war, was die beiden überraschte.

"Jedenfalls", versuchte die Brünette nun abzulenken und lächelte uns an. "Wie weit bist du mit dem neuesten Kapitel?"

"Zwei Seiten stehen. Der Rest kommt vielleicht heute Abend, sonst am Wochenende. Willst du schon lesen?" Kira schüttelte den Kopf. Sie gehörte zu der Sorte, die lieber wartete und alles las, anstatt nur kleine Bruchstücke der Geschichte vorgelegt zu bekommen. Das gefiel mir, sie war auch geduldig, anders als manch andere Leute in meiner Leserschaft, darunter auch Neva. Für mich war es ziemlich überraschend, wie menschlich sich die Vampirin verhielt. Wüsste ich es nicht besser – und gäbe es nicht das kleine Symbol an der Armbinde – würde ich fast behaupten, sie wäre ein einfacher Mensch.

Die große Pause verlief eigentlich wie jede andere. Gerade, als die meisten von uns sich auf den Weg zur Mensa machen wollten, betrat Miss Legrand unseren Klassenraum und rief alle zur Ruhe auf.

"'erge'ört, liebe Mitschüler!" Damit machte sie auf sich aufmerksam und stellte sich vor die Leinwand, auf welche der Unterrichtsstoff projiziert wurde. "Die nächste Stunde findet für euch Erstklässler im 'auptsaal statt. Es gibt noch einiges zu besprechen und zu erklären. Das wichtigste möchten wir 'eute mit euch ab'aken. Bitte findet euch nach der Pause im Saal ein. Es wird keine zweite Möglichkeit geben, die Informationen, die euch dort gegeben werden, zu er'alten."

Sie bedankte sich für unsere Aufmerksamkeit und verschwand ebenso schnell wie sie erschienen war. Verwirrt sahen wir uns gegenseitig an. Also gab es an der Schule tatsächlich noch einige Geheimnisse, in die wir nicht eingeweiht wurden. Neva war die einzige, die sich unserer Verwirrtheit nicht anschloss.

"Weißt du, worum es dabei geht?", fragte Kira nach. Die Rothaarige nickte ihr zu, verlor jedoch kein Wort darüber.

"Dank Yakeno. Eigentlich dürfte ich darüber noch nicht Bescheid wissen" Sie zuckte mit den Schultern und legte den Kopf schief. Etwas, was man außerhalb des Saales nicht mehr erfahren würde. Zum einen weckte es meine Neugierde, zum anderen aber hatte ich das Gefühl, dass ich es bereuen würde.
 

Kurz vor Ende der Pause fanden sich die Schüler allesamt im Saal ein, mich eingeschlossen. Ich wurde zwar dieses üble Gefühl nicht los, aber ich wollte einfach wissen, worüber sie uns noch aufklären wollten. Jeder von uns fand seinen Platz, wo er stehen konnte, ohne jemand anderen auf die Füße zu treten. Die Vampirin hatte sich am Eingang von uns getrennt, da sie zu den Vampiren ging, während wir uns den Menschen anschlossen. Es kam mir so vor, als wäre die ganze Angelegenheit mit der Vermischung der Rassen in den höheren keine große Sache mehr. Bei uns hatten alle den Stock noch zu tief in ihrem Hinterteil, als dass sie sich irgendetwas zutrauen würden.

Kurz nach dem Läuten der Klingel betrat die blonde Dame die Bühne und rief alle zur Ruhe auf. Diesmal war sie alleine und ohne die Direktoren im Rücken anwesend. Sie ließ ihren Blick über die Schüler schweifen und räusperte sich, bevor sie zu sprechen begann.

"Anscheinend sind wir fast vollständig. Mir wurde berichtet, dass nicht alle anwesend sind, aber das soll nicht unser Problem sein. Ich bitte jeden von euch, dass das, was wir 'eute 'ier besprechen, nicht diesen Saal und erstrecht nicht das Schulgelände verlassen wird."

Kurz blickte ich zu Kira. Es dauerte nicht lange, da erwiderte sie meinen Blick und schluckte schwer. Handelte es sich bei dieser Angelegenheit um etwas Illegales? Ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, aber wieso sollte es denn sonst ein solches Geheimnis sein?

"Auf unserer Schule gibt es ein ge'eimes System. Außer'alb dieser Mauern kennt es kein Mensch und kein Vampir, da es sich auf unsere Schule beschränkt." Sie atmete tief ein und passte ihre Haltung an. "Zusammen mit den Gründern dieser Schule, unserer Direktoren, 'aben wir ein System ins Leben gerufen, welches nicht nur den Zusammenhalt stärken, sondern auch die Vampire ein wenig unterstützen soll. Es 'andelt sich 'ierbei um eine Art Dienerschaft. Ein Vampir ist in der Lage, einen Menschen anzufragen, ob dieser dazu bereit wäre, freiwillig sein Blut darzubieten. Das wichtige Wort ist 'ierbei 'freiwillig'. Keinem Vampir ist es erlaubt, einen Menschen derartig zu erpressen, dass sich dieser gezwungen fühlt, die Dienerschaft anzunehmen" Erneut holte die Frau Luft, während mir jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Eine Dienerschaft? Was sollte das denn jetzt bitte? Wir sollen diesen Blutsaugern unser Blut anbieten? Freiwillig? Das ich nicht lache!

"Es ist ein Angebot, von dem beide Seiten profitieren, vor allem die finanziell instabileren unter euch. Solltet ihr euch dazu entscheiden, die Dienerschaft anzunehmen, wird ein Teil eurer Studiengebühr von der Familie des Vampirs bezahlt. Immerhin bietet ihr etwas an, was ein Teil von euch ist – ein sehr wichtiger Teil. Seht es als eine Art Entschädigung an." Sie schloss für eine kurze Zeit die Augen, um sich zu sammeln und weiterreden zu können.

"Es gibt einen bestimmten Begriff für diejenigen, die diese Dienerschaft annehmen. Die Mädchen unter euch würden als 'Bluts-Maid' bekannt werden, die Jungen als 'Bluts-Diener'. Außer'alb dieser Mauern hat dieser Titel jedoch keine Bedeutung. Es ist eine Art Test, den wir 'ier durchführen und dabei ist es sehr wichtig, dass ihr bedenkt, dass dies alles auf freiwilliger Basis geschieht. Niemand ist dazu gezwungen, die Bitte des Vampires anzunehmen. Umgekehrt ist die Bittstellung und Ablehnung ebenso möglich."

Mit einem ernsten Blick, jedoch auch einem freundlichen Lächeln sah sie auf uns hinab. "Diejenigen von euch, die diesen Titel annehmen und einem Vampir dienen, werden von mir speziell unterrichtet. Es gibt vieles, was ihr als Diener oder Maid wissen müsst, da manche von euch euren zugehörigen Herren oder eure zugehörige Dame auch nach der Schule begleitet. Dies ist nicht selten vorgekommen, jedoch müsst ihr wissen, was euch in diesem Leben erwartet. Dies erfahrt ihr nicht im Rahmen des normalen Unterrichts. Im Gegenzug dazu wird das Fach 'Lebenskunde' von eurem Stundenplan gestrichen." Nun klatschte die Frau in die Hände und wippte kurz auf und ab. Man sah ihr die Aufregung an, neue Schüler unter ihre Fittiche zu nehmen. Die Erklärung ging weiter, denn anscheinend wurden in diesem Unterricht alle Jahrgänge miteinander vermischt. Ich schaltete nach der Hälfte ab und fasste mir an den Kopf, von den Schmerzen überwältigt, welche sich darin bildeten. Eine Dienerschaft, in welcher ein Mensch freiwillig sein Blut einem Vampir darbot. Wie sollte das ablaufen? Gab es pro Vampir mehr als nur einen Mensch? Dinge, über die ich mir den Kopf nicht zerbrechen sollte, schwirrten durch meine Gedanken. Verdammt nochmal!
 

Als die Stunde endete, hatte ich das Gefühl, als hätte ich Tage dort gestanden. Mir tat alles weh – am meisten mein Kopf. Ich konnte mir das ganze einfach nicht vorstellen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie etwas Derartiges funktionieren sollte, ohne dass man mit Schwächeanfällen in den Unterricht kommt! Verzweifelt lehnte ich mich draußen an eine Wand und atmete tief durch. Aus meiner Tasche holte ich eine Trinkflasche und nahm einen Schluck, hoffte, dass meine Kopfschmerzen daher kamen, dass in diesem Saal extrem schlechte Luft war. Kira war bereits in unser Zimmer zurückgegangen und Neva war ich nicht noch einmal begegnet, nachdem die Versammlung aufgelöst wurde. Ich hatte also einen Moment für mich und konnte meinen Kopf klar bekommen.

Kaum hatte ich mich wieder genug gesammelt und wollte ebenfalls auf mein Zimmer zurückkehren, kam mir der Vampir entgegen, den man ständig an Lecrune's Seite sah. Sein Name wurde bislang noch nicht genannt, er schien mir eine eher unauffällige Gestalt zu sein, ein Schoßhündchen, das nicht viel zu sagen hatte.

"Wynne, Caleb will dich sprechen", sprach er mich an.

"Ach ja? Richte ihm aus, dass er mich mal am Arsch lecken kann. Soll er selber herkommen, wenn er was von mir will" Nicht, dass ich ihm irgendwelche Beachtung schenken würde, vor allem nach der Aktion heute. Mein Gegenüber fuhr sich einmal durch die Haare und grummelte genervt vor sich hin.

"Seit wann sind Menschen so kompliziert", murmelte er leise, dennoch verständlich. Ah, ich hatte es wohl mit jemandem zu tun, der nicht besonders viel Wert auf das legte, was uns hier beigebracht wurde. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte, fiel mir auch ein, dass er so gut wie nie mit Menschen kommunizierte. Er war wie ich – Nur ein Vampir. Wieso also hatte er die Aufgabe angenommen, nach mir zu suchen?

"Hör zu, Amand. Ich habe keine Lust, lange mit dir zu diskutieren, also kommst du jetzt mit, bevor ich dich zwingen muss", drohte er mir und verschränkte die Arme mit einem eiskalten Blick.

"Mich zwingen?", wiederholte ich spöttisch und konnte mir ein Lachen nur leicht verkneifen. "Das würde ich nur zu gerne sehen!" Jeder andere würde davon absehen, einen Vampir herauszufordern. Und ich sprang der Gefahr fast wortwörtlich in die Arme.

"Du miese kleine Hu-"

"Ah ah, Louis. Das wird nicht nötig sein" Und da mischte er sich wieder ein, Mister 'Ich bin so wichtig, man sollte den roten Teppich vor mir ausrollen'. "Du bist eine sture Göre, weißt du das?"

"Du bist ein unausstehlicher Mistkerl, weißt du das?", gab ich nur zurück und diesmal war ich es, die die Arme verschränkte.

"Au, das hat gesessen", jammerte er theatralisch und fasste sich ans Herz. Als ob er eins hätte. "Jedenfalls bin ich wegen einem ganz gewissen Grund hier, Amand"

"Und der wäre, neben dem Grund, mir meinen Tag mit deiner Anwesenheit zu vermiesen? Nicht, dass ich es vermeiden könnte, da wir ja leider in eine Klasse gehen"

Er lachte leise und steckte seine Hände in die Taschen seiner Jacke.

"Ich will, dass du meine Bluts-Maid wirst"

Und da dachte ich, mein Tag könnte nicht beschissener werden.

"Ich will, dass du meine Bluts-Maid wirst", erneut schallte diese Aussage durch meinen Kopf. Ungläubig starrte ich den Typen vor mir an. Louis stellte sich nun eher in den Hintergrund und räumte uns mehr Privatsphäre ein. Nachdem ich mich gefangen hatte, prustete ich laut los.

"Du willst, dass ich deine Bluts-Maid werde?", hakte ich nach und er nickte. Das konnte nicht sein Ernst sein. Er sagte das doch einfach nur so, weil er vermutete, ich würde zusagen, nur um sich dann über mich lustig zu machen, weil er mich als Scherz fragte.

"Vergiss es", antwortete ich und erntete einen überraschten Blick. Erstens, ich hätte so oder so keine großen Probleme, das Studiengeld zu bezahlen. Zweitens, hatte ich keine Lust, diesem Arsch auch nur einen Tropfen von meinem Blut anzubieten. "Ich fresse eher 100 Frösche, bevor ich dich auch nur von meinem Blut kosten lasse."

"Ich hoffe, dir ist klar, dass du diese Entscheidung bereuen wirst", mahnte er mich und die unterschwellige Drohung entging mir nicht. Aber entgegen seiner Erwartungen ließ ich mich davon nicht einschüchtern. Und was hatte Legrand gesagt? Kein Vampir hatte das Recht, einen Menschen zu erpressen. Der Sohn der Direktoren war dabei keine Ausnahme.

Ohne ein weiteres Wort von mir zu geben schnappte ich mir meine Tasche und kehrte zu den Schlafgemächern zurück, damit ich endlich weiter an meiner Geschichte arbeiten konnte. Verfolgt von dem Ereignis fand ich keine Ruhe, bis ich endlich auf dem Stuhl saß und mich nach hinten lehnte. Verdammte Axt, was war nur in diesen Typen gefahren?

"Alles okay? Du siehst blass aus", sprach mich Kira von der Seite an. Ich sah zu ihr, gerade als sie sich auf den anderen Stuhl setzte und ihren eigenen Laptop anschaltete, vermutlich um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Ich zu meinem Teil stieß einen frustrierten Laut aus und beugte mich nach vorne, stützte mich dabei mit den Armen auf meinen Knien ab.

"Nichts ist okay. Die ganze Sache stinkt doch bis zum Himmel. Bluts-Maid? Bluts-Diener? Sind die noch ganz bei Trost?" Je mehr ich sprach, desto lauter wurde meine Stimme. Ich wusste doch gleich, dass das hier eine Höllenbude war. Das Mädchen neben mir zuckte leicht zusammen, ich konnte mir gut vorstellen, dass sie meine Ansicht nicht teilte. Sie war viel offener den Vampiren gegenüber. Trotzdem hoffte ich, dass niemand auf sie zuging und nach dieser Dienerschaft fragte. Und wenn doch, würde ich demjenigen vermutlich ins Gesicht schlagen.

Um ein wenig Dampf abzulassen, entschloss ich mich dazu, ein paar Runden Downlook zu spielen. Also holte ich mein Headset raus, verknüpfte es mit den dazugehörigen Ports und loggte mich in unseren Sprachserver ein.

"Aaaaai, LuvLuv!", wurde ich sofort lautstark von Pin begrüßt. "Wir dachten schon, du lässt dich gar nicht mehr bei uns blicken. Erzähl mal – wie ist es? Auf unsere Kommentare reagierst du ja nicht, du Schnalle!"

Ich schmunzelte auf ihre Beleidigung hin, entschied mich aber auch dazu, sie zu bitten, das Thema 'Schule' fallen zu lassen und lud sie zu ein paar Runden Schnellspiel zum Aufwärmen ein, bevor wir unsere kompetitiven Matches anfingen.

Downlook hatte schon immer diese eigenartige Angewohnheit, mich runterzubringen. Oder zumindest regte ich mich über ganz andere, trivialere Dinge auf und vergaß meinen Alltagsstress. Während ich versuchte, Suizidgänger zu heilen und Flanker zu eliminieren, entwich mir das ein oder andere Schimpfwort. Nach einiger Zeit saß Kira sogar neben mir und beobachtete mich über meine Schulter hinweg. Manchmal stellte sie mir Fragen, was ich da tat, was das Ziel war, warum manche den Abgrund hinuntersprangen. Ja, auch in den höheren Bereichen gab es Leute, die nicht richtig kalkulierten und sich damit selber umbrachten.

Gegen Abend beschloss ich, nach dem Abendbrot noch meine Hausaufgaben zu machen, bevor ich mich schlafen legen würde. Zusammen mit meiner Zimmergenossin ging ich zur Mensa, um mir noch eine kleine Mahlzeit zu gönnen. Sie hatte auch gerade Hunger und wir hatten nach der ganzen Aufregung glatt vergessen, uns etwas zu Essen mitzunehmen. Auf dem Weg dorthin trafen wir immer wieder vereinzelt auf andere Schüler, wie ich vermutete stets unterschiedliche Rassen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass viele nun die Gelegenheit nutzten und die Dienerschaften formten. Diese mussten dann natürlich auch berichtet werden, sonst wäre es nicht gültig. So viel hatte ich noch mitgeschnitten. Und ich wünschte mir gerade, ich hätte an der Versammlung nicht teilgenommen.

Gegen Abend war es immer angenehm, die Mensa zu betreten. Es war nicht so überfüllt wie zur Mittagsstunde. Das Frühstück lieferte man uns meist an die Zimmer, sodass wir nicht in den Trubel gelangten. Zimmerservice auf einer Schule – Wenn das mal kein Luxus war. Noch dazu musste man erwähnen, dass man sich nicht über das Essen beklagen konnte. Es gab zwar nicht immer etwas, was jedem schmeckte, aber meistens konnte man sich dann mit etwas anderem zufrieden stellen. Wer nämlich die warme Mahlzeit nicht wollte, konnte sich gut und gerne auch etwas Brot nehmen.

Wir setzten uns also mit unseren Tellern an einen Tisch und begannen zu essen. Währenddessen reflektierten wir über die Geschehnisse des Tages – Die Gruppenarbeit, mein Aussetzer, die Ansprache. Kira klang recht aufgeregt, als es um das Thema 'Dienerschaft' ging. Mit ihrem Wesenszug konnte ich es ihr nicht verübeln, sie war ja auch nicht wie ich. Meine Wenigkeit konnte auch nicht davon ausgehen, dass jeder meine Gedanken und Einstellungen teilte. Herrgott, ich habe doch sogar selbst gesehen, wie sich die weibliche Schülerschaft um diesen blutsaugenden Volltrottel flockte. Die Brünette konnte sich nur nicht vorstellen, wem sie als Bluts-Maid dienen sollte. Was sie außerdem eher interessierte, war der damit verbundene Unterricht. Ob dieser wohl schwerer war, als das, was wir bislang hatten? Ich konnte auch diese Frage nur mit den Schultern zucken, ich hatte im Allgemeinen keine Ahnung von der ganzen Sache und wollte mich auch nicht weiter damit beschäftigen.

"Außerdem", fing ich irgendwann an als ich dachte, dass sie das Recht hatte, es zu erfahren. "Du-weißt-schon-wer hat mich gefragt, ob ich seine Bluts-Maid werden will."

Fast wäre ihr nach der Aussage das Essen wieder aus dem Mund gefallen. "Echt jetzt?!"

"Na ja, gefragt ist auch heiliggesprochen. Er hat eher gefordert, dass ich die Dienerschaft annehme"

"Und ... was hast du gemacht?"

"Was wohl? Abgelehnt. Diesem Idioten geb ich doch mein edles Amand-Blut nicht!"

Die kleinere hob eine Braue, woraufhin ich sie nur verwirrt anblickte.

"Ihr nehmt euch in eurem Ego manchmal echt nicht viel"

"Ich bin kein bisschen wie dieses eingebildete Stück Dreck!"

Ohne ein weiteres Wort schüttelte sie nur den Kopf und aß weiter. Ich saß noch etwas sprachlos da, bevor auch ich mit meiner Mahlzeit fortsetzte. Ich und Lecrune – ähnlich? Das ich nicht lache! Wir waren uns kein Stück ähnlich. Sein Ego stank bis zur Decke, während ich als Opfer seiner Missetaten als die Böse hingestellt werde. Und als ob mir die Blicke der anderen Weiber entgangen wären. So blind bin ich nun auch wieder nicht.
 

Ein weiterer Monat verging und in den ersten Fächern standen schon Tests an. Wie man uns gewarnt hatte, stellte man hohe Ansprüche an uns. Die Fragen waren schwierig formuliert und man hörte das eine oder andere Mal während der Arbeiten ein frustriertes Stöhnen eines Mitschülers. Umso erleichterter verließen wir den Klassenraum, wenn der Tag vorüber war.

In den letzten Wochen hatte ich es mir vorgenommen, die Schwimmhalle auszutesten. Als ich die Sache mit Kira besprach, hatte sich Neva sofort mit eingemischt und gemeint, dass sie liebend gern mit jemandem mitkommen würde. Wie ich mitbekommen hatte, gehörte sie zu einer der ersten in unserer Klasse, die sich einen Diener zugelegt hatte. Eine eher schüchterne Persönlichkeit, obwohl er mit seiner Größe und seinen dunkelbraunen Haaren schnell aus der Masse seiner Klasse herausstach. Es gab nur einige in unserer Klasse, die ihn mit der Körpergroße das Wasser reichen konnten, ein derartiger Riese war er. Aber er gehörte eher zu der stillen Sorte Mensch, trotzdem hatte Neva schnell einen Narren an ihm gefressen. Mir sollte es Recht sein, sie kam mir nicht wie der Typ vor, der Menschen zu ihren Vorteil nutzen würde.

Das einzige Problem war die Beschaffung von Badekleidung. Handtuch und alles hatte ich ja mit, nur hatte ich weder Badeanzug noch Bikini eingesteckt, weil ich einfach nicht damit gerechnet hatte, hier schwimmen zu gehen. Kira, welche sich dazu entschieden hatte, uns zu begleiten, aber nicht mitzuschwimmen, durchforstete unsere Schulwebsite. Ich hatte ja bereits schon einmal erwähnt, dass man dort einfach alles bekommen konnte. Und damit hatte ich nicht übertrieben. In ihrer Navigation hatten sie einen Link mit der Beschriftung 'Bestellungen'. Dort konnte man aus verschiedenen Kategorien aussuchen – Uniformen, Schulbücher, Blöcke, Stifte, andere Utensilien, einfache Kleidung. Und wer hätte es gedacht, man konnte dort auch Badekleidung kaufen. Ich fragte mich nur, wie lange es gedauert hat, das alles einzurichten. Viel hatten wir ja noch nicht über die Geschichte dieser Schule gelernt. Es schien auch kein gesondertes Unterrichtsfach zu geben, wo die Historie dieses Ortes Thema war.

Kira hatte ihre Freude daran gefunden, die Bestellungssteite der Website zu durchforsten. Sie fand nicht nur nützliche, sondern auch einige eigenartige Dinge. Darunter zählten zum einen auch Blutcontainer, welche eher für die Vampire gedacht waren. So kamen also diejenigen, die keine Maid und keinen Diener hatten, an ihr Blut ran. Das hatte mich nämlich auch schon gewundert.

Dank meiner Zimmergenossin hatte ich also auch eine Möglichkeit gefunden, alles nachzubestellen, was mir ausgehen würde. Ein Teil davon war in unserem Studiengeld inbegriffen, alles andere musste ich vorher mit meinen Eltern besprechen. Da ich bislang aber auch recht gute Ergebnisse meines Besuches vorlegen konnte, hatten sie nichts gegen meine Einkäufe einzuwenden und ließen mich weiterhin in Ruhe.

Dazu war also auch das Paketfach gut. Ich hatte mich schon gefragt, ob es was bringen würde, wenn unsere Eltern uns etwas schicken würden. Es wurde doch auch ewig dauern, bis es bei uns ankam. Etwas von der Seite hingegen zu bestellen dauerte nicht lang und war binnen einer Woche bei uns. Irgendwoher mussten sie es ja auch nehmen und ich bezweifelte, dass diese Schule ein geheimes Lager voll mit diesen Dingen hatte. Obwohl ... so unglaubwürdig war das Ganze auch nicht.
 

Im vergangenen Monat war es nicht nur zu meinem Entschluss gekommen, schwimmen zu gehen. Nein. Lecrune, der mich zuvor aufgefordert hatte, seine Bluts-Maid zu werden, ließ mich damit einfach nicht in Ruhe. Mindestens einmal in der Woche ging er auf mich zu und erinnerte mich daran. Erpressen tat er mich nicht. Es sah auch nicht so aus, als würde er irgendjemand anderen damit nerven, aber ich hatte auch keine Nerven dafür, den Zottelhaar im Auge zu behalten. Neva und Kira überraschte es eher, dass er bis jetzt noch nicht aufgegeben hatte. Und dass auch kein anderer auf mich zugegangen war, wie die Vampirin meinte. Denn diese hatte mir auch erzählt, dass nicht nur Lecrune sich überlegt hatte, mich zu fragen. Ich glaube, die müssen auch mit dem Kopf gegen eine Wand gerannt sein, um auch nur im Entferntesten darüber nachzudenken, mich zu fragen. War ihnen nicht aufgefallen, wie ich ihnen gegenüber eingestellt war?

Ich beschloss, mir nicht weiter darüber Gedanken zu machen. So lange nur einer auf mich zukam und mich nervte, wurde ich damit noch locker fertig. Zwar war er äußerst hartnäckig – warum, fragte ich mich auch jeden Tag – aber meine Meinung hatte sich bislang nicht geändert. Und was würde sie auch nicht. Zusammen mit den anderen fand ich mich an einem freien Tag in der Schwimmhalle wieder. Diese war bestückt mit Umkleidekabinen, einem Duschraum und natürlich mehrerer Schwimmbecken. Manche waren für das Training des Schwimmteams vorgesehen, andere durften auch für Spaß verwendet werden. Es gab einige Tage, an denen durfte die Halle nicht von anderen außer dem Team betreten werden, aber das kam so selten vor, dass man kein Problem hatte, ein freies Zeitfenster zu finden. Kira schnappte sich unsere Sachen und belegte ausreichend Liegen mit diesen, sodass jeder von uns auch einen Platz zum Entspannen hatte. In Begleitung hatten wir Neva mit ihrem Bluts-Diener Luc. In der Halle liefen wir noch anderen Klassen- und Schulkameraden über den Weg, unter anderem auch jemandem, der in letzter Zeit öfter in der Nähe von Kira gesehen wurde. Wie ich mitbekommen hatte, ging er in Yakenos Klasse und hatte weder Diener noch Maid. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er an der Kleineren Interesse gefunden hatte, aber den Anstand besaß, nicht sofort auf sie zuzugehen und sie aus der kalten heraus zu fragen.

"Ey, Big Bro! Sei!", rief Neva zu ihnen herüber, nachdem sie sich an den Rand des Beckens gesetzt hatte und ihre Füße im Wasser baumeln ließ. Lachend grüßte ihr großer Bruder zurück und stieß Sei, welcher neben ihm stand, in die Seite. Die violetten Augen des Vampirs blitzten auf, jedoch mehr vor Scham als Wut, als dieser sah, wer alles die kleine Schwester seines Freundes begleitete. Ich für meinen Teil sprang sofort ins kalte Wasser und schwamm die ersten Runden, um mich zu entspannen. Die Rothaarige ließ sich mehr Zeit damit, lehnte sich am Rand zurück, während Luc mit einer Hand im Wasser herumrührte.

"Seid ihr alle Wasserscheu oder was?!", rief ich ihnen zu. Neva zeigte mir erst die Zunge, woraufhin ich sie einfach ins Wasser zog. Erschrocken schrie sie auf, tauchte wieder nach oben und hob ihre Hand, um mir ihren Mittelfinger entgegen zu halten.

"Fick dich, Amand!", entgegnete sie mir und lachte, gemeinsam schmiedeten wir dann den Plan, auch Luc mit reinzubekommen. Der große Kerl war schwer, aber als wir ihn in einem Moment der Unachtsamkeit erwischten, zogen wir ihn mit Leichtigkeit zu uns ins blaue Nass. Dieser Spaß war eine angenehme Ablenkung zu unserem stressigen Alltag an der Schule und half uns, den Kopf freizubekommen.
 

Es kam, wie es kommen musste. Nichts schlimmes, natürlich! Nach vier Monaten Schule und unseren ersten Klassenarbeiten gönnte man uns eine Auszeit, zwei Wochen Ferien. Einige Schüler entschlossen sich in dieser Zeit, nach Hause zu fahren und ihre Eltern zu besuchen. Neva, Yakeno und Luc verließen zu diesem Anlass das Schulgelände für eine Woche. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, ich konnte die zwei Vampire doch recht gut leiden. Ohne sie kam mir alles viel ruhiger vor, vor allem da Kira nicht im Geringsten so laut war wie ihr rothaariger Konterpart. Gemeinsam hatten wir uns vorgenommen, einen Teil der Ferien zu genießen und den anderen Teil mit Hausaufgaben zu verbringen. Was wir als erstes machten? Wir waren brav und erledigten natürlich all unsere Hausaufgaben. ...... Als ob. Meistens war es so, dass wir uns tagsüber vergnügten. Wir nutzten den Raum für Freizeitaktivitäten aus, gingen schwimmen (wobei ich Kira das Schwimmen beibrachte, weil sie es simpel und einfach nicht konnte und es ihr vor den anderen zu peinlich war, es zuzugeben), erkundeten den Wald und gingen unseren Hobbies nach, sodass ich mit meiner Geschichte einen großen Schritt voran kam und sie, nachdem ich es als Scherz angesprochen hatte, sehr ernst an einem Cover dafür arbeitete. Ich war wirklich froh, dieses Mädchen kennen gelernt zu haben. Wir ergänzten uns, stärkten und gegenseitig den Rücken und es schien, als würde sie mich langsam und unterbewusst mit der anderen Rasse vertraut machen.

Gegen Nachts war es meist so, dass wir uns dann an die Aufgaben machten, damit wir diese nicht bis zuletzt aufschoben und auf den letzten Drücker erledigten. Dass wir dadurch meistens bis 12 schliefen war vorprogrammiert. Aber somit waren wir nach der ersten Woche schon fertig mit unseren Hausarbeiten.

Tagesüber während der ersten Woche unterhielt sich meine gute Freundin gelegentlich mit diesem Sei. Was ich mitbekommen hatte, war sein kompletter Name Sei Kentaro Yarias. Er ging in Yakenos Klasse und gehörte einer Adelsfamilie an. Würde man mich fragen, würde ich ihn auf den ersten Blick als einen sehr ernsten und ehrlichen Mann einschätzen. Er wusste, wo er in der Gesellschaft stand und ebenfalls, dass er, um dort zu bleiben, hart arbeiten musste. Kira erzählte mir ergänzend, dass er sich sehr interessiert an ihren Zeichnungen zeigte und jemanden kannte, der ihr dabei bestimmt weiterhelfen konnte. Als sie mir die Gelegenheit schilderte, zuckte ich nur mit den Schultern und fügte hinzu, dass sie auf sich Acht geben sollte – Man wusste nie, ob jemand schnell einen eigenen Nutzen daraus ziehen würde. Ich schätzte sie nicht als jemanden ein, der naiv genug war, blind in Gefahren reinzutappen. Aber ich machte mir dennoch Sorgen darum, dass sie sich auf einmal in einer Falle wiederfand.

Was mich und mein Problem betraf – Zum Glück hatte der Wichtigtuer über die Ferien andere Dinge zu erledigen, als mir nachzustellen. Wie es schien, unterzogen seine Eltern ihm einem privaten Training, welches nicht gerade einfach war. Nämlich jedes Mal, wenn ich ihm auf dem Campus begegnete, schnaufte und ächzte er, schleppte sich gerade so zu seinem Zimmer zurück und würdigte mich keines Blickes. Gut so, damit wäre ich immerhin über die zwei Wochen sicher vor ihm.
 

Die zweite Woche begann mit ... wie soll ich sagen? Beunruhigenden Neuigkeiten? Am frühen Morgen brachen Kira und ich getrennt auf. Während sie einen Spaziergang machen wollte, ging ich sofort zur Mensa, um mir ein Frühstück zu gönnen und über meine Notizen zu schauen. Zwei neue Kapitel hatte ich in den letzten vier Monaten und der Ferienwoche geschafft, das Feedback meiner Leser größtenteils positiv, wobei ich einige daran erinnern musste, dass es sich um ein fiktionales Werk handelte und zur Unterhaltung diente, nicht das, was ich im echten Leben gerne tun würde. Oder vielleicht doch? Ich schmunzelte bei meinen eigenen Gedanken. Sicher, es würde mir eine Art Befriedigung beschaffen, wenn ich so handeln würde wie der Hauptcharakter meiner Geschichte. Es gab nur einen Unterschied: Ich wusste nicht, wer der Hauptantagonist meines Lebens war. Und so gemein und Lecrune als diesen abstempeln wollte ich auch nicht sein, ausnahmsweise.

Mit meinem Becher Tee in der einen Hand und meinen Block unter den anderen Arm geklemmt, begab ich mich zum Schulhof. Auf dem Weg zum Brunnen lief mir Kira entgegen, gefolgt von Sei, welcher besorgt die Augenbrauen zusammen zog. Wir hatten uns in der letzten Woche ein Mal unterhalten und ich hatte ihm gegenüber eine Warnung ausgesprochen. Diesmal hatte er eindeutig etwas verbrochen, wobei ich nicht wusste, ob es positiv oder negativ war. Ich sah zu meiner guten Freundin, welche mir freudig strahlend entgegen kam.

"Wynne! Du wirst es nicht glauben!", fing sie an und blieb vor mir stehen. Ich deutete auf eine Bank in unmittelbarer Nähe, damit wir uns setzen konnten. Der Vampir blieb auf Abstand zu uns und versuchte, unser Gespräch nicht zu belauschen. Tatsächlich ein Gentleman.

"Was gibt's?", fragte ich, nachdem wir uns gesetzt hatten und nahm einen Schluck von meinem nun trinkwarmen Tee.

"Ich habe Sei's Bitte, seine Bluts-Maid zu werden, angenommen"

Auf ihre Aussage hin verschluckte ich mich vor Schreck an meinem Getränk und hustete. Um die Flüssigkeit aus meiner Lunge zu kriegen, klopfte ich mir auf den Brustkorb. Mann, ich hatte das Gefühl, ich würde gleich sterben, an Ort und Stelle. Aber, was zur Hölle! Kira und die Bluts-Maid von diesem Typen? Sicher, es hätte sie schlimmer treffen können – Lecrune-Schlimm -, aber trotzdem! Nachdem ich mich beruhigt hatte forderte ich die Jüngere auf, sitzen zu bleiben und auf meine Sachen aufzupassen, welche ich auf meinen Sitzplatz legte. Räuspernd machte ich mich auf den Weg rüber zu Sei.

"Ey, Yarias!", rief ich ihn und stemmte die Hände an die Hüfte. Besagter Vampir zuckte zusammen und sah zu mir herunter. Ja, er überragte mich um eine Kopfgröße, was nicht hieß, dass ich mich von ihm einschüchtern ließ.

"Du hörst mir jetzt mal ganz genau zu. Ich warne dich nur einmal: Solltest du es wagen, Kira irgendwas aufzubürden, womit sie nicht klar kommt, suche ich dich selbst in deinen Träumen heim. Ich werde dein Leben zu einem einzigen Albtraum machen, ist das klar?" Noch war mein Hass auf Vampire nicht dermaßen versiegt, dass ich ihm nicht drohen würde. Mir war klar, auf den ersten Blick, dass Sei kein Arschloch und vermutlich die beste Wahl für Kira war. Dennoch – es bereitete mir Sorgen und ich hatte ein ungutes Gefühl bei dieser ganzen Dienerschafts-Nummer. Und ja, das hatte mich seit der Versammlung nicht verlassen.

"Amand, wenn ich bitten darf. Ich habe nicht vor, deine Freundin auszunutzen. Mit diesem Angebot möchte ich eher andere davon abhalten, ihr etwas anzutun. Sie ist zerbrechlicher als du, was ihren Geist angeht. Und nicht jeder an dieser Schule hat edle Absichten, das ist dir sicher aufgefallen ..." Ich nickte dem jungen Mann zu. Sein Blick allein verriet, dass er all das nicht sagte, um mich zu beruhigen. Bei aller Güte, nichts könnte mich beruhigen, wenn ich mit einem Vampir über dieses Thema sprach. Sei aber gelang es mit seiner ruhigen Stimme und entspannten Art, mich von ihm zu überzeugen. Er war kein schlechter Kerl, es war auch nicht so, dass ich ihn so sehr hasste wie manch andere.

"Ich sag's nur. Wenn du ihr etwas antust, bekommst du es zurück"

Mit einer leichten Verbeugung gab er mir zu verstehen, dass er meine Drohung wahrgenommen hatte und beherzigen würde. Ich fasste mir frustriert an den Kopf. Immer mehr Vampire gelangten in meinen engeren Kreis und mit immer mehr von ihnen trat ich in Kontakt, allein durch Kira. Ich konnte ihr schlecht verbieten, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich hatte keine Kontrolle über sie und wollte diese auch nicht haben, geschweige denn, dass ich ihre Mutter war. Dennoch könnte ich verhindern, dass ihr etwas passiert. Und da hatte ich sogar jemand auf meiner Seite. Denn wer weiß, wozu manche Vampire tatsächlich in der Lage waren.

Den ersten Schock der Woche hatte ich schon mal verarbeitet. Schneller, als man es sogar von mir erwartet hätte und ohne, dass ich dafür auf etwas beißen musste. Kira hatte mir versichert, dass sie schon länger über das Angebot von Sei nachgedacht hatte. Als ich sie fragte, was sie damit meinte, antwortete sie mir, dass er sie schon vor mehr als einer Woche gefragt hatte. Ihm war aufgefallen, dass einige mehr berüchtigte Vampire ein Auge auf sie geworfen hatten. So konnte auch Beliebtheit festgelegt werden, was? Aber anscheinend waren sie dazu in der Lage, am Geruch festzustellen, wie süß das Blut eines Menschen war. Es ekelte mich an und widersträubte mir, auch nur daran zu denken oder es mir bildlich vorzustellen, aber anscheinend hatte Kira eine sehr anziehende Blutgruppe für die meisten. Gut, dass das bei mir nicht der Fall war. Oder zumindest nicht so extrem wie bei meiner Freundin, sodass sogar ein Älterer einschreiten musste. Wir unterhielten uns an dem Tag noch eine ganze Weile und ich sammelte Inspiration für mein neues Werk. Ich fühlte, wie mir die Geschichte zu entgleiten begann, sie strickte sich selber und ich war kaum noch Meisterin der Geschehnisse. Ich ließ meiner Hand freien Lauf, als sie die Worte zu Papier brachte. Kira schaute immer mal auf das Blatt, wurde aber von Sei ermahnt, dass man einer Autorin nicht in die Karten gucken sollte. Ich lachte leise auf und bedankte mich bei dem Vampir für das Verständnis. Er hingegen zuckte nur grinsend mit den Schultern und lehnte sich nach hinten, stützte sich dabei mit den Händen ab, um nicht im Gras zu landen. Wir hatten uns auf die Wiese gesetzt, immerhin war es noch einer der wenigen wärmeren Tage. Bald würde der Herbst über uns herein brechen und dann würde auch der Winter nicht mehr lange auf sich warten, wobei ich diese Jahreszeiten dem Sommer allemal vorzog. In der Hitze konnte ich nicht nachdenken und wenn es kalt war, hatte ich mehr Inspiration. Lusia hatte einmal gescherzt, dass es an meiner kalten Ader lag. Ich hatte sie scherzend angefunkelt, bevor ich darüber lachte. Ich kannte meine Freundinnen, sie scherzten gerne übereinander, ohne sich gegenseitig anzuzicken. Klar, es gab auch hie und da mal Drama, nichts ging perfekt von Statten. Aber unsere Freundschaft hielt jetzt schon seit drei Jahren. Und das erste Mal seitdem wir uns kennen gelernt haben, hatte ich das Gefühl, dass sie mir entglitten. Ich hätte zwar die Chance, nach Hause zu gehen, aber ich hatte vergessen, meine Eltern zu benachrichtigen. Immerhin begegnete ich hier Problemen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Und ja, ich meinte damit das L-Problem. Kira neckte mich schon darüber, wie oft ich mich über diesen Kerl aufregte. Wir hatten vor den Ferien tagtäglich miteinander zu tun gehabt, was dem verschuldet war, dass wir ja in eine Klasse gingen und sogar gelegentlich als Projektpartner eingeteilt wurden. Und dann war da noch die Sache mit der Dienerschaft. Zum Glück hatte er nicht mehr die Zeit, mich deswegen zu nerven und ich konnte mich etwas entspannen. Genervt schnaubte ich, schon wieder schwirrte er mir durch den Kopf. Nervensäge! Frustriert schloss ich den Block und legte ihn beiseite.

"Keine Ideen mehr?", fragte Kira und legte den Kopf schief.

"Blockade", meinte ich daraufhin nur und strich eine lose Strähne hinter meine Ohren. Im selben Atemzug nahm ich meine Brille ab und legte sie in ihr zugehöriges Etui. In den Ferien waren wir zwar nicht gezwungen, unsere Uniform zu tragen, eine Gelegenheit, die wir auch nutzten, aber meine angewohnte Frisur und meine Brille konnte ich trotzdem nicht ablegen. Die Kleinere hingegen sah jeden Tag anders aus. Mal hatte sie einen Zopf, an einem anderen Tag zwei, dann auch mal wieder geflochtene oder offene. Sie experimentierte mit ihren Haaren herum, während ich mich immer für ein und dieselbe Frisur entschied. An irgendeinem Morgen meinte sie mal, dass sie neidisch auf meine Haarlänge sei und ich doch so viel damit anstellen könne, ich nur die Chancen nicht nutzte. Ich hatte lediglich mit den Schultern gezuckt und sie wie gewohnt hochgesteckt, bevor ich in den Vorsaal trat, um mich damals für den Schultag fertig zu machen.

Inzwischen meckerte niemand mehr über meinen 'langweiligen Anblick', auch Neva nicht. Sie war die erste, die sich beschwert hatte, dass ich mich doch mal mehr um mich selber kümmern sollte. Vielleicht würde ich eines Tages auch darauf eingehen, aber das würde noch eine ganze Weile dauern.

"Wenn die Damen mich entschuldigen würden", meldete sich Sei zu Wort und erhob sich von der Stelle. Mit einer geschmeidigen Handbewegung richtete er sich seine Sachen und lächelte uns an.

"Ich muss noch mit Miss Legrand sprechen. Sie wird sich über ihre neue Schülerin sicher freuen" Bei diesen Worten blickte er zu Kira und zwinkerte ihr zu, seine violetten Augen glänzten bei der Geste unter seinen schwarzen Haaren hervor. Mir war aufgefallen, dass er während der Ferien einige rote Strähnen hinzugefügt haben musste. Ob er einfach nur cooler aussehen wollte? Was für ein amüsanter Versuch. Das 'Coole' war einfach nicht sein Image. Er war eher der elegante Gentleman, der einer Frau ohne nachzufragen helfen würde, wenn sie ein Problem hätte, welches sie nicht allein bewältigen könnte.

"Wir sehen uns", verabschiedete er sich nun und ließ Kira und mich allein auf der Wiese zurück. Einige andere Schüler passierten unseren Sitzplatz, aber wie erwartet interessierten sie sich nicht für uns und kümmerten sich um ihre eigenen Angelegenheiten.

"Kaum zu glauben, dass wir nur noch Fünf Tage haben", brach Kira die Stille und sah in den Himmel, wobei sie den Kopf in den Nacken legte. "Und in drei Tagen kommen die anderen zurück. Es ist schon eigenartig ohne sie, oder?"

Da konnte ich ihr nur zustimmen. Auch wenn ich es mir nicht gerne eingestand, aber ohne diese Vampire war es eindeutig zu still. Neva hielt uns mit ihrer verrückten Art einfach immer auf Trapp und sorgte dafür, dass kein Tag langweilig war. Yakeno ging zwar nicht in unsere Klasse, aber die Pausen, in denen er vorbei kam, um mit uns zu reden, waren lustig. Meistens zankte er sich mit seiner Schwester auf eine liebevolle Art und Weise. Zum einen musste ich darüber lachen, aber es stimmte mich auch etwas melancholisch. Nur versuchte ich, dieses Gefühl zu unterdrücken um die Laune der anderen nicht zu verderben. Ich war die ersten Wochen schon unangenehm genug gewesen.

Luc war der neueste Zugang zu unserer kleinen Gruppe, doch sagte er nicht viel. Er war schweigsamer als Kira und schüchterner als Sei. Irgendetwas an ihm war eigenartig, aber vermutlich lag es einfach nur daran, dass er im Gegensatz zu uns einfach riesig war und er sich dadurch eine extreme Unsicherheit angeeignet hatte. Manchmal fragte ich mich, was die Jahre noch alles für uns parat hielten. Wir hatten gerade mal ein Drittel von diesem Jahr abgeschlossen und mich ließ das Gefühl nicht los, dass es noch längst nicht alles war.
 

Gegen Nachmittag entschuldigte sich Kira von mir und ging zum Schulgebäude. Sie meinte, sie habe noch etwas im Sekretariat abzugeben, was sie vollkommen vergessen hatte. Vermutlich handelte es sich hierbei um diese Bluts-Maid Geschichte, denn mit dem Titel war eine Menge an Bürokratie verbunden. Was genau alles dahinter steckte, wollte ich nicht wissen. Was für mich gerade zählte war, dass ich momentan allein auf der Wiese saß und die anderen Schüler und Lehrer beobachtete. Allein saß ich gerade mal wenige Minuten da, bevor ich mich erheben wollte. Ein entrüstetes Stöhnen lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Unweit von mir hatte sich Caleb auf eine Bank gesetzt, die Arme über die Lehne ausgestreckt und den Kopf in den Nacken gelegt. Es wunderte mich kaum, wie seine Freizeitkleidung ausfiel – Ein T-Shirt mit einem recht weiten V-Ausschnitt und eine schlichte, dunkelblaue Jeans mit schwarzem Schnallengürtel. Um den Hals trug er eine Kette und um seine Handgelenke jeweils ein Armband. Alles in allem ... sah er ziemlich leblos aus, selbst für einen Vampir. Ich konnte zwar sehen, dass er atmete, aber er war eindeutig fix und fertig. Seine Eltern mussten ihn ordentlich striezen. Gut so, das konnte er gut gebrauchen.

"Mann eh", maulte er zu sich, richtete seine Sitzposition und fuhr sich genervt durch die Haare. Als er sich umsah, traf sein Blick auf meiner und verharrte eine Weile auf mir. Auch ich, ohne es zu wollen, konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Es war, als würde mich eine unsichtbare Macht an ihn heften und ich konnte nichts dagegen tun. Wir starrten uns eine Weile stillschweigend an, bis ich mich aus meiner Trance befreien konnte, indem ich den Kopf schüttelte. Was war das denn eben? Gehörte das zu seinen Fähigkeiten, wie es bei Yakeno das Sehen war. Dabei handelte es sich um eine Fähigkeit, im Wachen Zustand in eine Art Traumwelt einzutauchen. Er bekam alles um sich herum noch mit, konnte aber auf Visionen und Träume anderer zugreifen. Setzte er diese Fähigkeit kontrolliert neben einer schlafenden Person ein, so konnte er sogar deren Träume manipulieren. Vielleicht hatte Caleb die Fähigkeit, einen mit seinem Blick zu fesseln. Ich schüttelte mich, um dieses eklige Gefühl loszuwerden, dass mich schon seit Wochen verfolgte. Ich erhob mich von meinem Platz und nahm Block und Federmappe gleich mit. Mit einem Blick vergewisserte ich mich, auch ja nichts liegen gelassen zu haben, bevor ich mich auf den Weg zurück zu meinem Wohnblock machte.

"Amand", hielt mich der Vampir auf, als ich gerade an ihm vorbei gehen wollte, ohne ihn ein weiteres Mal anzublicken. Ich hatte die Wahl, einfach weiter zu gehen und ihn zu ignorieren oder mich auf das Gespräch einzulassen. Bei ersterem gab es dann auch zwei verschiedene Möglichkeiten: Entweder war er zu erschöpft und genervt, um mir zu folgen, oder er würde aufstehen und mich davon abhalten, zu gehen. Murrend blieb ich also stehen und wandte mich dem Kerl zu. Überrascht über diese Entscheidung hob er eine Braue, als er mich musterte.

"Du spurst ausnahmsweise. Brav" Dafür hätte ich ihm am liebsten eine geklatscht, aber ich stand zu weit weg und wollte diese Distanz zu ihm nicht verlieren. Er schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken.

"Hör zu, das ist mein letztes ... Angebot. Werd' meine Bluts-Maid. Sonst hebe ich meinen Schutz auf" Schutz?

"Ich brauche deinen 'Schutz' nicht, was auch immer du dir darunter vorstellst. Vielen Dank", murrte ich ihn an. "Meine Antwort bleibt also dieselbe: Nein. Nur über meine Leiche"

Er seufzte und murmelte etwas zu sich selber, was ich nicht verstand. Mit einem 'Gut, komm aber nicht angekrochen, wenn dir jemand wehtut' ließ er mich dann gehen und jammerte weiter leise vor sich hin. Verwirrt sah ich ihn noch eine Weile an, setzte aber schließlich meinen Weg fort. Von was für einem Schutz hat er bitte gesprochen? Als ob ich die Hilfe von diesem Kerl brauche, um an dieser Schule zu überleben. Bislang genieße ich den Respekt von genügend Leuten, um meinen Abschluss erfolgreich einzusacken und zu gehen. Auch ohne jemals eine Bluts-Maid gewesen zu sein.

Nachdenklich betrat ich mein Zimmer. Noch war Kira nicht da, die Angelegenheit musste recht ernst gewesen sein. Ich legte meinen Schreibblock, aufgeschlagen auf der Seite des aktuellen Kapitels, auf den Tisch und startete meinen Laptop, um mein Konzept umzusetzen. Während ich schrieb, schaltete mein Bewusstsein fast vollkommen ab. Ich konzentrierte mich nur noch auf die Wörter vor mir, auf das Tippen meiner Finger und den klang meiner Tastatur. Alles andere interessierte mein Geist nicht mehr, die Tasten begannen, mit mir zu reden und erzählten die Geschichte nach, die ich mit ihrer Hilfe auf den Bildschirm brachte. Die erste Fassung schrieb ich immer in ein Textdokument, um alles auf Rechtschreibung und Tippfehler zu prüfen, bevor ich es online stellte. Als ich eine gute Hälfte des Kapitels fertig hatte – so weit gingen meine Notizen – speicherte ich das Dokument ab und streckte mich ausgiebig. Weiter hatte ich noch nicht gedacht. Mein Minimum an 4000 Wörtern hatte ich noch nicht ganz erreicht und ich hatte auch noch nicht das Gefühl, das Kapitel auch nur im Geringsten beendet zu haben. Etwas Entscheidendes fehlte. Ein Handlungsstrang, der das Ganze noch interessanter machte. Meine Protagonistin besorgte sich momentan einige Informationen über ansässige Vampire, die für Unruhe sorgten. Als Jägerin verdiente sie ihr Geld mit Kopfgeldjagden, für welche sie speziell angeheuert wurde. Ich wollte in diesem Kapitel es etwas ruhiger angehen und sie nicht wieder einen der Blutsauger erledigen lassen. Im Internet suchte ich nach Inspiration. Während ich die Seiten durchforstete, bemerkte ich ein neues Update von Yakenos Geschichte. Deren Namen auszusprechen wollte ich gar nicht versuchen, es war irgendetwas Griechisches und stand für 'morbider Traum'. Ich las die Vorschau des Kapitels. Zum einen hatte der Junge einen echt interessanten Schreibstil, zum anderen hatte er aber auch die Kunst gemeistert, einen mit einfachen Worten und Beschreibungen anzuekeln. Mit seinen Geschichten wollte er nichts ausschmücken, sondern die kalte Wahrheit der Welt darstellen, wie er sie durch seine Augen sah. Und es konnte einem Angst einjagen.

Nach einigen Stunden hörte ich, wie hinter mir die Tür aufgeschoben wurde. Ich drehte mich um und entdeckte eine über beide Ohren strahlende Kira.

"Na, dein Treffen mit den Sekretären muss ja richtig gut ausgegangen sein", bemerkte ich und lehnte mich in meinem Stuhl zurück.

"So ziemlich", gab Kira zurück und setzte sich auf ihr Bett. "Sogar Miss Legrand war anwesend. Sie hat mich persönlich in ihrem Kurs willkommen geheißen. Sie ist eine echt fantastische Frau!" Das war mir auch nicht entgangen. Die Dame mit Hand zu Barock und Romantik, wie man ihrer Kleidung entnehmen konnte, vereinte Fröhlichkeit und Eleganz in einer Person. Obwohl sie manchmal aufgeregt wie ein Kind war, hatte sie es dennoch geschafft, sich den Respekt der Schülerschaft zu verdienen. Viele schauten zu ihr auf, wie ich mitbekommen habe war sie ein Vorbild für einige Schülerinnen, sogar mehr als die Direktorin. Apropos, den beiden Direktoren lief man so gut wie gar nicht über den Weg. Ich wusste, dass sich ihr Büro über dem Sekretariat befand, aber man sah nie, wie sie es betraten oder verließen. Manchmal ertappte ich mich, wie ich darüber nachdachte, ob es noch einen Geheimgang gab. Oder ob sich Vampire teleportieren können. Oder noch Klischeehafter: Ob sie sich tatsächlich in Fledermäuse verwandelten! Meisten vertrieb ich diese Gedanken mit einem Schmunzeln und wandte mich danach wieder der Realität zu. Sich bei einigen anderen vorzustellen, wie sie sich in Fledermäuse verwandelten, war nur allzu komisch.

"Wusstest du, dass Sei gar nicht geplant hatte, bei dieser Herren-Diener-Sache mitzumachen? Es war so süß! Miss Legrand neckte ihn richtig deswegen. Du hättest dabei sein müssen, das hätte dir gefallen"

"Das glaub ich dir nur allzu gern." Ich konnte mir bildlich vorstellen, wie Sei neben der schmalen Dame stand und peinlich berührt seinen Nacken rieb. Eine seiner Angewohnheiten, wie mir aufgefallen war. Kira kicherte leise in ihre Hand, während sie über die Ereignisse nachdachte.

"Ich habe nur ein wenig Angst, sobald er das erste Mal Blut braucht. Ich weiß nicht, ob es weh tun wird" Das klang ja fast, als würde sie über ihre Jungfräulichkeit und nicht über das Trinken von Blut reden. Ich unterließ es, sie darauf hinzuweisen und gab ihr einen tatsächlich gutgemeinten Ratschlag: "Frag doch die älteren Schüler. Viele von ihnen haben es doch schon durchgemacht und können dir sicher mehr erzählen"

"Stimmt", sagte sie und nickte mir zu. "Danke. Ich hätte nicht gedacht, dass du mir dabei so hilfst"

Ja, von mir würde man eher das Gegenteil erwarten. Ich war nach der Versammlung auch drauf und dran, dieses System in die Hölle zu verfluchen und mich darüber auszulassen.

"Ich kann dir schlecht verbieten, diese Entscheidung zu treffen. Und das mindeste, was ich tun kann, ist, dir ein paar Sorgen abzunehmen. Und ich glaube kaum, dass wenn es weh tun würde, viele Diener und Maids bei den Vampiren bleiben würden, selbst nach ihrer Schulzeit" Die Brünette verstand und nickte mir zu. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich dermaßen mit diesem Thema befassen würde. Nun fand ich mich aber in der Situation wieder, dass Kira meine Hilfe benötigen könnte. Und, dass es vermutlich nicht bei Caleb bleiben würde, der mich nach meinem Blut fragen würde. Ah ja ... die Sache mit dem Schutz. Vor was? Und warum? Der Kerl machte überhaupt keinen Sinn. Manchmal fragte ich mich, ob er sich selber reden hörte. Ob er überhaupt nachdachte, bevor die Worte seinen Mund verließen. Ach, ich sollte mir nicht immer so viele Gedanken darüber machen.
 

Am nächsten Tag war ich diejenige, die ziemlich lange schlief. Kira war schon längst weg und ich entschied mich dazu, meinen Tag schlicht zu verbringen: Ich schnappte mir zunächst meine Schwimmsachen und ging ein wenig schwimmen, bevor ich mich weiter an meine Geschichte setzte. In der Halle traf ich auf bekannte und weniger bekannte Gesichter. Eine kleine Gruppe an Mädchen vergiftete mich regelrecht mit ihren Blicken. Tja, wenn Blicke töten könnten, hätte ich wohl ins Gras gebissen. Zunächst entschied ich mich dazu, die drei zu ignorieren und meine Runden zu drehen. Als jedoch eine von ihnen zu mir rüber kam – und mit ihr auch der Rest des kleinen Grüppchens – blieb mir kaum etwas anderes übrig, als mich ihnen zuzuwenden.

"Wynne Luria Amand", sprach mich die Orangehaarige an. Mit ihren grünen Augen und Sommersprossen sah sie weniger angsteinflößend aus, als man es von der Anführerin einer kleinen Mädchengruppe erwarten würde. Mit verschränkten Armen stand sie vor mir und starrte mich an.

"Du bist also die Bitch, die Caleb als Bluts-Maid will. Ich kann kaum glauben, dass du tatsächlich so eingebildet bist, dass du es ablehnst" So ganz war ich mir nicht sicher, ob mir meine Ohren einen Streich spielten oder ob dieses Weib mich gerade tatsächlich beleidigt hatte. Genervt hob ich eine Braue und wartete auf den Rest der Ansprache.

"Dir ist klar, was einige von uns dafür geben würden, um mit dir zu tauschen?"

"Oh, ich wette, ihr würdet euer letztes Unterhöschen dafür verticken. Zu dumm", entgegnete ich ihr trocken und unbeeindruckt. Sie hingegen schnalzte mit der Zunge, während ihre Freundinnen mich warnten, darauf zu achten, was ich sagte.

"Du hast kein bisschen Würde in dir, Amand. Wenn es so wäre, hättest du nämlich anders entschieden. Den Kontakt mit einem Vampir wie von Caleb's Abstammung zu pflegen ist eine Goldmiene", beteuerte sie mich und schüttelte mitleidig den Kopf.

"Ich glaube, du hast das Konzept von Würde nicht ganz verstanden. Im Gegensatz zu euch vertraue ich auf meine eigene Stärke, um es im Leben zu etwas zu bringen. Ihr hingegen wollt euch darauf verlassen, dass ihr einem Vampir die Füße genug küsst, damit er oder sie euch weiter bringt. Tja, während ich mit erhobenem Haupt durchs Leben schreite, verbringt ihr die Zeit auf euren Knien. Und vermutlich liebkosen eure Lippen dann noch ganz andere Dinge, so verzweifelt wie ihr seid" Den eintretenden stechenden Schmerz von der folgenden Ohrfeige sah ich als Triumph. Die Orangehaarige war vor Wut rot angelaufen und ihre Hand zitterte, so sehr verkrampfte sie sich. Ich hingegen lächelte sie nur an, hielt mir nicht einmal die schmerzende Stelle. Ein Punkt für Wynne, Null für Miss Schlampe. Als eindeutiger Sieger dieser kleinen Auseinandersetzung schnappte ich mir meine Sachen und kehrte in die Umkleideräume zurück, um mich wieder umzuziehen.

Als ich die Schwimmhalle verließ, war ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich täuschte oder meine Brille angelaufen war. Man konnte die Hand vor lauter Nebel kaum sehen, geschwiege denn dass man den Weg finden würde, wenn man sich hier nicht bereits auskannte. Ich fand auch nur mit gut Glück zurück, da ich mir grob gemerkt hatte, wo ich entlang musste. Meine Sachen gab ich im Vorbeigehen bei der Wäscherei ab und kehrte dann in mein Zimmer zurück. Noch war Kira nicht wieder da und ich vermutete, dass sie ihre Zeit mit Sei verbrachte. Vielleicht fragte sie ihn sogar über dieses 'erste Mal' aus. Ich musste lachen, als ich mir sein knallrotes Gesicht vorstellte. Er würde das ganze sicherlich falsch verstehen.

Mit etwas Schwung warf ich meine Tasche aufs Bett und setzte mich an den Schreibtisch. Bevor ich dazu kam, meinen Laptop anzuschalten, entdeckte ich einen kleinen Zettel neben dem Gerät.

Die Dienerschaft ist nicht das, was sie vorgibt, zu sein. Triff uns um 22 Uhr am Eingangstor. Wir kennen das Geheimnis.

So verlockend wie es auch klang, das roch doch geradezu nach einer Falle. Ich war mir nicht ganz sicher, wie dieser Zettel in unser Zimmer und noch dazu auf meinen Schreibtisch gelangt war, aber ich vermutete, dass jemand Kira damit beauftragt hatte. Sei vielleicht? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Wenn es etwas gäbe, das er wüsste, hätte er uns es schon längst erzählt. Die Dienerschaftssache war ja schon längst kein Geheimnis mehr im ersten Jahrgang.

Ich legte den Zettel weg und versuchte, ihn aus meinen Gedanken zu verbannen. Jedoch ein kleiner, irrationaler und naiver Teil meines Gehirns wollte wissen, was dieses Geheimnis war. Und aus irgendeinem Grund gewann dieser Teil die Oberhand. Ich schaute auf die Uhr. 17 Uhr. Noch hatte ich Zeit. Bis dahin war der Gedanke vielleicht auch wieder verflogen.

Ich irrte mich gewaltig. Je näher die Zeit kam, zu welcher ich mich am Eingangstor befinden sollte, so stärker wurde auch der Drang, dorthin zu gehen. Schlussendlich merkte ich nur noch, wie ich meine Jacke schnappte und mich auf den Weg machte. Die Sonne war längst am Horizont verschwunden und je näher ich dem Tor kam, desto lauter schrie eine Stimme in meinem Hinterkopf Falle. Doch ich konnte nichts dagegen tun. Ich weiß nicht, was mich da trieb, aber ich spürte, dass ich keine Macht darüber hatte.

Am Tor angekommen erwartete mich bereits jemand. Aus den Schatten kam mir die Gestalt entgegen und kaum fiel das Mondlicht auf ihn, erkannte ich ihn an seiner Engstirnigkeit.

"Louis, Caleb's Schoßhündchen", stellte ich fest. Genannter Vampir knirschte mit einem Grinsen die Zähne, als wöllte er jegliches Kommentar unterdrücken. Er öffnete das Tor und deutete mit einer Handbewegung, dass ich nach draußen gehen sollte. Was bildete er sich ein? Niemals würde ich um diese Uhrzeit das Gelände verlassen! So dachte ich zumindest, bis sich meine Beine wie von selbst bewegten.

Kurze Zeit später befanden wir uns auf dem Wanderpfad. In der Ferne erkannte ich das Flackern eines Lichtes, vermutlich das eines Lagerfeuers. Diesem kamen wir jedoch auch nach einer langen Weile nicht näher und ich merkte, wie dieser Vampir mich immer weiter vom eigentlichen Wanderweg abdrängte. So abgelegen musste man das auch nicht besprechen, hörte ich die naive Stimme in meinem Kopf sagen. Ich murrte verzweifelt, denn der rationale Teil meines Gehirns wusste genau, dass etwas nicht stimmte. Diese Annahme wurde nur bestätigt, als mir Louis mit einem mal an die Kehle ging und mich mit Leichtigkeit würgte.

"Du bist genauso ein Dorn wie dein missratener Bruder", zischte er mich an und drückte fester zu. Ich versuchte, mich zu wehren, krallte mich in seine Haut, bis er davon zu bluten begann. "Wir hätten dich schneller loswerden sollen. Beinahe wärst du uns entglitten. Gut nur, dass du deinen Dickschädel hast, du dumme Pute" Ich hätte nicht gedacht, dass ein Schüler der Insignia-Akademie mit dermaßen viel Hass einem anderen entgegnen konnte. Mit jedem Schritt, den er auf mich zu tat, trat ich zurück. Ich dachte eigentlich, dass ich irgendwann einen Baum treffen würde. Oder dass mir vorher die Luft ausging. Aber dieser Typ mochte es, mich leiden zu sehen. Es gefiel ihm, wie ich versuchte, gegen ihn anzukämpfen und um mein Leben bangte. Meine Atemzüge wurden immer kürzer, doch bevor er mir auch das letzte bisschen aus der Luftröhre quetschte, stolperte ich über einen Stumpf und fiel mitsamt Vampir um. Um sich nicht zu verletzen, löste er seinen Griff um mich und ich konnte tief einatmen, kurz bevor ich mir meinen Kopf an etwas anderem Aufschlug.

"Fuck", hörte ich ihn gedämpft murmeln, gefolgt von anderen Worten, welche in der aufkommenden Schwärze verschwanden. Mein Kopf tat weh. Das war alles, was ich spürte, bevor ich die Augen komplett schloss.
 

Vor Schmerz stöhnend wachte ich auf. Die Sonne schien durch die Baumkronen auf den Waldboden. Ich zitterte und mir war unglaublich kalt. Ich brauchte mich nicht umzusehen um zu wissen, dass es an meinem Blutverlust lag. Angestrengt versuchte ich, mich an die Ereignisse des Vortages zu erinnern. Ich war schwimmen ... hatte .. eine Auseinandersetzung mit diesen Mädels. Hab an meiner Geschichte geschrieben ... und mich mit Louis getroffen. Louis. Mich an diesen Namen zu entsinnen half mir, mich an den Abend zu erinnern. Wut brodelte in mir auf. Mein Körper war noch längst nicht bereit, einfach so aufzugeben. Ich weiß nicht, wie viel Blut ich verloren hatte. Es musste einiges, aber nicht zu viel gewesen sein. Er hingegen war einfach abgehauen. Er wollte mich tot sehen. Aus irgendeinem mir unbekannten Grund, wollte dieser Vampir mich tot sehen. Das würde er noch bereuen. Nur gut, dass ich schon öfter in dem Wald war. Schwankend und schwach trat ich den Rückweg an, verfolgte dabei auch die Spuren, die der Vampir intelligenter Weise hinterlassen hatte. Ich spürte, wie ich noch immer Blut verlor. Es lief meinen Nacken herunter und verklebte meine Haare, welche sich inzwischen aus der gesteckten Frisur gelöst hatten. Immerhin bedeckten diese somit meine verdreckte Jacke.

Das Eingangstor stand unbewacht, ich wurde also noch nicht als 'vermisst' gemeldet. Während der letzten Ferientage sollte mich das nicht wundern, außerdem wurden wir auch nicht als 'hat das Gelände verlassen' verzeichnet. Schlauer Kerl, das musste ich ihm lassen. Er hatte jedoch nicht mit einem Dickschädel wie mir gerechnet. Denn obwohl ich merkte, dass ich gar nicht auf den Beinen sein sollte, lief ich weiter über den Campus.

In meinem Kopf hämmerte es, es waren unausstehliche Schmerzen. Aber ich hatte eine Rechnung zu begleichen und ich würde meinem Körper nicht eher erlauben, nachzugeben, bis ich es geschafft hatte. Wie gut nur, dass das Schoßhündchen wieder bei Caleb war. Den beiden begegnete ich auf dem Vorhof, wobei es mich nicht interessierte, was der Lecrune außerhalb seines Unterrichts mit seinen Eltern machte. Ich ging geradewegs auf sie zu, verlor dabei Louis nicht aus meinem Blick. Als die beiden mich entdeckten, weiteten sich ihre Augen. Ich musste wie eine wandelnde Leiche aussehen, so wie ich mich über den Schulhof schleppte. Mir war vorher schon aufgefallen, dass ich ein ziemlicher Blickfänger war, aber das brachte mich nicht von meinem Ziel ab.

"Looouis ...", säuselte ich wie eine Gestalt, die ihn heimsuchte. Ich schlürfte näher zu den beiden Männern, Caleb hatte inzwischen seine Aufmerksamkeit von mir auf den Vampir verlegt. Für einen kurzen Moment hätte ich schwören können, dass ich Sorge und Wut in seinen Augen aufblitzen sah.

"Was hast du gemacht?!", fragte er seinen Kumpel, welcher neben ihm immer kleiner wurde. Ich verzog meine Lippen zu einem grässlichen Grinsen und trat näher, bis ich dicht bei ihm stand, eine Hand an seinem Kragen, damit er ja nicht weglief.

"Das nächste Mal ... wenn du jemanden umbringen willst ... geh sicher, dass derjenige auch wirklich tot ist ..." Mit diesen Worten ließ ich ihn los und kurz in dem Glauben, dass er so davon kommen würde. Neben mir wiederholte der Schwarzhaarige die Worte 'Umbringen' und 'Tot' und wurde nur noch furioser. Ich im Gegenzug hob zitternd eine Hand um zu signalisieren, dass das meine Angelegenheit war. Mit einem Lächeln auf den Lippen ballte ich meine Hand zur Faust und rammte sie mit aller Kraft, die ich mustern konnte, in das Gesicht des nun weiß angelaufenen Vampirs. Dieser ließ sich von der Kraft mitreißen, schwankte kurz und kippte schließlich um. Verängstigt hielt er sich die Nase. Gut so. Fürchte dich. Fürchte dich vor mir, denn ich bin dein wandelnder Albtraum.

Langsam verließ mich das Adrenalin in meinem Körper und ich spürte, wie der Boden unter mir nachgab. Der einzige anwesende, der noch stand, stützte mich.

"Amand! Scheiße. Wynne! Bleib wach!", forderte er und legte eine Hand auf meinen Hinterkopf, kurz bevor er diese fluchend wieder entfernte und das Blut daran musterte. Jegliche Aufregung rundherum verschwamm zu einer einzigen Masse, bis ich langsam taub wurde und wieder in die angenehme Finsternis eintrat.

Sie konnte ihren Ohren nicht trauen. Hatte ihre beste Freundin ihr tatsächlich gebeichtet, dass sie einem Vampir verfallen war? Freiwillig?

"Du stehst unter seinem Zauber!", rief sie aus und schüttelte die junge Frau. „Wach auf! Das bist nicht du!" Verwirrt hatte die andere ihre Hände genommen und sah sie mitleidig an.

"Ich stehe unter keinem Zauber", meinte sie nur und senkte den Blick, "Und nicht alle sind gefährlich. Das musst du als Jägerin auch einsehen"

"Sie sind Monster!" Jedes Widerwort traf auf taube Ohren. Sie musste der Sache selbst nachgehen, wenn sie ihrer Freundin helfen wollte. Solange sie nichts gegen diesen Vampir in der Hand hatte, wäre es unmöglich, etwas gegen ihn zu unternehmen. Als sie sich das vorgenommen hatte, wusste sie nur nicht, wem sie gegenüber stehen würde. Und sie hätte auch nicht gedacht, dass ein Vampir Zugang zu ihrem ummauerten Herz finden würde.
 

Mit einem pochenden Schmerz in meinem Kopf wachte ich langsam wieder auf. Meine Glieder waren taub, ich schaffte es nur mit viel Anstrengung, meine Finger zu bewegen, geschweige denn mich aufzurichten. Ächzend öffnete ich die Augen und sah mich um. Alles rundherum war in einem schlichten Weiß gehalten. Ich lag in einem fremden Bett und wusste, dass ich mich auf der Krankenstation befand. Zitternd hob ich eine Hand und fasste mir an den Kopf. Eine Bandage. Jemand musste mich hergebracht und dafür gesorgt haben, dass ich verarztet wurde. Angestrengt nutzte ich die Kraft in beiden Armen, um mich in eine aufrechte Sitzposition zu heben. Momentan lag völlige Ruhe auf dem Raum. Auf einem kleinen Beistelltisch neben dem Bett stand ein Glas mit Wasser, vermutlich für den Fall, dass ich wieder zu Bewusstsein kam. Ich wartete noch, bis ich genügend Kraft hatte, bevor ich etwas trinken würde. Währenddessen versuchte ich, mich an alles zu erinnern. Gut, dass alles einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Ich hab diesem Typen ins Gesicht geschlagen. Es machte zwar noch lange nicht das wett, was er mir angetan hatte, aber es stellte mein Bedürfnis nach Rache zufrieden, selbst wenn ich dafür eine Verwarnung kassieren würde.

Eine wichtige Frage, die ich mir stellte, war diese: Wie lange lag ich schon hier? Ich bewegte mich leicht und das Rascheln der Bettdecke musste jemanden aufgescheucht haben, denn ich hörte jemanden zu mir sprechen.

"Miss Amand, Sie sind wach" Eine Ärztin trat an mein Bett und prüfte meine Temperatur. Als sie nickte, wusste ich, dass ich mir immerhin durch die offene Wunde keine Infektion eingefangen hatte. Sie fragte mich, wie es mir ging und bat mich, einige kleine Aufgaben wie das Heben meiner Arme oder das Bewegen meiner Beine zu bewältigen. Alles gelang mir eher schlecht als recht, aber ich war auch gerade erst wieder aufgewacht. Die Frau half mir, etwas Flüssigkeit zu mir zu nehmen und erst da merkte ich, wie trocken mein Hals doch war.

"Sie sind ein Wunder, wissen Sie das? Und noch dazu das Gesprächsthema der Schule" Das konnte ich mir nur allzu gut vorstellen, immerhin lief ich wie eine wandelnde Leiche über den Schulhof. Oh, das vor Angst verzerrte Gesicht von Louis. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich zurückkommen würde. Eine Sache jedoch brachte mich wieder zum Nachdenken: Wieso hatte er meinen Bruder erwähnt?

Ich beschloss mich aufgrund meiner Kopfschmerzen nicht weiter darüber den Schädel zu zerbrechen. Die Ärztin brachte mir ein paar schmerzlindernde Medikamente an mein Bett, damit ich weiter in Ruhe schlafen konnte. Sie versicherte mir, dass ich gerade Mal wenige Stunden weggetreten war und es kein Problem wäre, wöllte ich mich noch etwas ausruhen. Das Angebot nahm ich dankend an und begab mich zurück in die Welt der Dunkelheit.
 

Als ich das nächste Mal aufwachte, ging es mir schon um einiges besser. Inzwischen war die Sonne wieder untergegangen und ich hatte das Bedürfnis, in mein Zimmer zurück zu gehen. Eine Nacht wollte ich nicht auf der harten Matratze des Krankenzimmers verbringen.

"Entschuldigen Sie, Miss ...?"

"Faren.", meldete sie sich zu Wort und stand von ihrem Platz auf. "Was kann ich für Sie tun?"

"Dürfte ich vielleicht auf mein Zimmer zurück? Wenn es sein muss, rufen Sie Miss Inaya. Sie begleitet mich sicher gerne zurück."

"Sicher. Ich würde aber gerne noch einige Tests mit Ihnen durchführen, um festzustellen, ob Ihnen etwas fehlt" Ich nickte der Ärztin zu. Nachdem sie nach meiner Zimmergenossin geschickt hatte, begann sie mit den kleinen Tests, um meine Gesundheit zu checken. Sie schien sichtlich überrascht darüber, dass ich trotz der Platzwunde an meinem Kopf und meinem immensen Blutverlust so schnell wieder zu Kräften gekommen bin. Ein 'medizinisches Wunder' nannte sie mich und sagte im selben Atemzug, dass sie schon einmal einen ähnlichen Patienten hatte, vor ungefähr Fünf Jahren. Ich beachtete diese Anmerkung nicht großartig, zog mir meine Schuhe an und schnappte meine Jacke. Auf dem Bett sitzend wartete ich, bis Kira zur Tür hinein kam. Die Brünette weitete die Augen und ging auf mich zu, um mich in eine Umarmung zu schließen.

"Mensch, Wynne, was machst du für einen Scheiß! Ich hatte mir Sorgen gemacht, als du die Nacht nicht zurückgekommen bist!", sprach sie mit zitternder Stimme. Als wir uns voneinander trennten, sah ich, wie ihre Lippe bibberte und sie die Tränen zurück hielt. Ach herrje, sie hatte sich wirklich große Sorgen gemacht.

"Es tut mir so leid", entschuldigte sie sich, "Es ist alles meine Schuld. Ich hätte dieses Ding nicht hinlegen sollen. Ich wusste nicht, dass dich jemand umbringen will!"

"Bis gestern wusste ich davon auch noch nichts, glaub mir" Ich hätte nicht gedacht, dass ich mir in so kurzer Zeit Feinde machen konnte. Oder lag es nur allgemein an seiner widerlichen Art? Es war nicht unbekannt, dass Louis kein Fan von Menschen war, so wie ich die Vampire eben nicht sonderlich leiden konnte.

Vorsichtig stand ich auf und merkte, dass ich noch nicht all meine Kraft in den Beinen wieder hatte. Gut, dass mich Kira zurück begleitete. Ohne sie wäre ich vermutlich auf der Hälfte des Weges umgekippt und hätte für nur noch mehr Aufsehen gesorgt. Das konnte ich jetzt so gar nicht gebrauchen.

"Was ist eigentlich noch passiert?", fragte ich sie in der Hoffnung, dass sie etwas mitbekommen hatte. Kurz sah sie mich an, dann wandte sie ihren Blick wieder auf den Weg vor uns, damit wir nicht stolperten. Innerlich suchte sie wohl gerade nach den richtigen Worten, ich konnte die Zahnräder in ihrem Kopf arbeiten sehen.

"Ich habe es erst ab dem Moment mitbekommen, als man uns von einem Kampf auf dem Schulhof berichtete. Caleb schlug auf diesen Jungen ein, den man immer bei ihm sehen konnte. Ich wusste gar nicht, dass Freundschaften so schnell kippen"

"Louis heißt er. Und er war derjenige, dem ich das Teil an meinem Kopf zu verdanken habe" Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal Lecrune verteidigen würde. Wobei es mich auch überraschte, dass er auf seinen eigentlichen Freund dermaßen losgegangen war. Kira sah mich verwundert an, erzählte dann aber weiter. Anscheinend musste der 'Kampf', wie sie es beschrieb – Wobei es sich wohl eher um einseitiges Einprügeln handelte – von einem Lehrer unterbrochen werden. Da noch nicht bekannt war, wieso und weshalb es dazu kam, wurden noch keine Urteile über das Verhalten gefällt. Sie sagte mir sogar, dass man mich ausfragen wollte, da Caleb erwähnte, dass mir etwas zugestoßen sei. Ja ... er stand zu dem Moment bei uns und ... hatte mich aufgefangen? Ich hätte schwören können, dass ich nicht auf dem Boden aufgeschlagen war, aber dessen war ich mir auch nicht mehr ganz so sicher. Alles verschwamm vor meinem inneren Auge, als ich versuchte, mich daran zu erinnern. Neben der Sache mit der Prügelei erzählte mir meine Freundin auch, dass sie gemeinsam mit Sei die Krankenstation besucht hatte. Der Vampir musste sich dabei die Nase zuhalten und erklärte, dass ein unangenehmer Gestank in der Luft lag. Große Klasse. Ich wusste nicht, dass mein Blut so widerlich war.
 

Ich war so froh, wieder in unserem Zimmer zu sein und auf meinem Bett zu liegen. Und vor allem konnte ich endlich aus meinen versifften Klamotten raus und eine kleine Dusche nehmen. Die Ärztin hatte mir verschrieben, vorerst meinen Kopf nicht nass werden zu lassen, damit sich die Wunde nicht wieder öffnete. Das hieß aber noch lange nicht, dass ich mehrere Tage mit Walddreck an mir herum laufen musste.

Frisch eingekleidet ging es mir auch gleich viel besser. Ich war zwar noch immer etwas wackelig auf den Beinen, aber nachdem ich mich ins Bett gelegt hatte, konnte ich mich nicht weiter beschweren. Kira berichtete mir derweil, dass Neva und Yakeno zurück waren, sie aber noch nichts von dem Vorfall mitbekommen hatten. Sie waren erst eingetroffen, nachdem sich die Situation aufgelöst hatte und jeder wieder seiner Wege ging. Ah ja, es waren nur noch wenige Tage, bevor wir wieder in den Unterricht mussten. Und ich würde diese nun wohl im Bett verbringen.
 

Ich war überaus glücklich darüber, einen Laptop zu besitzen. Da ich nicht die Kraft mustern konnte und auch etwas zu faul war, um mich viel zu bewegen, arbeitete ich vom Bett aus weiter an meiner Geschichte. Diesmal durchforstete ich die Kommentare für Inspiration und entschloss mich dazu, ein paar von ihnen zu beantworten. In einer Statusmeldung beschrieb ich, dass es etwas länger dauern könnte, bis ich das nächste Kapitel veröffentlichen würde und entschuldigte mich für die Unannehmlichkeiten.

Kira war so unglaublich lieb und brachte mir Essen, obwohl ich sie nicht darum gebeten hatte. Auch Sei kam vorbei um sich nach mir zu erkundigen und mir auf die Nerven zu gehen. Er blieb sogar, als die Kleinere einmal das Zimmer verließ und tat seine Verzweiflung kund.

"Wie sie es hat klingen lassen!", meinte er und fasste sich ins Gesicht. Ich lachte auf. Also hatte sie ihn tatsächlich gefragt! Sei funkelte mich genervt an, als ich mich darüber ausließ. Die beiden waren einfach zu herrlich. Er besaß zu viel Anstand, als dass er offen darüber sprechen würde. Gleichzeitig war er aber auch durch und durch ein Mann und wie es schien, ließ ihn Kira nicht ganz kalt, sonst hätte er bei ihrer Frage nicht derartige Gedanken bekommen.

"Ihr zwei seid einfach zu niedlich. Und das soll was heißen, wenn ich das sage", meinte ich nur und wischte mir eine Lachträne von der Wange.

"Hab' ich schon mitbekommen. Du kannst Vampire eigentlich nicht leiden. Warum eigentlich?" Ich schüttelte den Kopf. Das war ein Thema, über welches ich nicht gerne sprach. Und wenn er auf meiner guten Seite bleiben wollte, wäre es von ihm angebracht, nicht weiter zu fragen. Eine Weile sah er mich fragend an, verstand aber letztlich und lächelte mich traurig an.

"Ich versteh schon. Wenn du irgendwann drüber reden willst, sind wir ganz Ohr" Irgendwann? Mh, vielleicht. Noch war ich mir dessen nicht ganz so sicher.

Gerade, als sich Sei erhob, klopfte es an der Tür. Besucher? Kira würde sicher nicht klopfen, sie hatte immerhin einen Schlüssel. Ich konnte mir vorstellen, dass es Neva oder Yakeno waren. Der Schwarzhaarige hob eine Hand und wies mir an, sitzen zu bleiben, während er zur Tür ging. Wer davor stand, überraschte nicht nur ihn, sondern auch mich.

"Kann ich rein?", fragte der Kumpel des Übeltäters, der mich in den Wald gebracht hatte. Sei fragte noch bei mir nach, ob es in Ordnung wäre. Ich überlegte, entschied mich sogar tatsächlich dazu, ihm die Erlaubnis zu erteilen. Immerhin schien er mir geholfen zu haben, auch wenn ich mir da nicht ganz sicher war. Und so weit zu gehen, das zu inszenieren ... das traute ich diesem Lecrune nicht zu.

Zusammen betraten die beiden das Schlafzimmer. Lecrune sah sich um, wohl um es mit seinem eigenen Zimmer zu vergleichen. Er zuckte nur mit den Schultern und wandte sich dann mir zu, kurz bevor ihm ein leises 'Fuck' entwich. Nachfragend blickte ich ihn an, hob beide Brauen und legte den Kopf dabei noch schräg.

"Wie geht's deinem Dickschädel?", fragte er nach und gab seine Hände in die Taschen seiner Jacke. Selbst in meinem eigenen Zimmer wollte er so cool wie möglich aussehen. Meine Güte.

"Bestens wäre gelogen. Es schmerzt wie sau, aber dagegen kann ich nicht viel machen, außer Tabletten nehmen. Richte deinem Kumpel einen netten Dank von mir aus"

"Der befindet sich momentan im Verhör mit meinen Eltern" Oh, er wurde verhört? Das war eigenartig. Normalerweise waren bei einer derartigen Streitigkeit doch alle beteiligten mit anwesend, um gleich alles hinter sich zu bringen. So wurde es zumindest auf meiner alten Schule geregelt. Hier gab es wohl andere Vorschriften, was das Verletzen von Mitschülern betraf. Sollte mir recht sein. Ich hoffte nur, dass er auch seine verdiente Strafe erhielt und nicht allzu glimpflich davon kam. Und wenn doch, würde ich ihm die Hölle heiß machen.

"Was führt dich eigentlich her? Ich sollte doch nicht angekrochen kommen, wenn mir etwas passiert" Wie ein getretener Hund zuckte Caleb zusammen.

"Ich fühle mich verantwortlich. Immerhin hätte ich merken sollen, dass er etwas im Schilde führt" Hm, das überraschte mich im positiven Sinne. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich selber für diese Aktion die Schuld geben würde, obwohl er nicht daran beteiligt war. Sogar Sei verwunderte es, dass sich der Sohn der Direktoren derartig äußerte. Ich nickte ihm nur zu, sagte aber nichts weiter dazu. Es gab nichts, was man dem noch hinzufügen könnte. Ich hatte mit eigenem Leib erfahren, dass sich nicht alle Vampire an die Schulregeln halten würden. Innerlich brachte es mein Blut zum Kochen. Gleichzeitig schwirrte mir aber auch weiter ein Gedanke durch den Kopf. Die eine Sache, die Louis erwähnt hatte, verließ meine Gedankenwelt nicht mehr und beschäftigte mich schon seit längerer Zeit. Ich hatte das Bedürfnis, dem nachzugehen, doch ohne großartige Hilfe und Unterstützung würde mir das sicher nicht gelingen. Ich sah den Vampir, der mir die letzten Monate tierisch auf die Nerven gegangen war, an und stellte meine Frage, die ich hoffentlich nicht bereuen würde: "Steht das Angebot wegen der Bluts-Maid noch?" Caleb weitete die Augen und musterte mich. Ich sah, dass er Anstalten machte, zu prüfen, ob ich im Fieberwahn war, doch mein Kopf war nie klarer gewesen. Ich erwiderte seinen Blick ernst und wartete auf eine Antwort seinerseits.

"... Natürlich.", gab er nur kleinlaut von sich, unsicher, ob er mir das wirklich sagen sollte. Schweren Herzens fasste ich einen Entschluss – Ich würde das Angebot von ihm annehmen und ihn irgendwie dazu zu überreden, mir zu helfen. Etwas war mit einigen Vampiren an dieser Schule faul. Und wenn die Lehrer es nicht herausbekamen, dann würden sich die Schüler eben selber darum kümmern.
 

Die letzten zwei Tage vor dem erneuten Unterrichtsbeginn verbrachten wir damit, die Dienerschaft anzumelden. Nachdem ich wieder einigermaßen bei Kräften war, um es bis zum Sekretariat zu schaffen, begleitete ich Caleb zur Anmeldung, damit sie auch wussten, dass es sich hierbei nicht um einen Scherz handelte. Außerdem wollte ich sicher gehen, dass er keinen Scheiß baute. Noch vertraute ich ihm nicht so ganz.

Auf der Sitzbank im Sekretariatszimmer fanden wir einen eingeknickten Vampir wieder. Mit hängendem Kopf saß er da, die Haare verdeckten sein Gesicht, aber dennoch konnte ich erkennen, dass der Schwarzhaarige neben mir ihn ordentlich zugerichtet hatte. Bislang wurde ich nicht nicht aufgerufen, meine Seite der Geschichte zu erzählen. Wie ich im Zimmer erfuhr, lag es daran, dass man sicher gehen wollte, dass ich keine allzu großen bleibenden Schäden davon getragen hatte. Ich konnte nur schmunzeln. Sie machten sich Sorgen darum, dass ich unter dem Stress zerbrechen würde. Also bitte. Ich habe mehrere Wochen einen Vampir angemault, ihm eine geklatscht und einem anderen vermutlich die Nase gebrochen. So leicht würde mich das Ganze nicht zerstören.

Gerade, als wir uns mit den Sekretären unterhielten, kam gerade Miss Legrand die Treppe zum Büro herunter. Vor Freude strahlend ging sie uns entgegen und breitete die Arme aus, als wöllte sie uns jeden Moment in eine Umarmung schließen.

"Mister Lecrune! Miss Amand! Welch Freude, sie beide zusammen zu se'en. Darf ich davon ausge'en, bald eine neue Schülerin in meinem Kurs begrüßen zu dürfen?

"Ja, dürfen Sie", antwortete ich ihr und versuchte, dabei nicht irritiert zu klingen. Erfreut klatschte die Dame in die Hände.

"Das ist wunderbar. Wenn Sie Zeit 'ätten, Miss Amand, würde ich gerne gleich mit ihnen unter vier Augen sprechen. Nichts Gefä'rliches natürlich. Immer'in beiße ich nicht" Sie lachte in ihre Hand und deutete auf die Tür. "Mister Lecrune bekommt die Anmeldung auch alleine 'in. Immer'in muss er sich die Prozedur merken" Hatte ich was verpasst? So langsam begann ich, mich zu wundern, was diese Frau zu sich nahm, um so dermaßen aufgeheitert durch den Tag zu stolzieren. Andererseits war ihre Laune ansteckend, wobei es bei mir momentan nur zu weiteren Kopfschmerzen führte. Murrend fasste ich mir an den Kopf und sofort entschuldigte sich die Blondine bei mir. Sie geleitete mich vor die Tür, um mit mir allein sprechen zu können.

"Miss Amand", begann sie und wurde dabei ernster, so wie auch ruhiger. Sie hatte vor den anderen wohl ein Image zu bewahren. "Ich bin froh, dass Sie es sind, welche zu seiner Bluts-Maid wird. Als Maid des Lecrune-'auses wird Ihnen einiges abverlangt werden, immer'in werden wir Sie darum bitten müssen, darauf zu achten, dass er seine Termine ein'ält und zu den verschiedenen Veranstaltungen erscheint"

"Ich nehme an, er ist von der ganz hohen Sorte, was?" Legrand kicherte und blickte zur Wand neben der Tür zum Sekretariat. Oft hatte ich dort selber nicht hingesehen und so hatte ich auch die Vitrine und daneben hängende Bilder gesehen – Die besten der besten und besonderen. Ganz oben war ein Portrait der Direktoren zu sehen mit der Unterschrift 'Antoine Lecrune' und 'Xenia Lucette Lecrune'. So hießen sie also mit vollem Namen.

"Caleb ist der Erbe der Familie Lecrune. Auf seinen Schultern lastet eine sehr große Verantwortung, welche er nicht alleine bewältigen kann. Als späterer Direktor der Schule können wir ihm nur ans 'erz legen, so viel wie möglich mit Menschen in Kontakt zu kommen und die Werte der Akademie zu lernen. Leider ist er etwas .... wie soll ich sagen?"

"Wie wär's mit stinkfaul?" Damit hatte ich den Nagel wohl auf den Kopf getroffen, denn die Frau zuckte schmunzelnd mit den Schultern und stritt meine Aussage nicht ab. Also müsste ich nicht nur zu diesem neuen Kurs gehen, sondern auch dafür sorgen, dass Mister Oberfaul seine Pflichten erledigte. Nun fragte ich mich, ob seine Eltern ihn an einen Stuhl gefesselt unterrichtet hatten, oder ob er ihnen immer wieder entkommen war. Die Vorstellung eines Katz und Maus Spieles innerhalb der eigenen Familie war doch recht lustig.

"Ich vertraue darauf, dass ihr Pflichtbewusstsein auf ihn abfärbt. Er ist kein Verantwortungsloser Junge, nur ... sehr stur"

"Und meistens ein eingebildeter Schwachkopf, der meint, überall seinen Willen durchsetzen zu können" Die Schikane würde ab dem heutigen Tag enden. Ich merkte, dass mir die Position als Caleb's Bluts-Maid nicht nur die Nachteile des Anbietens meines Blutes mit sich einher brachte, sondern ich bekam die Macht zugeteilt, ihn zurecht zu weisen und rumzuscheuchen, wenn er nicht spurte. Innerlich rieb ich mir diabolisch die Hände aneinander. Neben der Tatsache, dass ich in dieser Position dem Verhalten der Vampire auf den Grund gehen könnte, würde er einen Teil seiner Macht über mich verlieren. Oh, das ganze begann, mir zu gefallen.

Miss Legrand händigte mir noch eine neue Armbinde aus, bevor sie mich zurück ins Sekretariat schickte. Caleb lehnte derweil an der Theke, hatte einen Stift in der Hand und las sich gerade die Papiere durch. Oh Mann, gab es jetzt auch noch etwas Rechtliches zu beachten? Ich gesellte mich zu ihm und warf einen Blick auf das Blatt.

"Was steht da?", fragte ich ihn, ausnahmsweise selber zu faul, mir das durchzulesen. Außerdem konnte er doch ausnahmsweise mal ein Gentleman sein und mir erzählen, was er da gerade so las. Ich handelte mit dem Hintergedanken, Zeit zu sparen, okay?

"Nicht mehr als das, was während der Versammlung besprochen wurde. Ein Vertrag auf freiwilliger Basis. Selbst als meine Maid habe ich nicht das Recht, dich dazu zu zwingen, mir dein Blut zu geben. Wenn du unzufrieden bist, kannst du den Vertrag jederzeit auflösen. Blah Blah Blah", rezitierte er in stark gekürzter Fassung und hielt mir den Kugelschreiber entgegen. Fix blätterte er durch die Seiten und deutete auf eine gestrichelte Linie. 'Unterschrift des Dieners/der Maid'. Darüber hatte er unterschrieben, als mein Herr. Ich schüttelte mich kurz und setzte meine Unterschrift auf das Papier, um den Vertrag damit zu besiegeln.

"Ich werde dir sowas von Feuer unterm Hintern machen, Lecrune", sagte ich beiläufig zu ihm, als er dem Sekretär die Unterlagen gab.

"Ich kann mir gut vorstellen, dass das Ganze mit dir nicht langweilig wird, Amand"

Damit stand es fest.

Ich war offiziell Caleb Lecrune's Bluts-Maid.

Der Schulalltag kehrte wieder ein, jedoch nicht ganz so ruhig wie vorher. In unserer Klasse gab es nun mehrere Schüler mit einem schwarzen Kristall, darunter auch Kira und mich. Das hatte es also auf sich – Die Farbe zeigte an, dass der Mensch vertraglich an einen Vampir gebunden war. In dem neuen Kurs, welchen wir gleich am ersten Tag schon hatten, trafen wir auf einige neue Gesichter. Es waren nicht alle aus allen Jahrgängen im selben Kurs, immerhin musste dieser an die Stundenpläne der jeweiligen Klassen angepasst werden, obwohl man lediglich das Fach 'Lebenskunde' durch 'Etiquette' ersetzte. Und ja, Etiquette. Wir, die per Dienerschaft an einen Vampir gebunden waren, mussten lernen, wie wir uns am Hofe zu verhalten hatten. Am Hofe. Ich weiß nicht, wie weit diese Rasse gesellschaftlich zurück geblieben war, aber es jagte einem ja schon Angst ein. Am ersten Tag lernten wir, wer das Sagen hatte. Es gab in ihrer Welt vier große Familien: Nocta, Harrison, Silvestri und natürlich Lecrune. Sie zusammen bildeten eine Art Rat, welcher die Gesetze der Vampire überwachte. Dabei wurde der Familie Lecrune zuteil, diese Schule zu führen und das Experiment durchzusetzen und zu testen, wie gut es sich in die Gesellschaft integrieren ließ. Diesen vier Familien wiederrum dienten andere, um ihr Wort kund zu tun. Da sie seit einigen Jahrzehnten (erst!) keine Königsfamilie mehr hatten, mussten sie sich eben anders helfen. Einige Traditionen behielten sie jedoch bei. Es gab einen Hauptsitz der Vampire, welcher groß genug war, um mehrere tausend Leute darin unterzubringen. Dort wurden immer wieder Feste veranstaltet, damit man sich untereinander austauschte und auch mit dem Rat in Kontakt treten konnte, ohne um einen Termin bitten zu müssen. Außerdem wollten sich die Vampire nicht aus den Augen verlieren. Diese Veranstaltungen waren also durchaus wichtig für die Rasse. Als Diener und Maid mussten wir lernen, wie wir Fremden gegenüberzutreten hatten und woran wir jemanden erkannten, der über oder unter uns stand. Es gab noch eine indirekte Hierarchie unter ihnen, nur eben, dass sie von einem Rat und nicht einem Hierarchen, wie es eigentlich üblich war, angeführt wurden. An eine Demokratie haben sie untereinander nicht gedacht.

Im Unterricht war Miss Legrand wie ausgetauscht. Sie war ernst, wurde laut, wenn jemand sie unterbrach und duldete keine Respektlosigkeit. Sie nahm die ganze Sache sehr ernst, was wohl daran lag, dass sie eine direkte Unterstellte der Lecrunes war. Mir wurde langsam immer mehr bewusst, wie viel Verantwortung eigentlich auf mir lastete. Ich war die Bluts-Maid eines baldigen Ratsangehörigen. Heilige Scheiße. Ich achtete darauf, mir alles aufzuschreiben, damit ich es mir in Ruhe einprägen konnte. Auch, wenn ich nicht viel von der Sache hielt – eigentlich so gar nichts -, wenn ich etwas machte, dann waren es keine halben Sachen. Und ich hatte mich darauf eingelassen, seine Maid zu werden. Eigentlich wollte ich damit meine eigenen Ziele verfolgen. Ich wollte den Vampiren auf den Grund gehen und herausfinden, warum manche sich so dermaßen ausfällig verhielten. Auch an unserer Schule war es keine Seltenheit, dass es unter ihnen Rassisten gab. Die meisten gaben sich dann einfach nicht mit uns Menschen ab und ignorierten uns, andere spotteten über die Menschen und zogen ihren Namen durch den Dreck. Jedoch keiner von ihnen wagte es, einem anderen physisch wehzutun. Ich konnte mir aber nicht vorstellen, dass Louis ein Einzelfall war.

Apropos Louis. Der Fall hatte sich auch schnell geklärt. Caleb wurde zum Nachsitzen verdonnert, weil er den anderen Vampir grün und blau geschlagen hat. Und mit der Aussage fasste ich es nicht einmal korrekt in Worte, so gebrochen wie er da saß. Auch ich wurde um eine Aussage gebeten und schilderte alles, woran ich mich erinnern konnte. Mein Schlag gegen Louis wurde mir nicht angerechnet, weil ich als Opfer dieses Falles hervorgegangen bin. Er hingegen kam kein bisschen glimpflich davon – Er wurde der Schule verwiesen und der Rat erhielt eine Meldung über jemanden aus dem 'Widerstand'. Was das genau war, wusste ich nicht. Zu dem Zeitpunkt interessierte es mich auch nicht, ich hatte andere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen konnte. Wie dem auch sei – Louis wurde abgeholt. Und wie ich in meinem neuen Kurs erfuhr, wurde er vermutlich direkt vor den Rat geführt. Denn, ob man es glaubte oder nicht, ein Verbrechen der Vampire gegen die Menschen wurde hoch bestraft. Eigenartig.

Nach der ersten Stunde Etiquette rauchte nicht nur mein Kopf, sondern auch der von Kira. Wir saßen nicht nebeneinander, da der Raum ganz besonders aufgeteilt war. Je nach Rang der Familie saß man weiter vorn. Dementsprechend gab es in der vordersten Reihe nur sehr wenige Menschen, 4 an der Zahl. Einmal aus dem Hause Harrison, 2-mal Nocta und einmal ich mit Lecrune. Nocta's Diener und Maid war bereits im dritten Jahrgang und kannte das meiste der Ansprachen bereits. Harrison's Maid ging in eine unserer Parallelklassen und wurde gegen Ende des Unterrichts mindestens genau so blass wie ich.

"Du kannst noch immer von der Position zurücktreten, Alena", sprach ich sie während der Pause an. Erschrocken schaute sie auf und mir kurz direkt in die Augen, bevor sie ihren Blick auf die Wand des Ganges richtete.

"Es ist für mich eine Ehre, den Harrison's zu dienen ... und meine Dame ist auch sehr nett. Ich hätte nur nicht gedacht, dass man so viel lernen und beachten muss."

"Sie sagten bereits am ersten Tag, sie würden uns Ausquetschen wie Orangen" Das war zwar nicht die korrekte Wortwahl, gab aber in etwa wieder, was sie damals während der Begrüßungszeremonie ausdrücken wollten. Alena kicherte und nickte mir zu. Sie war ein fragiles Etwas, noch schlimmer als Kira. Ihre Stimme war leise und man überhörte sie schnell. Allerdings hatte ich schon mitbekommen, dass sie laut wird, sobald es um ihre Dame ging. Wenn sie also jemanden schützen wollte, hatte sie auch genügend Kraft dazu. Und ich könnte meinen, dass war es, worauf es ankam.

Einige Menschen wurden nach dem Unterricht von ihren dazugehörigen Vampiren abgeholt. So begegnete ich auch wieder Sei und Neva, welche auf Maid und Diener warteten. Ich hatte mir bereits die Zeit genommen, um die Rothaarige darüber aufzuklären, was passiert war. Sie war schockiert, wie ich es erwartet hatte, und fragte sofort nach, ob es mir gut ginge. Außerdem bot sie ihre Hilfe an, sollte es mir während der nächsten Wochen irgendwann nicht sonderlich gut gehen. Ihr Angebot lehnte ich nicht vollkommen ab, jedoch hatte ich auch nicht vor, es für irgendwelche Zwecke auszunutzen. Zum selben Zeitpunkt nahm ich mir auch die Freiheit heraus und fragte Sei, was er denn meinte, dass mein Blut stinken würde. Dabei erklärte er, dass Vampire Blut aus durch Gewalt zugefügten Wunden als unrein empfanden und es einen ganz anderen Duft absonderte. Es war ihnen also zuwider, jemandem die Arme aufzuschneiden, um an Blut zu kommen. So zumindest bei den gesitteten Vampiren. Denn zu jedem Licht gehörte auch eine Schattenseite, von welcher auf der Schule nicht gesprochen wurde.

Kira und Sei befanden sich alsbald in einem Gespräch unter vier Augen wieder. Kaum sahen sich die beiden, hatte man das Gefühl, abgeschottet zu werden – wenn auch nur für den ersten Moment. Ich fand es zum einen irgendwie niedlich, wie schnell sie sich aufeinander eingestimmt hatten. Zum anderem wusste ich nicht, was ich genau davon halten sollte. Es könnte immer noch sein, dass Sei uns etwas vorspielte, auch wenn ich schon an dem Punkt angekommen war, an welchem ich dafür betete, dass dies nicht der Fall werden würde. Neva begrüßte mich mit ihrem bekannten fröhlichen Lächeln und fragte mich, wie denn die erste Stunde so verlaufen sei. Ich erzählte ihr, was wir so gelernt hatten – In Kurzfassung. Sie nickte immer mal um zu zeigen, dass sie mir zuhörte und beichtete, dass sie zu einer der unteren Vampirfamilien gehörte. Damit hatte sie sich aber abgefunden.

"Sag mal", fing sie nach einer Weile an und schaute auf die Tür, "Wo bleibt denn eigentlich Luc?"

Wo sie es so ansprach ... "Ich glaub, ich habe ihn heute noch gar nicht gesehen."

Besorgt sah sie mich an. Ein verschwundener Schüler hieß nichts Gutes, so viel hatte ich schon gelernt. Und bei Luc würde es nicht mal so schnell auffallen, denn bis auf seine Größe zeigte er nie sonderlich viel Präsenz. Wir warteten noch eine Weile vor dem Klassenzimmer. Inzwischen redeten Kira und ich beruhigend auf Neva ein. Sei hatte sich entschuldigt und versprach uns, im Sekretariat nachzufragen, ob der Bluts-Diener schon aufgetaucht sei. Als es zum Unterricht läutete, begaben wir uns auf unsere Plätze – Bedrückt. Denn wenn es Neva nicht gut ging, steckte ihre Laune sofort an.
 

Wie sich in den kommenden Tagen herausstellte, war Luc nicht der einzige vermisste Mensch. Aus den Ferien waren mehrere nicht zurück gekehrt, darunter vermehrt Bluts-Diener und -Maids. Besorgt sah ich Kira an, der die Panik ins Gesicht geschrieben stand. Momentan hatten wir uns in Sei's Zimmer eingefunden. Wir hatten nur dank meinem Kontakt mit Caleb davon erfahren, sonst wäre davon nichts an die Schüler weiter geleitet worden. Für diese Information dankte ich ihm auch und gleichzeitig war ich froh, nicht weggefahren zu sein. Auch wenn ich selber beinahe zu diesen vermissten Schülern gezählt hatte, so kam ich noch glimpflich davon mit meiner Kopfwunde. Es hätte immerhin auch schlimmer ausgehen können. Tot. Louis wollte mich tot sehen. Wieso, wusste ich bis jetzt noch nicht. Aber ich hatte das Gefühl, ungewollt in einer viel größeren Sache mit drin zu stecken.

"Es ist nicht selten, dass nach den Ferien ein Schüler zu spät zurückkommt. Manche misskalkulieren sich in der Anreisezeit. Aber wie es scheint, wurden diese auch bei den örtlichen Polizeistationen als vermisst gemeldet", erklärte Caleb, während er die Liste mit Namen durchging. Die Vampire hatten Kontakt zu den verschiedensten Leuten und somit Zugang zu allen möglichen Auflistungen. Immerhin lebten sie unbemerkt unter uns und besetzten somit auch wichtige Ämter. Was er uns erzählte, beruhigte uns nicht gerade. Dass ausgerechnet Schüler verschwanden, welche der Dienerschaft eingewilligt hatten, war das Beunruhigenste an der ganzen Sache. Noch hatten wir Neva nichts davon erzählt und wir debattierten auch darüber, ob wir es überhaupt tun sollten. Zum Großteil waren wir der Meinung, dass sie es verdient hatte, die Wahrheit zu erfahren. Lecrune hatte dabei weder zugestimmt noch seine Ablehnung gegen die ganze Sache ausgesprochen, er wollte wohl die neutrale Partei spielen.

"Aber ihr erzählt sonst keinem davon. Das sind vertrauliche Informationen", hatte er uns gewarnt, bevor er uns von dem Verschwinden der Schüler erzählt hatte. Während wir darüber redeten und warteten, dass Sei Neva zu uns holte, versuchte ich, einige Dinge miteinander zu verknüpfen. Ich nahm mir die Liste, welche Caleb mitgebracht hatte und ging die Namen durch. Wahllos war das erste Wort, das mir in den Sinn kam. Unter den Verschwundenen gab es keinen Zusammenhang, außer, dass die meisten von ihnen sich in einer Dienerschaft befanden. Scheiße. Mir fiel jetzt erst auf, dass somit viele Vampire ihren Menschen verloren. Wie sie das wohl verarbeiteten? Ich hoffte innigst darauf, dass man ihnen irgendwie half. Ich hatte nämlich die Vermutung, dass manche von ihnen schon sehr schnell hitzköpfig und ausfällig werden konnten. Ich zählte die Namen. Insgesamt vermisste die Schule also genau 15 Schüler. An sich keine Menge, die sofort auffiel. Die Insignia-Akademie besuchten gut über 500 Schüler. Was nicht hieß, dass es weniger beängstigend war. Ob die Direktoren irgendwann etwas dagegen unternehmen würden? Vielleicht verhingen sie doch eine Art Ausgangssperre, um die Schüler zu schützen. Ah, mein Kopf begann, zu schmerzen ...

Vorsichtig nahm Caleb die Liste wieder zurück und musterte mich. Irgendwie hatte er es drauf, durch meine Fassade zu schauen und erkannte, dass ich gerade Schmerzen hatte. Ohne ein Wort holte er ein Glas Wasser und hielt mir eine Tablette hin. Ich wusste, dass es sich um ein schmerzlinderndes Mittel handelte und nahm es dankend an. Manchmal hatte er so seine Momente, da war er eine echte Hilfe. Kira beobachtete die Geste, die sich tonlos zwischen uns abspielte und grinste mich an – Eine kleine Ablenkung.

"Wag es dir nicht", warnte ich sie und nahm die Medizin zu mir. Sie kicherte nur leise und zog den Kopf etwas ein, bemüht, ihr Kommentar für sich zu behalten.

Lange blieben wir nicht nur zu dritt. Neva und Sei schlossen sich uns an, wobei erstere nicht gerade gut aussah. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihren Diener und wusste einfach nichts mit sich anzufangen. Sie war machtlos ... und das Gefühl kannten wir nur zu gut.

"Ihr .. wolltet mir etwas sagen?", fragte sie. Kira klopfte auf die Stelle neben sich, um ihr zu zeigen, wo sie sich hinsetzen sollte. Es war besser für sie, sich zu setzen, denn kaum hatten wir ihr mitgeteilt, was wir wussten, brach sie in Tränen aus. Sie machte sich selber verantwortlich, dass Luc verschwunden war, weil er sich für die Dienerschaft für sie entschieden hatte. Die sonst so fröhliche Rothaarige derart zerstört zu sehen, konnte einem schon das Herz brechen. Ich hätte nie gedacht, dass mir je ein Vampir leidtun würde. Nun saßen wir alle da und wussten nicht, was wir tun sollten. Kira hatte die Vampirin in den Arm genommen und versuchte sie zu beruhigen, indem sie ihr über den Rücken streichelte.

"Ich kann einfach nicht glauben, dass sie so weit gehen würden. Der Widerstand war lang nicht mehr so aktiv", brachte sie hervor und erntete einen ernsten Blick von Caleb und Sei gleichermaßen. Hui! Anscheinend war der Widerstand ein Thema, über welches man nicht so oft sprach.

"Ist das euer fucking ernst?", fluchte Neva die beiden Männer an und löste sich von der Kleineren. "Verdammt nochmal, Wynne wurde selber zum Opfer von einen von ihnen!"

"Wir wissen nicht, ob Louis tatsächlich zu ihnen-" Sie ließ Caleb gar nicht aussprechen und fuhr ihn sofort wieder an.

"Wie rosarot ist deine beschissene Brille eigentlich?! Natürlich gehörte er zu ihnen! Wer sonst sollte eine vielleicht zukünftige Bluts-Maid der Lecrune Familie etwas antun! Und dass er Menschen nicht leiden konnte, ist nur ein weiteres Indiz! Sie verdienen es, darüber Bescheid zu wissen! Sie könnten die nächsten Opfer sein!" Wow, ich hatte nie mitbekommen, dass Neva so verzweifelt laut werden konnte. Die Männer wussten nicht ganz, was sie erwidern sollten. Nach Rat suchend blickten sie sich gegenseitig an, bis Sei mit einem Seufzen nachgab und sich entschied, die Klappe aufzumachen.

"Der Widerstand sind eine Opposition des Rates. Sie heißen es nicht gut, dass wir mit Menschen zusammen leben wollen und vertreten die Ansicht, dass wir euch so gesehen ... 'versklaven' sollen. Um ihren Willen durchzusetzen, entführen und missbrauchen sie die Menschen, um ihren Geist zu brechen und sie willig zu machen. Sie halten sie als Haustiere, wie wir mitbekommen haben"

Geist brechen? Das kam mir bekannt vor. Ich sah zu Caleb, welcher sofort abwehrend seine Hände hob.

"Damit das klar ist – Ich hab mit denen nichts zu tun, okay?"

"Stimmt. Du bist einfach nur im Allgemeinen ein Arschloch"

"Und du bist eine verdammte Zicke"

Gut, dass sich manche Angewohnheiten nicht änderten. Neva konnte nur die Augen verdrehen. Schnell wurden wir wieder ernst und unterhielten uns noch weiter über den Widerstand. Je mehr wir redeten, desto eher bekam Kira Angst um ihr Leben. Ich konnte noch ruhig bleiben, obwohl ich hätte schwören können, dass sich mein Magen umgedreht hatte. Um es zusammen zu fassen: Der Widerstand war ein Haufen feiger Arschgeigen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die momentanen Regeln der Vampirgesellschaft zu zerstören und die Menschen als Sklaven, oder Haustiere, zu halten. Bislang konnte der Rat die Dazugehörigen nicht fassen, da die meisten ihnen entglitten wie Aale. Dass ihnen nun Louis präsentiert wurde, war vermutlich wie eine Goldader für sie. Und das alles, weil er nicht sichergegangen war, dass ich auch tatsächlich nicht mehr aufwachen konnte.

Gegen Abend kehrten wir in unsere Schlafzimmer zurück. Wir wurden von unseren Vampiren begleitet, um sicher zu gehen, dass wir auch ja sicher ankamen. Man wusste ja momentan nie, vor allem, da ich jetzt tatsächlich eine Bluts-Maid der Lecrune-Familie war und diese sich dank ihres Status schon längst im Visier des Widerstandes befand. In ihren Augen galt ich bestimmt als Schwäche. Oh, wenn sie sich da mal nicht täuschen würden. Ich war vielleicht ein Mensch, aber ich hatte Louis bereits einmal die Nase gebrochen. Ganz zu schweigen davon, dass ich weder allein oder leise war.

Was mich nicht in Ruhe ließ, war ein Thema, das wir besprochen hatten. Der Widerstand wusste vom System dieser Schule. Das hieß, dass es hier tatsächlich Schüler gab, welche sich dieser Opposition angeschlossen hatten. Es verwunderte mich nicht, aber nur aufgrund von Auffälligkeiten im Verhalten gegen Menschen konnte man nicht direkt auf eine Verbindung zu ihnen schließen. Es war schwierig, die ganze Situation im Auge zu behalten. Umso spannender wurde es natürlich auch für mich. Die Vampire hatten Dreck am Stecken und ich hatte es sogar mit eigenen Ohren gehört. Welchen Ausmaß das annahm, würde ich noch irgendwie herausfinden. Nun wusste ich aber, dass meine Jahre an dieser Schule nicht langweilig werden würden.

"Das ist doch alles scheiße", fluchte der Erbe der Schule und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Wer hätte es gedacht, dass es mal so weit kommen würde: Momentan befand ich mich in Caleb Lecrune's Zimmer, saß auf seinem übergroßen Bett – echt jetzt, hier könnten gut drei Leute drauf Platz finden. Ob alle Vampire so eins hatten? - und brachte ihn dazu, seine Arbeit zu erledigen. Momentan musste er nämlich die Schulregeln durchgehen, sie auf Fehler überprüfen und überarbeiten, wenn es nötig sein sollte. Ich konnte ihn dabei schikanieren. Wieso? Es war meine Aufgabe, ihn dazu zu bringen, seine zu erledigen. Und Junge machte es mir Spaß, das Zepter in der Hand zu halten.

"Jetzt spiel nicht die Memme und mach weiter. Wie willst du denn sonst das Erbe antreten?" Ich stand auf und ging zu seinem Schreibtisch herüber. Also, wenn man dachte, das Zimmer von uns sei groß, dann hatte man tatsächlich noch nie eines oberen Vampirs betreten. Nicht nur, dass sie sich mit niemandem das Zimmer teilen mussten, nein. Sie hausten in regelrechten Luxusbuden. Eigentlich dachte ich, dass unser Vorsaal schon geräumig war. Tja, wie sich herausstellte, konnte man es wohl eher mit einer übergroßen Besenkammer vergleichen, wenn man zu den Blutsaugern zählte. Sobald man das Zimmer nämlich betrat, fand man sich in einer halben Wohnung wieder. Sie hatten eine eingeräumte Sitzecke mit Bücherregal, Kaffeetisch und Fernseher. Neben der Tür konnte man, sobald man diese schloss, einen Schrank sehen, welcher für Jacken verwendet wurde. Ihre Tür und der Paketkasten funktionierten zum Glück wie unsere – Immerhin da war eine Gemeinsamkeit zu finden. Um das Ganze nicht überdimensional groß wirken zu lassen, befanden sich mehrere Pflanzen im Vorderzimmer. Unecht. Ich hatte es nachgeprüft, sofort nachdem ich sie ins Auge gefasst hatte.

Verbunden war dieses Zimmer mit dem Schlafgemach durch eine abschließbare Tür, nicht wie bei uns durch eine, die man durch einfaches Schieben öffnen könnte. Trat man ein, würde einem erst einmal die Kinnlade runterfallen, so war es zumindest bei mir. Ich stand mit geweiteten Augen da, als ich dieses Kingsize Himmelbett erblickte. Unweit davon entfernt befand sich ein Schreibtisch wie in unserem Zimmer, lediglich die Stühle unterschieden sich. Der hier sah ... um einiges gemütlicher aus. Anstatt eines Laptops hatte Caleb tatsächlich sogar einen Standpc, wobei ich vermutete, dass dies aufgrund der ganzen Dokumente, die er abspeichern und verwalten musste, notwendig war. Entgegen meiner Annahme war er gar nicht so dumm, wie er aussah. Ganz im Gegenteil sogar: Wenn ich ihn am PC arbeiten sah, wurde mir klar, wie wenig ich doch von dieser Gerätschaft wusste. Ohne Probleme tippte er Dinge in die Kommandozeile ein, öffnete damit neue Fenster und griff auf Dingen auf dem Schulserver zu, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existierten. Ein ganz privater Hacker, was? So hatten wir Zugang zu den neuesten Daten der Untersuchungen, was die verschwundenen Schüler betraf. Aber darum ging es momentan nicht. Es war Wochenende und der junge Erbe musste sich um seine eigene Arbeit kümmern.

"Es ist stink langweilig. Und viel zu viel!" Jaja, er wollte alles immer schnell erledigt haben. Ich war nun bereits schon seit etwas mehr als eine Monat bei ihm als seine Bluts-Maid. Aller zwei Wochen hatte er am Wochenende Aufgaben, welche er zu erledigen hatte. Und ich durfte ihn dabei rumschubsen ... oder gelegentlich auch behilflich sein. Für Zweiteres entschied ich mich in diesem Fall, als ich mich seufzend erhob und über seine Schulter auf die Unterlagen blickte. Mit den Unterarmen stützte ich mich auf der Rücklehne seines Bürosessels ab und überflog ein paar Zeilen der Dokumente.

"Schau mal, das können wir doch vereinfachen ...", meinte ich und fing an, die Zettel zu sortieren, um letztlich drei Ordner daraus zu machen. Für einfacheres Arbeiten hatte Caleb einen zweiten Stuhl geholt, den ich nutzen konnte. Während ich ihm jeweils einen Zettel aushändigte und den dazugehörigen Ordner nannte, heftete er alles ein und ging die Themen im Schnelldurchlauf durch. Gegen Ende, als wir alles geordnet hatten, nahm ich mir die drei Hefter und setzte mich zurück auf das Bett, damit er nicht schummeln konnte, als ich begann, ihn auszufragen. Den Notizzettel, welchen er erstellt hatte, nahm ich ebenfalls mit.

"Regel 23", sagte ich an und blickte auf das Blatt.

"Aufteilung von Mahlzeiten und Einteilung der Essenszeiten.", rezitierte er und beschrieb, was auf dem Blatt geschrieben stand. So ging es mit jeder Regel Querbeet weiter. Jede, die er noch nicht verinnerlich hatte, händigte ich ihm aus, damit er sich alles noch einmal genau durchlesen konnte. Später würde ich dann wieder versuchen, sein Wissen darüber abzufragen.

Gegen späten Nachmittag konnte ich zufrieden die Ordner in sein Regal stellen, welches sich neben dem Schreibtisch befand. Darin waren mehrere der gleichen Art zu sehen, alle unterschiedlich beschriftet. 'Finanzen' waren zum Beispiel ein Teil davon, ich hatte es mir jedoch nicht angesehen, weil es mich nichts anging. Die Schulregeln zu kennen war jedoch auch für mich von Vorteil. Ein bisschen kam ich mir wie Insignias Verbrechensbekämpferin vor, was mich schmunzeln ließ.

"Sind wir endlich durch?", jammerte der Vampir und ließ die Arme schlaff neben sich hängen. Vor ihm flackerte der Monitor und ließ ihn noch blasser erscheinen, als er es eigentlich war. Die Gardinen seiner Fenster hatte er zugezogen, als wir begannen, zu arbeiten, da er sich so angeblich besser konzentrieren konnte. In seinem Zimmer waren eher mehr kleinere Fenster, denn ob man es glaubte oder nicht: Tatsächlich hatten Vampire eine gewisse Schwäche gegen Sonnenlicht, aber sie verbrannten darin nicht, entgegen vielerlei Annahmen und Klischees. Es löste lediglich einen unangenehmen Juckreiz aus, bei manchen bildete sich sogar ein Ausschlag. Unter normalen Umständen bezeichneten sie es als 'Sonnenallergie', wenn sie sich unter Menschen befanden. So fielen sie nämlich nicht auf. Schüler dieser Schule wussten es natürlich besser und ich fand es ungemein Interessant, dass auch diese angeblich makellosen Wesen einen Fehler hatten.

"Ja, du Heulsuse. Wir haben's geschafft"

"Na endlich. Du bist eine verdammte Sklaventreiberin"

"Irgendwer muss dich ja auspeitschen, sonst bewegst du deinen faulen Arsch gar nicht"

Er schnaubte und sagte nichts weiter dazu. Viel hatte sich bei uns nicht verändert, außer, dass wir uns nicht mehr so extrem an die Gurgel gingen. Unsere Zankereien existierten noch immer, wir beschimpften uns auch gegenseitig, aber es war weder so, dass er mir drohte, mich rausschmeißen zu lassen und ich ihm nicht mehr ins Gesicht spucken wollte. War doch ein Anfang, was?

Außerdem musste man es so sehen ... ich profitierte davon, mich mit ihm zu 'verstehen'. Meistens war es nämlich so: Nachdem wir mit seiner Arbeit abgeschlossen hatten, zogen wir einige Informationen über die vermissten Schüler vom Server und filterten das wichtigste für uns heraus. Bislang war es so, dass sechs Menschen wieder aufgetaucht waren. Momentan residierten sie noch zu Hause, jedoch wollten sich die Direktoren mit ihnen unterhalten. Ich konnte gut verstehen, warum sie noch nicht zurück an die Schule gekehrt sind. Da die Vampire vom Widerstand vermutlich hinter der ganzen Sache steckten, waren sie nicht nur verstört, sondern ihre Eltern auch besonders vorsichtig.

Von Neva's Diener, Luc, fehlte jedoch noch jede Spur. Wir hatten auch nicht die Möglichkeit, jederzeit auf jede Information zuzugreifen, das würde schlicht und ergreifend nach einer Weile auffallen. Ich konnte mir sowieso vorstellen, dass die Lecrune's uns schon längst auf der Schliche waren. Darüber konnte man sich echt noch den Kopf zerbrechen.
 

"Ich habe gehört, dass die Direktoren vorrübergehend nicht da sind", meinte Neva in einer Pause, nachdem sie sich zu uns umgedreht hatte. Es war Montag und die Schüler waren angespannt. Nicht, weil wieder etwas vorgefallen war. Nein. Eigentlich wussten wir nicht, ob es schlimmer oder angenehmer war. Die Lehrer hatten sich dazu entschieden, die ersten Prüfungen abzuhalten. Keine Tests wie bislang, man konnte es so gesehen als Klassenarbeiten ansehen. Nur viel, viel schlimmer. Sie hatten uns vorgewarnt. Noch hatten wir Vorbereitungszeit, denn die Prüfungen würden erst in drei Monaten stattfinden. Was wir aber von den älteren Schülern gehört hatten, gefiel uns so gar nicht. Dank unserem Kontakt zu Yakeno und Sei erfuhren wir recht schnell, wie schlimm diese Arbeiten waren.

"Manchmal weiß ich nicht, worüber ich mir als erstes den Kopf zerbrechen soll: Die Tatsache, dass wir auf der Liste des Widerstand stehen, oder die Prüfungen, die wir absolvieren müssen", meinte Kira und rieb sich gestresst den Nacken. In letzter Zeit war keinem von uns nach Lachen zumute. Die Brünette schien es besonders mitzunehmen, in letzter Zeit hörte ich sie über Verspannungen und Albträume reden. Neva hatte ihr angeboten, dass Yakeno ihr helfen könnte, aber das wollte sie nicht. Sie bastelte lieber in ihrer Freizeit an einem Traumfänger, welchen sie sich über das Bett hängen würde. Manchmal konnte Aberglaube Wunder bewirken. Man brauchte sich nur sicherer zu fühlen und schon sagte man schlechten Träumen Adé.

"Wir haben noch nicht mal so lange wieder Schule und ich wünsche mir bereits, dass die Ferien wieder anfangen. Verdammt.", gab ich letztlich auch meinen Senf dazu. "Wir können so nicht mal viel machen. Uns sind die Hände gebunden, solange wir bis 17 Uhr hier sitzen müssen und die Lehrer im Nacken haben" Bei einer Besprechung hatten wir abgemacht, während der Schulzeiten das eine Thema nicht anzusprechen. Wir wollten nicht auffallen und somit auch verhindern, dass man uns unnötige Steine in den Weg warf. Es war schon schwer genug, alles neben der Schule zu managen. Meine Banknachbarin ging gerade ihre Arbeitsblätter der Stunde durch. In letzter Zeit hatte ich sie immer mehr arbeiten und weniger zeichnen sehen. Es stimmte mich irgendwie traurig, aber auch ich musste mit meinen Hobbies kürzer treten. Ich sah nach draußen. Die Blätter der Bäume begannen bereits, sich orange zu färben und auf den Boden zu fallen. Der Herbst war da und hinterließ seine Spuren. Nicht mehr lang, dann wäre Winter. Ich freute mich schon auf die Jahreszeit, wusste gleichzeitig nur nicht, was diese alles für uns bereithalten würde.

"Wie sieht es mit diesem Wochenende eigentlich aus? Treffen wir uns wieder?", fragte die Rothaarige und legte das Kinn auf ihren Armen ab.

"Ich denke schon", antwortete ich ihr und blickte zu Kira. "Meinst du, du könntest Sei fragen, ob er Zeit hat?" Die Kleinere nickte mir bestätigend zu. Ich müsste mich nur darum kümmern, dass auch Caleb seinen Hintern bewegen würde. Er konnte es nicht leiden, seine freien Wochenenden damit zu verbringen, dem Widerstand hinterher zu recherchieren. Als ich ihn damals vor einem Monat fragte, ob er denn etwas Besseres zu tun hätte, sah er mich nur an ... schweigend. Ich wusste, normalerweise wollte man am Wochenende entspannen und sich nicht um solche Angelegenheiten kümmern. Aber wir hatten keine andere Wahl, es war unsere einzige Chance. Und er ... nun ja, er war halt das perfekte Mittel zum Zweck. Man, ich klang wirklich wie eine ausbeutende Bitch, was? Wenn ich so darüber nachdachte, war ich das vermutlich auch. Denn obwohl ich vertraglich an ihn gebunden war und er das Recht hatte, mich nach meinem Blut zu fragen (wobei ich auch ablehnen konnte, es ihm zu geben, aber na ja ...), hatte er es bis jetzt noch nicht getan. Es störte mich nicht ungemein, aber es wunderte mich schon stark. Das war kein normales Verhalten. Sogar Sei hatte Kira bereits einmal darum gebeten und sie musste mir an dem Abend erzählen, was für ein eigenartiges Gefühl sich im Körper dabei ausbreitete. Der Schwarzhaarige hatte ihr erklärt, dass es sich dabei um ein Gift handelte, das die Vampire verwendeten, um ihrem 'Opfer' keine Schmerzen zuzufügen und dafür zu sorgen, dass sie weiterhin freiwillig ihr Blut gaben. Sie hatten es über die Jahrhunderte entwickelt, um ihre Beutejagd zu perfektionieren.

Kurz sah ich rüber zu Caleb und entdeckte, dass er den Kopf auf seinen Armen abgelegt hatte, mit dem Nacken zu uns. Er ruhte sich aus, wie ich seinen Atemzügen entnehmen konnte, denn sie waren ruhig und gleichmäßig. Das Wochenende war nicht freundlich zu ihm gewesen. Oder sollte ich eher sagen, seine Eltern? Nachdem wir mit den Schulregeln abgeschlossen hatten, dachten wir, das wär's gewesen. Da die Direktoren aber bemerkten, dass wir zusammen schneller und effizienter arbeiteten, gaben sie eine weitere, schwierigere Aufgabe durch, wegen welcher sogar ich bis in die späten Abendstunden arbeiten musste. Anders als ich hatte er aber wohl keinen Schlaf bekommen.

"Lass mich das morgen mit ihm absprechen", meinte ich nur und wandte mich wieder den beiden Mädchen zu. "Soll er schlafen"

"Du bekommst ja ein richtig weiches Herz, Wynne. Sag bloß, du magst ihn?", neckte Kira mich. Das tat sie schon seit einem guten Monat. Jedes Mal plusterte ich mich auf und stritt es ab.

"Mögen ist hierbei ziemlich übertrieben, Kira! Ich hab es dir doch erklärt. Wir arbeiten zusammen, damit wir zum einen mehr über Du weißt schon wen herausfinden können und er schneller fertig mit seinen Aufgaben ist. Wobei es mir so vorkommt, dass seine Eltern uns beide extrem striezen." Kurz sahen die beiden sich an und wackelten mit den Augenbrauen, woraufhin ich nur die Augen verdrehte. Die zwei, also echt jetzt!
 

"Leute, hat jemand von euch den Ordner vorher rausgenommen?", fragte Sei, als er unsere Notizen über den Widerstand herausholen wollte. Na das fing ja ganz super an. Zwar hatten wir es geschafft, alle am Wochenende zusammen zu trommeln – Wobei sich Mister 'Noch 5 Minuten, Mutter' auf das Bett des anderen gelegt hatte und weiter schlief -, aber wie es schien, waren all unsere Bemühungen für umsonst, denn wir konnten die Unterlagen nicht mehr finden.

"Hast du sie vielleicht verlegt?", fragte ich ihn, während wir beim Suchen halfen.

"Als ob ich meine Ordnung durcheinander bringe", murrte er nur zurück. Oh ja, Sei und seine Ordnung. Er war zwar nicht extrem pingelig über die Platzierung von einzelnen Gegenständen, aber als ich seine Regale durchsuchte, merkte ich, dass er alles nach dem Alphabet sortiert hatte. Nicht nur das – Wenn Bücher unterschiedliche Größen hatten, achtete er darauf, sie so anzuordnen, dass sie wie eine Art Muster, eine Welle, ergaben. Auch sein Schreibtisch und sein Laptop waren aufgeräumt, davon sollte ich mir wohl mal eine Scheibe abschneiden. Ich musste ihn unbedingt fragen, wie er das alles aufrechterhalten konnte.

"Kentaro, das ist jetzt wirklich nicht lustig", meinte nun Kira, als sie sich auf den Boden setzte und verzweifelt die Haare raufte. "Da steckt so viel Arbeit dahinter!"

"Das weiß ich doch" Diesmal seufzte der andere auf und stützte sich auf seinem Schreibtisch ab. "Ich verlege nie etwas. Ich verliere auch nichts. Wo ist es also hin?" Es machte ihn sichtlich fertig, es nicht zu finden. Aber es war nicht so, dass wir nur diesen Ordner hatten.

"Öffne doch die Datei auf deinem Laptop", sprach Neva meine Gedanken aus und zeigte auf das Gerät. Es war natürlich frustrierend, dass wir unsere Schriftstücke nicht mehr besaßen, aber zum Glück hatten wir ein Back-Up angelegt, für den Fall, dass man die Dokumente finden sollte. Bei Sei sollten sie eigentlich sicher sein, aber man konnte ja nie wissen.

"Tja, wenn jemand die Schlafmütze wecken könnte, damit wir auch darauf zugreifen können", erwiderte er und ging zu seinem Bett hinüber. Nachdenklich stemmte er die Fäuste an seine Hüfte und überlegte, bevor er simpel und einfach den Fuß hob und Caleb in den Rücken trat. Dieser knurrte seinen Angreifer an und drehte sich um, komplett verschlafen und seine Haare zerzaust.

"Das hättest du auch ruhig etwas sanfter machen können, Yarias.", meckerte er den anderen an und setzte sich langsam auf.

"Oh, Verzeihung, Miss Lecrune. Soll ich Ihnen das nächste Mal einen Tee ans Bett bringen, damit Sie sich in Ruhe aus Ihrem Schönheitsschlaf erheben können?", neckte Sei zurück, woraufhin der Langhaarige nur schnaubte.

"Schönheitsschlaf ist nur für diejenigen, die nicht perfekt sind. Ich im Gegenzug-"

"-solltest jetzt die Fresse halten und dich endlich an die Arbeit machen. Komm, mach die eine Sache, für die du zu gebrauchen bist, Lecrune", unterbrach ich ihn, um sein Ego einzuschränken.

"Sklaventreiberin", murrte er mir nur zu und setzte sich an den Schreibtisch. Kaum war der Laptop bereit, flogen seine Finger über die Tasten. Mehrere Fenster öffneten sich, eines nach dem anderen. Wie ich mitbekommen hatte, versteckte er den Ordner tief innerhalb des Systems, sodass nur wir – oder eben er – darauf zugreifen konnten. Ich musste zugeben, er war ein Genie. Das sagte ich ihm nur nicht, sonst würde er vor Einbildung nur platzen.

Als wir endlich alles vor uns hatten, was wir brauchten, besprachen wir jegliche Erkenntnisse der Woche. Caleb saß dabei weiter am Laptop und ergänzte alles, was neu war. Namen von Menschen, die wieder aufgetaucht waren, wurden markiert. Zusätzliche Informationen wurden ergänzt, darunter auch, was die Direktoren in Erfahrung gebracht hatten. Ihr Sohn ist nämlich in der Lage gewesen, ihnen zuzuhören, während sie sprachen. Angeblich hatten alle Schüler, die wieder aufgetaucht waren, eines gemeinsam: Sie verhielten sich ängstlich, zitterten in der Gegenwart von Vampiren und sprachen sie mit 'Meister' an. Ein gebrochener Geist, so wie es der Widerstand wollte. Ohne, dass sie gefragt wurden, boten sie ihr Blut an und meinten, es sei ihn einen Ehre, als Gefäß zu dienen. Widerlich. Diese Leute hatten all ihre Würde verloren ... und das gegen ihren Willen. Sie wurden zerstört. Das war doch kein Leben mehr.

Inzwischen war sogar Kira von dem Thema abgehärtet. Mit ernster Miene berichtete sie von allem, was sie mitbekommen hatte und schaute Caleb über die Schulter, während er arbeitete. Es war unglaublich, wie schnell sich die Jüngere an uns angepasst hatte. Eigentlich dachte ich sogar, dass sie aussteigen würde, aber nein. Sie zeigte Kampfgeist und Entschlossenheit, sowie dass man in der Lage war, Ängste zu überwinden, wenn man nur hart genug daran arbeitete. Deswegen wollte sie wohl auch nicht Yakenos Kräfte nutzen, um ihre Albträume loszuwerden. Sie war tatsächlich stärker, als sie selber ahnte. Das Mädchen mochte zwar anfällig für Krankheiten sein, aber sie wäre eine der letzten, die einfach so umkippen würden. Und das war etwas, was wir als Gruppe gut gebrauchen konnten.

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Vieles davon bestand an anderen Wochenenden mehr aus sinnlosen Plaudereien unter Freunden, die wir nutzten, um uns abzulenken. Diesmal aber arbeiteten wir gewissenhaft, vor allem durch die Informationen, die uns Lecrune zukommen ließ. Wir waren wie so ein kleines Ermittlungsteam. Wenn es nur darum ginge, verschwundene Gegenstände zurück zu bringen und nicht verdeckte Mitglieder des Widerstands ausfindig zu machen, wäre alles viel angenehmer. Darüber scherzten wir auch gelegentlich, um die Stimmung etwas aufzulockern. Da es hierbei aber um verschwundene und misshandelte Schüler ging, war keinem von uns so wirklich zum Lachen zumute. Vor allem mir wurde eher schlecht, wenn ich nur daran dachte, was diese Mücken mit ihnen anstellten ...

Gegen Abend ging jeder wieder seiner Wege. Kira und ich wurden zurück zu unserem Zimmer begleitet und verabschiedet. Wir waren erledigt, sowas von erledigt. Wir gönnten uns noch eine kleine Mahlzeit, die wir vorher aus der Mensa mitgenommen hatten, bevor wir uns bereit fürs Bett machten. Als wir lagen und das Licht ausgeschaltet hatten, gingen wir noch einmal den Tag und die Informationen durch, die wir erhalten hatten.

"Ich habe nicht das Gefühl, als würden wir der Sache näher kommen" Ich kam einfach zu diesem Schluss, weil wir bislang nicht wirklich nützliche Informationen gesammelt hatten. Wir brauchten stichfestere Beweise. Es gab Spitzel unter den Schülern, so viel war klar, und Louis war einer von ihnen gewesen. Nur fragte ich mich, wie sie die Informationen nach draußen weitergaben. Und wie sie ihre Befehle erhielten, wenn es so etwas gab.

"Sag mal ... meinst du, die haben so etwas wie einen toten Briefkasten?", fragte Kira. Dass sie dabei den Nagel womöglich auf den Kopf getroffen hatte, ahnte sie wohl nicht.

"Das ist es doch!", meinte ich und setzte mich wieder auf, fast wieder hellwach. "Ein toter Briefkasten, versteckt unter den Augen aller Betroffenen. Kira, du bist ein Genie. Ohne Witz." Die Angesprochene kicherte und drehte sich auf die Seite, sodass sie sich mir zuwandte.

"Das wusste ich doch schon längst!", scherzte sie. Jetzt wurde sie auch noch frech. Wo war denn auf einmal die schüchterne und leise Kira von vor Fünf Monaten? In kürzester Zeit hatte sie eine enorme Veränderung durchgemacht. Das galt allerdings auch für mich, immerhin hatte ich mir eigentlich vorgenommen, nicht mit den Blutsaugern zu reden. Und was war nun? Ich redete nicht nur mit ihnen, ich arbeitete sogar mit ihnen zusammen daran, einer Organisation auf die Schliche zu kommen und war vertraglich an den vermutlich unausstehlichsten von ihnen gebunden.

"Du, Kira, ich hab mal eine Frage", fing ich wieder an, nachdem ich mich hingelegt hatte. Nachdem sie mit einem Summen angegeben hatte, dass sie mir zuhört, fuhr ich fort: "Wie lange hat es bei Sei gedauert, bis er dich nach Blut gefragt hat?"

"Lass mich überlegen ... etwa ... 2 Wochen. Sie können höchstens 3 aushalten, bevor sie schwächer werden und es schwieriger für sie wird, sich zu kontrollieren"

"... eigenartig. Lecrune benimmt sich kein Stück anders"

"Huh? Wieso sollte er auch? Er benutzt Blutkonserven, wie ich mitbekommen habe" Wie bitte? "Ich dachte, du hättest ihm ins Gesicht geschlagen, als er dich das erste Mal gefragt hat. Aber ... das ist jetzt echt eigenartig." Und wie eigenartig das ist! Wusste ich doch, dass an seiner Frage irgendwas faul war! Und wäre ich an dem Tag nicht mitgegangen, hätte er mich vermutlich auch gar nicht angemeldet! Dieses Arschloch hatte tatsächlich nur im Kopf, mich zum Gespött der Schule zu machen. Na warte, du Wichser. Dem würde ich ordentlich die Meinung geigen.
 

Und wie ich vorhatte, ihm nicht nur verbal eine zu klatschen. Ich hatte mir vorgenommen, den Großteil des Sonntages mit Entspannen zu verbringen und die Hausaufgaben für Montag noch zu erledigen. Das meiste meiner Energie würde ich erst später verbrauchen, also entschied ich mich dazu, das Beste aus dem Tag zu machen, bevor ich der Mücke gegenüber treten würde. Wenn er dachte, er hätte mich schon wütend gesehen, würde er nun sein blaues Wunder erleben.

Kira merkte schon den ganzen Tag, dass ich angespannt war. Zusammen saßen wir an unseren Hausaufgaben und überlegten, wie wir den Rest auf die Woche aufteilen wollten, ohne in Zeitdruck zu geraten. Es kam nicht oft vor, dass wir außerhalb des Unterrichts etwas zu erledigen hatten. Die Stunden waren lang genug, um alles Wesentliche hinein zu packen und nichts mit in unsere freie Zeit zu geben, da sie uns wenigstens etwas Ruhe gönnen wollten. Manchmal ließ es sich aber auch nicht umgehen und wir sahen es als eine andere Möglichkeit an, den Stoff zu lernen. Langweilig war es zwar trotzdem, aber so behielten wir es immerhin im Kopf. Meistens zumindest.

Da wir gegen Mittag fertig waren, überlegte ich, ob ich mich an ein Kapitel setzen sollte. Ich startete meinen Laptop und öffnete, um etwas Inspiration zu sammeln, die Seite, auf welcher ich meine Geschichten veröffentlichte. Eine Nachricht sprang mir sofort ins Gesicht: 'The Blue Heart', Yakenos Benutzername, hat seine Geschichte geupdated. Neugierig klickte ich drauf.

Zitternde Körper auf dem Boden. Blutüberströmt lagen sie da. Ganz verkrampft. Sie sagten nichts, nur ihre Augen schrien nach Erlösung. Was zur Hölle? Selbst für seine Verhältnisse war das ziemlich unter der Gürtellinie. Ich war mir nicht sicher, ob es einfach nur stilistisch war. Ich wusste ja nicht einmal, wie viel Realität in seinen Werken steckte, weswegen ich vorerst davon absah, das Kapitel zu melden. Glaubt mir eines, den Rest wollte man sich nicht geben.

Bis zum Abend kam ich nicht dazu, auch nur ein einziges Wort zu Papier zu bringen. Je näher die Zeit kam, zu welcher ich Caleb zur Rede stellen wollte, desto schneller schlug mein Herz. Ich wusste nicht, warum ich dermaßen aufgeregt war, aber aus irgendeinem Grund war es so der Fall. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, gab ich Kira Bescheid, dass ich bald wieder da sein würde, schnappte mir Schuhe und Jacke und machte mich auf den Weg zum Zimmer der Mücke.

Drei Mal klopfte ich an. Inzwischen musste ich vor Wut rot angelaufen sein, denn schon auf dem Hinweg hatte ich ordentlich vor mich her geflucht. Es dauerte, bevor der Schwarzhaarige endlich sein wertes Hinterteil bewegen konnte und die Tür öffnete.

"Wynne?", fragte er überrascht. Natürlich hatte er nicht damit gerechnet, mich Sonntagabend vor seiner Tür zu sehen. Ohne nachzufragen drängte ich mich an ihm vorbei ins Zimmer, stellte mich in den Türrahmen zum Schlafteil und verschränkte die Arme vor der Brust. Lecrune runzelte die Stirn und schloss die Tür wieder, bevor er sich zu mir drehte.

"Hab ich irgendwas verpasst?"

"Ooh, vermutlich, mich nochmal richtig durch den Dreck zu ziehen", fing ich an und sah, wie sein Blick sich von neutral zu verwirrt entwickelte. "Mime hier nicht den Unschuldigen, Lecrune. Du bist ein verlogenes Stück Dreck, weißt du das? Ich frage mich nur, wie lang du mich noch behalten wolltest, bis du mich vor der Klasse bloßstellst. 'Amand dachte, ich würde sie als Bluts-Maid behalten. Als ob! Wie dämlich kann man sein?' Oh ja, das frage ich mich auch"

"Hey hey! Jetzt fahr mal runter und-"

"Ich fahr runter, wenn ich runterfahren will, Mister!", fuhr ich ihn weiter an, ging einige Schritte auf ihn zu und klatschte ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Unbeeindruckt sah er mich an und schien darauf zu warten, dass ich fortfuhr. "Denkst du echt, ich bin so blöd? Du hattest nie vor, dich auf das Niveau herunter zu begeben und Blut von mir zu nehmen"

"Das regt dich auf?" Er schmunzelte, sichtlich amüsiert über meine Rage, was mich nur noch mehr zum Kochen brachte.

"Das kann jetzt nicht dein Ernst sein!", fauchte ich ihn sofort an.

"Chill, Amand" Ich ballte meine Hände zu Fäusten und war drauf und dran, ihn zu schlagen. Aber ordentlich!

"Beruhige dich" Etwas in seiner Stimme ließ keine Widerrede zu. Sie hallte in meinen Ohren und langsam ebbte meine Wut ab, ohne dass ich wusste, was mit mir geschah.

"Wie ...?", brachte ich heraus und legte eine Hand auf meine Brust. Es machte mir Angst.

"Meine Gabe. Ich kann Gefühle bis zu einem gewissen Punkt kontrollieren. Soll heißen: Ich kann Traurige trösten, Wütende beruhigen, Panik versiegen lassen, aber auch umgekehrt. Aber das ist jetzt nicht der Punkt. Du bist sauer, weil ich von dir kein Blut nehmen will?"

Ich schnaubte. Sicher, es klang blöd, aber dieser Vertrag bestand doch aus einem Geben und Nehmen. Und bislang ... bislang nahm ich einfach nur und das störte mich ungemein! Ich hatte mich darauf eingelassen, weil ich dachte, im Gegenzug dazu, dass er mein Blut bekommen würde, hätte ich Zugang zu vertraulichen Daten. Bislang war nur eines davon eingetreten.

"Du willst ja wohl kaum deinen 'feinen Gaumen' mit meinem verdorbenen Blut beschmutzen", zickte ich ihn sofort wieder an und schnaubte. Er wollte etwas erwidern, doch ich ließ ihn nicht. Ich ließ meiner noch immer tief in mir angestauten Wut freien Lauf. "Ich habe es satt, von dir verarscht zu werden, Lecrune. Wenn du mich ganz unten sehen willst, dann bitte, bring es hinter dich"

"Wynne, ich habe meine Gründe"

"Natürlich. Das soll ich dir glauben, nachdem wir uns die ersten Wochen angebitcht haben und du dann auf einmal auf die geniale Idee kamst, wie du es mir am besten heimzahlen kannst"

Diesmal war er es, der knurrte und wütend wurde. Es sollte mich eigentlich nicht wundern, immerhin ließ ich ihn kein einziges Mal zu Wort kommen, geschweige denn, dass ich ihm die Möglichkeit einräumte, sich zu erklären. Aber was sollte er an der ganzen Sache schon erklären?!

"Du weißt einen absoluten Scheiß, Amand!", brüllte er mich diesmal an und drängte mich nach hinten gegen eine Wand. Mit den Händen stützte er sich neben meinem Oberkörper ab, sodass ich zwischen ihm und dem Stück Zimmer hinter mir gefangen war. Fuck. "Du willst also unbedingt, dass ich dein Blut nehme, ja? Soll mir fucking Recht sein! Ich habe mich zurück gehalten, weil dein Bruder uns bat, dich zu beschützen, solltest du herkommen. Ich hatte nach einem Weg gesucht, dieser Bitte nachzugehen. Und jetzt kommst du an und jammerst herum, dass ich dein Blut nicht trinke."

Was? "Was?" Wie bitte? Ich ... mein Kopf wurde leer. Mein Bruder hatte was? Verdammte Scheiße, was ging hier ab? Ich suchte nach einer Erklärung in Calebs Augen. Diese flackerten rot vor Zorn, doch konnte ich ihnen auch eine Art Verlangen erkennen. Mist ... hatte ich es bislang einfach nur nicht erkannt?

Ich spürte, wie er sich mit einer Hand in meine Haare krallte und langsam meine hochgesteckte Frisur löste.

"Ich ..." Ich konnte ihm nicht widersprechen! Es war, als würde jemand Fremdes mein Körper führen, doch spürte ich keinen Einfluss auf mich wie vorher, als er seine Gabe angewandt hatte. Aus Reflex legte ich meinen Kopf zur Seite und bot ihm somit meinen Nacken an.

"Verdammt, Wynne. Hör auf, so süß zu duften ..", raunte er mir ins Ohr, bevor er sich mit seinen spitzen Fangzähnen in meine Halsschlagader bohrte. Ich erwartete einen grausamen, stechenden Schmerz. Vollkommen hatte ich vergessen, was Kira mir erzählt hatte. Ungewollt entwich mir ein Keuchen, während sich eine wohlige Hitze in meinem Körper ausbreitete. Unterbewusst fing ich an, mich in Caleb's Oberteil zu krallen, um meinen Halt nicht zu verlieren. Ich merkte, wie mich Tropfen um Tropfen meines Blutes verließen ... gleichzeitig aber auch, dass sich sein Körper ebenso erhitzte. Nanu? Sollte das so sein? Mein Verstand vernebelte. Ich merkte nur, wie er näher rückte, mich mit seinem eigenen Körper gegen die Wand presste. Die Hand, welche meine Frisur gelöst hatte, hielt meinen Hinterkopf, wobei er mit den Fingern noch immer nach Halt in meinen Haaren suchte. Mit der anderen stützte er sich noch an der Wand hinter mir ab. Als ich merkte, wie diese begann, meine Seite entlang zu wandern, schloss ich die Augen und ließ mich langsam von diesem Gefühl mitreißen. Erst, als er sich langsam wieder von mir löste und mit der Zunge die Wunde verschloss, was mir wiederrum einen weiteren Schauer über den Rücken jagte, blickte ich ihn mit glasigen Augen an. Meine Beine fühlten sich inzwischen an wie Wackelpudding. Ob das an meinem Blutverlust oder an diesem Gift lag, wusste ich dabei nicht. Das einzige, was mir auffiel, waren seine Augen. Er starrte mich an, ein anderes Verlangen spiegelte sich diesmal in ihnen wieder. Er atmete schwer, schlang einen Arm um meinen Körper, um mich zu stützen. Ich bildete mir das doch gerade alles nicht ein, oder? Kurz wanderte mein Blick zu seinen Lippen. Ich sah ein paar Tropfen Blut daran kleben. Vorsichtig wollte ich diese wegmachen, jedoch packte er mein Handgelenk und kam mir mit seinem Gesicht nur noch näher.

"Nicht ..", flüsterte er gefährlich verführerisch. Was ..? Ich hatte nicht die Kraft, ihm zu widerstehen. Doch bevor sich unsere Lippen trafen, merkte ich, wie er meine Hand los ließ und mit geballter Faust gegen die Wand schlug. Er wollte wieder zu Sinnen kommen und weckte mich dabei gleich mit auf. Caleb ließ mich los, doch noch stand ich wie angewurzelt da.

"Geh", meinte er erst ruhig, wurde aber lauter, als er merkte, dass ich ihn nur perplex anstarrte. "Verschwinde aus meinem Zimmer, Amand!" Wie eine aufgescheuchte Katze zog ich den Kopf ein, schlüpfte unter seinem Arm hindurch und rannte so schnell wie mich meine Beine tragen konnten aus dem Zimmer zurück in mein eigenes.

Aufgelöst betrat ich das traute Heim. Kira hatte schon gewartet und blickte mich erwartungsvoll an. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, als sie mich sah.

"Wynne. Was ... was ist passiert?", fragte sie nach. Ich sagte nichts. Rein gar nichts. Wie in Trance zog ich mich um und ging ohne ein Wort zu Bett, nur, um diese Nacht kein Auge zuzutun und die ganze Zeit an die finstere Decke zu starren.

Niemals hätte sie damit gerechnet, sich zwischen zwei Fronten wieder zu finden. Geschweige denn, dass Vampire sie angestellt hatten, um ihre Opposition loszuwerden! Als sie dem Blutsauger gegenübergetreten war, welcher ihre Freundin 'verhext' hatte, hielt sie ihm die Waffe an den Kopf. Erschrocken hatte er zur Verteidigung nur die Hände gehoben und auf sie eingeredet! Eingeredet! Und das war noch längst nicht alles. Er stand in Kontakt mit dem Anführer des friedlichen Clans und hatte die Jägerin mit ihm in Kontakt treten lassen. Was ...
 

Frustriert schloss ich meinen Laptop, ohne den Entwurf abzuspeichern. Nein, nein und nochmals nein. So konnte es nicht weitergehen. Ich konnte mich nicht konzentrieren, schon seit einigen Tagen nicht. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich an meinen Hals fasste – Dorthin, wo mich Caleb gebissen hatte. Ich wollte nicht an dieses Geschehnis zurück denken. Ganz im Gegenteil sogar, ich wollte es endlich vergessen! Eigentlich hatte ich gedacht, dass mich das Schreiben ablenken würde. Eher das Gegenteil war der Fall, denn jedes Mal, wenn ich mit den Fingern über meine Tasten wanderte, kam mir das Bild eines neuen Charakters in den Sinn ... und dieser ähnelte Caleb in einer verstörenden Art und Weise. Argh! In den letzten Tagen sind wir uns schweigend aus dem Weg gegangen. Kira hatte unterbunden, dass Neva etwas zu der Situation sagte, immerhin hatte sie miterlebt, wie ich an dem Abend zurück ins Zimmer gekommen war. Dementsprechend stoppten halt auch unsere Ermittlungen in Sachen Widerstand. Ich hatte weder Mut noch Nerven, diesem Vampir ins Gesicht zu sehen. Bislang hatte ich aber auch nicht die Nachricht bekommen, dass ich von der Position seiner Bluts-Maid zurück treten sollte. Die ganze Situation verwirrte mich ungemein.

Als eine Woche ohne Kontakt zu Lecrune vergangen war, entschied ich mich dazu, mich allein mit den anderen hinzusetzen und zu überlegen, was wir tun sollten. Ich fing an, davon zu sprechen, was meine Zimmergenossin erwähnt hatte: In der Schule gab es vermutlich einen toten Briefkasten. Die Frage war nur, wo dieser versteckt war und wie gut die Spitzel darauf Zugriff hatten. Das alles mussten wir neben unseren Aufgaben für die Schule managen. Dass wir es bislang geschafft hatten, unsere Noten auf einem guten Niveau zu halten, war eine Auszeichnung wert. Ich für meinen Teil war sehr stolz. Und auch verdammt müde.
 

Anstrengender wurde auch der Unterricht in Etiquette. Nach dem theoretischen Teil kam der Praktische dran. Das hieß, wir mussten lernen, angemessen zu reden und eine aufrechte Haltung beizubehalten. Wie es früher üblich war, mussten wir uns an eine Gangart am Hofe gewöhnen, um uns in der feinen Gesellschaft der hohen Vampire einzugliedern und unseren Familien keine Schande zu bereiten. Tja, ich wäre wohl bald aus der Nummer raus. Aber irgendwie war es doch gut, das alles Mal gelernt zu haben.

Wir wurden in verschiedene Gruppen eingeteilt, gemischt unter den Jahrgängen. Ich kam mit zwei Schülern aus dem letzten Jahr und einem aus dem dritten zusammen und wir mussten üben, eine Konversation aufrecht zu erhalten. Es war wichtig, auch harschen Worten mit Würde entgegen zu treten und unsere Gegenüber nicht zu beleidigen. Am Hofe war es nicht nur so, dass sich nur Befürworter der neuen Ordnung einfanden, sondern auch diejenigen, die dem ganzen entweder misstrauisch gegenüber standen, oder sich komplett dagegen aussprachen. Das hieß, es könnten auch Leute aus dem Widerstand anwesend sein. Bei dem Gedanken daran erzitterte ich, weswegen ich von Legrand ermahnt wurde.

"Auch wenn du Angst 'ast, darfst du es nicht zeigen, Kind!", sagte sie und klopfte mit ihrem Zeigestock auf meinen Rücken, damit ich diesen wieder durchstreckte. Genau, Rücken durchstrecken, Kinn hoch, Augen gerade aus, bestenfalls während eines Gesprächs Blickkontakt halten, um nicht unhöflich zu erscheinen. Wer Angst hatte, wurde verspottet. Und wer eine schwache Maid oder einen mickrigen Diener hatte, den nahm man nicht ernst. Ich wusste zwar nicht, ob ich mich jemals derartig beweisen müsste, aber es war besser, sich dennoch anzustrengen, sollte es jemals dazu kommen.

Als es zur Pause läutete, atmete ich erleichtert auf. Endlich wurden wir von dieser Tortur erlöst. Als ich das Zimmer verließ, erwartete mich ein Anblick, den ich gerne vermieden hätte: Caleb wartete vor der Tür, gegenüber an der Wand gelehnt und wie üblich mit den Händen in der Jackentasche. Kurz vergaß ich zu atmen und überlegte, ob ich ihn ansprechen sollte. Mein Mund war dabei schneller als mein Kopf.

"Was machst du denn hier?", fragte ich ihn mit weniger Kraft in der Stimme als man es von mir gewohnt war. Kurz musterte er mich und sah dann an mir vorbei, bevor er antwortete.

"Ich soll mit Cécilia reden." Er durfte die Lehrerin beim Vornamen nennen. Kein Wunder, sie war an sich ja eine Dienerin seines Hauses und eine enge Freundin der Lecrunes. Ich nickte nur und wollte gehen, als Miss Legrand aus dem Zimmer trat und Caleb überschwänglich begrüßte. Neugierig drehte ich mich um und sah, wie sie ihn in eine Umarmung schloss.

"Caleb, mein Guter. In letzter Zeit scheinst du dich gebessert zu 'aben, was deine Manieren und das Erledigen deiner 'ausarbeiten angeht, wie ich ge'ört 'abe. Liegt das an deiner Maid?", fragte sie nach und sah zu mir. "Warten Sie bitte, Miss Amand. Sie werden auch noch gebraucht" Ich? Wieso ich? Schwer schluckend begab ich mich zu den beiden zurück und stellte mich neben sie, wobei ich versuchte, mir mein Unwohlsein nicht anmerken zu lassen. Manchmal erhaschte ich einen Blick auf den Schwarzhaarigen und bemerkte, dass auch er es so gut wie möglich vermied, mich anzusehen.

"Es soll bald eine Feier am 'ofe stattfinden, zu Ehren des 20. Geburtstags von Miss Nocta." Ich überlegte kurz und ging die Kinder der Familie Nocta durch. Als Maid der Lecrunes musste ich die anderen Familien kennen und sie mit Namen nennen können. Bei den Noctas gab es vier Kinder: Rika, Aloise, Nev und Hiron. Aloise und Nev besuchten momentan unsere Schule. Sie waren Zwillinge, wobei es hieß, dass vor ihrer Geburt ihre Persönlichkeiten vertauscht wurden. Es war tatsächlich eine Art Gendefekt, welcher unter Vampirzwillingen vorkommen konnte. Bei diesem begann der Junge, sich wie das Mädchen zu benehmen und umgekehrt. Sie waren beide 18 Jahre alt. Hiron war mit seinen 4 Jahren eindeutig zu jung, um das Geburtstagskind zu sein, wer hätte es gedacht? Es blieb also nur Rika übrig, von der ich bislang nicht einmal das Alter wusste. Sie ging auch nicht an unsere Schule, oder vielleicht hatte sie ihren Abschluss schon? Es würde mich nicht verwundern, denn die junge Frau war dafür bekannt, ein Multitalent zu sein und einen sehr hohen IQ zu besitzen. Wenn man sie also bereits mit 15 schon hier eingeschult hatte, musste es kein Problem für sie gewesen sein.

"Jedenfalls wird Euer Auftritt erwartet, Caleb, als Erbe der Lecrune-Familie. Dementsprechend" Und damit wandte sich Legrand nun mir zu und blickte mich erwartungsvoll an. "Wird auch das Auftreten Eurer Maid verlangt. Ich würde sagen, ihr solltet euch gut darauf vorbereiten" Und damit war mein Herz stehen geblieben. Wie jetzt? Ich? Auftreten auf dem Hof? Oh nein. Oh nein nein nein. Bitte, jemand sollte mich kneifen und mich aus diesem Traum aufwecken. Vermutlich würde Caleb sowieso morgen zum Sekretariat gehen und diese Dienerschaft auflösen!
 

Dachte ich zumindest. Und wie war es tatsächlich gekommen? Zu zweit saßen wir im Klassenraum für Etiquette und sprachen mit Miss Legrand, welche uns über die Erwartungen der anderen Familie aufklärte. Ich wusste nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Seit mehr als einer Woche hatte ich nicht mit Caleb geredet und nun erwartete man von uns, dass wir uns zusammen auf diesem Fest blicken ließen. Meine Nervosität stempelte Legrand als Aufregung ab.

"Der erste Auftritt ist immer sehr Nervenraubend.", meinte sie mit einem Lächeln auf den Lippen, als sie mir eine Hand auf die Schulter legte. Sie meinte es nur gut, aber was, wenn sie wüsste, was vorgefallen war ... "Ich glaube an Euch, Miss Amand. Sie 'aben sich als eine sehr vielversprechende Schülerin 'ervorgetan." Das mochte vielleicht sein, aber zur Hölle. Wir konnten uns nicht einmal ansehen! Wie verdammt noch eins sollten wir dann gemeinsam auf der Feier erscheinen? Ich runzelte verzweifelt die Stirn und suchte bei meiner Lehrerin nach Hilfe. Diese aber wandte sich wieder der Aufgabe zu, uns darin zu unterrichten, wie wir gemeinsam uns zu verhalten haben, denn dies unterschied sich stark von dem Beisammensein der anderen Familien. Als Maid der Lecrunes durfte ich an diesem Tag Caleb nicht von der Seite weichen, ihn aber auch nicht berühren. Damit hätte ich zum Teil kein Problem. Unter vier Augen dürfte ich ihn informal ansprechen, wenn wir uns aber in der Öffentlichkeit befanden, nur mit seinem Familiennamen. Ah, ganz große Klasse.

Ich dachte eigentlich, dass solche Feiern wenigstens auf die Ferien gelegt werden würden. Wie es in diesem Fall aber schien, sollten wir mitten während der Schulzeit abreisen. In ein fremdes Land. Bislang hatte man uns nicht verraten, wo sich dieser Hof eigentlich befand. Viele würden es nun bald herausfinden, denn nicht nur ich musste meinen Vampir begleiten. Einige andere Familien hatten ebenso eine Einladung erhalten und schlossen sich den Festivitäten an. Es handelte sich hierbei sogar um eine nur halb so große Festigkeit wie man es eigentlich erwarten könnte. Rika hatte darauf bestanden, nur die wichtigsten Familien und deren Diener einzuladen. Im ersten Moment hatte ich mich gefreut, weil es bedeuten würde, dass auch Kira mitkam. Dann aber stellte sich heraus, dass sich die Jüngere etwas eingefangen hatte und dementsprechend ans Bett gefesselt war. Schicksal, du bist ein Arschloch. Neva und Yakeno begleiteten uns nicht, weil ihre Familie keine Einladung erhalten hatte. Sei befand sich noch unter uns, war aber als Diener einer anderen Familie auch daran gebunden, sich bei ihnen aufzuhalten. Ich hatte gesehen, dass er sich nicht wohl dabei fühlte, Kira zurück zu lassen. Ich aber hatte dafür gesorgt, dass sie sich nicht langweilen würde.

"Wenn es dir besser geht, hab ich eine Bitte an dich", meinte ich am Abend vor unserer Abreise, als ich dabei war, einen kleinen Koffer zu packen. Wir wären mindestens eine Woche dort, denn so lange gingen die Feste bei den Vampiren. "Versuche, eine Karte der Schule zu zeichnen. Hol dir, wenn du willst, Neva und Yakeno zu Hilfe. Markiere alles, was auffällig ist."

"Roger, wird gemacht", stimmte sie zu, bevor sie hustete. Sie war zwar nicht schwer krank, aber es hörte sich dennoch an, als würde sie jeden Moment ihre Lunge hochwürgen. Selbst wenn sie es nicht schaffen sollte, die Karte zu zeichnen, wäre ich ihr nicht sauer. Dann würden wir zusammen daran arbeiten.

Nun saß ich bereits im Flieger. Wir hatten einen dermaßen langem Weg vor uns, dass wir fliegen mussten. Mir wurde angst und bange. Mein ganzes Leben lang hatte ich noch nie einen Fuß in eine dieser Verkehrsmittel gesetzt und nun hatte ich einen 12 Stunden Flug vor mir. Vor Anspannung hatte ich die Hände auf meinem Schoß dermaßen zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß anliefen.

"Jetzt beruhig dich endlich" Das war das erste, was Caleb seit mehr als einer Woche zu mir sagte. Ich blickte auf und sah ihn zornig an. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, war bereits angeschnallt und vorbereitet auf den Start der Maschine.

"Du hast leicht reden, bist bestenfalls an diese Höllenmaschinerie gewohnt", maulte ich ihn an und vermied es, aus dem Fenster zu schauen. Ich gab es nicht gern zu, aber ich hatte extreme Höhenangst. Natürlich musste ich nicht aus dem Fenster schauen und über den Wolken würde es sicher auch nicht auffallen, aber allein der Gedanke daran, keinen festen Boden unter den Füßen zu haben sondern lediglich ein sich in der Luft befindender Boden. Caleb seufzte auf, schnallte sich ab und nahm neben mir Platz. Was? Was sollte das denn jetzt werden? Nervös sah ich zu, wie er meine Hand mit seinen Fingern umschloss und an seine Lippen führte. Ich musste merklich zittern, denn er sah mich ernst an, bevor er die Augen schloss. Es dauerte nicht lang, da durchfuhr mich ein mildes und beruhigendes Gefühl und ich spürte, wie meine Angst langsam abnahm. Langsam lehnte ich mich zu ihm hin, legte meine Stirn an unsere umschlossenen Hände und schloss ebenfalls die Augen.

"Oh, habt ihr euch wieder vertragen?", holte uns eine Stimme aus dieser Ruhe. Aufgescheucht nahm ich meine Hand zurück und rutschte auf die andere Seite meines Sitzes, so weit wie möglich weg von diesem schwarzhaarigen Übeltäter. Er hatte mir zwar nur helfen wollen, aber es war trotzdem verdammt peinlich, so erwischt zu werden und dabei von niemand wenigerem als Miss Xenia Lucette Lecrune, seiner Mutter.

"Es gab nie Probleme", meinte Caleb ruhig und setzte sich aufrecht auf seinen Platz, bevor er sich festschnallte. Hatte er jetzt vor, den ganzen Flug neben mir zu sitzen? Lächelnd setzte sich die Direktorin vor uns. Die Plätze waren zum Teil so gestaltet, dass vier Leute beieinander sitzen konnten uns sich zwei dabei immer gegenüber saßen. Miss Lecrune setzte sich in diesem Fall mir gegenüber, dorthin, wo vorher Caleb saß.

"Natürlich. Vergiss nicht, dass uns nichts entgeht, mein Lieber", säuselte sie und sah mich kurz daraufhin an. "Sehr aufgeregt?"

"Dieses Wort fasst es nicht im Geringsten zusammen", gab ich zurück und rutschte auf meinem Sitz unwohl hin und her. Momentan warteten wir noch darauf, dass der Rest der Familien sich auf ihren Plätzen einfand, damit wir endlich starten konnten. Und ich wollte diesen Albtraum endlich hinter mich bringen.

"Keine Sorge, dich wird dort schon niemand fressen. Mmh .. oder vielleicht doch?" Die Frau kicherte, während ich weiß anlief. Wie bitte?

"Mutter, bitte. Es reicht, dass sie fast wegen dem Flug in Ohnmacht fällt", mahnte ihr Sohn, welchen ich kurz nach der Aussage giftig anblickte. Er zuckte nur mit den Schultern. "Ist doch so"

"Oh, deswegen bist du so nervös." Mitleidig blickte mich nun seine Mutter an. Ich nickte leicht und lächelte sie an. Sie hatte nicht ganz Unrecht, dass ich auch Angst vor der Feier hatte. Mit meinem Temperament konnte ich da so viel falsch machen und ich wollte mich nicht vor den Direktoren blamieren.

"Wir sollten gleich starten" Diese tiefe Stimme konnte nur dem letzten im Bunde, Mister Antoine Lecrune, gehören. "Cécilia kriegt sich gar nicht mehr ein. Jedes Mal freut sie sich wie ein Kind über diese Feste" Das konnte ich mir bei der Frau nur zu gut vorstellen. Ich hatte ein Bild vor meinem inneren Auge wie Miss Legrand vor ihrer Kleidung stand, sich nicht entscheiden konnte und sich dementsprechend mehrmals umzog, bevor sie eines auswählte. Der respekteinflößende Mann setzte sich neben seine Frau und schnallte sich ebenfalls an, um sich für den Start fertig zu machen. Kurz sah er mich an, bevor er sich an seine Frau wandte und sich mit ihr unterhielt, worauf ich nicht mehr hörte. Ich schaute nur kurz den Mann neben mir an, welcher seinen Ellenbogen auf die Armlehne gestützt hatte, um seinen Kopf in der Hand abzulegen und den Flur entlang zu starren. Ich hätte meine Musik mitnehmen sollen.
 

Den Flug überlebte ich mehr oder minder unbeschadet. Als die Maschine zum Start ansetzte und ich merkte, wie mein Magen drohte, sich umzudrehen, krallte ich mich aus Reflex in Caleb's Ärmel. Unterbewusst hatte ich die Hoffnung, dass er mir einfach wieder einen Teil meiner Angst nehmen würde. Ich hatte zunächst keine Reaktion erwartet. Ich war sogar der festen Überzeugung, er würde meine Hand wegnehmen und mir sagen, ich solle mich zusammen reißen. Stattdessen aber legte er meine Hand in seine und umfasste diese diesmal eher unauffällig, damit seine Gabe auf mich wirkte. Es war ein Wunder und ein Segen, dass er dermaßen meine Gefühle manipulieren konnte. Er schraubte ohne großen Aufwand meine Angst zurück und schon bald fand ich mich im Land der Träume ein.

Bis dahin war auch nichts passiert, was man als Schaden ansehen könnte. Das war aber auch noch längst nicht alles gewesen. Während meines Schlafes musste ich irgendwie auf die Seite gekippt sein, denn als ich aufgeweckt wurde, weil wir uns wegen der Landung anschnallen sollten, hatte ich meinen Kopf auf die Schulter meines Sitznachbars gelegt. Zum zweiten Mal innerhalb einiger Stunden schreckte ich zurück, blickte kurz seine Eltern an – Wobei mich seine Mutter mit einem Schmunzeln betrachtete und ich die Mimik seines Vaters nicht deuten konnte – und rutschte wieder soweit es ging auf die andere Seite. Wann bin ich so verdammt schreckhaft und schüchtern geworden? Dieser Biss wühlte mich noch stärker auf, als ich es erwartet hätte. Unterbewusst kratzte ich mir über die Stelle und schnaubte, während ich den Rest des Fluges damit verbrachte, auf den Boden zu starren. Intelligent wie ich war, und aufgeregt, hatte ich nämlich vergessen, meinen Block mit auf meinen Platz zu nehmen.

Nachdem wir alle ausgestiegen waren und unsere Koffer abgeholt hatten, gingen die Familien getrennte Wege. Die Oberen und deren Diener und Maids wurden als erstes abgeholt und zu der Residenz gefahren. Sie sollten als erstes ihre Zimmer beziehen und begrüßt werden. Beinahe hätte ich eine Limousine erwartet, war aber positiv überrascht, als wir von einem doch eher schlichtem schwarzen Bus abgeholt wurden.

Das Anwesen war gigantisch und unglaublich alt, dennoch war die Fassade noch sehr gut intakt und man konnte erkennen, dass sich jemand um dieses Haus und dessen Garten kümmerte. Um das Gelände zu betreten mussten wir durch ein riesiges Tor, Von dort aus folgte das Fahrzeug einem Weg bis vor die Türen des Anwesens. Links und rechts von uns waren Bäume, welche auch schon vom Herbst betroffen waren und einen Großteil ihrer Blätter abgelegt hatten, welche auf dem Gras unter ihnen lagen. Es stimmte mich freudig, dass man noch nicht alle Herbstblätter weggekehrt hatte, so wie man es meistens von solchen Häusern erwartete. Vor dem Eingang blieb das Fahrzeug stehen und wir durften aussteigen, sowie unsere Koffer holen. Neben den Lecrunes und mir verließen auch die Harrisons, bestehend aus Mister Harrison und seine Tochter und deren Maid, und die Silvestris, Mutter und Vater begleitet von deren drei Töchtern und einem Sohn, den Wagen. Als wir uns dem Eingang zuwandten, traten zwei elegant gekleidete Gestalten aus der Doppeltür, um uns zu begrüßen.

"Willkommen in unserem trauten und bekannten Anwesen, alte Freunde", sprach die Frau und breitete ihre Arme aus. Lachend sah sie sich um und überflog die Anzahl ihrer Gäste. "Ah, wie ich sehe, sind auch zwei neue Gesichter unter uns. Ich freue mich schon darauf, euch während der Feier kennen zu lernen"

"Matthew wird euch gleich eure Zimmer zeigen, die wir euch zugewiesen haben", führte der Mann fort. Wie sie das wohl eingeteilt hatten? Sicherlich musste jede Familie vor der Anreise eine Liste ihrer Mitreisenden abgeben, mein Name war also schon bekannt.

Bei Matthew handelte es sich um einen schon ausgegrauten Butler der Familie Nocta. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Mensch freiwillig bis an sein Lebensende einer Familie aus Vampiren dienen wöllte. Er aber schien sehr zufrieden mit seiner Anstellung und strahlte eine unglaubliche Würde aus, während er seiner Arbeit nachging. Während wir durch die zahlreichen Gänge geführt wurden und eine Person nach der anderen unsere Gruppe verließ, weil wir an deren Zimmer angekommen waren, arbeiteten weitere Bedienstete an der Gestaltung des Hauses und des Hinterhofs. Die Schlafgemächer befanden sich im hinteren Teil der Villa, weswegen ich vermutete, dass man einen recht guten Ausblick darauf hatte.

Anscheinend kam es darauf an, wer etwas in diesem Haus veranstaltete. Derjenige 'mietete' es für die Zeit und hatte so gesehen das Sagen. Ob das so der Wahrheit entsprach, wusste ich nicht, aber so konnte ich es mir einfach vorstellen.
 

Während der Rundführung wurde uns erklärt, wo wir den Essensaal finden konnten und wann es die erste und letzte Mahlzeit vor dem Fest geben würde. Jetzt, wo wir da waren, schlug mir das Herz fast bis in den Hals vor Aufregung. Es machte mich nervös, unter so vielen Vampiren zu sein. Bislang war es immer umgedreht, auf der Akademie waren viel mehr Menschen vertreten als Vampire und deswegen hatte ich mich nie wirklich klein gefühlt. Hier war es genau umgedreht und ich hatte das schlechte Gefühl, dass mein erster Fehltritt gleichzeitig mein letzter sein würde.

"Zum Ankleiden, für die Maids, wird euch eine Bedienstete begleiten und euch einige Kleider vorschlagen.", erklärte Matthew Alena und mir, da wir die einzigen waren, die diese Prozedur noch nicht kannten. Kurz nachdem er das gesagt hatte, verabschiedeten sich auch schon Alena und ihre Dame von uns und verschwanden in ihrem Zimmer. Moment, das war mir bis jetzt noch nicht aufgefallen. Teilten sich die Herren mit ihren Dienern das Zimmer? Vielleicht war an diesem einen auch noch ein anderes angebracht, welches man nur von innen betreten konnte. Ich betete dafür, dass dies so der Fall war.

Es kam natürlich anders. Caleb und ich teilten uns das Zimmer ohne jegliche Abtrennung voneinander. Es war eigentlich auch zu erwarten, normalerweise standen sich Maid und Herr auch nicht so eigenartig gegenüber wie er und ich. Den Koffer stellte ich neben dem kleineren Bett ab und atmete tief durch.

"Ich werde mich definitiv nicht vor dir umziehen", meinte ich nur trocken ohne den Vampir anzusehen, zu dem ich sprach. Ich hörte nur, wie auch er seinen Koffer hinstellte und sich auf das Bett setzte.

"Hab ich auch nicht erwartet. Hinter der Tür dort ist ein Bad, da kannst du dich umkleiden. Also ganz ruhig"

"Ruhig!" Ich fuhr mir durch die Haare und lehnte mich mit dem Kopf gegen die Wand. "Verdammt, Lecrune. Wir teilen uns ein Zimmer!"

"Was soll groß dabei sein?"

"Was groß ... Hast du vergessen, dass wir nicht im Geringsten so sind wie die anderen?" Ich sah ihn an, wobei sich unsere Blicke trafen. Kurz merkte ich, wie ein roter Schimmer über seine Augen huschte, jedoch könnte ich mir das auch eingebildet haben. In diesem Moment hatte ich ganz andere Sorgen. "Wir gehen uns an die Gurgel, verdammt noch mal"

"Wir können uns auch anschweigen wie die letzten zwei Wochen" Die Möglichkeit bestand auch, na klar. Aber ich hatte das Gefühl, wenn wir gar nicht miteinander redeten, wäre es mindestens genauso schlimm wie wenn wir uns gegenseitig beleidigten.

"Außerdem, was zerbrichst du dir den Kopf darüber? Was wollen die machen?"

"Ich werde deine Familie bloßstellen, falls dir das auffällt. Sollten die rausfinden, wie ich mit dir umgehe, werden deine Eltern genauso darunter leiden" Caleb lachte auf und ich zuckte zurück. Zum einen, weil mein Herz ungewollt einen Sprung machte und zum anderen, weil ich diese Geste nicht erwartet hatte. Was war denn gerade so lustig?

"Meine Eltern wissen schon längst, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen", klärte er mich auf und lehnte sich etwas zurück. "Sie meinen, es wäre gut für meine 'Erziehung'. Vor allem mein Vater kann dich gut leiden" Der griesgrämige Bär konnte mich leiden? Bislang hatte ich immer das Gefühl, dass er gar nichts ausstehen konnte, schon gar nicht eine vorlaute Göre wie mich. Wie ich nun aber erfuhr, amüsierte es den Direktor, wie ich mit seinem Sohn umsprang und in die Schranken wies. Bei seiner Mutter war es die Überraschung, dass ich zu Caleb's Bluts-Maid wurde, was ihr Interesse an mir geweckt hatte. Ich verstand diese Familie einfach nicht.

"Also, mach dir keinen Kopf und benimm dich so, wie du es immer tust. Die anderen werden schnell aufschnappen, dass es normal ist" Na, wenn das mal nicht schiefgehen würde. Legrand würde mir für mein Verhalten sicherlich auch den Kopf abreißen. Wobei es vielleicht auch einen Unterschied zwischen Öffentlichkeit und unter den oberen Familien gab. Vermutlich würde es noch mit zum Privaten zählen und ich behielt die Möglichkeit, Caleb bei seinem Vornamen anzusprechen. Wie es nur um seine Eltern stand? Es wäre seltsam, sie mit Vornamen anzusprechen. Ich machte mir aber auch wirklich seltsame Gedanken. Um mich ein wenig abzulenken, beschloss ich, meine Sachen in den Schrank zu räumen, mich auf mein Bett zu setzen und ohne ein weiteres Kommentar anzufangen, an der Überarbeitung meines Kapitels zu werkeln. Diese neue Umgebung brachte mir Inspiration und wenn ich aus dem Fenster sah, konnte ich die Bediensteten beobachten, wie sie alles für die Party herrichteten. Bald würde ich die Familie Nocta vollständig kennen lernen. Ob sich Caleb und Rika sogar schon kannten? Vermutlich, sie hatten immerhin keinen großen Altersunterschied. Ich fragte mich, wie sie wohl so sein würde. War sie wie die meisten edleren Vampire, hochgestochen und fein? Oder konnte man sie, trotz ihrer Intelligenz und ihres Fortschrittes, mit uns normaleren Leuten vergleichen? Obwohl ... in unserer Gesellschaft war doch nichts mehr normal. Ich fragte mich dennoch, was diese Feierlichkeit uns alles bringen würde.

Am selben Abend stellten sich die Bediensteten vor, zumindest die wichtigsten unter ihnen. Layla, Erinn und Katherine waren für die Frauen des Hauses zuständig und würden in den Familien den Maids auch beim Ankleiden helfen. Bei den Vampiren war es meist der Fall, dass die untergebenen Damen den Vampiren halfen, sich ihre Kleidung auszusuchen. Unwillentlich musste ich mir dabei Legrand und Miss Lecrune vorstellen, wie sie sich um ihren Kleidungsstil stritten. Denn während die Blonde eher der Meinung war, allem und jedem den Barock Stil anzudrehen, legte die Brünette eher Wert auf schlichtere und nicht so auffällige Kleidung.

Im Laufe des Tages waren auch die anderen Familien eingetroffen, die Diener der anderen, welche bislang wohl noch am Flughafen gewartet hatten. Was mich betraf und meine Beschäftigung in der Zwischenzeit, so hatte ich mich dran gemacht, das Anwesen zu erkunden. Es wurde uns nicht strikt verboten, unsere Zimmer zu verlassen also hatte ich, nachdem ich ein paar Zeilen zu Papier gebracht hatte, begonnen, mich umzusehen. Mich wunderte es nicht, dass dieses Gebäude an die tausend Vampire unterbringen konnte. Es war riesig, um es noch gelinde auszudrücken. Im Hinterteil waren mehrere Gästezimmer auf der linken und rechten Seite. Es waren genug, um an die 10 Familien Problemlos unterzubringen, während der Rest der Anreisenden in Hotelzimmern untergebracht werden würde. Die Hotels in der Nähe gehörten, ganz zufälligerweise natürlich, einer Kette an, an dessen Spitze ein Vampir als CEO stand. Wer hätte es denn gedacht. Diese Beißer hatten überall ihre Finger im Spiel und würden es sich nicht nehmen lassen, weiterhin wichtige Positionen zu besetzen. Wie ich herausfand, waren in den Familien wichtige Ämter besetzt: Richter, Anwälte, Chirurgen und Ärzte, CEO's von wichtigen Ketten. Ich befand mich schon kurz davor, mein gesamtes Leben zu überdenken.

Ein Gang führte zum vorderen Teil des Anwesens. Von dort aus, wenn man die Treppe zum Obergeschoss hinunter ging, gelangte man in die Empfangshalle, wo man uns Matthew vorgestellt hatte. Momentan arbeiteten die Bediensteten daran, alles hübsch auszuschmücken. Die Feierlichkeiten würden am morgigen Nachmittag beginnen.

Ging man nach rechts, gelangte man in den Essenssaal, in welchen wir für das Abendbrot geladen wurden. Ich fragte mich, ob die Vampire ebenfalls bei uns sein würden, oder ob nur die Menschen der Dienerschaft an einem Tisch saßen. Ich lehnte mich auf die Brüstung des oberen Stockwerkes und beobachtete die Angestellten dabei, wie sie fleißig ihrer Arbeit nachgingen. Ich wollte ihnen helfen, als ich aber Katherine danach gefragt hatte, schüttelte sie nur den Kopf und meinte, dass dies eine Angelegenheit der Nocta's sei und man sich als Außenstehende keine Gedanken um die Arbeit anderer machen musste. Ich sollte also zurück lehnen und abwarten, bis wir zu etwas aufgerufen wurden. Lecrune hatte hinter mir gekichert, das hatte ich ganz genau gehört. Argh, ich wollte doch einfach nur nicht nutzlos rumsitzen und nichts tun. Deswegen hasste ich es auch, dass Caleb mein Blut nicht nehmen wollte. Frustriert schlug ich mir gegen den Kopf und sah den Gang entlang, welcher zu den anderen Räumen führte. Mir kam gerade ein Vampir entgegen, welcher mich durch seine zerzausten Haare, welche zum Teil seine Augen verdeckten, anlächelte.

"Ich sehe, du hast den Flug überlebt", begrüßte er mich und legte eine Hand auf meinen Rücken. Ich seufzte nur, es musste sich rumgesprochen haben, was für eine Panik ich geschoben hatte.

"Sehr lustig. Ich hatte das Gefühl, sterben zu müssen"

"Hab ich gehört" Sei stellte sich neben mich und stützte sich ebenso auf der Reling ab. Er war zwar ruhig, aber ich konnte ihm ansehen, dass er nicht ganz auf seinem eigentlichen Hoch war. Wieso, war offensichtlich. Immerhin musste er Kira zurücklassen, welche momentan krank im Bett lag.

"Sie wird's schon überleben", meinte ich nur und blickte nach unten, nur, um es zu bereuen. Ich hielt mir den Kopf und hockte mich hin, um denselben Fehler nicht noch einmal zu begehen. Verdammte Höhenangst. Der Schwarzhaarige blickte kurz zu mir herunter, bevor er wieder die anderen beobachtete.

"Ich hab nur ein schlechtes Gewissen, weil ich sie einfach so zurück gelassen habe." Er strich sich die Haare zurück, um endlich wieder freie Sicht zu haben. "Ich meine ... sie ist ganz allein in dem Zimmer. Vielleicht langweilt sie sich. Oder braucht irgendwas. Oder.."

Ich unterbrach ihn mit einem Lachen, er machte sich eindeutig zu viele unnötige Sorgen. Langweilen würde sie sich sicherlich nicht, immerhin konnte sie nicht nur zeichnen, sondern ich hatte ihr auch eine Aufgabe gegeben. Davon wusste nur bisher noch niemand.

"Vergiss nicht, dass Neva und Yakeno noch dort sind.", meinte ich nur und stand langsam wieder auf. Sei schnaubte und blickte mich ernst an.

"Ich vertraue ihnen nicht", gestand er offen und ehrlich, wich meinem Blick kurz aus, bevor er mich wieder ansah. "Du kannst sagen, was du willst. Aber seitdem die Schule wieder losgegangen ist, benimmt sich Yakeno eigenartig"

"Da muss ich dir sogar Recht geben" Ich erzählte Sei von dem letzten Kapitel von Yakenos Geschichte. Es war im allgemeinen auch im Autorenkurs bekannt – in welchen ich im Übrigen aufgenommen wurde, was ich total vergessen hatte, zu erwähnen -, dass er eine sehr makabre Art und Weise hatte, sich auszudrücken, wenn er schrieb. Das hatte nach den Ferien ordentlich zugenommen, nur wusste ich bislang nicht, ob ich mit jemandem darüber reden sollte. Zusammen beschlossen wir, Yakeno zu beobachten, sobald wir wieder zurück waren. Sei wäre dafür bestens geeignet, weil er mit dem anderen Vampir in eine Klasse ging und somit besser ein Auge auf ihn haben konnte. Es war zum Besten für alle von uns.
 

Der Abend ging ruhig vorbei. Am Essenstisch saß letztendlich tatsächlich nur der menschliche Part des Anwesens, weswegen wir nicht gerade viele waren. Ich hatte mich neben Alena gesetzt, um ihr Gesellschaft zu leisten. Neben mir war noch die Maid der Silvestri. Gegenüber saßen die Diener der Nocta-Familie. Dabei waren außerdem die höchsten Angestellten der Familie Nocta, welche als erste mit uns speisten. Danach würden nach und nach auch die anderen ihre Mahlzeiten zu sich nehmen. Viel zu besprechen gab es nicht, gelegentlich unterhielt ich mich mit denjenigen, die in meinem Kurs waren. Silvestri's Maid war schon längst zu alt, um zu den Schülern zu zählen. Sie war bereits 30 Jahre alt und Maid des Ältesten der Silvestris, welcher bald in ihre Fußstapfen treten und ihr Geschäft übernehmen würde. Sie war eine unleserliche Persönlichkeit, schien das Benehmen am Hofe jedoch gemeistert zu haben. Ihr Herr, Jonathan Silvestri, war bereits verheiratet, jedoch hatte seine Frau bislang keinen öffentlichen Auftritt gehabt, wie es laut Gerüchten hieß. Dementsprechend wusste niemand, um wen es sich dabei handelte.

Als ich zurück ins Zimmer kam, lag Caleb längst im Bett und war nicht mehr ansprechbar. Ich beschloss also mich umzuziehen und ebenfalls hinzulegen, jedoch bevor ich schlafen ging, checkte ich noch mein Smartphone. So alt wie dieses Anwesen auch zu sein schien, es hatte dennoch alle modernen Annehmlichkeiten, so auch Wlan. Ich konnte also meine Nachrichten abrufen und noch etwas mit Kira schreiben, welche gerade erst aufgewacht war. Dieser Zeitunterschied aber auch. Sie berichtete mir davon, dass es ihr schon etwas besser ging und dass sich Neva um sie kümmerte. Ich schrieb daraufhin zurück, dass sie das lieber noch Sei erzählen sollte, da er sich Sorgen machte. Danach drehte sich unser Gespräch nur noch um Belanglosigkeiten. Kira hatte versucht, die Karte anzusprechen, ich hatte sie aber darum gebeten, es nicht via Nachricht zu tun. Keiner von uns wusste, auf welche Mittel der Widerstand zurückgreifen würde. Und würde er diesen Text entdecken, wäre er uns einen Schritt voraus. Das wollte ich tunlichst vermeiden.
 

Am nächsten Tag war es uns selbst überlassen, wie wir die Zeit bis zum Beginn des Festes verbringen würden. Zwei Stunden vor Beginn würde eine der Angestellten zu uns kommen, um mich für die Ankleide abzuholen. Caleb musste dabei zu seinen Eltern, da sich die Legrands um sein Äußeres kümmern würden. Anscheinend bestand diese Familie nicht nur aus Cécilia, wie ich sie hier nennen durfte. Sie hatte noch zwei große Brüder und eine kleinere Schwester, wobei sich ihr Alter teilweise um knapp einhundert Jahre unterschied. Einhundert Jahre! Das musste man sich mal geben. Ich hatte es mir nicht herausgenommen, meine Lehrerin nach ihrem Alter zu fragen, da es sich schlicht und einfach nicht gehörte. Und wenn sie wollte, dass ich es weiß, würde sie es mir auch so sagen. Jedenfalls waren ihre Geschwister alle nicht so wie sie. Sie waren ruhiger, gleichzeitig aber auch nicht so respekteinflößend, wenn man ihnen allein gegenüber stand. Der älteste führte das Erbe der Familie, welches die Eltern an ihn abgetreten hatten. Er war bereits verheiratet und hatte 3 Kinder. Der zweitälteste genoss seine Freiheiten, hatte sich aber gleichzeitig dem Rat verschrieben, um nicht allzu nutzlos zu sein. Das Gefühl kannte ich nur allzu gut. Die Jüngste von ihnen hatte sich dazu entschieden, Erzieherin zu werden und arbeitete in einem menschlichen Kindergarten. Man konnte ihr die Liebe zu Kindern ansehen, jedoch, so hatte Cécilia mir erzählt, war es ihr selber nicht vergönnt, Nachkommen zu haben. Deswegen hatte sie sich also entschieden, als Erzieherin zu arbeiten ...

Alle vier waren direkte Unterstellte der Lecrunes und hatten somit ebenfalls eine Einladung zur Feier erhalten. Mir wurde erzählt, dass die Verbindung zwischen Lecrune und Legrand noch viel weiter zurückging, so weit, dass sich niemand mehr daran erinnern konnte, wann diese Freundschaft begonnen hatte. Ich für meinen Teil fand diese kleine Unterrichtsstunde interessant und es war gut zu wissen, dass Miss Legrand nicht alleine war. Jedoch hatte nur sie diesen extremen französischen Akzent. Es gehörte wohl zu ihrer Macke, so zu sprechen.

Gegen Mittag wurde ich von meinem Zimmer abgeholt. Erinn wurde nach mir geschickt und sie geleitete mich in eine Art Ankleidezimmer, in welchem die anderen Mais bereits vorbereitet wurden. Auch wir mussten einen gepflegten Auftritt hinlegen, um die Familien nicht zu blamieren. Ohne viel zu reden begannen sie, mich zu 'bearbeiten'. Zuerst lösten sie meine Hochsteckfrisur und kämmten mir die Haare. Sie hatten wohl nicht vor, mir eine gebundene Frisur zu machen. Alena im Gegenzug hatte geflochtenes, in welches sogar Strähnen von Silber eingearbeitet wurden. Um besser an mir werkeln zu können, musste ich mich auf einen Stuhl ohne Lehne setzen und still bleiben. Mit aufrechter Positur saß ich also da und beobachtete die Bediensteten, wie sie zwischen den Frauen auf und ab liefen. Die meiste Zeit beschäftigte man sich mit meinen Haaren. Da sie wirklich eine beachtliche Länge hatten – als ich das letzte Mal genauer nachgesehen hatte, reichten sie mir über meinen gesamten Rücken – hatte diejenige, die sie mir kämmte, ordentlich zu tun. Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie mehrere Kleider hereingebracht und ausgeteilt wurden. Auf den Kleidersäcken waren verschiedene Symbole zu sehen, welche man wohl als Wappen der Familien interpretieren konnte. Obwohl es mich nicht wirklich kümmerte, was ich tragen sollte, wurde ich doch leicht nervös. Bevor man sich bei mir daran setzte, meine Frisur zurecht zu machen und mein Make-Up aufzutragen, worauf ich mich so gar nicht freute, half man mir in mein Kleid. Und bei allem was mir lieb und heilig war, ich konnte nur sagen, dass es wunderschön aussah. Der Farbe und dem Stil nach zu urteilen hatte Caleb's Mutter es selber ausgesucht. Es war schlicht und schwarz, hatte keine wirklichen Träger. Vier Schnüre gingen vom oberen Teil ab und konnten am Rücken wieder mit dem Kleid verbunden werden. Mein Rücken war zum Großteil frei, jedoch verdeckten ihn meine Haare. Um die Hüfte bekam ich, ganz in Manier des Wappens der Familie, eine Rose mit zwei perlenartigen Ketten und einer Feder daran. Um obenrum nicht allzu nackt auszusehen, machte man mir noch einen Choker um den Hals. Für die Arme bekam ich noch Handschuhe, welche fast bis zu meinen Schultern reichten. Ich hatte gegen dieses Aussehen nichts einzuwenden.

Meine Haare ließen sie tatsächlich offen, anders als ich es gewohnt war. Die vorderen Strähnen klemmten sie mit Haarklemmen hinter die Ohren, um mein Gesicht frei zu halten und meine Ohrringe zur Geltung zu bringen. Als letztes setzten sie sich bei mir ans Make-Up. Passend zu meinem Kleid wurde es schlicht gehalten und an meine Hautfarbe angepasst, sodass ich nicht wie ein Panda aussah. Mehrmals wurde ich ermahnt, nicht ständig an meinen Haaren herumzufummeln. Ich konnte es halt nicht lassen. Seit Jahren hatte ich sie nicht mehr offen getragen.

Zusammen mit den anderen Maids wartete ich in dem Zimmer, bis wir abgeholt wurden. Erneut hatte ich mich neben Alena gesetzt und unterhielt mich mit ihr. Sie war, im Gegensatz zu mir, heller gekleidet in einem hübschen hellblauen knielangen Kleid. Meines ging mir über die Füße und verdeckte sie hochhackigen Schuhe, die ich darunter trug. Hoffentlich würde ich in denen nicht hinfallen, lange hatte ich nicht mehr geübt, in solchen Teilen zu laufen. Eine Maid nach der anderen verließ das Zimmer. Im Allgemeinen waren wir nicht viele, vielleicht so an die Sechs Frauen, welche in dem Raum warteten. Dementsprechend dauerte es nicht lang, bis ich mich ebenfalls bei den Lecrunes wieder einfand. Zufrieden klatschte Miss Lecrune in die Hände, als sie mich erblickte.

"Fabelhaft. Es ist genauso geworden, wie ich es mir vorgestellt hatte. Blonde Haare, helle Haut und dazu die blauen Augen. Das Schwarz passt perfekt zu dir, Kind"

Ich bedankte mich mit einer leichten Verneigung, wie ich es bei Legrand gelernt hatte, bei ihr. Diese Frau stand nicht unweit von uns mit ihren Geschwistern und schüttelte missbilligend mit ihrem Kopf.

"Aber Xenia, was hast du dem Kind angetan!" Mit ihrem ausladendem weinroten Kleid kam sie zu uns herüber stolziert. Ihren Haaren hatte man mehrere Locken verpasst, sodass man tatsächlich glauben könnte, dass sie aus dem 16. Zeitalter stammen könnte. Hm .. was war, wenn sie tatsächlich schon so alt war? Ich schob den Gedanken beiseite und beobachtete, wie sich die beiden Frauen aufgrund ihrer Unterschiede im Modegeschmack stritten.

"Bitte, Cécilia, Xenia. Beruhigt euch doch", mischte sich Mister Lecrune ein, wurde aber von seiner Frau scharf zurecht gewiesen.

"Das geht dich rein gar nichts an, Antoine!", fuhr sie ihn an und tippte gegen seine Brust, bevor sie wieder anfing, mit ihrer Freundin zu diskutieren. Der Direktor trat zurück und neben seinen Sohn, welchen er anblickte.

"Frauen, was?"

"Werde ich nie verstehen", gab dieser nur zurück und erntete einen mahnenden Blick von mir. Er zuckte daraufhin nur mit den Schultern.

Nachdem sich die beiden Frauen endlich beruhigt hatten, begaben wir uns zum Hauptsaal. Dafür mussten wir mit einer Bekanntmachung die Treppe hinunter. Der Familienname wurde ausgerufen und zuerst begaben sich die Oberhäupter nach unten. In alter Manier bot Mister Lecrune seiner Frau den Arm an, welche daraufhin ihre Hand in seine Armbeuge legte. Gemeinsam stiegen sie grazil die Treppe herunter. Diese Eleganz machte mich etwas nervös. Ich wusste nicht ganz, ob ich gemeinsam mit Caleb hinunter gehen sollte, oder etwas hinter ihm. Oder ganz einzeln? Was ein Glück, dass mich der Vampir kurz vorher noch einmal aufklärte: "Du läufst etwas hinter mir. Achte darauf, mich nicht zu berühren. Während des Festes bleibst du bei mir, außer, ich sage dir, so sollst irgendwo stehen bleiben. Verstanden?"

"Verstanden", murrte ich ihn an. Aufgrund des Tones, welchen er mir gegenüber verwendete, hätte ich ihm beinahe eine geklatscht. Ich unterließ es jedoch, da wir uns immerhin in der Öffentlichkeit befanden und mehrere Blicke auf uns gerichtet waren. Unter ihnen entdeckte ich einige mir unbekannte Gesichter. Zum Teil musste es sich um Freunde der Familie und des Geburtstagskindes handeln. Tief atmete ich ein, nachdem Caleb die ersten Schritte gegangen war, umfasste mein linkes Handgelenk mit der rechten Hand und folgte ihm. Ich kam mir vor wie auf einem königlichen Ball mit der Ankündigung und dem Hinabsteigen der Treppe, nur, dass ich als Dienerin und nicht als Begleitung des Mannes auf dem Plan stand. Unten wartete er auf mich und achtete darauf, dass ich die Treppe nicht hinunter fiel. Denn um ehrlich zu sein: So schön, wie ich auch aussah, diese Schuhe brachten mich schon nach zehn Minuten fast um. Wir gesellten uns wieder zu seinen Eltern und warteten auf den Rest der Familien, welche noch vorgestellt werden mussten.

"Das hast du gut gemacht", lobte mich der Schwarzhaarige unerwartet und ich blickte ihn verwundert an, ob ich mich denn nicht verhört hatte. Er im Gegenzug hatte seinen Blick auf die Treppe gerichtet und beobachtete jede Person, die diese hinunter kam. Das gab mir die Zeit, ihn mal genauer anzusehen, dazu war noch nicht wirklich die Zeit gewesen. Wie sein Vater hatte er einen einfachen schwarz weißen Anzug mit Krawatte an. Seine Frisur jedoch überraschte mich, da ich sie bislang nur ungebändigt und verwuschelt kannte. Man hatte sich die Mühe gemacht, seine Haare zu glätten und zu einem Pferdeschwanz zu binden, was ihn nicht nur älter, sondern auch reifer erschienen ließ. Jeglichen Schmuck, den er sonst trug – Auch das Lippenpiercing – hatte er abgelegt. So sah er tatsächlich wie ein angehender Direktor aus und nicht wie der Macho vom Schulhof. Da hatte doch eindeutig Cécilia ihre Hände im Spiel.

Fünf weitere Familien wurden vorgestellt, bevor die Dame der Woche erschien. Rika Nocta, welche erst gegen Mitternacht ihr 21. Lebensjahr antreten würde. Ihre violett gefärbten Haare hatte sie zu einer auffälligen Frisur verarbeiten lassen: Während sie auf der linken Seite komplett kurz waren, verdeckten sie auf der rechten ihr Ohr und verliefen über ihre Schulter. An ihrer Seite befand sich ein junger Mann ungefähr in ihrem Alter, dessen Arm sie ergriff und sich mit einer kurzen Rede an ihre Gäste wandte:

"Es freut mich, dass ihr so zahlreich erscheinen konntet. Manche befinden sich momentan mitten in einem wichtigen Schuljahr, andere haben ihre Geschäftstermine verlegt, um hier sein zu können. Ihr hättet nicht, aber ich freue mich umso mehr, euch hier begrüßen zu dürfen. Genießt euren Aufenthalt, entspannt, feiert, bis dass die Decke aufgeht!" Sie kicherte und blickte ihren Begleiter an. "Und vielleicht wird die nächste Einladung, die von unserer Familie ausgeht, die für eine Hochzeit sein"

Ich hörte, wie eine Frau aufgeregt quietschte und dachte mir dabei schon, dass es sich um ihre Mutter handeln konnte. Die Frau stand nicht weit weg von uns, hatte beide Hände über ihren Mund gelegt und man konnte sehen, wie sich Tränen in ihren Augen bildeten. Oh, es handelte sich hierbei wohl um eine Neuigkeit, welche die Familie Nocta noch nicht erreicht hatte. Heiraten mit 20 ... war das nicht doch etwas früh? Obwohl, im Leben eines Vampirs war wohl nichts zu früh. Sie hatten immerhin ein immens langes Leben vor sich und niemand wusste, was dieses für sie bereithalten würde. Mit einem Klatschen in die Hände erklärte Rika die Feierlichkeiten für eröffnet und alles nahm seinen Lauf.

Die meiste Zeit über hielt ich mich an Caleb, was man von mir als seine Bluts-Maid verlangte. Ich redete nicht viel, wurde auch nicht angesprochen, womit ich kein Problem hatte. Manchmal begegnete ich den Blicken von Alena oder den Dienern der Nocta-Zwillinge, welche damit beschäftigt waren, nicht nur Herr und Dame zu beschäftigen, sondern auch einige Gäste zu unterhalten und von ihren Schützlingen fernzuhalten. Sie fungierten wie Beschützer, interessant. Das konnte man von mir nicht behaupten, auch wenn es umgedreht genauso wenig der Fall war. Caleb meinte zwar, er würde mich schützen, aber bislang war ich trotzdem in jede Gefahr reingerutscht, wäre sogar daran beinahe gestorben. Und selbst dann hatte ich dem Übeltäter auch aus eigener Kraft ins Gesicht geschlagen.

"Wie ich sehe, schlägt sich Insignia immer noch mit diesem vermaledeiten System herum, was?", kam es auf einmal von links und Caleb wurde hellhörig. Ein weißhaariger Mann kam uns entgegen, musterte mich abfällig, bevor er sich an den Erben wandte. "Und du hast dich jetzt also auch hinreißen lassen, was, Junge? Dabei dachte ich, du hättest das Potential in dir, etwas dagegen zu unternehmen"

"Ich sehe nicht, warum man etwas dagegen machen sollte. Beide Seiten profitieren davon und es basiert nicht auf Zwang", entgegnete Caleb ruhig. Die Augen seines Gegenübers blitzten gefährlich auf, er war wohl einer von der Sorte, die nichts von diesem System wissen wollten.

"Das ist doch der ganze Mist daran. Ihr gebt etwas für etwas zurück, was ihr auch einfach einfordern könnt"

"Wenn wir wieder damit anfangen, die Menschen zu unterdrücken, wird es nur wieder darin enden, dass viele von uns ihr Leben verlieren"

Der Ältere schnaubte, nahm einen Schluck von seinem Getränk, was nicht aussah wie Blut sondern vielmehr wie Alkohol, und sah mich an.

"Du, Weib", sprach er. "Hat dieser kleine Pisser von dir überhaupt etwas getrunken?"

"Erstens ist mein Name Wynne Luria Amand", stellte ich mich halbwegs vor und reckte mein Kinn nach oben. Ich spürte, dass auch Caleb's Blick auf mir lag und er darauf wartete, dass ich auf die Frage des anderen Vampirs antworten würde. "Und ja, das hat er sogar tatsächlich." Ich unterdrückte das Verlangen, mit der Hand vor meinem Gesicht zu wedeln, als der Alte mir uns sprach. Er schnaubte erneut, lachte danach aber diesmal auf.

"Soso!", rief er aus und verschüttete dabei fast einen Teil seines Getränks. Das Fest lief noch nicht lang und es war schon klar, dass er eindeutig angetrunken, wenn nicht sogar betrunken, war. Es ekelte mich an, mit diesem Mann zu kommunizieren, doch musste ich ruhig bleiben. Lecrune, welcher neben mir stand, kämpfte auch mit sich selber und dem Drang, diesem Typen wohl einfach eine runter zu hauen, was dieses Gespräch sehr schnell beenden konnte.

Wir atmeten beide erleichtert auf, als wir endlich in Ruhe gelassen wurden.

"Was war das für ein Typ?", fragte ich Caleb sofort, nachdem er uns beiden ebenfalls etwas zu trinken geholt hatte. Ich hatte extra darum gebeten, mir nichts Alkoholisches zu holen. Immerhin wollte ich mich nicht gleich am ersten Tag vollstens betrinken.
 

"Ein Wichser", antwortete Caleb knapp und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Ich prustete leise, hielt mich aber zurück. "Er meint schon seit Jahren, Druck auf meine Eltern ausüben zu müssen, damit sie das mit dem System vergessen. Solche Leute gibt es unter uns halt leider auch."

"Hat er Kontakt zu ...?" Der Schwarzhaarige lachte auf und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht.

"So besoffen wie der ist, ist er denen keine große Hilfe. Er würde öfter gegen eine verschlossene Tür rennen, als irgendwelche Menschen auszuquetschen" Das klang alles nach einer sehr liebreizenden Person.

An dem Abend fand ich heraus, wie lange es Vampire aushielten, auf den Beinen zu bleiben. Während wir Menschen uns gegen Mitternacht verabschieden durften, wobei ich noch etwa eine Stunde länger blieb, sahen sie nicht im Geringsten müde aus. Eher umgekehrt – Je später es wurde, desto lebendiger kamen sie mir vor. Damit konnte ich nicht mithalten und entschuldigte mich für den Abend.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Caleb wurde von vielerlei Seiten aus auf die Probe gestellt, manchmal mischte ich mich im Hintergrund mit ein, ohne dabei aufzufallen. Ich war selber überrascht, wie gut wir noch als Team zusammen arbeiteten, trotz dessen, dass eine unangenehme Spannung zwischen uns lag. Ab und zu hatte ich die Möglichkeit, mit Sei zu reden, welcher mir von seinen Konversationen mit Kira berichtete. Ihr ging es schon viel besser und sie hatte sich an die Arbeit gemacht, sagte er, wobei er mich fragte, ob ich wüsste, was sie mit Arbeit meinte. Natürlich wusste ich es, aber ich verriet es ihm noch nicht. Das würden wir alle noch früh genug herausfinden.

Unsere Gespräche verliefen meist kurz und wurden jäh unterbrochen, wenn ich zu meinem Vampir zurückkehren musste oder Sei zum Dienst gerufen wurde. Viel redete ich mit Lecrune selber nicht wirklich, wir hatten auch nicht wirklich die Zeit dazu, was mir doch ganz Recht war. Ich war auch auf der Feier eher damit beschäftigt, zu versuchen, mir die Namen und Gesichter der Personen zu merken, welche mit dem Erben redeten. Seine Eltern waren woanders beschäftigt und auch Legrand hatte keine Zeit, mit uns zu plaudern.

Der vierte und vorletzte Abend hielt noch eine kleine Überraschung für und parat. Während sich Caleb mal wieder mit jemandem unterhielt, stieß eine weitere Person hinzu und flüsterte dem jungen Mann ins Ohr. Dieser weitete erschrocken die Augen und suchte im Gesicht des anderen nach Bestätigung. Dieser nickte und der Vampir wandte sich zu mir:

"Bleib eben hier, ich muss mit jemandem sprechen"

"Bis dann, Mister Lecrune", verabschiedete ich ihn und begab mich herüber zu den Tischen, um nicht im Weg zu stehen. Momentan befanden wir uns draußen im Hinterhof, um etwas frische Luft zu schnappen. Im inneren Saal befand sich eine Tanzfläche, welche die Vampire auch ausgiebig nutzten. Ich für meinen Teil war froh, keiner von ihnen zu sein. Da ich nun für einen Moment von meinen Pflichten erlöst war, nutzte ich die Zeit um mich hinzusetzen und zu verschnaufen. Meine Füße taten mir unglaublich weh und das größte Problem war dabei sogar, dass ich mir am zweiten Tag Blasen eingelaufen hatte. Ich atmete tief durch und beobachtete die Gäste, wie sie sich unterhielten und Spaß hatten. Mit Spaß hatte mein gesamter Aufenthalt nichts zu tun. Ich musste zum Glück nicht viel reden, aber dadurch, dass Caleb so oft in Gespräche, wichtige und schwierige Gespräche, verwickelt wurde, musste ich ihm manchmal unter die Arme greifen. Sogar so sehr, dass ich mir seine Ausreden merkte, damit er sich nicht verhaspelte. Nur, um sicher zu gehen natürlich.

Nach einiger Zeit kam ein schüchtern aussehender junger Mann auf mich zu. Mit seinen kurzen nach hinten gegeelten Haaren sah er aus, als hätte man bei ihm alles versucht, war verzweifelt und hat ihm dann die Haare einfach so zurecht gemacht.

"Miss Amand?", fragte er mich vorsichtig. Ich nickte ihm zu und deutete ihm an, dass er fortfahren konnte. "Mister Lecrune wünscht, Sie zu sprechen. Ich werde Sie zu ihm bringen" Ich dachte nicht groß darüber nach, was er sagte. In diesem Haus wurden sowieso alle üblichen Regeln und Verhaltensweisen aufgehoben, weswegen ich beschloss, dem Jungen zu folgen. Er führte mich nach innen und in einen der Gänge, vorbei am Hauptsaal, in welchem laut Musik gespielt wurde. Ich kannte die Gänge inzwischen und wunderte mich, wohin Caleb nur gegangen war. Abwesend blickte ich mich um, während ich dem Jungen vor mir folgte. Dann erblickte ich jedoch etwas, was mich zum Stocken brachte: Ich sah Lecrune auf der komplett anderen Seite stehen. Er redete mit einer jungen Frau, welche kaum älter als er aussah. Derjenige, dem ich folgte, führte mich jedoch komplett in eine andere Richtung. Verwirrt bleib ich stehen und er drehte sich zu mir um. In seinen Augen erkannte ich eine gebrochene Qual.

"Es tut mir leid", flüsterte er, zog den Kopf ein und blickte weg. Im selben Moment wurde mir ein Stofftuch auf Mund und Nase gepresst und ich atmete einen stechenden Geruch ein, welcher meinen Verstand nach und nach benebelte. Ich versuchte noch, mich dagegen zu wehren. Hätte ich damals nur die Selbstverteidigungskurse besucht, zu welchen mich meine Mutter eintragen wollte, würde das alles hier nicht passieren. Ich merkte regelrecht, wie mein Bewusstsein schwand und ich in eine stille Leere eintrat.
 

Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem vollkommen anderen Raum. Es war dunkel und kalt, unter mir befand sich nicht mehr der angenehme Teppich des Anwesend sondern ein Steinboden, welcher zudem auch noch leicht feucht war. Angeekelt rekelte ich mich auf meinem Platz hin und her und versuchte, mich aufzusetzen. Dabei bemerkte ich, wie man mir meine Hände hinter meinem Rücken zusammen gebunden hatte. Meine Füße waren zwar nicht gefesselt, aber das würde mir in den Haxen auch nicht weiterhelfen. Ich bemerkte, wie sich langsam neben mir etwas regte. In der Dunkelheit des Raumes konnte ich nicht viel erkennen, nur in weiter Entfernung flackerte ein kleines Licht und gab nicht viel Sicht auf das, was bei mir war.

"Argh ...", ächzte jemand neben mir.

"Alena?", fragte ich nach und wurde in meiner Annahme bestätigt. Also war nicht nur ich verschleppt wurden, sondern auch die Maid der Harrisons. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, ob sich neben uns noch jemand in dem Raum befand. Nachdem sich meine Augen halbwegs an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich noch drei andere Körper entdecken, wobei zwei davon ziemlich schwer zugerichtet aussahen. Scheiße, wo war ich hier nur schon wieder? Ich hätte diesem Jungen nicht über den Weg trauen sollen.

"Wo sind wir hier?", flüsterte Alena mir zu und ich hörte heraus, dass sie Angst hatte. Mir ging es nicht anders, das andere Mal wusste ich immerhin, wie mir geschah und ich fand auch einen Weg zurück zu einem vertrauten Ort. Und ich war nicht gefesselt.

"Wenn ich das wüsste, hätte ich nicht so eine Panik", gab ich zu und robbte mich zu ihr herüber. Es war eiskalt in dieser Gegend und ich fing an, zu zittern vor Kälte. Ich konnte mir vorstellen, wer dahinter steckte. Nur würde ich dem ganzen auch gerne ein Gesicht zuordnen können.

Lange ließ der Täter nicht auf sich warten. In der Ferne warf das Licht Schatten und wir konnten Schritte vernehmen, welche nach und nach lauter wurden. Je näher sie kamen, desto mehr Lichter schalteten sich an. Bewegungsmelder also. Ich setzte die zornigste Miene auf, die ich momentan mustern konnte und wartete darauf, dass sich derjenige zeigte, dem wir das zu verdanken haben.

"Du", zischte ich ihn an. Der Weißhaarige vom ersten Tag des Festes zeigte sich auf der anderen Seite des Gitterst unserer Zelle, in der wir uns befanden. Da sie nicht davon ausgingen, dass wir fliehen würden, hatten sie die Tür aufgelassen. Eingebildete Arschlöcher.

"Ich", säuselte der Trunkenbold zurück und nahm einen Schluck aus seinem Flachmann. Selbst jetzt war das einzige, woran er denken konnte, saufen. Es widerte mich nur noch mehr an und beschämte mich, dass dieser Typ es geschafft hatte, mich hinein zu legen. Und ich hatte mich auch noch halbwegs kampflos ergeben. Wie ich sah, waren die Diener der Noctas und die Maid der Silvetris ihm ebenfalls zum Opfer gefallen, jedoch hatten sie wohl ordentlich gegen ihre Entführer gekämpft.

"Wie es wohl ausgehen wird, wenn wir den hohen Familie ihre Schoßtiere wegnehmen? Eine Schande an Vampir sind sie, verlassen sich weder auf ihre eigen Stärke noch nehmen sie sich das, was ihnen rechtmäßig zusteht" Dabei ging er zu Alena herüber und packte sie am Kinn. Ihr Gesicht verzog sich unter dem ausgelösten Schmerz, der Griff des Alten schien ziemlich fest zu sein. Ich zuckte zurück, als der Weißhaarige sie mit Leichtigkeit zurück stieß, sodass sie wieder auf dem Boden landete und sich hochhieven musste. Meine Augen verließen unseren Entführer nicht. Ich behielt ihn im Blick, möglichst ohne mir meine Angst anmerken zu lassen.

"Sie sind ein feiger Wichser, uns so dreist zu entführen. Machen es ja nicht einmal selber sondern haben ihre eigenen Lakaien", fuhr ich ihn an.

"Was hat eine Pest wie du in dieser Angelegenheit schon zu sagen?", sprach er ruhig zurück und berührte diesmal mich an derselben Stelle wie Alena. Er musterte mich genauestens und in diesem Moment verfluchte ich das Kleid, da es nicht gerade wenig von meiner Haut preisgab und meinen Ausschnitt nicht verdeckte. Lüstling.

"Du hast meinen Sohn geschlagen, das muss ich dir hoch anrechnen, Kindchen", fuhr er fort und ich spürte, wie sich seine Fingernägel langsam in meine Haut bohrten und sie zum Bluten brachten. "Der schlaue Junge wusste immerhin, dass du uns ein Dorn im Auge werden wirst. Und sieh an, da ist die kleine Schlampe an der Seite der Lecrunes und besorgt sich Informationen über den Widerstand." Mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. Woher wusste er, dass wir gegen sie ermittelten? Mein Verdacht bestätigte sich zwar hiermit, aber wir hatten darauf geachtet, niemandem davon zu erzählen und nicht in der Öffentlichkeit davon zu reden. War Sei's Zimmer etwa verwanzt? Waren sie uns doch einen Schritt voraus?

"Oh, die Fragen, die durch deinen Kopf schwirren. Lass mich dir eines verraten, Miststück", hauchte er und ich musste mit mir kämpfen, mich nicht zu übergeben. "Wir sind euch immer einen Schritt voraus. Jedes Mal, wenn ihr etwas tut, wissen wir schon, wie wir verhindern können, dass ihr weiter kommt" Also hatten sie irgendetwas mit seinem Zimmer angestellt. Oder ... oder hatte Sei uns verraten? Hatte er deswegen gemeint, er vertraue Yakeno nicht, um von seiner eigenen Fährte abzulenken? Nein, das konnte ich nicht glauben. Das wollte ich nicht wahrhaben. Der Ältere lachte und ließ endlich mein Gesicht los. Ich spürte, wie einige wenige Tropfen über meinen Hals rannen und der Vampir bleckte sich die Zähne.

"Ich denke, ich hab eine kleine Belohnung verdient ... Und solltest du dran glauben, wäre es auch nicht so schlimm", sprach er verträumt und ich sah, wie sein Blick auf meine Halsschlagader wanderte. Oh nein, alles nur nicht das! Ich versuchte, wegzurutschen, fand mich aber nur an einer Wand wieder. Hilfesuchend blickte ich zu Alena, diese aber starrte mich nur verstört an. Die anderen waren bis jetzt nicht wieder zu Bewusstsein gekommen, also waren sie auch keine Option. Scheiße! Ich kniff die Augen zusammen, als der Blutsauger näher kam und sich zu mir runter hockte.

"Oh ja, wehr dich ... Das macht es nur noch spannender" Er fand Freude daran, mich so zu sehen! Widerlich! Ekelhaft! Ich erschauderte, als seine Zunge über meinen Hals fuhr und er nach der Ader suchte. Inzwischen musste ich im Gesicht wie tot aussehen. Ich hatte Panik, Todesangst. Ich zitterte am ganzen Leib und das gefiel diesem Monster auch noch. Um mich an Ort und Stelle zu halten, packte er meine Hüfte grob an und drückte mich nach unten. Mist! Verdammt! Caleb, wo bist du, wenn man dich mal braucht! In meiner Verzweiflung kam es sogar so weit, dass ich darum flehte, von ihm gerettet zu werden. Als sich die Zähne des Trunkenen in meinen Hals rammten, schrie ich gedanklich noch einmal nach meinen Vertragspartner, bevor ich vor Angst die Luft anhielt. Zeitgleich passierten zwei Dinge: Am anderen Ende des Flures krachte es, vermutlich eine Tür, die aus den Angeln getreten wurde. Bei mir ließ der Vampir von mir ab und spuckte das, was er mir von mir abgetrunken hatte, fluchend wieder aus, bevor er sich mit geweiteten Augen eine Hand vor den Mund hielt und mich anstarrte.

"Gift!", sprach er nur, kam auch gar nicht zu mehr, da wurde er schon am Kragen gepackt und auf die Beine gezogen. Ich sah nach oben und meinem Retter entgegen. Als hätte er mich in Gedanken rufen gehört stand Caleb da, hatte den anderen Vampir sich geschnappt und starrte ihn mit tödlich rot leuchtenden Augen an. So wütend und gleichzeitig so tot hatte ich ihn noch nie gesehen. Man könnte meinen, er teilte sich mit mir den Gesichtsausdruck.

"Hätte ich nur mal auf dich gehört, Wynne", meinte er an dem Täter vorbei zu mir, ohne dass seine Augen den Gefangenen verließen. Dieser begann langsam, vor Angst zu zittern und ich hörte, wie er anfing, um Gnade zu flehen. Caleb schnalzte mit der Zunge und verpasste dem anderen einen gezielt starken Schlag, um ihn auszuknocken.

Der Rest flog an mir vorbei. Wir wurden gerettet. Nachdem Caleb sich um den Entführer gekümmert hatte, wurde dieser von anderem Personal weggebracht und vermutlich vor den Rat geschafft, wie es damals auch mit Louis gemacht wurde. Louis ... dieser Typ eben war sein Vater, oder? Zumindest glaubte ich gehört zu haben, dass er eine Anspielung an ihn gemacht hatte. Neben denjenigen, die den Vampir fortschafften, betraten auch die Herren und Damen der Diener und Maids die Zelle und erkundigten sich nach dem Zustand ihrer Partner. Einer war dabei besonders aufgelöst – Jonathan Silvestri sprach mit zitternder Stimme zu seiner Maid. Ob sie ...?

Ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Caleb löste meine Fesseln und erkundigte sich auch bei mir, ob alles in Ordnung sei. Ich fasste mir an den Hals, noch war die Wunde nicht verschlossen. Er nahm meine Hand weg und verschloss die Löcher wie beim ersten Mal mit seiner Zunge. Ich erschauderte, diesmal war es aber nicht so unangenehm wie bei dem anderen. Ich beobachtete Calebs Reaktion auf mein Blut und war verwundert, als er sich sogar kurz nochmal über die Lippen leckte. Aber ... der Weißhaarige meinte, es wäre wie Gift ... wie konnte er also nicht davon betroffen sein?

"Kannst du stehen?", fragte mich Lecrune. Ich brachte kein Ton heraus und versuchte, aufzustehen. Der Schock hatte mich aber noch derartig im Griff, dass mich letztlich der Vampir aufhob und nach draußen trug. Ich sagte nichts dagegen, lehnte mich einfach an ihn und war froh, wieder in Sicherheit zu sein.

Draußen bemerkte ich, dass wir uns nicht einmal mehr im Anwesen befanden. Der Keller, aus welchem wir hinaus kamen, befand sich in einer abgelegenen Hütte, sodass ich mich wunderte, wie sie uns so schnell finden konnten. Eigentlich sollte ich nicht so viel darüber nachdenken sondern eher froh sein, dass es vorbei war und alle wieder abgeholt wurden. Wir kamen mit einem Schock davon, welchen wir erst einmal verarbeiten mussten. Unbewusst krallte ich mich die ganze Zeit in Calebs Ärmel fest. Selbst, als er seine Gabe anwandte, um mich zu beruhigen, ließ ich nicht los. Ich wollte mich vergewissern, nicht jeden Moment wieder in diesem Keller aufzuwachen. Und ich war heilfroh, als ich wieder in das vertraute Zimmer des Anwesend gebracht wurde, ohne das weitere Fragen gestellt wurden. Diese Nacht hatte ich einen fürchterlichen Albtraum ...

"Wenn du magst, können wir dich für die nächste Woche freistellen, Kindchen" Mit einer derartigen Reaktion der Direktorin hatte ich bereits gerechnet. Ich lehnte ihr Angebot mit der Erklärung ab, dass es mir reichte, bereits eine Woche in der Schule gefehlt zu haben und ich sonst mit dem Unterrichtsstoff nicht hinterher kommen würde. Ich konnte mir einiges an Stress zumuten, aber das wäre dann doch etwas zu viel. Caleb schien überrascht, wie ruhig ich am nächsten Tag schon wieder war. Zwar redete ich nicht viel mit ihm, während ich meine Sachen packte, aber ich zitterte schon viel weniger und er war überrascht, wie schnell ich meinen Schock verarbeitete. Wenn er nur wüsste. Die Nacht hatte ich, von Albträumen geplagt, kaum ein Auge zugetan. Ich hing da wie ein Schluck Wasser und kämpfte jede Minute um mein Bewusstsein. Ein was Gutes hatte mein Zustand aber: Ohne Probleme würde ich im Flieger einschlafen und die gesamte Strecke über nichts mitbekommen. Ich hatte zwar nichts dagegen, mit den Direktoren zu plaudern, aber mir fehlten Kraft und Nerven dafür.
 

Wie froh ich war, wieder einen Fuß in das gute Zimmer zu setzen, was ich die letzte Woche nur allzu sehr vermisst hatte. Kira sprang sogar von ihrem Bett auf, um mich zur Begrüßung zu umarmen.

"Willkommen zurück!", rief sie aus und lachte auf.

"Hab dich auch vermisst", meinte ich und erwiderte ihre Umarmung. Ich konnte gar nicht beschreiben, wie glücklich ich war, Kira wiederzusehen. Mir mit ihr das Zimmer zu teilen war umso viel angenehmer, als mit Caleb in einem zu hocken. Allein. Wir hatten die ganze Zeit kaum miteinander gesprochen, was meist daran lag, dass ich als erstes schlafen ging, während er länger auf dem Fest blieb ... und hoffentlich nichts anstellte. In dieser Woche hatte ich angefangen, mich mehr in diese Angelegenheiten einzumischen und mich an den Vampir anzupassen. Es war verrückt, wie wir zusammen gearbeitet hatten, um den jeweils anderen nicht dumm dastehen zu lassen.

Ich erzählte Kira einiges davon, jedoch nicht alles. Den letzten Tag ließ ich dabei gekonnt aus, erstens wollte ich mich nicht weiter damit befassen und zweitens wollte ich sie nicht beunruhigen. Es reichte schon, dass ich sie vor Yakeno gewarnt hatte. Was sie selber betraf – Es ging ihr schon um einiges besser und sie machte keinen kränklichen Eindruck mehr auf mich. Zwar meinte sie, dass ihre Nase noch nicht ganz wieder funktionstüchtig war, aber es wäre schon besser geworden.

"Außerdem", meinte sie und hob die Matratze meines Bettes an, um einen Block darunter hervor zu holen. Schlaues Mädchen, dachte ich mir zu dem Moment. Wenn es das war, was ich dachte, dann hatte sie richtig gut nachgedacht, was das Verstecken der Zeichnung angeht. "Ich bin fast fertig. Es fehlen nur noch ein paar wenige Umrisse."

"Du hättest dich echt ruhig noch etwas länger ausruhen können", meinte ich mit einem tadelnden Unterton. Meine Mitbewohnerin schüttelte nur den Kopf und schlug die Seite mir der Karte auf.

"So wie du klangst, war es sehr wichtig. Außerdem bin ich nur aufgestanden, wenn es mir wirklich gut ging", erklärte sie mir, setzte sich hin und klopfte neben sich auf den Platz, damit ich mich zu ihr begab. Kopfschüttelnd ließ ich mich nieder und betrachtete ihre Zeichnung, welcher glatt als professionell angelegte Übersicht des Campus genommen werden könnte. Ich bemerkte rote Umkreisungen an gewissen Stellen und fragte sofort nach: "Was bedeuteten die Kreise?" Mit dem Finger zeigte ich auf eine Stelle nahe des A-Blockes, Menschen-Abteilung.

"Ich habe jeden Ort markiert, an dem sich Yakeno eigenartig verhalten hat. Sagen wir, er war ungewollt eine sehr große Hilfe"

"Du bist echt verdammt gerissen, Kleine", meinte ich mit einem Grinsen, ohne es böse zu wollen.

"Ey, ich bin nicht klein! Nur Knuddelgröße", wandte sie sofort ein und ich musste Lachen.

"Das denkt sich Sei bestimmt auch!", neckte ich sie und sah, wie sie die Lippen zu einem Schmollmund verzog. Anstatt jedoch etwas auf meine Aussage zu erwidern, fing sie ein anderes Thema an.

"Wie steht es eigentlich mit dir und Mister ... eh ..."

"Mister 'Bei drei spurst du oder ich verpetz dich bei meinen Eltern'?" Die Angewohnheit, ihm unnötige Namen zu geben, hatte ich mir recht zu Beginn des Jahres schon angelegt und jedes Mal, das verwunderte mich stark, fielen mir neue ein. Kira fand das ganze recht amüsant und hatte sich einige davon aufgeschrieben.

"Genau. Du musstest dir ja mit ihm ein Zimmer teilen"

"Wir haben nicht viel geredet, dazu war auch gar keine Zeit. Apropos Zeit. Ich sollte mal endlich welche nehmen und meine Koffer auspacken" Kira hatte mich mit ihrer Begrüßung derartig abgelenkt, dass ich fast vergessen hatte, meine Sachen auszusortieren, zum Teil wieder in den Schrank zu räumen und den Rest in den Korb für die Wäsche zu legen. So viel hatte ich zwar jetzt nicht gebraucht, da ich jeden Tag ein Kleid angezogen bekam, aber ich hatte dennoch keine Lust, in muffligen Sachen herum zu stolzieren.

"Schade, dass es schon so spät ist", meinte Kira nach einer Weile, strich mit einer Hand über ihre Zeichnung und legte den Block schließlich unter ihre eigene Matratze. "Sonst hätte ich noch Sei begrüßt"

"Das hätte ihn sicher gefreut. Der Junge sieht erledigt aus" In der letzten Woche sah man ihm richtig an, dass seine Maid ihm gefehlt hatte. Nicht nur, dass er niemanden mehr hatte, der seine Haare machte – was urkomisch aussah, da er es sich anscheinend von den Helfern nicht gefallen ließ und er bei seinen Haaren sehr eitel war – sondern die Gesellschaft der Jüngeren hatte ihm wohl gefehlt. Allein die Präsens wirkte sich unbewusst positiv auf den Vampir aus, weswegen er die vergangene Woche manchmal schlecht gelaunt war. Passierte das vielleicht im Allgemeinen, wenn ein Herr von seiner Maid entfernt wurde? Bei den Frauen ebenso mit ihren Dienern? Eine Frage, mit der ich mich nicht sonderlich viel beschäftigen werde.
 

Das Praktische war, dass wir an einem Wochenende zurückgekommen waren. Zwar an einem Samstag zu Sonntag, aber damit hatte ich weniger ein Problem. Ich konnte ausschlafen, hatte zum Glück dank der Tatsache, dass ich im Flugzeug schlafen konnte, keinen allzu starken Jet-Lag. Am nächsten Tag, nachdem wir uns fertig gemacht hatten, half ich Kira dabei, ihre Skizze zu vervollständigen. Gleichzeitig klapperten wir einige der verdächtigen Stellen ab, an denen wir ohne Probleme vorbei kamen, fanden aber nicht sonderlich viel. Kira schien dabei stärker frustriert darüber als ich.

Wir befanden uns gerade hinter der Schwimmhalle. Die Brünette saß auf dem Boden mit ihren Utensilien und zeichnete, während ich Ausschau hielt nach allem, was verdächtig aussah. Da die andere bei ihren Zeichnungen sehr präzise sein wollte, dauerte es eine Weile. Es war zwar aus der Vogelperspektive, aber dennoch vermerkte sie alle Merkmale, die wir gebrauchen konnten. Manchmal ging ich sogar die Wände ab und klopfte dagegen, um lose Steine ausfindig zu machen. Jedoch war das eine Fehlanzeige.

Während wir schweigend unsere Zeit verbrachten, ich wollte dabei nämlich nicht ihre Konzentration stören, sah ich, wie uns Sei mit schnellen Schritten entgegen kam. Im ersten Moment dachte ich, er hätte Kira gesehen und wöllte sie endlich begrüßen, doch sein Gesichtsausdruck verriet etwas ganz anderes: Er war wütend, entrüstet. Über uns? Ich glaube nicht. Aber es war auf alle Fälle etwas vorgefallen.

"Hier seid ihr", meinte er und strich sich das verzottelte Haar aus dem Gesicht. "Wir haben ein Problem"

Bei dem Wort 'Problem' wurden wie beide hellhörig. Kira schloss sogar ihren Block, um zuzuhören und nicht abgelenkt zu sein. Als er unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, fuhr er fort:

"Jemand hat meinen Laptop gefunden und es geschafft, auf die Daten zuzugreifen. Alles ist weg"

"Alles?!", fragte ich ihn geschockt und fasste mir an den Kopf, als er es mit seinem Nicken bestätigte. Das konnte nicht wahr sein. Alles, was wir mit Müh und Not heimlich zusammengetragen hatten, war fort.

"Wie kann das sein? Der einzige, der darauf zugreifen kann, ist Caleb."

"Ich hab keine Ahnung" Sei schüttelte verzweifelt den Kopf und seufzte genervt. "Mich wundert es sogar noch stärker, da ich meinen Laptop eingeschlossen habe. Ohne Schlüssel, sondern mit Pinpad. Ich bin der einzige, der die Kombination kennt" Das wurde jetzt sehr eigenartig. Irgendwie musste es also jemand geschafft haben, den Code herauszufinden und dann auch noch den richtigen Pfad zu öffnen, um an die Datei zu kommen.

"Moment mal", mischte sich Kira ein. "Könnte man nicht von jedem beliebigen Rechner aus auf die Daten zugreifen, solang man einen Zugang zum Server hat?"

Die Frage beantwortete diesmal nicht Sei, sondern eine vierte Person mischte sich mit ein.

"Das ist nicht möglich" Wir wandten uns allesamt Caleb zu und hörten, was er zu sagen hatte. "Um die Daten sehen zu können, benötigst du eine bestimmte physische Adresse, die ich Sei's Rechner gegeben habe. Ohne die registriert der Rechner die Datei nicht als vorhanden und wird nicht angezeigt. Jemand muss sich also seines Laptops bemächtigt haben"

"Nicht einmal du könntest von deinem PC aus darauf zugreifen?", hakte ich nach, ohne misstrauisch sein zu wollen.

"Nicht mal ich. Sonst wären wir schon längst aufgeflogen" Stimmt. Dann hätten nämlich seine Eltern bestimmt längst die Notizen entdeckt und hätten uns dazu gebracht, mit unseren Ermittlungen aufzuhören. Na super, jetzt starteten wir also wieder bei Null. Seufzend sah ich zu Kira, welche den Blick auf ihren Block geheftet hatte. Ob sie sich fürchtete, dass dies nun auch verschwand? Es war die einzige Möglichkeit, noch etwas über den Widerstand zu erfahren auf die Schnelle. Damit hätten wir sogar möglicherweise stichfeste Beweise gegen die Spitzel an unserer Schule und könnten sie überführen. Wir müssten nur den toten Briefkasten finden und beobachten, wer sich alles an diesem zu schaffen machte.

"Es gibt auch noch andere Neuigkeiten", sprach Caleb weiter und lehnte sich neben mir an eine Wand mit seiner üblichen Geste. "Angeblich hat man zwei Schüler tot aufgefunden, nachdem wir wiedergekommen sind. Vor den Toren des Geländes" Entsetzt blickten wir ihn an, wollten nicht wahrhaben, was wir gerade gehört hatten.

"Weiß man schon, wer darunter war?", fragte ich nach und versuchte, so ruhig wie möglich zu klingen. Der Schock ging mir in Mark und Bein über. Verletzt zu werden war eine Sache. Entführt und wieder aufzutauchen auch. Jedoch ermordet ... eine ganz andere. Caleb musterte mich kurz. Als derjenige, der genau wusste, dass ich momentan noch angeknackst war, musste er abwiegen, ob er uns davon erzählte. Das nahm ich zumindest an.

"Einer davon war eine Schülerin aus dem vierten Jahrgang. Das andere ... war schwer zu erkennen, da wir nur einen Kopf vorfanden" Nur einen Kopf?! Nach und nach weiteten sich meine Augen immer mehr. "Es war Luc" Mein Magen drehte sich um und ich hielt mir aus Reflex eine Hand vor den Mund. Das war also aus ihm geworden, deswegen war er nicht wieder aufgetaucht. Nicht nur, dass sie ihn entführt hatten. Das reichte ihnen nicht, nein. Sie ermordeten Menschen und fanden vermutlich noch Freude daran, ihre Schreie wahrzunehmen. Hilfesuchend blickte ich Kira an, welche mit weißem Gesicht auf den Boden starrte. Sie umklammerte ihren Block und zitterte. Ich konnte mir vorstellen, was für ein Bild sie gerade im Kopf hatte. Da ich ihr aber keine große Hilfe wäre, hielt ich mich zurück, während sich Sei zu ihr hockte und versuchte, zu beruhigen.

"Luc also ..", flüsterte ich und fasste mir ins Gesicht. "Wie viele wissen schon davon?"

"Meine Eltern und Legrand. Und jetzt wir" Also noch nicht viele, das war gut. Wir mussten uns gut überlegen, ob wir es Neva erzählen sollten oder nicht. Ich wollte sie nicht noch einmal so erleben wie vor einiger Zeit, als wir ihr beichteten, dass er entführt worden war. Und das hier war eine Nachricht, die sie nicht nur erschüttern würde. Bei ihrem guten Herzen würde es sie zu Grunde richten.

Ich brachte keinen Ton mehr heraus.
 

Wir redeten nicht mehr viel über die Ereignisse an dem Tag und versuchten stattdessen, uns abzulenken. Zu viel würden wir sowieso nicht kommen, da es bereits Nachmittag war und wir uns noch auf Montag vorbereiten wollten. Bei Mitschülern holten wir uns Informationen über die Stunden am Montag und beschlossen, den ersten Teil der Aufgaben zusammen nachzuholen. Dementsprechend saßen wir gegen Abend zu viert in unserem Zimmer (Sei war auch mitgekommen, da er nicht alleine lernen wollte) und gingen die Materialien durch.

Die nächste Woche war fad und anstrengend. Da von unserer Gruppe jeder gefehlt hatte außer Neva, holten wir uns von ihr die nötigen Informationen über die verschiedenen Themen. Legrand war in Etiquette so wie immer, sprach in den Stunden aber sehr viel über das vergangene Fest und das diejenigen, die dort waren, sich gut angestellt hatten. Vor dem Unterrichtsbeginn bei ihr erkundigte ich mich nach den Nocta-Dienern und Alena, welchen es bereits selber besser ging. Die blauen Flecke hatten die Diener überdeckt und sagten nichts weiter dazu. Alena fragte sogar zurück, ob bei mir alles in Ordnung sei.

Als das Wochenende wieder näher rückte, warteten Caleb und ich darauf, eine Nachricht von seinen Eltern zu bekommen, ob wir etwas zu erledigen hatten. Diese aber schonten uns und so bekamen wir zwei freie Tage, die wir damit verbrachten, uns wegen des Widerstandes zusammen zu setzen. Neva hatten wir bis dato noch nichts erzählt und nahmen uns vor, es ihr so schonend wie möglich beizubringen. Das stellte sich aber als schwerer heraus, als wir geplant hatten.

Unter der Woche hatte Kira es noch geschafft, die Karte fertig zu stellen. Weitere Probleme kamen uns, außer der Schule eben, nicht entgegen, weswegen wir ohne Zwischenfälle bis zum Wochenende hin arbeiten konnten. Es lenkte vor allem mich von den Geschehnissen des letzten Festtages ab. Uns frustrierte es dennoch, unsere Aufzeichnungen verloren zu haben. Dafür würden wir aber zurückschlagen, sobald wir den Ort gefunden haben, wo sie ihre Verbindung versteckten. Damit sollten wir ihnen einen Schritt voraus sein. Von dem Plan konnten sie nichts wissen.

Als der Tag gekommen war, trafen wir uns diesmal in Calebs Zimmer. Sei hatte ich gewarnt, seines zu untersuchen, um mögliche Wanzen ausfindig zu machen, Am nächsten Tag war er auf uns zugekommen und hat uns genauso ein Teil vorgelegt. Volltreffer. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass wir tatsächlich belauscht wurden, aber meine Intuition lag anscheinend nicht falsch. Caleb hatte sein Zimmer ebenso untersucht und nichts gefunden, weswegen wir beschlossen, vorerst dieses zu nutzen, um unser Treffen abzuhalten. Es war praktisch, alle Mithilfe von Textnachrichten zusammen zu trommeln. Yakeno ließen wir diesmal leider außen vor und Neva erzählten wir von dem Ereignis am Sonntag. Ihr kalter Blick wandelte sich schnell in einen wütenden. Anstatt nun in Trauer zu versinken, beschloss sie, gemeinsam mit uns mitzuarbeiten, um diese Spitzel dingfest zu machen.

"Wir haben da nur ein Problem", meinte Caleb, welcher in seinem Bürostuhl saß und die Arme lässig auf die Armlehnen gelegt hatte.

"Und das wäre?", fragte die Rothaarige nach, sichtlich genervt von der ganzen Situation. Genauso wie ich wollte auch sie endlich weiter arbeiten um die ganze Sache hinter uns zu bringen. Leider hingen wir sogar etwas hinterher.

"Unsere gesamten Daten wurden ausfindig gemacht und gelöscht", beendete Sei den Gedanken des Rotäugigen und verschränkte die Arme vor der Brust. Verdutzt blickte die Vampirin ihn an, konnte ihren Ohren kaum glauben. In der Hoffnung, dass alles sei nur ein Witz blickte sie erst mich, dann Kira hilfesuchend an. Doch wir konnten die Aussage der Jungs nur bestätigen, immerhin hatten wir den Rechner dann noch selbst gesehen.

"Das kann nicht wahr sein. Wir haben also alles verloren?"

"Nicht ganz", erhob Kira ihre Stimme und deutete erst auf ihren Block, dann auf ihren Kopf. Beim Zweiteren war ich mir nicht ganz sicher, was sie damit meinte und blickte sie verwirrt an. "Erstens habe ich im Auftrag von Wynne eine Karte der Schule gezeichnet und alle auffälligen Orte markiert, wo wir einen toten Briefkasten finden könnten" Mit diesen Worten öffnete sie ihre Zeichnung und deutete auf die verschiedene Umkreisungen. An einige hatten wir schon Notizen gemacht und Auffälligkeiten hingeschrieben oder so markiert, dass wir genau wussten, dass es sich hierbei um eine Fehlanzeige handelte. Wir hatten noch einige Plätze vor uns und mussten einen Plan schmieden, wie wir diese am besten abgehen würden.

"Und", fuhr die Kleinere fort, bevor jemand anderes zu Wort kommen konnte. "Ich habe alles noch in meinem Kopf" Ganz stolz lächelte sie uns an. Was meinte sie damit? Sie hatte uns wohl eine Information, eine sehr wichtige sogar, vorenthalten.

"Inwiefern in deinem Kopf?", hakte Sei nach und sprach die Frage aus, die ich stellen wollte.

"Ich habe ein photographisches Gedächtnis. Als ich Caleb beim Arbeiten über die Schulter gesehen habe, merkte ich mir einen Großteil davon. Genau wie diese Karte. Selbst ohne sie könnte ich die Orte ausfindig machen" Überrascht und begeistert sahen wir sie an. Neva und ich fielen ihr sogar halb kreischend um den Hals vor Freude. Diese kleine Frau hatte uns doch gerade tatsächlich gerettet!

"Das heißt, wir müssen aufpassen, dass dir nichts passiert" Caleb drehte sich in seinem Stuhl hin und her, während er das sagte und blickte den anderen Vampir an, welcher einen Platz auf seinem Bett belegt hatte. Mit einem Nicken gab dieser ihm zu verstehen, dass er sich der Sache annehmen würde. Offensichtlicher Weise, immerhin war er ihr Herr. Ich würde als Mitbewohnerin und Freundin aber natürlich auch auf sie aufpassen. Solange der Widerstand aber nicht wusste, dass wir ein Goldkind in unserer Mitte hatten, wäre sie sicher. Wir durften uns nur nicht auffällig verhalten.

Während des Wochenendes schmiedeten wir einen Plan und bildeten Gruppen. Wir Mädels blieben dabei in einem Team zusammen und würden die Gegend abklappern, während die Jungs aufpassten, dass uns niemand auf den Fersen war. Um das alles so heimlich wie möglich abzuziehen, entschlossen wir uns dazu, unsere Erkundungstouren in die Schulwoche zu legen. Wir würden uns Zeit damit lassen, um die Spitzel nicht auf uns aufmerksam zu machen.
 

Das ganze klang in unseren Köpfen schöner, als es in Wirklichkeit verlief. Nicht nur, dass wir Aufgaben bekamen, die wir an verschiedenen Nachmittagen erledigen mussten, was wir eigentlich mit eingeplant hatten, nein. Um zu verhindern, dass jemand die Karte klaute, riet ich Kira, sie immer mit sich herum zu tragen. Dadurch verringerten wir das Risiko eines Diebstahls. Nach und nach erweiterten wir die Notizen, aber es dauerte bis zu den nächsten Ferien und den Beginn des Winters, bis wir sie komplettiert hatten. Außerdem musste ich mich jedes zweite Wochenende mit Mister 'Ich hab keinen Bock auf diesen Scheiß' hinsetzen und seine Aufgaben durchgehen. Währenddessen beriet sich Kira meist mit Sei und ging mit ihm die verschiedenen Verstecke ab. Wir hatten nun nur noch drei zur Auswahl, die wir genauer untersuchen mussten. Es gab dabei nur ein Problem: Obwohl ich nicht dachte, dass es mich erwischen könnte, fand ich mich während der zweiten Ferienwoche mit hohem Fieber im Bett wieder ... und war zu nichts zu gebrauchen.

Ächzend und keuchend wandte sie sich in ihrem Bett. Ihre Glieder schmerzten, ihr Kopf war zu schwer, um gehoben zu werden. Sie hörte Schritte, doch jedes Mal, wenn sie ihre Augen öffnete, blendete sie das Tageslicht. Sie war krank und sie hasste es über alles. Warum auch sie? Sie musste hinaus und kämpfen, nicht im Bett liegen und einen auf Mitleid tun!

„Beweg dich nicht zu viel“, flüsterte eine ihr vertraute und ruhige Stimme. Sie konnte es nicht glauben. Hatte ihre Freundin tatsächlich einen dieser Blutsauger beauftragt, sich um sie zu kümmern? Die Jägerin versuchte, sich aufzusetzen, jedoch vergeblich. Sie sank in die Kissen zurück. Und während sie damit zu kämpfen hatte, ihre Krankheit auszukurieren, setzte sich an einer anderen Stelle die Geschichte fort …
 

Wynne als Mitbewohnerin zu haben, hatte schon einige Vorteile. Nicht nur, dass ich als Probeleserin für 'Schwarze Nacht' eingesetzt wurde, mir blieben auch unangenehme Gestalten vom Hals. Und man erlebte natürlich jeden Tag etwas Neues. Am ersten Tag kam sie mir etwas angsteinflößend rüber, aber es stellte sich schnell heraus, dass sie eine sehr warmherzige Person war, selbst manchen Vampiren gegenüber. Es war nicht leicht, sie an diese zu gewöhnen. Vor allem nicht, wenn dieser Caleb Lecrune einem ständig Steine in den Weg warf und sich wie ein Dummdödel benehmen musste. Umso mehr überraschte es mich, als ich hörte, dass die beiden den Dienerschaftsvertrag unterzeichnet hatten. Vielleicht hatte meine Entscheidung sie ja beeinflusst ... Eine Woche zuvor hatte ich nämlich zugestimmt, Sei's Maid zu werden. Wir hatten uns zuvor schon einige Male außerhalb des Unterrichts getroffen und geredet. Das ganze hatte ziemlich interessant begonnen. Es machte mir Spaß, mich daran zu erinnern.

Damals war Herbstanfang, wir hatten noch nichts von der Bluts-Dienerschaft gehört. Ich war auch noch mein verpeiltes und verträumtes Selbst, als ich die Gänge entlang lief und in meinem Kopf den letzten Unterricht durchging. Ich erinnerte mich noch genau, es war die Essenspause und wir hatten mehr Zeit im Freien. Da Wynne ausnahmsweise selber mal mit anderen Dingen beschäftigt war, wobei es sich um ein Wortgefecht mit Caleb handelte, in welches ich mich nicht einmischen wollte, machte ich mich allein auf den Weg zur Mensa, um mir etwas zu Mittag zu holen. Ich suchte mir dort eines der leichteren Gerichte aus, um nebenbei noch etwas Zeichnen zu können. Wie immer war der Saal immens gefüllt mit anderen Schülern, die sich unterhielten. Neva, eine meiner neuen Freundinnen, verbrachte diese Zeit meist noch draußen, so lange sie konnte. Sie war ein Sommerkind und liebte die Wärme, was ich von einem Vampir nicht erwartete. Vollkommen vertieft in eine meiner Zeichnungen, wobei ich nebenbei immer mal wieder einen Happen zu mir nahm, merkte ich nicht, wie sich Leute um mich herum unterhielten. Erst als es zu spät war – nämlich als einer von ihnen gegen mich knallte und ich dadurch extrem mit dem Stift verrutschte – hob ich meinen Kopf an und sah zu dem Verursacher.

"Verzeihung!", entschuldigte sich ein schwarzhaariger junger Mann sofort. "Alles in Ordnung?" Ich betrachtete zunächst den Stift in meiner Hand, dessen Mine abgebrochen war, danach auf mein Blatt Papier, auf welchem nun quer durch das Gesicht des Charakters ein fetter Strich ging.

"Ich war fast fertig ...", murmelte ich deprimiert. Das könnte nicht einmal ein Radiergummi mehr retten. Derjenige, der mit mir zusammengestoßen war, blickte ebenfalls auf den Zettel.

"Oh je, das ist meine Schuld!" Immerhin sah er es ein. "Kann ich das irgendwie wieder gut machen?"

"Das wird ziemlich schwer" Ich seufzte und legte meine Papiere beiseite.

"Hab ich gesehen. Es tut mir wirklich leid. Sah aber trotzdem ziemlich gut aus"

"Danke" Peinlich berührt steckte ich meine Sachen in die Tasche und wandte mich meinem Essen zu. Der Mann, der mit mir sprach, rang nach Worte, während er sich den Nacken rieb. Versuchte er etwa, sich weiter mit mir zu unterhalten? Ich nutzte die Zeit und musterte ihn so unauffällig wie möglich. Er hatte kurze schwarze Haare, welche ihm vollkommen verzottelt über die Augen hingen. Diese schienen trotz der versperrten Sicht darauf in einem violetten Ton hervor und konnten einen in ihren Bann ziehen. Seine blasse Haut ließ sie nur noch mehr herausstechen und als er mich angrinste, sah ich seine spitzen Zähne. Er war also ein Vampir.

"Gefall ich dir?", fragte er mich und ich zuckte hochrot zurück.

"Wa-wa-was? Ich hab nicht ... ich wollte nicht ...", stotterte ich zurück. Er lachte leise auf und hob die Hände, wollte mich wieder beruhigen.

"Alles gut, tut mir leid. Das hab ich von Freunden aufgeschnappt. Ich wollte dich nicht ärgern"

"Dir ist gerade genau das Gegenteil gelungen" Ich wich seinem Blick aus. Er schien nicht ganz wie der eingebildete Vampir in unserer Klasse zu sein, zumindest auf den ersten Blick nicht. Deswegen hatte mich diese Aussage aus dermaßen überrascht und ein wenig gekränkt.

"Jedenfalls-", setzte er gerade an, wurde aber unterbrochen.

"Ey! Sei!" Diese stimmte kannte ich. Yakeno, Neva's großer Bruder, kam auf uns zu. Nun schaute ich wieder neugierig hoch und begrüßte den Älteren.

"Nanu, machst du dich jetzt an Jüngere ran, weil du in unserem Jahrgang keinen Treffer landen kannst?", neckte er den anderen, welcher diesmal rot um die Nase wurde.

"I-Ich ... als ob! Sina hat mich gestoßen, ich bin gegen sie geknallt und hab ihre Zeichnung ruiniert"

"Du hast wieder was gemalt, Kira?" So konnte man sich auch untereinander vorstellen. Yakeno war schon immer der gewesen, der laut auf Leute zuging und deren Namen rausposaunte. Ich blickte den anderen Vampir wieder an, welcher Yakeno bösartig, aber mit einem leicht roten Schimmer um die Nase anfunkelte. Sei hieß er also ...

Und so lernte ich ihn kennen. Danach trafen wir noch weitere Male aufeinander, redeten gelegentlich, wobei er sich noch öfter für das ruinierte Werk entschuldigte und ich erfuhr, dass er in Yakenos Klasse ging. Er gab erst Ruhe, als ich ihm das neue Bild zeigte und meinte, es sähe nun besser aus und er habe mich vor einem Missgeschick bewahrt. Er sah mich überrascht an, während ich kicherte.

Was mir auffiel, er war nicht gut darin, seine Haare zu machen. Manchmal sah ich, dass er sich die Mühe machte, und die Haare zurückkämmte. Wenn man ihm aber ein weiteres Mal am selben Tag über den Weg lief, war es wieder zerzaust und hing ihm ins Gesicht. Als Tochter einer Friseuse ärgerte mich das schon irgendwie. Irgendwann hielt ich es auch nicht mehr aus.

"Also nun wirklich", sagte ich mitten während eines Gespräches über meine Möglichkeiten, meine Bilder online zu stellen und auch digital zu bearbeiten. "Deine Frisur sieht scheußlich aus!" Danach hielt ich mir die Hand vor den Mund und blickte ihn entschuldigend an. Er sah nur zurück, nahm eine Strähne zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte diese in eine kurz anhaltende Locke.

"Yep", stimmte er mir zu, "Aber ich bekomme sie nicht gebändigt. Und ich lass ungern jemanden daran rumwerkeln. Das ist irgendwie unangenehm" Ich runzelte nachdenklich die Stirn und versuchte, mich nicht auf seine verzottelte Mähne zu konzentrieren. Unangenehm? Es ziepte manchmal, wenn man Knoten in den Haaren hatte, sicher. Aber so unangenehm, dass man niemanden heranließ? Davon hatte ich noch nicht gehört.

"Aber du wäschst sie doch, oder?"

Vollkommen durcheinander dank meiner Aussage schreckte er kurz zurück und fuhr sich, als wöllte er etwas beweisen, durch die Haare.

"Natürlich!", widersprach er nervös. "Ich hab nur ... einen empfindlichen Kopf"

"Aaaah ja" Ich kicherte leise. "Darf ich kurz?" Ich deutete auf seine Haare. Er nahm die Hand runter, überlegte und nickte letztlich. Vorsichtig ließ ich meine Hand durch seine Haare gleiten. Im ersten Moment bemerkte ich keine Knoten, also lag es tatsächlich an einer empfindlichen Kopfhaut? Ich konnte mir die Frisur vorstellen, die ihm besonders gut passen würde. Und dann könnte man auch endlich seine Augen sehen.

"Weißt du was? Ich mach dir deine Frisur", erklärte ich und stemmte zufrieden die Hände in die Hüfte. Dann würde mich das auch nicht mehr so ärgern!

"Aber-"

"Kein Aber! Ich mach das und damit basta. Wenn es weh tust, sag einfach und ich höre auf. Aber ich denke, ich bekomm das schon hin" Widerwillig gab er mir nach und führte mich in sein Zimmer. Das erste Mal, dass ich das Zimmer eines Vampirs betrat. Ich war begeistert und erstaunt zugleich. Es war so groß und geräumig, hier würde ohne Probleme eine kleinere Gruppe hinein passen! Ein wenig neidisch war ich zudem auch, obwohl es einsam sein musste, sich mit niemandem das Zimmer zu teilen. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich brauchte einfach mal jemandem zum Reden am Abend und war froh, dass ich Wynne dafür hatte.

Leise bat ich ihn darum, sich einen Stuhl zu holen und einfach hinzusetzen. Währenddessen durchkämmte ich sein Bad nach einem Kamm oder einer Bürste. Mit dem Daumen fuhr ich über die Borsten und konnte mir sofort vorstellen, warum er so empfindlich war. Mit denen konntest du locker jemanden erstechen. Kurz entschuldigte ich mich und huschte zurück in mein Zimmer, um meinen Kamm zu holen. Den würde ich nämlich brauchen.

Ich schnappte mir alles, was ich benötigen würde. Zum Festigen zur Sicherheit auch etwas Haarspray, da ich nicht wusste, wie widerspenstig seine Haare werden würden. Zuerst durchkämmte ich diese und beobachtete Sei dabei. Er hatte nervös die Augen geschlossen und zog die Augenbrauen zusammen, gewappnet, sollte es wehtun. Ob er mir sagen würde, dass es schmerzte? Er kam mir glatt wie jemand vor, der deswegen sogar schweigen würde.

Vorsichtig fuhr ich mit dem Kamm immer wieder durch seine Haare, um diese zu glätten. Mit einer mit Wasser befüllten Sprühflasche befeuchtete ich seine Haare, um sie in Form zu bringen. Seinen Scheitel setzte ich dabei auf die rechte Seite, von mir aus gesehen. Dort verblieben die meisten kurzen Haare, während ich die längeren auf die andere Seite kämmte und somit seine Augen frei machte. Eine einzige Locke widersträubte sich meinem Tun und meinte, ihm wie eine kleine, schiefe Antenne zu geben. So sah er zum einen Teil zwar ernst, zum anderen aber auch wieder verspielt aus. Zwar nicht ganz das, was ich im Kopf hatte, aber es gefiel mir trotzdem. Fertig legte ich alles beiseite und beschloss, kein Haarspray zu verwenden.

"So. Tat das weh?", fragte ich ihn, nachdem ich wieder auf Abstand gegangen war. Verwundert tätschelte er seinen Kopf, ich ermahnte ihn jedoch mit einem Zischen, es nicht zu oft zu tun. Mit Hundeblick sah er mich entschuldigend an.

"Nein, tat gar nicht weh", beantwortete er meine Frage und lächelte mich an. "Wie hast du das gemacht?"

"Ich hab dein Mördergerät durch einen ordentlichen Kamm ersetzt" So einfach war das eben. Ich zeigte ihm die Zinken und verglich diese mit seinem eigenen Kamm. Als er so wie ich über die Spitzen fuhr, merkte auch er, dass er wohl nicht nach dem besten gegriffen hatte.

"Oh", machte er Vampir nach diesem Erkenntnis.

"Ja. Oh. Dein Glück, dass ich zwei davon habe. Ich geb dir einen davon" Damit legte ich einen Kamm von mir in sein Bad. Das Mordinstrument warfen wir weg und winkten ihm auch nicht hinterher.

So dachte ich zumindest, hätte ich das Problem gelöst. Als ich ihn das nächste Mal antraf, war jedoch alles wieder beim Alten. Ich sprach ihn darauf an und er meinte, dass er nicht in der Lage sei, sich die Haare so zu machen, wie ich es getan hatte. Ich machte ihm den Vorschlag, es für ihn zu übernehmen. Nie hätte ich gedacht, dass jemand so glücklich darüber sein könnte, dass ein anderer die Haare für einen kämmt. Aber irgendwie war es ja auch ganz süß.

Ich fand mich mittlerweile dazu hingezogen, mit dem Vampir zu reden. Wynne wusste davon nichts, weil ich meist die Zeit nutzte, die sie brauchte, um mit Caleb Lecrune zu reden, um mich davon zu stehlen. Wie eine heimliche Affäre. Ah! Böser Kopf! Aus!

Die Zeit kam, da wurden wir über die Bluts-Dienerschaft aufgeklärt. Nun kam es dazu, dass sich vermehrt Vampir und Mensch zusammen taten, um diesen Vertrag einzugehen. Es war profitabel für beide natürlich, darin bestand kein Zweifel. Meine Freundin hasste es natürlich, was ich aber auch nachvollziehen konnte. Wenn man Vampire nicht leiden konnte, war das ganze schwer zu verarbeiten. Was mir aber Angst machte, war die Tatsache, ob mich jemand fragen würde. Bislang hatte noch keiner von den Vampiren irgendwelches Interesse an mir gezeigt. Ich hatte auch mit niemandem gesprochen außer Neva, Yakeno und Sei. Und gelegentlich auch Caleb, aber das war eher flüchtig und ich wollte auch schnell weg. Er war mir irgendwie unangenehm mit seiner Art. Und ich stand unter dem Einfluss von Wynne, welche sich mindestens einmal die Woche mit ihm stritt, auch wenn sie es nicht zugeben will.

Immer öfter fanden wir uns in der Gesellschaft von Neva, ihrem Bruder und dessen Klassenkamerad. Inzwischen hatte sich meine Mitbewohnerin auch an alle drei gewöhnt und sprach normal mit ihnen. Sie war zwar noch immer verkrampft und vorsichtig, aber das konnte man ihr nicht anrechnen. Am Anfang hatte sie Neva ja nicht einmal mit Vornamen angesprochen.

Mit Sei verbrachte ich leider in den großen Pausen immer weniger Zeit, da er lernen musste. Er hatte meistens ein Problem mit dem Stoff und ich wünschte, ich könnte ihm helfen. Immerhin bei der Auffrischung von dem, was er aus dem ersten Jahr hätte mitnehmen müssen, konnte ich ihn etwas unterstützen. Dafür war er sogar dankbar.

Mittlerweile war es für uns zumindest vor der Schule zum Ritual geworden, dass ich ihm seine Haare machte. Immerhin da konnte ich mit ihm reden, sogar recht ungestört, da ich ihn dafür in seinem Zimmer antraf. Ich konnte schon sagen, dass ich mich mit ihm besser verstand als mit Neva, was vermutlich auch an seiner zuvorkommenden Art lag. Manchmal, als Entschädigung, bot er mir an, meine Tasche zu tragen. Sie war zwar nicht schwer, aber welcher Mann tat das heutzutage noch?

Die Ferien hatten begonnen und wieder saß ich bei ihm und machte ihm die Haare, wie gewohnt. Gerade, als ich fertig war, alles wegräumte und zur Tür hinaus verschwinden wollte, nahm er mich am Handgelenk und hielt mich auf. Ich drehte mich zunächst nicht um, da meine Gesichtsfarbe der einer Tomate glich. Was war denn nun in ihn gefahren? Ich atmete ein paar Mal durch und sah ihn letztlich an.

"H-Hab ich was ve-vergessen?", stotterte ich heraus und verfluchte mich für meine Aufgeregtheit.

"Hättest du etwas dagegen, meine Bluts-Maid zu werden?" Das kam aus heiterem Himmel! Ich sah ihn erstaunt an und konnte schwören, wieder rot zu werden. Ich sollte was? Seine Bluts-Maid? Ich hatte schon gehört, er habe keine, aber dass er sich überlegen würde, mich zu nehmen ...

"Wieso denn?", fragte ich und diesmal war er es, der stotterte.

"Ähm ... na ja. Hast du nicht bemerkt, wie die anderen dich zum Teil angestarrt haben? Die Ju- Die Vampire, meine ich. Du hast ein sehr begehrtes Blut, Finea" Gegen Ende des Satzes wurde er leiser und ruhiger, fast verführend. Aber ich musste darüber nachdenken. Ich konnte mich nicht sofort dafür oder dagegen entscheiden.

"Ich ... Lass mich darüber nachdenken, okay?", bat ich ihn und lächelte ihn zuversichtlich an. Er ließ mein Handgelenk los, nickte kurz und ließ mich dann auch gehen. Vor der Tür klappte ich fast zusammen. Meine Beine gaben fast nach und mein Herz schlug mir bis in die Kehle. Sei Kentaro Yarias, einer der Adligen der Schule, der nicht an diesem System teilnehmen wollte, hatte mich gefragt – mich – ob ich seine Bluts-Maid werden will! Ich brauchte eine Weile, um mich bewegen zu können, ohne jederzeit gegen etwas zu laufen. Das alles war so aufregend, aber gleichzeitig bekam ich auch Angst. Ich wusste immerhin nicht, ob es wehtat. Wie sehr. Und wie viel er brauchen würde, wenn ich zustimmte.

Es kam, wie es kommen musste: Ich stimmte zu, erzählte auch Wynne davon, welche Kentaro sofort drohte. Sie war wie eine beschützerische Mutter, oder große Schwester. Es war irgendwie rührend, aber manchmal brauchte sie das auch echt nicht zu tun. Sie wusste nicht, dass ich mit ihm schon länger zutun und dadurch auch ein gewisses Vertrauen zu ihm aufgebaut hatte, aber das musste sie auch nicht wissen. Immerhin akzeptierte sie ihn mit der Zeit und er wurde fester Bestandteil unserer Gruppe.

Wir unterstützten uns gegenseitig. Und ich nahm auch meinen Mut zusammen, ihn zu fragen, wie das mit dem ersten Mal beißen eigentlich ist. Ich verstand auch so gar nicht, warum er so nervös wurde, als ich es fragte! Stotternd erklärte er mir dann, dass es gar nicht so schlimm war. Angeblich hätten die Vampire der friedlichen Seite über die Jahre ein körpereigenes Gift entwickelt, was dem 'Opfer' eine Art Glücksgefühl bescherte. Ich konnte mir nichts darunter vorstellen, bis er mich dann das erste Mal nach meinem Blut fragte. Ich zögerte und er meinte, er könne auch auf Konserven zurückgreifen. Damals schüttelte ich den Kopf und machte meinen Hals frei. Er musterte mich, sah erst zu meinem Handgelenk und dann meinem Hals. Tief atmete er durch, legte eine Hand an meine Wange, um meinen Kopf zu stützen. Kurz darauf, daran erinnere ich mich genau, spürte ich zunächst seinen warmen Atem an der Haut meines Nackens und seine einzelne, verwirrende Strähne kitzelte meine andere Wange. Ich hätte beinahe gekichert, doch das wurde im Keim erstickt, als er vorsichtig zubiss. Ich spürte sofort, wie das Gift wirkte. Mein gesamter Körper wurde wärmer, ich atmete scharf ein, um nicht ausversehen einen Laut von mir zu geben. Fast kippte ich von ihm weg, doch da legte er auch schon eine Hand auf meinen Rücken und drückte mich an sich. Mein Herz schlug schneller, vor Aufregung, Nervosität ... Begierde? Das lag bestimmt an dem Gift, das durch meine Venen schoss. Ich schloss die Augen und wartete ab, während ich versuchte, nicht ausversehen laut zu werden. Um es besser zu unterdrücken, biss ich mir fast meine Unterlippe blutig. Aber wer hätte auch gedacht, dass es so eine Art von Gift war? Es wirkte wie ein Aphrodisiakum. Also, wenn man mit einem Vampir schlafen wollte, hätte man definitiv kein Problem, auf seine Kosten zu kommen.

Nach einer quälenden Weile, ich hatte bereits begonnen, mich an seinem Oberteil festzuhalten, zog er seine Zähne zurück und verschloss die Wunde – Indem er mit der Zunge darüber ging! Als ob es um mich geschehen wäre, erschauderte ich und stieß ein Keuchen aus. Aaah ... Mist. Peinlich berührt versteckte ich mein Gesicht in seinem Oberteil, als ich mich halbwegs wieder bewegen konnte.

"Verdammt. Alles in Ordnung?", fragte er mich besorgt, jedoch ebenfalls etwas gequält. Ob er annahm, dass ich weinte?

"Alles gut ... das ... war nur peinlich", gestand ich, immer noch nicht in der Lage, den Kopf zu heben. Ich spürte, wie auch er mit seinem Atem zu kämpfen hatte und dass sein Herz raste. Er war wohl nicht dazu gekommen zu atmen, als er von mir getrunken hatte. Mir hingegen war schwummrig und ich hatte das Gefühl, sobald er mich loslassen würde, fände ich mich auf dem Boden wieder.

"Mir ist verdammt schwindlig ...", meinte ich nach einer Weile, als dieses Gefühl einfach nicht abebbte. Kentaro zog scharf die Luft ein und hievte mich auf sein Bett, wo ich mich hinlegen durfte.

"Ich hab vielleicht etwas zu viel genommen", meinte er und fasste mir auf die Stirn. "Tut mir leid. Ich hol dir gleich was zu trinken. Bleib liegen" Ich nickte ihm nur schwach zu und sah, wie er aus dem Zimmer verschwand. Kurz darauf hörte ich, wie er die Zimmertür schloss. Seufzend fasste ich mir an den Hals. Die Stelle, an der er mich gebissen hatte, war noch immer warm ... angenehm warm.

An dem Abend kümmerte er sich um mich, bis dieses Schwindelgefühl mich verließ. Vorher ließ er mich auch gar nicht aufstehen.

Ab da wurde es irgendwann aller zwei Wochen zur Gewohnheit, dass er von mir trank. Das Gefühl machte mir nach einer Weile auch nichts mehr aus, ich begrüßte es ... aber es wurde gleichzeitig auch intensiver. So sehr, dass ich fast mich selber vergessen hätte. Es war auch einiges passiert. Wir hatten Informationen zusammen getragen und gleichzeitig wieder verloren. Da ich aber Caleb mal beim Arbeiten zugesehen habe und die Notizen selber gelesen hatte, hatte ich alles noch in meinem Kopf. Das würde ich ihnen aber noch nicht sagen.

Eine ganze Woche lag ich ans Bett gefesselt im Zimmer. In der Zeit verreisten Wynne und Kentaro, wodurch ich nur Neva hatte, welche sich um mich kümmerte. Was mich aber freute: Meine Mitbewohnerin war auf mich zugekommen und hatte mich darum gebeten, eine Karte der Schule zu zeichnen. Ich war glücklich, dass sie sich auf mich verließ und meine Hilfe wollte. Ich fühlte mich nützlich und das nicht im nahrhaften Sinne.

Ich nutzte die Zeit um mich auszukurieren, aber auch gleichzeitig, um mit den ersten Umrissen zu beginnen. Wenn Neva im Zimmer war legte ich die Arbeit meist beiseite, da Yakeno sie begleitete. Wynne hatte mich nach ihrem ersten Tag Abwesenheit gewarnt, ihn im Auge zu behalten. Mit Kentaro schrieb ich auch gelegentlich und merkte dabei, dass er mir tatsächlich unglaublich fehlte. Ich mochte es nicht, mich nur per Text mit ihm zu unterhalten. Und ich fragte mich gleichzeitig, wer ihm nun seine Haare machte. Ob er jemand anderen da ran ließ? Dieser Gedanke stimmte mich ein wenig eifersüchtig und verursachte einen Stich in meiner Brust ...

Bei ihrer Rückkehr konnte ich den anderen Stolz die Karte präsentieren, bei welcher Yakeno ungewollt mehr mitgewirkt hatte, als er wollte. Wir waren die ersten Stellen auch abgelaufen und hatten die Informationen vervollständigt, bevor Wynne krank ans Bett gefesselt wurde. Die Arme. Wenn es sie erwischte, dann richtig. Sie konnte sich vor Fieber kaum regen und redete zum Teil im Schlaf. Sie musste fürchterliche Albträume haben, denn sie ging in ihrem Unterbewussten so weit, Caleb um Hilfe zu bitten. Da sie nun verhindert war, machte ich es mir selber zur Aufgabe, alle Verstecke noch einmal abzugehen. Kentaro leistete dabei Gesellschaft und passte auf, dass uns niemand bei unserer Arbeit störte.

"Wie viel wissen wir schon?", fragte er und blickte auf den Plan.

"Wir sind auf drei Orte runter. Einen habe ich schon mit Wynne abgeklappert, bevor sie umgefallen ist. Zum zweiten müssen wir jetzt", erklärte ich ihm und bog um die Ecke.

"Ist sie jetzt allein?"

Ich kicherte leise und sah ihn an.

"Nein. Ich hab dafür gesorgt, dass Caleb sie gesund pflegt. Momentan ist sie sowieso dermaßen im Fieberwahn, dass sie kaum etwas mitbekommt." Es war auch irgendwo ein Teil Rache mit enthalten, dafür, dass sie mich immer neckte und wegen meiner Größe aufzog. Okay, neben Kentaro war ich wirklich nicht gerade groß, ich reichte ihm knapp bis zu den Schultern. Aber er war ja auch nicht gerade winzig!

Als wir ankamen, legte ich meine Tasche und den Plan ab. Neugierig blickte ich mich um und bat den Schwarzhaarigen darum, die andere Seite abzuklappern. Ich ging die Sache an, wie Wynne es tun würde: Mit der Faust klopfte ich die Wände ab um zu prüfen, ob sich dahinter etwas befand. Vollkommen konzentriert schreckte ich auf, als ich hinter mir ein 'Uffz' höre, woraufhin ich mich umdrehte und Kentaro auf dem Boden vorfand.

"Alles in Ordnung? Was machst du denn da unten?", fragte ich ihn, während er aufstand. Ich wollte ihm helfen, aber das hätte wahrscheinlich nicht so gut geklappt.

"Ich bin über irgendwas gestolpert", meinte er und betrachtete den Fleck in seiner Hose. "Na super. Grasflecken im Winter. Vielen Dank" Geschneit hatte es noch nicht, aber das würde es bald, so kalt wie es schon wurde. Und wir wollten immerhin auch weiße Weihnachten hier haben! Obwohl viele Schüler, entgegen der Empfehlungen der Direktoren, nach Hause gefahren sind.

Gemeinsam gingen wir der Ursache seines Stolperns auf den Grund und fanden heraus, dass unter all dem Gras sich ein falsches Stück befand, das sich sehr gut an den Rest anpasste. Irgendjemand musste es versäumt haben, den Teil wieder ordentlich zu verschließen, sodass man darüber stolpern konnte. Kentaro hob den gefälschten Teil und wir legten eine seltsame kleine Aushöhlung frei.

"Was ist das?" Ich betrachtete das metallene Ding am Boden des Hohlraumes.

"Ein USB-Port. Das muss es sein", stellte er fest und sah sich kurz um. Noch hatte uns keiner gesehen.

"Wie kann das es sein?", fragte ich verwirrt und ungläubig. Was sollte man mit einem USB-Port anfangen?

"Na überleg mal. Du brauchst nur einige Daten auf dein mobiles Telefon zu laden, verbindest dich mit dem Port und überträgst alles darüber. So können sie auch auf Aufträge zugreifen. Ich könnte wetten, es ist Passwortgeschützt" Ach so ... das leuchtete ein. Vorsichtig legten wir die Abdeckung wieder drauf und kehrten zurück, um den Ort auf der Karte zu Vermerken. Es gab jedoch nur ein Problem: Diese war weg!

"Verdammt!", fluchte ich. Mir war Wynnes Warnung vollkommen entgangen. Ich sollte das Ding doch immer bei mir haben! Jemand musste uns verfolgt und auf den richtigen Moment gewartet haben, anders konnte ich es mir nicht vorstellen. Nun musste ich meiner Mitbewohnerin beichten, dass wir die Karte verloren hatten.

"Keine Sorge", meinte Kentaro und legte eine Hand liebevoll auf meinen Kopf. Warm lächelte er mich an und versuchte, mich aufzumuntern. "Wir haben doch immer noch dein schlaues Köpfchen"

Das stimmte .. aber damit konnten die anderen doch nichts anfangen. Ich seufzte, traurig und wütend über meine eigene Dummheit und Unachtsamkeit. Irgendwie musste ich es wieder gutmachen.

Mir kam am nächsten Tag auch die Idee. Ich schnappte mir Notizblock und Stift und eilte zu Kentaro, um ihn zu fragen, ob er Zeit hätte. Leider war dem nicht so – Er musste lernen und sich auf eine Nachprüfung vorbereiten. Neva konnte ich nicht fragen, da sie wieder nach Hause gefahren war und Caleb war anderweitig beschäftigt. Na gut, da musste ich eben allein ran. Ich begab mich zu der Stelle vom Vortag und legte mich auf die Lauer. An einem unentdeckten Ort wartete ich darauf, dass sich jemand zu dem toten Briefkasten begeben würde, und würde mir das Aussehen gut notieren.

Ich erwartete jedoch nicht, dass sich jemand an mich anschleichen könnte. Meine eigene Naivität verfluchend kämpfte ich dagegen an, als ich von hinten gepackt und weggezerrt wurde. Eine Weile ertrug es mein Angreifer, bis er mir ein Tuch auf mein Gesicht drückte. Dann dauerte es nicht mehr lang und ich verlor das Bewusstsein.
 

Als ich wieder zu mir kam, tat mir alles weh. Ich spürte langsam, dass ich saß ... und dass meine Hände und Füße gefesselt waren. Ächzend versuchte ich, die Seile um meine Gelenke zu lösen, doch hätte ich mir gleich denken können, dass ich mir dabei nur die Haut aufscheuern würde. Oh je, das war gar nicht gut. Vor Angst begann mein Herz, schneller zu schlagen. Ich wusste nicht, wo ich war. Es war dunkel, doch erkannte ich durch das Licht von draußen, welches durch einen kleinen Spalt in den Raum gelangte, dass es nicht gerade weitläufig ging. Es gab keine Fenster oder diese waren gut verschlossen und verdeckt. Meine Panik steigerte sich, als ich Schritte hörte. Kurz darauf erblickte ich einen Schatten am Spalt, kurz bevor ich hörte, wie etwas aufgeschlossen wurde. Das Licht wurde angeschaltet und zunächst kniff ich die Augen zusammen, nicht gewohnt an diese plötzliche Helligkeit. Als sich mein Sichtfeld langsam vor mir auftat, da ich mich an das Licht gewöhnte, blickte ich die Person an, die den Raum betreten hatte. Meine Augen weiteten sich vor Schock.

"Du ..."

Ich bringe sie um. Es dauerte nicht lang, bis ich wieder mitbekam, was um mich herum geschah. Irgendwie hatte Kira es dazu gebracht, Caleb zu überreden, mir zu helfen. Mir zu helfen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Er gab sich Mühe, herauszufinden, was ein Mensch während einer Grippe brauchte. Das musste man ihm lassen. Aber zur Hölle, es war sowas von unnötig.

"Ich bekomm das auch alleine hin", maulte ich ihn an, schlug die Bettdecke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. Mit gehobener Braue beobachtete mich der Vampir und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Na, das will ich sehen", meinte er arrogant und erwartete, dass ich es nicht schaffen würde. Dem würde ich es schon zeigen! Mit einem Schnauben schwang ich mich auf die Füße .... und verlor binnen weniger Sekunden das Gleichgewicht. Ich fiel zurück auf mein Bett, landete mit einem 'Uff' auf der weichen Matratze und wurde sofort von diesem überfürsorglichen Volltrottel zurück ins Bett gedrückt und zugedeckt.

"Du hast immer noch Fieber", mahnte er mich und legte eine Hand auf meine Stirn, um herauszufinden, wie schlimm es noch war. "Nicht mehr ganz so schlimm, aber beschissen genug. Also, Bettruhe. Sonst sorg ich dafür"

"Das würde ich nur zu gern sehen", forderte ich ihn heraus und schnalzte mit der Zunge. Die Aussage hätte ich vielleicht nicht tätigen sollen, denn ich sah etwas Gefährliches in seinen Augen aufblitzen.

"Glaub mir, Babe. Wärst du gesund, würde ich dich nur zu gern ans Bett fesseln" Er lachte auf und verließ das Zimmer, bevor ich mein Kissen nach ihm schmeißen und 'Wichser' rufen konnte. Ich tat es dennoch und zuckte zusammen, als sich die Schiebetür in die andere Richtung bog. Hätte ich mehr Kraft gehabt, wäre es wohl um sie geschehen gewesen. Was machte er auch für Bemerkungen! Und was war das für ein lächerlicher Name! Aaah, mein Kopf tat weh. Langsam sank ich zurück auf die Matratze – ohne Kissen. Das lag jetzt vor der geschlossenen Tür und wartete darauf, aufgehoben zu werden. Nur nicht von mir, sonst könnte ich wohl auf dem Boden übernachten.

Damit sich Caleb um mich kümmern konnte, hat er sich einen Ersatzschlüssel besorgt. Ich dachte erst, Kira hätte ihren oder meinen abgegeben, aber nein, der feine Herr Erbe konnte sich einen aus dem Sekretariat holen, einfach so. Dass dabei keine Fragen gestellt wurden, wunderte mich. Ob er ihn geklaut hatte? Aus irgendeinem Grund konnte ich mir das nur zu gut vorstellen.

Nach zwei Tagen Ruhe hatte sich mein Fieber schon wieder etwas beruhigt und ich konnte immerhin im Bett arbeiten. Mit dem Laptop auf dem Schoß tippte ich das nächste Kapitel, soweit wie meine Gedanken reichten. Nebenher hatte ich aber auch Yakenos Geschichte offen, um diese durchzugehen und Veränderungen in seinem Charakter zu notieren. Jedes Mal, wenn wir ihn sahen, schien er unverändert. Ein guter Schauspieler vermutlich, das mussten die aus dem Widerstand wohl sein, um nicht aufzufallen. Ob es ein Kriterium war, um dort beizutreten? Oder vielleicht wurden sie einem speziellem Training unterzogen.

Kira war die Tage äußerst beschäftigt. Da ich verhindert war, machte sie es sich zur Aufgabe, die Arbeit weiter zu führen. Ich mochte ihren Eifer, jedoch hatte ich gleichzeitig Angst, dass ihr etwas zustoßen würde. Wir konnten nicht vorsichtig genug sein. Ich war erleichtert, als sie meinte, dass Sei sie unterstütze. Wobei es mich wunderte, dass sie ihn mit seinem Zweitnamen ansprach. Irgendwo war es aber doch wieder herzig, die zwei.

Ich atmete tief durch und arbeitete mich durch Yakenos letzte Kapitel. Es jagte mir jedes Mal einen eiskalten Schauer über den Rücken, doch irgendwer musste sich dem annehmen. Und da ich momentan sowieso zu nichts zu gebrauchen war, kümmerte ich mich eben darum. Und wer weiß – Vielleicht fanden wir dadurch ja etwas Hilfreiches heraus.

Euphorisch erzählte mir Kira an dem Abend, sie hätten den toten Briefkasten gefunden. Ich gratulierte ihr herzlich, freute mich selber. Uns fehlte nicht mehr viel und wir hätten die Spitzel endlich. Eines bereitete mir jedoch Sorgen: Sie schien, trotz ihrer Freude, nicht ganz bei sich zu sein. Ob etwas passiert war? Ich schwor, wenn Sei ihr etwas angetan hatte, würde ich ihm den Arsch aufreißen. Diesen Abend schlief ich endlich ruhiger als die Nächte zuvor. Vorher war ich von Fieberträumen geplagt und fand mich jedes Mal zurück in dieser Zelle, gefesselt, der Vater von Louis vor mir. Er bleckte sich die Zähne, musterte mich wie ein einziges Stück Fleisch – Oder wie einen großen Beutel Blut in diesem Fall – und beugte sich zu mir, um mich zu beißen. Ich erstarrte und meist war das auch der Punkt, an dem ich wieder aufwachte. Wenn ich nur daran dachte, wie seine ekligen, verschwitzten Finger mich berührten wurde mir ganz anders. Es widerte mich an. Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, sobald ich wach war, wie ich gerettet wurde. Oder eher, von wem. Caleb war mir damals zur Hilfe geeilt und hatte diesen Mann nicht nur mit seiner Gabe verstört (als ob mir das entgangen wäre, so entsetzt wie der Weißhaarige dreingeschaut hatte), sondern ihn auch noch K.O. geschlagen. Mir kam der Gesichtsausdruck des anderen wieder in den Sinn. Nicht nur, dass seine Augen vor Wut geglüht hatten, nein. Er sah blass aus, verdammt blass. Als hätte er dasselbe durchgemacht wie ich. Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich darüber ins Grübeln kam, aber ich konnte es auch nicht lassen. In letzter Zeit kam es mir so vor, als würde ich durch irgendetwas zu ihm hingezogen werden. Mein Herz schlug schneller ... Ich wusste, was das für Anzeichen waren, immerhin hatte ich mich schon einmal verliebt. Ich war auch nicht mehr ganz so unschuldig. Aber konnte ich mich tatsächlich in diesen Vampir vergucken? Ich seufzte. Gegen sein Äußeres konnte man nichts sagen, aber darum ging es mir auch nicht wirklich. Ein wenig oberflächlich war ich schon, das musste ich zugeben. Aber kein Mensch (oder Vampir) lief herum und hatte keinen gewissen Standard. Aber es war zum Teil sein Charakter, der mich störte! Diese eingebildete und großkotzige Art von ihm brachte mich immer wieder zur Weißglut. Und dann, dann konnte er auch wieder so dermaßen fürsorglich sein. Dieser Kerl würde mich eines Tages noch ins Grab bringen, so viel wie ich mir über ihn den Kopf zerbrach.
 

Am nächsten Tag schaffte ich es wieder, ein viertel meines nächsten Kapitels zu schreiben. Kira hatte mir Motivation gespendet indem sie mir die Werke von meinen Charakteren vorgelegt hatte und meinte, sie würde am Abend vermutlich mit sehr guten Nachrichten zurückkommen. Ich wollte sie verabschieden, jedoch verhinderte mein Husten es und bevor ich wieder reden konnte, hatte sie mir schon zugewunken und war aus dem Zimmer verschwunden. Ich konnte nur noch den Kopf schütteln. Seufzend legte ich mich wieder hin und entschied, mich noch etwas auszuruhen.

Gegen Nachmittag erreichte meine Energie ihren Höhepunkt und ich machte mich wieder an die Arbeit. Gerade durchkämmte ich die letzten beiden Kapitel von 'Morbider Traum' auf Hinweise und musste sagen, dass mir einige Paragraphen aus Beschreibungen von Caleb bekannt vorkamen. Ausnahmsweise entschied ich mich dazu, ihn zu konsultieren und auszufragen. Vielleicht würden wir gemeinsam einige Informationen zusammen tragen können.

Ich sprach ihn sofort an, als er das Zimmer betrat und sich auf dem Schreibtischstuhl breit machte. Den Tee, welchen er mir mitgebracht hatte – Bei dessen Zubereitung er langsam besser wurde -, stellte er vorher auf dem Tisch ab, bevor er sich mir zuwandte.

"Du bist echt der Überzeugung, dass er zum Widerstand gehört, was? Wenn Neva das hören würde"

"Sie würde es definitiv abstreiten.", meinte ich und blickte auf die Sätze, die ich mir herausgeschrieben hatte. "Ich glaube nicht mal, dass sie etwas ahnt. Sie tut mir wirklich Leid"

"Nicht nur dir", gab der Schwarzhaarige zurück und blickte auf die Zeilen. "Na, dann sag mal an, was du hast, Blondie"

"Irgendwann schlag ich dir die Fresse ein für diese dämlichen Spitznamen"

"Das glaube ich nicht" Er säuselte und es regte mich auf. Mit einem Satz schlug ich ihm das Kissen ins Gesicht, diesmal befand sich keine Tür dazwischen. Er lachte nur auf und legte die flauschige Unterlage zurück auf dessen ursprünglichen Platz, sodass ich mich in Ruhe zurücklehnen und arbeiten konnte.

"'Sie brachen unter uns. Nicht Knochen. Nicht Äste. Wir brauchten es, wollten es. Es wandte sich auf dem Boden.'"

"Brachen?", wiederholte Caleb nachdenklich.

"Es könnte eine Anspielung auf das Brechen des Geistes sein. Erinnerst du dich daran, was du uns mal erzählt hast?"

"Die Menschen, die zu ihren Familien zurückkamen, waren nicht mehr dieselben. Sie boten sich an, als wären sie Eigentum. Ich frage mich sowieso, wie sie entkommen konnten"

"Und wenn es eine Masche ist und sie hoffen, dass ihr Verhalten abfärbt?" Ich schnaubte bei dem Gedanken. "Dann kennen die uns Menschen aber echt nicht sonderlich gut"

"Vor allem dich nicht mit deinem Dickschädel"

"Maul, Lecrune, und weiter arbeiten"

"Oh, Arbeit? Ich dachte, das wäre eine Geschichtsstunde"

"Ich schwöre, wäre ich nicht krank, hätte ich dir dafür eine gescheuert"

"Hättest du nicht", summte er siegessicher und ich verdrehte nach diesem Gespräch nur die Augen. Ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen, las ich weiter vor und wir sprachen uns weiter ab, während ich im Textdokument dazu Notizen machte, welche uns helfen könnten, ihn zu überführen. Es tat nicht gut, gegen einen Freund zu ermitteln, aber wir konnten nichts riskieren. Wenn Yakeno einer von ihnen war, mussten wir etwas dagegen unternehmen und es den Direktoren melden. Apropos, mir hatte deren Sohn versprochen, mit ihnen zu reden. Vorsichtig wollte er darauf anspielen, dass er verdächtige Aktivitäten von einem gewissen Vampir beobachtet hatte und darum bitten, ihn unter Beobachtung zu halten. Dieses Versprechen hielt er sogar ein. Es war ja nicht, dass wir etwas Unmögliches verlangten. Wir wollten nur auf Nummer sicher gehen und auch für die Sicherheit unserer Mitschüler sorgen. Denn nicht nur wir hatten Angst. Man merkte, wie sich ein Nebel der Furcht um die Menschen des Campus' gelegt hatte und sich auf ihre Laune niederschlug.

Wir brachten einiges zusammen, bis es spät wurde. Da mein Kopf begann zu schmerzen, entschied ich dazu, das Ganze zu beenden und bedankte mich sogar für Caleb's Mitwirken. Wir hatten einiges zusammengebracht, immer mal mit Pausen zwischendrin, in welchen ich den Vampir herumscheuchte und ihn dazu brachte, mir Tee zu bringen. So fühlte es sich wohl an, einen Butler zu haben, was? Ich schmunzelte still und heimlich in mich hinein, während ich trank. Als er schließlich in sein Zimmer zurückkehrte, fuhr ich meinen Laptop herunter und stellte diesen auf den Nachttisch neben meinem Bett ab. Zufrieden sank ich ins Reich der Träume ein.
 

Als ich am nächsten Tag erwachte, fand ich Kira nicht mehr in ihrem Bett vor. Sie musste sich wohl still und heimlich davon gemacht haben, während ich noch schlief. Anscheinend wollte sie mich nicht beim Schlafen stören, vor allem da ich endlich wieder durchschlafen konnte. Bevor Caleb erschien, entschied ich mich dazu, zu testen, ob ich stehen konnte. Und siehe da, ohne zu wackeln oder dass mir schwarz vor Augen wurde ging ich ins Bad. Es war wirklich peinlich, dass mir der Schwarzhaarige dabei öfter hatte helfen müssen. Meine Verdauung hatte sich während der Krankheit nämlich keine Auszeit gegönnt.

Da ich mich recht gut wieder bewegen konnte, entschied ich mich dazu, eine schnelle Dusche zu nehmen. Meine Haare klebten aufgrund dessen, dass ich viel geschwitzt hatte, an meiner Haut und im Allgemeinen fühlte ich mich nicht mehr wohl. Ich musste mich jedoch beeilen, denn ich hatte weder Lust, durch irgendwelche Schwäche umzukippen und dann Caleb's Hilfe zu brauchen, noch dass er mich dabei erwischte, wie ich außerhalb des Bettes herumturnte. Und ganz ehrlich – Er konnte dabei richtig grantig werden.

Ich befand mich, kurz bevor er ins Zimmer kam, wieder im Bett und war drauf und dran, den Laptop hochzufahren. Mit gerunzelter Stirn musterte er mich.

"Du warst auf den Beinen", meinte er, stellte das Tablett mit Tasse und Teekanne ab – diesmal hatte er mitgedacht – und setzte sich schließlich hin.

"Ich kann nicht ewig versifft in meinem Bett liegen. Und auf deine Hilfe da kann ich echt gut verzichten"

"Schade" Er kicherte leise, während seine Augen funkelten. Oh, ich konnte mir gut vorstellen, dass er das beteuerte.

"Tja, von meinem Körper wirst du wohl vorerst nicht viel sehen"

"Vorerst?", wiederholte er süffisant und ich merkte, wie mir die Wärme ins Gesicht stieg. Was hatte ich da gesagt?! Ich hatte ihm ja fast ins Gesicht gesagt, dass es in Zukunft anders aussähe!

"Niemals! Ich meinte niemals!", widersprach ich sofort, was ihn nur zum Lachen brachte. Verdammt! Peinlich berührt fuhr ich mir durchs Gesicht und wich seinem Blick aus, das war doch echt nicht möglich. Das lag doch bestimmt am Fieber!

Nachdem ich mich eingekriegt hatte und Caleb entschloss, sich nicht mehr über mich lustig zu machen, arbeiteten wir weiter. Zu viel kamen wir jedoch nicht, da jemand begann, regelrecht gegen die Tür zu hämmern und nach uns zu rufen. Sei?

"Geh aufmachen", fuhr ich Caleb an und er blickte zu mir.

"Willst du nicht selber aufstehen?", neckte er mich und grinste mich breit an, sodass ich seine Eckzähne sehen konnte. Gott, diese verdammten Zähne ... Ich hatte mich ja trotz des Vorfalls entschlossen, ihm weiterhin mein Blut zu geben. Er meinte zwar, es läge bestimmt daran, dass es mir gefiel, aber ich beharrte darauf, dass ich in diesem Vertrag nicht einfach nur nutzlos neben ihm sitzen wollte. Mit einem Schulterzucken hatte er dann angenommen.

"Lecrune, mach die verschissene Tür auf oder ich befördere dich durch das Panorama Fenster nach draußen"

"Das kannst du nicht öffnen"

"Das ist der Sinn der Sache. Jetzt geh, bitte" Nach meinem 'Bitte' erhob er sich endlich und öffnete die Tür für den anderen Vampir. Dieser kam herein gestürzt und sofort ins hintere Zimmer. Vor Schreck hätte ich beinahe den Tee verschüttet, den ich gerade versuchte zu trinken. Wieso waren seine Haare so zerzaust? War es nicht normalerweise Kira, die ihm diese machte? Hatte sie es heute vergessen?

"Hier ist sie auch nicht", murmelte er außer Atem und fuhr sich durch die zottlige Mähne, welche kurz darauf wieder seine Augen verdeckte. "Scheiße"

Huch, ich hatte diesen gesitteten Vampir noch nie fluchen gehört. Aber was meinte er mit 'Hier ist sie auch nicht'?

"Sei, was ist los?", fragte ich nach und stellte die Tasse weg.

"Finea ist verschwunden" Er ballte die Hände zu Fäusten und blickte auf ihr leeres Bett. Moment, warte was? Kira war verschwunden?

"Verschwunden? Seit wann?" Meine Stimme begann, langsam zu zittern. Ich wusste doch, dass irgendetwas schief gehen musste.

"Ich weiß es nicht. Ich hatte gestern keine Zeit, da ich lernen musste. Sie muss allein den Toten Briefkasten überwacht haben! Dieses Dummchen!" Erneut fasste er sich verzweifelt ins Gesicht. Es quälte ihn richtig, das hörte ich heraus. "Es ist meine Schuld. Ich hab sie alleine gehen lassen. Bin nicht mit. Hab sie nicht abgehalten davon. Shit!" Erst war er leise, dann wurde er mit der Zeit lauter und frustrierter. Kira war verschwunden. Entführt? Man hatte sie wohl erwischt, als sie ihnen auflauern wollte. Verdammt, warum musste sie das auch machen?

Caleb sah mich mahnend an.

"Wag es dir nicht", knurrte er mich an und ich funkelte zurück.

"Du kannst mir einen Scheiß befehlen. Ich werde hier nicht rumliegen und warten, bis man Kira tot vor unseren Schultoren findet, verdammte scheiße! Sie ist in Gefahr, Caleb! Siehst du das nicht?!" Nach diesen Worten stand ich übereilt auf und wollte meine Sachen holen, als meine Sicht langsam schwarz wurde und ich mit einem angestrengten Keuchen zur Seite kippte. Der Vampir fing mich mit einem Fluchen und einer Beleidigung auf, bevor er mich wieder im Bett bucksierte.

"Du bist krank, Wynne. Wir werden schon was unternehmen. Aber wir müssen auch taktisch vorgehen"

Diesmal war Sei es, der sprach.

"Taktisch!", rief er aus und lachte laut auf. "Taktisch mein Arsch! Das gibt ihnen nur Zeit, ihr etwas anzutun! Wir müssen jetzt etwas unternehmen. Und wenn du, Caleb, nichts machen willst, werde ich es halt selbst tun!"

"Und dich damit in Gefahr begeben? Ganz große Klasse, toller Plan!" Der Rotäugige applaudierte dem anderen Vampir und reizte ihn damit nur noch mehr. Ich sah, wie die Anspannung zwischen ihnen anwuchs. "Und wie hast du vor, das Versteck zu finden, wo sie ist? Hast du Hinweise? Spuren? Irgendwas gefunden? Vermutlich nicht. Und bevor wir etwas machen, brauchen wir das. Sonst rennen wir gegen eine Wand"

Bevor es eskalierte, mischte ich mich ein und beschloss, diese Diskussion zu beenden.

"Jungs!", brüllte ich beide an und schlug auf den Nachttisch. "Schnauze, alle beide! Ugh ... Kacke. Wenn ihr euch jetzt die Köpfe einschlagt, bringt es euch beide nicht weiter"

"Da geb ich dir Recht" Sei nickte mir zu und wandte sich zum Gehen. Was hatte er jetzt vor? "Ich werde mich allein darum kümmern. Es ist meine Schuld, und geht euch nichts an" Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte Caleb ihm schon eine übergehauen.

"Soll zum Nachdenken anregen!", fuhr er ihn an, während der Kurzhaarige sich seinen Kopf hielt und sein Gegenüber entsetzt anstarrte. "Kira ist auch unsere Freundin, vor allem Wynnes, also halt dich zurück mit deinen Anmaßungen, es gehe uns nichts an. Wir machen das gemeinsam, aber erstmal muss sie sich erholen und wir brauchen eine Spur. Also entweder du fügst dich jetzt, oder ich schlag dich, bis du es kapiert hast"

Der andere erwiderte nichts darauf. Wie ein getretener Hund setzte er sich auf das Bett seiner Maid und ließ den Kopf hängen. Es nahm ihn unglaublich mit, dass er sie nicht beschützen konnte. Ich hatte eher Mitleid mit ihm, als dass ich ihm irgendeine Schuld anhängen wollte. Es war ja nicht einmal seine ... er hatte keine Macht darüber, wann er lernen musste und wann nicht und vor allem: Auf wen es der Widerstand nun abgesehen hatte. Was wollten sie aber auch von ihr? Niemand hatte auch nur erwähnt, dass sie ein photographisches Gedächtnis hatte. Und dass Sei mit ihnen unter einer Decke steckte, konnte ich nun endlich ausschließen. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, wer hätte es gedacht? Aber er gehörte nicht zu ihnen, das konnte man an seiner Reaktion über ihr Verschwinden ausmachen. Sie lag ihm sogar unglaublich am Herzen ...
 

Während ich mich weiter erholte und versuchte, mich mit so wenig Medikamenten wie möglich zu kurieren, saßen die Männer daran, Kira zu finden. Alle Spuren, die sie finden würden, wären dabei hilfreich. Caleb schlug schnell vor, zu versuchen, das Smartphone orten zu lassen. Während er sich mithilfe meines Laptops an die Arbeit machte, untersuchte Sei die Stelle rund um den toten Briefkasten herum. Als er zurückkam, hatte er sogar etwas zu berichten:

"Es gibt ein Loch im Zaun der Akademie. Dadurch müssen sie raus sein" Seine Augen hatten sich verfinstert und nichts von der vorherigen Freude war darin zu erkennen. Außerdem schien er den Gentleman unter Verschluss zu haben, so wie er momentan vor sich her fluchte. Wer hätte gedacht, dass diese Seite in ihm stecken würde?

Mehrere Male fluchte Caleb über meinen Laptop, während er versuchte, das Smartphone zu orten. Wie langsam er doch sei, dass er die Tasten kaum traf und dass die Seite zu langsam lud, was wohl eher an dem Internet hier lag und nicht an meinem liebenswürdigen Gerät. Sei saß die meiste Zeit auf Kiras Bett, beobachtete den anderen Vampir gelegentlich, während er mir seine Beobachtungen beschrieb. Wir redeten gerade über die gefundenen Spuren rund um den Ort der Entführung herum, als er plötzlich zusammenzuckte, vor Schmerz aufschrie und den Bauch hielt.

"Was zur Hölle?!", kam es von Caleb, welcher sofort seine Arbeit unterbrach und sich dem Vampir zuwandte. "Kumpel, was ist los?!"

"Keine Ahnung ... Fuck tut das weh ..." Zitternd hatte er einen Arm um seinen eigenen Körper geschlungen und verkrampfte sich. Hatte er gerade einen Schlag in den Magen kassiert? Von etwas unsichtbaren? Er litt anscheinend unglaubliche Schmerzen. Und bei dem einen Schlag blieb es nicht mal. Immer öfter zuckte er zusammen, hielt sich diverse Stellen. Mal musste er sicher gehen, dass er sein Bein bewegen konnte, dann strich er sich unwohl über den Kiefer und ein anderes Mal hielt er sich die Wange. Was war in ihn gefahren?

"Ich glaub, ich weiß, was das ist. Überleb's noch 'ne Weile, ich bin gleich wieder da" Caleb verabschiedete sich schnell und verschwand aus dem Zimmer. Ich konnte nur hilflos mit ansehen, wie sich Sei auf dem Boden vor Schmerz krümmte. Kam das, weil er darunter litt, von Kira getrennt zu sein? Aber, so wirklich würde das keinen Sinn machen ...

Mein Vampir kam schnell wieder zurück und hatte ein Buch in der Hand. Weil ich so gespannt darauf blickte, drehte er es zu mir, sodass ich den Titel lesen konnte. 'Die Geschichte der Vampire – Regeln und Bräuche, Wissenswertes'. Aha? Er setzte sich zurück an den Schreibtisch und begann zu blättern. Ächzend hatte sich Sei mittlerweile auf das Bett gehievt und wir warteten beide ab, was der andere herausfinden würde.

"Da ist es ja", meinte er nach einer Weile und überflog die Zeilen. "Seltene Schicksalspartner teilen ihre Gefühle. In seltenen Fällen sogar Gedanken und Schmerzen" Das fasste er wohl kurz und bündig zusammen. Kurz sah er mich an, verharrte mit seinem Blick auf mir, bevor er sich räusperte und sich wieder dem anderen zuwandte.

"Das heißt ... ich vermute, dass du mit Kira auf diese Art und Weise verbunden bist. Es ist momentan von Nachteil, aber ... wenn du es schaffst, kannst du es zum Vorteil nutzen"

"Du .. meinst die Sache mit den Gedanken, oder?", presste er zwischen den Zähnen hervor und verkrampfte erneut. Es hatte schon nachgelassen. Aber, wenn er solche Schmerzen hatte ... was stellten sie dann mit Kira an? Mir wurde angst und bange um sie. Die Arme war längst nicht so robust wie ihr Vampir!

"Wenn wir Glück haben.", betonte Caleb und setzte sich wieder an sein Werk. Der andere nickte ihm zu und schloss die Augen, schien wegzutreten oder sich nur zu konzentrieren. Er atmete ruhig, manchmal sah ich, wie sich seine Hand zur Faust ballte, als er den Schmerz unterdrückte. Gott, Kira ... was taten sie dir nur an? Meine Augen huschten zu Caleb, welcher mit den Fingern über die Tasten flog.
 

Es verging viel Zeit. Tage, leider. Wir kamen nicht voran, ihr Handy ließ sich nur schwer orten, sodass Caleb sehr lange daran arbeiten musste. Sei's Verbindung zu Kira musste auch auf die Probe gestellt werden. Wenigstens schienen sie sie nach dem einen Zwischenfall nicht weiter misshandelt zu haben. Tot war sie nicht, dass hatte mir der Rotäugige versichert, sonst hätte Sei es längst gespürt. Das beruhigte mich ein wenig. Ich war inzwischen wieder auf den Beinen und bereit, jederzeit aufzubrechen, sollten wir herausfinden, wo sie festgehalten wurde. Aufgrund des Stresses und der Aufregung war ich schneller genesen, entgegen der Erwartungen der anderen beiden. Normalerweise war es ja auch umgekehrt, aber ich wollte und musste gesund werden, um meine beste Freundin zu finden. Und ich würde die beiden Männer sicherlich nicht alleine losziehen lassen.

"Ich hab was!", meldete sich Caleb erleichtert zu Wort. Sei hingegen schien weggetreten und reagierte nicht auf ihn. Wir entschieden, mit den Nachrichten zu warten. Währenddessen notierten wir die Koordinaten, um sie nicht zu verlieren, sollten wir das Signal nicht mehr haben. Es verschwand tatsächlich nach einer kurzen Zeit wieder, aber immerhin hatten wir nun den entscheidenden Hinweis.

"Ich hab' sie gehört", meinte nun der andere nach einer Weile und öffnete die Augen wieder. Er sah traurig aus, in den letzten Tagen hatte nicht nur seine Frisur, sondern sein allgemeines Erscheinungsbild gelitten. Nicht, dass wir alle wenig lächelten in letzter Zeit, aber er hatte, was für einen Vampir untypisch und ein Zeichen von Stress war, Augenringe bekommen und die violette Farbe seiner Augen leuchtete nicht mehr. Das, was er uns jedoch erzählte, gab uns noch mehr Hoffnung, sie wieder zu finden. Anscheinend teilten sie eine unglaublich tiefe Verbindung, denn sie hatten sich gedanklich unterhalten. Es rührte mich, ich wurde fast warm ums Herz. Es freute mich für Kira, dass sie jemanden hatte, der sich derartig um sie Sorgen machte und alles daran setzen würde, um sie zurück zu bekommen. Ich mochte Sei.
 

Ohne weitere Umschweife erzählten wir ihm, dass wir die Koordinaten ihres Aufenthaltsortes hatten. Sofort sprang er aufgeregt auf, scheuchte uns auf die Beine und meckerte, was wir denn noch in meinem Zimmer zu suchen hatten. Sofort fuhr Caleb ihn wieder an, vom Gas zu treten, da wir doch nicht auffallen wollten. Außerdem mussten wir uns noch vorbereiten. Die Männer könnten sich auch so wehren. Ich aber steckte mir eine kleine Waffe in Form eines Kampfstockes mit ein, nur um sicher zu gehen. Ich würde zwar darauf beharren, in ihrer Nähe zu bleiben, da es sowieso eine dämliche Idee war, sich aufzuteilen, aber man konnte nie sicher genug sein.

Tatsächlich mussten wir ein Auto zu dem Ort nehmen. Wir hatten Glück, dass Sei bereits den Führerschein hatte und selber zur Akademie gefahren ist, da er nun mal die Möglichkeit dazu hatte. Meine Tasche war schnell auf den hinteren Sitzen des schwarzen Wagens platziert und wir hatten nach dem Einsteigen kaum Zeit, uns anzuschnallen, da trat er aufs Gas und raste los. Mit Beleidigungen um sich werfend tippte Caleb die Adresse ein und meinte, wir müssten uns weit genug weg hinstellen, um nicht aufzufallen.

Wenn der Ort mal nicht wie aus einem Klischeebuch ausgeschnitten war, wusste ich auch nicht weiter. Eine verlassene Fabrik, vermutlich umfunktioniert. Caleb ging vor, während wir ihm so leise wie möglich folgten. Zum Glück kam es nicht zum bekannten Vorführeffekt: Je leiser man sein wollte, desto lauter war man letztlich. Auf leisen Sohlen betraten wir die Fabrik und ich holte die eingepackte Taschenlampe heraus, um uns vorsichtig den Weg zu leuchten.

Eine gute Stunde durchsuchten wir die Hallen. Nichts. Wir fanden rein gar nichts. Frustriert schlug Sei gegen einen Stahlträger und schüttelte die Hand vor Schmerz.

"Das muss Kira gespürt haben, du Trottel", erinnerte ich ihn.

"Sorry", murmelte er nur zurück. Weil wir nicht aufgeben wollten, suchten wir weiter. Bislang hatten wir auch noch nicht das Smartphone gefunden, welches uns auf diese Fährte gelockt haben könnte. Da kam Caleb die Idee: Das Signal war schwach und schwer ausfindig zu machen. Es könnte sein, dass es blockiert wurde ... oder sich tiefer in der Erde befand. Mit diesem neuen Gedanken suchten wir erneut, diesmal aber nach einer Öffnung um Boden. Und siehe da – Nach einer guten halben Stunde suchen fanden wir eine, versteckt unter nicht verschiebbaren Regalen. Wie wir es entdeckt hatten? Während wir uns umsahen und alles diesmal noch genauer betrachteten, fiel Sei eine merkwürdige Kratzspur auf, hinter dem Regal. Als hätte etwas – oder jemand – dieses vor nicht allzu langer Zeit bewegt. Außerdem war dort extrem wenig Staub anzufinden. Es war nicht schwer, eins und eins zusammen zu rechnen und herauszufinden, dass wir einen Schalter finden mussten. Diesen zu finden dauerte sogar länger.

Der Widerstand war nicht dumm. Der Schalter, um das Regal zu verschieben, war gleichzeitig mit einer Lampe verbunden und sah dementsprechend aus. Wir fanden diesen sogar nur, weil ich mich ausversehen dagegen gelehnt hatte in Frustration. Erschrocken war ich aufgesprungen und hatte entschuldigend die Männer angeblickt, was jedoch verflog, als wir hörten, wie sich etwas schweres bewegte. Wir mussten uns nur beeilen, denn als wäre ein Timer losgegangen, hörten wir ein seltsames Ticken. Sie wollten wohl selber nicht vergessen, dass sie nur ein gewisses Zeitfenster hatten.

Unter dem Regal befand sich eine Leiter. Schnell eilten wir diese hinab, wobei ich meine Taschenlampe an Sei abtrat, welcher diesmal die Führung übernahm. Ich hatte Glück und schaffte es noch knapp hinein, bevor sich das Regal wieder darüber schob. Zwar hätte ich den Schalter nochmal betätigen können, aber das wäre etwas zu auffällig gewesen.

Der Schwarzhaarige konnte es nicht erwarten, weiter zu gehen und wurde von Caleb abermals ermahnt, sich zusammen zu reißen.

"Sie kann nicht weit weg sein", meinte Sei und wir bahnten uns langsam einen Weg nach vorn. Nach einem schmalen Gang gelangten wir in einen viel, viel größeren Raum. Es brannte Licht, doch Schritte hörten wir keine. Noch. Wir ließen uns von dieser Ruhe nicht täuschen. Nur mussten wir noch Kiras Raum finden. Und hier waren sehr viele Räume. Verdammt, das würde ewig dauern und wir würden sicherlich Aufmerksamkeit erregen, wenn wir sie alle durchcheckten. Was die Sache noch erschwerte, war die dicke Luft hier unten und die Tatsache, dass es unglaublich verqualmt war. Ob bei ihnen die Lüftung ausgefallen war? Fluchend wedelte ich mit der Hand vor mir her, hustete gelegentlich und versuchte, dicht bei den Jungs zu bleiben. Bis ich sie verlor.

Das mit dem bei ihnen bleiben hatte super funktioniert. Der Rauch, Nebel oder was auch immer das war wurde so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sah! Ich blieb stehen und hoffte, daran nicht zu ersticken. Nach den anderen beiden zu rufen wäre sicherlich auch keine gute Idee, das würde uns nur auffliegen lassen. Und bislang hatte uns anscheinend noch keiner bemerkt. Schnaubend fasste ich den Entschluss, weiter zu gehen. Früher oder später würde ich in sie hinein laufen, wenn ich nur meiner Nase folgte. Oder Caleb würde mich finden. Nach der Sache mit Sei und seiner Erklärung von Schicksalspartnern hatte ich viel nachgedacht. Sie teilten Gefühle und teilweise sogar Schmerz, nicht? Mein Kopf wollte es nicht wahrhaben, aber ... damals, als ich aus dem Keller gerettet wurde, schien ihm dasselbe wie mir wiederfahren zu sein. Er musste gefühlt haben, wie es mir ging. Das hieß ... wir teilten uns auch diesen Bund. Mein Herz machte einen Sprung, als ich zu dieser Erkenntnis kam. Gleichzeitig machte es mir aber auch Angst. Was würde das für mich bedeuten? Vielleicht könnte ich dadurch die beiden ja wiederfinden. Ich müsste nur meinen Gefühlen folgen. Ha, wie kitschig das klang.

Nach einiger Zeit laufen gelangte ich an eine Sackgasse. Jedoch war dort nicht nur eine Wand, sondern eine Tür, welche nur einen Spalt geöffnet war. Neugierig tastete ich mich heran, versuchte Stimmen auszumachen. Ich hörte ein leises Ächzen und Wimmern, sonst aber nichts. Vorsichtig öffnete ich die Tür und betrat den komplett abgedunkelten Raum. Nur das sachte Licht von draußen warf etwas Helligkeit hinein und ich entdeckte eine Figur, gefesselt an einen Stuhl. Der Brünette Schopf schnellte nach oben und ein grünes Augenpaar starrte mich an.

"Wynne ...!" Kira traten die Tränen ins Gesicht und ich sah ihr an, dass sie froh war, dass ich sie gefunden hatte. Sie sah übel zugerichtet aus. So sehr zusammengekauert, wie sie gefesselt konnte, ihre Hände und Füße waren jeweils an den Stuhl gebunden, versuchte sie noch, ihre Wunden zu überdenken. Aber ich sah es ihr an. Sie hatte mehrere Schnitte an Armen und Beinen, hatte Schläge im Gesicht und wohl auch in den Bauch kassiert. Das würde Sei's Auszuckungen erklären.

"Keine Sorge. Sei und Caleb sind auch hier, wir bringen dich hier raus", redete ich aufmunternd auf sie ein und näherte mich ihr, um sie loszumachen. Sie lächelte mich an, weitete jedoch die Augen, als sie hinter mich blickte.

"Wynne, pass auf!" Ihre Warnung kam so, dass ich mich zwar noch umdrehen konnte, jedoch einen Schlag auf den Kopf kassierte und zu Boden fiel. Ein manisches Lachen ertönte und jemand stemmte seinen Fuß auf meinen Rücken, um mich auf den Flur zu pressen.

"Haben wir die Fotze jetzt auch, prima!" Ich wurde an den Haaren gepackt, das Gewicht verließ meinen Rücken, dafür spürte ich das Zerren an meinem Kopf. Man zog mich nach oben und ich sah durch zusammengekniffene Augen ein mir nur allzu bekanntes Gesicht.

"Yakeno ... Du verdammter Schwanzlutscher ..." Ich spuckte ihm ins Gesicht, was er sich kichernd mit der anderen Hand wegwischte, bevor er mir einen weiteren Schlag verpasste.

"Oh oh, ich glaube nicht, dass du dich in der Position befindest, um mich anzuspucken, Wynne" An den Haaren schliff er mich zu einem anderen Platz, weiter weg von Kira, jedoch noch im selben Raum. Er drückte mich auf einen Stuhl und packte mich an der Kehle.

"Wynne Wynne Wynne ... Wer hätte gedacht, dass es so weit kommen würde? Deine Spürnase ist gefährlich. Aber das liegt euch Amands vermutlich im Blut" Ich hatte nicht die Kraft, um mich zu erheben und zu fliehen oder mich zu wehren. Ich hätte ihn ausknocken müssen. Doch er kam schneller als ich gucken konnte mit weiteren Fesseln zurück, um mich fest zu machen. Mit einem wahnsinnigen Grinsen blickte er mich an und legte eine Hand auf meine wunde Kopfhaut.

"Keine Sorge, kleine Wynne", säuselte er. "Du wirst ein wunderbares Experiment abgeben. Nicht einmal dein Dickkopf wird widerstehen können"

Danach spürte ich nur noch, wie mein Kopf anfing zu schmerzen.

Inzwischen ...
 

"Wo ist Wynne hin?" Caleb hatte sich umgesehen, doch die Kleinere war nirgends mehr zu finden. Aufgrund des sich verdickenden Qualms, ausgelöst durch das ausgeschaltete Lüftungssystem, hatten die beiden Männer den Mensch aus den Augen verloren. Nervös hatte sich der Rotäugige nach seiner Maid umgesehen, während Sei versuchte, ihn zu beruhigen.

"Sie wird uns schon finden", meinte er und sie setzten den Weg fort. "Sie hat doch ein eingebautes Radar für dich" Der andere seufzte, es machte ihn nervös, nicht zu wissen, wo die andere war. Das letzte Mal, als das geschehen war, wurde sie entführt. Und diesmal waren sie in ein Versteck ihres Gegners eingedrungen. Wer wusste, was auf sie lauern würde! Sie verstand ihn nicht. Sie würde ihn wohl auch nie verstehen, weswegen er sich so verhielt. Aber das kümmerte ihn recht wenig. Immerhin hatte er es schon geschafft, dass sie sich ihm ein wenig öffnete. Die kleinen Streitereien fand er sogar ganz witzig. Und wie sie auf seine Flirts reagierte.

Caleb atmete tief durch und folgte Sei weiterhin. Sie waren nicht sonderlich weit gekommen, zumindest kam es ihnen so vor. Immer wieder passierten sie geschlossene Türen, an denen Sei einfach vorbei ging. Sie interessierten ihn schlicht und ergreifend nicht, da er wusste, da er spürte, wo sich Kira aufhielt.

"Ganz in der Nähe", murmelte er, als sie ein ganzes Stück gegangen waren. Es verunsicherte sie, dass es bislang so ruhig geblieben war. Hatte tatsächlich niemand ihr Eindringen entdeckt? Vorsichtig sah der Langhaarige sich um, bevor er sich vor Schmerz an den Kopf fasste und unkontrolliert aufschrie. Er konnte nichts dagegen machen, die Schmerzen waren zu groß! Kurz darauf fasste er sich an die Brust und merkte, wie er zu Boden sank. Als würde man ihm gerade das Herz heraus reißen. Er verkrampfte sich vor Schmerz, krümmte sich. Ob es dasselbe war, was Sei gespürt hatte mit Kira? Scheiße, was stellten sie mit Wynne an? Ihm war längst klar, dass sie seine Seelenverwandte war. Zur Hölle, dazu hätte er sie nicht einmal beißen müssen. Ob es sich so anfühlte, wenn man seinen Partner verlor? Oh bitte nicht ...

Das Gefühl ebbte langsam ab und er konnte sich wieder aufrichten. In Sei's Gesichtsausdruck schwang zum einen Teil Besorgnis, zum anderen Teil aber auch Wut mit.

"Sorry", presste der inzwischen Gleichalte zwischen den Zähnen hervor. Noch immer schmerzte seine Brust und er hatte ordentlich mit sich zu kämpfen. Aber nach diesem Ausfall konnten sie keine Zeit mehr verschwenden. Sei wandte sich sofort zum Gehen und erhöhte die Geschwindigkeit seine Schritte, Caleb ihm dicht auf den Fersen.

Sie gelangten an eine offene Tür auf der rechten Seite. Sei war sich zu 100 Prozent sicher, dass es sich um den richtigen Ort handeln musste. Er öffnete sachte sie Tür und versuchte, nicht allzu laut dabei zu sein. Der Anblick, welcher sich vor ihm auftat, war kein schöner. Kira saß da, die Haare fielen ihr ins Gesicht und verdeckten die Wunden, die man ihr zugefügt hatte. Zitternd hob sie den Kopf, weitete ihre vom Weinen geröteten und geschwollenen Augen, als sie die beiden Männer erblickte.

"Kentaro ..! Caleb!" Sie war erleichtert, die beiden zu sehen. Die Szene, welche sie eben miterlebt hatte, verstörte sie. Sie würde es niemals schaffen, diese Bilder aus ihrem Kopf zu verbannen. Erneut begannen die Tränen, über ihr Gesicht zu rinnen. Sei wusste nicht, was er als erstes fühlen sollte: Wut auf den Widerstand, Sorge um Kira oder Erleichterung, sie gefunden zu haben. Er schluckte den Zorn herunter und begann, die Fesseln zu lösen. Was passiert war, könnte er auch später nachfragen. Vorsichtig nahm er sie in den Arm, als er sie endlich wieder halten konnte und streichelte ihr über den Kopf. Ihr war schreckliches wiederfahren. So schrecklich, dass sich ihre Tränen auf ihn sogar übertrugen.

"Wynne ... Sie ...", schluchzte die Brünette und vergrub sich schutzsuchend bei Sei. Dieser blickte Caleb an, welcher sich zu der Blonden herüber begab, die noch mit geschlossenen Augen auf ihrem Stuhl saß. Vorsichtig kümmerte sich der Kurzhaarige um seine Maid und deren aufgescheuerten Gelenke ... das sah wirklich nicht gut aus.

Caleb näherte sich nur langsam dem Stuhl. Ihm rutschte das Herz langsam in die Hose, doch sah er kein Blut, riechen konnte er auch keines. Es erleichterte ihn zum Teil, aber vielleicht hatte ein Vampir des Widerstandes die Fähigkeit, ohne Blut zu verteilen zu töten. Das wäre gruselig.

"Wynne ..?", fragte er vorsichtig, hockte sich, nachdem er ihre Fesseln gelöst hatte, vor die fragile Gestalt und legte eine Hand an ihre Wange, um ihren Kopf zu stützen. Es musste furchtbare Nackenschmerzen geben, sobald sie aufwachen würde, was nicht lang auf sich warten ließ. Blaue Augen starrten ihn an, beinhalteten einen Teil Feindseligkeit.

"Nimm deine widerlichen Pfoten von mir, Mücke" Und damit rutschte ihm das Herz endgültig in die Hose.
 

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Was zum Fick ... mein Kopf tat extrem weh. Ich fühlte mich, als wäre ich aus einem Albtraum erwacht. Was war überhaupt passiert? Ich sollte in der Schule sein ... und als ich die Augen öffnete, sah es so gar nicht danach aus. Ich erblickte ein rotes Augenpaar vor mir, das nur einer Person gehören konnte: Caleb 'Ich kann jedes Weib um meinen Finger wickeln' Lecrune. Und dieser Wichser fasste mich auch noch an!

"Nimm deine widerlichen Pfoten von mir, Mücke", zischte ich ihn sofort an und wollte seine Hand weg schlagen, fand jedoch nicht die Kraft dazu. Ich sah, wie sein Blick Entsetzen und einen Hauch Schmerz beinhaltete, jedoch konnte ich mir nicht vorstellen, warum. Weshalb war ich überhaupt hier? Noch dazu war er nicht der einzige Vampir im Raum!

"Ey!", fuhr ich den anderen sofort an, wobei auch Kira mich erschrocken anblickte. "Nimm Griffel von ihr oder ich vergess mich!"

"Wynne!", mischte sich die Brünette zu meiner Überraschung ein und schlang die Arme um diesen Vampir. Was zur Hölle? Ich wusste, dass sie nichts gegen diese Blutsauger hatte, aber so weit zu gehen? Langsam richtete ich mich auf, auch Lecrune hievte sich nach oben zum Stehen und überragte mich mal wieder um eine Kopfgröße, jedoch unterließ er es, mich anzusehen. Gut so.

"Wynne, die beiden haben uns gerettet ...", murmelte Kira leise und mit gebrochener Stimme. Der andere Schwarzhaarige strich ihr vorsichtig über den Kopf und versuchte wohl, sie zu beruhigen. Ich schnalzte mit der Zunge, akzeptierte es aber letztlich, bevor die Kraft in meinen Beinen nach ließ und ich zu Boden sackte. Der Beißer neben mir reagierte schnell und fing mich auf, woraufhin ich mit der Faust nach ihm ausholte, jedoch nicht viel anrichtete. Er wich trotzdem wie aus Reflex zurück, ließ mich dabei los und ich fiel auf den Boden.

"Also, zahm hast du mir besser gefallen"

"Ich ramme dir gleich zahm meinen Schuh in den Arsch!" Was laberte der Typ da nur?! Ich hatte mich nie von ihm berühren lassen und das würde sich in naher Zukunft auch nicht ändern! Wir waren uns dieses Schuljahr doch eh allgemein aus dem Weg gegangen! Ich hatte sogar abgelehnt, seine dumme Bluts-Maid zu werden! Haha, ja, ich erinnerte mich daran. Sein dummes Gesicht, als ich sein 'letztes Angebot' ausschlug und er seinen angeblichen Schutz aufhob. Seitdem war mir nicht unbedingt etwas zugestoßen. Wie eingebildet konnte man bitte sein, jemanden damit überreden zu wollen, dessen Bluts-Maid zu werden, indem man einen nichtexistenten Schutz aufhob? Lächerlich.

Ich konnte gerade nur nicht sagen, dass meine Beine viel machen wollten. Schnaubend klopfte sich Lecrune den Dreck aus den Sachen und packte mich um die Hüfte, nur, um mich über seine Schulter zu legen. Sofort protestierte ich und schlug auf seinen Rücken ein, doch meine neugewonnene Kraft verließ mich schnell wieder. Was war hier vorgefallen? Ich wollte nicht so weit gehen, um zu behaupten, die beiden hätten was damit zu tun. Dafür vertraue Kira diesem anderen Typen zu sehr, als dass er ihr dermaßen hätte wehtun können. Ich gab also vorerst Ruhe und hoffte, dass sie uns zurück zur Schule bringen würden.
 

Immerhin waren meine Hoffnungen an der richtigen Stelle. Nachdem wir diesen eigenartigen Ort – ein versteckter Keller in einer alten verlassenen Fabrik – verlassen hatten, kehrten wir zurück zur Akademie. Ich blickte nach draußen, es musste wirklich spät sein, so dunkel wie es war. Mein Smartphone war nirgends ausfindig zu machen, nicht in der Tasche, welche meine war, nicht meiner Jackentasche, nirgends. Ich musste es im Zimmer liegen lassen haben. Wieso hatte ich das überhaupt verlassen? Ich blickte zu Kira, welche zitternd auf ihrem Platz saß. Was ihr wohl zugestoßen war ... Wahrscheinlich war ich aufgebrochen, um sie zu suchen. Das wäre die einzige logische Erklärung für mich. Ich würde niemals meine beste Freundin im Stich lassen.

Auf mein Zimmer konnte ich selber laufen. Lecrune trennte sich eh von uns und Sei, wie er sich mit vorgestellt hatte, begleitete uns noch auf unser Zimmer. Er war Kira ziemlich nah, sie hielt sich den ganzen Weg über an ihm fest, suchte nach Sicherheit. Ich hätte nicht gedacht, mich mehr mit anderen Blutsaugern abzugeben, als nur mit Neva. Sie ging in Ordnung, war nicht wie die anderen, die ich kennen lernen durfte. Sei war auch in Ordnung, auch wenn er wirklich angespannt war. Wie, als hätte er eine versteckte Seite in sich, die nur zu gewissen Zeitpunkten zum Vorschein kam.

Wie froh ich war, auf meinem Zimmer zu sein. Der Vampir verabschiedete sich von Kira und versprach, am nächsten Tag nach ihr zu schauen. Sie nickte ihm nur zu, sah ihm mit Tränen in den Augen hinterher und begab sich dann zu ihrem Bett. Die ganze Zeit über hatte sie nur wenig mit uns gesprochen, was mir fast das Herz zerriss. Ich hatte sie nie so zugerichtet gesehen, selbst vor Prüfungen nicht. Sie war ein echtes Wunderkind. Ich nahm mir die Zeit heraus, um nach dem Datum zu gucken. Ich hatte anscheinend einige Stunden an diesem Ort verbracht. Es war mittlerweile nach Mitternacht und wir sollten uns lieber ins Bett legen, wenn wir am nächsten Tag nicht wie wandelnde Leichen aussehen wollten.

"Wynne ...", kleinlaut sprach mich die Jüngere an, ließ noch immer den Kopf hängen. Ich drehte mich vorsichtig um, ließ alles stehen und liegen, um mich ihr zuzuwenden.

"Was gibt's?", fragte ich nach und legte den Kopf schief.

"Bist du .. sauer, dass sie die Karte haben?" ... was?

"Was für eine Karte?" Das verwirrte mich. Was meinte sie? Von was für einer Karte sprach sie? Mit geweiteten Augen blickte sie mich an, ihr sonst so strahlendes grün erschien nun matt und müde.

"Die ... Die Karte, die wir gegen den Widerstand angefertigt haben ..."

"Widerstand?" Ich verstand nur Bahnhof. Wann hatten wir etwas Derartiges denn gemacht? Hatte diese Mücke ihr irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt? War er doch an dieser Sache beteiligt gewesen? "Kira, wovon redest du?"

Sie schwieg eine Weile, bevor sie mit leerem Blick an die Wand starrte.

"Ich verstehe" Mit diesen Worten stand sie auf, nahm sich ihre Sachen und verschwand ins Bad. Was zur Hölle?
 

Am nächsten Tag besuchte uns tatsächlich dieser Vampir. Mit im Schlepptau musste er unbedingt Lecrune haben, welcher in alter Manier die Hände in den Taschen hatte und mich still anblickte, bevor er sich an Kira wandte.

"Wie geht's dir?", fragte er sie und ich zischte ihn sofort an.

"Was interessiert es dich?", fuhr ich ihn an und er blickte mich zunächst mit gehobener Braue an, bevor er sich mit einem leichten Grinsen zu mir beugte.

"Zufälligerweise, Wynne, sind wir Freunde." Wie er meinen Namen aussprach widerte mich an. Ich drückte ihm meine Hand ins Gesicht und schob ihn weiter weg von mir, um Abstand zu gewinnen. Ebenso ging ich einige Schritte zurück.

"Behalt deine Beißerchen ja für dich, Monster"

"Autsch", meinte er theatralisch und fasste sich an die Brust, "Das tat weh. Aber keine Sorge, du wirst schon wieder auftauen" Da klang jemand aber sehr sicher. Und wieder? Wir hatten nie etwas anderes getan, als uns zu streiten und die meiste Zeit aus dem Weg zu gehen!

"Verpiss dich!", schrie ich ihn an und zeigte auf die Tür. "Sofort! Raus aus meinem Zimmer, Schwanzlutscher!" Lecrune zuckte mit den Schultern, verabschiedete sich von Sei und Kira und verließ das Zimmer kurz daraufhin. Gut so, verschwinde. Und lass dich hier ja nicht wieder blicken.

Sei tolerierte ich in unserem Zimmer, weil Kira es so wollte. Sie fühlte sich anscheinend wohl bei ihm, ließ sich sogar von ihm untersuchen. Sie waren dabei, herauszufinden, wie viele Wunden sie von diesem Abend davongetragen hat. Was war dort in diesem Keller passiert? Ich konnte mich an nichts erinnern. Um mich nicht zu sehr einzumischen, also um diesen Drang zu unterdrücken, es zu tun, schnappte ich mir meinen Laptop und arbeitete weiter an dem Kapitel. Vorher laß ich die restlichen durch, ich hatte vollkommen vergessen, was ich geschrieben hatte! Ich konnte meinen Augen kaum trauen, wie sich meine Jägerin verändert hatte im Laufe der Geschichte. Aber ... irgendwie wollte ich nicht alles neu schreiben. Nicht, weil ich faul war. Sondern einfach, weil es sich richtig anfühlte.
 

Die kommende Woche, es war kurz vor Weihnachten, hielt sich Lecrune nicht daran, uns fern zu bleiben. Immer wieder erwischte ich ihn dabei, wie er sich mit meiner Zimmergenossin unterhielt, aber dagegen konnte ich auch nichts unternehmen. Wenn sie meinte, sich mit diesem Abschaum abgeben zu wollen, dann war es ihre Wahl. Und es war meine, ihm ins Gesicht zu schlagen, wenn mir danach war. Und das tat ich manchmal öfter, als es mir innerlich lieb war! Er näherte sich mir ständig auf ungewohnte und unangenehme Weise, schien mit mir flirten zu wollen, weswegen ich ihm meist eine Ohrfeige verpasste, aufstand und einfach ging. Ich wollte mich mit diesem Blutsauger auf den Tod nicht abgeben.

Mein neues Kapitel konnte ich inzwischen auch veröffentlichen. Während ich schrieb, war ich jedoch irgendwie nicht ich selbst. Es war, als würde jemand von mir Besitz ergreifen und für mich die Arbeit übernehmen, wobei mir die Sätze danach wie magisch vorkamen. Ich hatte aus irgendeinem Plan kein Problem damit, dass meine Jägerin begann, auf freundliche Art und Weise, so weit wie sie es eben konnte, mit Vampiren zu interagieren. Mich verwunderte nur eine neue Gestalt in der Geschichte: Langes schwarzes Haar, welches ihm bis über den Rücken ging, gebunden zu einem Zopf. Die Augen, verdeckt von seinem Pony, glühten rot hervor und doch strahlte er keine Gefahr aus. Der Anführer des friedlichen Clans zog meine Jägerin in seinen Bann .. und umgedreht? Ich seufzte, aktualisierte meine Geschichte und beschloss, mich ein wenig mit meinen alten Freunden zu unterhalten, um mich abzulenken und ein paar entspannende Spiele zu spielen.

Meine Eltern kontaktierten mich ebenfalls und erkundigten sich nach den ganzen Monaten endlich mal danach, wie es mir ging. Ich erzählte ihnen von meiner Mitbewohnerin, meinen Klassenkameraden und auch meinen Problemen, während sie mir berichteten, dass sie sich über die Feiertage mal ausnahmsweise gleichzeitig freigenommen hatten und in den Urlaub flogen. Sie hatten's vielleicht gut. Ich wäre nur zu gern mitgekommen, immerhin könnte ich diesen verseuchten Ort dann endlich mal verlassen.

Die Tage vor Weihnachten erreichten uns einige Pakete, welche wir erst am 24. öffnen durften. Ich schmunzelte, das hatte eindeutig mein Vater eingepackt. Entgegen jeder Annahme war er in Handarbeiten begabter als meine Mutter, welche damit nie in Berührung kam. Ich war eine angenehme Balance zwischen beiden, wobei ich kein Talent darin hatte, zu Nähen oder die Haare zu machen, wie Kira es konnte.

Kira hatte sich außerdem langsam wieder erholt. Zwar hatte sie noch blaue Flecken, aber bei der Wundheilung der Prellungen und Brüche hatte anscheinend Sei ihr geholfen. Sie hatten mir erklärt, dass das Blut von Vampiren eine besondere Heilfähigkeit hatte, diese aber von Z1 und Z5 unterschiedlich waren, wobei Z1 die stärkste Wundheilung hatte. Ich fand es irgendwie interessant, aber gleichzeitig auch nicht wirklich. Mein Kopf konnte sich da nicht wirklich entscheiden, was Kira recht amüsant fand.

"Caleb ist gar nicht so böse, wie du ihn hinstellst", meinte sie eines Abends zu mir, als wir gerade zu Bett gingen. Vorher hatten wir uns auf meinem Laptop noch einen Film aus ihrer Sammlung angesehen, ein angenehmer Zeitvertreib.

"Ich glaube eher, dass der Typ dich verhext hat oder so. Ist vielleicht seine Fähigkeit."

"Eigentlich ..." Ich merkte, dass sie mich richtig stellen wollte, doch aus irgendeinem Grund unterließ sie es und schluckte die Worte herunter. "Weißt du was, vergiss es. Ich hoffe nur, dass das alles kein böses Ende nehmen wird"

Mit einem Seufzen verzog sie sich unter ihre Decke, während ich meinen Laptop wegstellte und mich ebenso hinlegte. Was wollte sie mir sagen? Ich würde es wohl nie erfahren.

In dieser Nacht hatte ich einen wirklich eigenartigen Traum. Zum einen war er sehr befriedigend, immerhin schlug ich einem Vampir die Nase fast zu Brei. Zum anderen fühlte er sich unglaublich realistisch an. Seltsam.

Die Tage war ich Lecrune ja auch öfter über den Weg gelaufen. Neben seinen gewöhnlichen Flirtversuchen und meinem Austeilen von Ohrfeigen war mir auch aufgefallen, dass er von Tag zu Tag schlechter aussah. Ich achtete nicht darauf, aber es fiel auf, wie er sich manchmal über den Schulhof schleppte, eine kurze Pause zum Durchatmen einlegte, bevor er seinen Weg fortsetzte. Konnten Mücken krank werden? Ich wünschte es ihm insgeheim für den Mist, den er anstellte, fühlte mich aber auch gleichzeitig wieder schlecht. Komm schon, Wynne. Man wünschte doch niemandem, krank zu werden.

Das ganze trug sich so dahin, bis zu dem Tag, an dem Kira in unser Zimmer stürzte.

"Bitte komm mit. Caleb ist zusammen gebrochen!", bat sie mich und ich hob nur eine Braue.

"Warum sollte es mich interessierten, dass Mister 'Ich bin so perfekt, man sollte mir endlich mal Fehler einbauen' zusammen gebrochen ist?"

"Weil er dich braucht, Wynne! Verdammt nochmal! Komm einfach mit! Bitte!" Mit ihren großen Augen hatte sie es tatsächlich drauf, einen Hundeblick abzuziehen. Seufzend gab ich mich also geschlagen, legte meinen Block beiseite und steckte mir noch die Haare hoch, bevor ich ihr folgte.

Es war tatsächlich nicht gespielt. Erst dachte ich, er würde nur simulieren, eine neue Strategie von ihm, um mich wuschig zu machen. Aber nein, er lag, knapp bei Bewusstsein, mitten im Schnee auf dem Schulhof und atmete schwer. Teilweise schrie er sogar vor Schmerz kurz auf, was ein unangenehmes Ziehen in meiner Brust verursachte. Wieso reagierte mein Körper dermaßen? Zusammen mit Kira gehörte ich nun der Traube an, die sich das Spektakel ansah. Er krümmte sich auf dem Boden, hatte die Augen halboffen. Das sonst so funkelnde rot war fast schwarz. Ich wusste nicht, was ich von dem Anblick halten sollte. Ich wusste nicht mal, ob ich etwas tun sollte. Weil er dich braucht, Wynne! Kiras Worte hallten mir ein weiteres Mal durch den Kopf. Scheiße, wieso bekam ich auf einmal Schuldgefühle? Klar, er lag da im kalten Schnee, aber konnten Vampire krank werden? Sie konnten anscheinend an Schlafmangel leiden, bei den Augenringen die er hatte! Im Allgemeinen ... Er sah verdammt mitgenommen aus.

Erneut schrie er auf und ich fasste mir ein Herz, ausnahmsweise. Er hatte mir die letzten Tage ja auch nichts Böses getan, hatte mich sogar zurück zur Akademie gebracht. Das könnte ich wenigstens zurückgeben. So trat ich einen Schritt nach vorn und wandte mich an die Masse.

"Ihr feigen Arschlöcher! Was steht ihr hier rum?! Helft ihm doch!", forderte ich sie auf, hockte mich zu Lecrune herunter und legte eine Hand auf seinen Arm. Seine Augen weiteten sich und er sah mich an, sein Blick war regelrecht auf mich geheftet. Klar, er hat mich sicher nicht erwartet. Verzweifelt versuchte ich, ihn zu bewegen. Er konnte nicht selber laufen, das erkannte ich an der Position, in welcher er lag. Und er war zu schwach dafür. Scheiße, ich hatte nicht genug Kraft, um ihn zu heben.

"Lass mich helfen", bot sich Sei an und brachte noch jemanden mit. Gemeinsam hoben sie den Erben an und schafften ihn in sein Zimmer. Wir mussten bis ans andere Ende der Wohnblöcke, um dorthin zu gelangen. Nur gut, dass ihm der Schlüssel aus der Hosentasche gefallen war, sonst hätte wohl jemand danach suchen müssen.

"Verdammt, er ist leicht geworden", murmelte Sei vor sich her und musterte den anderen Vampir mit Sorge. Leicht? Konnten Vampire abnehmen? Ich konnte es mir nicht wirklich vorstellen, hinterfragte diese Aussage auch nicht. Momentan wäre es sowieso nicht fair ihm gegenüber, so wie er litt. Zitternd vor Aufregung schloss ich sein Zimmer auf und ließ die Männer hinein. Ich hatte gar keine Zeit zum Staunen, da holte mich nämlich schon ein weiterer Schrei aus meinen Gedanken.

"Was ist mit ihm los?", fragte ich Sei vorsichtig, nachdem er sich neben mich gestellt hat.

"Das sind Anzeichen von Blutknappheit. Er muss seit 3 Wochen nichts getrunken haben"

"Was?" Ungläubig blickte ich ihn an. "Wieso sollte der Idiot sowas machen?"

"Das fragst du mich?", gab er nur zurück und verschränkte die Arme. Der dritte im Bunde hielt den Leidenden fest und schob ihn weiter Richtung Bettmitte – Ja, das Ding war verdammt groß – damit er nicht durch sein Winden wieder herunter fiel.

"Na, woher soll ich es bitte wissen?", fuhr ich den Vampir laut an. Die taten alle so, als wäre ich für diesen Wichtigtuer verantwortlich!

"Weil du seine Bluts-Maid bist!" Und anscheinend war ich das auch. Warte, Moment, was? Ich sollte Lecrunes Bluts-Maid sein? Ich hatte das Angebot doch abgelehnt! Endgültig! Danach kam es auch nicht mehr zur Sprache!

"Geh, Flo ...", flüsterte unser Gesprächsthema und schickte den anderen Mann wieder aus seinem Zimmer. Mit einem Nicken verschwand dieser auch. "Und Sei ... lass gut sein ... Hnngh .." Er biss die Zähne zusammen, um nicht wieder aufzuschreien, aber durch die Krümmung seines Körpers konnten wir erkennen, dass er wieder Schmerzen hatte.

"Gut sein lassen? Mann, du warst so dumm, keine Konserven mehr zu nehmen!"

"Weil es .. widerlich ist ..." Blutkonserven und widerlich? Das war keine normale Aussage von einem Vampir. Normalerweise ernährten sich doch Blutsauger, die nicht in diesem Vertrag waren, von diesen Dingern. Wieso also tat er es nicht? War vielleicht irgendwas dran an dieser Maid-Sache? Viel zu viele Fragen ...

"Wynne ... Ich hasse es, dich darum zu bitten, aber kannst du ihm dein Blut geben?" Was? Nein! Ich könnte doch nicht ... oder? Bevor ich antworten konnte, mischte sich Lecrune wieder ein.

"Lass gut sein .."

"Lass gut sein? Junge, du wirst sterben!"

"Wie bitte?!", rutschte es mir lauter und entsetzter heraus, als ich es wollte. Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, überrascht über meinen eigenen Ausbruch. Wo das herkam, wusste ich nicht.

"Wir können zwei Wochen problemlos überstehen", begann Sei zu erklären. "In der dritten verlieren wir langsam die Kontrolle. In der vierten wird's kritisch. Die fünfte erlebt keiner" Das war nicht gerade viel Zeit! Verdammt, wer hätte ahnen können, dass Vampire so wenig Zeit hatten, wenn sie kein Blut zu sich nahmen? Und dieser Trottel hier nahm keine Blutkonserven mehr, weil er sie widerlich fand?! Wie dumm konnte er nur sein! Ich fragte mich unwillentlich, ob er jemals etwas anderes überhaupt in seinem Leben hatte. Dann kam mir aber auch wieder Sei's Bitte in den Sinn. Ob er ..?

Ich blickte auf mein Handgelenk und ging herüber zum Bett. Ohne weiter nachzudenken, hielt ich Lecrune meinen Arm hin. Dieser sah erst auf meine Haut, dann zu mir, bevor er den Kopf schüttelte.

"Ich brauch dein Mitleid nicht"

"Du mieser kleiner ...", presste ich zwischen den Zähnen hervor, stinksauer. Jetzt lass mich bloß nutzlos dastehen! Verdammte Arschgeige! Da wollte ich ihm ausnahmsweise helfen und er lehnte ab?! Schnaubend entfernte ich mich von seinem Bett ... und sah mich in dem Zimmer um. Irgendetwas musste hier doch sein. Ich erinnerte mich an seinen Schlüssel. Ich hätte schwören können, dass sich daran ein Schweizer Taschenmesser befand. Das würde reichen. Damit ging ich zurück ins Schlafabteil und hielt die zackige Klinge hoch.

"Schau gut hin" Ich beobachtete, wie sein Blick sich veränderte. Hätte er die Kraft dazu, würde er mich wohl davon abhalten. Sei hatte auch nicht die Reaktion, denn mit einem Ruck zog ich die Klinge über meine Haut, in das dünne Fleisch meiner Handfläche hinein und unterdrückte einen Schrei, indem ich die Lippen zusammen presste. Es kam zwar noch ein heller kreischender Laut aus meiner Kehle, aber mein geschlossener Mund dämpfte es. Scheiße, tat das weh! Es war nicht meine schlauste Idee gewesen, vor allem, da ich eigentlich gar nicht wollte, dass er mein Blut bekam, aber wenn es keine andere Möglichkeit gab?! Und er sonst sterben würde! Man stellte mich doch hier vor eine grausame Wahl! Selbst diese Mücke hatte den Tod nicht verdient!

"Wynne! Du Vollidiot!", beleidigte er mich noch. Ich sah, wie er mit sich kämpfte, während ich meine blutende Hand hielt.

"Tja, was willst du tun?!" Ich lachte fast manisch auf, beinahe benommen von dem Schmerz. Der andere Vampir hatte sich nicht mehr zu Wort gemeldet, hielt sich aus der Sache raus. Lecrune hingegen wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich beugte er sich rüber, packte mich am Handgelenk meiner unverletzten Hand und zog mich mit auf das Bett. Ich hörte noch, wie sich die Tür schloss, bevor ich seine Lippen an meiner blutenden Hand spürte. Ich atmete scharf ein, es brannte im ersten Moment, bevor er mit der Zunge das Blut ableckte und meine Wunde scheinbar verschloss. War das etwa schon genug? Seinem Blick konnte ich entnehmen, dass es erst der Anfang war. Mit einem weiteren Ruck lag ich auf ihm, er hatte bereits durch die paar Tropfen einiges an Energie zurück gewonnen. Ich wollte mich gegen ihn wehren, doch etwas in mir sagte, dass ich es nicht tun sollte. Sachte legte er eine Hand auf meinen Rücken, in der Nähe meiner Hüfte. Die andere spürte ich an meiner Wange, meinen Kopf stützend, während er sich noch zum Sitzen zwang und langsam meinen Hals betrachtete.

"Wenn du es unbedingt willst ...", hauchte er gegen die Haut an meinem Nacken und die feinen Härchen stellten sich spürbar auf. Was war das? Was war das für ein Gefühl?

"Du willst es auch immer wieder erzwingen, was .." Nach diesen Worten spürte ich noch, wie er zunächst einen Kuss auf meinen Hals gab, bevor er sich langsam mit seinen Zähnen vorarbeitete, um an mein Blut zu gelangen. Vor Schreck keuchte ich auf, während mir ganz warm wurde. Aus Reflex krallte ich mich sofort in seine Schultern, merkte, wie mein Gesicht rot anlief und wie einiges an Wärme in meine untere Region wanderte. Was zur Hölle ..! Mein Herz raste und mir wurde schwummrig. Würde ich nicht auf ihm liegen, wäre ich sicherlich umgekippt. Gleichzeitig würde mir aber auch erspart bleiben, mitzubekommen, dass auch ihn dieser Biss mehr als nur anregte! Er schlang seinen Arm um mich, damit ich liegen blieb, während er mir weiter, jedoch auf eine überraschend sanfte Weise, mein Blut entnahm. Ich zitterte bereits am ganzen Körper, wobei dies nicht von Kälte oder Blutverlust kam, sondern mehr durch eine mir unerklärliche Erregung. Als er sich schließlich von mir löste, bemerkte ich, dass es ihm nicht anders erging. Mit glasig roten Augen sah er mich an, atmete schwer. Diese Begierde in seinem Blick entging mir nicht.

"Fuck ... Wynne ...." Er legte eine Hand auf meinen Hinterkopf und murrte. "Du mit dieser verdammten Frisur ... Mit offenen Haaren bist du viel hübscher ..." Nach diesen Worten öffnete er meine Frisur und fuhr mit der Hand durch meine Haare. Ich hatte mit einem Mal nichts mehr gegen seine Berührungen, es fühlte sich sogar überraschend gut an. Richtig. Wir sahen uns weiter an, schweigend diesmal. Seine Hand wanderte an meinem Hinterkopf, während ich mich 'ordentlich' auf seinen Schoß setzte. Langsam näherten wir uns weiter, wobei es schwierig war, den Abstand überhaupt einzuschätzen. Unsere Körper berührten sich, da war nur Kleidung dazwischen. Ich wusste, worauf er hinaus wollte ... und es störte mich nicht. Gefasst schloss ich die Augen und spürte nach nur kurzer Zeit, wie sich seine Lippen auf meine legten. Scharf zog ich die Luft ein, wusste im ersten Moment nicht, wie ich reagieren sollte. Er löste sich mit einem enttäuschten seufzen. Frustriert und noch voll in Stimmung durch dieses ... dieses Gift oder was das war, zog ich ihn zurück und küsste ihn aus eigenem Willen. Zumindest hoffte ich, dass es mein eigener Wille war. Überrascht zögerte er, erwiderte den Kuss schließlich und unsere Lippen begannen, sich gegeneinander zu bewegen. Verdammt, selbst mein erster Kuss hatte sich nicht so richtig angefühlt. Und obwohl dieser nach Blut schmeckte, nach meinem Blut, fand ich ihn unglaublich anziehend und verführerisch. Caleb intensivierte das ganze nochmal, drängte mich zurück und ich hätte wetten können, wäre er nicht geschwächt und müsste noch zu Kräften kommen, würde er es viel weiter treiben. So aber lösten wir uns wieder voneinander, vollkommen außer Atem. Meine Hände waren inzwischen um ihn gewandert: Eine hatte einen Platz an seinem Nacken, die andere an seinem Hinterkopf gefunden. Langsam nahm ich diese zurück und stützte mich auf seiner Brust ab, ohne dass sich unsere Blicke lösten.

"Was ... war das ..?", fragte ich ihn leise, nicht in der Lage, lauter zu sein.

"Etwas, was ich schon lange hätte machen sollen", antwortete er und küsste mich erneut, diesmal kurz und sanft, nicht so intensiv wie vorher. Wieso machte mein Herz einen Sprung? Wieso ... freute ich mich über diese Geste? Mein Gesicht musste rot wie eine Tomate sein und gleichzeitig ... es fühlte sich so richtig an, bei ihm zu sein, obwohl es doch eigentlich falsch sein sollte! Langsam bahnte sich eine Träne ihren Weg über meine Wange. Erschrocken sah mich der Schwarzhaarige an und wischte diese mit seinem Daumen weg.

"Bislang hab ich dich kein einziges Mal weinen gesehen", meinte er überrascht und musterte das salzige Wasser. "Egal, was dir passiert ist ... Halbtot schlägst du Louis eine rein ... Verstört starrst du deinen Entführer nur an .. Wieso weinst du ausgerechnet jetzt? Bin ich dir so zuwider?" Er klang verletzt. Ich konnte nur den Kopf schütteln, wobei ich nicht wusste, warum ich es tat. Warum ich mich mit einem mal so zu ihm hingezogen fühlte, obwohl ich ihn bis vor wenigen Stunden noch verachtete!

"Bist du nicht", flüsterte ich. Etwas zog an meinem Inneren, an meinem Herzen. Es fühlte sich an, als würde sich etwas erneuern, und je mehr es wieder aufgebaut wurde, desto eher musste ich weinen, weil ich wusste, dass ich etwas vergessen hatte. Vieles sogar. "Etwas fehlt. Bei mir. Ich fühle mich so leer mit einem Mal" Die Tränen flossen weiter. Sachte legte Caleb eine Hand auf meinen Kopf und brachte mich dazu, mich an seiner Schulter auszuweinen. Ich brachte keinen Ton heraus, kein Schluchzen, als würde ich nicht, sondern etwas oder jemand tief in mir weinen. Und gleichzeitig kam ich nicht von ihm weg. Ich fühlte mich wohl in seiner Umarmung. Als wäre es etwas Bekanntes. Als wüsste ich, dass ich bei ihm in Sicherheit war.

Haare weiß wie Schnee, lang über den Rücken, doch am Nacken zu einem lockeren Zopf gebunden. Sie standen kaum im Kontrast zu seiner Haut, dafür aber stachen die blutroten Augen umso mehr hervor, welche die Jägerin nicht aus ihrem Blickfeld ließen. Er hatte von ihr gehört, umgedreht war es jedoch nicht der Fall gewesen. Ein friedlicher Clan, der sie anheuerte, um Unruhestifter loszuwerden. Ihre grünen Augen erwiderten den Blick des anderen, ließ ihn nicht los. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, er mochte es, wie sie ihn herausforderte. Sonst standen Menschen vor ihm und verbeugten sich, knickten ein, sobald sie unter seinem Einfluss standen. Doch sie, sie blieb aufrecht. Sie hatte keine Angst. Er hatte keinen Einfluss auf sie ... zumindest nicht auf diese Art und Weise.

"Willkommen", flüsterte der Weißhaarige und erhob sich von seinem Thron. Der Jägerin war gar nicht aufgefallen, dass er eine dermaßen lange Robe trug, dass es seine Füße verdeckte. Ein paar Strähnen seiner Haare hatte er frei gelassen. Diese umrundeten sein Gesicht und fielen von dort aus auf seine Brust hinab. Er grinste die Jägerin an, als er bemerkte, wie sie ihn musterte und keine Antwort auf seine Begrüßung gab. Mit eleganten Schritten, welche man als Schweben bezeichnen könnte, kam er auf sie zu.

"Miss Jägerin, sind Sie noch bei uns?", fragte er sie neckisch, als er direkt vor ihr stand. Scharf sog diese die Luft ein und hatte für einen Moment ihre eiskalte Fassade fallen gelassen. Sie stolperte zurück, wäre gefallen, hätte der große Mann nicht ihren Arm gepackt und sie oben gehalten. Ein elektrischer Impuls fuhr durch ihren gesamten Körper ...
 

Die nächsten Wochen zogen eher still an mir vorbei. Da die Schule ruhig war und weder zu Weihnachten noch Silvester viele Leute da waren, feierten wir diese Tage auch nicht wirklich. Zudem ich mich gar nicht darauf konzentrieren konnte, da mein Kopf nur aus einem Wirrwarr aus Erinnerungen bestand. Caleb ... Dieser verdammte Vampir verwirrte mich. Ich war der festen Annahme, wir würden uns hassen. Wir wären uns aus dem Weg gegangen. Wie sich herausgestellt hatte, war das, was in meinem Kopf verankert war, eine Lüge. Wir waren uns nicht aus dem Weg gegangen. Und ich war zudem noch seine Bluts-Maid. Seufzend hatte ich mir an dem Abend noch mehrmals an den Hals gefasst. Sein Biss ... nicht nur ich, sondern auch er reagierte in einer eigenartigen Extreme auf das Gift, das wirkte, um es angenehmer zu gestalten. Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass manche Vampire es zudem nutzten, um ihre Opfer noch zu etwas anderem zu bewegen? Ich sträubte mich bei dem Gedanken, er ekelte mich an. Das glich einer Vergewaltigung, obwohl ich mir gleichzeitig auch gut vorstellen konnte, dass es einen Menschen nicht interessierte, ob er von einem Blutsauger flachgelegt wurde. Bei aller Herrgotts Namen, es hätte damals nicht einmal mich gestört, und meine Erinnerungen lagen momentan in Trümmerhäufchen vor mir. Ich wusste nicht, was ich mit den Puzzleteilen anfangen sollte. Nichts passte zueinander, kein Stück folgte auf das andere. Und ich selber? Mich konnte man momentan als ein nervlich angespanntes Wrack bezeichnen, was nur als Schmuckwerk im Unterricht diente. Am ersten Tag wurde ich sogar zum Unterricht, welcher sich 'Etiquette' nannte, abgeholt, da ich vergessen hatte, dass ich diesem beiwohnen musste. Ich begann viele Anfängerfehler, wusste nicht, was ich dort zu suchen hatte und wurde schnell zum Gespött der Klasse. Mit mitleidigen Augen sah mich Legrand an und schüttelte den Kopf. Hatte sie es anders von mir erwartet? Wenn ich so darüber nachdachte, war gut ein halbes Schuljahr vergangen. Eine Weile muss ich wohl schon Lecrunes Bluts-Maid gewesen sein, denn mich kannten schon einige von ihnen mit Vornamen. Einige, die nicht in unsere Klasse, ja nicht einmal in unseren Jahrgang gingen. Mitten im Unterricht hatte ich mich gemeldet und gebeten, mich nach draußen begeben zu dürfen. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten. Mein Kopf schmerzte stark und ließ keinen Denkprozess mehr zu.

Draußen gesellte sich nach einer Weile Miss Legrand zu mir. Ihre lockigen blonden Haare fielen ihr zum Teil über die Schultern. Damit sie nicht zu lang waren, hatte sie diese auch zum Teil elegant hochgesteckt, jedoch über ihren Nacken noch einige Locken verlaufen lassen, nicht so wie ich. Doch in diesem Moment verfluchte ich meine Frisur, sie bereitete mit nur noch mehr Kopfschmerzen, als ich sowieso schon hatte. Doch wollte ich sie auch nicht lösen.

"Miss Amand", sprach mich meine Lehrerin an, legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, sodass ich ihr in die Augen sah. Das giftgrün in den ihrigen blitzte auf, suchte in mir etwas, was nicht mehr vorhanden war. Das Wissen der vergangenen Unterrichtsstunden unter ihr war weg, verschwunden, für immer vermutlich. Ich wusste nicht, wie ich es schaffen sollte, alles wieder ans Licht zu bringen, mich an alles zu erinnern. Und es schmerzte mich innerlich, dass ich nicht stark genug war, um die Bruchstücke wieder zusammen zu fügen.

"Was ist mit Ihnen los? Sie waren immer eine se'r vorbildliche Schülerin. 'aben sie Streit mit Mister Lecrune? Er kann wirklich ein 'olzkopf sein, wenn es um weibliche Emotionen geht" Ich schüttelte verneinend den Kopf. Zum Teil hatte es zwar mit diesem Beißer zu tun, aber er war nicht der Auslöser für meine Patzer und meine Unbeholfenheit. Ich stand schon seit einiger Zeit neben mir, wusste nicht, wo vorne und hinten war. Kira hatte mir zwar versucht zu helfen, oder eher Hilfe angeboten, doch selbst ihre Erzählungen brachten meine Erinnerungen nicht zurück. Es klang einfach alles viel zu unglaublich, eine verrückte Abenteuergeschichte, die sich angeblich innerhalb dieser Mauern abgespielt hatte.

"Nein ... ausnahmsweise nicht", sprach ich eher kleinlaut und blickte wieder schutzsuchend zunächst auf den Boden, dann auf die Wand zu meiner linken. "Ich kann mir selber nicht erklären, was mit mir los ist ... Es ist, als hielte ich Sand in den Händen, welcher mir langsam durch die Finger rinnt, wenn ich versuche, mich an die Ereignisse der letzten Monate zu erinnern. Ich wusste nicht einmal, dass ich Ihrem Unterricht beiwohnen muss, Miss Legrand. Nichts gegen sie ... Aber in meinem Kopf herrscht ein extrem dicker Nebel und aufgrund dessen ein derartiges Durcheinander, das ich nicht zu bändigen weiß"

"Erinnerungsschwund?", hakte sie nachdenklich nach, stellte die Frage aber eher an sich selber. Ich sah sie kurz an, sie legte einen Finger an ihre Lippen und starrte die Wand hinter mir an, als wäre sie mit einem Mal die Lösung dieses Rätsels ... oder würde zumindest einige Hinweise darauf enthalten. "Nicht gut, nicht gut" Das war das einzige, was ich hörte, bevor sie sich entschuldigte und zurück zu ihrem Unterricht ging. Ich blieb auf dem Gang stehen und seufzte, fuhr mir verzweifelt mit einer Hand durch meinen Pony. Was sollte ich nur tun?
 

Der Winter hatte gerade erst begonnen und die meiste Zeit, während es schneite, verbrachten wir drinnen mit lernen. Die Zeit der Prüfungen rückte immer näher, nur noch zwei Monate und wir müssten uns das erste Mal richtig beweisen. Mit kleineren Aufgaben und Tests wollten sie uns darauf vorbereiten, doch daneben gab es natürlich noch den normalen Unterricht, da wir ja wohl auch Stoff brauchten, für den wir getestet werden konnten. Momentan saßen wir in meinem absoluten Hass-Unterricht ... Geschichte. Ich hatte nie verstanden, wie man sich dafür begeistern konnte. Bislang hatten wir die 'Dunklen Zeiten' besprochen. Das Zeitalter, in dem die Vampire noch die Oberhand hatten und dafür sorgten, dass die Menschen keinen Aufstand anzettelten. Sie unterdrückten die andere Rasse, so wie es der Widerstand in der heutigen Zeit wollte. Dass ich mir das gemerkt hatte ...

"Im 18. Jahrhundert erhoben sich die Menschen. Sie erhoben sich gegen ihre Lehnsherren und Meister, um zunächst Aufstände anzuzetteln, welche zu Beginn noch niedergeschlagen wurden. Doch ihre Angst gegen uns nahm ab, die ersten mordeten aus Angst, selber getötet zu werden. Sie fanden heraus, dass wir genauso leicht wie sie sterben konnten, wenn man unser Herz durchstieß. So konnten sie unsere Reihen dezimieren, stärker Ausgebildete wurden als Jäger verwendet, um uns gezielt zu töten" Jäger, mh? Was für eine unausgesprochene Ironie. "Es dauerte nicht lang, da befanden wir uns im Krieg gegen die Menschen" Unser Lehrer drehte sich zu seiner Weltkarte um und deutete mit dem Zeigestock auf verschiedene Länder. "Zu den ersten Kriegen kam es in China und Griechenland. Von dort aus erstreckten sich zunächst die Aufstände, bis sie auch Amerika erreichten." Von Australien war gar nicht die Rede, was mich nicht wunderte. Diesen Kontinent mieden die Vampire seit Anbeginn der Zeit, genauso wie jegliche Wüstengegenden, da sie dort kaum bis gar keinen Schutz vor der Sonne fanden. Auch jetzt noch musste sich ihre Haut weiter entwickeln, um genügend Widerstand gegen die Sonneneinstrahlung zu bekommen, damit sie nicht wahnsinnig werden würden.

"Die Kriege dauerten lang an und die Verluste auf beiden Seiten waren zahlreich. Informationen wurden gegen uns verwendet und viele Urvampire verloren ihr Leben." Ja, heute lebten nur noch sehr wenige von ihnen. Wer hätte auch gedacht, dass Dracula zu den Urvampiren zählte? Lustig, um ehrlich zu sein. "Mit fehlender Führung dezimierten sie uns weiterhin, bis wir kapitulierten." Die Vampire und kapitulieren? Das hätte ich als aller letztes von ihnen erwartet. Ich notierte mir die Informationen, gleichzeitig würde ich das aber auch als Inspiration für meine Geschichte nutzen. Hach ja ... meine Geschichte. Ich war nicht Herrin über sie, jedes Mal, wenn ich neue Worte zu Papier brachte, übernahm jemand anderes für mich und schrieb das Kapitel. Unbewusst hatte ich so neue Charaktere eingebaut. Eine gute Freundin für meine Jägerin, ein Vampir, welcher sie verführt hatte ... und ein Anführer der angeblich friedlichen Blutsauger. Kurz sah ich rüber zu Caleb, welcher, wie gewohnt, mit dem Kopf auf der Tischplatte lag und dem Lehrer wohl nur mit halbem Ohr zuhörte. Und er sollte irgendwann mal das erben, was seine Eltern hier aufgebaut hatten ... na, die Insignia-Akademie hatte wohl eine rosige Zukunft vor sich. Jedenfalls hatte ich bei den ersten paar Entwürfen gemerkt, wie ich den Anführer beschrieben hatte. Er hatte nicht von Anfang an schneeweißes Haar. Vorher war er ein Ebenbild von Caleb mit dem Unterschied, dass er sich viel stärker in seiner Führungsposition zurecht fand und wusste, was seine Verantwortungen waren und was er sich erlauben durfte. Kira hatte mir nach dem Schreiben meines Rohentwurfes die neuen Charaktere skizziert und wie von einer Tarantel gestochen hatte ich die Beschreibung umgeschrieben und angepasst. Ich würde sicherlich nicht zulassen, dass man mich deswegen aufziehe. Es ist nicht unbekannt, dass ich die Autorin von Schwarze Nacht war und ich hatte nicht wenige Leser unter Klassen- und Schulkameraden. Ihnen wäre es definitiv aufgefallen und auf die darauf sicherlich folgenden Kommentare konnte ich herzlich verzichten.

Schnaubend wandte ich meinen Blick ab und konzentrierte mich wieder auf unseren Lehrer. Er ging gerade auf die Neue Ordnung, welche im 19. Jahrhundert nach den beendeten Kriegen eingeführt wurde, ein. Diese beschrieb ein friedliches Zusammenleben von Vampir und Mensch, wobei die Wesen der Nacht in den Hintergrund traten und den Menschen ihren kleinen Spielplatz zur Entwicklung überließen. Sie richteten eine Gemeinschaft ein, welche daraus bestand, dass sie mit Krankenhäusern in Kontakt blieben, um an Blutkonserven zu kommen. Dafür gaben sie auch ihr eigenes Lebenselixier her, um sie dafür zu kompensieren. Außerdem arbeiteten sich die Vampire langsam im Hintergrund zur Führungsspitze nach oben. Sie regierten zwar nicht mehr, aber viele Firmen gehörten ihnen. Sie schufen Arbeitsplätze für Menschen, beobachteten, wie sie sich untereinander an den Kragen gingen. Gleichzeitig mussten sie aber auch beobachten, wie sich langsam aber sicher eine Opposition herausbildete und das friedliche Zusammenleben störte. Der Widerstand ... Vor Schmerz stöhnend hatte ich mir an den Kopf gefasst. Tief in mir reagierte etwas auf diese Bezeichnung, doch meine Erinnerungen vermochten es nicht, eine Verbindung herzustellen. Einige Puzzleteile regten sich, doch blieben sie am Boden, als wären sie festgeklebt. Verdammt. So ein Mist aber auch. Es war ein Trigger gewesen, doch hatte es nicht genügt, um das erste Teil des Puzzles zu lösen. Der Widerstand. Immer wieder ließ ich es mir durch den Kopf gehen und immer wieder bereute ich es. Inzwischen stützte ich mich mit den Ellenbogen schon auf dem Tisch ab, um meinen Kopf in die Handflächen zu legen und meinen Nacken zu entlasten.

"Alles okay?", flüsterte Kira mir zu, Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit. Ich sah zu ihr herüber, sie beugte sich leicht nach vorn, um nicht vom Lehrer ins Visier genommen zu werden.

"An ... irgendwas erinnert mich dieser Begriff. Widerstand", murmelte ich und zischte leise. Wann würde diese Tortur mit dem Decknamen Unterricht endlich vorbei gehen? Wenn ich richtig gezählt hatte, müssten wir danach eine große Pause haben, auf die ich mich jetzt nur noch mehr freute. Kira's Augen leuchteten kurz auf.

"Das ist gut", meinte sie.

"Gut? Ich habe das Gefühl, mein Schädel platzt gleich"

"Also ... also ja, das vielleicht nicht. Aber ich meine, dass dich 'Widerstand' an etwas erinnert. Wir können deine Erinnerungen also noch zurück bringen" Ich wusste nicht, ob das, angesichts der Schmerzen, die ich gerade hatte, wirklich etwas Gutes war. Mein Kopf sprang auf diesen Denkanstoß zwar an, aber mehr, als mich fast in Ohnmacht fallen zu lassen, brachte es mir nicht ein.

Die große Pause war in diesem Moment die Erlösung schlecht hin. Zwar dröhnte das Klingeln in meinen Ohren, doch die daraufhin folgende kalte Luft des Wintertages brachte etwas Schmerzlinderndes mit sich. Kaum war die Klasse nämlich entlassen worden, hatte ich mir meine Jacke geschnappt und bin nach draußen geeilt, so schnell konnte nicht einmal Kira mir folgen.

Ich atmete erleichtert tief ein und ging den verschneiten weg entlang. Schneeflocken landeten auf meiner weißen Jacke, verweilten eine Weile, bevor sie sich wieder in Wasser zersetzten. Ich hätte mir Handschuhe zulegen sollten, dachte ich mir, als ich die weiße Landschaft vor mir betrachtete. Ich begab mich herüber zu einer Bank und machte sie etwas frei, um mich setzen zu können. Winter. Ich liebte den Winter. Mein Geburtstag ließ auch nicht mehr lange auf sich warten, doch hatte ich nicht vor, jemandem davon zu erzählen. Ich würde 19 werden ... ach herrje. Ich atmete tief durch und langsam ebbten meine Kopfschmerzen ab. Es lag wohl eher an der stickigen und trockenen Luft im Klassenzimmer, dass sie so extrem geworden sind. Wir heizten natürlich, damit uns Menschen nicht zu kalt in dieser Jahreszeit wurde. Den Vampiren schien das nichts auszumachen, ich sah einige von ihnen selbst mit offenem Hemd über den Schulhof laufen, was mich zum Frieren brachte. Im Sommer schwitzten sie nicht und im Winter froren sie nicht. Was für ein perfektes Leben das sein musste.

Meine Gedanken und Ruhe wurde unterbrochen, als Kira mich aus ihnen holte.

"Wynne!", rief sie. Ich öffnete die Augen und blickte meiner Freundin entgegen, welche gerade zwischen den Wohnblöcken hervor kam. Sie hob eine Hand, um zwischen dem Schnee auf sich aufmerksam zu machen, obwohl ihre Braune Mähne dabei schon eine gute Arbeit leistete. Ein paar winzige Schneeflocken hatten sich vereinzelt bereits darauf niedergelassen und bildeten einen interessanten Kontrast. "Ich hab dich gesucht"

"Wir hätten uns spätestens in ein paar Minuten im Klassenraum gesehen", meinte ich gelassen und blickte sie an. Sie schnaufte und holte tief nach Luft, während sie sich auf ihren Knien abstützte. Sport war noch nie ihr Ding gewesen. Meines auch nicht wirklich, aber ich war in einer angenehmen Mitte. Nicht extrem sportlich, aber auch nicht unbeweglich wie ein Holzbrett.

"Eben nicht. Wir" Sie holte nach Luft und richtete sich auf. "Wir sollen uns im Saal treffen. Alle Erstklässler" Eine außerplanmäßige Versammlung? Ansonsten wurden wir immer am Anfang des Tages darauf hingewiesen, dass wir uns in der großen Pause im Saal einfinden sollten. Ob etwas vorgefallen war? Hm, eigentlich nicht, sonst würde man die gesamte Schule versammeln, nicht nur ein paar Schüler. Seufzend stand ich auf und folgte meiner Zimmergenossin nach drinnen.

Der Saal war schon gut angefüllt, doch schien die wichtigste Person noch zu fehlen. Vorne auf der Bühne stand noch keine Gestalt, welche die Masse unter Kontrolle bringen würde. Wir fanden in dem Gewusel Neva, welche uns zwei Plätze freigehalten hatte.

"Da seid ihr ja", lachte sie. "Ich hab mich schon gewundert" Kira nickte ihr zu, während ich nur mit den Schultern zuckte und mich neben meine Freundin stellte. In letzter Zeit empfand ich es als immer unangenehmer mit Neva zu sprechen, wobei das wohl auch an meinem Gedächtnisverlust lag. Die Rothaarige klopfte mir auf die Schulter und lächelte mir aufmunternd zu, wollte etwas sagen, kam jedoch nicht dazu, als wir durch ein überlautes Räuspern auf jemanden aufmerksam gemacht wurden. Doch noch wurde es nicht ruhig im Saal. Meine Augen huschten nach vorn und ein nur allzu bekannter schwarzer Haarschopf hob sich auf der Bühne aus den Massen hervor. Ungeduldig wippte Caleb mit einem Fuß und verschränkte die Arme, bevor er das Mikrofon nahm und dagegen schlug. Es übersteuerte und wir hielten uns die Ohren zu. Vor allem die Vampire schienen insbesondere davon betroffen.

"Hab ich jetzt endlich eure Aufmerksamkeit?", fragte er in die Masse.

"Zumindest von denen, die nicht taub geworden sind", rief ich nach vorn. Selbst von meinem Platz aus konnte ich sehen, wie Caleb die Augen verdrehte, während er das Standmikrofon ausschaltete und auf eine Gerätschaft umstieg, die er sich hinter das Ohr klemmte. Ein feineres Eingabegerät befand sich nun in der Nähe seiner Lippen und verstärkte den Ton seiner Stimme.

"Ruhe auf den billigen Plätzen", kam es zurück. "Tut mir leid, dass ich eure Pause so unterbrechen muss. Ich find es auch nicht gerade scharf, aber meine Eltern haben mir erst eben einen Zettel durchgereicht" Er hob ein beschriebenes Blatt Papier nach oben, welches er nur genervt betrachtete, als er es wieder herunter nahm, bevor die erste Reihe auch nur einen Wortfetzen entziffern konnte.

"Wir werden aufgefordert, unsere Fortschritte im Zusammenleben miteinander zu präsentieren, vor dem Rat. Dies ist eigentlich etwas, was dem letzten Jahr in die Hände fällt, als eine Art extra Prüfung, doch habt ihr das Pech, mich in eurer Klasse zu haben. Ich soll das Projekt nämlich leiten"

"Das kann ja nur in einem Desaster enden", meinte ich diesmal eher kleinlaut und fasste mir an die Stirn. Neben mir hörte ich, wie die beiden Mädchen kicherten.

"Jedenfalls", der Sohn der Direktoren erhob erneut seine Stimme, als hätte er gehört, was ich gemurmelt hatte, "Ihr werdet in euren Klassen aufgeteilt bleiben und jeweils präsentieren, wie ihr miteinander zurechtkommt. Dafür haben wir eine Woche Vorbereitungszeit, bevor die restlichen Familien hier auftauchen. Was habt ihr gelernt? Was hat sich verbessert? Verschlechtert? Kommt ihr nun besser klar? Versteht ihr, worum es in unserer Welt geht? Verstehen wir, worum es in eurer Welt geht? Etcetera etcetera." Also eigentlich all das, was die Fünftklässler besser einschätzen konnten. Ich hatte das mulmige Gefühl, dass man hier nicht unser Wissen und Zusammenleben prüfen wollte, sondern eher den späteren Erben, wie er sich anstellte, eine Masse zu führen, welche sich in mehrere Gruppen aufteilte. Er sollte lernen, ein Projekt durchzusetzen, erfolgreich. Ah, das könnte ja interessant werden.

Er teilte unsere Aufgaben noch zu. Dass es dazu kommen würde, dass wir mit ihm zusammen arbeiten, war mir klar. Für die anderen würde sich diese Zeit beschränken, als seine Bluts-Maid jedoch ... na ja, ich musste ihm wohl mit Rat und Tat und als Packesel zur Seite stehen, so konnte ich es mir nur vorstellen. Caleb erklärte, dass er nur das Beste Benehmen von uns erwartete. Außerdem würde, sollte alles glatt gehen und der Rat zufrieden sein, für uns am Ende der Woche eine Party stattfinden. Wieso das bei den meisten genügend Feuer entfachte, um sie zu motivieren, blieb eine mir unausgesprochene Frage, auf welche ich nur den Kopf schütteln konnte. Die Vorstellung, dass auch nur einer der Schüler das ganze sabotieren wöllte, war schon abstrus genug.
 

Zumindest dachte ich so. Während des ersten Tages musste ich mit Caleb mehrmals zwischen den Klassenzimmern auf und ab laufen, um irgendwelche Streitigkeiten zu klären. Ich lernte, dass ich nicht die einzige mit gewissen Abneigungen gegen Vampire war und dass es nicht nur Vampire waren, die sich wie Arschlöcher verhielten. Meistens wies Caleb sie zurecht, manchmal aber schritt auch ich ein und wurde laut. Ich konnte mir dieses lächerliche Verhalten nicht weiter mit ansehen.

"Du hast dich auch verändert, als du Caleb's Schoßhündchen wurdest, Wynne", meinte eine Schülerin der 2. Klasse des ersten Jahrganges. "Genauso wie deine Geschichte. Gute und Schlechte Vampire? Echt jetzt? Wie lächerlich ist das bitte." Ich schnaubte. Wieso es mich so aufregte, dass sie sich gegen diese Blutsauger so aussprach, wusste ich nicht.

"Sarah, bitte", bat sie ein Mitschüler, an dessen Armband ich erkannte, dass es sich um einen Vampir handelte. Die Angesprochene hingegen war in jeglicher Hinsicht ein Mensch, verschränkt die Arme und rümpfte die Nase, nachdem sie angesprochen wurde.

"Halt deinen Rand", fauchte sie ihn an. Mit eingezogenem Schwanz machte sich der Vampir vom Acker und half einigen anderen Klassenkameraden. Seufzend versuchte ich, mich mit Sarah auseinander zu setzen und zunächst unsere Streitigkeiten, dann die mit ihren Mitschülern zu klären. Worauf das alles begründet war, war absolut lächerlich ... sie war eifersüchtig.

"Ist das dein Ernst?", fuhr ich sie ein wenig zu laut an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nur, weil du dich gerade in einer Trockenperiode befindest, deinen Arsch nicht hochbekommst und denjenigen ständig anmaulst, von dem du behauptest, er behandle dich nicht gerecht, heißt das noch lange nicht, dass du deine miese Laune jetzt auf alle auslassen musst. Entweder zu nimmst jetzt den Stock aus deinem Allerwertesten und setzt dich in Bewegung, hörst auf, dich zu verstecken oder aber hältst die Schnauze und hilfst deinen Mitschülern endlich mal, damit das alles hier ein Erfolg wird"

"Als ob ich mir von einer schuhleckenden Schlampe irgendwas befehlen lassen würde! Du hast ja nicht einmal genügend Rückgrat, um noch alleine zu stehen!", fauchte sie zurück und fuhr langsam ihre Krallen aus. Lecrune, welcher in der Nähe stand und sich um einige Vampire kümmerte, wandte seine Aufmerksamkeit nun zu uns und ich merkte, wie er sich hinter mit positionierte, um einzuschreiten. Doch ruhig hob ich eine Hand und verbot ihn, den Mund aufzumachen.

"Wynne ...", sprach er warnend, doch ich schüttelte den Kopf.

"Klappe zu. Das ist meine Angelegenheit." Mit einem eisigen Lächeln legte ich den Kopf schief und kicherte leise. "Kein Rückgrat, ja? Jetzt hör mal zu, du vorlautes Miststück. Wenn hier jemand diesen Idioten von Blutsauger in der Hand hat, dann bin ich das" Das hatte ich schnell bemerkt. Während ich mich wieder in die Arbeit, die er aufgetragen bekam, reinfitzen musste, merkte ich, dass er mehr auf meine Hilfe angewiesen war als ich auf seine. Wieso hatte ich zugesagt, seine Bluts-Maid zu werden? "Ich hätte es nicht nötig, mir den ganzen Scheiß hier zu geben. Im Gegensatz aber zu dir habe ich etwas, das nennt sich 'Charakterentwicklung'. Das haben die in meiner Geschichte auch. Und es zeugt nichts mehr von Rückgrat, als sich zu entwickeln und an eigenen Fehlern zu wachsen. Also, entweder wird aus diesem potthässlichen Entlein, das gerade vor mir steht, ein stolzer und schöner Schwan, oder aber ich kleb dir deinen Schnabel zu, damit du endlich die Luft nicht mehr verpesten kannst"

"Ich glaube nicht, dass du mit Beleidigungen hier weit kommst, Amand", wurde ich nun doch von Lecrune angesprochen und schnaubte genervt. Ich hatte dem Weib sowieso genug gesagt und begab mich wieder in den Hintergrund, wo ich hingehörte. Es kam sogar so weit, dass ich zurück ins Klassenzimmer geschickt wurde, um dort weiter am Projekt zu arbeiten. Kurz musterte ich Caleb, doch der harte Ausdruck in seinem Gesicht ließ keine unnötigen Widerworte zu. Kurz blieb ich noch stehen, wandte mich dann aber dennoch auf den Fersen um, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und kehrte zurück ins Klassenzimmer.
 

Mit der Zeit ließ mein Wille wieder nach. Ich hatte zwar zwischendurch meine Anflüge von Mut, aber meine Träume rissen mich aus dieser Welt und brachten mich zurück in die Realität: Ich wusste nicht, wer ich in den letzten Monaten geworden bin. Unterbewusst war mir klar, dass ich mich verändert hatte. Mein Hass gegen die Blutsauger reichte nicht mehr so tief wie früher, doch wodurch kam das? Was wusste mein altes Ich, worauf ich nicht mehr zugreifen kann?

Jeden Morgen betrachtete ich mich im Spiegel und fühlte mich eigenartig. Die letzten zwei Tage des Projektes standen bevor und heute hatten wir nur einen halben Tag, da wir mit allem recht gut vorangekommen sind. Seufzend fuhr ich mir durch die offenen Haare. Ich brauchte eine Veränderung und die perfekte Person dafür befand sich mit mir in einer Wohnung.

"Kiiiraa", säuselte ich, als ich aus dem Badezimmer trat, die Haare immer noch unten. Sie blickte von ihrem Smartphone auf und zunächst leuchteten ihre Augen auf.

"Darf ich dir endlich mal deine Haare machen?", fragte sie mich, doch zu ihrer großen Enttäuschung schüttelte ich den Kopf und wurde wieder ernster.

"Wie viel Wissen hast du von deiner Mutter über Haare schneiden?", fragte ich sie. Zunächst schien sie nicht zu verstehen, worauf ich hinaus will, doch als es dann in ihrem Kopf klick machte, schüttelte sie diesen vehement.

"Oh nein! Ich werd dir die Haare nicht abschneiden!", sagte sie und verschränkte die Arme. Ich wusste, dass sie neidisch auf meine Mähne war, wie lang sie waren, gut zu stylen angeblich und das ich einfach nichts daraus machte.

"Na gut", meinte ich, ging zu meinem Schreibtisch herüber und durchsuchte die Schubladen. "Dann werd ich das machen." Ich hatte so oder so vor, eine Veränderung an mir vorzunehmen. Ob es nun absolut lächerlich aussah, sei letztendlich dahin gestellt. Ohne weitere Umschweife holte ich eine stinknormale Bastelschere heraus und wollte damit wieder ins Bad verschwinden, als mich Kira mit einem halben Schrei aufhielt und mein Handgelenk umklammerte.

"Okay, lass den Scheiß!" Wütend schnaubte sie und nahm mir die Schere weg, welche sie abwertend musterte und zurück auf den Schreibtisch warf. Meine arme Schere, ging es mir durch den Kopf, bevor ich meine etwas kleinere Mitbewohnerin ansah, welche mich böse anfunkelte. "Ich werd's machen. Dann hast du wenigstens eine ordentliche Frisur und keine .... was auch immer das bei dir geworden wäre"

"Vermutlich ein zerschnittener Teppich", scherzte ich.

"Vermutlich sogar was schlimmeres" Sie schob mich ins Bad, nahm dabei einen Hocker mit, auf welchen ich mich zunächst setzen sollte. Ich zeigte ihr ungefähr an, was für eine Länge ich mir vorstellte. Da wir zum Glück nicht sofort beim Projekt gebraucht wurden, konnte sie sich damit sogar Zeit lassen. Kira seufzte und schnitt zunächst grob alle überschüssige Länge ab, bevor die restliche Prozedur begann.

Sie war wirklich geschickt mit ihren Händen und verdammt sturköpfig, als sie arbeitete. Jedes Mal, wenn ich mich ungünstig bewegte, zischte sie mich an und ruckte meinen Kopf zurecht. Meinen Pony veränderte sie, daraufhin noch die restliche Länge meiner Haare, sodass sie alsbald Schulterlang waren. Es war ungewohnt ... anders. Ich hatte meine Haare ewig nicht offen getragen und nun sollte es etwas Normales werden. Da es doch etwas länger dauerte als erwartet, hatten wir uns mit Neva in Verbindung gesetzt und gaben unsere Arbeit via Sprach- und Textnachrichten durch. Da sie auch ihren Laptop mit Wlan Verbindung mithatte, konnte ich sogar einige Textdokumente zu ihr schicken. Praktisch. So arbeitete ich mit Neva zusammen, während Kira hinter mir meine Haare machte.

Ich kam mir vor wie eine ganz andere Person. Aber das passte, immerhin war ich gerade noch dabei, zu erkunden, wer ich eigentlich geworden bin. Diese kleine Typveränderung tat mir gut, als ich mich im Spiegel betrachtete und einmal mit der Hand durch meine Haare fuhr.

"Danke", flüsterte ich Kira zu, welche das Chaos beseitigte. Ich half ihr natürlich, als ich aus meinem Staunen heraus kam und mich bewegen konnte. Sie hatte ein unglaubliches Talent, doch das musste ich ihr wohl kaum noch sagen. Ich fühlte mich nun einen Ticken besser in meiner Haut, wobei sie es mir wohl böse anrechnete, dass ich meine Haare hatte schneiden lassen. Die werden doch wieder nachwachsen!

Noch einmal blickte ich in den Spiegel. Von nun an war es vorbei mit der Hochsteckfrisur und dem Bibliothekaren-Look. Mit offenen, schulterlangen Hellblonden Haaren trat ich diesmal aus der Tür heraus und freute mich schon auf die eigenartigen Gesichter meiner Mitschüler.

Im Klassenraum wurden wir sofort von Neva begrüßt, welche mit geweiteten Augen meine neue Frisur musterte. Sofort wusste sie, weswegen wir eine Ewigkeit gebraucht hatten und unsere Arbeiten über das Netzt einreichten.

"Girl", fing sie an, legte ihre Hände auf meine Schultern und musterte mich von allen Seiten. "Schick sieht das aus! Ganz was neues!"

"Kira ist nicht so begeistert", meinte ich daraufhin und kicherte leise.

"Oh, das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Mit langen Haaren sahst du aber auch heiß aus. Jetzt eher so frech wie dein Mundwerk" Ich wollte eigentlich keine Typveränderung, der zu meiner Persönlichkeit passte. Ich wollte das eigentlich, um diesen Neuanfang zu schaffen, der vor mir lag. Die anderen schienen zwar zuversichtlich zu sein, dass sich das Wirrwarr irgendwann wieder auflösen würde, doch dessen war ich mir so gar nicht sicher. Und jedes Mal, wenn ich aus meiner vorlauten Phase rutschte, geriet ich wieder in dieses tiefe, schwarze Loch, das mir reindrückte, wie hilflos ich war. Wo ich wohl ohne Kira nun wäre? Ohne ... Neva? Ja, sogar Caleb, obwohl dieser diese extreme Regung in mir ausgelöst hatte. Aber gleichzeitig hatte ich auch das Gefühl, dass der Vampir genauso mir eine unglaubliche Stütze war, ohne dass ich es mitbekam. Mein Blick huschte mit einem Mal suchend umher. Das rote Augenpaar war mir beim Reinkommen nicht aufgefallen, weswegen ich davon ausging, dass er wohl mal wieder Vermittler spielen musste. Hatten sich die Probleme nicht endlich geklärt?

"Also, wie weit sind wir?", fragte Kira nun, nachdem sie sich an ihren Platz gesetzt hatte. Ein anderer Mitschüler, Ivan, drehte sich zu uns um, rückte seine Brille zurecht und legte einige Blätter vor uns auf den Tisch. Seine Partner, die mit ihm zusammen gearbeitet hatten, grinsten uns breit an.

"Alles bereit zur Präsentation, mit einem Tag Vorsprung.", verkündete er stolz und stützte sich auf dem Tisch ab. Ich musterte die Papiere, schaute dann hinter ihn an ein Plakat, an dem wir die letzte Woche gebastelt hatten.

"Vortragen wird Michaela, zumindest für Klasse 5. Klasse 4 und 1 haben auch schon ihre Sprecher erwählt" Michaela war die lauteste und definitiv am besten geeignetste Frau in unserer Klasse. Sie hatte eine Sprecherstimme und hatte an ihrer alten Schule ein Praktikum in einer Radiostation absolviert, sowie dort auch für das Schulradio gesprochen. Sie wusste sich zu präsentieren und stand schon mit einem breiten Grinsen neben uns, als wüsste sie längst alles auswendig, was sie sagen müsste.

"Ich werde Klasse 5 nicht enttäuschen!", meinte sie, hob ihre Hand zum Kopf und brachte einen Salut hervor. Wir lachten auf, unsere Klasse war zwar eigenartig, aber wir hielten auf diese seltsame Art und Weise doch irgendwie zusammen. Das ganze mussten wir nur noch Lecrune präsentieren, der zwischen den Klassen hin und her pendelte. Am liebsten hätte ich ihm an den Kopf geworfen, dass er ein Faulpelz war, aber ich wusste ganz genau, was momentan sein Job war – Und dagegen hatten wir es noch leicht. Einige Klassen waren mit ihrer Aufgabe nicht zufrieden, wollten mit anderen tauschen, meist mit denen, die ihre eben nicht abgeben wollten. Es war ein heikles und nervendes Durcheinander, weswegen ich sogar verstand, dass Caleb diesmal mit einem genervten Seufzen das Zimmer betrat, uns kurz anblickte und sich auf seinen Platz begab. Die meisten hatten ihre Tische verstellt, um so eine große Tafel, an welcher wir arbeiten konnten, zu bilden. Seinen Tisch hatten wir dabei ausgelassen, damit es nicht zu unnötigen Diskussionen kam. Als Bluts-Maid wurde ich natürlich damit beauftragt, mich mit ihm auseinander zu setzen, so auch diesmal.

"Jetzt geh schon", meinte Neva. "Er kann eine kleine Aufmunterung sicher gut gebrauchen"

"Aufmunterung?" Ich hob eine Braue, konnte mir nicht vorstellen, was sie damit meinte. Ich war sicherlich nicht dazu da, um ihn aufzumuntern.

"Red einfach mit ihm, na los!" Ich verleierte die Augen und begab mich zu ihm herüber. Gerade hatte er den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, worüber ich doch recht froh war. Denn jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten, zog sich etwas tief in mir zusammen und ich wurde auf unerklärliche Weise nervös. Eine Weile stand ich still neben ihm, wusste nicht wirklich, was ich nun sagen sollte. Als ich innerlich nach Worten suchte, öffnete er ein Auge und blickte mich fragend an.

"Was ist denn, Amand?", fuhr er mich halb an. Dahin war die Stimmung, die einige Tage nach dem Biss angedauert hatte. Wir konnten uns gegenseitig nicht ansehen, benahmen uns wie zwei Teenager, die sich ineinander verguckt hatten. Und jetzt war er das Arschloch wie eh und je und ich zickte ihn so an, wie es sich gehörte.

"Ich soll dir von den anderen ausrichten, dass wir fertig sind", zischte ich zurück und verschränkte die Arme. Er richtete sich auf, streckte sich kurz, wobei er einen Arm hinter seinem Kopf anwinkelte und den anderen nach oben reckte.

"Dann haben wir immerhin schon mal drei von fünf Klassen, das ist doch was. Und noch ein Tag Zeit. Super" Er schien nicht wirklich begeistert über die Tatsache, stellte es eher noch einmal so in den Raum und starrte nach vorn. Ich hingegen war dabei, mit meinem Blick Löcher in diesen Mann zu starren, zu brennen, so sauer war ich gerade. Ich konnte ja wohl schlecht was für seine miese Laune, und trotzdem fuhr er mich an, als hätte er 99 Probleme und ich wäre alle davon.

"Dann lass ich den armen Herr mal weiter schlafen, bevor er noch kratzbürstig wird", zickte ich sofort und wollte gehen, doch er umfasste mein Handgelenk und hielt mich davon ab. Ich atmete tief ein und hoffte in dem Moment, dass die anderen sich auf irgendetwas konzentrierten und wir nicht bald zum Klassengespräch werden würden. Langsam blickte ich ihn wieder an.

"Lass meine Hand los" Halb schnauzte ich ihn im leisten Ton an, halb bat ich ihn darum, damit ich nicht zum Gespött werden würde. Er überlegte, tat mir dann aber den Gefallen und ich fühlte, wie sich das Brennen von meinem Handgelenk löste. Meine Güte, ich wusste nicht, dass diese kleine Berührung einen derartig bleibenden Eindruck hinterlassen würde. Die Haut dort fühlte sich nämlich noch eine ganze Weile lang ziemlich heiß an.

"Was ist denn?", fragte ich ihn letztlich, als er selbst nach einigen Minuten nicht gesagt hatte, warum er mich aufhielt. Caleb starrte mich einfach nur an, seine roten Augen fraßen sich in meine Seele und diese eigenartige Nervosität kam zurück.

"Es tut mir leid", meinte er schließlich und fuhr sich kurz durch die zottlige Mähne.

"... es tut dir leid?" Hatte ich mich da gerade verhört? Hatte er mitbekommen, dass er mich grundlos angemault hat?

"Dass ich grad so scheiße bin. Es ist einfach nur nervig, dass Klasse 2 und 3 noch so rumbocken. Ich dachte, ich hätte vorgestern alles geklärt, aber nein. Die ganz Speziellen müssen natürlich mal wieder die große Klappe haben" Ich nickte ihm nur zu, war mir nicht sicher, inwiefern ich ihm da helfen könnte. Zögernd legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

"Du packst das schon. Morgen ist erst der letzte Tag. Mach ihnen Feuer unterm Hintern ... manchmal hilft es eben nicht, freundlich zu bleiben", redete ich kurz auf ihn ein und nahm meine Hand wieder weg. Eine Weile lang blickten wir uns an, bis ich mich abwandte und wieder zu den anderen ging.
 

Party oder nicht, Neva wollte so oder so mal mit uns einkaufen gehen. Zunächst stellte sich die Frage, wie wir, mitten im Nirgendwo, einen Laden finden sollten. Da hatten wir jedoch mit der Feuerlady und ihren Überredungskünsten gerechnet. Sie wusste von uns, dass Sei ein Auto hatte und dementsprechend hing sie sich an ihn. Kira hatte sie darum gebeten, ihn nicht dermaßen auszunutzen, aber das hielt sie nicht davon ab. Dieses Teufelsmädchen kam mit einem siegessicheren Grinsen und einem wuschigen Sei auf uns zu, welcher uns an unserem freien Tag in das einzige Einkaufszentrum fahren würde, das es bei uns in der Nähe gab. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen, als sie freudig auf uns zu kam und uns diese Nachricht verkündete. Kurz darauf war auch Kira gleich verschwunden, wohl, um sich bei Sei für das Verhalten unserer Freundin zu entschuldigen. Ich hatte Neva wütend angefunkelt, immerhin gehörte es sich nicht, Leute derartig zu benutzen.

"Wie hast du das überhaupt hinbekommen?", fragte ich dennoch neugierig nach. Das Mädchen hielt sich eine Hand vor den Mund und kicherte hinein.

"Firmengeheimnis", säuselte sie mir vor, drehte sich um und rannte zurück auf ihr Zimmer. Nun stand ich alleine auf dem Gang, absolut verwirrt. Immerhin konnte ich so noch mal Revue passieren lassen, was die letzte Woche passiert war. Wir hatten ein Projekt gestartet, um dem Rat zu beweisen, dass diese Schule funktionierte. Gleichzeitig sollte es eine Prüfung für uns und vor allem Caleb sein, welcher beweisen müsste, dass er die Führungsqualitäten seiner Eltern besaß. Eine besondere Last lag nicht auf den normalen Schülern, sondern auf allen, die eine Dienerschaft eingegangen waren. Diese mussten präsentieren, dass sich das System umsetzen ließ und es auch in diesem Jahrgang zu keinen Komplikationen kam. Ich seufzte, anscheinend würde es darauf hinaus laufen, dass ich die gesamte Zeit nichts sagen würde. Immerhin könnte das in einem Dilemma enden. Ich beschloss mich, nicht mehr allzu viel darüber nachzudenken. Caleb würde das morgen schon hinbekommen, dessen war ich mir sicher. Und am Freitag würden wir alles präsentieren. Ohne Vorfälle.
 

Ich konnte kaum glauben, dass Sei uns tatsächlich ohne weitere Widerworte in dieses Einkaufszentrum begleitete. Während Neva ihm Anweisungen gab, wo er lang zu fahren hatte, saß Kira neben ihm im Beifahrersitz und ermahnte die Rothaarige immer wieder, sich zu benehmen. Ich im Gegenzug war froh, dass wir durch dieses ganze Durcheinander keinen Unfall bauten. Sei lenkte mich ab, indem er kurz auf meine Frisur ansprach. Er hatte sich gewundert, warum ich sie habe kurzschneiden lassen. Ich erklärte ihm natürlich, dass es mit meinem Gedächtnisschwund oder eher der Zerstörung meiner Erinnerungen zusammen hing und ich erst einmal eine Veränderung brauchte, die mir zeigte, dass ich immer noch ich war. Er hatte nur genickt, ohne den Blick von der Fahrbahn zu nehmen. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Bedürfnis bei ihm, mich ständig irgendwo festzuhalten, als wäre ich von ihm einen anderen Fahrstil gewohnt. Keine Ahnung weshalb.

Trotz Nevas Ausrufen und Kiras ständigem Zurechtgeweise kamen wir irgendwie an. Die Brünette entschuldigte sich, meinte aber auch, dass sich die Feuerlady einfach nur daneben benahm. Sei quittierte alles nur mit einem Schulterzucken und einem Lächeln und meinte, er würde sich selber einen entspannten Tag machen und uns später wieder einsammeln. Wie er es geschafft hatte, sich aus seinen Verpflichtungen für den Tag zu winden, wollte ich gar nicht wissen. Ob es sowas wie einen freien Tag gab? Das machte doch alles keinen Sinn. Gleichzeitig fragte ich mich auch, wie die anderen aus den fertigen Klassen ihren Tag verbringen würden.

Schnell erinnerte ich mich daran, wie sehr ich Shoppen hasste. Schon damals, als mich Pin und Lusia dazu überredet hatten, mit ihnen einkaufen zu gehen, war es jedes Mal wie ein Höllentrip. Oder eher der Gang in die Langeweile. Dieses Anprobieren der Sachen, wobei man aus den eigenen Klamotten raus und in die anderen Klamotten wieder reinschlüpfen musste, dann raus, sich den anderen zeigen, merken, dass es zu klein oder zu groß ist, farblich nicht zu einem passte oder einfach allgemein einem einfach nicht stand. Durch diese Qual zog uns Neva jetzt durch. Natürlich hatte sie im Kopf, uns für die Feier einzukleiden und zog alle möglichen Kleider heraus, die sie finden konnte. An Anzüge dachte sie dabei gar nicht erst – Es mussten Kleider sein und sie mussten auch darauf abzielen, dem anderen Geschlecht zu gefallen. So langsam kam ich mir vor wie in einer Teenie-Soap Opera. Neva suchte für sich allerhand bunte Farben heraus, die mit ihrer Haarfarbe wetteiferten. Jedes davon probierte sie an, doch an jedem davon hatte sie auch etwas auszusetzen. Kira und ich konnten einfach nicht glauben, wie viel Zeit sie damit verbringen konnte. Gestresst kniff ich mir in meinen Nasenrücken.

"Neva", meinte ich nach dem dritten Kleid, das sie weg hing und mit einem traurigen Gesichtsausdruck den Rest musterte, als würde er ihr auf einmal nicht mehr gefallen. Bislang hatte sie drei Farben ausprobiert: Rot wie ihre Haare, Blau und Neon grün. Neon grün. Die Frau wollte unbedingt auffallen.

"So geht das nicht", mischte sich auch Kira mit ein und hatte diese neongrüne Abscheulichkeit in der Hand. "So geht das ganz und gar nicht! Neva, du verpasst allen Anwesenden noch Augenkrebs!"

"Ach, und was soll ich deiner Meinung nach anziehen? Ihr sitzt ja nur da und schmollt!" Genau als die Rothaarige das sagte, verzog sich auch ihre Lippe zu einem Schmollmund.

"Du suchst dir auffällige Farben raus, was du nicht mal brauchst. Das meiste übernehmen deine Haare doch schon, da wäre es praktischer, etwas zu wählen, was die Farbe noch mehr zum Strahlen bringt, also etwas dunkleres. Bleib du hier. Wynne, du kommst mit"

"Was? Wieso ich?", fragte ich sie missmutig, doch Kira funkelte mich nur an. Das war wohl ihre Rache für die abgeschnittenen Haare. Seufzend erhob ich mich und trottete ihr hinterher, auf der Suche nach einem besseren Kleid für Neva. Doch auch der Künstlerin schien nichts in diesem Laden zu gefallen, weswegen wir unsere Freundin aufriefen, sich umzuziehen und den nächsten Laden aufsuchten.

Wir durchforsteten drei Geschäfte noch, bevor unsere Feuerlady etwas fand. In der Zwischenzeit hatte sich sogar Kira ein hellblaues Cocktailkleid einpacken lassen. Spitze, Tüll, Rückenfrei, Glitzer, Blümchen. Alles in allem sehr niedlich und passend für unsere Zeichnerin. Dazu gab es noch weiße Schuhe für sie, Ballerinas, da sie Absatzschuhe nicht abkonnte. Da waren wir immerhin einer Meinung. Zwischen dem zweiten und dem letzten Geschäft legten wir eine Pause ein, die wir Menschen nun einmal brauchten. Wir hatten für das Frühstück nicht viel Zeit, weswegen wir uns bei einer Fressmeile schnell einen Asiaten aussuchten und uns etwas zu Essen bestellten. Neugierig saß Neva daneben und beäugte unser Essen, was zum einen aus einer Nudelpfanne mit Hühnerfleisch und zum anderen aus Frühlingsrollen bestand.

"Ich hab mich echt schon oft gefragt, wie Menschenessen eigentlich schmeckt", meinte sie und lehnte sich zurück. "Also, für euch"

"Für uns?", hakte ich sofort nach, nachdem ich das bisschen Nudeln, dass ich im Mund hatte, runterschluckte. "Wie meinst du das?"

"Na ja, für uns Vampire ist es nicht giftig, euer Essen zu uns zu nehmen, aber ... es schmeckt halt so gut wie nach nichts. Man könnte sagen, unsere Geschmacksknospen sind abgestumpft. Wir nehmen ja auch nur wahr, ob euer Blut süß oder bitter schmeckt, was ihr wiederrum nicht kennt"

"Nach meiner Erkenntnis ist Blut eher metallisch ...", meinte Kira nachdenklich und biss von ihrer Frühlingsrolle ab.

"Tja. Das unterscheidet uns ja auch von euch", meinte Neva und stützte ihren Kopf in die Handfläche. Das war mal das eigenartigste Thema für ein Essensgespräch, obwohl es mich sowieso wunderte, warum wir das so an sich noch nie angesprochen hatten. Da fiel mir aber noch ein Thema ein ...

"Sag mal, Neva. Was ist eigentlich mit deinem Bruder?", fragte ich sie. Mit einem Mal verschluckte sich Kira an ihrem Essen und hustete, als würde ihr Leben davon abhängen. Erschrocken stand Neva auf und klopfte der Brünetten auf den Rücken.

"Heilige Scheiße, Kira!", sprach sie aus. "Was sollte das denn jetzt?" War es keine berechtigte Frage? Seit einer Weile hatte sich der ältere Bruder von ihr nicht mehr sehen lassen und sonst war er doch immer in den Pausen zu uns gekommen, um mit uns zu reden. Kira schlug sich selber auf die Brust, um den Fremdkörper in ihrer Lunge loszuwerden und wieder normal zu atmen. Ich beschloss, das Thema nicht noch einmal anzusprechen, weil ich nicht wusste, was in diesem Moment in Kira gefahren war. Sie zitterte, ihre Augen waren geweitet doch sie meinte, es sei angeblich alles in Ordnung. Als ob. Man sah ihr an, dass sie Yakeno mit etwas Unangenehmen verband. Aber wieso?

Nachdem wir fertig gegessen hatten, setzten wir unseren Einkaufsbummel mit dem letzten Geschäft fort und dort auch, bislang ohne dass wir es wussten, ein Ende. Es dauerte nicht lang, da fanden wir immerhin mal schon ein Kleid für Neva. Schwarz, um ihre leuchtende Farbe hervorzuheben, doch gleichzeitig hatte sie den Aufdruck einer roten Blume, ohne zu aufdringlich zu wirken. Dadurch, dass es dunkel und zugleich doch etwas leuchtend war, bildete es den perfekten Kontrast zu ihren Haaren und würde ihr die Aufmerksamkeit verschaffen, die sie haben wollte. Dann grinsten mich beide Frauen teuflisch an. Ja klar ... ich war immerhin die einzige, die noch kein Kleid hatte. Aber ich hätte genauso gut eines nehmen können, das ich im Zimmer hatte! Oder ich nahm einfach das Kleid von der Feier der Vampire! Warte ... was? Was für ein Kleid? Was hatte ich da für einen Moment für einen Gedanken? Ich fasste mir verwirrt an den Kopf und setzte mich kurz hin, unbemerkt, da meine Freundinnen gerade die Ständer durchforsteten. Eine Vampir Feier ... vernebelte Bilder taten sich vor meinen Augen auf. Ich merkte, dass ich mit irgendwelchen Gestalten gesprochen hatte, aber ich konnte keine Gesichter zuordnen. Jäh holten mich die beiden Mädchen aus den Gedanken, als sie mir einige Kleider anboten, eines eigenartiger als das andere.

"Rot fällt schon mal weg, genauso wie orange und gelb", meinte ich. In den Farben sah ich schrecklich aus, weswegen ich sie mied. Neva plusterte die Wangen auf und brachte betreten ihre Auswahl zurück.

"Ich hab's dir doch gesagt!", rief Kira ihr zu, lachte und schüttelte den Kopf. Ich musterte, was sie mitgebracht hatte. Eindeutig hatte Neva ihre Finger mit im Spiel gehabt, aber die Farben waren bedachter gewählt gewesen. Blau, Grün, Lila. Mit den Farben konnte ich mich anfreunden, wobei das Grün mir nicht sonderlich zusprach. Mich sprachen eher die matteren und dunkleren Farben an, weswegen ich die Kleider mit mitternachtsblauer und dunkelpurpurner Farbe auswählte. Zweiteres hatte einen recht tiefen Ausschnitt, wobei mir doch wieder unwohl wurde, dennoch dachte ich mir, wieso nicht wenigstens anprobieren und Kira eine Freude machen. Mit den beiden ausgewählten Teilen ging ich in die Umkleidekabine durch die verschiedenen Kleider hindurch, weit nach hinten in den Laden, wo man uns nicht sehen würde. Durch einen Vorhang hindurch ging es zu den verschiedenen Umkleideräumen, in denen ich aus meinen Sachen heraus und in die Kleider hinein schlüpfte. Als erstes versuchte ich es mit dem dunkelpurpurnen Kleid, wobei mich der Ausschnitt nicht am meisten störte. Okay, ich zeigte nicht gerade wenig von meiner Oberweite, welche nicht besonders klein war, aber der Stoff war unangenehm und rutschte ständig. Um mich draußen nicht bloßzustellen, bat ich Kira darum, zu mir reinzukommen. Sie brauchte nur die Tür aufzumachen und mich zu sehen, da schüttelte sie den Kopf.

"Beißt sich total mit deinen Augen", meinte sie und musterte mich noch einmal. "Nein, das geht so gar nicht"

"Na, dass mir das mit meinen Augen nicht aufgefallen ist", bemerkte ich und wechselte in das andere Kleid über. Zu meiner Erleichterung gefiel es mir sogar recht gut. Obenrum war es etwas höher geschnitten, sah etwas faltiger aus. Es hatte keine Träger. An meiner Taille trennte es durch einen angedeuteten Seidengürtel mit Verzierungen den oberen vom unteren Teil, welcher aus glitzerndem Tüll bestand. Es waren kleine feine Glitzerpailletten eingearbeitet wurden. Meine Beine wurden kaum von dem Seidenrock verdeckt, welcher einige Zentimeter über meinen Knien bereits endete, sodass immerhin meine Blöße verdeckt war. Ah ja, Anstand, wo warst du nur. Das Outfit bejahten diesmal beide, was wohl nicht nur daran lag, dass es so gesehen etwa mein Geschmack war, sondern auch nur wenig der Fantasie überließ.

So ging immerhin keiner von uns leer aus, und auch ich überlebte den Tag mehr oder minder unbeschadet. Während wir uns auf den Rückweg zum Parkplatz machten, wurde Neva von uns abgelenkt, als sie einen Anruf erhielt. Sie blickte auf das Display ihres Smartphones und ihr Blick verdunkelte sich.

"Einen Moment", meinte sie und entfernte sich genau so weit von uns, dass wir sie nicht mehr hören konnten. Ihrem Ausdruck und ihren Gesten nach zu urteilen handelte es sich aber nicht gerade um ein angenehmes Gespräch.

"Wer, meinst du, ist am anderen Ende der Leitung?", fragte Kira nach, wohlwissend, dass keiner von uns auch nur die leiseste Ahnung hatte, wer es sein könnte.

"Irgendjemand, der jetzt tot wäre, würde er hier auftauchen, so viel ist klar", meinte ich daraufhin nur und wir drehten uns von der Rothaarigen weg, um sie nicht während ihrem gesamten Telefonat über zu beobachten.

Auf der Rückfahrt sprach Neva von sich aus kurz darüber, wer sie angerufen hatte, um sich auszukotzen, wie sie meinte. Anscheinend hatte ihr Vater momentan einige Probleme mit der Familienfirma und war drauf und dran, sie in den Grund zu reißen. Sie bezeichnete ihn als einen inkompetenten Vollidioten mit null Fachkompetenz oder Allgemeinverständnis für das, was er tat. Immerhin habe er eine wirklich wichtige Position entlassen und bis jetzt noch keinen Ersatz dafür aufgetrieben. Das Beste, was passieren könnte, wäre, wenn die Firma aufgekauft werden würde.
 

Die Ankunft des nächsten Tages ließ nicht lange auf sich warten. Ehe wir uns versahen, zogen wir uns so gut wie es ging an und betraten vor unserem Auftritt noch einmal das Klassenzimmer. Michaela ging gerade nochmal ihre Rede durch, Caleb lehnte an der Wand neben der Eingangstür und nickte ihr immer wieder zu, seine Mundwinkel leicht nach oben gezogen.

"Na, jemand scheint besser gelaunt heute zu sein", meinte ich nur und grinste ihn an, was doch eher untypisch für mich war.

"Um einiges. Gestern haben sich die beiden endlich noch ausgekäst, als hätte ihnen jemand neben mir noch in den Arsch getreten"

"Ausnahmsweise war es allein dein Verdienst. Vielleicht hast du endlich aufgehört, sie mit Samthandschuhen anzupacken" Der Vampir zog mit einem Grinsen die Schultern nach oben. Er war gut gelaunt und aus irgendeinem Grund übertrug sich das auf mich.

Der Nachmittag konnte kommen. Die Familien erreichten nacheinander die Schule und wurden erst von den Direktoren, dann von deren Sohn und mir begrüßt. Es wunderte mich, dass mich einige von ihnen bereits mit Namen ansprechen konnten, als hätten sie mich schon einmal getroffen. Als ich dermaßen verwirrt reagierte, schob Caleb mich etwas in den Hintergrund, doch ich merkte die verwirrten und misstrauischen Blicke, die auch von seinen Eltern ausgingen.

"Woher kennen sie mich?", fragte ich den Schwarzhaarigen, als wir etwas Zeit zum Atmen hatten, denn die Klassen begannen mit ihren Präsentationen. Nach und nach zeigten sie ihr bisheriges Zusammenleben und die verschiedenen Dienerschaftsmitglieder wurden nach vorn gerufen, um sich zu präsentieren und zu erzählen, was sie bislang erlebt hatten.

"Du warst mit meinen Eltern und mir auf eine Feier eingeladen. Rikas 20. Geburtstag.", antwortete er mir, ohne seinen Blick von vorne abzuwenden. Die Veranstaltung fand in der großen Halle statt, in welcher wir uns zu Beginn der Woche getroffen hatten. Jede Klasse hatte ihre Präsentation bereits aufgebaut, um nicht zu viel Zeit zu verbrauchen.

"Eine Feier ..." Ich wurde nachdenklich. Das würde meinen Gedankengang von gestern erklären, doch noch immer fügten sich die Trümmer nicht wieder zusammen. Ich seufzte leise und konzentrierte mich wieder auf die Vorträge der Schüler.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis unsere Klasse an der Reihe war. Und natürlich, wie bei allen anderen, mussten auch bei uns die Diener, Maids und deren Herren und Damen nach vorne treten. Allein dafür wurde Sei vom Unterricht befreit, weil er Kira's Herr war. Als Sohn der Direktoren stand Caleb ganz vorn. Ich an seiner Seite versuchte so viel Stolz und Würde auszustrahlen, wie es ging, während mein eisiger Blick über die Gestalten unter uns huschte. Ich durfte mir nicht anmerken lassen, dass es mir unangenehm war. Und vor allem nicht, dass mein Selbstbewusstsein erneut anfing zu bröckeln. Meine vorherigen Gedanken über das Fest, an welches ich mich nicht erinnern konnte, hat mir einen ordentlichen Schlag verpasst und mich nachdenklich gestimmt. Um ruhig zu bleiben, hielt ich mich ungesehen an Calebs Ärmel fest.

"Als Diener merkt man schnell, dass man nicht nur ein Nachmittagssnack für einen Vampir ist", meinte einer unserer Mitschüler, der nach vorne trat, um seine Erfahrungen mit seiner Dame zu beschreiben. "Wir sind Wegbegleiter und Unterstützer, ebenso viel, wie wir auch unterstützt werden. Man kann die Mauern überwinden und Freunde werden, kann eine gute Zeit miteinander verbringen. Ich finde, es sollte ein gutes Fundament sein, für die Dienerschaft, immerhin eine Freundschaft einzugehen. Man sollte sich nicht verpflichtet fühlen" Mein Blick ging von Ivan herüber zu den Familienoberhäuptern, deren Ausdrücke ich nur so deuten konnte, dass sie noch auf etwas warteten. Ich sah herüber zu Caleb, welcher sich immer mehr anspannte.

"Überlass einfach mir das Reden", meinte er leise zu mir, legte die Hand, mit welcher ich mich an ihm fest hielt, in seine Armbeuge und trat nach vorn. Er nahm Ivan die kleine Gerätschaft mit dem Mikrofon ab und setzte sich diese hinters Ohr, sodass das Mikrofon knapp an seinen Lippen war.

"Als baldiger Vertreter des Rates kann ich den Erfahrungen meiner Mitschüler nur zustimmen. In diesem System geht es nicht darum, die Menschen zu etwas zu bewegen, was sie nicht wollen. Alle, die heute versammelt sind, sind auf freiwilliger Basis zu ihrer Position gekommen. Einige von ihnen waren sogar etwas ... Leidenschaftlicher in der Erfüllung ihrer Aufgaben als Diener oder Maid" Ich merkte, wie sein Blick kurz auf mich ging, bevor er sich wieder auf die Familien konzentrierte. "Sie wollen für uns da sein und genauso ist es für viele von uns auch umgedreht. Es handelt sich hierbei nicht nur um Menschen, welche Nahrung für uns bereitstellen. Viele von ihnen werden als Freunde angesehen, wenn es nicht sogar dazu kam, dass ein Bund entdeckt wurde, den es schon seit Jahrtausenden unter uns Vampiren gibt. Es ist immerhin nicht selten, dass eine Seelenverwandtschaft auch außerhalb unserer Rasse entstehen kann"

Ich merkte, wie sich zwei Personen unter den Familien anblickten. Zwei aus dem Hause der Silvestri, der Erbe und dessen Maid. Die beiden hatten wohl ein Geheimnis vor den anderen.

"Lustig", kam es aus der Masse heraus und ein Mann klatschte in die Hände. Ich erkannte ihn als das Oberhaupt der sehr kleinen Familie Harrison, bestehend aus dem Vater einer Jahrgangsgleichen und deren dazugehörigen Maid, Alena. Er schien nicht überzeugt von den Reden zu sein. "Seelenverwandtschaft unter Mensch und Vampir. Freundschaft, okay. Ich frage mich nur, ob du dir das alles nur einredest. Deine Maid scheint nicht sonderlich überzeugt, oder wieso ist sie so kreidebleich im Gesicht?"

Das liegt daran, dass ich momentan mit anderen Problemen zu kämpfen habe, Sie Schwachmat. Natürlich sprach ich das nicht aus, ich schluckte die Worte herunter und senkte den Blick.

"Vater!", kam es zischend von seiner vampirischen Tochter.

"Sei Still, Magdalena.", mahnte ihr Vater sofort zurück. Ah, die meisten des Jahrganges wussten nach dem Vorfall im Unterricht von Miss Legrand über meinen Zustand Bescheid, wobei sich keiner erklären konnte, woher es kam. Ich wusste ja nicht einmal, ob, das, was meine Freunde mir erzählten, konkret der Wahrheit entsprach. Es löste einfach nichts aus.

Kurz verkrampfte ich mich und schnaubte genervt. Ich schloss die Augen, um mich zu sammeln.

"Mister Harrison, ich kann Ihnen versichern, dass meine Maid diese Ansichten teilt", wandte Caleb für mich ein, doch dieser Typ gab sich damit immer noch nicht zufrieden. Erneut hackte er darauf rum, auf dem System auch für eine kurze Zeit, als wäre er im Allgemeinen dafür, es nicht mehr zu gebrauchen. Ich ließ Calebs Arm los, nahm ihm das Mikrofon weg, wobei es kurz übersteuerte – Tut mir leid, all ihr unschuldigen Seelen – und machte es hinter meinem Ohr fest.

"Mister Harrison", begann ich mit fester Stimme, obwohl ich schwören könnte, dass der Boden jeden Moment unter meinen Füßen nachgeben könnte. "Sie sollten die Worte meines Herren eigentlich Glauben schenken, immerhin reden Sie nicht mit einem Vampir, der nicht auf derselben Ebene wie der ihren ist. Jedoch kann ich Ihnen versichern, dass all das, was angesprochen wurde, auch durchaus auf mich zutrifft. Zwar kann es sein, dass ich diesem schwarzhaarigen Volltrottel hier gelegentlich Feuer unterm Arsch mache, damit er sich bewegt, aber ich versuche ihn mit den Mitteln, die ich habe, zu unterstützen. Die Farbe in meinem Gesicht rührt aus einem anderen Grund. Vor einiger Zeit hat sich herausgestellt, dass die Erinnerungen, die ich in mir trug, nicht die meinen waren. Sie wurden nach Belieben geformt, weswegen, weiß ich nicht. Ich weiß momentan selber nicht viel mit mir und meiner Position in dieser Gesellschaft anzufangen, musste als Bluts-Maid von vorne beginnen und begreifen, was es heißt, den Lecrunes zu dienen. Es ist keine einfache Aufgabe, vor allem nicht wenn man sich an so gut wie nichts erinnern kann, wenn einem die Erinnerung eingetrichtert wurde, diese Rasse immer noch mit einer Leidenschaft nicht leiden zu können. Und Ja, meine anfänglichen Gefühle euch Vampiren gegenüber war nichts weiter als reinster Hass, weil mir von euch jemand genommen wurde, der mir sehr viel bedeutete. Leider habe ich in euch aber auch Freunde gefunden, selbst durch diese Bluts-Dienerschaft ... die mir einen trotteligen, sturen, dickköpfigen und nervenaufreibenden Freund an die Seite gestellt hat" Ich musste zittern wie Espenlaub. Freund. Ich hatte Caleb als Freund bezeichnet. Es kam mir wie das Richtige vor ... nein, es war das Richtige. Das, was nicht nur mein altes, sondern auch mein neues oder eher derzeitiges Ich wollte. Caleb war nervig, sehr sogar. Aber auch wenn er eine sehr eigenartige und eigensinnige Gestalt war, hatte er das Herz am rechten Fleck. Ungläubig blickte mich der Schwarzhaarige an, die roten Augen unter den Strähnen, die diese leicht verdeckten, geweitet. Da hatte dieser schmierige Typ seine Antwort. Ich nahm das Mikrofon wieder ab, betätigte diesmal den Mute-Schalter, bevor ich das Teil zurück gab und von der Bühne ging, nur um im Hintergrund fast umzukippen. Das war zu viel gewesen.
 

Kira half mir zurück aufs Zimmer, wo ich mich zunächst einmal ausruhte. Es war nicht viel, was ich getan hatte. Ich hatte nur eine kleine unbedeutende Ansprache gehalten, aber es hatte mir wieder vor Augen geführt, was mein Gedächtnisschwund alles für Probleme mit sich brachte. Ich war nicht mehr so eingearbeitet wie ich es sein sollte. Ich wusste bis zum heutigen Tage nicht einmal, dass man seine Eltern nicht eingewiesen hatte, obwohl mein Jahrgang davon wusste. Ich seufzte, als ich an die Decke starrte und meine Gedanken ordnete. Bilder begannen vor meinem inneren Auge zu tanzen und ich schloss sie für einen Moment, um in einen kleinen Traum einzutauchen.

Ich sah, Miss Legrand und Miss Lecrune streiten. Neben mir standen Vater und Sohn. Wir waren in einer Art Villa, so vermutete ich zumindest. Wir gingen eine Treppe hinunter ... wurden von einer Vampirin, wohlmöglich Rika, begrüßt und ein Fest wurde eröffnet. Auch die anderen Familien waren da. Jemand sprach uns an. Weiße Haare. Schmierig. Stank nach Alkohol. Er bedeutete Probleme. Das stellte sich aber erst später heraus. Mir stellte sich die Gänsehaut auf. Ich erinnerte mich an etwas. Ich erinnerte mich an das Fest. Vom Flug dahin bis zur Entführung durch den Vater eines ehemaligen Klassenkamerades und der Rettung durch Caleb. Wie aus einem Albtraum erwachte ich, musste mich aufsetzen und sah mich um. Mein Kopf pochte. Zum ersten Mal hatten sich einige Fetzen von selber wieder zusammengesetzt. Mein tausendteiliges Puzzle um 30 Teile erleichtert. Und Caleb hatte mich gerettet. Ich verstand endlich, warum ich mich so geschützt in seinen Armen fühlte. Er hatte mich aus diesem Kerker rausgeholt, aus den schmierigen und widerlichen Klauen dieses Vampirs gerettet, der den Familien schaden und ... an mein Blut wollte. Hatte er es nicht geschafft? Ja ... sicher. Gift hatte er damals gemurmelt. Gift ... was hatte es damit auf sich?

Wie sich herausstellte, hatte nicht nur Caleb, sondern auch ich meine Prüfung als dessen Maid bestanden. Harrison war ein widerlicher und nicht sehr zutrauender Vampir. Er stellte alles und jeden bis zum Zerbrechen auf die Probe, doch keiner der Familien hatte damit gerechnet, wie es um mich stand. Dass ich mich an nichts erinnern konnte. Kira erzählte mir, wie die Auswertung verlaufen war und dass ich mir keine Sorgen machen musste. Sorgen, haha .. dazu hatte ich gar keine Zeit gehabt. Das erzählte ich ihr kurz daraufhin auch, und sie machte große Augen, als ich ihr erklärte, an was ich mich alles erinnerte.

"Heilige Scheiße", murmelte sie eher zu sich selber, dennoch laut genug, dass ich es noch mitbekam. Ich nickte ihr zu. Das Auftauchen der anderen Familien musste diese Erinnerung ausgelöst haben. Auf jeden Fall war es der definitive Beweis dafür, dass ich tatsächlich eine Bluts-Maid war. Obwohl es dafür wirklich genügend Beweise gab, aber das ... das führte es mir vor Augen und war nicht nur eine Erzählung von jemand anderem. Vielleicht gar eine Wunschvorstellung der anderen? Erledigt fasste ich mir ins Gesicht und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Das Ganze war anstrengender, als man es sich vorstellen konnte.

Ich kam an dem Abend nicht einmal dazu, an meinem nächsten Kapitel zu arbeiten. Stattdessen entschloss ich mich lieber für eine ausgiebige Dusche, die ich vor allem zum Nachdenken verwendete, und legte mich dann ins Bett. Der Tag war nicht lang gewesen, aber allein dadurch, dass sich die Trümmer langsam wieder aufbauten und sich das Chaos lichten konnte, gab mir zum einen Hoffnung, wieder alles zurück zu bekommen, zum anderen aber raubte es mir viel Energie, als ob eine Art Bann auf meinen Erinnerungen liegen würde, welcher verhinderte, dass sich alles wieder von sich aus zusammen setzte. Das würde auch meine extremen Kopfschmerzen erklären.
 

Ich wusste nicht, wann Neva sich dazu entschlossen hatte, unsere persönliche Quälerin zu werden. In Vorbereitung auf die Feier, welche erst gegen Nachmittag beginnen sollte, kam sie in unser Zimmer geschlendert – Musste natürlich anklopfen, um reingelassen zu werden – und machte sich prompt im vorderen und hinterem Zimmer breit. Ihre Anziehsachen hatte sie dabei, sowie auch einen kompletten Koffer an Make-Up, Accessoires und was man nicht sonst noch alles gesehen hat. Ich schüttelte nur den Kopf, wollte auch schnell wieder verschwinden, doch wurde aufgehalten.

"Nix da", schnurrte sie und ein breites Grinsen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. "Du bist mein erstes Opfer"

"Und was ist mit Frühstück?", fragte ich sie und wie auf Kommando fing mein Magen an zu knurren.

"Das hole ich!", mischte sich Kira ein und war wohl froh, nicht als erstes dran zu sein, so schnell wie sie sich anzog und aus dem Zimmer verschwand. Verräterin, dachte ich mir nur, sie hätte mich ja immerhin mitnehmen können! Jetzt stand ich einer Vampirin gegenüber, welche immer mehr das Grinsen des Jokers annahm und ich bekam langsam das Gefühl, eher ermordet zu werden anstatt umgestyled.

Sie musste es aber auch übertreiben. Zum Glück hielt ich mich selber an gewisse hygienische Standards, sonst wäre sie mit mir wohl noch ins Bad rasieren gegangen. Augenbrauen zupfen, Nägel lackieren. Das war das erste. Und das aller erste davon wiederrum tat höllisch weh. Das würde ich nie wieder über mich ergehen lassen. Essen durfte ich erst, als der Lack vollkommen trocken war. Immerhin musste Kira aber auch dieselbe Tortur durchmachen, was mich ein wenig ruhiger stimmte, obwohl ich kurz davor war, durchzudrehen. Neva machte sich einen Spaß daraus, veranstaltete etwas wie ein Mädels-Nachmittag, so wie sie sich auf den Teppich fläzte und ihre eigenen Nägel machte. Sie hatte ein eigenartiges Talent dafür, sie zu verzieren, das musste man ihr lassen. So bekam ich blaue Nägel passend zu meinem Kleid mit kleinen silbernen Blumen darauf. So filigran ... die Rothaarige musste lange an dem Talent gearbeitet haben. Umso mehr ich das so betrachtete, desto weniger wollte ich ihr den Spaß verderben.

"Also, du hast denen gestern ganz schon die Meinung gegeigt", meinte Neva nach einer Weile und blickte zu mir hoch.

"So ziemlich ... und gleichzeitig hat es auch eine Erinnerung ausgelöst", ich schloss die Augen und rief die Bilder wieder hervor. Nur die vom Fest natürlich. Die Kleidung, die Einrichtung ... wie sich die zwei Frauen stritten. Caleb in seinem schicken Anzug und den ordentlich zurück gekämmten Haaren im Pferdeschwanz. Und dann auch diese mysteriöse Gestalt, mit der er gesprochen hatte ... Ich seufzte laut auf und beschloss mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Finger zu lenken.

"Wie hast du sowas gelernt?", fragte ich sofort.

"Na ja" Neva hatte gar keine Zeit, um weiter auf meine vorherige Aussage einzugehen. "Ich hab meine Mutter immer genervt, bis ich besser wurde. Irgendwann fing es an, ihr auch zu gefallen und ich wurde darum gebeten, weiter zu machen. Mich hat das schon immer fasziniert. Allgemein alles Mode technische. Make-Up, Masken, Nagellack, das ganze"

"Kann ich mir gut vorstellen", kicherte Kira und zwinkerte der anderen zu. Diese verleierte die Augen.

"Nur, weil ich besser ausseh als ihr!", meinte Neva sofort und setzte sich in den Schneidersitz.

"Hey! Wynne ist hier die ohne Geschmack!", gab Kira zurück.

"Was soll das denn jetzt heißen?", gab ich entrüstet von mir und fakte eine Schmolllippe.

"Dass du immer rumgerannt bist wie eine tausend Jahre alte Bibliothekarin. Haare hoch, runde Brille, Eisblick." Die Rothaarige wippte auf ihrem Platz unschuldig hin und her, wohl um zu vermeiden, jederzeit hochkant aus dem Zimmer geschmissen zu werden. "Und null Make-Up. Mädel, du hast das perfekte Gesicht, hübscht man es noch etwas auf, dann liegt dir die Männerwelt zu Füßen!"

"Worauf ich so gar kein Bock habe"

"Dann eben nur Caleb"

"Ich habe nichts mit diesem starrsinnigen Vollidioten am Laufen, okay?!" Über meinen Ausbruch fingen beide an zu lachen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich selber nicht mehr ganz, ob ich mir damit nur etwas einredete. Meine Nervosität, diese Wärme und dass seine Laune sogar auf meine überschlagen konnte. Erneut seufzte ich, worüber ich mir jetzt schon wieder Gedanken machte, war unglaublich.

Neva quälte uns weiter. Wir hatten zwar noch drei Stunden, aber bereits jetzt brachte sie uns dazu, unsere Sachen anzuziehen. In aller Ruhe, weil wir ihre Eile nicht verstanden, zogen wir uns die Kleider über. Unsere rothaarige Sklaventreiberin gab uns noch ein paar Accessoires dazu, um das ganze etwas abzurunden. Ich kam mir vor wie ein behangener Weihnachtsbaum, aber so war das eben, wenn man dieser exzentrischen Frau die Freiheiten ließ, die sie auch wollte.

Dass wir dazu angemalt werden mussten, war mir eigentlich auch klar. Wozu sonst hätte sie diesen riesigen Koffer mitgebracht? Diesmal war Kira als erste dran, da sie für sie am längsten brauchen würde. Anscheinend hatte sie ein Versprechen einzulösen, woraufhin ich grinsen musste. Ob sie Sei damit rumgekriegt hatte, uns zu fahren? Seine Maid war wirklich ein interessanter Schwachpunkt bei ihm.

Ich blieb natürlich nicht verschont, doch gleichzeitig beachtete ich auch nicht wirklich, was sie tat. Sagen wir mal, ich vetraute ihr da in ihrem Handwerk schon ungemein. Immerhin hatte sie schon unter Beweis gestellt, was sie konnte. Wir hätten nicht gedacht, dass sie für jeden von uns etwas über eine Stunde benötigen würde und für sich selber dann kaum noch Zeit hatte. Doch das wunk sie mit einem Lachen ab und verschwand dann allein im Bad.

Als sie die Schuhe in meinem Koffer entdeckt hatte, die zu dem Outfit von Xenia Lecrune gehörten, welches sie mir zur Feier zurecht gelegt und danach überlassen hatte, war mir klar, welche ich zu meinem Kleid anziehen musste. Ganz große Klasse. Ich hatte verschwiegen, was für Blasen ich mir eingelaufen hatte. Kira grinste mich eher mitleidig an, wir beide konnten hochhackige Schuhe nicht ausstehen und hatten so ziemlich ein Problem damit, uns in diesen zurecht zu finden. Es tat einfach höllisch weh. Neva im Gegenteil war so geübt wie keine zweite. So, wie sie lief, konnte sie glatt als Model durchgehen, wobei ich sowieso das Gefühl hatte, dass sie mit ihren kurzen roten Haaren, den ebenso roten Augen und im dazugehörigen Kontrast das Kleid am elegantesten von uns allen aussah.

Zumindest einer von den Männern holte uns ab, wobei dieser auch eher angestolpert kam. Bevor wir losgingen, kam Sei vorbei, wohl um Kira um Hilfe zu bitten, denn seine Haare sahen alles andere als ordentlich aus. Ihm stockte kurz der Atem, was das Zeichen für Neva und mich war, uns vom Acker zu machen. Die andere war dabei schneller aus dem Zimmer als ich, als ich ihr wackelig auf meinen zwei Stelzen hinterher stolperte.

"Ich schwöre dir, wenn mich diese Latschen nicht vorher schon umbringen, werde ich dir dein letztes Lichtchen ausknipsen", fluchte ich vor mir her und unterdrückte ein schmerzverzerrtes Stöhnen.

"Du würdest mir nie etwas antun, Wynni", summte sie, kicherte und ging unbeirrt weiter. Wie ich sie verfluchte, so einfach auf den Teilen laufen zu können, während ich ihr hinterher stakste wie eine Gazelle auf Rollschuhen. Und natürlich, wie hätte es auch anders sein können, fingen meine Füße an zu schmerzen, bevor wir auch nur in die Nähe des Saales kamen.

Die Sonne war bereits untergegangen, was typisch für diese Jahreszeit war. Demenstprechend hell waren die Lichter der Halle, in welcher diese Party stattfand. Endlich konnten sich die Klassen amüsieren, es schien eine Art Ritual der Schule zu sein, so sehr wie die Lehrer sich schon daran gewöhnt hatten. Sie hatten eine Tafel mit Essen und Getränken aufgestellt. Mir war klar, dass es sich dabei nicht nur um normale Getränke handelte. Diese blieben zum Übermaß stehen und selbst ich dachte daran, mir ein paar Tropfen Alkohol zu gönnen, um das ganze zu überstehen. Neva mischte sich kichernd unter die Masse, nachdem sie mich an der Tafel abgestellt hatte. Ich hingegen nahm mir schonmal den ersten Becher und gönnte mir etwas von diesen exotischen Mischungen.

"Ach, die prüde Miss Amand trinkt Alkohol?", kam es von der Seite und sofort schnellte mein Kopf um. Natürlich musste Caleb Lecrune persönlich auf meiner momentanen Vorliebe für berauschende Getränke rumhacken.

"Prüde?", wiederholte ich mit einem leicht beleidigten Unterton. "Nur, weil ich auf deine ekelhaften Flirtereien nicht eingehe, bin ich noch lange nicht prüde" Er schmunzelte, kicherte sogar, bevor er sich selber auch etwas von dem Alkohol gönnte – Pur.

"Denkst du, dass das eine gute Idee ist?", fragte ich ihn und deutete auf den Becher, zur Hälfte angefüllt mit einer kristallklaren Flüssigkeit. Mit einem Schmunzeln nahm er nicht nur einen Schluck davon, sondern schien den gesamten Becher auf einmal zu leeren. Angewidert verzog ich das Gesicht, konnte es mir aber dennoch nicht nehmen lassen, auch von meinem Becher zu trinken.

"Wir schmecken Getränke und Essen nicht so wie ihr", meinte er und schenkte sich erneut etwas ein, hatte diesmal aber wohl nicht vor, alles auf einmal zu exen. Ach ja, da war ja was. Das Gespräch hatte ich doch am vorigen Tag mit Neva.

"Unglaublich", meinte ich nur und schüttelte den Kopf. "Ich wäre definitiv einfach umgekippt"

"Das glaub ich dir gerne" Er lachte nur über meine Aussage und blieb neben mir stehen, während wir das Treiben des ersten Jahrganges beobachteten. Maids und Herren, Diener und Damen tummelten sich auf der Fläche und hatten gemeinsam ihren Spaß. Auch Lehrer mischten sich mit darunter, diejenigen, die uns bei den Vorbereitungen geholfen hatten. Immer wieder nahm ich einen Schluck, tratschte mit Caleb und merkte gar nicht, dass ich mir etwas nachschenkte.

"Du hast dich gestern ganz schon behauptet, was", meinte Caleb mit einem mal neben mir. Ich sah ihn an und merkte, wie er vor sich her grinste. "Hast dem Harrison ordentlich in den Arsch getreten, dass dem das blöde Grinsen vergangen ist"

"Caleb Dante Enrias Lecrune!" Eine mächtige Frauenstimme ließ uns beide zusammenschrecken, mich aber auch gleichzeitig Schmunzeln. Caleb Dante Enrias Lecrune.

"Ahahahahahaha" Ich lachte laut los und behielt mir dabei den Namen. Er machte sich über mich mit Wynne Luria lustig, hatte aber selber drei, die nicht gerade besser klangen. Und seine Mutter gerade schäumte nur so vor Wut. Anscheinend darüber, wie er gerade über ein anderes Familienoberhaupt gesprochen hatte – Oder eher sprechen wollte. Ihr Sohn zog den Kopf bei der kleineren, aber denoch mächtigeren Dame ein. Das Spektakel war einfach nur zu herrlich. Vielleicht fand ich es aber auch gerade nur so lustig, weil ich schon etwas angeschwipst war. Oh jemine. Ich schwankte kurz zur Seite, brachte fast Caleb aus dem Gleichgewicht, doch er schlang nur einen Arm um meine Taille und musterte die Schuhe, die ich trug.

"Echt jetzt?", kam es von ihm und er fing an, einfach seine Mutter zu ignorieren. Diese verdrehte die Augen, jammerte etwas von 'Die Jugend von heute' und dampfte wieder so schnell ab, wie sie gekommen war. Na immerhin hatte ich die Entdeckung des Jahres für mich getätigt, dabei hatte es erst angefangen.

"Dante Caleb Enrias Blah", säuselte ich und kicherte.

"Sag mal, wie wenig kannst du eigentlich trinken?", murrte Caleb nur und brachte mich von dem Buffet weg. Hey, da standen die sprudelnden Getränke, die einen so lustig machten. Das war nicht fair. Immer weiter schleifte er mich nicht nur von der Tafel weg, sondern auch von der sich lustig bewegenden Menge.

"Meine Fresse, Amand. Du hast drei Becher gehabt. Entweder haben die das eigenartig gemischt, oder zu hältst so gar nix aus"

"Ich würde sagen, ersteres und zweiteres", kicherte ich und schwankte kurz nach vorn. Die Schuhe taten gar nicht mehr so extrem weh, zumindest konnte ich den Schmerz ausblenden.

"Weißt du, da stand ich mit dir, wollte dich dafür loben, wie tapfer du warst und was machst du? Bei dir stellt sich einfach mal raus, dass sowas von Alkohol nichts verträgst." Wir gingen zwar nicht ganz nach draußen, aber immerhin vor die Halle, wo es etwas ruhiger war. Dort hatte man für diejenigen, die eine Auszeit brauchten, ein paar Bänke aufgestellt, zu welchen mich Caleb sogar brachte, damit er mich endlich nicht mehr stützen musste. Ein leises Danke kam mir über die Lippen, als ich das Holz unter mir spürte. Mit einem Ächzen zog ich die Schuhe aus und jammerte, dass es doch noch ziemlich weh tat.

"Memme", meinte der Schwarzhaarige und schmunzelte.

"Halt's Maul", gab ich nur zurück, stellte den Becher neben mir ab und massierte meine schmerzende Ferse. "Ich hasse hochhackige Schuhe wie die Pest"

"Warum hast du sie dann angezogen?" Der Vampir zog eine Augenbraue nach oben. Ich blickte ihn vielsagend an. "Aaah. Neva" Natürlich verstand er. Nur eine konnte mich dazu bringen, überhaupt so aufgetakelt irgendwo zu erscheinen. Zufrieden lehnte ich mich zurück und nahm einen weiteren Schluck aus dem Becher.

"Du solltest echt aufhören, das Zeug zu trinken", meinte und mahnte Caleb zugleich.

"Du solltest aufhören, mich zu bemuttern. Dir ist es ja auch nicht zu verdanken, dass ich mich an das Fest erinnert habe. Und ich war mit dir dort"

"An was gibt es sich da drin denn zu erinnern?"

"Nicht daran. Das Vampirfest", stellte ich klar und lockerte meine Frisur. Seitdem ich meine Haare kurz hatte, gefiel es mir irgendwie, sie offen zu tragen. Ich sah zu dem anderen nach oben, welcher mich nun überrascht anblickte.

"Daran hast du dich erinnert? Wirklich?" War ich auf einmal dafür bekannt, mir Geschichten auszudenken? Also, ja, in gewisser Weise ja schon, was ich aber gerade meinte war eher, ob ich schon jemals eine derartige Lüge erzählt hatte. Ich erzählte ihm sogar all das, an was ich mich erinnerte. Und ich hätte nicht geglaubt, dass das Gesicht des anderen noch weißer werden könnte. Ich atmete tief durch. Gleichzeitig kniete er sich vor mich hin, sodass ich meinen Nacken nicht mehr verrenken musste, um mein Gegenüber anzusehen.

"Ich wusste schon immer, dass ihr Amands Dickköpfige Trottel seid"

"Du kennst doch nur mich"

"Besser kenne ich dich, ja. Du bist die dickköpfige Schwester, die sich nichts sagen lässt und unbedingt ihren eigenen Schädel durchsetzt. Lässt sich nicht von jemandem unterbringen, der sie fast ermordert, der sie entführt. Nein, es brauchte eine spezielle Gabe, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das bist du. Du bist so unglaublich Willensstark, das es fast weh tut, wenn man versucht, gegen dich zu agieren" Er legte mir eine Hand an die Wange. Ich zitterte, hatte das Gefühl, dass da noch mehr dahinter steckte. Er beschrieb die Person, die er kennen gelernt hatte. Weil er mit mir zu tun hatte. Viel zu tun. Etwas zog in meiner Brust so unglaublich stark, das ich dachte, ich wurde jeden Moment auf ihn fallen.

"Du hast nicht einmal geweint. Bis vor kurzem" Er wurde immer leiser. Bin ich dir so zuwider?, hallte es in meinem Kopf nach. Ich schüttelte diesen, nicht nur um den Gedanken loszuwerden, sondern auch um diese Frage ein weiteres Mal zu beantworten.

"Dein Bruder war genauso starrsinnig.", fuhr er fort, diesmal etwas lauter.

"Du kanntest ihn nicht", brachte ich heiser hervor.

"Ich kannte ihn. Ich war schon öfter hier auf der Schule, mit meinen Eltern .. und auch er ging hier her. Damals hatten wir ihm ein Versprechen gegeben. Solltest du jemals auf diese Akademie gehen, so gab ich ihm mein Wort, würde ich dich beschützen. Würden wir dich beschützen"

Meine Hände verkrampften. Zitterten. Erneut spürte ich, wie ich den Tränen nahe war, wie ich drauf und dran war, diese Mauer wieder bröckeln zu lassen. Zugleich spürte ich, wie sich einige Fetzen in meinem Kopf wieder zusammen setzten. Seine Warnung. Louis. Der Biss. Ich fasste mir an den Hals, nun wohlwissend, dass es nicht das erste Mal war, dass er mich gebissen hat. Und beide Male musste ich ihn halb dazu überreden, von mir zu trinken. Jetzt verstand ich, warum er so darauf ausgewesen ist, mich schützen zu sollen. Warum er meinen Schutz nicht garantieren konnte, wenn ich nicht einwilligte, seine Bluts-Maid zu werden. Weil das die einfachste Methode war, ohne großes Aufsehen mich bei sich zu haben. Der Alkohol vernebelte mir langsam den Verstand. Die Tränen flossen wieder, ich kam mir vor wie eine nutzlose Heulsuse.

"Verdammt. Caleb"

"Aaah, shit", fluchte der Angesprochene, zuckte zusammen, als ich nach vorn in seine Arme fiel. Eher überrascht legte er diese um mich, schenkte mit Wärme, die ich gerade brauchte.

"Es ist alles wieder da", murmelte ich und merkte, wie sich die Puzzleteile wieder zusammensetzten. Langsam, Stück für Stück, bröckelte nicht nur meine innere Mauer, welche die Tränen zurück gehalten hatte, sondern auch der Bann, der meine wahren Erinnerungen davon zurückhielt, wieder ihre Ursprüngliche Form anzunehmen. Unsere Streitigkeiten. Wie wir zusammen gearbeitet haben. Wie er mir geholfen hatte. Der Widerstand. Was wir gemeinsam unternommen haben. Alle vier. Fünf. Früher Sechs. Yakeno. Yakeno.

Von einem Moment auf den anderen versiegten meine Tränen und ich war wieder von Entschlossenheit geprägt. Diese Regung spürte mein Vampir, durch die Seelen, die uns verbanden. Wir sahen uns an.

"Ich schwöre, dass ich dieses Arschloch zur Strecke bringe", knurrte ich. Verwirrt sahen mich die roten Augen an, suchten nach weitere Schwäche, immerhin war ich momentan eine wandelnde emotionale Schwankung. "Yakeno" Mit einem mal verkrampfte sich Caleb. Kira hatte ihnen nichts gesagt. Deswegen hatte sie so reagiert, als ich diesen Wichser im Einkaufszentrum ansprach. Und Neva wusste nichts von den Machenschaften ihres Bruders. Sie tat mir wahrlich leid, genauso wie die gute Kira. Beide mussten leiden, die eine bewusster als die andere. Und meine Mitbewohnerin traf es noch so schlimm, dass er anscheinend einen Zauber oder etwas derartiges gewirkt hatte, welcher verhinderte, dass sie über ihn sprach. Sonst hätte sie es längst erzählt, zumindest Sei. Dessen war ich mir zu 100% sicher. Das alles war so verwirrend. Und mein Körper erhitzte sich langsam dank dem Rest Alkohol in meinem Blut, der mich wankelmütig sein ließ.

"Sogesehen, Yakeno hat Kira entführt", fing der Schwarzhaarige an.

"Sie gefoltert. Hat uns wahrscheinlich noch bewusst auf die Spur gelenkt, mich irgendwie von euch isoliert und wollte unsere Seelenverbindung trennen."

"Daher der Schmerz ..."

"Und daher auch mein Gedächtnisschwund. Es ist vermutlich möglich, den Bund aufzulösen, indem man die Erinnerungen wie aus dem Körper verbannt. Da das schlecht geht ..."

"... hat er sie in deinem Inneren versiegelt", vervollständigte er den Gedanken. "Aber er hat weder mit deinem noch mit meinem Dickschädel gerechnet. Ich hatte nicht vor, dich gehen zu lassen, auch wenn ich schwach war"

"Was mir im Übrigen ... ziemlich leid tut", entschuldigte ich mich im Nachhinein. Ich hatte mich schon daran gewohnt, ihm mein Blut zu geben, doch ohne meine Erinnerungen daran war es mir natürlich nicht möglich, das weiterhin einzuhalten. Der andere schüttelte nur den Kopf.

"Du warst im entfernten Sinne nicht du. Mich hat es überrascht, dass du es mir dermaßen angeboten hast"

"Es tat höllisch weh, okay?", maulte ich ihn an. "Nur, weil du es einfach nicht annehmen wolltest"

"Ich hatte keine Lust auf dein Mitleid. Ich wollte meine Alte Wynne wieder." Für einen Moment wurde er traurig, seine Augen fast leer. Es ... verpasste mir einen Stich ins Herz. Dermaßen, dass ich mich nicht traute, etwas darauf zu erwidern. Ich wusste nicht, wie sehr ihn das mitgenommen hat. Ich konnte es mir nicht einmal jetzt vorstellen, da ich nicht diejenige war, der das alles widerfahren ist. Vor der Auflösung hatte sich unser Band dermaßen gefestigt, dass wir von alleine es geschafft hatten, es wieder herzustellen .. und sogar das Siegel zu lösen.

"Es ist alles wieder da", wiederholte Caleb diesmal und strich mir einige Strähnen aus dem Gesicht. "Scheiße, bist du blass"

"Danke, du siehst aber auch nicht schlecht aus" Ich weiß nicht, ob es der Alkohol war, der meine Zunge so locker werden ließ, aber immerhin traf meine Aussage genau ins Schwarze. Erstaunt röteten sich die Wangen des sonst so weißen Vampirs und brach das vorher aufgetretene Eis.

"Hast du gerade mit mir geflirtet?" Er schüttelte ungläubig den Kopf. "Eben noch weinst du, dann sprichst du eine Todesdrohung aus und auf einmal versuchst du mit mir zu flirten. Mädchen, dir steigt der Alkohol echt zu Kopf"

"Vermutlich", meinte ich daraufhin nur. "Aber gib zu, es war effektiv"

"Effektiver als es hätte sein sollen", gab er nur zurück und streichelte mir mit einer Hand über den Rücken. Wir mussten wahrlich seltsam aussehen, so wie wir auf dem Boden saßen.

"Och, und was ist mit der natürlichen Anziehung zwischen uns?", neckte ich ihn und begann langsam zu grinsen.

"Ich dachte, das wäre eher eine Abstoßung, aber-" Ich ließ ihn gar nicht aussprechen. Zwar wusste ich nicht, von woher ich diesen Mut aufeinmal nahm, derartig frech zu werden, aber ohne Vorwarnung verwickelte ich ihn in einen Kuss, sodass er die Klappe halten musste. Diese Funken. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, brachte mich näher an ihn heran. Unser erster Kuss war nicht gerade einer gewesen, wie man ihn in Romanen erwähnen würden. Angeturned von dem Gift meines Vampirs hätte ich mich ihm nicht nur an den Hals geworfen, sondern mich ihm vollends ergeben. Jetzt gerade wollte ich das ganze ohne dies betörende Gift. Kopf und Geist schrien nach den Lippen dieses Blutsaugers, der es geschafft hatte, mich in seine Welt zu ziehen. Den Gefahren setzte ich mich selber aus, ich wollte selber gegen den Widerstand agieren. Er half mir nur, badete den Mist wieder aus, in den ich mich hinein begab. Doch wie Nord- und Südpol eines Magneten zogen wir uns gegenseitig an und konnten nicht ohne einander. Wann hatte ich begonnen, für ihn Gefühle zu entwickeln? Ich wusste es nicht ... es musste mit diesem Seelenbund zusammen hängen, der uns aneinander kettete. Zwei, die sich am Anfang nicht leiden konnten.

Ich spürte seine Arme um mich, wie sie mich stützen und hielten, nicht gehen lassen würden. Gleichzeitig aber löste er sich von mir, um nach Luft zu schnappen, welche ich genauso gut gebrauchen konnte.

"Wynne, du verdrehst mir den Kopf ...", murmelte er mir gegen die Stirn und küsste mich kurz auf die Haut.

"Für mich sieht der noch ziemlich gerade aus", konterte ich und fuhr mit den Fingern über seinen Hals.

"Argh ... Ich will dich in diesem Zustand nicht ausnutzen. Der Alkohol spricht noch immer aus dir"

"Oh ... Zustand? Nein, mir geht's doch gut"

"Luria, du liegst halb nackt auf mir und bemerkst es nicht. Ich schwöre dir, wenn du gerade nicht angetrunken wie Sau bist, hast du es vermutlich dringend nötig"

"Eh?" Mir war gar nicht aufgefallen, dass mein Kleid hochgerutscht war und die Aussicht nicht nur auf die Spitzenstrumpfhose, sondern auch auf meine Unterwäsche preisgab. Sofort, mit dem letzten Verstand, den ich mustern konnte, zog ich es wieder zurecht und lief rot an, woraufhin Caleb nur kichern konnte.

"Gut, du bist immer noch da", meinte er und vergrub seine Nase in meinen Haaren.

"Wo soll ich denn .... hin?", langsam fiel es mir schwer, Sätze zu bilden. Wörter entfielen mir, alles begann, sich zu drehen. Kraftlosigkeit durch das Zurückerlangen meiner Erinnerungen zusammen mit dem berauschendem Einfluss des Alkohols war keine gute Mischung. "Du hältst mich immerhin ganz schön fest" Das war nicht gelogen. Er erdrückte mich zwar noch nicht, aber viel Luft blieb da genauso wenig! Er lachte leise gegen meine Kopfhaut, ließ aber dennoch nicht lockerer. Er wollte mich wohl ebenso wenig gehen lassen, wie ich weg von ihm wollte. Verdammt. Sein Charme hatte mich ganz und gar gepackt. Ich war diesem Idioten verfallen.

"Caleb", fing ich an, als sich erneut alles um mich herum drehte. "Ich -" Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, sackte ich gegen seine Brust. Mir wurde schlecht und schwindling zugleich, doch ebenso fehlte mir langsam die Kraft, mich selber oben zu halten.

"Wynne? Luria! Hey!" Seine Stimme entfernte sich immer weiter von mir, als würde er gehen, obwohl sich seine Wärme nicht von mir löste. Wie eine angenehme Decke war sie um mich gelegt und ich bekam das Gefühl, ich könnte an keinem anderen Ort sicherer schlafen. Mein Körper gab nach und ich driftete in meine Traumwelt ab.

Das erste, was ich merkte, war ein unglaublicher Schmerz in meinem Kopf. Stöhnend drehte ich mich auf den Rücken, spürte wie die Matratze sanft unter mir nachgab und sich die Decke auf mir bewegte, sich über mich zog. Irgendwie aber fühlte sich das alles etwas anders an. In der Hoffnung, der Schmerz würde abnehmen, massierte ich mir die Schläfen, während ich meine Augen immer noch nicht öffnete. Es war so dunkel. Bin ich etwa mitten in der Nacht wach geworden? Das konnte doch nicht sein. Langsam versuchte ich mich, an den gestrigen Abend zu erinnern. Wir hatten diese Feier. Ich hatte getrunken und das war mir extrem schnell zu Kopf gestiegen. Ich hatte mich normal mit Caleb unterhalten ... überraschender Weise. Und was noch dazu kam – Ich hatte all meine Erinnerungen wieder. Langsam öffnete ich die Augen und musste mich erst einmal an die Sicht gewöhnen. Zunächst war alles verschwommen, der Schmerz in meinem Schädel nahm zu und ich gab einen genervten Laut von mir. Ich vertrug anscheinend absolut keinen Alkohol.

Während ich mich aufsetzte, versuchte ich mich daran zu erinnern, was noch alles an dem Abend passiert war. Das hatte sich wenigstens in meinem Kopf festgesetzt bis zu einem Punkt, wo ich entweder tatsächlich dank des Alkohols einen Filmriss bekommen habe, oder ich einfach weggetreten bin. Ich fasste mir an die Brust, dort, wo mein Herz wie verrückt begonnen hatte, zu schlagen. Diese Gefühle waren wieder da. Ich spürte durch das Hemd hindurch, wie sich mein Puls immer weiter beschleunigte. Moment, was? Hemd? Ich blickte an mir herunter und bemerkte, dass ich weder das Kleid vom Vortag trug, noch meinen Schlafanzug! Geschweige denn, dass ich diese dunkelrote Decke besaß. Mit geweiteten Augen sah ich mich um und bemerkte jetzt erst, dass ich mich in einem riesigen Bett befand. Ich bereute es sofort, meinen Kopf so schnell gedreht zu haben, denn dieser fing wieder unkontrollierbar an zu pochen. Verdammt, ich war in Caleb's Zimmer! Wie war ich hier gelandet? Was war geschehen, nachdem ich weggetreten bin?! Erneut ging mein Blick auf das Hemd. Es war viel zu groß, um mir zu gehören, also war es wohl eindeutig seines. Hatte ich mir das selber angezogen? Oder hatte er das für mich getan? Aaah, so ein Scheiß!

"Man, jetzt hör auf, dir dermaßen den Kopf zu zerbrechen", murrte der Schwarzhaarige, welcher mit einem Tablett, auf welchem sich ein Glas Wasser befand, den Raum betrat. Was beschwerte er sich denn? Er hatte ja vermutlich die Nacht seines Lebens gehabt! "Deine Kopfschmerzen übertragen sich auf mich, du Dummkopf" Als hätte er meine Gedanken gelesen antwortete er mir, begab sich auf meine Seite und stellte das Tablett ab. Es war nicht zu dunkel in dem Raum, durch die Gardinen kam noch genug Licht hinein, um alles recht gut erkennen zu können, ohne meinen empfindlichen Augen und infolge dessen meinem Kopf noch mehr Schmerzen zuzufügen.

"Inwiefern übertragen sie sich auf dich?", fragte ich ihn und musterte die kleine Pille auf dem Tablett. Beides händigte er mir nicht lang später aus und deutete mir an, es zu mir zu nehmen. Ohne Widerworte gehorchte ich, in der Hoffnung, es würde sich um eine Schmerztablette handeln. Aber auch das Wasser tat mir ordentlich gut.

"Während Dornröschen geschlafen hat, hab ich ein bisschen Recherche betrieben" Sein Blick ging dabei auf den Nachttisch auf der anderen Seite des Bettes, wobei mir beim Folgen seiner Blickrichtung das Buch auffiel, was er bereits schon einmal mit in mein Zimmer genommen hatte. "Wir teilen uns einiges durch den Seelenbund. So spüren wir untereinander die Schmerzen. Dummerweise hat sich auch der Alkohol, den ich konsumiert habe, auf dich übertragen. Frag mich bloß nicht, wie das klappt."

"Magie", meinte ich nur, hob beide Hände und deutete vor meinem Gesicht eine halbkreisförmige Figur an, indem ich die beiden auseinander gleiten ließ. Caleb schmunzelte, sein Gesichtsausdruck verzog sich immer weniger, je mehr der Schmerz in meinem Kopf abnahm. Diese Sache mit dem Seelenbund war wirklich eigenartig. Er atmetete tief durch und setzte sich auf die Bettkante. Ich zog mir vorher sicherheitshalber die Decke bis zu meinem Schlüsselbein. Amüsiert hob der Vampir eine Braue und grinste mich an.

"Ich hab dir nichts angetan, keine Sorge" Hör auf, meine Gedanken zu lesen. Ich schnaubte genervt, konnte meine Neugierde aber nicht zurück halten.

"Wie bin ich überhaupt hier gelandet?" Caleb lehnte sich zurück, stützte sich mit den Händen auf der Matratze ab, um nicht ins Liegen zu kommen. Unterbewusst musterte ich ihn, seine Haare standen noch wilder in sämtliche Richtungen. Ausnahmsweise hatte er ein normales T-Shirt ohne diesen Nuttenausschnitt an, wodurch er doch recht dezent aussah. Auch auf dieser Seite trug er einen Ohrring, nur zog sich dieser mit einer zylinderartigen Form über seine Helix. Ob das wehgetan hatte?

"Bevor du mich hier noch in Grund und Boden starrst – Ich wollte dich zurück bringen, nachdem du auf mir eingeschlafen bist. Nur eine gewisse blonde Dame wollte mich nicht loslassen" Ich spürte mit einem Mal, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Bislang war mir das nicht einmal in meinem ganzen Leben passiert. Mir war noch nie etwas peinlich gewesen. Oder nicht in diesem Ausmaße. "Und zu deiner Beruhigung: Es ist nichts passiert. Ich bevorzuge es dann doch, dass meine Partnerin bei Bewusstsein ist" Mit einem süffisantem Grinsen beugte er sich nun zu mir, stützte sich mit einer Hand an der Bettlehne ab, sodass ich mich dazwischen gefangen vorfand. Ich hätte ihm natürlich dafür ins Gesicht schlagen können, aber ich hatte dieses Bedürfnis nicht mehr, ihm an die Gurgel zu gehen. Ich erwiderte einfach nur seinen Blick und sah, wie ein roter Schimmer über seine Augen huschte. Nanu, das kam mir aber sehr bekannt vor. "Immerhin will ich doch hören, wie du meinen Namen schreist .." Mir lief es eiskalt über den Rücken runter, jedoch nicht, weil es mir unangenehm war. Eine eigenartige Welle der Erregung durchfuhr mich, als er so zu mir sprach. Ohne weitere Worte sahen wir uns einfach nur an. Sprache wäre in unserem Fall auch vollkommen überflüssig gewesen. Ich versuchte, meinen Puls unter Kontrolle zu bringen, doch es fühlte sich so an, als würden nicht nur meine Gefühle in mir herum irren. Um meinen Kopf wieder klar zu bekommen, beschloss ich, ihn lieber von mir zu schieben. Das würde sonst noch in etwas enden, was ich definitiv noch nicht mit ihm haben wollte. Auch er atmete tief durch und richtete den Blick auf die dunkle Wand. Danach schwiegen wir uns eigentlich nur noch an ...
 

Mir entging Kiras Grinsen nicht, als sie mir Wechselsachen brachte. Und auch nicht dann, als ich zurück ins Zimmer kam. Beim Umziehen hatte ich die Möglichkeit gehabt, mich im Spiegel zu betrachten, welcher sich in Calebs viel zu großem Bad befunden hatte. Ich sah wirklich fürchterlich aus. Meine Haut war noch blasser als sonst, meine Augen unglaublich müde, als hätte ich die Nacht durch gemacht. Doch das störte mich nicht am meisten. Nein. Was mich störte, war die simple und einfache Tatsache, dass dieser vermaledeite verwöhnte Vampir eine Badewanne hatte.

"Ich kann's nicht glauben", sprach ich als ich das Bad verließ und absichtlich die Tür offen ließ, um hinein zu deuten. "Er hat eine verdammte Badewanne!" Während ich sah, wie Caleb nur verwirrt die Augenbrauen hob, reagierte Kira ebenso empört wie ich.

"Wie bitte?", hakte sie sofort nach und musste gleich sichergehen, ob ich auch keinen Humbug erzählte. "Tatsächlich! Was habt ihr eigentlich nicht?"

"Was ist denn schon groß dabei?", fragte der Schwarzhaarige deutlich genervt und verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Mitbewohnerin und ich sahen uns beide nicht besonders begeistert an.

"Was ist schon groß dabei", wiederholte ich als erste und die Brünette stimmte mit ein.

"Was ist schon groß dabei."

"Was ist schon groß dabei" Und so ging es noch eine Weile weiter, bis Caleb die Nase voll hatte, uns aufscheuchte und bat, das Zimmer zu verlassen. Nun ja, zumindest Kira scheuchte er nach draußen, mich hielt er noch kurz auf und musste unbedingt einen Kommentar zu meiner Aufregung abgeben.

"Vielleicht können wir uns ja irgendwann mal die Badewanne teilen, hm?", säuselte er verführerisch. Von der Größe her wäre das sogar tatsächlich möglich, wenn man es von der nüchternen Seite betrachtete. Aber das tat weder der Vampir vor mir, dessen Augen gefährlich glänzten, noch ich in dem Moment, sodass ich auf seine Flirterei einging: "Wenn du brav bist, lässt sich das sicher einrichten"

Baff blickte er mich an. Um ihn noch etwas weiter zu necken, fuhr ich mit den Fingerspitzen von Zeige- und Mittelfinger über seine Wange und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, bevor ich Kira zurück in unser Zimmer folgte. Es fühlte sich doch recht gut an, ihn auf eine neue Art und Weise zu necken. Vor allem, da er es nicht gewohnt war, dass ich es auf diese Art und Weise zurück gab.
 

"Also, du musst mir alles erzählen.", meinte Kira und setzte sich auf die Couch in unserem Zimmer. Um es nicht zu still sein zu lassen, hatten wir beschlossen, uns von einwenig Musik berieseln zu lassen, welche nun den Hintergrund untermalte, sodass keine Totenstille bei uns herrschte. "Wie kommt es dazu, dass ihr euch nicht mehr gegenseitig anfahrt?" Sie musste schon eine Vermutung haben, immerhin war sie gut darin, eins und eins zusammen zu zählen. Es wunderte mich nur, dass Caleb ihr noch nichts erzählt hatte. Sie war immerhin noch wach gewesen, als er versucht hatte, mich hier abzuliefern. Umso breiter war ihr Grinsen natürlich, da sie gesehen haben musste, wie ich an ihm hing. Ich zögerte nicht lang und setzte mich zu ihr. Es war mir schon recht peinlich, vor allem da ich mir jetzt durchaus bewusst war, weswegen ich mich so zu ihm hinezogen fühlte. Und was noch peinlicher war, es störte mich nicht. Ich wusste, dass ich bei ihm gut aufgehoben war.

"Ich erinnere mich an alles", fasste ich kurz und knapp zusammen. "An wirklich alles." Kiras Augen fingen an vor Tränen zu glänzen, als sie sich auf mich stürzte und in eine Umarmung schloss. Ihr musste ein Stein vom Herzen fallen, vor allem da es jetzt endlich jemanden gab, der darüber reden konnte, wer aus dem Widerstand hier der Drahtzieher war. Deswegen hatte Yakeno auch seit geraumer Zeit nicht mehr die Schule besucht. Er ging allem aus dem Weg, um nicht aufzufallen.

"Oh Gott, Wynne. Ich bin so verdammt froh" Ich schloss sie in meine Arme, strich ihr zur Beruhigung über den Rücken. In ihrem Kopf musste sich fürchterliches abgespielt haben. Ich konnte es mir nur zu gut vorstellen, vor allem da auch meine Gedanken noch vor kurzem in Scherben lagen. Es hatte geschmerzt, sich nicht an die Wahrheit erinnern zu können, tatsächlich zu wissen, wer Freund und Feind war, obwohl man eine gewisse Verbundenheit zu Leuten spürte, die man nicht mehr so kannte wie vorher. Der Bund. Er wurde für eine kurze Zeit aufgehoben, das wusste ich. Ich hatte für eine gewisse Zeit dieses Ziehen in Calebs Richtung nicht, wusste nicht, wie er sich fühlte, was in ihm vorging. Und nun übertrug sich all das auf mich. Es hatte schon begonnen, als er am Boden war und mich fast gegen seinen Willen gebissen hatte. Es hatte das Band erneuert. Und meine zurückgekehrten Erinnerungen verstärkten diese Gefühle nur noch.

"Eines kannst du mir glauben", sagte ich leise und streichelte Kira über den Kopf. "Der Wichser wird dafür zahlen, was er dir angetan hat" Ich hatte mich an die Bilder einnert, an Kiras verstörtes und misshandeltes Gesicht.

"Er hat es auch bei mir versucht", murmelte Kira leise in meine Halsbeuge und schluchzte auf. "Es hat nicht funktioniert. Warum auch immer. Es wollte nicht. Etwas ließ nicht zu, dass ... dass meine Erinnerungen sich beugen. Er schlug mich aus Wut." Sie redete, als wäre dieses Siegel, was auf den Worten über ihn lag, endlich gelöst. Sie tat mir so leid. Sie konnte mit niemandem darüber reden und ich wusste nicht mehr, was geschehen war. Ich wusste ja nicht einmal, was genau er mit ihr angestellt hatte. Aber es muss grausam gewesen sein, denn er war nicht gerade schwach. Ich rief mir den Schmerz ins Gedächtnis, als er mich fast erschlagen hatte. Ich ging nicht K.O., aber es hatte geschmerzt wie verrückt. Doch dafür würde er büßen. Diese Rache stand ganz oben auf meiner Liste. Da rückte sogar die Tatsache in den Hintergrund, dass ich herausfinden wollte, was mein Bruder mit dem ganzen Zeug zu tun hatte. Yakeno hatte ihn erwähnt, Caleb kannte ihn. Klar, er war hier auf die Schule gegangen, aber so, wie Neva's Bruder reagierte, musste auch er eine größere Rolle gespielt haben.

Ich schaffte es, Kira zu beruhigen. Dies beinhaltete zwar einen Gang zur Caféteria und einen kleinen Einkauf von Trinkschokolade, aber das war es mir Wert. Über die Monate hatte ich herausgefunden, dass meine Mitbewohnerin nämlich eine Schwäche für Süßigkeiten hatte, so wie es auch bei Pin der Fall war, weswegen ich damit sogar recht gut umgehen konnte. Als ich ihr die warmgemachte Schokolade hinhielt, wischte sie sich die Tränen weg und nahm es mit einem 'Danke' an.

"Das Zeug schmeckt immer noch nicht gerade gut", murmelte sie in ihren nicht vorhandenen Bart und musterte ihr Getränk, welches sie trotz ihrer Kritik verzehrte. Ich zuckte hingegen nur mit den Schultern und nahm wieder meinen Platz neben ihr auf der Couch ein.

"Vielleicht hätte ich extra Zucker rein machen müssen"

"Ja, Karies kümmert es wenig, wie eklig das Zeug schmeckt" Sie schmunzelte etwas, auch wenn ihre geröteten Augen noch immer diesen Schmerz inne hatten. "Obwohl Zucker in dem Fall sogar helfen würde. Glaub ich zumindest"

"Nur nicht, dass du dann hyperaktiv wirst und durch unser Zimmer rennst wie ein aufgescheuchtes Huhn"

"Ja, für 10 Sekunden, bevor ich vor Atemlosigkeit umkippe" Wir kicherten, zu einem herzhaften Lachen konnten wir uns beide nicht aufrappeln. Die Stimmung war immer noch erdrückend, lockerte sich aber nach und nach.

"Da fällt mir was ein ..", fing ich nach einer kurzen Gesprächspause an und erinnerte mich an etwas, was ich noch mit Caleb sogesehen 'besprochen' hatte. Wir hatten uns zwar eine Ewigkeit angeschwiegen, aber bevor er Kira holen gegangen war, hatte er da etwas recht interessantes erwähnt. "Sei war gestern Abend noch bei dir?" Ich schien den Nagel auf den Kopf zu treffen, denn kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, verschluckte sich Kira an ihrem Getränk. Erschrocken klopfte ich ihr auf den Rücken, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. Die Röte in ihren Augen ging langsam zurück, dafür wanderte sie aber in ihre Wangen.

"Woher-"

"Caleb"

"Bastard" Sie hustete noch ein paar Mal, klopfte sich dabei auf die Brust. Das war das zweite Mal in zwei Tagen, dass sie sich so extrem verschluckt hatte. "Er ist ... über Nacht geblieben"

"Ich sag dir, wenn ihr das Bett kaputt gemacht habt, helfe ich dir nicht, das den Direktoren zu erklären und ein Neues aufzubauen"

"Wynne!", stieß sie entsetzt aus, der Röte in ihrem Gesicht nach zu urteilen war das ein wirklich heikles Thema für sie. Ob nun etwas an meiner Aussage an der Wahrheit gekratzt hatte oder nicht, war eine andere Frage. Aber ich konnte mir schlecht vorstellen, dass der Vampir hier gewesen ist und die beiden nur geredet haben. Kira wollte mit dem Thema nichts weiter zu tun haben, wich nicht nur meinen Blicken aus, sondern versteckte sich auch hinter der Tasse mit der braunen Brühe darin. Nun ja, zumindest so lang, bis sie ihre scharfe Zunge wiedergefunden hatte.

"Tu du mal nicht so unschuldig. Du hast bei Caleb übernachtet"

Ich stockte kurz, fasste mich aber definitiv schneller als sie. "Er hat mich ... kaum angerührt. Meinte. Mit stockbesoffenen wöllte er nichts anfangen"

"Und du warst gestern echt hackedicht"

"Vielen lieben Dank für deine aufmunternden Worte", meckerte ich sie an, scherzweise.

"Gern geschehen", säuselte sie zurück und nahm einen Schluck von ihrem Getränk. Nun, ihre Aussage ließ mich aber nachdenken. Würde sich zwischen diesem eingebildeten Vampir und mir jetzt etwas ändern?
 

Die Monate vergingen und ehe wir uns versahen, war es nicht nur mitten im Frühling, sondern wir befanden uns zum Teil auch schon im Prüfungsstress. Die ersten hatten wir bereits hinter uns, Diener und Maids waren aus einer Prüfung sogar ausgeschlossen, mussten dafür aber eine andere ablegen. Miss Legrand war froh gewesen, endlich wieder die alte Wynne im Unterricht begrüßen zu dürfen. Ich war mir jedoch nicht ganz sicher, ob ich so glücklich darüber war, da ihre Erwartungen an mich exponentiell gestiegen sind. Eine Sache hatte sich geändert: Caleb gehörte nun zu denjenigen, die ihren Blutsdiener oder ihre Blutsmaid vom Unterricht abholten. Es war noch etwas eigenartig zwischen uns, wir neckten uns weiterhin, beleidigten uns nicht weniger, sprangen uns aber nicht mehr gegenseitig an den Hals. Zu meinem Geburtstag hatte er doch sogar tatsächlich mitgeholfen, an einer Überraschung zu arbeiten. Und in der Klasse? Es blieb den anderen nicht verheimlicht, dass sich etwas geändert hatte. Während wir uns früher immer so gut es ging aus dem Weg gingen oder wir uns angifteten, fand sich der Schwarzhaarige nun öfter bei Kira und mir am Tisch ein, kam mir besonders Nahe, indem er die Arme um meine Schultern legte oder seinen Kopf auf meinen, manchmal sogar beides. Lernen taten wir im vierer Pack: Meine Mitbewohnerin, mein Vampir, Neva und ich. Manchmal baten wir Klassenkameraden um Hilfe, manchmal halfen wir ihnen. Wir hatten zwar kein enges Verhältnis mit den anderen, jedoch seit dieser Projektarbeit wollte unsere Klasse beweisen, dass sie die beste war. Und wenn auch nur einer aus der Reihe tanzte, oh Junge, der konnte was erleben.

Alles in allem konnte ich mich eigentlich nicht beschweren, auch wenn die Prüfungen wirklich übertrieben ätzend waren. Man hatte uns natürlich gewarnt und auch zu Beginn des Schuljahres gesagt – Viele werden es hier nicht weit schaffen und einige werden vielleicht sogar schon nach dem ersten Jahr entweder gehen müssen oder von den Eltern abgeholt werden. Und ich war inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass beides hoffentlich nicht für mich der Fall war. Caleb musste so oder so bleiben, er würde lediglich sitzen bleiben, aber so dumm war der Vampir nun auch wieder nicht. Kira, nun ja, sie hatte da ja ihre tolle Begabung, die ihr nachhalf. Einzig und allein Neva blieb ein Mysterium, da sie sich nie wirklich auf den Stoff konzentrieren konnte. Niemand von uns nahm es ihr übel. Wir hatten sie in Kenntnis gesetzt: Yakeno war der gesuchte Anführer der Spitzel und momentan war er auf der Flucht. Als wir ihr es erzählt hatten, wurde ihr Gesicht ausdruckslos und sie starrte zu Boden.

"Ist das also so", murmelte sie, strich sich dabei eine Strähne aus dem Gesicht.

"Leider, ja", meinte Kira mitleidig und legte eine Hand auf die Schulter ihrer vampirischen Freundin.

"Glaub mir, wenn wir dir sagen, dass es auch uns verstört hat, als wir es erfuhren", sprach ich. Es war nicht aufheiternd, dafür war ich bei Neva nicht geschaffen. Ein Schmunzeln entwich der Rothaarigen.

"Ich hätte es mir auch denken können" Sie lächelte uns an, traurig, nicht ihr bekanntes überdrehtes und fröhliches Lächeln. Wir wussten alle nicht, was wir sagen sollten. Sie nahm es besser auf als wir gedacht hatten, aber die Verarbeitung dieser Nachricht war nicht leicht für sie. Zudem kam noch, dass ihr Vater anscheinend die Firma in den Ruin trieb, während sie nur daneben sitzen und zuschauen konnte. Mich würde es in den Wahnsinn treiben. Sie aber blieb ruhig, aber in ihrem inneren tobte ein unglaublicher Sturm.

Um uns nicht allzu überfordern, hatten wir immer zwischen zwei Prüfungen eine Woche Ruhe, um uns auf die nächsten zwei vorzubereiten. In dieser Woche fand der Unterricht zwar noch statt, aber er war verkürzt gehalten und unsere Pausen verlängert. Man wollte uns die Chance geben, zu lernen und nicht durchzufallen. Sozusagen diejenigen, die sich wirklich dahinter klemmten, hatten einen Vorteil. Außer man hatte von sich aus einen genetischen Boni, wobei mein neidischer Blick immer wieder auf Kira fiel.

"Glaub bloß nicht, ich würde das nicht bemerken", meinte die Brünette als wir in unserem Zimmer saßen und unsere Ordner für Geschichte und Sprachen durchgingen. "Ich kann nichts dafür"

"Das ist mir klar", meinte ich und blätterte herüber zu den Informationen der neuen Ordnung. "Hilft mir trotzdem nicht, weniger neidisch zu sein"

"Sieh es so – Ich kann euch Pappnasen besser helfen!" Sie kicherte und diesmal war Caleb es, der beleidigt schnaubte.

"Pappnasen?", hinterfragte er mit hochgezogener Braue und lehnte sich an mein Bett.

"Du bist sowieso die größte von allen, keine Sorge", beschwichtigte ich ihn und tätschelte seinen Kopf, woraufhin er mich anfunkelte. Ich grinste nur zurück, was darin resultierte, dass er mich am Handgelenk packte und quer über seinen Schoß zog.

"Caleb!", schrie ich auf und schlug ihm auf die Brust.

"Das hast du davon", summte er mir ins Ohr, nachdem er sich zu mir gebeugt hatte, damit ich mich auch ja nicht aufrichten konnte.

"Ich bitte euch – Macht das in einem eigenen Zimmer, aber nicht vor meinen Augen!", jammerte Kira sofort rum und verdeckte ihr Gesicht mit ihrem Hefter. Ich hingegen konnte mich nicht so leicht verstecken, versuchte mit aller Kraft, diesen Vampir von mir loszuwerden, während sich meine Wangen leicht verfärbten. Caleb nutzte den Moment, dass meine Mitbewohnerin nicht zusah und stahl sich einen Kuss von meinen Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen. Und ja, das tat er wirklich jedes Mal. Genervt seufzte ich auf und gab Ruhe, sodass er mich endlich auch wieder aufsetzen ließ.

"Seid ihr endlich fertig?", meckerte die Brünette. Lachend sprach der Schwarzhaarige sie frei, doch zu viel Lernen kamen wir nicht mehr. Es war Samstag und jeder wusste, was das hieß: Wir setzten uns zusammen und tüftelten weiter herum, wie wir gegen den Widerstand vorgehen konnten. Da wir nun wussten, dass wir Yakeno finden mussten, war es zum einen einfacher, zum anderen aber auch schwieriger. Der schmierige Vampir war untergetaucht und hatte sich in all den Monaten nicht mehr in der Schule blicken lassen. In mir ist die Hoffnung aufgekeimt, er würde uns endlich in Ruhe lassen, dafür geschahen aber immer noch zu viele eigenartige Dinge. In der Zwischenzeit, kurz vor den Prüfungen nämlich, hatten wir noch einmal eine Woche Ferien, nach welchen erneut Schüler verschwanden und bis jetzt war keiner von ihnen lebend oder tot wieder aufgetaucht. Jeder hoffte natürlich darauf, dass man sie lebend wiederfinden würde. Die Direktoren hatten bereits vom Rat aus eine Suche angeordnet. Diese Anfrage wurde aufgrund der Umstände zum Glück nicht ignoriert, wobei ich mich fragte, ob es die Familien tatsächlich so viel kümmerte. Wie viel wussten sie von den anderen Vorfällen und dass die verschiedenen Diener und Maids von ihren Kindern entführt wurden?

Ein Update bei den Familien gab es außerdem. Zumindest bei einer von ihnen – Die Silvestris hatten das Oberhaupt gewechselt. Der Vater von vier Kindern hatte das Zepter an seinen ältesten Sohn Jonathan abgegeben, welcher uns nur wenige Wochen später mit seiner Maid an unserer Schule besuchte. Etwas an den beiden fand ich immer noch eigenartig, aber ich konnte es schlicht und einfach nicht deuten. Lexa, wie sie uns schließlich vorgestellt wurde, schritt mit einer vollkommen anderen Eleganz als wir Maids neben ihrem Herren her. Sie zeugte von Stolz. Sie hatte der Familie wohl schon seit langer Zeit gedient. Gleichzeitig entgegnete Jonathan ihr mit einer unglaublichen Wärme, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass irgendeiner der Silvestris etwas im Schilde führen könnte. Eine korrupte Familie könnte ihren Nachwuchs niemals zu solcher Freundlichkeit erziehen. Und diese war nicht gefälscht, das hätte ich gemerkt.

"Wynne Luria Amand, wenn ich mich recht entsinne", hatte er mich angesprochen und mir seine Hand angeboten. Mit einem Lächeln wartete er darauf, dass ich diese zu einem Händeschütteln annehme und da ich weder unfreundlich sein noch ihn enttäuschen wollte, nahm ich seine viel größere Hand an und lächelte leicht unbeholfen zurück. Ich konnte mit solchen freundlichen Vampiren immer noch nichts anfangen. "Du hast es dem Alten Harrison damals wirklich gezeigt." Ich rieb mir meine Hand, sein Griff war wirklich fest gewesen und ich hätte schwören können, dass er mir beinahe die Hand ausgerissen hatte. Er entschuldigte sich natürlich dafür, erntete sogar von Caleb dafür einen warnenden Blick, wobei ich ihm mit dem Ellebogen in die Rippen stieß. Momentan stand Jonathan noch über ihm, auch wenn der Mann das alles lockerer nahm, als man es vermutlich sollte.

Die Sache mit dem Widerstand konnten wir mit ihm sogar besprechen. Er gab uns eine Informationen aus eigenen Ermittlungen und im Gegenzug zeigten wir ihm das, was wir herausgefunden hatten. Es war keinem im Rat ein Geheimnis, was wir taten. Auch den Dirketoren nicht. Sie hatten uns mit einer Warnung gehen lassen, sahen es als Möglichkeit an, um zu testen, wie ihr Sohn mit der Situation zurecht kam, obwohl es gefährlich war. Jedenfalls standen wir nun regelmäßig mit Silvestri in Kontakt und tauschten neugewonnene Informationen aus. Da er am längeren Hebel saß, konnte er Detektive auf die Suche nach Yakeno schicken, doch jedes Mal, als sie eine Spur fanden, entwich er ihnen wie ein Aal. Es war zum Mäusemelken. Wir hatten nicht die Freiheiten, die wir brauchten, um eigenen Ermittlungen weiter nachzugehen, so blieben uns nur unsere Sitzungen an den Samstagen, die wir uns extra dafür freihielten. Sogar Caleb bekam keine Aufgaben mehr, wobei das mehr an den Prüfungen lag als daran, dass seine Eltern nun Bescheid wussten.

Wir hatten bis zu den Sommerferien nur noch wenige Monate. Es war bereits Ende April, doch kam es uns noch wie eine halbe Ewigkeit vor, bis wir die nötige Freiheit erhalten würden. Und bis dahin konnte alles mögliche passieren. Damit uns nichts zustößt, haben es sich Sei und Caleb zur Aufgabe gemacht, uns zwei regelrecht zu eskortieren. Es war eigenartig, gleichzeitig aber auch angenehm, sich in Sicherheit zu wissen. Wir standen zu 90 Prozent sehr hoch auf ihrer Liste, vor allem da ich mir sehr gut vorstellen konnte, dass Yakeno mittlerweile wusste, dass meine Erinnerungen wieder da waren.
 

Die nächsten Prüfungen waren geschafft, doch noch stand kein Ergebnis fest. Wir würden erst in einem Monat von den Auswertungen hören und müssten bis dahin geduldig warten, was den meisten fast ihren Verstand kostete. Viele hatten Angst, ihren Platz an der Akademie zu verlieren, dazu gehörte zum Teil auch ich. Ich war eine mittelmäßige Schülerin bislang gewesen, war dem Unterricht so gut es ging gefolgt, aber dennoch hatte ich das Gefühl, dass es nicht ausgereicht hatte. Die Gesichter meiner Lehrer sagten mir nichts, sie hatten sich über all die Jahre eine gute äußerliche Fassade angelegt, sodass es nicht auffiel, wenn sie besorgt um einen Schüler waren oder wussten, dass einer es nicht schaffen würde. Meine Geschichte kam auch nur schleppend voran, wobei ich die Updates auf die Wochen nach den Prüfungen verschieben musste, da ich mich aufs Lernen konzentrieren wollte. Auch meine Freunde aus meiner Heimatstadt mussten kürzer treten, was den meisten nicht wirklich gefiel. Es war so oder so schon schwer gewesen, mit ihnen in Kontakt zu bleiben und ich hatte außerdem noch meinen Rang in dem Spiel verloren, aber ich hatte leider wichtigeres zu tun. Dabei ging es nicht nur um meine schulische Karriere, sondern auch darum, die Probleme mit der Opposition des Rates zu lösen. Denn als eine Maid der Lecrunes war das auch mein Problem, wie ich mehrmals mitbekommen musste.

Als Belohnung für die absolvierten Prüfungen – ob nun erfolgreich oder nicht sei dahin gestellt – bekamen wir ein paar Tage Schulfrei. Das betraf hiebei nicht nur das erste Schuljahr, sondern alle beisammen, wobei sich das fünfte als erstes schon bald auf die Ergebnisse freuen konnte. Sie beendeten ihr Leben an dieser Akademie und für sie würde es nun außerhalb weitergehen. Mit einem Abschluss hier hätten sie damit einen viel leichteren Start. Einige von ihnen würden auch weiterhin ihrem Herren oder ihrer Dame dienen, sodass sie noch eine andere Art der Unterstützung erwarten konnten. Ich konnte noch gar nicht daran denken, was ich nach meiner Zeit hier machen würde. Ich wollte schon immer Autorin werden, jedoch als Maid einer Ratsfamilie und noch dazu Schicksalspartner von Caleb stand ein anderes Schicksal vor mir. Noch dazu war die Frage, ob ich es bis dahin überhaupt überleben würde, da die Sache mit Yakeno noch immer nicht geklärt war.

Während unserer freien Zeit beschäftigten wir uns natürlich wieder mit unserem bekannten Feind. Seit einigen Tagen jedoch hatten wir das Problem, uns nicht mit Silvestri in Verbindung setzen zu können. Als wäre er vom Erdboden verschwunden konnte niemand ihn kontaktieren, selbst die Direktoren nicht. Sorge keimte in uns auf, ebbte aber auch wieder ab, als er wenige Tage später auf dem Campus der Schule erschien, zusammen mit einer anderen mir doch recht bekannten Gestalt. Der brünette Mann, welcher uns vor einigen Monaten einmal besucht hatte, um sich herumführen zu lassen, kam mit dem Verlobten der Nocta-Dame, auf deren Geburtstag wir waren, in das Büro der Direktoren, in welches wir kurz bevor beodert wurden.

"Wir haben vor kurzem einen Anruf von Mister Silvestri erhalten", meinte Mister Lecrune und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er verschränkte die Finger ineinander, musterte uns mit einer gefährlichen Kälte im Blick, welche weder mir noch Caleb etwas anhatte, immerhin waren wir bereits daran gewöhnt. Jonathan bedankte sich dafür, dass er selbst mit dieser kurzfristigen Ankündigung freundlichst empfangen wurde, was Miss Lecrune wiederrum mit einem Lächeln abwunk. Schnauben trat der blonde Mann nach vorne, sichtlich genervt von dem Verhalten der anderen und der Zeitverschwendung, wie er es nannte.

"Lass uns zum Punkt kommen, verdammt", fauchte er den Älteren an, welcher mit einem Mal von seinem Lächeln, was mir im übrigen sehr distanziert vorkam, zu einer sehr ernsten, gar traurigen Miene wechselte.

"Stimmt. Wir sind nicht für einen netten Besuch und einen kurzen Tratsch hier", meinte er und seufzte schwer, setzte sich dabei auf das Sofa, welches die Direktoren in ihrem Büro hatten. Caleb und ich sahen uns verwirrt an, keiner von uns konnte sich denken, was sie von uns wollten. Wir wussten jetzt zwar, warum Jonathan die Tage über nicht erreichbar gewesen ist, aber wieso ist er nun auf unserer Schule aufgetaucht? Verwirrt wandten wir unsere Blicke an ihn, woraufhin er auch endlich damit rausrückte, weswegen sie hier waren.

"Unsere Frauen werden seit mehreren Wochen vermisst und wir wissen, dass der Widerstand dahinter steckt"

Und wir sollten ihnen nun dabei helfen?

Die Gänge des Palastes sollten ihr bereits bekannt vorkommen. Sie ist diese schon oft genug entlang gegangen, denn hatte sie diese hinter sich gebracht, so fand sie sich vor einer Tür wieder, welche in den Thronsaal des Anführers führte. Ihr Kontakt mit dem Weißhaarigen war über die vergangene Zeit mehr geworden, sie unterstützte den Vampir bei seiner Großoffensive gegen seine Gegner, denn in diesem Falle galt für sie – Die Feinde ihrer Feinde waren ihre Freunde. Es machte ihren Job außerdem um einiges einfacher, da sie so an viele Hintergrundinformationen heran kam. Diese wurden ihr auch mit einem Lächeln zur Verfügung gestellt. 'Es ist gut, um die Hilfe einer Jägerin zu wissen' hatte der Weißhaarige ihr zugelächelt. Er war ihr ein Mysterium, andersherum war es aber genau so.

Der gute Anführer hatte seine Probleme, die Jägerin in seinen Griff zu bekommen. Umso mehr erweckte diese aber auch sein Interesse, denn diese doch eher dünne, zierliche Gestalt hatte Krallen, die man nicht unterschätzen sollte. Als er ihr das eine Mal zu Nahe gekommen war – aus welchem Grund sei dahin gestellt, er hatte seine – befand sich mit einem Mal der Lauf ihrer Pistole an seiner Stirn und ihr Blick war so tödlich, dass er am liebsten geschmunzelt hätte. Es war jedoch nicht die Zeit um zu scherzen, denn ihre Feinde planten immer mehr Übergriffe in seinem Reich und er würde nicht zulassen, dass sie erfolgreich wären. Genauso wenig wie seine Jägerin, denn diese hatte immer noch fest vor Augen, ihre Rache zu bekommen.
 

"Inwiefern passen wir da in den Plan?" Ich wusste nicht, inwiefern wir ihnen helfen konnten. Sie waren älter als wir, hatten mehr Ressourcen. Wir waren an diese Schule gekettet und hatten nur das, was wir auf dem Campus fanden. Jonathan seufzte auf und senkte den Blick.

"Ich weiß, es klingt grausam. Aber ihr wart schon einmal in einem Versteck von ihnen. Ihr wisst, wie man sie finden kann."

"Oder wie man sich finden lassen kann", warf Caleb sofort ein und schüttelte den Kopf. "Ein absolutes Nein. Das ist schon mehrmals schief gegangen und ich habe keine Lust, ihr Leben oder das von Kira noch einmal aus Spiel gesetzt zu sehen. Es reicht langsam"

"Caleb, Chill", meinte ich nur. "Wir sollen euch also helfen, eure Frauen zu finden. Um wen geht es da genau? Rika weiß ich ja"

"Lexa", antwortete der Brünette und hob langsam wieder den Kopf. "Meine ... ehemalige Maid" Ich hatte doch geahnt, dass zwischen den beiden etwas war. Keiner von den Anwesenden schien überrascht zu sein, nur Jonathan selber blickte sich verwirrt um.

"Mein Guter, jeder wusste, dass ihr verheiratet seid", meinte Miss Lecrune und schüttelte grinsend den Kopf. "Ihr Silvetris seid schlechte Lügner und natürlich hattest du dir eine Maid ausgesucht, die es ebenso wenig kann"

"Ich hatte keine Lust, dass sich hinter meinem Rücken Dinge abspielen, von denen ich nichts weiß", murmelte das geschlagene Familienoberhaupt und rieb sich den Nacken. Diesmal mischte sich Mister Lecrune ein, der sonst eher nur stumm daneben stand und seine Frau reden ließ.

"Es ist angenehm zu wissen, dass wenigstens eine Familie niemals korrupt sein kann."

"Ihr schließt euch dabei nicht aus", bemerkte der Blonde und hob eine Braue.

"Weil wir niemals wissen können, was in der Zukunft liegt", dabei legte sich der Blick des momentanen Familienoberhauptes der Lecrunes auf Caleb, doch dieser erwiderte ihn nur starrsinnig. "Wobei ich hoffe, dass unser Nachkomme nicht so dumm ist, um sich von zwielichtigen Motiven führen zu lassen"

Jonathan klatschte ein paar Mal in die Hände, um unsere Aufmerksamkeit wieder auf ihn zu lenken. Er lächelte uns entschuldigend an, bevor er wieder die Stimme erhob: "Ich denke, wir weichen vom Thema ab, meine Freunde. Wir wollen klären, ob die Gruppe uns helfen kann"

"Können ja.", meinte Caleb und verschränkte dabei die Arme. "Jedoch habe ich, wie gesagt, keine Lust darauf, dass meine Freundin wieder in Gefahr gerät" Es war jetzt zwar kein Geheimnis, dass er und ich einen Schritt weiter gegangen waren, dennoch hörte es sich seltsam an, die Worte 'meine Freundin' aus seinem Mund zu hören. Immer wieder hallte es in meinem Kopf wider, lenkte mich für kurze Zeit ab, bevor ich wieder in die Realität zurück kam. Mir fiel etwas ein, was mir sofort schwer auf dem Herzen lag, als es hieß, die ehemalige Maid von den Silvestris sei in Gefahr.

"Lexa ist also in Gefahr. Und Rika. Das heißt, sie haben einen Menschen und einen Vampir in Gewahrsam." Das gefiel mir absolut nicht. Es kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn der Widerstand Menschen entführt hatte. Sie würden versuchen, Lexa zu brechen. Oder schlimmer noch: Sollte sie sich ein Bund mit Jonathan teilen, würde man versuchen, dieses aufzulösen, um das Oberhaupt zu schwächen. Wir mussten handeln!

"Nun ja" Der rotäugige Vampir räusperte sich kurz und lächelte uns erneut an. "Ehemaliger Mensch. Ich habe sie vor einigen Jahren verwandelt, nachdem wir geheiratet haben" Diesmal reagierten alle Anwesenden schon überrascht. Es war niemandem aufgefallen, dass Lexa Silvestri verwandelt wurde – Selbst den Direktoren nicht. Man konnte es auf den seltenen Umgang mit der Dame legen, immerhin schien sich der Kontakt auf das minimalste auszulegen.

"Die Sache ist außerdem", mischte sich der andere Verlobte nun wieder mit ein, "Wenn sie bereits anfangen, sich an Vampiren zu vergreifen – Vor allem denen, die später die Familie führen sollen oder es bereits tun – könnte es sein, das noch mehr in Gefahr sind. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Harrisons Liebhaber sich aus Angst von ihm distanziert haben sollen. Bei euch kann ich mir sehr gut vorstellen, dass Wynne wieder in Gefahr sein könnte, da Xenia dafür bekannt ist, sich einfach dematerialisieren zu können und somit wieder zu verschwinden."

"Es wäre ein zu großes Risiko, da sie den Standort des Verstecks preisgeben könnte", beendete ich den Gedanken und tippte mit einem Finger gegen meine Schläfe. "Also steht es so oder so fest, dass ich mich mal wieder in Gefahr befinde"

Mein Gegenüber nickte ruhig. "Besonders da sich nun auch dein Status verändert hat"

"Und wir Maulwürfe in der Schule haben", mein Vampir knurrte aufgebracht, weswegen ich unbemerkt nach seiner Hand griff und diese drückte. Es brachte niemanden etwas, wenn er sich seiner Wut hingeben würde und damit seinen klaren Verstand vernebelte. Seufzend umfasste er meine schmaleren Finger und strich mit dem Daumen über meinen Handrücken, um sich zu beruhigen. Mein Einfluss auf ihn war um einiges weiter angestiegen.

"Es ist also besser, wenn wir selber noch herausfinden, wo sie sich verstecken, bevor wir mit keinerlei Informationen dastehen und einer von uns verschwindet. Und das Risiko besteht, zudem ist es nicht gerade klein", redete ich auf ihn ein, bemerkte, wie er innerlich mit der Idee zu kämpfen hatte und schließlich nachgab. Und ich hatte auch schon einen guten Plan.
 

Zunächst mussten wir uns vorbereiten. Wir hatten den toten Briefkasten noch, von wem ich hoffte, dass er weiter genutzt werden würde. Laut den Beobachtungen von einiger unserer Klassenkameraden, die wir als Mitglieder des Widerstandes ausschließen konnten, wussten wir, dass einige Vampire gelegentlich genau auf diesem Teil der Wiese gerne ihre Pause verbrachten. Es war nur eine Vermutung, dass diese den Briefkasten benutzten, aber es war ein Anfang.

Was wir nun brauchten, war eine Möglichkeit, darauf zuzugreifen. Mittels USB-Anschluss könnten wir einen Laptop mit dem Ausgang verbinden und dank unseres Hackgenies Caleb darauf zugreifen. Um das ganze eher unauffällig zu gestalten, baten wir Eveleen, eine künstlerisch begabte Schülerin aus dem dritten Jahrgang, darum, uns eine kleine Platte aus künstlichem Gras zu basteln. Mit einem kleinen halbkreisförmigen Loch darin natürlich, damit das Kabel hindurch passte, gleichzeitig aber auch leicht verdeckt werden konnte. Der Laptop wurde uns von den Direktoren zur Verfügung gestellt, um keinen von unseren Geräten zu zerstören, sollte man vorsichtshalber einen Virus auf unbekannte Geräte schicken, um unbefugten Zugriff zu verhindern. Kira wurde mit eingespannt, damit wir keine Informationen verloren. Dass Sei gleichzeitig mit von der Partie war, davon mussten wir also ausgehen. Ich hatte auch nichts dagegen, ihn bei uns zu wissen, denn sein Beschützerinstinkt seiner Maid gegenüber würde uns noch aus der Patsche helfen, sollte etwas passieren. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich ebenfalls das Seelenband teilten.

Es dauerte alles eine Weile, vor allem das Herstellen des Stücks künstlichen Grases. Um uns in der Zeit sinnvoll zu beschäftigen, trugen wir alles zusammen, was wir wussten, um verschiedene Orte auszuschließen. Wir konnten auch einige vermutliche Opfer, welche noch auf der Liste des Widerstands standen, ausmachen und die Direktoren warnen. Caleb war indess dabei, den Laptop vorzubereiten und einige Programme zu installieren, die er benötigen würde. Er wollte unter anderem seine physikalische Adresse verbergen, sodass, woher auch immer alle Informationen kamen, man dort nicht herausfinden konnte, von welchem Ort aus wir auf einen toten Briefkasten zugriffen. Und wir konnten uns gut vorstellen, dass dieser nicht der einzige war. Gleichzeitig mussten wir uns natürlich auch überlegen, wie wir vor den Vampiren nicht aufflogen. Die Idee mit dem künstlich hergestellten Grasstück war schon einmal eine gute Überlegung, aber einfach so mit einem Laptop dazusitzen war doch eher auffällig. Wir hatten zudem keine großen Aufgaben mehr, da wir zum einen gerade frei hatten und zum anderen die Prüfungen noch nicht lang hinter uns lagen. Wir mussten uns also überlegen, unter welchem Vorwand wir mit einem Laptop bei diesem Platz dort saßen, um etwaige dumme Fragen beantworten zu können.

Eveleen meinte, sie würde in etwa eine Woche für die Herstellung brauchen. So viel Zeit mussten wir totschlagen und mit anderen Dingen verbringen. Die Materialien hatten wir schnell abgeliefert und ebenfalls bezahlt, immerhin war der Service, den sie anbot, nicht kostenlos. Was ich verstehen konnte – Sie verdiente auch außerhalb der Schule bereits ihr Geld mit verschiedenen handwerklich hergestellten Dingen, von denen ich mir auch schon mal ein zwei Dinge kaufen wollte.

Ich hatte mich in der Woche dazu entschieden, weiter an meinem Kapitel zu arbeiten, wenn wir nicht gerade alle beisammen saßen. Dabei wurde mir – ganz zu meinem Amüsement – ein neues Zimmer zugeteilt. Während Kira nämlich einige Zeit 'alleine' verbringen wollte, wurde ich mit auf Calebs Zimmer gesteckt. Es war nicht ungewöhnlich anzusehen, immerhin hatte ich einige Zeit lang gelegentlich ein Wochenende hier verbracht, um ihm bei seinen Aufgaben zu helfen. Das würde sich die nächsten Jahre auch nicht ändern. Ich musste außerdem zugeben, dass ich nichts dagegen hatte, die Woche über bei ihm zu übernachten. Nicht nur, dass dieses Bett viel angenehmer war, sondern ich hatte auch vollen Zugriff auf die Badewanne. Und das ließ ich mir sicher nicht entgehen.

Was meinen Vertragspartner anging: Die meiste Zeit arbeitete er daran, den Laptop zum Laufen zu bringen. Manchmal aber verabschiedete er sich für eine gewisse Zeit aus dem Zimmer und verschwand einfach, ohne zu sagen, wohin er ging. Er kam auch ohne etwas zurück, nur sein Blick hatte sich jedes Mal etwas verändert, wurde mit jedem Mal bedrückter.

"Mach dir keinen Kopf", meinte Caleb nur und streichelte mir über den Kopf. Ich rümpfte misstrauisch die Nase, versuchte in seinen Augen herauszulesen, was er mir verheimlichte. Ich mochte es nicht, dass er Geheimnisse vor mir hatte, besonders dann nicht, wenn diese ihn bedrückten.

"Muss ich dich dazu zwingen, damit rauszurücken?", hakte ich leicht genervt nach und klappte meinen Laptop zu, nachdem ich den Entwurf abgespeichert hatte. Ich legte das Gerät auf den Nachttisch und setzte mich auf, sodass ich mit dem Rücken an der Bettlehne anlehnte. Er seufzte leise, grinste mich aber dennoch an, sodass ich genau wusste – Er würde nicht damit rausrücken.

"Dazu kannst du mich nicht zwingen", murmelte er und küsste mich kurz. Ich seufzte gegen seine Lippen, verpasste ihm danach einen kurzen Klaps auf die Wange.

"Du bist teilweise wirklich unverschämt, mein Freund", murrte ich ihn an und spürte erneut, dass er versuchte, mich mit Küssen zum Schweigen zu bringen. Ich konnte nicht sagen, dass mir diese Art von Intimität nicht gefiel, es störte mich nur, dass er dadurch von einem Thema ablenken wollte, was mich noch weiter beschäftigen würde.
 

Ich musste zugeben – Es beschäftigte mich dermaßen, dass ich beschloss, ihm irgendwann einfach zu folgen. Wir hatten Mittwoch und er hatte sich bislang schon mindestens vier mal davon gemacht, ohne weiter etwas zu sagen. Ich hätte nicht gedacht, nachdem ich den Plan ausgeheckt hatte, dass es funktionieren würde. Kurz nachdem er gegangen war, hatte ich mir den Ersatzschlüssel geschnappt, welchen er für mich besorgt hatte, und bin ihm hinterher. Natürlich so leise wie möglich. Er war zu sehr in Gedanken versunken, um zu bemerken, dass seine Freundin nur wenige Meter hinter ihm war. Als er begann, sich umzusehen, vergrößerte ich den Abstand. Ich verfolgte ihn dabei sogar recht lang: Wir mussten von den Vampirschlafsälen aus den Weg entlang bis zum Garten im vorderen Teil des abgesperrten Campus‘. Inzwischen merkte man bereits, dass der Frühling grüßte, denn die gepflegte Wiese blühte bunt vor sich her. Doch das war nicht der Grund, warum ich hierhergekommen war. Kurz verlor ich Caleb aus den Augen, doch diesen riesigen Mann mit den langen schwarzen Haaren könnte ich überall rauserkennen. Er stand am Tor, kurz dachte ich, er wäre alleine und würde mit sich reden. Er gestikulierte vor sich her, fasste sich gelegentlich an die Stirn oder schüttelte den Kopf. Erst nach einer Weile, nachdem er sich anders positioniert hatte, entdeckte ich eine weitere Gestalt, eindeutig feminin und absolut abgemagert, auf der anderen Seite des Tores. Ich konnte aus der Distanz nicht viel erkennen, sie hielt die Hände vor ihrer Brust, wich den Blicken meines Vampirs immer wieder aus. Ihre braunen Haare waren kurzgeschnitten und unglaublich zerzaust, als hätte sie sich selber diesen Schnitt verpasst und kein Friseur. Sie war gegenüber Caleb eher klein und zierlich, schien schreckhaft, so wie sie manchmal bei seinen Worten zusammen zuckte. Doch trotz der Blässe, ihrer eigenartigen Frisur und der Tatsache, dass sie total dürr war, hatte sie eine Schönheit an sich, wie sie nur Vampire haben konnten. Sie war also der Grund, warum Caleb immer wieder aus dem Zimmer verschwand. Und Moment Mal ... diese Frau kam mir sehr bekannt vor. Ich hatte sie doch schon einmal gesehen! Auf der Feier, die für Rikas Geburtstag gehalten wurde. Damals hatte man Caleb auch benachrichtigt und er war, ohne zu verraten um was es sich handelte, verschwunden. Was wohl seine Beziehung zu dieser Unbekannten war? Ich merkte, wie sich etwas in meiner Brust zusammen zog. Eifersucht? Das war vollkommen fehl am Platz. Wir teilten uns einen Bund, gegen den man nichts ausrichten konnte. Meine Güte, er hatte mich sogar in Lecrunes Richtung gezogen und mich dazu gebracht, ihm mein Blut anzubieten, obwohl mir diese Idee erst total abwegig erschien. Nun hatte ich nichts mehr dagegen, hatte mich sogar an das Gefühl gewöhnt, welches sich dabei auftat. Aber es störte mich trotzdem irgendwie, dass Caleb ein Geheimnis um diese Frau machen musste. Ich schnaubte, womöglich machte ich mir darum sowieso viel zu viele Gedanken. Ich sollte mich sowieso auf andere Dinge konzentrieren – Dinge, die wichtiger waren, als irgendwelche fremden Damen. Doch gerade als ich mich wieder abwenden wollte, traf mein Blick auf den der Frau hinterm Tor. Sie weitete die Augen und deutete zögerlich auf mich, woraufhin sich der Schwarzhaarige umdrehte, den Kopf in den Nacken legte und seufzte. Man hatte mich also entdeckt. Ich wedelte mit den Händen herum, hob sie letztlich über meinen Kopf und verschwand so schnell wie ich konnte zurück ins Zimmer. Auf eine Auseinandersetzung mitten auf dem Hof hatte ich simpel und einfach keine Lust. Ewig könnte ich ihm sowieso nicht aus dem Weg gehen, da ich meiner Mitbewohnerin versprochen hatte, für wenigstens unsere restliche freie Woche ihr das Zimmer zu überlassen. Also begab ich mich schnellstmöglich wieder zurück zur Höhle des Löwen.
 

Caleb ließ dabei nicht lange auf sich warten. Ob er das Gespräch mit der Vampirin abgebrochen oder beendet hatte, war mir relativ egal, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen hatte. Ohne einen Ton schloss er die Tür, die in den Vorsaal führte und setzte sich auf die Bettkante bei meiner Seite. Ich hatte mich inzwischen wieder unter die Decke begeben, lehnte mit dem Rücken hinten an und machte mir auf dem Laptop einige Notizen und vervollständigte Charaktersteckbriefe. Da ich mit allem rechnete, als der Vampir zur Tür hinein kam, hatte ich schnell abgespeichert und vorsichtshalber die Finger von den Tasten genommen. Ganz war ich mir nicht sicher, ob er es nur tat, weil er sah, dass ich für den Moment mit arbeiten aufgehört hatte, oder ob er so oder so so gehandelt hätte, aber er legte seine Handfläche auf den oberen Teil meines Laptops und klappte ihn zu, um meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. Für den Moment wich ich seinem Blick aus, als wäre ich ein Kind, das man beim Kekseklauen erwischt hätte. Lange konnte ich dies nicht halten und sah ihn an, blickte in die roten Augen, welche mich fragend musterten.

"Wieso bist du mir gefolgt?", fragte er leise, ohne einen scharfen Unterton. Er war also nicht sauer.

"Weil ich es hasse, dass du so etwas geheim halten musst. Wieso auch, was ist groß dabei? Es ist ja nicht so, dass du mir fremd gehst oder so"

Er schmunzelte leicht, strich eine lose Strähne in meinem Gesicht hinter mein Ohr und verweilte mit der Hand an meiner Wange. Ich merkte, wie mir wärmer wurde, obwohl seine Körpertemperatur weit unter meiner lag.

"Immerhin bist du nicht so und beschuldigst mich", meinte er beruhigt.

"Es wäre auch dämlich. Ich meine ... Herrgott, wir sind verbunden. Irgendwie", murmelte ich, legte dabei meinen Kopf in seine Hand. Es beruhigte mich. "Ich versteh es trotzdem nicht"

"Ich musste es ihr versprechen. Sie zeigt sich nicht gern"

"Wer ist sie?"

Caleb seufzte und nahm seine Hand wieder weg. "Wenn sie sich traut, wird sie sich selber vorstellen. Ich gehe ungern gegen ihre Wünsche"

Ein genervtes Schnauben entwich mir und ich wandte kurz meinen Blick ab. Sie würde sich selber vorstellen, wenn sie sich traut. Blahblah. Caleb fand es wohl recht amüsant, wie ich reagierte, denn immerhin ging nicht alles still und heimlich vor sich. Ich streckte immerhin meine Zungenspitze leicht raus und bewegte meinen Kopf in einer spöttischen Art und Weise hin und her.

"Du warst also trotzdem eifersüchtig"

"Fick dich, Lecrune"

"Voll ins Schwarze", säuselte er und beugte sich zu mir. Inzwischen hatte ich meinen Mund zu einer leichten Schmolllippe verzogen, während mein Blick ihn hätte töten können. Er wollte sich jetzt also über mich lustig machen, ja? "Irgendwie ist es ja schon süß, wenn ich bedenke, dass du mich erst nicht leiden konntest" Den Punkt musste ich ihm geben. Es war für mich auch neu, so zu reagieren. Selbst bei meinem ersten Freund war es mir ziemlich relativ gewesen, wobei ich mich wunderte, ob das auch an dem Bund lag. Ob ein Seelenpartner wusste, dass der andere in der Zukunft auf einen warten würde?

"Bild dir nichts drauf ein", meinte ich nur, legte einen Finger auf seine Nase und schob ihn etwas weiter weg. Er schmunzelte, stützte sich mit den Händen auf der Matratze dicht neben meiner Taille ab, sodass ich mal wieder zwischen ihm und Lehne gefangen war. Wieso ließ ich mich aber auch so leicht einkesseln?

"Ich darf mir also nichts darauf einbilden, dass meine Freundin es stört, mich mit anderen Frauen reden zu sehen?" Der ausgewachsene Mann legte einen Hundeblick auf, für den ich ihn am liebsten geschlagen hätte. Das schlimmste daran war, dass er nicht einmal lächerlich damit aussah! Verdammt, er hatte mich damit einmal rumgekriegt, dass wir enger beieinander schlafen.

"Du verdammter ...", murrte ich nur und gab auf. Ich konnte nichts mehr gegen ihn machen, nachdem er die Mauern um mich herum, die ich gegen ihn errichtet hatte, abgerissen hat. Er lächelte mich wieder an und näherte sich erneut, war diesmal aber nicht auf meine Lippen aus, sondern fuhr mit den Zähnen über mein Ohr. Ein überraschtes Keuchen entwich mir, gefolgt von einem warnenden 'Caleb!', dass er auch ja nicht zu weit gehen würde. Dass er nicht auf mich hören würde, hätte mir schon im Vorhinein klar sein müssen. Er legte den Laptop, welcher sich immer noch auf meinem Schoß befand, beiseite und arbeitete sich von meinem Ohr weiter hinab, über meine Wange, über das Kinn bis hin zu meinem Hals. Bereitwillig legte ich meinen Kopf zur Seite, leicht angespannt von dieser kleinen Spielerei.

"Caleb ...", erneut warnte ich ihn, kurz bevor er einen Kuss auf meine Haut platzierte und damit einen Schauer durch meinen Körper jagte. Ich spürte, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen, als er merkte, wie ich auf ihn reagierte. Nicht nur, dass ich spürbar erschauerte. Ich legte, um nicht wegzurutschen, meine Hände um seine Schultern und hielt mich aus Reflex an ihm fest. Immer wieder wanderten seine Lippen über meinen Hals, gelegentlich spürte ich auch, wie er mich mit seinen Zähnen neckte, doch von mir trinken wollte er diesmal wohl nicht. Er traute sich weiter voran, wanderte mit den Lippen zu meiner Kehle, knöpfte derweil die ersten paar Knöpfe meiner Bluse auf, um zunächst an mein Schlüsselbein zu gelangen. Als er jedoch noch tiefer wollte, erwachte ich aus meiner Trance, legte beide Hände an seine Brust und stieß ihn von mir.

"Caleb, lass gut sein!", fuhr ich ihn diesmal an, vollkommen außer Atem und knallrot im Gesicht. Ich spürte die Hitze, die sich in mir aufgebaut hatte. Erschrocken und vollkommen perplex von meinem Gemütswandel starrte mich Caleb an. Ich war nicht prüde. Sicherlich hätte ich auch nichts dagegen, mit Caleb zu schlafen. Aber ... wie sollte ich sagen? Obwohl wir uns näher gekommen waren, kam es mir noch nicht richtig vor. Es waren zwar schon einige Monate vergangen, aber nur, weil wir uns für eine Woche das Bett teilten, hieß das noch lange nicht, dass er jetzt dermaßen durchdrehen konnte.

"Hast du Angst?", fragte er mich mit einem sehr seriösen und besorgten Ton, darauf bedacht, mich damit nicht verärgern zu wollen.

"Nein. Es ist auch nicht so, dass ich noch Jungfrau wäre oder so" Damit schien ich ihm einen Tritt verpasst zu haben, denn seine Augen verdunkelten sich. Das war wohl etwas, was ich nicht hätte erwähnen sollen. Aber wieso nicht? Es war kein Unding, dass ich bereits mein erstes Mal gehabt hatte, auch wenn es nicht mit ihm war. Es sollte auch keine große Rolle spielen.

"Wer?", fragte er sofort, woraufhin ich ihn verwirrt ansah.

"Wer ... was?", kam es von mir zurück und er verleierte die Augen.

"Wynne, mit wem hast du schon geschlafen?" War das jetzt sein ernst?

"Bist du eifersüchtig?" Ich musste aufpassen, dass ich nicht so klang, als wöllte ich ihn damit aufziehen. Es war zwar die perfekte Gelegenheit, aber ich wollte ihn nicht unnötig reizen. Erst recht nicht, weil es sich um so etwas handelte, was eigentlich ebenfalls komplett sinnlos war.

"Das ist nicht der springende Punkt, Wynne. Beantworte meine Frage"

"Mit meinem ersten Freund. Wir waren jung, dumm, dachten, wir müssten es tun. Zufrieden?"

"Dieser verdammte ...-"

"Caleb Dante Enrias Lecrune, du musst dich hier jetzt nicht so aufführen, als müsstest du dein Revier verteidigen! Ich könnte wetten, dass ich auch nicht deine Erste bin, also steck die Eifersucht weg. Außerdem muss ich noch etwas arbeiten" Der Schwarzhaarige biss sich auf die Zunge, unterließ es aber zu seinem Glück, ein weiteres Kommentar abzugeben. Ohne weiter darauf einzugehen, schnappte ich mir meinen Laptop und öffnete diesen, um mich anzumelden und weiter zu schreiben. Ich merkte dabei jedoch, obwohl Caleb wieder etwas Distanz zwischen und gebracht hat, dass er sich nicht von seinem Platz erhob.

"... Magst du kuscheln?", fragte ich ihn und hob meinen Blick vom Bildschirm.

"Störe ich dann nicht?"

"Du störst mehr, wenn du hier vor dich her schmollst" Er zog einen Mundwinkel nach oben. Meine Art, Zuneigung zu zeigen, kannte er bereits. Ich war zu ihm etwas schroffer als er es von anderen Mädchen gewohnt war. Zunächst war es zwar nicht einfach für ihn, weswegen wir in den ersten Wochen auch einen Streit hatten, aber danach hatte es sich zum Glück geklärt.

"Dann hab ich 'ne Idee", meinte er nur und deutete mir an, etwas nach vorn zu rutschen. Ich tat wie mir gesagt und er platzierte sich hinter mir, sodass ich zwischen seinen Beinen saß und mich an seine Brust lehnen konnte. Die Arme legte er um meine Mitte, wobei ich meine Ellenbogen darauf abstützen konnte. Interessiert blickte er mir so nun über die Schulter, während er verfolgte, wie ich am nächsten Kapitel arbeitete und stellte mir immer wieder Fragen über verschiedene Handlungen und Charaktere. Er hatte meine Geschichte also nicht gelesen ... was für ein Glück.
 

Da ich nun wusste, wohin Caleb ständig verschwand, unterließ ich es auch, weiterhin danach zu fragen. Dazu kam, während ich arbeitete, dass er sich immer mal wieder hinter mich setzte und mich so 'unterstützte', wenn er selber mal nichts zu tun hatte oder er einfach etwas Zuneigung oder Bestätigung brauchte. Mir half diese kleine Geste, mich ihm gegenüber etwas weiter zu öffnen, was mir schwerfiel, da es sich bei ihm ja um einen Vampir handelte. Während wir aber uns so beschäftigten, gelegentlich zusammen fanden um gemeinsam zu arbeiten, stellte Eveleen den Auftrag fertig, sodass wir alsbald mit unserer richtigen Arbeit beginnen konnten. Jonathan und Lucian, Rikas Verlobter, waren in der Zwischenzeit bei den Direktoren untergekommen und hatten ein weiteres Mal den Campus besichtigt. Als alles soweit war, berichteten wir über unseren Plan, meinten aber auch gleichzeitig dazu, dass sich niemand weiteres mit einmischen sollte. Mit Caleb hatte ich abgesprochen, dass er am Laptop einige Aufgaben für seine Eltern zu erledigen hatte, weswegen auch ich bei ihm war. Sei und Kira hatte ich dabei gebeten, uns zu begleiten, da ich sonst wahnsinnig werden würde. Nachdem wir die Ausrede abgenickt hatten, zog Caleb noch ein paar Kopien von verschiedenen Dokumenten auf den Rechner, damit er schnell aus dem Hintergrund heraus etwas öffnen könnte. Mit dem Gerät bepackt machten wir es uns nun auf der Wiese gemütlich, konnten uns nur nicht viel unterhalten, da sich der Hacker konzentrieren musste. Zunächst aber mussten wir die Ports verbinden und die neue Abdeckung ausprobieren. Wie nicht anders von unserer Schulkameradin zu erwarten passte sie perfekt und es fiel auch nicht auf. Sie war wahrlich eine Meisterin ihres Handwerks und hatte uns nicht enttäuscht. Wenn sie nur wüsste, wobei sie uns da geholfen hatte.

Am Anfang beobachtete ich Caleb eine Zeit lang, was er machte. Nachdem er sich mit dem Port verbunden hatte, tauchte eine Meldung im unteren rechten Teil des Bildschirmes auf. 'Verbindung mit Netzwerk XY wird hergestellt'. Einige Minuten später öffnete sich ein Fenster, welches ein Passwort verlangte. Nun musste Caleb ans Werk: Entweder musste er herausfinden, irgendwie, wie das Passwort war, oder, was wahrscheinlicher war, die Sicherung umgehen. Am vorherigen Abend war er alle Sicherheitssysteme durchgegangen, die er beim Widerstand erwartete. Für ein paar davon hatte er sogar eine Recherche im Deep Web betrieben, um an mehr Informationen zu bekommen, als man im gewöhnlichen Internet finden würde. Bevor er sich nun an die Arbeit machte, knackte er noch einmal mit den Fingern, wie man es in diversen Filmen schon sehen konnte. Doch anstatt dass seine Finger nun über die Tasten flogen, musste er gezielt suchen und auseinandernehmen, versuchen, eine Lücke in der Sperre zu finden.

Nach einer Weile wurden mir die Zahlen und Worte zu viel, sodass ich meinen Blick abwandte und einwenig mit Kira und Sei plauderte. Auch bei den beiden war es kein Geheimnis, dass sie inzwischen miteinander gingen. Ich hatte ja vor einiger Zeit sogar Kira damit aufgezogen, wozu sie ihr Bett missbraucht hätten. Deswegen war es auch nicht unbedingt nötig, vor mir geheim zu halten, dass sie die Woche mit ihrem Freund verbrachte. Aber es war ihre Wahl, ob sie es mir erzählen wollte oder nicht. Um Caleb nicht zu sehr abzulenken, unterhielten wir uns eher leise. Immer mal wieder, um so auszusehen, als würde ich ihm immer noch helfen, beugte ich mich zu ihm herüber, ohne seinem Fortschritt große Beachtung zu schenken.

"Meinst du, sie haben dort Informationen über den Aufenthaltsort der beiden Frauen?", fragte Kira kleinlaut und sah sich kurz um. Das hätte sie zwar vorher schon machen sollen, aber ich entschied mich dazu, nichts weiter dazu zu sagen.

"Wir können nur hoffen. Und selbst wenn nicht – Über dich oder mich wird dort vermutlich etwas drin stehen", murmelte ich und warf einen weiteren Blick auf den Bildschirm, nur um zu sehen, dass Caleb inzwischen mehr als 10 Programme gleichzeitig offen hatte. Und das waren nur die, die ich in der Taskleiste unten erkennen konnte. Wofür brauchte er das alles denn?

Es war nicht einfach, die Zeit verstreichen zu lassen, wenn man sich kaum unterhalten konnte. Wir mussten außerdem versuchen, uns nicht allzu verdächtig umzusehen. Hin und wieder passierten uns einige Mitschüler, einige ignorierten uns dabei, andere sahen mit gehobener Braue zu uns. Der Schwarzhaarige hatte sich so hingesetzt, dass man nicht vom Weg aus auf den Monitor schauen konnte. Zudem befanden wir uns noch etwas weiter abseits an einer Wand, sodass es schwerer sein sollte, überhaupt hinter ihn zu gelangen. Dumme Fragen wurden uns zum Glück nicht gestellt, ich hatte ehrlich gesagt keine Lust, mich mit neugierigen Vampiren auseinander zu setzen. Die Stille machte mich jedoch etwas nervös. Wenn wir es nicht schafften, von hier aus an Informationen zu kommen, müssten wir uns irgendwie anders darum kümmern. Die Frage war nur wie, ohne dass jemand von uns dabei einer Gefahr ausgesetzt wurde. Momentan hingen wir da zusammen drin, sollte etwas jetzt passieren, könnten wir uns auch zusammen wehren. Aber der Widerstand könnte Momente abpassen, zu denen wir alleine wären. Caleb und Sei würden nicht ewig in der Lage sein, und zu schützen. Gerade als diese Gedanken anfingen, sich in meinem Kopf einzunisten, lehnte sich Caleb mit einem triumphalen Lachen zurück.

"Erledigt!", meinte er und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Sofort positionierten wir uns nebeneinander, um gemeinsam auf den Bildschirm zu blicken. Als der Vampir auf Eingabe drückte, füllten sich die Felder automatisch, wobei alles in Punkten dargestellt wurde, wie man es von Passwörtern eben gewohnt war. Der Server nahm das Passwort an und innerhalb weniger Minuten öffnete sich ein weiteres Fenster mit Zugriff auf verschiedenen Ordnern.

Nichts schien besonders auffällig, aber anstatt alles so zu durchsuchen, machte sich Caleb davon eine Kopie und zog diese auf eine externe Festplatte, die er mitgebracht hatte. Der Download würde eine Weile dauern, weswegen wir das Tarndokument öffneten und begannen, ganz normal darüber zu reden. Endlich konnten wir die Wartezeit mit einem Gespräch überbrücken. Immer mal wieder checkten wir den Fortschritt der Übertragung, der Balken bewegte sich nur sehr langsam, dementsprechend musste es sich um sehr viele Daten handeln. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis wir die alle gesichtigt hätten, obwohl es möglich sein sollte, einige Ordner bereits im Vorhinein auszuschließen.

"Schön blöd, dass sie es so eingerichtet haben, dass sich die Mitglieder alles runterladen können", meinte Caleb. Diese Aussage gab mir jedoch zu denken. Was wenn ...

"Caleb, brich den Download ab!", meinte ich sofort und erntete einen verwirrten Blick.

"Was? Warum?", hinterfragte er sofort, obwohl er das mal ausnahmsweise nicht tun sollte! Wenn er doch nur einmal ohne Fragen auf mich hören würde! Männer!

"Das ist eine Falle. Kann ich mir zumindest gut vorstellen! Sie können zwar durch die IP kein Backtracking betreiben, aber was ist, wenn sie darauf zugreifen können, wohin die Daten geladen wurden? Wenn sie dem Datenfluss irgendwie verfolgen können oder eine Art digitale Wanze in diesen drin ist?"

"Digitale Wanze?" Der Vampir hob eine Braue, dachte aber nicht lang nach und brach den Download ab. Wenn es da nur nicht diese nervigen Meldungen gäbe!

"Ja, ich will das verdammt nochmal abbrechen", murrte Caleb genervt und drückte auf den Button mit der Aufschrift 'Ja'. Dass in der Zwischenzeit der Download im Hintergrund weiterlief, war keine große Hilfe. Dass sich der ganze Mist auch noch aufhing, auch so gar nicht. Wir könnten jeden Fortschritt verlieren. Ich hörte nur, wie der Vampir neben mir fluchte, während er versuchte, es noch zu retten. Der Cursor reagierte noch, also hing nur der Server hinterher. Die angeforderte Datenmenge muss zu groß gewesen sein. Mit aller Ruhe, die er noch mustern konnte, kümmerte sich unser Hacker um das Problem und atmete erleichtert auf, als er es endlich geschafft hat, ganz ohne die Verbindung vollends zu kappen. Es könnte jedoch bereits zu spät sein. Gut, dass die Direktoren mitgedacht haben und uns einen Laptop gegeben hatten, der zu keinem der Schüler gehörte und ebenfalls keinem Lehrer. Ungünstig wäre es nur, wenn sie auf unser Netzwerk zugreifen könnten.

"Eigentlich sollte sowas nicht möglich sein", meinte Caleb. "Das Ding ist nur, sollte so eine komische 'digitale Wanze' tatsächlich existieren, kann ich mir vorstellen, dass sie sich die IP schnappt, sobald ich das Teil wieder mit dem Internet verbinde. Dann ... na ja."

Ich nickte ihm zu. Sei und Kira hatten zu der ganzen Sache nichts gesagt, stattdessen aber halfen sie uns nun, die Ordner zu durchsuchen. Mehr Augen konnten mehr sehen.

Es war tatsächlich so, dass wir einige Ordner schnell ausschließen konnten. Es gab weiter versteckt noch einige, tiefer verborgen im Server, sodass Calebs Talent noch einige Male gefragt war. Je tiefer wir vordrangen, desto skurriler wurde die Angelegenheit. Für diesen Ort hier waren nur gewisse Informationen zugänglich, wir aber konnten uns einen Weg hinein bahnen und auch auf andere zugreifen, sodass wir bald eine Personenliste abrufen konnten. Mehrere Namen waren darauf zu lesen, einige davon waren bekannte Klassen- und Schulkameraden von uns. Da sich der Name von Kira und mir darunter befand, musste es sich um die Liste von den Zielen des Widerstandes handeln, zumindest den menschlichen. Wir suchten nach den Vampiren, oder allgemein von den Gefangenen. Was wir fanden war nicht nur das, wonach wir suchten. Wir konnten auch auf Daten zugreifen, welche sich als Exekutions- und Belehrtenliste herausstellte. Diese Datei war in mehrere Teile aufgespalten. 'Gebrochene' und 'Entledigte'. Also diejenigen, die sie mental zerstören konnten und diejenigen, die zu stark waren und man sie deswegen loswerden musste. Wieso konnte ich mir nur vorstellen, dass ich bald auf der zweiten Hälfte stehen könnte?

Ohne weiter darüber nachzudenken, machten wir uns schnell eine Kopie von der Datei mit den Namen und Zuteilungen der Entführten Personen. Die Orte waren verschlüsselt in einem Code angegeben, den wir noch knacken müssten, aber immerhin hatten wir schon einen Hinweis.

"Ich muss zugeben – Hätten wir den Download nicht abgebrochen, hätten wir das nicht gefunden", meinte Caleb, nachdem er alles wieder gesichert hatte und wir alles so wieder herrichteten, als hätten wir nichts gemacht. "Dann wäre der ganze Mist umsonst gewesen und in der Zwischenzeit wäre entweder den beiden etwas passiert, oder aber sie hätten einen neuen Schutz aufgebaut. Dass sie gehackt wurden ist ihnen sicher nicht entgangen"

"Hoffentlich waren sie nicht schlau genug, um alles schnell zurück zu verfolgen", wandte Sei nachdenklich ein, doch der andere wunk nur ab.

"Ich hab alle Vorkehrungen getroffen. Die einzige Gefahr könnte tatsächlich eine Art Wanze sein, die uns verrät, sobald wir uns mit dem Internet verbinden. Aber ich hab die Verbindung ausgestellt, also sollten wir sicher sein"

"Wir müssen jetzt nur noch die Codes dechiffrieren und die Adressen absuchen, dann sollten wir den Widerstand in der Tasche haben. Und ich denke, Jonathan und Lucian würden uns dabei liebend gerne helfen", kam es zuversichtlich von mir. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass wir tatsächlich etwas gegen den Widerstand vorzuweisen hatten. Wir wären in der Lage, sie aufzuspüren. Und wieso? Weil Kira unser kleines Genie war uns alles im Kopf behielt. Weil Sei mit ihr eine Verbindung teilte, uns Hoffnungen machte, dass wir sie noch finden konnten. Weil Caleb ein verdammter Meister im Hacken war. Und weil ich niemals aufgeben würde, bis wir ihnen endlich das Handwerk gelegt hätten.

Wir hatten das, was wir brauchten. Oder zumindest einen Teil davon. Wir mussten nur noch aufpassen, dass den Daten, die wir erhascht haben, nichts passierte. Mit äußerster Vorsicht nahmen wir die Festplatte und brachten sie ins Büro der Direktoren, um dort die Listen auszudrucken und den Männern vorzulegen. Insgesamt hatten wir uns nicht nur die Liste mit den Namen der Gefangenen geschnappt, sondern auch die mit den Namen ihrer Ziele und ihrer Spione an unserer Schule. Jedoch leider alle mit einem Code versiegelt, den wir erst einmal knacken müssten. Und meiner Erfahrung nach kannten wir keinen, der darin begabt war.

„Jedenfalls“, fing ich an und nahm mir die erste und wichtigste Liste zur Hand. „Hier sind die Namen von Rika und Lexa zu finden, zusammen mit einem Wirrwarr aus Zahlen, Zeichen und Buchstaben, mit dem wir nichts anfangen können. Vermutung: Es handelt sich um einen Code, der den Standort der Gefangennahme verrät. Sollten wir diesen Knacken können, wäre es uns möglich, auch die Maulwürfe unter uns ausfindig zu machen und diese Gefahr auszuradieren, ohne jemand anderen an den Spieß liefern zu müssen“ So wie Caleb es wollte, wäre keiner von uns in Gefahr, auch ich nicht. Eher im Gegenteil, diese Schriftstücke brachten uns den letzten Schritt, den wir benötigten. Sollten wir es schaffen, die Adressen herauszufiltern, könnten wir nicht nur die Vampire retten, sondern den Widerstand stellen. Wir hätten endlich gewonnen.

Lucian, welcher es sich auf dem Sofa der Direktoren gemütlich gemacht hatte, blickte uns mit gehobener Augenbraue an. Ein paar Strähnen seiner blonden Haare hingen ihm ins Gesicht. Was ich herausgefunden hatte – An sich war er nicht das Arschloch, das er momentan mimte. So ziemlich im Gegenteil sogar, doch dadurch, dass seine Verlobte in Gefahr war, wollte er keine Zeit verlieren. Verständlich. Ich würde es auch hassen, untätig dazusitzen, während Caleb’s Aufenthaltsort mir unbekannt und er in den Klauen des Feindes wäre. Die Vorstellung allein war schon sehr … sehr unangenehm.

„Damit wollt ihr uns also sagen: Das Einzige, was uns davon abhält, das alles zu beenden, sind ein paar lächerliche Codes?“, der Blonde beugte sich leicht nach vorne und stützte sich auf seinen Oberschenkeln ab. Caleb und ich sahen uns gegenseitig an, während die anderen genau wussten, worauf der Vampir hinaus wollte. Keiner von uns zweien kannte den Rest gut genug um zu wissen, ob irgendjemand ein verstecktes Talent oder sonstiges hatte. Vielleicht die Fähigkeit, Codes sofort zu entschlüsseln? Das wäre natürlich perfekt, aber Lucian klärte uns gleich auf, was er damit meinte: „Ich arbeite für eine Firma, die Daten verschlüsselt. Zeigt mal her“

Ich fasste in meine Tasche und fischte den Ordner mit den Informationen heraus. Bevor ich diesen aushändigte, öffnete ich die Seite mit den gewünschten Daten und überreichte es schließlich dem Vampir, welcher mit den Augen kurz die Zeilen überflog.

„Das sollte sogar noch einfacher werden als gedacht. Um ehrlich zu sein, hat ein Freund von mir an diesem Code mitgearbeitet. Es wird wohl bald jemand aus unserer Firma entlassen“, meinte er und fing wieder von oben an zu lesen. „Gebt mir ein paar Tage, dann sollte ich es haben. Natürlich melde ich mich vorher nochmal“

Neben uns klatschte jemand langsam in die Hände. Miss Lecrune, welche zusammen mit ihrem Mann das ganze Spektakel eher still beobachtet hatte und sich nicht einmischen wollte, lächelte uns an. Ich verstand ihre Reaktion noch nicht ganz. Wir hatten zwar einen kleinen Schritt erreicht, aber das Wichtigste müsste nun Lucian übernehmen, damit wir überhaupt etwas damit anfangen konnten.

„Das habt ihr schon gut gemacht. Zusammenarbeit ist äußerst wichtig, das Austüfteln eines Planes ebenfalls. Ich denke, ihr werdet das ganze meistern. Nicht wahr, Schatz?“ Die Dame drehte sich mit einem nun eisigen Lächeln zu ihrem Ehemann um, welcher seinen schwarzen Schopf schnell hob, unsere Gruppe kurz musterte und dann einen Daumen nach oben zeigte.

„Klasse Unterstützung, Dad“, meinte Caleb nur und schüttelte mit einem leichten Grinsen den Kopf. Dad? So hatte ich den Vampir auch noch nie seinen Vater anreden hören. Ich wusste nicht einmal, wie genau die Familie zueinander stand. Waren sie sich nahe? Verstanden sie sich gut? Dass die Eltern ihrem Sohn viel aufhalsten war mir bekannt, immerhin musste ich ihm helfen, den ganzen Mist auszubaden und zu bearbeiten. Aber das war auch nötig, um ihn auf die harte Realität nach seinem Abschluss vorzubereiten. Neben den paar Dingen und dem kurzen Umgang mit den beiden Älteren wusste ich nichts von ihnen. Xenia Lecrune kam mir freundlich vor, aber unter ihrer Fassade versteckte sich eine durchsetzungsfähige und hartnäckige Frau. Und Antoine Lecrune? Mit seiner kalten und einschüchternden Art hatte er sich den Respekt von vielen Schülern erarbeitet, gleichzeitig hatten aber auch viele Angst vor ihm. Wenn ich mir das Ehepaar aber so ansah, erkannte ich auch, dass er seiner Frau kaum widersprach und ihr nie ins Wort fiel. In der Beziehung musste sie also die Ansagen machen, wobei sich der Mann dennoch nicht sonderlich unterdrückt vorkam. Oder war es eher eine Zusammenarbeit, so wie man sie von mir und Caleb erwartete? Ich sah kurz zu meinem Vampir, welcher einiges mit Jonathan und Lucian besprach. Es ging um Trivialitäten, auf die ich mich nicht konzentrieren musste. Über das nun fast vergangene Jahr hatte er eine ziemliche Entwicklung gemacht – Vom unausstehlichen und egozentrischen Arschloch, welches sich gerne in den Mittelpunkt der Klasse stellte, hin zu einem, welcher bald den Platz des Oberhauptes der Familie Lecrune einnehmen konnte. Es steckte zwar noch viel Arbeit dahinter, bis er tatsächlich für diese Bürde geschaffen war, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass wir das schaffen würde. Und ich würde ihm dabei weiterhin so gut wie es ging unter die Arme greifen, ohne mich würde er sowieso in Arbeit versinken.

Kurz blickte ich zu den anderen beiden, dem jungen und dem ebenfalls baldigen Oberhaupt zweier wichtiger Familien. Beide stachen nicht mit den Merkmalen eines Urvampires heraus, aber sie strahlten dennoch eine unglaubliche Kraft aus. Selbst Jonathan, welcher auf den ersten Blick eher schüchtern und unbeholfen wirken kann, legte bei Diskussionen eine Maske auf sein Gesicht, welche einen von sich aus dazu brachte, ihn ohne zu hinterfragen ernst zu nehmen. Seine Angewohnheit, nicht lügen zu können, blieb dabei aber erhalten. Eine angenehme Eigenschaft meiner Meinung nach.

Der Braunhaarige verschränkte die Finger ineinander und heftete seinen Blick auf die ihm gegenüberliegende Wand.

„Ich werde in den Tagen ein paar meiner Männer kontaktieren. Sie werden uns bei der Suche begleiten“, meinte er und nickte sich selber dabei zu, um seine Aussage für sich noch einmal zu bestätigen. Bald wäre es also soweit und wir würden ihnen endlich das Handwerk legen.

„Ich habe eine Bitte“, mischte ich mich ein und alle Blicke fielen fragend auf mich. „Ich will dabei sein, wenn wir es zu Ende führen. Es ist mein gutes Recht nach allem, was ich durchmachen musste.“

„Wynne …“, fing Caleb sofort an doch hob ich nur eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

„Du kannst mich davon nicht abhalten. Wenn ihr nicht zulassen wollt, dass ich mitkomme, suche ich mir einen Weg, es dennoch zu tun. Und ich denke, dir würde es sicherlich besser gehen, wenn du mich im Auge behalten könntest, nicht wahr?“ Der Schwarzhaarige seufzte nur leicht verzweifelt und fuhr sich durch die Haare. Ich wusste sofort, dass ich ihm gegenüber bereits gewonnen hatte, doch musste ich die anderen noch überzeugen. Oder vielleicht auch nicht, denn Lucian nickte mir zu und auch Jonathan schien sofort einverstanden. Wieso sollte man mir diese Gelegenheit auch verwehren?
 

Missmutig stapfte Caleb neben mir her, während er mich auf mein Zimmer geleitete. Der Unterricht würde wieder beginnen und die Woche, die ich Kira gegeben hatte, war ebenfalls vorbei, weswegen es mein gutes Recht war, wieder in unser Zimmer zurück zu kommen. Auch wenn ich zugeben musste: Die Badewanne würde ich schon vermissen. Und Caleb … nun ja, ihn auch irgendwie. Es würde eigenartig sein, wieder allein in einem Bett zu schlafen, was zudem noch viel kleiner war.

„Jetzt hört auf, dermaßen Trübsal zu blasen, Mister“, meinte ich nur auf dem halben Weg zum Zimmer. Wir hatten gerade die Stelle passiert, welche mir nur zu gut noch von meinem ersten Tag hier bekannt vorkam. Ich hatte damals Miss Legrand darum gebeten, mir den Weg zu weisen, damit ich mich nicht verlaufen würde.

„Es gefällt mir einfach nicht, dass du mitkommen willst. Warum überhaupt? Du musst niemanden beweisen, dass du stark bist“

„Hier geht es nicht darum, irgendetwas zu beweisen. Ich will in dieses Gesicht von dem Arschloch blicken, das nicht nur Kira geschlagen hat, was schon schlimm genug ist, sondern mir auch meine Erinnerungen verdreht hat, sodass ich dir nicht mehr getraut habe. Verdammt, Caleb. Es hätte dir beinahe das Leben gekostet. Und ich will die Verzweiflung in seinen Augen sehen. Die Verzweiflung und den Wut darüber, dass jede Sabotage, die sie gegen uns angewandt haben, nichts gebracht hat. Weil wir einfach besser waren als sie“ Der Schwarzhaarige seufzte und schüttelte erneut den Kopf. Ich sagte nichts weiter dazu, sollte er sich seinen hübschen Kopf doch darüber zerbrechen. „Und … selbst wenn mir etwas zustoßen würde. Du würdest es merken. Du wärst sofort da, nicht wahr?“ Ich stellte mich vor ihn, unterbrach somit unseren Gang, und blickte dem größeren Mann in seine roten Augen, welche mich betrübt und mit Sorge ansahen. Sicher, bislang war jede meiner Begegnungen mit dem Widerstand nicht gut ausgegangen. Meine erste mit Louis hätte mich fast umgebracht, die mit seinen Vater mich für eine Weile in einen Schockzustand versetzt, die mit Yakeno nahm mir jegliche Erinnerungen. Doch nicht diesmal. Diesmal würden wir ein Team haben, professionelle Vampire, die darauf trainiert wurden, gegen andere zu kämpfen. Keiner von uns sollte in Gefahr schweben und durch den Moment der Überraschung sollten wir sie unvorbereitet treffen. Ich war gegenüber der Sache endlich zuversichtlich. Endlich.

„Du weißt am besten, was du durchmachen musstest“, gab Caleb kleinlaut von sich und suchte nach einem Funken Angst in meinen Augen. Doch ich erwiderte seinen Blick starr, zeigte ihm, dass ich vollstes Vertrauen hatte. Vertrauen in ihn. „… es ist deine Entscheidung. Aber du wirst nicht von meiner Seite weichen, okay? Und wir werden uns nicht von den anderen entfernen.“ Ich nickte ihm zu, lächelte sogar leicht. Es freute mich, dass er nun auch verbal zustimmte, mich mitzunehmen. Ich nahm seine Hände und drückte sie leicht, um meinen Dank auszudrücken.

„Warum muss mein Seelenpartner auch nur so ein sturer Mensch sein“, murmelte er, nachdem ich ihn wieder losgelassen hatte und wir unseren Weg fortsetzten. Ich schmunzelte nur und erwiderte:

„Warum muss mein Seelenpartner ein beschützerischer Vampir sein?“ Ich konnte ihn schnauben Hören, drehte mich aber nicht zu ihm, während ich die Schlüssel aus meiner Tasche angelte, um damit die Tür zu meinem Zimmer aufzuschließen. Das hieß auch, dass ich mich vorübergehend von Caleb verabschieden müsste. Wir würden uns das Zimmer nicht mehr teilen. Wieso fiel mir das ganze schwerer, als ich dachte? Nun drehte ich mich doch wieder zu ihm.

„Na dann. Wir sehen uns Montag“, sagte ich, wusste nicht ganz, was ich tun sollte. Ich spielte mit dem Schlüsselbund in meinen Händen. Die Aktion überließ ich diesmal Caleb, welcher sich nicht mit Worten von mir verabschieden wollte. Ohne etwas zu sagen legte er seine Hände an meine Wangen und zog mich leicht auf die Zehenspitzen, während auch er mir näher kam, den Abstand zwischen uns überbrückte und mich küsste. Ich erwiderte die Geste, suchte mit den Händen an seinen Oberarmen nach Halt. Er dauerte etwas länger an, als wäre es das letzte Mal, dass wir uns sehen würden. Als ob!

Nachdem wir uns voneinander gelöst hatten und ich wieder vollkommen auf meinen Füßen stand, erhob auch er das Wort.

„Lass dich die Nacht nicht verschleppen. Bis Montag“

„Ich werd‘ schon aufpassen“, gab ich nur zurück, bevor er sich zum Gehen wandte und ich die Tür schloss. Als ich mich umdrehte, lehnte Kira bereits am Durchgang zu unseren Betten und lächelte mich an.

„Ihr scheint euch immer besser zu verstehen“, meinte sie nur und begab sich zum Sofa herüber, um es sich mit einem Glas Wasser dort bequem zu machen. „Wie ist das Gespräch ausgegangen?“

„Gut.“, antwortete ich ihr und stellte die Sachen ab, die ich zuvor noch aus Calebs Zimmer geholt hatte. „Um ehrlich zu sein sogar besser als erwartet. Wir haben bereits einen, der an der Entschlüsselung der Codes arbeitet. Und ich werde mitkommen, wenn wir den Widerstand stellen“ Kira musterte mich ebenso besorgt.

„Meinst du, dass das eine gute Idee ist? Du stehst selber auf ihrer Liste“

„Wir werden ein Team haben. Solange ich mich bei ihnen aufhalte, sollte mir nicht zustoßen. Der Gedanke ist irgendwie tierisch aufregend. Nur noch wenige Tage, dann ist es endlich soweit. Kira! Unsere Arbeit trägt endlich Früchte!“ Die Brünette nickte mir zu, nicht ganz sicher, was sie dazu erwidern sollte. Ihr musste noch die Erfahrung vom letzten Mal im Kopf hängen. Was wäre, wenn Yakeno mich von den anderen wegleiten könnte? Dagegen könnten wir uns einen Plan überlegen. Wir könnten gegen alle Tricks Sicherheitsvorkehrungen treffen, welche mehr als Nötig sein sollten!

Wir blieben nicht lange bei dem Gespräch geschweige denn in dem Zimmer. Mit meinem Laptop auf dem Schoß legte ich mich auf das Bett, während sich Kira ihren Block schnappte und ihre neuesten Ideen skizzierte.

„Jedenfalls“, fing ich diesmal an und tippte die ersten paar Zeilen des Kapitels fertig. „Was hast du die Woche denn so getrieben? Und erzähl mir nicht, dass du alleine warst“

„War ich auch nicht“, antwortete meine Mitbewohnerin ohne zu zögern. „Ich werde dir aber nicht verraten, was wir gemacht haben“ In ihrer Stimme lag ein verspielter Unterton, weswegen ich davon ausging, dass es sich um nichts Intimes handelte. Worum aber dann? Sie musste mir doch nichts verschweigen wenn es um etwas ging, worüber sie sogar reden könnte. Wollte sie mich wegen etwas auf die Folter spannen?

Ich schnaubte, sprach aber kurz daraufhin ein anderes Thema an: „Dein Geburtstag ist doch bald, oder?“

„So ziemlich“ Kurz legte Kira ihren Stift beiseite. „Direkt am Ersten Mai. Verrückt, oder? Wie die Zeit verfliegt“

„Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen, dass ich Caleb in die Hölle und zurück verflucht habe“

„Und die Namen, die du ihm gegeben hast! Göttlich“ Die Brünette lachte auf. Die Namen hatte ich komplett vergessen! Manchmal rutschte mir zwar immer noch einer heraus, aber hatten sie bereits abgenommen.

„Hast du etwa diese Liste noch?“, musste ich sofort nachfragen und blickte zu ihr herüber. Meine Freundin nickte mit einem breiten Grinsen.

„Doch werde ich dir nicht verraten, wo!“ Sie kicherte und ich warf mein Kissen nach ihr, wobei sie nur noch stärker anfing, zu lachen. Sie schmiss es zurück zu mir, nicht unbedingt, um es mir zurück zu geben, sondern als eine Art Rache gegen meine Person, denn anstatt wie ich nur die Wand zu treffen, erwischte sie mich im Gesicht. Voll ins Schwarze, was?
 

Schule konnten wir nicht umgehen und so mussten wir bald wieder am Unterricht teilnehmen. Schneller als wir uns erhofften kam der Montag und unsere weiteren Stunden. Nur noch zwei Monate, redete ich mir ein, dann wären Sommerferien. Und für einige Tage würde ich vielleicht sogar freigestellt werden, wenn ich mitgehen und den Widerstand aufhalten würde. Oh ja, ich war schon was ganz besonderes! Und manchmal sollte ich mein Ego zurückschrauben.

Wie sich herausstellte, sollte es für versemmelte Prüfungen eine Möglichkeit geben, diese auszubessern. Schüler, die besonders schlecht standen, könnten dabei einen Vortrag vorbereiten oder müssten ein kleines Projekt leiten. Die Betreffenden aus unserer Klasse, zu denen ich zum Glück nun nicht zählte, hatten es zudem noch besonders schwer. Anstatt nur von den Lehrern des Faches, in welchem sie das Projekt leiteten, bewertet zu werden, musste auch Caleb und somit ebenfalls ich an der Auswertung teilnehmen. Und ich hatte so gar keinen Plan, was ich da bewerten sollte. Meiner Meinung nach machten die Schüler das alle ziemlich gut, doch nicht nur der Lehrer hatte etwas an der Performance auszusetzen. Caleb übernahm die Aufgabe, mich aufzuklären.

„Die Standards hier sind anders als an den öffentlichen Schulen. Während dort mehr Fehler und Ablesen zugelassen werden, ist es bei uns wichtig, nicht nur Ablesen tunlichst zu unterlassen, sondern auch eine gewisse Körperhaltung und Ausstrahlung zu bewahren. Hast du ihre Blicke beobachtet? Sie hat zwar versucht, mit uns Augenkontakt aufzunehmen, doch war dieser kurz und unsicher. Ihre Haltung zeugt ebenfalls vor Angst, vermutlich Nervosität, weil sie das Sprechen vor einer großen Masse nicht gewohnt ist. Die Schultern nach vorn, der Kopf leicht eingezogen und gesenkt. Eine abwehrende und unterwerfende Haltung.“ Ich hätte nicht gedacht, dass der Vampir, den ich vor einigen Monaten noch für vollkommen inkompetent gehalten hatte, dermaßen viel aus einer kurzen Leitung eines Projektes herauslesen konnte. Erstaunt sah ich zunächst ihn an, bevor ich mich wieder auf unsere Mitschülerin konzentrierte. Das arme Ding. Ich glaube, sie hatte mal erwähnt, dass sie sich sehr stark davor fürchtete, vor vielen Leuten zu sprechen und dabei sogar einmal in Ohnmacht gefallen war. Aber das würde sie im Leben auch nicht weiterbringen. Sie müsste lernen, sich zu behaupten und ihren Ängsten entgegen zu stellen.

Die Arme schaffte es leider um Haaresbreite nicht. Die kleinen Details, die Caleb mir genannt hatte, waren das Ausschlaggebende in der Bewertung und hatten leider dazu beigetragen, dass die angestrebte Verbesserung nicht erreicht wurde. Sie war aber nicht die einzige aus unserem Jahrgang, die gehen musste. Vor allem viele aus der dritten und vierten Klasse müssten sich von uns verabschieden. Uns war außerdem zu Ohren gekommen, dass einige verwöhnte Bälger aus der fünften Klasse sich beklagt hätten und ausstiegen. Besser so, dachte ich mir in diesem Fall nur. So gab es weniger kleine Kinder, die sich wegen jedem Mist beschwerten. Bei anderen war es so, dass die Eltern entschieden, dass ihre Kinder nicht länger an der Insignia-Akademie unterrichtet werden sollten. Was unsere Gruppe anging: Selbst Neva, welche sich kaum auf ihre Studien konzentrieren konnte, hatte bestanden. Sei war wenige Tage zuvor auf uns zugekommen und hatte stolz verkündet, dass er ins dritte Jahr überging und uns weiterhin erhalten blieb. Überfreudig hatte Kira ihn dabei umarmt und gemeint, sie hoffe doch, dass auch sie es bestehen würde. Der Schwarzhaarige hatte da nur gelacht und gesagt, dass sie es sicherlich in der Tasche hätte. Und damit lag er nicht so weit daneben. Auch wenn selbst die Brünette ein paar Fehler hie und da hatte, auch sie war nicht perfekt, gehörte sie mit zu den besten Schülern unseres Jahrgangs. Ich folgte überraschenderweise nicht weit dahinter, zusammen mit Caleb und Michaela. Das hieß also, jeder von uns würde ins nächste Jahr gehen und wir könnten vermutlich sogar gemeinsam unseren Abschluss machen. In aller Ruhe, hofften wir natürlich.

Die Tage zogen sich dahin, doch etwas beunruhigte mich. Nach wenigen Tagen fühlte ich mich bedrückt, hatte das Gefühl, man würde uns beobachten. Natürlich tat man das so oder so, immerhin befanden sich Spitzel des Widerstandes unter uns, aber dieses Unwohlsein hatte mich noch nie so übermannt. Ich erwischte mich selber immer öfter dabei, wie ich mich umsah, in der Hoffnung, ich würde finden, was mich in diesem Unbehagen ließ. Doch nie konnte ich etwas ausmachen bis auf einen kleinen Schatten am Tor des Campus.

In einer Pause hatte ich die Nase voll und entschuldigte mich kurz von den anderen. Zielstrebig lief ich auf das Tor zu, viel konnte mir sowieso nicht passieren, da es geschlossen und gesichert war. Je näher ich dem Tor kam, desto mehr drückte es mich in den Boden hinein. Es kam mir vor, als würde man immer mehr Gewichte auf meine Schultern lagern und mich am Vorankommen hindern. Ich schnaubte, zwang mich dazu, näher zu gehen und als ich fast angekommen war, blieb mir der Atem in der Lunge stecken. Hinter dem Tor lächelte mich dieser widerliche Vampir an, den wir schon seit Monaten suchten. Er stand einfach da, grinste mich an. Seine Augen waren blutunterlaufen und weit geöffnet, zeugten von Wahnsinn. Seine weißen Eckzähne blitzten im Licht der Sonne auf und ich hätte schwören können, wäre das Eisen nicht zwischen uns, hätte er mich angesprungen. Doch so stand er nur da, wippte leicht hin und her und bewegte seinen Kopf dazu.

„Hallo. Wynne.“, flüsterte er und lehnte sich an das Gitter, streckte eine Hand hindurch. Sah das keiner außer mir? Ich sah mich um, keinen schien das ganze hier zu interessieren! Was zur Hölle? Yakeno lachte auf, wobei ihm einige Strähnen seiner Haare ins Gesicht fielen. Er schwankte zur Seite und schlug mit seiner Hand gegen das Tor. „Komm, Wynne! Lass uns spielen! Wer bricht zuerst? Wer stirbt zuerst? Hast du Angst? Einen Todeswunsch? Ich erfüll ihn dir nur zu gern!“ Diesmal schrie er mich an, doch auch das bemerkte keiner in meinem Umkreis. Mir lief es eiskalt den Rücken runter.

„Du wirst dafür büßen, was du Kira und mir angetan hast“

„Aah … ich glaube kaum, dass du in der Position bist, mir zu drohen, oder?“ Erneut lachte er und lehnte sich diesmal mit dem Rücken gegen die Stäbe des Tores. Das wäre meine Chance. Ich könnte ihn greifen und die ganze Sache sofort beenden. Ich machte einen Sprung nach vorn und war drauf und dran, mir seinen Kragen zu schnappen, da machte er einen Satz vom Tor weg und drehte sich auf den Hacken zu mir um, lachte mich aus.

„Denkst du etwa, ich mache es dir so einfach?! Vergiss es, Wynni! Du wirst noch sehen, wie machtlos du in diesem Spiel bist. Und diese Erkenntnis wird dir dein süßes kleines Genick brechen. Und dann wird auch der letzte Erbe der Lecrunes dem Wahnsinn verfallen!“ Er wunk mir mit einer übertriebenen Geste zu, lachte noch einmal, bevor er sich wieder von mir abwandte und regelrecht verschwand. Er hatte es doch tatsächlich gewagt, hierher zu kommen. Schnaubend lehnte ich mich an das Tor, umfasste und verfluchte die Stäbe, die alleinig die Schuld daran trugen, warum ich diesem weinerlichen Wahnsinnigen nicht das Gesicht einschlagen konnte. Aber er würde noch sein blaues Wunder erleben.
 

Wie sich herausstellte war ich tatsächlich die einzige gewesen, die ihn gesehen hatte. Mir wurde sogar gesagt, dass ich für einen Moment einfach verschwunden war und am Eingang lehnend wieder aufgetaucht war. Ich musste wie eine Verrückte ausgesehen haben. Natürlich hatte ich meinen Freunden von diesem Ereignis erzählt, genauso wie Jonathan, welcher diesen Vorfall ebenso interessierte. Doch das ganze schien nur eine Illusion oder Wahnvorstellung gewesen zu sein. Ich wollte der Held meiner Geschichte sein und diejenige, die alles zu Ende bringen würde. Deswegen hatte ich mir ihn wohl eingebildet, mein Unterbewusstsein aber hatte ihn hinter das Tor gesetzt, um zu zeigen, um mir vor Augen zu führen, dass mein Wunsch einem Wahnsinn glich. Ich sollte die Festnahme den Spezialisten überlassen, das sah ich auch ein. Ich wollte das auch gar nicht selber übernehmen. Es wäre nur diese Gelegenheit allein gewesen, welche ich genutzt hätte, wäre sie nur real gewesen. Doch wie auch im richtigen Leben war er mir wie ein Aal entglitten und hatte mich auch noch ausgelacht, als hätte er schlussendlich triumphiert.

Der ganze Stress musste mich eingeholt haben. Die Angst vor den Auswertungen der Prüfungen war zwar fort, aber zum Teil hatte ich deswegen sehr wenig geschlafen. Dazu kamen die Aufregung wegen dem Widerstand und meine konstante Vorsicht, um nicht plötzlich überrascht zu werden. Ich musste mir selber vor Augen führen, dass ich nur ein Mensch war. Keine Jägerin wie in meiner Geschichte. Kein Vampir mit einer gewissen Unsterblichkeit und besonderen Fähigkeiten. Nur ein normaler Mensch mit Wunschvorstellungen und einem Ziel vor Augen, einer Zukunft, von der er noch nichts wusste. Immer öfter dachte ich darüber nach, wie mein Leben als Maid der Lecrunes aussehen würde. Ob ich ewig bei ihnen bleiben würde? Als Partnerin von Caleb vermutlich. Man würde wohl von uns verlangen, dass ich ebenso zu einem Vampir gemacht werde. Ich schluckte schwer. Die Vorstellung, mein eigentliches Leben hinter mir zu lassen, war erschreckend. Ich konnte es mir nicht vorstellen. Kein normales Essen mehr? Kein Fastfood, kein Salat. Alles würde nicht mehr schmecken. Meine Freunde würden irgendwann nicht mehr sein, genauso wie ich meine Eltern weit überleben würde. Ob man nach einer gewissen Zeit auf der Erde aufpassen musste, ob man sich preisgab? Und mit wem man Umgang pflegte? Die Direktoren waren beide weit über 300 Jahre alt und hatten gewiss schon viele Erfahrungen gesammelt. Außerdem könnte ich bestimmt auch jederzeit Miss Legrand fragen, doch nahm mir das nicht die Angst vor der Verwandlung.

Die Welt der Vampire war noch immer etwas, was sich mir nicht ganz erschloss. Als Mensch wurde ich auch nicht in alle Geheimnisse eingeweiht und konnte mir vieles auch nicht vorstellen. Es jagte mir Furcht ein, alles lernen zu müssen und vielleicht zu erfahren, dass nicht alles so rosig war, wie es sich viele wünschten. Ewiges Leben hin oder her. Wäre es irgendwann nicht langweilig, die Jahre an sich vorbei ziehen zu sehen?
 

Genau eine Woche dauerte es, bis Lucian die Codes dechiffriert hatte. Nachdem wir gefragt hatten, erzählte er uns von seiner Arbeit und dass er erst einmal mit seinem Freund in Kontakt treten musste. Er selber hatte auch an einigen Verschlüsselungen mit gearbeitet, aber es war bei ihnen normalerweise der Fall, dass man für verschiedene Firmen, oder in diesem Fall Organisationen, verschiedene Leute einsetzte, sodass nicht eine Person alles wusste. Zum Glück war sein Freund mehr als bereit ihm zu helfen und reichte anscheinend auch sofort die Warnung, dass sich Leute aus dem Widerstand unter ihnen befanden, weiter.

„Wie dem auch sei“, meinte Lucian nachdem er uns einiges über die verwendete Verschlüsselung erzählt hatte und er missmutig dazu fügte, wie schade es sei, dass ein dermaßen guter Code so missbraucht wurde. „Wir haben die Adresse, wo sie Rika und Lexa festhalten“

„Und ich“, mischte sich Jonathan ein und hob mit einem Lächeln eine Hand, „Habe mich in der Zwischenzeit um ein Team gekümmert“ Er holte sein Smartphone heraus und drückte einen Knopf. Das war für jemand anderes das Signal, das Büro zu betreten. Na, da wollte aber einer so gar nicht auffallen. Sarkasmus ahoi. Der Mann, der den Raum betrat, war durchaus gut gebaut, was man durch den schwarzen Rollkragenpullover noch gut erkennen sollte. Dazu trug er eine schwarze Hose, Schuhe, sowie eine Mütze und Sonnenbrille, obwohl er diese im Gebäude niemals gebrauchen konnte. Er verzog keine Miene, hatte die Hände auf dem Rücken und eine aufrechte Körperhaltung.

„Sie haben gerufen“, sprach er. „Ich stehe mit meinen Diensten zur Verfügung und freue mich, dass ich behilflich sein kann“ Ein Name wurde uns nicht genannt. Er meinte nur, dass er es nicht für nötig hielt, sich vorzustellen. „Außerdem muss es nicht unbedingt sein, dass mich jeder kennt“

„Und genau deswegen laufen Sie herum wie der böse schwarze Mann, vor dem alle Kinder Angst haben“, sagte ich ihm offen ins Gesicht. Aber mal ganz im ernst – Das einzige, was hervorstach, war die fast weiße Haut in seinem Gesicht. Sogar seine Hände waren von, verdammt nochmal, schwarzen Handschuhen bedeckt. Dieser Typ bediente jedes Klischee von Geheimagent, welches es nur gab. Die Handschuhe waren natürlich dazu da um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, das war mir klar. Aber zur Hölle, das ganze Auftreten von diesem Typen entsprang doch geradewegs einem Film!

Nicht nur er war so gekleidet. Sein gesamtes Team bestand aus solchen verdeckten Gestalten, welche ihre Identität nicht preisgeben wollten. Firmengeheimnis, Beschützen der Liebsten. Es machte schon Sinn. Sie hatten bestimmt viele Feinde über die Jahre gesammelt, es sah aber einfach nur übertrieben aus.

Um sofort mit der Suche zu beginnen, nannte Lucian uns die Adresse und wir begaben uns vom Campus herunter. Die Direktoren blieben, Sei und Kira begleiteten uns auch nicht. So waren es nur die beiden Männer, Jonathans Team, Caleb und ich. Und mein Herz hämmerte bereits so stark in meiner Brust, dass ich nicht wusste, wie lange ich in der Lage wäre, aufrecht zu gehen. Angst hatte ich nicht ungemein. Dieses Team sah sehr kompetent aus und würde nichts dem Zufall überlassen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie schon über alles Bescheid wüssten, was die ganze Situation natürlich erleichtern würde. Jonathan hatte ihnen aber bestimmt schon alles erzählt. Vermutlich noch mit der Hilfe von Lucian.

Zusammen fanden neun Leute in einem Transporter Platz. Der Anführer des Trupps fuhr, während Lucian auf dem Beifahrersitz war und die Adressen eingab, die er herauslesen konnte. Der Rest konnte nur hinten sitzen und abwarten, bis wir angekommen waren. Keiner gab auch nur einen Ton von sich, die Luft war die elektrisiert vor Anspannung. Ich hatte die Hände verkrampft auf meinen Schoß gelegt und drehte mal Däumchen, mal tippte ich mit den Fingerspitzen aneinander, ein andermal starrte ich einfach aus dem Fenster, wobei ich an Caleb, welcher an der rechten Tür direkt neben mir saß, vorbei schauen musste. Jedes Mal, wenn ich meinen Blick nach draußen wandte, ging seiner auf mich, als würde er erwarten, dass ich etwas wollte. Manchmal erwiderte ich seinen Blick und lächelte ihn zuversichtlich an. Er musste meine Aufregung spüren. Ich hingegen merkte, dass er Angst hatte. Angst um mich, mich wieder zu verlieren. Gerade aber konnte ich ihm nicht aufmunternd zusprechen, versuchte lediglich, meinen Puls zu beruhigen, um ihm somit ein ruhiges Gefühl zu übermitteln. Ich wollte die Konzentration der anderen nicht stören.

Wir mussten schon einige Stunden unterwegs sein, bevor wir endlich den ersten Ort erreichten. Die schwarzgekleideten Männer stiegen zuerst aus und sahen sich um, damit wir uns nicht unnötig in Gefahr begaben. Nachdem sie die Lage als ungefährlich einschätzten, durften wir ihnen folgen und durchkämmten gemeinsam das Gelände. Durch unsere Erfahrungen mit einem vorherigen Versteck, ein weiterer Grund, warum es gut war, dass Caleb und ich mitgekommen waren, suchten wir die Gegend etwas anders mit ab. Überall, wo das Team war, suchten wir nach geheimen Verstecken und Schaltern, verschiebbaren Objekten und versteckten Durchgängen. Nach einer Weile rief der Anführer uns auf, die Suche einzustellen. Dann tat er etwas, was ich so nicht erwartet hätte. Er zog seinen Handschuh aus und legte die Hand auf den Boden. Verwirrt sah ich die anderen an, welche in kompletter Stille und ohne sich zu regen auf etwas warteten. Erst nach einigen qualvoll langweiligen Minuten erhob sich der Mann wieder und zog sich den Handschuh wieder an.

„Sie waren hier, aber haben die Gegend geräumt, bevor wir angekommen sind. Rika war unter ihnen, Lexa nicht, wie auf dem Zettel stand. Wir könnten Glück haben und sie bei dem anderen Versteck erwischen, ich konnte nicht verstehen, weswegen sie sich bewegt haben. Sie schienen sich sicher zu sein, nicht erwischt zu werden“ Wie hatte er das alles herausgefunden, indem er den Boden berührt hat?

Mein Blick musste Bände gesprochen haben, denn als wir wieder im Wagen saßen, sprach mich Jonathan darauf an, welcher zu meiner linken saß.

„Er hat die Gabe, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, wenn er etwas berührt. Den Boden zum Beispiel oder eine Wand. Es funktioniert jedoch nicht mit Personen, was ich mitbekommen habe“

„Deswegen auch die Handschuhe?“, hakte ich nach. Jetzt würden die sogar noch mehr Sinn machen.

„Nicht unbedingt. Er kann kontrollieren, ob er seine Gabe einsetzt oder nicht, aber es erleichtert die Entscheidung natürlich“ Ach ja, trainierte Vampire konnten ihre Gaben ja in einem solchen Ausmaß kontrollieren, das hatte ich komplett vergessen. Wie es mir schien, war der Anführer schon ein etwas älterer und erfahrener Vampir, was ihn noch einschüchternder wirken ließ, als er sowieso schon war.

Auch der zweite Ort stellte sich als eine Null Nummer heraus. Diesmal fanden wir den geheimen Gang ohne der Hilfe von irgendwelchen supertollen Gaben, dennoch musste der Mann in schwarz heran, um herauszufinden, dass wir erneut zu spät waren. Frustriert schlug Lucian gegen die Wand, Jonathan zeigte seinen Missmut nicht ganz so offen. Er ballte zwar seine Hände zu Fäusten, ließ seine Wut jedoch nicht an wehrlosen Gegenständen oder Mauerwerk aus.

„Sie haben herausgefunden, dass sie gehackt wurden“, meinte der Anführer gerade, als er sich seinen Handschuh wieder anzog. Caleb zog die Brauen zusammen.

„Das kann nicht sein. Ich habe jede Sicherheitsvorkehrung getroffen, um zu verhindern, dass sie es herausfinden“

„Es gibt in jedem System Lücken, die man ausnutzen kann“, meinte der andere nur.

„Die digitale Wanze …“, murmelte der Schwarzhaarige nachdenklich und fluchte kurz daraufhin lauthals. „Das kann nicht sein! Ich habe den Laptop nicht angeschlossen. Scheiße. Große Scheiße! Wir müssen sofort zur Schule zurück. Wenn sie wissen, dass wir kommen, bringen uns die anderen Lokationen auch nichts.“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Nun mussten wir wohl darauf hoffen, noch einmal in deren System zu kommen und nicht noch einmal so aufzufliegen! Was heißen würde, dass wir wieder ein oder zwei Wochen verschwenden würden, nur um an die Informationen zu kommen. So ein verdammter Mist!
 

Als wir wieder auf dem Campus waren, war die Nacht bereits eingebrochen. Auf dem Gelände lag absolute Stille und ein Lehrer erwartete uns am Tor. Wir nannten unsere Namen, als Schüler waren wir so registriert. Die anderen mussten ihre Pässe zeigen, weswegen wir etwas warteten, bevor wir uns zu Calebs Zimmer aufmachten. Der Weg kam uns mit einem Mal viel kürzer vor als sonst, unsere Schritte waren viel schneller. Der Vampir schloss aufgeregt sein Zimmer auf und stürmte in den hinteren Teil, nur um erneut laut zu fluchen.

„Verdammte scheiße! Irgendein Wichser ist hier eingebrochen und hat den Laptop via Lan mit dem Internet verbunden! Kein Wunder, dass sie alles herausgefunden haben!“

„Und nun?“, fragte Jonathan mit leiser Verzweiflung in der Stimme.

„Nun alles noch mal von vorne“, warf ich ein. „Wir müssen uns reinhacken. Das heißt, Caleb muss das machen. Vermutlich durch ein neues System durch. Und Lucian muss den Code knacken, vermutlich ebenfalls ein Neuer“, meinte ich nur und verschränkte die Arme vor der Brust. Wir hatten kaum eine andere Wahl als und den ganzen Aufgaben ein weiteres Mal zu stellen.

„Und dann haben diese Wichser einen anderen Chiffrierer und wir können das ganze vergessen“, warf Lucian ein. „Ich bin vielleicht gut in meinem Gebiet, aber ich bin nicht der Meister unseres Konzerns. Und sollte der zum Widerstand gehören … Tja, sagen wir es mal so: Dann sind wir gefickt“

„Wir müssen es immerhin versuchen“, widersprach ich. Eher missmutig nickte der Blonde meine Aussage ab, gab sich innerlich jedoch nicht ganz damit zufrieden. Es war jedoch unsere einzige Spur.
 

Wir wollten immerhin das Team noch verabschieden, bevor wir sie erst wohl in etwas mehr als einer Woche wiedersehen würden. Gerade, als wir am Tor angelangt waren, kam mir eine Idee. Zwar hatte ich die Begegnung mit Yakeno eigentlich schon als Wahnvorstellung abgehakt, aber ein Versuch war es Wert.

„Mister Obergrußelig?“, sprach ich den Anführer an, welcher sich mit einen Schmunzeln zu mir wandte.

„Nenn mich einfach Ran. Machen alle“

„Alles klar. Also, Ran … könnte ich Sie um etwas bitten?“ Der Mann hob die Braue, schien aber interessiert. Die anderen rundherum bekamen unser Gespräch gar nicht mit, sie waren vertieft darin, die weiteren Schritte zu besprechen.

„Ich … hatte vor einer Weile eine Begegnung mit der Person, die wir suchen. Ungefähr hier. Jedoch hat es niemand anderes mitbekommen. Ich … ich würde gerne wissen, ob ich tatsächlich Wahnvorstellungen hatte oder ob doch ein Funken Wahrheit dahinter steckt“

Nachdenklich musterte Ran den Boden zu seinen Füßen. Ich erklärte ihm noch, dass es nicht unweit vom Tor war, er auch am Tor angelehnt war und sich nur etwas weiter entfernt hatte, bevor er verschwunden war. Ohne etwas zu sagen nahm er seinen Handschuh ab und kniete sich hinter dem Tor hin, um den Boden zu berühren. In diesem Moment verstummten die Gespräche um uns herum, doch Jonathan trat an mich heran.

„Was macht er da?“, fragte er mich im Flüsterton, um die Konzentration des anderen Vampirs nicht zu stören.

„Ich wollte nur wissen, ob ich tatsächlich eine Wahnvorstellung hatte. Sogesehen handle ich gerade etwas Eigennützig, aber na ja …“

„Nicht ganz“, mischte sich Ran kurz daraufhin schon mit ein und richtete sich auf. „Er war tatsächlich da.“ Mit einem breiten Grinsen wandte er sich um und zog den Handschuh wieder an. „Und hat in einem Telefonat erwähnt, wo sie die Geißeln hinbringen. Wir haben eine Spur!“

Ich konnte es nicht glauben. Nicht nur, dass mein Gespräch mit Yakeno tatsächlich geschehen ist, es hat uns den finalen Hinweis gegeben, wo wir sie finden konnten. Sie hatten nicht mit jemanden gerechnet, der in die Vergangenheit der Umgebung blicken konnte. Was in dieser geschehen war und somit an Informationen gelangen konnte, die anderen sonst vorenthalten war. Wir schöpften neue Hoffnung.

Es wurde langsam wirklich spät. Ein Nebel begann, sich auf die Gegend zu legen und so entschlossen wir, die Verabschiedung nur noch kurz zu halten und verabredeten uns sofort für den nächsten Tag. Jedoch als wir uns gerade auf den Rückweg machen wollte, konnte man kaum noch die Hand vor Augen sehen. Aus Reflex griff ich neben mich, um Calebs Hand zu erwischen, doch mit einem Mal war da nur noch Luft.

„Caleb?“, rief ich mit leicht zitternder Stimme. Nicht nur, dass mir unglaublich kalt war, mir lief auch ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit und jemand hauchte gegen meinen Nacken, sodass sich die feinen Härchen aufstellen. Wie der Wind säuselte mir eine Stimme ins Ohr.

„Lass uns spielen, Wynni“

Aus Reflex ballte ich sofort meine Hand zur Faust, drehte mich um und rammte dem Übeltäter die Faust ins Gesicht. Die Gestalt taumelte zurück, hatte eine Hand in ihrer Visage, doch ich wusste, um wen es sich handelte. Yakeno hatte mich aufgesucht. Spielen wollte er also? Darauf würde ich mich nicht einlassen.

„Caleb!“, schrie ich sofort, doch anstatt dass mein Vampir mir antwortete, lachte der andere nur lauthals los.

„Idiotin! Schwachkopf!“, brüllte er mir entgegen und kam auf mich zu. Für jeden Schritt, den er nach vorne tat, tat ich einen zurück. Es war wie ein unnötiges Katz-und-Maus … Spiel. So sollte es also laufen. Er wollte mich in die Enge treiben und Angst einjagen, mich dadurch klein kriegen. Nicht mit mir. Ich wusste, dass die anderen noch in der Nähe sein mussten. Wissens, dass man mir zur Hilfe kommen würde, blieb ich stehen und begab mich in eine Abwehrhaltung. Ich würde nicht zulassen, dass er mich auch nur mit einem einzigen schmierigen Finger berühren würde.

„Ran!“, kam mir als nächstes in den Sinn, doch auch darauf antwortete lediglich Yakeno mit schallendem Gelächter.

„Bist du so dumm oder tust du nur so?! Niemand wird dir antworten! Du bist allein! Ganz allein! Mit mir. Also, locker dich doch einwenig und spiel mit mir. Ich verspreche schon, ich werde dich nicht zu schnell brechen“ Er kam wieder näher, legte eine Hand an meine Wange, doch schon als nur seine kalten Fingerspitzen meine Haut berührten, schlug ich seine Hand mit der geballten Kraft meines Unterarms zurück, so schnell, dass er nicht danach greifen konnte. Der Vampir knurrte auf, schien über meine Wehr aber dennoch mehr amüsiert als verärgert. Er packte mein Handgelenk, doch anstatt mich davon aus der Ruhe bringen zu lassen, spreizte ich zunächst meine Finger bis zum Maximum, bevor ich sie blitzschnell zur Faust ballte und seinem Griff entriss. Ich nutzte den Moment seiner Verwirrtheit und trat ihm mit dem Knie in den Magen, bevor ich einige Sprünge zurück tat und die Situation evaluierte. Vampire waren nicht übermenschlich stark, wenn sie nicht besonders trainiert waren oder eine gewisse Gabe dafür hatten. Sie hatten zwar schnellere Reflexe, aber wenn man es schaffte, einen zu überraschen, konnte man einen Treffer landen so wie ich gerade. Das dumme war nur, dass sie sich schneller als Menschen erholten und auch viel mehr einstecken konnten. So richtete sich Yakeno wieder auf, diesmal aber war jedes Lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt war es vorbei mit Spielen. Jetzt war es Ernst und ich musste darauf achten, mich nicht überwältigen zu lassen, so lange der Nebel aufrecht war. Der Nebel. Er hatte mich bereits einmal von Caleb und Sei getrennt, als wir auf der Suche nach Kira waren! Er musste ihn genutzt haben, um wieder eine Illusion zu erschaffen und mich von den anderen zu trennen. Mit knirschenden Zähnen sah ich mich kurz um, jedoch nicht allzu lang, da der Vampir wieder auf mich zukam und mich böse musterte. Seine Schritte waren diesmal langsamer, aber wütender. Ich hatte ihn mit diesem Schlag dermaßen provoziert, dass er seine Mauer fallen ließ. Der Wahnsinn in seinen Augen war noch da, doch diesmal konnte ich darin Mordlust erkennen.

„Du willst also nicht spielen, fein“, spuckte er aus und ein Mundwinkel von ihm zog sich zu einem widerlichen Grinsen. „Ich denke auch, dass du deine Freunde nicht lebend wiedersehen willst“ Wie bitte was? Meine Freunde? Was hatte er getan? Sofort kam mir in den Sinn, dass wir einen ganzen Tag lang nicht dagewesen waren. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass der Widerstand in der Lage war, einfach so in Zimmer einzubrechen, wurde mir sofort schlecht.

„Was hast du mit Kira angestellt?!“, schrie ich ihn an, von Wut zerfressen. Er hatte es gewagt, sie ein weiteres Mal anzufassen! Wieso hatte ich nur Sei nicht darum gebeten, auf sie aufzupassen? Wieso war er nicht selber auf die Idee gekommen?! Ich fluchte leise vor mir her, während Yakeno mich ein weiteres Mal auslachte.

„Keine Sorge, ihr geht es noch gut. Sie hat nur einen Aufenthalt mit unbestimmter Länge in unser Lager geschenkt bekommen“

„Wir werden sie finden, Wichser“, warf ich ihm entgegen. „Ihr seid nicht mehr vor uns sicher. Ihr werdet es nie wieder sein. Wir sind euch endlich die Schritte voraus, die wir von Anfang an hinterher hingen. Wir konnten sogar euer bescheuertes System hacken!“

„Weil wir es zugelassen haben, du dämliche Pute! Meinst du wirklich, wir wüssten inzwischen nicht, dass ihr über den Toten Briefkasten Bescheid wisst? Wir sind nicht so dumm, wie manche von uns aussehen. Unser einziger Fehler war es tatsächlich, die Daten darauf zu behalten“ Mir war das Herz in die Hose gerutscht. Sie hatten Calebs Hackangriff zugelassen? Also hatte ich Recht mit der Tatsache, dass sie eine Art Wanze eingeschleust hatten. Zu unseren Gunsten waren die Daten dennoch ausgefallen. „Ja … du kannst dich freuen, die Daten waren echt. Nur zu dumm, dass wir bestens über euch Bescheid wissen und somit das Gröbste verhindern konnten. Und nun, nun haben wir zwei weitere wunderschöne Geißeln, weil ihr euch für einen Tag auf eine aussichtslose Schnitzeljagd begeben habt!“ Nach diesem Satz sprang er mir entgegen, ohne mir die Chance zu geben, mit einem Satz zur Seite auszuweichen. Er packte mich an der Kehle und warf mich zu Boden. Um mich unten zu halten, setzte er sich mit seinem gesamten Gewicht auf meine Taille und umfasste meinen Hals mit beiden Händen, um mir die Luft abzuschneiden. Ich röchelte und rang nach Luft, das einatmen wurde immer schmerzhafter. Ich riss und kratzte an seinen Händen, doch das machte dem Wahnsinnigen nichts aus. Doch er wollte mich nicht tot sehen, nicht wie Louis, welcher es eigentlich kurz und schmerzlos enden lassen wollte. Es wäre auch in diesem Fall die bessere Variante für den Widerstand, aber Yakeno musste etwas mit mir vorhaben. Sein Griff lockerte sich und Sauerstoff schaffte es in meine Lungen. Ich atmete tief ein, gleichzeitig nutzte ich aber auch die Chance, um mit meiner Faust auszuholen und in seinen Intimbereich zu schlagen. Ich benötigte nicht viel Kraft, um bei ihm einen derartigen Schmerz auszulösen, dass er von mir herunter fiel und ich aufstehen konnte. Ganz auf die Beine schaffte ich es noch nicht, ich krabbelte zunächst weg, versuchte in dem Nebel nach Halt zu suchen, musste mich aber letztlich selber nach oben hieven, so wie auch mein Feind, welcher zeitgleich mit mir wieder auf den Beinen stand.

„Du verdammte Schlampe. Mir reicht’s langsam mit dir“ Ich bereitete mich erneut darauf vor, mich gegen ihn zu wehren. Die ersten Schläge von ihm konnte ich erfolgreich abwehren, doch es wurde von Mal zu Mal schwerer, da mein Körper noch immer den Sauerstoffmangel verarbeiten musste. Er nutzte meine Schwäche und verpasste mir einen gezielten Schlag in die Magengrube, welcher mich vorn über kippen ließ und mich wehrlos auf dem Boden zurück ließ. Er hob mich hoch, über die Schulter, doch das alles verschwamm im Angesicht des Schmerzes, den ich gerade verspürte. Mein gesamter Körper fühlte sich taub an.

„Wynne ….!“ Ich hörte jemanden nach mir rufen, daraufhin ein lautes Lachen, bis alles verstummte und dunkel wurde. Ich wurde nicht ohnmächtig, ich merkte, wie ich davon getragen wurde in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit. Ich wurde von den anderen weggebracht. Den Weg konnte ich nicht erkennen. Meine Augen wollten sich nicht auf das fokussieren, was für mich von Relevanz war. Stattdessen hing ich da wie ein Sack Kartoffeln und ließ mich verschleppen.
 

Ich kam auf etwas Weichem wieder komplett zu mir. Mein Körper wollte mir wieder gehorchen und mein Atem ging wieder normal, sodass ich mich in einer unglaublichen Eile aufsetzen konnte. Der Raum war dunkel, nur eine kleine, spärliche Lampe erleuchtete die Mitte. Nichts befand sich darin bis auf die Matratze, auf der ich aufgewacht war. Oder wieder halbwegs zu Kräften gekommen bin. Mein Körper zitterte vor Anstrengung, Aufregung und Angst. Er hatte geschafft, mich wieder zu verschleppen. Aber ich war nicht gefesselt. Wieso nicht? Wollte er, dass ich mich gegen ihn wehrte? Es musste zu seinem kranken Spiel gehören, welches ihm so gut gefiel.

Ich stand langsam auf und sah mich um. Die Fenster waren mit Brettern verbarrikadiert. Von außen her musste das bei einem neueren Gebäude eigenartig aussehen, weswegen ich darauf tippte, dass es sich auch hierbei um eine abgelegene, heruntergekommene Gegend handeln musste. In dem Moment der Ruhe versuchte ich, eine Verbindung mit Caleb herzustellen. Ich hätte das in den letzten Monaten trainieren sollen. Wären doch bloß die blöden Prüfungen nicht gewesen! Ich zischte leise, ein Geräusch holte mich aus meiner Konzentration. Etwas wurde über den Boden geschleift. Ein Tisch? Stuhl? Das ehlendig kratzende Geräusch schmerzte selbst durch die zuhe Tür hindurch. Neugierig, vorher hatte ich nicht daran gedacht, weil ich erst mit Caleb Kontakt aufnehmen wollte, ging ich auf diese zu, doch bevor ich auch nur in die Nähe kam, wurde sie aufgeschlagen und der schmierig grinsende Vampir stand mir gegenüber, gegen den ich vor kurzem noch gekämpft hatte. Er lächelte mich breit und wahnsinnig an, hinter sich schliff er einen Stuhl her, welchen er prompt mit einer weiten Bewegung seines Armes in den Raum befördert. Aus Schreck und weil ich erkannte, dass jemand darin saß, eilte ich herüber und hielt den Stuhl gerade so davon ab, umzukippen, geradewegs mit der Person voran. Als ich sah, wer darin saß, blieb mein Herz stehen. Zum zweiten Mal bereits war Keira an das tote Holz gefesselt, diesmal ohnmächtig. Ihr Kopf hing herunter, die momentan noch lockigen Haare verdeckten ihr Gesicht und verwehrten mir die Sicht darauf. Auf den ersten Blick erkannte ich keine Blessuren, doch musste er ihr irgendetwas angetan haben. Ich stellte den Stuhl vorsichtig hin und durchbohrte Yakeno mit meinem Blick. Dieses Arschloch hatte es tatsächlich gewagt.

„Was hast du ihr angetan?“, zischte ich ihn an, hatte noch beide Hände an der Lehne des Stuhles, wollte ihn nicht aus meiner Nähe lassen in der Angst, dass der Vampir etwas vorhatte. Und das hatte er definitiv, sonst hätte er sie nicht geholt.

„Etwas Chloroform wirkt bei euch Menschen Wunder. Vampire brauchen da schon etwas Stärkeres. Aber die beiden Sturköpfe konnte man auch ausknocken.“ Beide Sturköpfe? Hatte er etwa …? Ich konnte gar nicht weiter denken, da streckte er sich und knackte mit den Fingern. Das Geräusch setzte sich in meinen Ohren fest und verursachte bei mir Gänsehaut. „Jedenfalls … Wynni, wir haben noch ein Spiel offen. Wenn ich gewinne, hast du deine Erinnerungen verloren. Für immer, so wie es eigentlich sein sollte. Wenn du gewinnst … na ja, sagen wir, dann werdet ihr den nächsten Tag nicht erleben“ Wie bitte?! Für ihn war es eine Win-Win-Situation! Ich könnte ihn absichtlich gewinnen lassen, meine Erinnerungen verlieren und diese dann wiedergewinnen. Wenn es möglich wäre. Er schien sich verdammt sicher darüber, dass es diesmal nicht möglich wäre. Wie eine Raubkatze drehte er seine Kreise um Kira und mich, behielt uns im Auge, während ich seinen Blick erwiderte und nicht nachgeben würde. Schwäche zeigen wäre mein Ende hier. Er hatte seinen Spaß, musste meine Angst spüren, während ich da hockte und versuchte, meine beste Freundin zu beschützen. Ein leises Ächzen brachte mich aus dem Konzept, ihn im Auge zu behalten und ich wandte meinen Blick auf die Frau vor mir, welche langsam aufwachte und ihren Kopf hob.

„Wynne …?“, flüsterte sie heiser. Bevor ich ihr antworten konnte, bekam ich einen Tritt in die Seite und rutschte über den Boden bis zu der Matratze, auf der ich bis vor einer kurzen Weile noch gelegen hatte. Stöhnend hielt ich mir die pochende Seite und stützte mich mit dem anderen Arm ab. Ich schaffte es kaum, mich aufzurichten, da landete er nächste Schlag in meinem Gesicht. Kira schrie auf, ich aber gab keinen Ton von mir. Er schlug auf jemanden ein, der bereits am Boden lag. Yakeno hatte keinerlei Ehrgefühl und das brachte mich eher zum Lachen. Es schmerzte wie verrückt, dennoch schaffte ich es, mir den Schmerz kaum ansehen zu lassen. Als der Vampir zum nächsten Schlag ansetzte, rollte ich mich zur Seite. Gleichzeitig drehte ich mich auf dem Rücken einmal im Halbkreis und riss ihn mit meinen Beinen von den Füßen. Mit einem dumpfen Geräusch kam er auf dem Boden auf, während ich mich langsam aufrichtete.

„Du blöde Schlampe weißt einfach nicht, wann es Zeit ist, aufzugeben, was?“, maulte er mich sofort an.

„Ich dachte, das sollte ein Spiel werden, Ishta?! Und soweit ich weiß, gehören zu diesem Spiel zwei Personen! Und meine Stamina ist noch nicht angekratzt“ Yakeno schnaubte und sprang auf die Beine. Ich spuckte natürlich große Töne, um ihn auf die Palme zu bringen, damit er unvorsichtig wurde. Das wirkte nicht ganz, denn ohne Vorwarnung ging er erneut auf mich los. Ich schaffte es gerade so, seinen Schlag abzuwehren und seine Faust abzulenken, sodass er knapp an mir vorbei schlug. Mein Oberarm schmerzte dadurch, aber ich hatte eine Möglichkeit, um selber zuzuschlagen. Meine Faust traf erneut in sein Gesicht und warf ihn etwas zurück. Anders als Louis ließ er sich dadurch nicht aus dem Gleichgewicht bringen und ging ein weiteres Mal auf mich zu. Ich musste mich konzentrieren, ausweichen und abblocken, die Chance nutzen, um selber einen Schlag zu landen. Dass Kira im Hintergrund immer wieder aufschrie und –quiekte half mir dabei nicht gerade weiter. Selber schrie ich auf, als ich ihm einen Kinnhaken verpasste, welcher ihn von den Füßen haute, gleichzeitig aber auch meine Hand beschädigte. Es schmerzte, doch es hatte gesessen. Es dauerte diesmal länger, bis er wieder aufstand. Diesmal war er ruhiger … glatt zu ruhig. Es machte mich nervös, meine Alarmglocken gingen los. Er zeigte auf mich, bewegte seinen Zeigefinger leicht und schien etwas sagen zu wollen, doch kein Ton verließ seine Lippen. Am liebsten hätte ich seinen Finger gepackt und einfach gebrochen, wobei ich mich kurz fragte, ob ich überhaupt noch so viel Kraft hatte. Mein Atem ging bereits rasend schnell, ich hatte kaum noch die Energie, mich auf den Beinen zu halten. Ich zitterte, nicht unbedingt vor Angst, welche auch in mir vorhanden war, sondern mehr vor Erschöpfung, welche sich immer mehr in mir breit machte. Kurz umkreiste Yakeno mich, wobei sein Blick kurz auf Kira ging, welche alles mit weit aufgerissenen, panischen Augen beobachtete. Ihr war bereits jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen und unterstich die blauen Flecken in ihrem Gesicht. Er hatte sie geschlagen! Der verdammte Wichser hatte sie geschlagen!

„Du Mistkerl!“, brüllte ich ihn an und nutzte das Überraschungsmoment, um ihm in den Magen zu treten. Er krümmte sich kurz, lachte aber schallend auf.

„Verdient hat es die Fotze! Ein Schutzschild gegen meine Gabe?! Das ich nicht lache!“ Ein Schutzschild also. Vermutlich hatte dasselbe ihn auch beim ersten Mal davon abgehalten, ihre Erinnerungen zu zerstören. Diesmal aber musste sich ein Schalter in Yakeno umgelegt haben. Er richtete sich ein weiteres Mal auf, stand eine kurze Zeit da, bevor er sich auf den Fersen wegdrehte und schnurstracks das Zimmer verließ, ohne einen weiteren Ton. Was das für eine Aktion war, wusste ich nicht. Aber es gab mir etwas Zeit, um mich um meine Freundin zu kümmern.

„Kira“, stieß ich atemlos aus und eilte zu ihr herüber. Mit zitternden und aufgescheuerten Händen werkelte ich an den Fesseln herum, doch die Knoten waren extrem straff gezogen und fest.

„Du musst aufpassen“, brachte die Brünette hervor und hustete kurz. „Er hat Sei ausgeknockt“

„Wie bitte?“, kam es von mir, obwohl ich wusste, was damit gemeint war. Yakeno hatte etwas derartiges angedeutet und es stärkte meine Vermutung, dass ihm auch Caleb zum Opfer gefallen war. Verdammt. Es hätte also nichts gebracht, selbst wenn ich genügend Konzentration aufgebracht hätte.

„Was meinte er mit dem Schutzschild?“, fragte ich Kira, um sie in ein Gespräch zu verwickeln, während ich mit meinen zittrigen Fingern an den Knoten arbeitete.

„Kentaro hat … die Gabe, ein Schutzschild auf jemanden zu legen, um einen gegen Eingriffe nicht physischer Art zu schützen … so wie eben die Gabe von Yakeno ..“

„Deswegen konnte er damals nicht auf deine Gedanken zugreifen, oder?“ Kira nickte schwach.

„Und das war … auch der Grund … warum er die Woche bei mir war … Er wollte seine Gabe ausbauen …“

„Und dich schützen“ Sei konnte schon niedlich sein, das musste man ihm lassen. Aber leider hatte das Schild nichts gegen das Chloroform tun können und nun saßen wir wieder beim Widerstand fest. Wie viele sie wohl erwischt hatten? Eiskalter Schweiß lief mir über die Stirn, während ich es schaffte, den ersten Knoten an ihren Füßen und damit das Seil zu lösen. Sofort arbeitete ich am nächsten, mein Puls stieg an, während ich langsam aber sicher in Panik geriet.

„Red mit mir, bitte“, flehte ich Kira an.

„Ich habe Angst“, kam es nur von ihr und ihre Stimme brach. Ich sah zu ihr hoch, Tränen bildeten sich in ihren Augen und rannen ihre Wangen herunter. Scheiße.

„Ich auch“, gab ich zu und wandte mich wieder dem wichtigerem zu.

„Du bist aber so ruhig!“, meinte die andere nur. „Du hast gegen ihn gekämpft. Ihn sogar schlagen können! Ich bin so verdammt schwach“ Sie schluchzte kurz. „Mir wurde ein Tuch auf den Mund gedrückt und bei mir gingen alle Lichter aus“

„So wirkt Chloroform eben“, meinte ich nur. „Glaub mir, das Kämpfen ist nicht angenehm. Ich habe extreme Schmerzen, wirklich. Wenn nicht sogar was geprellt ist“ Und ich könnte schwören, dass mindestens meine eine Hand dermaßen beschädigt war.

Ich löste gerade den zweiten Knoten und befreite somit ihre Beine, als die Tür wieder aufgeschlagen wurde, mein Herz für einen Moment wieder aussetzte und ich mit geweiteten Augen Yakeno anstarrte. Ein Weilchen blieb er im Türrahmen stehen. Er musterte Kira und mich, dann die Seile, die am Boden lagen. Sein Blick wurde eisig. Tödlich. Ich hatte das Verlangen, wegzurutschen und mich zu verkriechen, darauf zu hoffen, er würde uns endlich in Ruhe lassen. Doch stattdessen blieb ich bei meiner Freundin, stand sogar auf, um mich beschützend vor sie zu stellen. Der Vampir schmunzelte und trat in den Raum, schloss dabei die Tür hinter sich. Mit einer fließenden Bewegung zog er ein Messer hervor und drehte es in seiner rechten Hand, drohend. Ich schluckte schwer, verließ aber meine Position nicht. Er wollte mich abstechen, fein! Sollte er es doch wagen! Mein Brustkorb hob und senkte sich, während ich versuchte, meinen Puls zu beruhigen. Ich ließ den Vampir nicht aus den Augen, sog jede seine Bewegung ein. Er lief vor uns her und her, zog das Messer spielerisch durch die Luft, mal langsam und sanft, dann wieder zischend schnell, als würde er das Nichts schneiden wollen. Ich zuckte zusammen, als er einen Sprung auf mich zu tat und das Messer nach vorne rammte, knapp an meinem Hals vorbei. Seine Augen leuchteten vor Freude auf, als der die Panik in meinen erkannte. Jetzt war mir nach Heulen zumute. Er wiederholte seine Aktion, ging ruhig auf und ab und bewegte die tödliche Waffe in seiner Hand, warf sie von einer zur anderen, ohne sie auch nur einmal fallen zu lassen. Er spannte damit nicht nur mich auf die Folter, sondern auch Kira, welche hinter mir immer wieder schluchzte. Yakeno blieb stehen und blickte an mir vorbei, zog die Augenbrauen zusammen und legte den Kopf schief.

„Jetzt halt doch endlich mal dein Maul, du nervst!“, befahl er ihr. Sie unterdrückte jeden Laut, doch es gelang ihr nicht, still zu werden. „Na gut, dann eben anders“ Oh nein, nicht mit mir. Kaum ging er auf uns zu und wollte an mir vorbei, stellte ich mich jedes Mal ihm in den Weg. Er knurrte auf, schnalzte mit der Zunge, sichtlich genervt von meiner Aktion. Fest umklammerte er den Griff des Messers mit seinen bleichen Fingern.

„Tritt zur Seite, Miststück“, befahl er diesmal mir und durchbohrte mich mit seinem Blick.

„In deinen Träumen, Arschloch“, warf ich ihm entgegen und bewegte mich nicht vom Fleck. Er wollte mich mit seinem Unterarm beiseite schlagen, doch ich packte sein Handgelenk und zog ihn vor mir auf die Beine, rammte dabei mein Knie ein weiteres Mal in seine Magengrube. Er stöhnte auf vor Schmerz, immerhin war er dagegen nicht immun, und ließ das Messer fallen. Ich wollte die Chance nutzen, doch war ich zu langsam. Mit einem Faustschlag brachte er mich aus meiner Hockposition, um die Waffe aufzuheben, zu Fall und hob sie selber wieder auf.

„Sie soll losgemacht werden? Bitte schön!“, brüllte er durch den Raum. Ich setzte mich auf, eine Hand an meiner pochenden Wange. Der Wahnsinnige holte aus und durchschnitt das Seil an der Rückenlehne des Stuhles. Verwirrt beobachtete ich, was er tat. Er wartete ab, bis sich Kira erholte und sich sofort wie ein Mäuschen vor ihm verkriechen wollte. Doch sie kam nicht weit, da sie über ihre eigenen Beine stolperte.

„Du bist jämmerlich“, meinte der Größere nur, packte sie grob am Kinn und hob sie hoch. Mit einem Ruck kollidierte sie mit der Wand und man konnte sehen, dass langsam eine dunkelrote Flüssigkeit über diese hinab lief. Mir wurde schlecht, als mir der metallische Geruch in die Nase stieg.

„Eigentlich wollte ich dein Leben anders beenden. Eigentlich wollte ich dich bis auf den letzten Tropfen aussagen und spüren, wie das Leben dich langsam verlässt. Deine Freundin sollte zusehen. Sie sollte beobachten, wie das Licht in deinen Augen langsam erlischt“, zischte er sie an. Kira starrte ihn mit geweiteten Augen an. Die Tränen liefen noch immer wie in Sturzbächen, nur durch seinen Griff brachte sie keinen Ton mehr heraus, Seine Aufmerksamkeit galt ganz und gar ihr. Ich nutzte die Gelegenheit, hievte mich auf die Beine und wollte ihn mir schnappen, da ließ er sie prompt los und schlug mich mit der flachen Hand ein weiteres Mal zu Boden. Damit ich auch ja unten bleiben würde, trat er mehrmals zu, mal in meinen Magen, dann wieder meinen Bauch oder meine Seite. Einmal entschied er sich sogar für meinen Kopf, weswegen ich längere Zeit mich nicht bewegen konnte. Kira, welche am Boden kauerte, biss panisch die Zähne zusammen. Sie war nicht lange befreit von dem Vampir. Seine Aufmerksamkeit galt bald wieder ihr, er hob sie grob am Oberarm auf die Beine.

„Jetzt musste ich mir halt was anderes ausdenken“ Er schmunzelte und drehte ein weiteres Mal das Messer in seiner Hand. Mein Magen drehte sich um und pure Furcht fuhr durch meinen Körper. Kira schüttelte nur panisch den Kopf und flehte um Gnade.

„Bitte, Yakeno … tu das nicht …“, bat sie ihn, versuchte an seinen Verstand zu appellieren. Doch der andere lachte nur laut auf, verhöhnte ihre Art und – zu meinem Entsetzen – rammte ihr das Messer in den Bauch. Er ließ ihren Arm los, sodass sie den einzigen Halt verlor, den sie noch hatte und ließ sie auf den Boden fallen. Dumpf kam Kira auf, zitterte wie Espenlaub, als sie sich verkrampfte und ihre Hände über dem Griff des Messers hielt, als hätte sie vor, es herauszuziehen, hatte aber zu viel Angst. Zu allem Überfluss trat Yakeno noch einmal zu, genau auf ihre Hände und den Griff, sodass sich der Schnitt nach unten ausbreitete. Ein herzzerreißender Schrei erfüllte den Raum und ich musste mir die Ohren zuhalten sowie die Augen zukneifen. Ich konnte mir das nicht ansehen. Nicht Kira! Sie war so unschuldig! Ich sollte das sein! Ich sollte diese Klinge in meinem Bauch haben! Sterbend auf dem Boden liegen! Nicht sie! Sie hatte es nicht verdient! Oh Gott, wieso habe ich sie da nur mit rein gezogen?! Es war meine Schuld! Ein Schluchzen entwich meiner Kehle, während sich langsam die ersten Tränen über meine Wangen stahlen. Sie benetzten meine Lippen, ein salziger Geschmack breitete in meinem Mund aus. Ein schlürfendes Geräusch deutete an, dass der Vampir das Messer aus der Wunde zog. Der Geruch von Blut breitete sich im Raum aus. Ein weiterer Schrei von meiner Freundin brachte mich dazu, die Augen aufzureißen. Wie von einer Tarantel gestochen setzte ich mich auf, saß auf meinen Knien. Ich sah, dass die Klinge diesmal in ihrer Schulter steckte. Sie blutete bereits so stark, dass sie das nicht lange durchhalten würde.

„Hör auf!“, schrie ich flehend. „Tu ihr das nicht an! Ich bin diejenige, die du umbringen willst!“ Ich ballte die Hände zu Fäusten, konnte die Kraft aber nicht mustern, aufzustehen und ihn zu schlagen. Ich hatte eher das Gefühl, dass ich umkippen würde, sollte ich es auch nur versuchen. Yakeno drehte seinen Kopf zu mir, zog dabei das Messer aus dem armen Mädchen heraus.

„Soll ich?“, fragte er mich ruhig. Widerlich.

„Bitte …“, flehte ich ein weiteres Mal, gebrochen. Er dachte nach. Es wäre egal, ob er es lassen würde oder nicht. Kira würde so oder so verbluten. Ich konnte nur sehen, wie sich ein Grinsen in sein Gesicht stahl. Scheiße.

„Ich hab aber keine Lust“, meinte er nur und ein weiteres Mal schnitt die Klinge in das Fleisch meiner Freundin, diesmal knapp neben ihrer Kehle. Sie röchelte, Blut rann ihr bereits aus dem Mund. Nein! Nein nein nein!

„Kira!“, stieß ich aus, wurde bereits heiser, während die Tränen meine Sicht verschleierten. Er brachte sie vor meinen Augen um! Diesmal schien es ihm genug gewesen zu sein, als er sie in Ruhe ließ, das Messer noch in ihrem Fleisch eingegraben, und sich zu mir begab. Grob legte er zwei Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, sodass ich ihm ins Gesicht blicken musste.

„Diesen Ausdruck wollte ich sehen. Verzweiflung. Brich! Brich unter meiner Hand!“ Diesmal legte er beide Hände an meinen Kopf, gerade über den Schläfen und ich spürte, wie er sich in meine Gedanken, meine Erinnerungen, eingrub. Ich schrie auf, versuchte noch, mich mit aller Kraft zu wehren. Jedes Röcheln meiner sterbenden Freundin nahm mir mehr und mehr Energie, bis ich mich dem Einfluss von Yakeno hingeben musste. Immer mehr verschwamm meine Welt, während er sich wie ein Wurm durch mein Gedächtnis schlängelte und begann, daran zu werkeln. Ich hatte keine Abwehr mehr gegen ihn, jede Mauer war gefallen und rann in Form von Tränen über meine Wangen. Leise schluchzte ich vor mich hin, kniff meine Augen zusammen.

„Caleb …“ flüsterte ich noch und spürte, wie der Vampir meine erste Erinnerung zerschmetterte und mir eine neue einsetzte. Was war es nochmal genau? Ich wurde so unglaublich schwach. Müde. Mein Körper wurde taub. Ich hörte ihn noch murmeln.

Ein lauter Knall unterbrach den Mörder, seine eisigen Hände verließen meinen Kopf und ich kippte kraftlos vorn über. Alles um mich herum wurde dumpf. Ich hörte Schreie, Rufe, Fluchen. Jemand sprach zu mir, gleichzeitig hörte ich Panik in der Nähe von Kira. Was geschah gerade? Ich konnte meine Augen nicht öffnen. Ich hatte keine Kraft mehr. Mein Körper wollte mir nicht mehr gehorchen. Und mein Kopf fühlte sich wie zerschmettert an.
 

„Was sollen wir tun? Nichts schlägt an!“

„Du hast nur noch eine Chance. Entweder das, oder sie stirbt“
 

Stille.
 

„Ich hoffe, dass es sie rettet“

„Es war die einzige Möglichkeit“

„Wie geht es Wynne?“

„… Immer noch keine Reaktion.“
 

Es wurde erneut ruhig.
 

„Sie kommt durch“

„Wie steht es um die Vitalwerte?“

„Miss Amand hat Anflüge von Reaktionen. Manchmal kann sie hören, aber das versagt schnell wieder. Ihre Kraft sollte aber bald zurückkommen.“
 

Langsam öffnete ich meine Augen. Grelles Licht schien mir entgegen, eine weiße Decke reflektierte das grausame Licht, das meinen Augen gerade nur noch mehr schadete. Ich ächzte auf, versuchte mich zu bewegen, doch mein Körper gehorchte nicht auf meinen Befehl. Mein Hals war trocken. Ich hatte keine Ahnung, wo ich genau war. Alles war hell. Weiß. Nichts ähnelte dem Ort, an dem ich vorher war. Mein Kopf schmerzte höllisch. Verdammt … ich will mich bewegen.

„Sie ist wach!“, sprach jemand überrascht. Ich drehte meinen Kopf zur Seite und entdeckte einen älteren Herrn mit einem Klemmbrett in der Hand. „Miss Amand, können sie mich hören?“

Ich nickte ihm leicht zu, biss die Zähne zusammen, als ich mich so bewegte. Es schmerzte wahnsinnig und strengte ungemein an.

„Schwester! Bringen sie Wasser!“, rief der Mann, welcher meiner Vermutung nach ein Arzt war. Was ihn verriet? Sicherlich nicht der Kittel, ganz und gar nicht. Doch seine laute Stimme dröhnte in meinem Kopf nur und verursachte noch mehr Schmerzen. Er entschuldigte sich bei mir und begann, mich durchzuchecken. Nach und nach spürte ich meine Glieder wieder, obwohl das nicht gerade positiv war. Alles tat weh, wirklich alles. All das Adrenalin von vorher war verschwunden und nun spürte ich, wie sehr mich der Kampf gegen Yakeno mitgenommen hatte. Was war überhaupt geschehen? Wie war ich hier gelandet? Alles Fragen, die ich beantwortet haben wollte, aber nicht stellen konnte. Ich beobachtete den Mann, wie er etwas auf sein Klemmbrett kritzelte, einmal nach jeder Untersuchung.

„Ruhen Sie sich noch etwas aus. Wir werden Ihnen ein Sedativ geben, welches Ihnen die Schmerzen nehmen sollte. Ich werde mich noch mit Ihrer Familie in Verbindung setzen“

Meine Familie … sie würden im Kreis springen, wenn sie hörten, was geschehen war. Sie würden mich von der Schule nehmen! Aber … sollte nicht endlich alles vorbei sein? Wir waren doch nun hoffentlich in Sicherheit. Ich wollte nicht umsonst gelitten haben. Und Kira … Kira sollte nicht … Sie sollte nicht … Sofort bildeten sich wieder Tränen in meinen Augen. Das arme Mädchen wurde kaltblütig ermordet, vor meinen Augen mehrmals erstochen. Ihr Stöhnen und Röcheln hing mir noch in den Ohren, sie hatte gelitten, es war kein schneller Tod, den er ihr bereitet hatte. Ihr sah noch ihre Augen vor mir, rot unterlaufen vor Tränen. Unter ihr hatte sich eine Blutlache gebildet, in welcher sie zitternd lag, die Hände verkrampft über dem Loch in ihrem Bauch, aus welcher das Blut quoll. Ich schluchzte auf, bei meinem trockenen Hals schmerzte es, doch ich konnte mich nicht vom Weinen abringen lassen. Ich hatte eine Freundin verloren!

Und das war nicht alles. Yakeno hatte es geschafft, die Mauer um meine Erinnerungen einzureißen und mir einige zu zertrümmern. Er hatte nicht lange Zeit gehabt, daran herum zu werkeln, weswegen ich mich nur an einige Monate nicht erinnern konnte. Die letzten zwei hatte ich noch im Kopf. Und vor allem auch die letzten paar Tage. Verdammt nochmal! Es war nicht einmal lange her gewesen, da saß ich mit Kira in unserem Zimmer, scherzte mit ihr, hielt sie im Arm. Wir hatten uns über ihren Geburtstag unterhalten, den sie nun nicht mehr miterleben würde. Ich starrte auf die Anzeige gegenüber von meinem Bett. Erster Mai … das Schicksal war grausam. Hätte ich die Kraft gehabt, hätte ich laut gelacht. Wie eine Wahnsinnige. Wieso musste es sie treffen? Wieso eine so unschuldige Seele? Sei musste wahnsinnig leiden. Ich sah ihn im geistigen Auge vor mir, wie er zerbrochen im Zimmer saß, die Augen leer oder gefüllt mir nichts weiter als Schmerz über den Verlust. Bei mir flossen die Tränen immer weiter. Ich merkte nicht einmal, wie man auf mich einredete. Mit meinen Gedanken hing ich nur bei meiner verlorenen Freundin, die wegen meiner eigenen Dummheit und Unfähigkeit ihr Leben lassen musste. Langsam verlor ich wieder jegliches Gefühl in meinen Gliedern, meine Augenlider wurden schwer. Die Tränen versiegten, ließen nur ein bitteres Gefühl zurück. Bevor ich wieder abdriftete, wurde ich noch dazu gebracht, etwas Wasser zu trinken, dann war es mir erlaubt, wieder in die Dunkelheit zu fallen.
 

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als ich wieder aufwachte. Ich hörte Stimmen in meinem Raum. Mein Körper schmerzte nicht mehr so sehr, aber wieder einmal war mein Hals trocken. Langsam öffnete ich die Augen, musste mich ein weiteres Mal an die Helligkeit gewöhnen. Ich setzte mich langsam auf und sofort wurde es still im Raum.

„Wynne!“, sprach mich jemand an und ein Schauer lief über meinen Rücken.

„Wasser, bitte …“, krächzte ich und drehte meinen Kopf zu den Besuchern. Meine Eltern waren da … die Direktoren meiner Schule und … ein Junge … den ich nicht zuordnen konnte. Er schluckte schwer, fasste sich ans Herz und nickte mir kurz zu, bevor er aus dem Zimmer verschwand. Wollte er mir etwas zu trinken holen? Hoffentlich, ich brauchte es unbedingt.

Meine Mutter kam zu meinem Bett herüber und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

„Du siehst schrecklich aus …“, murmelte sie. Vielen Dank, Mom. Das konnte ich mir auch selber vorstellen. Ich fühlte mich ekelhaft, die Sachen klebten bereits an meinem Körper und ich merkte regelrecht, dass meine Haare fettig waren. Dann hatte ich dazu noch ein unglaublich saures Gefühl in meinem Magen, welcher sich sogleich zusammen zog. Ich versuchte nicht daran zu denken, was passiert war.

Der Arzt von meinem ersten Erwachen betrat das Zimmer und sprach sofort die Anwesenden an: „Sie hat ein Trauma davon getragen. Mehrere Prellungen sowie gebrochene Rippen haben wir verzeichnet. Es ist ein Wunder, dass sie noch so munter war, als sie man sie fand“ Und nicht so tot wie meine Freundin. Ich biss mir auf die Lippe. Dank meines Halses konnte ich gerade sowieso keinen Kommentar abgeben, das sollte sich aber bald ändern, denn der Schwarzhaarige kam zurück und hielt mir das Wasser hin. Mit einem dankenden Nicken nahm ich es an und trank gierig. Nicht nur, dass ich unglaublich durstig war. Den anderen Grund hatte ich oft genug genannt und es tat gut, dieses Kratzen loszuwerden.

„Wie lange … muss ich bleiben?“, brachte ich heiser heraus.

„Ein paar Wochen noch. In der Zeit darfst du aber Besuch empfangen, keine Sorge.“, antwortete der Arzt und ich nickte nur leicht. Der Schwarzhaarige lächelte mich zuversichtlich an.

„Ich werde dir ordentlich auf die Nerven gehen“, meinte er und seine spitzen Eckzähne blitzten auf. Vampir also … aus irgendeinem Grund verspürte ich nicht diesen Hass wie früher. Etwas musste passiert sein. Ich wusste nur nicht mehr, was. Und bei dem Versuch, mich daran zu erinnern, fing mein Kopf an zu schmerzen.

„Ich … ich hab keine Ahnung, wer du bist“, sagte ich ihm. Wie geschlagen zuckte er zusammen, blickte mich leidend an, verlor aber sein Lächeln nicht.

„Du … wirst dich schon daran erinnern“
 

Die Zeit im Krankenhaus verstrich. Ich konnte meine Eltern dazu überreden, mich nicht von der Schule zu nehmen. Zwar war mir nicht ganz klar, warum ich bleiben wollte, aber tief in meinem Inneren war dieser Wille da. Ich würde vermutlich bald eine neue Mitbewohnerin bekommen. Wenn ich so darüber nachdachte, wurde mir schlecht. Ich wollte mich nicht an jemand Neuen gewöhnen. Ich wollte meine Zeichnerin zurück, die öfter als alle Schüler zusammen gerechnet im Jahr krank war. Die diese widerliche Trinkschokolade aus der Cafeteria mit Tonnen von Zucker versüßte und runterschlang.

Um endlich von Dreck und Fett befreit zu werden, bat ich um ein Bad oder wenigstens eine Dusche. Als Gäste der Lecrunes, deren Maid ich anscheinend war, wie sich herausstellte, hatte ich das Privileg, auf ein Bad mit Badewanne zugreifen zu können. Ich benötigte zwar Hilfe, um das Wasser einzulassen, dahin zu kommen und meine Sachen auszuziehen, aber immerhin konnte ich mich alleine waschen. Zurück zum Bett brauchte ich natürlich auch wieder Hilfe.

Langsam musste ich mich auch wieder ans Essen herantasten. Am Anfang hatte es einen richtig bitteren Geschmack mit sich, doch dieser legte sich mit der Zeit. Ich musste noch alles verarbeiten, wie der Arzt meinte. Nachts wurde ich von Albträumen heimgesucht, welche immer sehr viel Blut beinhalteten. Am Tag besuchten mich gelegentlich Klassenkameraden. Meine Eltern kamen oft vorbei, sowie die Direktoren und deren Sohn. Er verbrachte besonders viel Zeit mit mir und versuchte, sich langsam wieder an mich ran zu tasten. Jedes Mal, wenn ich dachte, eine Erinnerung würde endlich zurückkehren, breitete sich ein unglaublicher Schmerz in meinem Kopf aus. Das ganze müsste also noch eine ganze Weile auf sich warten lassen.

Nachdem ich so gut wie es ging wieder bei Kräften war, durfte ich das Krankenhaus verlassen. Abgeholt wurde ich von den Lecrunes. Sie wollten sichergehen, dass ich wohlbehalten wieder in der Schule ankam. Auf dem Weg dorthin klärte mich Caleb auf.

„Wir konnten Yakeno und seine Leute stellen, bevor sie weiteres anstellen konnten. Gerade so. Ran und seine Leute haben das Gebäude gestürmt, zunächst Sei und mich aus deren Fängen befreit und sich dann um den Rest gekümmert. Nachdem wir ihren Anführer hatten, war alles einfach“

„Und Kira?“, fragte ich leise nach, doch der Vampir wich dem Thema gekonnt aus, indem er meine Frage ignorierte und einfach weiter redete. Das nahm ich einfach als Antwort.

„Jedenfalls haben wir angefangen, die Spitzel aus der Schule raus zu picken. Lucian hat die Namen entziffert. Viele sind von sich aus abgehauen, andere haben sich gestellt oder wurden vom Special Task Team fest genommen. Alles in allem sollte die Situation sich nun langsam wieder beruhigen“ Es war wirklich viel während meiner Abwesenheit passiert. Ich nickte dem anderen nur gelegentlich zu, während er redete und starrte die meiste Zeit über aus dem Fenster. Die Szenerie raste an uns nur so vorbei, bei der Geschwindigkeit verschwammen die Bäume vor meinen Augen. Ich war noch immer langsam, hatte nicht besonders viel Kraft, aber es ging mir schon etwas besser.
 

Mein Raum kam mir mit einem Mal viel zu groß vor. Leer. Und dennoch erdrückend. Es war so dunkel und still. Caleb hatte mich zwar begleitet, um mich nicht gleich wieder allein zu lassen, aber selbst seine Anwesenheit konnte dieses Loch nicht füllen. Ich sah zu der Couch, auf welcher Kira und ich vor kurzem noch gesessen und geredet hatten. Dann sah ich das leere Bett im nächsten Zimmer. Ich hatte mit ihr darüber gescherzt, es nicht kaputt zu machen. Und dass ich nicht mithelfen würde, es zu erklären und ein Neues aufzubauen, obwohl ich es trotzdem getan hätte. Missmutig setzte ich mich auf die Matratze, während der Vampir verloren im Raum stehen blieb.

„Soll ich … soll ich gehen?“, fragte er mich unsicher. Ich wusste nicht, ob es mir besser gehen würde, wenn ich alleine wäre. So oder so hing ich diesen Gedanken nach und er schien in meiner Anwesenheit nur zu leiden. Ich nickte leicht und verabschiedete sich daraufhin. Kaum hörte ich, dass er die Tür geschlossen hatte, erhob ich mich von meinem Bett und ging zu Kiras Schreibtisch. Ich war eigentlich nicht der Typ, der in den Sachen anderer herumschnüffelte, aber was sollte sie noch dagegen haben? Außerdem hatte sie nie etwas dagegen gehabt, wenn ich mir ihre Zeichnungen ansah. Ich öffnete die Schieber ihres Schreibtisches und holte die Zettel hervor, auf welcher sie verschiedene Charaktere skizziert hatte. Meine Charaktere. Die Jägerin, die verschiedenen guten Vampire. Ihre Feinde. Sogar den Palast. Sie war so unglaublich begabt und hätte es so weit gebracht. Ich setzte mich wieder hin und ging die Bilder durch. Manchmal musste ich schmunzeln, sie hatte auch ein paar recht lustige Szenen und Interaktionen zwischen den Charakteren gezeichnet, die so nie stattgefunden hatten, aber definitiv vor allem zu der Jägerin und dem Anführer passten.

Während ich die Zeichnungen so durch ging, bekam ich nur am Rande mit, dass die Tür aufgeschlossen wurde. Umso mehr zuckte ich zusammen, als sie ins Schloss fiel. Panik ergriff mich. Ich legte die Blätter weg und machte mich bereits auf alles gefasst. Hatten sie doch noch nicht jeden erwischt? Ich starrte zur Tür, mein Herz raste bereits. Ein brauner Schopf öffnete die Tür zum hinteren Zimmer und sah mich mit geweiteten Augen an.

„Wynne?“, brachte sie heraus, als ihre Stimme versagte. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. War sie es tatsächlich? Aber wie konnte das sein? Die Wunde musste tödlich gewesen sein!

„Kira!“, rief ich aus und eilte zu ihr herüber, schloss sie fest in meine Arme. Die Kleinere schluchzte auf und umarmte mich ebenfalls, konnte mich aber nicht oben halten, als meine Beine nachgaben und ich zu Boden ging. „Ich dachte … Ich … Ich dachte, er hätte dich umgebracht“

„Fast“, meinte meine beste Freundin und hockte sich zu mir. Ich musterte sie. Fast. Sie war dem Tod gerade so von der Schippe gesprungen! Ich lächelte sie an, zumindest kurz. Vorsichtig strich ich ihr auf einer Seite die Haare hinters Ohr und bemerkte, dass diese nun leicht spitz waren. Wie bei den Vampiren!

„Wie …?“, brachte ich gerade so heraus und starrte sie verwirrt an.

„Kentaro. Er hat mich verwandelt, um mich zu retten. Sonst … wäre ich nicht mehr hier“

„Du bist jetzt also eine von ihnen …“ Ich murmelte meine Worte nur. Früher hätte es mich abgeschreckt. Diese Abscheu existierte aus einem Grund nicht mehr, auch wenn ich mich nur ganz grob daran erinnern konnte, wer Sei war. Irgendjemand, der Kira sehr nahe stand. Ihr Freund höchstwahrscheinlich.

„Ich bin einfach froh, dass du noch lebst“, schluchzte ich. Meine Augen brannten und ich spürte erneut, wie die salzige Flüssigkeit über meine Wangen lief. Erneut schloss ich meine Freundin in die Arme und lachte unter den Tränen. Ich freute mich unglaublich.
 

Wir redeten miteinander, wie wir es immer taten. Sprachen über unsere Probleme. Sie erzählte mir von ihren ersten Tagen als Vampir und dass Sei ihr sein Blut anbieten musste, da sie als Jungvampir noch keine Konserven zu sich nehmen konnte. Zu Beginn musste sie es von ihm annehmen. Das ganze klang recht interessant, aber ich konnte mir nicht vorstellen, selber ein Vampir zu werden. Die Vorstellung war einfach nur bizarr.

Nachdem sie mit ihrer Erzählung fertig war, fing ich mit meiner an. Was ich gesehen hatte, wie es mir im Krankenhaus erging. Wer mich alles besucht hatte und dass ich mich nicht erinnern konnte.

„Schon wieder?“, hakte die Brünette sofort nach und ich sah sie verwirrt an.

„Wieso ‚schon wieder‘? Hatte ich das schon Mal?“ Kira nickte mir zu.

„Ja. Aber es war damals schlimmer. Deine Erinnerungen wurden verdreht und dein Hass auf Vampire gestärkt“ Sie stand auf und tigerte im Zimmer hin und her. Als hätte sie eine Idee, hob sie mit einem Lächeln den Zeigefinger und bat mich darum, kurz zu warten. Sie verabschiedete sich kurz und verschwand aus dem Zimmer. Verwundert wippte ich auf der Matratze hin und her, baumelte mit den Beinen und musterte die Wand. Um die Zeit zu überbrücken, nahm ich mir mein Smartphone und schrieb ein bisschen mit meinen Eltern und meinen Freunden zu Hause, bis Kira mir Caleb und einem anderen Schwarzhaarigen zurückkehrte, welcher sich als Sei entpuppte. Ja, das Gesicht konnte ich sogar ganz leicht zuordnen. Und so schnell konnte man sich wiedersehen, dachte ich mir nur, als ich den Sohn der Direktoren sah.

„Ich möchte, dass du dich von Caleb festhalten lässt“, bat Kira und wies Caleb an, sich zunächst neben mich zu setzen.

„Wieso?“, fragte ich nach und hob misstrauisch eine Braue.

„Um dich einfach nur zu halten. Ich habe das Gefühl, ich kann dir helfen. Ich hatte da … sowas wie eine Art Traum. Nennen wir es Eingebung“

„Und Sei?“

„Er ist da, falls mit mir etwas schief laufen sollte. Ich weiß nicht, wie weit ich es schon kontrollieren kann“ Ich seufzte, widersprechen konnte ich wohl schlecht, wenn sie mir schon anbot, meine Erinnerungen wieder zu richten. Ich setzte mich zwischen Calebs Beine, lehnte mich mit meinem Rücken gegen seine Brust, während mein Blick auf Kira verweilte. Ich merkte, wie sich seine Arme um mich legten, sanft, als hätte er Angst, mir weh zu tun. So zerbrechlich war ich nun auch wieder nicht, aber na gut. Kira lächelte mich zuversichtlich an, als sie sich vor uns stellte und jeweils zwei Finger an meine Schläfen legte.

„Schließ die Augen“, befahl sie mir sanft und ich gehorchte. Ich hörte noch, wie sie tief durchatmete, bevor ich regelrecht nach unten gezogen wurde.
 

Alles war dunkel. Kleine Scherben lagen vor mir. Ich hatte Angst, auf sie zu treten oder sie anzufassen. Dennoch war ich neugierig, wollte heran, wurde aber von einem unsichtbaren Feld davon abgehalten. Eine blitzartige Energie hielt mich davon ab, zu diesen Puzzleteilen zu kommen. Ich sah mich um, suchte nach einer Möglichkeit, hindurch zu kommen. Neben mir materialisierte sich eine Person. Braunes Haar, sanfter Gesichtsausdruck. Kira. Sie konnte sich in meine Gedankenwelt projizieren? Oder einschleusen? Keine Ahnung, wie ich es nennen sollte. Sie war da, stand im Geiste neben mir.

„Das sind die Scherben deiner Erinnerungen“, meinte sie und wollte voran, doch auch sie wurde von dem unsichtbaren Kraftfeld abgewiesen. „Super. Dieser Mistkerl hat es noch geschafft, ein Siegel auf deinen Geist zu legen.“ Ein Siegel? Deswegen kamen wir also nicht an das Puzzle heran. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es einen Weg um dieses Feld herum gab. Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht von der Stelle zu kommen schien, wenn ich versuchte, mich zu bewegen. Ganz eigenartige Sache mit der Gedankenwelt. Kira legte eine Hand dicht für das Kraftfeld und ich konnte erkennen, wie sich kleine Blitze an ihre Hand anschmiegten, sie jedoch nicht verletzten.

„Und was machen wir nun?“, fragte ich sie und verschränkte die Arme.

„Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein. Ich bin nicht dazu da, um Siegel zu lösen. Ich kann nur die Scherben wieder zusammensetzen. Dazu muss ich aber ohne Hindernis dran kommen.“ Ah ja, ganz große Klasse. Ich überlegte. Wir kannten bestimmt niemanden, der Siegel brechen könnte. Ich fing an, die Scherben genauer anzusehen. Auf manchen von ihnen spiegelten sich Bilder wieder, Bilder von ein und derselben Person: Caleb. Also hatte Yakeno genau meine Erinnerungen in Verbindung zu diesem Vampir ins Visier genommen? Wieso? Ich beugte mich näher heran, wollte immer mehr wissen, was mich mit diesem jungen Mann verband. Seine Nähe machte mir nichts aus. Als er mich vorhin so in den Arm genommen hatte, kam es mir vertraut vor. Ich fühlte mich wohl und geborgen. Stur lehnte ich mich immer weiter nach vorn, obwohl ich bereits das Siegel auslöste, welches versuchte, mich abzulehnen.

„Jetzt lass mich endlich in Ruhe und geb mir meine Erinnerungen wieder!“, maulte ich, legte meine Hände an das unsichtbare Feld und drückte dagegen, als ob es irgendetwas bringen würde.

„Mach weiter so!“, meinte Kira irgendwann. „Du machst irgendwas!“

„Hä?“, kam es nur von mir zurück und da hörte ich ein Knacken. Mein Blick ging nach oben, ein Riss hatte sich gebildet. War das tatsächlich ich? Okay. Ich atmete tief durch – Auch wenn das vermutlich total sinnlos war, da wir ja nicht in der echten Welt hingen – und presste meine Hände weiter gegen das Feld. Schmerzen verspürte ich keine. Da es meine Gedankenwelt war, hatte ich die Macht darüber, was mir Schaden zufügte und was nicht. Die Risse vermehrten sich immer weiter, irgendwann kamen sie an meinen Händen an. Das war der Moment, an dem ich mich dazu entschied, zum finalen Schlag anzusetzen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schlug ein, zwei Mal dagegen. Dies reichte aus, um das Siegel zu zerbrechen und uns Zugang zu meinen Erinnerungen zu gewähren.

„Klasse!“, lobte mich Kira sofort und wies mir an, nun zurück zu bleiben und ihr die restliche Arbeit zu überlassen. Hm, ich war also stark genug, um ein magisches Siegel zu lösen. Das war irgendwie cool, auch wenn ich mich wunderte, woher ich das überhaupt hatte. Ich beobachtete nun Kira welche sich vor den Scherbenhaufen stellte und ihre Arme hob. Mit ihren Armen erhoben sich auch langsam die Splitter, einer nach dem anderen und begannen, sich zu bewegen, wie von Zauberhand sich wieder zusammen zu setzen. Kira musste nicht viel tun, es benötigte nur vermutlich sehr viel Konzentration, meinem Gedächtnis ‚auf die Sprünge zu helfen‘. Ich stand nur da, konnte nur zusehen. Und je mehr Puzzle sich lösten, an umso mehr erinnerte ich mich. Caleb …
 

Mit meinen wieder zusammen gesetzten Erinnerungen konnte ich nun endlich sagen, dass es vorbei war. Ich hatte alles wieder, Yakeno hatte alles verloren. Selbst sein Versuch, meine beste Freundin umzubringen um mich zu brechen, hatte nicht geglückt. Nun hatten wir sogar einen sehr mächtigen Mitstreiter gegen all diejenigen, die Erinnerungen verändern könnten. Oder auch, wenn jemand an Gedächtnisschwund leiden sollte, wäre ihre Gabe äußerst hilfreich. Der einzige Nachteil war der, dass der Einsatz ihrer Kraft ihr noch sehr viel Energie raubte, da sie darin nicht geübt war.

Ich fühlte mich wieder wohl in meiner Haut. Ich hatte meine Freunde noch, konnte mich wieder an meinen Vampir, meinen Freund, erinnern, welcher mehr als nur erleichtert über die Tatsache war. In der Schule verbreitete sich die Nachricht über den Sieg gegen den Widerstand wie ein Lauffeuer. Jonathan und Lucian waren wieder mit ihren Frauen vereint, welche Gesund und Munter aus den Klauen der Opposition gerettet werden konnten. Wir kamen sogar noch einmal dazu, Ran zu danken. Er hatte es überhaupt möglich gemacht, dass wir alle lebend aus dieser Situation entkommen konnten. Ohne ihn, seine Fähigkeit und sein schnelles Handeln wären nicht nur Kira und ich zu Schaden gekommen. Sei hätte den Verstand verloren, so wie es eben geschah, wenn ein Vampir seinen Seelenpartner verlor. Caleb hätte man geschwächt und letztlich vermutlich ebenso in den Wahnsinn getrieben, indem man mich umgebracht hätte, wenn ich gerade am verletzlichsten war. Die Schule war nun hoffentlich frei von Spitzeln. Schüler würden nun untersucht werden, bevor sie an dieser Akademie zugelassen werden würden. Für die Direktoren stand Sicherheit an aller erster Stelle.

Die verschwundenen Schüler konnten nach und nach gerettet werden. Widerstandsmitglieder tauchten unter, doch man versicherte uns, dass sie nicht weit kommen würden. Das war das Ende der Widersacher der neuen Ordnung. Und der Anfang der ruhigen Jahre für uns an dieser Schule, denn vier hatten wir noch vor uns. Und diese würden wir nun mit neugewonnener Ruhe antreten.
 

Denn es war endlich vorbei.

Ein Massaker. Der Boden war blutrot gefärbt. Die Jägerin war sich nicht sicher, ob der Kampf ihre Sicht vernebelt hatte, aber auch der Himmel hatte diese Farbe angenommen. Sie lag da, auf dem Boden, inmitten von Leichen. Passend, dachte sie sich nur. Bald würde sie wohl eh zu ihnen gehören. Wie oft hatte sie einstecken müssen? Wie viele Wunden zierten ihren Körper? Wie oft hatte sie nachgeladen? Die Waffe gewechselt? Nun lag sie nur noch da, das Blut ihrer Gegner trocknete bereits an ihrem Körper, während ihr immer Kälter wurde. Zwar hatte sie sich durchgekämpft, aber sie war doch nur ein Mensch unter Vampiren gewesen.

„Du stirbst mir hier nicht weg, Jägerin“, zischte der Anführer neben ihr. Sein weißes Haar hatte eine leichte rötliche Farbe angenommen. Eigentlich hatte sie ihn als jemanden eingeschätzt, der sich von Kämpfen fern hielt. Aber wäre er nicht gewesen, hätte sie das Ende des Kampfes nicht miterlebt.

Das war doch das Ende, oder?
 

Da ich mich erholen sollte, beziehungsweise musste, wurde ich für die restliche Schulzeit freigestellt. Es stand mir ebenso frei, jederzeit zum Unterricht zu gehen, aber ich merkte selber, dass es mir dafür an Kraft fehlte. Die ersten Tage verbrachte ich noch im Bett, holte den Unterrichtsstoff der Tage dank den Notizen von Kira nach. Besuch gab es am Nachmittag. Ich hatte mich zwar im Krankenhaus schon so gut es ging erholt, aber die Nachwirkungen des Gedächtnisschwundes, ausgelöst von unserem Lieblingsvampir, schwächten mich noch.

Ich konnte mich aber nicht beschweren. Wir würden uns alle im nächsten Jahr wiedersehen, lebten alle noch, mehr oder minder mit einem Trauma als Souvenir. Meine Mitbewohnerin nahm ihre Nahtoderfahrung nicht so stark mit, auch wenn sie mir gelegentlich von Albträumen berichtete. Ich im Gegenzug hatte ziemlich zu kämpfen, sodass es mich wunderte, dass man mich bislang nicht in psychiatrische Behandlung gesteckt hat. Caleb half mir meistens mit seiner Gabe und auch mein erster Auftritt nach einigen Wochen in der Klasse benötigte seine Unterstützung. Das Getratsche hatte sich schon gelegt, dennoch kam ich nicht um einige Fragen drum herum. Bis zu den Sommerferien wurde zum Glück alles ruhig. Und auch vier Jahre zogen in die Lande.
 

In den ersten Sommerferien legte ich mir einen Nebenjob zu, um meinen Eltern nicht unnötig auf der Tasche zu liegen. Sie zahlten schon für meine Ausbildung, da wollte ich wenigstens so etwas Geld verdienen. So hatte ich einen Minijob in einem Bücherladen angenommen. Das gefiel meinem Vampir jedoch nicht. Er hatte gemeint, ich solle mich darauf konzentrieren, wieder zu Kräften zu kommen. Aber es ging mir bereits wieder gut, ich hatte mehrere Tage ohne Probleme durchgeschlafen.

Für die Sommerferien kehrten wir natürlich immer nach Hause zurück. Sechs Wochen wollte und konnte keiner dort verbringen, da man die Zeit nutzte, um den Campus zu säubern und für das nächste Jahr herzurichten. Das hieß auch, dass wir uns vorübergehend voneinander verabschieden mussten. Während ich arbeitete, musste sich Caleb weiterhin auf sein Erbe vorbereiten. Kira hingegen machte einen riesigen Schritt nach vorn in ihrer Künstlerkarriere. Ihr wurde ein Job über die Ferien angeboten, welchen sie auch während der Schulzeit weiterführen könnte. Sie wurde Konzeptzeichnerin für eine Videospielfirma. Da konnte man glatt neidisch werden. Mit Sei stand ich nicht ganz so in Kontakt wie mit den anderen beiden, da wir simpel und einfach vergessen hatten, Adressen auszutauschen oder unsere Tags durchzugeben. Über ein praktisches Programm, welches ich vor allem benutzte um mit meinen anderen Freunden in Kontakt zu bleiben und mit ihnen zu spielen, schrieb und redete ich nun mit den anderen. Der eine Vampir aber schien dafür doch etwas zu beschäftigt, das erfuhr ich zumindest von Kira.

Das zweite Schuljahr verlief ohne Zwischenfälle. Gelegentlich hörten wir davon, dass eine Basis des Widerstandes aufgelöst werden konnte. Ihr Einfluss schwand immer mehr. Währenddessen tauchte die Vampirin, die etwas mit Caleb zu tun hatte, immer öfter auf. Erst in den darauffolgenden Sommerferien, in welchen ich erneut in dem Bücherladen arbeitete, stellte sie sich mir vor.
 

Ich war gerade dabei, einige Bücher zu sortieren, welche unsere Kunden falsch zurück gestellt hatten. Es war nervig zu beobachten, manche taten es sogar absichtlich, das waren aber vorwiegend irgendwelche Jugendliche, die dachten, es wäre lustig.

An einem Tag entdeckte ich den mir nur allzu bekannten schwarzen Schopf am Eingang, neben ihm die verzottelten braunen Haare der Vampirin. Sie zitterte, sah sich nervös um und verschwand fast hinter Caleb, als sie den Laden betraten. Sein breites Grinsen konnte ich bis zur Sci-Fi-Abteilung sehen. Meine Kollegen, mit denen ich eingeteilt war, musterten die Gäste mit großer Neugier und waren überrascht, als beide auf mich zukamen.

„Heute nichts zu tun?“, fragte ich meinen Freund und stellte ein Buch zurück. Für manche Regale benötigte ich einen Hocker, um an die obersten Reihen zu gelangen. Das kam vor allem im Lager vor.

„Ausnahmsweise nicht. Ich habe frei bekommen, weil jemand mit dir reden möchte“ Der Schwarzhaarige trat beiseite und schob den anderen, verstört wirkenden Vampir nach vorn. Die Frau stand da, wie ich sie vor zwei Jahren bereits einmal vor dem Tor gesehen hatte – Die Hände vor der Brust, eine umfasst die andere. Der Kopf leicht eingezogen, insgesamt eine ängstliche Körperhaltung. Ich wusste nicht ganz, was ich sagen sollte, also musterte ich sie kurz und hob zur Begrüßung meine Hand, da sie nicht wie jemand aussah, der viel auf Händeschütteln gab. Oder überhaupt den Mut dazu hatte.

„Hallo …“, sprach sie leise, sah sich wie paranoid um, bevor sie mich anblickte und kurz die Augen weitete. „Du siehst ihm wirklich ähnlich“ Verwirrt blickte ich Caleb an. Wem sah ich ähnlich?

„Was meinst du damit?“, fragte ich sofort nach, mein Interesse war geweckt. Als hätte ich sie gerade verbal geschlagen, zuckte sie zusammen. Was war nur mit ihr? Caleb wollte den Mund nicht aufmachen.

„Uhm, ich sollte mich vielleicht erstmal vorstellen … Ich bin Leiah Claudine, Caleb’s Schwester“ Nervös kratzte sie sich hinter dem Ohr, kurz zuckte ein Auge von ihr. War sie verrückt? Sie hatte Anzeichen davon, dass sie psychisch labil war, durfte aber einfach so draußen herum laufen. Also durfte sie eigentlich keine Gefahr sein. „Dein Bruder war … damals mein Diener. Und … Seelenpartner“ Das musste ich erst einmal verarbeiten. Die Zahnräder in meinem Kopf ratterten. Mein Bruder war ebenfalls ein Seelenpartner einer Lecrune gewesen? Was für eine Verbindung hatten wir bitte zu dieser Vampirfamilie? Es erklärte natürlich, warum Caleb ihn kannte und warum er eine derartige Bitte an die Lecrunes gestellt hatte. Und irgendwie erklärte es auch, warum Yakeno und der Widerstand ihn kannte. Und als Seelenpartner eines Mitglied einer der führenden Familien wurde man natürlich zum Ziel dieser Organisation – So wie ich eben.

Eine Weile unterhielten wir uns, eher langsam, da Leiah große Probleme damit hatte, offen zu sprechen. Jedoch kam irgendwann meine Chefin auf mich zu und ermahnte mich, wobei Caleb einsprang und ihr eine Karte entgegen hielt. Sie staunte nicht schlecht, als sie herausfand, dass ich mit den Lecrunes in Verbindung stand. Für den Tag war ich also gerettet, aber auch nur, weil ich mit dem Erben und seiner Schwester sprach.
 

Nach diesem Tag wurde ich sowas wie eine Betreuerin für die ältere Vampirin. Sie hatte große Probleme sich zurecht zu finden. Ich wurde auch aufgeklärt, warum: Verlieren Vampire ihren Seelenpartner, macht sich nicht nur eine Leere in ihnen breit. Sie werden wahnsinnig, viele nehmen sich dabei das Leben, weil sie es ohne ihre andere Hälfte nicht aushalten. Es gibt aber eine Spekulation über das Thema Reinkarnation. Sollte ein Seelenverwandter wiedergeboren werden, müsste das Band wieder hergestellt sein. Das konnte bislang nur nicht bewiesen werden und man nutzte Leiah als eine Art Experiment. Die Arme tat mir leid.

Ich geriet in Panik, als sie ihren ersten Anfall hatte. Inzwischen wurde ich immer öfter in das Anwesen der Lecrunes eingeladen, welches nicht ganz so groß war, wie ich angenommen hatte. Die Frau schien mit einigen Dienern die Schultage über allein dort zu wohnen, nur gelegentlich sahen Ärzte nach ihr. Aber wenn sie einen Anfall hatte, musste schnell jemand zur Stelle sein.

Das erste Mal, als ich dabei war, erstarrte ich fast zu Stein. Es passierte ganz plötzlich. Wir wollten gerade zurück auf ihr Zimmer, ich musste langsam wieder nach Hause und mein Heimweg war nicht besonders kurz, auch wenn ich gefahren wurde. Mitten im Gang aber brach die Vampirin schreiend zusammen, raufte und riss sich Haare aus, was ihre Frisur erklärte. Wenn sie von ihren Haaren ablassen konnte, kratzte sie wie wild über ihre Oberarme, bis sie durch ihre Haut hindurch war und das Blut langsam hinunter lief. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Wie angewurzelt stand ich da, konnte mich keinen Millimeter bewegen, während Leiah sich auf den Boden krümmte, schrie und kreischte, gelegentlich lachte. Tränen bildeten sich in ihren Augen, bevor Caleb ihr zur Hilfe eilen konnte. Er hatte bereits Hilfe geholt, als er sich zu ihr hockte und sie in den Arm nahm, ihr beruhigend über den Rücken streichelte. Eine wirklich rührende Geste, wenn man im Nachhinein darüber nachdachte. Aber mich verstörte der Anblick der armen Frau. Und sie musste das alles nur durchmachen, weil man testen wollte, ob Reinkarnationen existierten.

Später erfuhr ich noch von meinem Freund, dass sie das Anwesen sichern mussten, sodass die Arme sich nicht das Leben nehmen konnte. Das ganze wurde von den Ärzten und einigen Wissenschaftlern überwacht, gelegentlich musste man sie dazu zwingen, Blut zu sich zu nehmen, da sie sonst sterben würde. Mir gefiel die Sache vorne und hinten nicht.
 

Ich gewöhnte mich zwar nach und nach an die Angelegenheit, es verstörte mich weniger, aber gleichzeitig regte es mich auch immer mehr auf, warum man ihr etwas derartiges antun musste. Die Jahre über half ich also dabei, dass man sich um Leiah kümmerte. Als Schwester ihres Seelenpartners bekam ich wohl schnell einen besonderen Platz in ihrem Herzen, denn Caleb meinte, dass es sehr selten war, dass sie lachte. Und ich musste sagen – Wir lachten nicht nur zusammen, wir redeten mit der Zeit auch viel mehr als früher. Ich durfte sogar manchmal Kira mit einladen, wir unternahmen ein paar kleinere Ausflüge, immer in Begleitung mit einem ausgebildeten Bodyguard von Leiah, und kümmerten uns um die Vampirin. Meine gute Freundin machte es sich dabei zur Aufgabe, ihre Haare zu richten. Noch immer hatte sie den Tick, es nicht sehen zu können, wenn jemand eine zerstörte Frisur hatte. Da war es klar, dass sie sich darum kümmern würde.

Leiah öffnete sich uns zweien und obwohl sie ihre Anfälle noch immer hatte, nahmen diese nach und nach ab. Ihre Offenheit ging sogar so weit, dass sie es schaffte, vor mir ein Geheimnis zu haben. Dass etwas ausgeheckt wurde, merkte ich. Sie konnte sich das Kichern nicht verkneifen und wurde manchmal ganz leise von Kira ermahnt.

Es waren bereits die vierten und letzten Sommerferien. Nach diesen würden wir unser letztes Jahr an der Schule antreten. Sei hatte seinen Abschluss bereits und wurde offiziell in seiner Arbeitswelt vorgestellt. Wie ich zudem mitbekommen hatte, möchte er den Eid seiner Familie gegenüber den höheren Familien neu schwören, doch diesmal den Lecrunes gegenüber. Als baldiges Oberhaupt der Yarias-Familie war es sein gutes Recht, immerhin war ihr Dienst den Familien gegenüber freiwillig und er könnte selber wählen, wem er dienen wollte. Kira wurde auf der Feier bei Sei’s Einstieg ebenfalls vorgestellt – Als zukünftiges weibliches Oberhaupt der Familie Yarias. Die Arme war vor dem Publikum puterrot angelaufen.

Um ihr einen Antrag zu machen, bat der Vampir Caleb und mich um Hilfe. Sie durfte davon nichts erfahren, weswegen ich sie ablenken musste. Verdacht schöpfte sie keinen, immerhin hatte ich ihr angeboten, ihr dabei zu helfen, die Gabe weiter auszubauen. Sie hatte nicht sonderlich viel Training die Jahre über gehabt, aber manchmal wurde sie bei besonders schlimmen Fällen um Hilfe gebeten. Das schwierigste war, das Vertrauen der Person dabei zu bekommen, damit sie einen auch an die Erinnerungen lassen. Da tat mir Kira schon leid, aber die Brünette war eine sanfte Persönlichkeit und das merkten die meisten Patienten auch recht schnell.

Bei mir übte sie, den Zugriff zu bekommen und die Gedanken anzuordnen. Derjenige, der sie zerstören konnte, war zum Glück hinter Schloss und Riegel und momentan in Betreuung, da er komplett den Verstand verloren hatte. Seine Schwester äußerte sich damals nicht dazu, hatte nur enttäuscht den Kopf geschüttelt, sonst aber nichts von ihrer fröhlichen Art abgelegt.

Das ganze endete darin, dass ich eine Nachricht bekam, mit Kira zurück zu kehren. Sei empfing uns am Eingang zu seinem Heim, doch ich verabschiedete mich zusammen mit Caleb, um die beiden nicht zu stören. Mein Vampir erzählte mir auf dem Weg nach Hause, dass der andere Erbe den Garten so hergerichtet haben wollte, wie Kira es einmal auf einer ihrer Zeichnungen illustriert hatte. Sie fantasierte gerne über die verschiedensten Dinge, das wusste ich bereits. Auch über so etwas, aber diese Zeichnungen versteckte sie meist so schnell wie möglich. Sei musste sie also inzwischen so gut kennen, dass er ihre Verstecke finden konnte. Interessant!

Die ganze Aktion gab mir natürlich auch zu denken. Ich wurde bereits den Familien und deren Untergebenen als Freundin und Seelenpartnerin von Caleb vorgestellt. Da ich noch ein Mensch war, würde mein Eintritt in ihre Gesellschaft schwieriger verlaufen und ich hatte dem Schwarzhaarigen auch klipp und klar gesagt, dass ich bis zu meinem Abschluss nicht verwandelt werden möchte. Er hatte meine Entscheidung akzeptiert, doch das hielt mich nicht davon ab, nervös zu werden. Die Vorstellung seiner und meiner Wenigkeit fand nämlich ebenso in den vierten Sommerferien statt, also ein Jahr, bevor ich verwandelt werden sollte. Ungefähr. Seine Eltern schienen zuversichtlich, seine Schwester ebenso. Ich aber hatte meine Zweifel, auch wenn ich mich sogesehen behauptet hatte. Es war kein Geheimnis unter den Familien, dass wir als Gruppe den Widerstand stellen konnten. Zwar hatte das STT dann alles übernommen, aber wir hatten zu den wichtigsten Schritten beigetragen. Und zur Hölle, ich habe gegen deren Anführer gekämpft! Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, von allen Vampiren akzeptiert zu werden, allein aus dem Grund, weil ich eben noch ein Mensch war. Ich könnte viel zu einfach sterben und die Lecrunes für viele Jahre ohne einen Erben zurück lassen. Doch das würde Caleb nicht zulassen.

Um Caleb der Gesellschaft der Nacht vorzustellen, wurde auf deren Anwesen - nicht in dieser Party-Villa, welche ich in den letzten Jahren auch öfter besucht hatte – gehalten. Es wurden dementsprechend weniger Leute eingeladen, nur die Personen in den wichtigen Positionen und nahe Freunde sowie Verwandte. Dementsprechend stand es auch mir frei, Kira und Neva einzuladen, welche es sich an dem Abend zur Aufgabe machten, mich herzurichten. Als ich vor den beiden fliehen wollte, hielt mich dabei Xenia Lecrune auf, welche mir für diesen Abend ein Outfit zusammengestellt hatte. Ein schwarz-rotes Kleid, wie kaum anders zu erwarten von dieser Familie. Es hatte keine Träger und musste dementsprechend eng geschnürt werden, dafür aber war es lang genug, sodass ich in flachen Schuhen laufen durfte, ohne dass es auffiel. Als Teil der Gastgeber musste ich entsprechend auftreten, darum kümmerten sich Kira und Neva, welche meine Haare und mein Make-Up übernahmen, als wären sie Angestellte.

Das Anwesen war ebenfalls hergerichtet wurden und war kaum wieder zu erkennen. Das sonst so dunkle Interieur wurde zum Anlass festlicher und heller gestaltet. Die Gäste erschienen in den verschiedensten Farben, sogar Leiah putzte sich heraus und wie ich mitbekommen hatte, war das ein sehr seltener Anblick. Angesichts der Tatsache jedoch, dass man Caleb nun den höchsten Vampiren vorstellen würde, machte es aber auch Sinn, dass sie sich aus ihrem Zimmer begab.

Als Maid stand ich eher hinten, beobachtete das ganze Geschehen vorsichtig und versuchte herauszuerkennen, ob es Probleme geben würde. Wir standen auf einer Art Bühne, wohl eher eine schnell abbaubare Erhöhung, von welcher aus die Familienmitglieder nacheinander eine Rede hielten und den jungen Vampir in ihren Kreisen willkommen hießen, ihre Erwartungen an ihn preisgaben und auch ihre Freude äußerten, dass er sich die letzten Jahre so gebessert hatte. Manchmal wurde auch ich erwähnt, mir wurde für meine Hilfe gedankt und man hoffte darauf, dass ich auch nach dem Abschluss an der Akademie meinen Dienst in der Familie fortführen würde. Ich schluckte zwar schwer, nickte den anderen dennoch mit einem Lächeln zu. Ich durfte mir nicht anmerken lassen, dass mir das Herz in die Hose rutschte.

Als letztes trat nun auch Caleb nach vorn, ganz in seiner feierlichen Tracht, die Haare ordentlich gekämmt und im Nacken zusammengebunden, Piercings entfernt bis auf den Federohrring und natürlich im Anzug. Man musste schon zugeben, dass ihm dieses edle Aussehen äußerst stand.

„Man könnte mich jetzt wohl als einen Erwachsenen in dieser Welt betrachten, was? Mit 23 Jahren. Fällt euch ein bisschen spät ein, nicht?“, scherzte er zur Einleitung und die Gäste kicherten leise. „Aber sei’s drum. Vor einigen Jahren hatte ich nicht einmal Lust, irgendwann hier vorne zu stehen und später sogar die Verantwortung meiner Eltern zu übernehmen. Und jetzt bin ich doch da und habe nicht das Bedürfnis, wegzurennen und das alles hinter mir zu lassen. Ich kann aber auch nicht sagen, dass ich diese Wandlung ohne Hilfe durchgemacht habe. Um ehrlich zu sein hat mir meine Maid und Freundin dermaßen Feuer unter dem Hintern gemacht, dass ich keine andere Wahl hatte als mich mit dem Thema zu befassen. Mir wurde klar, dass die Arbeit nicht einfach werden würde. Aber ich weiß nun auch, dass ich das alles nicht alleine machen muss“ Er drehte sich zu mir, ich stand nicht weit hinter ihm, mein Blick ging ebenfalls auf ihn, weg von den Gästen. Ich hatte ihm schon vor einer ganzen Weile gesagt, dass ich seine Familie nicht im Stich lassen würde. Und dass er sich ohne mich doch sowieso langweilen würde. „Deswegen hoffe ich doch, dass du uns weiterhin erhalten bleibst. Mir jedoch nicht als Maid, sondern als Frau“ Moment … was? Mein Herz setzte für einen Moment aus und dem Grinsen in seinem Gesicht nach zu urteilen musste ich ihn nicht nur überrascht anstarren, sondern auch rot angelaufen sein. Er drehte sich vollends zu mir, blickte auf mich herunter, während er mit einer Hand in seine Jackentasche griff und eine kleine Box hervorholte. Oh nein, das tat er doch nicht wirklich!

„Schau doch nicht so“, meinte er mit einem Schmunzeln. „Ich möchte dich hiermit fragen, ob du mich heiraten willst“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also, eigentlich wusste ich es ja schon, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Perplex sah ich kurz zu der Box, die er nun öffnete und mir einen schmalen Ring mit einer eingravierten Rose offenbarte. Das Familiensiegel der Lecrunes. Meine Hände zitterten, alles um uns herum wurde still. Als Seelenpartnerin von Caleb stand meine Entscheidung zwar schon fest, aber es auszusprechen … darauf wartete er gerade. Vorsichtig nahm er meine Hand und strich mit den Daumen über meinen Handrücken. Er musste meine Aufregung gerade spüren.

„Ich …“, kam es aus mir heraus, bevor ich den Kopf schüttelte, damit mir endlich wieder Worte in den Sinn kamen. „Natürlich will ich das!“ Ich lachte leise, beobachtete noch, wie er mir den Ring ansteckte und wie auffällig er auf meiner Haut aussah, bevor ich dem größeren Vampir um den Hals fiel. Dieser Idiot! Ich hörte Applaus, doch die Gäste blendete ich aus. Vor den Augen der anderen gab er mir noch einen Kuss, um das Ganze zu besiegeln. Ich war nun offiziell mit Caleb Lecrune verlobt und ein weiterer Schritt in meine Zukunft war getan. Den Abend über nahmen wir Glückwünsche entgegen, sogar Leiah umarmte mich und freute sich darauf, mich bald als Schwägerin begrüßen zu dürfen. Es dauerte für mich eine ganze Weile, bis ich überhaupt realisierte, was passiert war. Doch selbst so, selbst als sein Seelenpartner und seiner Verlobten hieß es noch lange nicht, dass die vampirische Gesellschaft mich ohne Kritik anerkannte. Das größte Problem war für sie tatsächlich, dass ich noch ein Mensch war. Ich war noch in Gefahr, eines einfachen Todes zu sterben. Doch das würde mich nicht davon abhalten, das letzte Jahr an der Akademie als Mensch abzuschließen. Und das könnte meinetwegen kommen.

Das neue Schuljahr brach über uns herein. Überraschend war es nicht, immerhin hatten wir uns Tage vorher schon darauf vorbereitet. Als Abschlussjahr hatten wir weniger theoretische Stunden, sondern mehr praktische, welche uns auf das Leben in einer Gesellschaft mit Vampiren vorbereiten sollte. Die vorherigen fünf Klassen wurden inzwischen zu zweien zusammen gelegt, man spürte also, dass es schwierig wurde. Dieses Jahr sollte nicht anders werden, immer öfter sahen wir Cécilia im Unterricht, welche die Übungen leitete. Als Lehrerin für Etiquette hatte sie die beste Erfahrung dafür, wobei viele Lehrer auch schon alleinig auf ihr eigenes Können vertrauten und sie nur noch zu Rate zogen, wenn sie gar nicht mehr weiter wussten.

Im letzten Jahr wurde uns ein neues Fach vorgestellt: Rassenkunde. Verwirrt hatten wir die Brauen zusammengezogen. Wir sollten doch eigentlich bereits so gut wie alles über einander wissen. Doch wurden wir eines besseren belehrt, als wir erfuhren, dass es hierbei nicht nur um Menschen und Vampire, sondern darüber hinaus ging! Ich war positiv überrascht. Also war es tatsächlich so, dass noch andere Wesen unsere Welt besiedelten. Am ersten Tag hatte ich ein wenig durch das Buch geblättert und einige interessante Rassen entdeckt, darunter Gestaltenwandler und Engel. Engel! Ich konnte gar nicht glauben, dass diese reinen Wesen unter uns weilen sollten. Müssten sie mit den Wesen der Nacht nicht verfeindet sein? Es wunderte mich, dass es da keine Konflikte gab, welche sich auf unsere normale Welt übertrug.

Rassenkunde war nicht das einzige, was uns vorgestellt wurde. Nicht nur, dass vor 3 Jahren mein Ex an diese Schule gekommen war – Was am ersten Tag ein ziemliches Drama gegeben hatte, da Caleb sich an mich kleben musste – nein. Wir bekamen im aller letzten Jahr einen neuen Mitschüler. Er war groß und gut gebaut, hatte mittellange dunkelbraune Haare und goldenen Augen. Sein Blick huschte kurz über die Klasse, er lächelte uns – seine neuen Klassenkameraden – an, bevor er sich vorstellte.

„Mein Name ist Vincent Rannoch. Ich bin bereits 27 Jahre alt, dementsprechend eigentlich nicht mehr im Alter für diese Schule. Jedoch erlitt ich kurz vor meinem Abschluss einen furchtbaren Rückschlag mit meiner Krankheit, weswegen ich gezwungen wurde, mich für einige Jahre zurück zu ziehen. Mir wurde es nun endlich erlaubt, meine Ausbildung hier zu beenden. Ich hoffe, wir werden gut miteinander klar kommen“ Vampire und Krankheiten? Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Dieser Mann kam mir sehr verdächtig vor, doch eigentlich sollten wir nicht mehr in Gefahr schweben. Er setzte sich auf den einzigen freien Platz neben Neva. Diese drehte sich kurz zu Kira und mir um, hob beide Hände und zeigte mit einem breiten Grinsen beide Daumen nach oben. Da war wohl jemand begeistert, einen scharfen Sitznachbarn zu haben. Ich verdrehte nur die Augen und lachte in meine Handfläche, während meine Nachbarin sich eine Hand gegen die Stirn schlug. So war Neva eben.

Unsere erste richtige Unterrichtsstunde in Rassenkunde ließ nicht lange auf sich warten. Da Fächer wie Geschichte und alte Sprachen immer weiter nach hinten rückte, hatten wir mehr Zeit, um uns um das Unerkundete zu kümmern. Und das interessierte mich wirklich unglaublich.

Wie wir lernten, gab es neben uns noch einige andere Rassen. Unser erstes, sehr kurzes Thema waren die Werwölfe. In den Legenden der Menschen handelte es sich hierbei um mutierte Angehörige unserer Rasse, welche sich bei Vollmond gegen ihren Willen in Wölfe verwandelten. Literatur hatte diese Wesen bereits auf alle mögliche Arten und Weisen auseinander genommen. Hier behandelten wir nun, dass Werwölfe durchaus die Möglichkeit hatten, ihre Verwandlung zu kontrollieren. Es war aber so, dass sie ihre wahre Stärke nur bei Vollmond bekamen. Und diese Transformation in einen vollwertigen Wolf konnte man sich gleich mit in die Haare schmieren. Diese Wesen konnten auf zwei starken Hinterläufern stehen und ihre vorderen Pfoten wie Hände und Waffen benutzen. Ihre Krallen und Zähne waren unglaublich stark und konnten sich mit Leichtigkeit durch Knochen schneiden. Zu ihren Schwächen gehörte, wie in den Legenden, Silber. Sei es nun ein Geschoss, was am praktischsten war, um einen Werwolf sofort auszuschalten, oder simpler Schmuck, welcher auf ihrer empfindlichen Haut brannte. Leider war es schon so, dass die Aufzeichnung des letzten verbliebenen Werwolfs viele Jahrhunderte zurück lag und man davon ausging, dass diese Rasse ausgestorben war. Schade eigentlich, ich hätte gerne einen getroffen. Es hieß sogar, dass sich Werwölfe und Vampire gar nicht so stark bekriegten, wie man es immer geschrieben sah. Sie verstanden sich auf einer geschäftlichen Ebene sogar sehr gut, doch ihre Wandlung machte vielen anderen Wesen Angst, weswegen sie oft Opfer von Tötungen und Jagden wurden, vor allen im Dunklen Zeitalter.

Ich betrachtete besonders die Zeichnungen an den Seiten. Werwölfe sahen wirklich bedrohlich aus, wie langgezogene richtige Wölfe, welche auf ihren Hinterpfoten standen. Es stand geschrieben, dass sie über 2 Meter groß werden konnten, was ziemlich beeindruckend war.
 

Der Neue in unserer Klasse fing ziemlich schnell an, sich in unsere Vierergruppe einzumischen. Es war nicht so, dass irgendjemand von uns ihn nicht mochte, ziemlich im Gegenteil sogar. Er war ein sehr sympathischer Geselle, aber die Sache mit der Krankheit gab mir zu denken. Ich wartete nicht darauf, konfrontierte ihn damit sogar direkt, um ihn aus dem Konzept zu bringen, sollte er das ganze nur erfunden haben. Er aber erwiderte meine Frage mit einem vorsichtigen Lächeln und hob die Hand, welche von einem Handschuh bedeckt war. Das war mir vorher gar nicht aufgefallen.

„Um ehrlich zu sein, hatte oder habe ich die Sonnenkrankheit“, erklärte er. Sonnenkrankheit? Das klang nach einer sehr schlechten Erfindung meiner Meinung nach. Jedoch schaltete sich mein Verlobter schnell ein, indem er das Wort erhob. Er musste mein Misstrauen dem Neuen gegenüber spüren.

„Die Sonnenkrankheit ist eine extreme allergische Reaktion auf die Sonne, zurück zu führen auf unsere früheren Tage, als unsere Haut sich noch auflöste, wenn wir zu lange in der Sonne waren. Einige Nachkommen der Urvampire haben eine Tendenz dazu, an der Sonnenkrankheit zu leiden. Das bedeutet, dass sich die Haut auf den Status von vor vielen tausend Jahren wie zurück setzt und wieder dermaßen empfindlich dem Sonnenlicht gegenüber wird. Sollte man in der Zeit nach draußen gehen, stirbt man schneller, als man sich retten kann“ So war das also mit dieser Sonnenkrankheit. Die ganze Angelegenheit mit ihrer Immunität und Empfindlichkeit der Sonne gegenüber war sowieso ganz eigenartig. Als junger Vampir, so galt man bis zum 15. Lebensjahr als Vampir, hatte Kira diese Probleme noch nicht so extrem, vor allem da sie früher ein Mensch gewesen war. Es hieß zwar, dass es auch genau anders herum ausgehen könnte, aber das war wohl eher seltener der Fall bei Verwandelten. Geborene hatten öfter eine stärkere Empfindlichkeit und Babys sollte man im Allgemeinen eine Weile lang von der Sonne so gut wie möglich fernhalten, bis Tests gemacht wurden. Das ganze klang so unnötig kompliziert, dass ich es mir nach meiner Verwandlung noch viel weniger vorstellen konnte, mit Caleb ein Kind zu kriegen. Ich hätte unglaubliche Angst davor, das Kind wegen einer Dummheit zu verlieren! Zum Glück waren seine Eltern bislang nicht auf das Thema gekommen. Das lag vermutlich auch daran, da sie selber bis zu ihrem ungefähren 200. Lebensjahr nicht an Nachwuchs gedacht hatten. Diese Zahlen waren immer noch unglaublich für mich. Ein Mensch war schon sehr alt, wenn er an die 100 heran kam. Von 200 oder höher konnten wir nur träumen.
 

In aller Ruhe zogen sich die ersten Monate dahin, wir lernten viel über die anderen eher unbekannten Rassen, zu welchen auch Gestaltenwandler, Dämonen und Elfen zählten. Der Grund für die Vermischung der Rassen war bislang noch nicht geklärt, es soll jedoch gewisse Wesen, unbekannte Wesen, geben, die darüber Bescheid wussten. Doch diese konnten aufgrund ihrer Tarnung noch nicht ausfindig gemacht werden.

Vincent lebte sich indessen sehr gut in unsere Klasse ein. Er wurde schnell zum Musterschüler, was einige andere Klassenkameraden zwar aufregte, aber diesem sympathischen und freundlichen Bündel an Vampir konnte man nicht böse sein. Das ganze kam mir aber auch immer seltsamer vor. Mit diesem Gefühl war ich nicht allein, auch Neva meinte zu mir, sie könne meinen, er habe ein Geheimnis vor uns. Caleb, der sowieso aufgegeben hatte, meinem Sturkopf zu widersprechen, seufzte auf meine Annahme nur hin. Sollte sich etwas bewahrheiten, würden wir es sowieso herausfinden. Bei aller Herrgotts Namen, wir hatten eine mörderische Operation aufgelöst. Oder zumindest dabei mitgeholfen, und das hatte auch schon sehr viel Wert. Unser Klassenkamerad hatte auch von der Geschichte gehört, die sich wie verrückt vor allem in der oberen Schicht der Vampire herumgesprochen hatte. Und zu dieser sollte er angeblich auch gehören.
 

Der Winter war wieder da und es war Zeit, uns langsam auf unsere Prüfungen vorzubereiten. Da wir die Abschlussklassen waren, hatten wir ein kürzeres Schuljahr und dementsprechend mehr Stress. Was das Ganze noch verschlimmerte war ein Aushang in der Schule:
 

Das Betreten des linken Flügels ist für die nächste Woche untersagt. Der Unterricht für die Klassen wird in die übrigen leeren Räume, die Cafeteria und den Saal verlegt.
 

Das kam ziemlich plötzlich, auch unsere Lehrer standen verwirrt vor dem Anschlagbrett und musterten den ausgedruckten Zettel. Es gab keinen bekannten Grund dafür, am Vortag war alles noch beim besten gewesen. Vincent, welcher dafür bekannt war, immer ein paar Minuten zu spät zu kommen, erschien ebenfalls bei unserer kleinen Gruppierung bestehend aus Kira, Neva, Caleb und mir und musterte kurz den Zettel.

„Oh“, meinte er nur, schien von und allen aber nicht sonderlich überrascht. Oder er war einfach gut darin, es zu kaschieren. Er kratzte sich mit einem Finger an der Wange, bevor er sich uns zuwandte und die Schultern nach oben zog. „Das klingt nicht gut“ Da musste ich ihm zustimmen. Wäre etwas gewesen, hätte Caleb es als erster erfahren und ich sofort daraufhin. Aber in letzter Zeit kam es mir so vor, als würden sich innerhalb dieser Mauern immer mehr Geheimnisse aufbauen, in die wir einfach nicht eingewiesen wurden. Und das wiederrum störte nicht nur mich. Auch mein Vampir hatte seinen Missmut mir gegenüber zugegeben.

Dass etwas im Busch war, erfuhren wir aber bald. Der Unterricht im Saal zog sich hin wie zäher Kaugummi, dafür ersehnten wir die Pausen umso mehr. Diese verbrachten wir meist zusammen entweder in der Cafeteria, auf dem Flur oder dem Hof, obwohl es momentan ziemlich kalt war. Ich beneidete die Vampire darum, Temperaturen nicht so wahrzunehmen wie Menschen. Kira hatte mit gegenüber auch zugegeben, dass es wirklich angenehm war, sich nicht mehr individuell an die Jahreszeiten anpassen zu müssen.
 

Als wir gerade wieder im Hof saßen und uns über die letzte Stunde unterhielten, erschienen mehrere weiß gekleidete Gestalten am Eingangstor. Sie vermischten sich fast mit dem Schnee, ihre eisblauen zu Schlitzen verengten Augen sahen starr nach vorne. Sie wartete darauf, dass ihnen jemand das Tor öffnete, sie selber fassten das kalte Metall nicht an sondern ließen ihre Hände in dem jeweils anderen Ärmel ihrer Kutte, mit deren Kapuze sie ihr Haupt bedeckten. Es waren fünf an der Zahl und einer unserer Lehrer rannte herüber zum Tor, um dieses so schnell wie möglich zu öffnen. Er verbeugte sich vor ihnen. Wichtige Gäste? Sie hatten sich anscheinend nicht angekündigt, sonst hätte man sie am Tor bereits erwartet. Ich sah zum Schulgebäude, die Direktoren kamen gerade angerannt und blieben neben uns stehen. Xenia blickte uns an, deutete auf Caleb und mich und meinte nur im strengen Ton, dass wir ihr ins Büro folgen sollten. Ihr Mann hingegen eilte herüber zu unserem Lehrer und geleitete die fünf eigenartigen Gestalten über den Schulhof.

„Weißt du, was los sein könnte?“, fragte ich Caleb im Flüsterton, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Also hatte man ihn auch nicht eingeweiht. Ich war gespannt, was uns nun erwarten würde. Den schweren und lauten Schritten der Direktorin nach zu urteilen, vor allem der Schnelligkeit nach, in welcher wir zum Büro gebracht wurden, musste es sich um etwas ernstes handeln. Außerdem hatte sie keinen Ton zu uns gesagt, sodass wir nun erwarteten, endlich aufgeklärt zu werden. Im Büro setzte Xenia sich hinter ihren Schreibtisch und fuhr sich mit einem Seufzen mit beiden Händen durchs Gesicht. Das Auftauchen der Fremden musste sie ordentlich gestresst haben. Ich überlegte, zu fragen was los sei, unterließ es aber letztlich und verließ mich darauf, dass wir es sowieso gleich erfahren würden. Nach einer Handbewegung der Direktorin, mit welcher sie auf das Sofa hinter uns deutete, setzten wir uns. Nach und nach wurden Stühle in den Raum geschafft um den Besuchern ebenfalls genügend Sitzplätze zu bieten. Nicht lang nachdem der letzte Stuhl gebracht wurde, betrat Antoine mit den fünf Fremden das Büro. Mit einer flüssigen Bewegung schlängelte er sich an den Stühlen vorbei, bot den Herrschaften an, sich zu setzen, was sie auch prompt taten. Einige Blicke fielen auf Caleb und mich, doch davon ließ ich mich nicht einschüchtern. Sie versuchten es, wollten uns womöglich loswerden. Sie wussten wohl nicht, wenn sie gerade vor sich hatten.

Miss Lecrune legte beide Hände mit den Fingern ineinander verschränkt auf den Tisch und lächelte die Fünf schwach an.

„Was verschafft uns die Ehre?“, fragte sie mit einem leicht genervten Unterton, die die anderen gekonnt ignorierten und sofort zur Sache kamen. Derjenige, der uns vorher hinter dem Tor schon gemustert hatte, erhob seine Stimme.

„Ich würde doch von den mächtigen Vampiren erwarten, dass sie ihre Angelegenheiten schnell und leise klären“, zischte er die Direktoren an. „Mitarbeiter von uns verschwinden und tauchen tot wieder auf. Ich dachte eigentlich, dass ihr euer Problem vor vier Jahren geklärt hättet“ Xenia kniff sich in den Nasenrücken und wollte antworten, doch der andere sprach einfach weiter: „Wir haben langsam die Nase voll, Xenia. Eure Freunde konnten uns keine Auskunft geben. Wir wollen, dass ihr diesen Fall so schnell wie möglich klärt und eure ‚Opposition‘ aus dem Weg schafft, sonst kappen wir nicht nur jegliche Stränge mit euch, sondern werden beobachten, wie ihr in der nächsten Ecke verrottet, wie die Werwölfe“ Die Frau neben ihm kicherte mit vorgehaltener Hand.

„Die großen und mächtigen Vampire sterben aus wie die Werwölfe. Wie peinlich ist das denn! Dabei sind sie momentan doch fast die Spezies, die neben den Menschen am meisten vertreten sind!“ Ich konnte sehen, wie der Direktor sich anstrengte, nicht laut zu werden. Bei ihm platzte ja fast eine Ader, so sehr hielt er sich gerade zurück. Er stand hinter seiner Frau an der Wand gelehnt, die Arme verschränkt und starrte die Fünf nur an.

„Entschuldigung“, mischte ich mich nun ein, immer noch unwissend, um was es eigentlich ging. „Könnte man uns mal verraten, was hier gerade abgeht?“ Der kleinste von den reinen Wesen drehte sich zu mir um. Seine eisblauen Augen blitzten auf und eine Strähne seines weißblonden Haares fiel ihm ins Gesicht. Das mit dem Rein war wirklich kein bisschen untertrieben.

„Ihr habt jemanden zu diesem Gespräch mitgenommen, der nichts von alldem weiß? So langsam frage ich mich doch, wie tief ihr ‚Oberen‘ gesunken seid“

„Wir wollten sie davon fernhalten“, konnte Xenia nun endlich auch mal sagen und schnaubte wütend. „Sie haben bereits genug durchgemacht in dieser Angelegenheit. Falls ihr es wissen wollt: Das sind unser Sohn Caleb und seine Verlobte Wynne, die zwei, welche eigenhändig gegen de Widerstand vorgegangen sind“

„Aaah …“, machte nun der Kleinste und kratzte sich am Kinn. „Also die Frau, die sich immer entführen ließ und ihr Gedächtnis zerstört bekam und der junge Vampir, der mit körperlicher Stärke nichts gegen einen psychisch Labilen ausrichten konnte.“ In mir platzte gleich etwas. Ich wollte diesen vorlauten Idioten anbrüllen, doch stattdessen konzentrierte ich mich darauf, Caleb zu beruhigen. Auch er kochte vor Wut, wäre diesen eingebildeten Blödel sogar angesprungen, doch das hätte uns in diesem Moment nicht geholfen. Ich schnappte mir seine Hand und hielt sie so fest es mir möglich war, damit er nicht plötzlich aufsprang und ein Blutbad verursachte. Der Junge musste seine Wut spüren, denn er schnaubte nur mit einem hämischen Grinsen und drehte sich wieder um. Was für Arschlöcher!

„Jedenfalls“, fing Xenia wieder an und wandte sich diesmal an uns. „Wie es scheint, gibt es ein Problem mit dem Widerstand“

„Um genau zu sein“, unterbrach der Anführer der Fünf sie ungehobelt und drehte sich diesmal ebenfalls zu uns um, um uns anschauen zu können. Er schnalzte kurz mit der Zunge, bevor er fortfuhr. „Euer sogenannter Widerstand fängt an, sich in unsere Angelegenheiten einzumischen. Wir beschäftigen keine Vampire, nur Menschen, weswegen es uns gehörig gegen den Strich geht, dass ihr schlicht und einfach zu dumm seid, den Anführer auszumachen, wenn ihr bereits mehrmals die Geheimverstecke ausfindig machen konntet. Wie lange arbeitet ihr schon daran, sie auszurotten? Vier Jahre. Und ihr habt keinerlei Fortschritt gemacht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ihr unfähig seid, euch um Gefahren zu kümmern, die eure Rassen betreffen“ Dumm. Unfähig. Mir entwich ein animalisches Knurren vor Wut und diesmal war es mir auch zu viel.

„Weder sind wir zu dumm, noch unfähig. Eine Gefahr auszumachen, die sich jahrelang im Untergrund halten konnte, ist nicht einfach und erfordert viel Übung. Wir hatten eine wichtige Fährte, haben sogar einige wichtige Mitglieder ausschalten können. Dass sich deren angeblicher Anführer jedoch im Verborgenen hält, woher sollten wir das bitte wissen? Keiner von uns ist mit der beschissenen Gabe der Vorhersehung gesegnet“

„Ihr habt einen Hacker“, meinte der Mann und deutete auf Caleb, „Und ihr wollt mir erzählen, dass ihr es nicht geschafft habt, herauszufinden, wer der Anführer ist und wo er sich aufhält? Ich dachte, ihr hättet es schon einmal in ihr System geschafft“

„Weil sie es zugelassen haben“, gab Caleb zu, doch das erzielte nicht den gewünschten Effekt. Die Besucher fingen lauthals an zu lachen und wiederholten seine Worte mit einem hämischen Unterton. Sie machten sich über meinen Verlobten lustig! Bevor er etwas machen konnte, stand ich bereits auf meinen zwei Beinen.

„Wer oder was auch immer ihr bescheuerten eingebildeten Arschlöcher seid, ihr habt nicht das Recht mit uns umzuspringen wie ihr wollt. Es ist eine Angelegenheit der Vampire und Menschen und wenn ihr zu dämlich seid, um eure Mitarbeiter zu schützen, solltet ihr wohl mal selber über eure eigenen beschränkten Fähigkeiten nachdenken. Ihr wisst um die Gefahr und lasst dennoch zu, dass man diejenigen, die für euch arbeiten, angreift, verschleppt und tötet. Eure eigene Unfähigkeit könnt ihr nicht auf uns abwälzen, denn anstatt nur daneben zu stehen und zuzusehen, wie andere versuchen, die Probleme zu beseitigen, könnte man in Zusammenarbeit denjenigen unter die Arme greifen und zur Abwechslung mal zu helfen. Wir können nicht überall sein und alles überwachen. Wir tun unser bestmögliches, aber auch wir haben limitierte Ressourcen und daran müssen wir uns halten. Und wenn ihr Wichser das weder einsehen noch akzeptieren könnt, dann verkriecht euch wieder in die Spelunke, aus der ihr gekommen seid und haltet eure verdammte Fressen, anstatt uns dumm anzugehen“ Ich konnte sehen, wie sich ein Schalter innerhalb des Fremden umlegte und sein Blick von eisig zu tödlich wechselte. Xenia hatte inzwischen einen panischen Ausdruck auf dem Gesicht und als sich der Gast erhob und mit enormer Schnelligkeit vor mir stand, wollte sich Antoine schon einmischen. Doch zu mehr kam der Fremde kaum, denn auch Caleb erhob sich und stellte sich schräg vor mich, als unser Gegenüber seine Hand hob. Ich zuckte nicht zurück. Es war eine leere Drohung, ein Test, das konnte ich sehen.

„Fass sie an und ich brech‘ dir jeden einzelnen Knochen in deinem Körper“, drohte mein Verlobter und starrte auf den kleineren Mann hinunter. Mit seiner Größe von 1,94m überragte er die meisten anderen seines Geschlechts, das hatte er von seinem Vater geerbt. Das half auch dabei, angsteinflößender zu wirken und diesen eingebildeten Nichtsnutz zurück schrecken zu lassen. Er schnaubte und musterte uns ausgiebig, ohne etwas zu sagen. Dann wandte er sich zur Direktorin um.

„Die beiden übernehmen später die Familie?“, fragte er ohne einen bestimmten Unterton, wohl nur rein aus Eigeninteresse. Die Frau nickte eher zögerlich, woraufhin der Blick des Reinen wieder auf uns fiel und er die Arme vor der Brust verschränkte. Seinen Blick erwidernd tat ich es ihm gleich.

„Ihr habt Mumm, euch uns so entgegen zu stellen. Einer Rasse, die mächtiger ist als ihr“, meinte er. „Und ihr habt Glück, dass es mich beeindruckt hat, mehr als es mich verärgerte. Wir geben euch noch eine Chance. 6 Monate, dann ist der ganze Mist geklärt. Wenn nicht, kappen wir jegliche Verbindung zu euch und somit auch einige Ressourcen, die ihr von uns bezieht.“ Das klang nach einer gefährlichen Drohung, auch wenn ich nicht ganz wusste zu welchem Ausmaße sie den Vampiren finanziell und materiell unter die Arme griffen. Der Anführer machte eine Handbewegung nach oben und gab für die anderen damit das Kommando, sich zu erheben, als die Tür zum Büro aufging und eine weitere Person den Raum betrat. Als wir sahen, um wen es sich handelte, staunten Caleb und ich nicht schlecht.

„Die Bombe ist gesichert und entschärft. Fingerabdrücke konnten leider nicht gefunden werden und meine Visionen zeigen nur eine vermummte Gestalt. Sie müssen langsam wissen, dass ich Euch helfe“, sprach Vincent und stockte kurz, als er uns, seine Klassenkameraden, erblickte. „Oh. Shit. Hab ich jetzt was ausgeplaudert, was ich nicht hätte tun sollen?“ Xenia schüttelte den Kopf und erhob sich von ihrem Platz.

„Alles gut, Vincent. Wir haben sie mehr oder minder nun eingeweiht und unsere Gäste haben uns dabei geholfen“ Der Braunhaarige wandte seinen Blick von uns ab und auf die fünfer Gruppe vor ihm, welche gerade drauf und dran war, endlich wieder zu gehen. Ein leichtes, wenn auch neckendes Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Roland. Was für eine Freude, dich wieder zu sehen“, begrüßte er den Anführer offen und grinste ihn nun an. Der andere hingegen sah sein Gegenüber nur genervt an und seufzte.

„Vincent Rannoch. Wieso wundert es mich nicht, dir hier zu begegnen? Und da dachte ich schon, mein Tag könnte nicht schlimmer werden“

„Och, redet man so mit einem alten Freund?“

„Wenn ich könnte, würde ich dir die Kehle rausreißen“, knurrte sogenannter Roland. „Wenn wir uns nun entschuldigen dürften, wir haben noch wichtige Geschäfte zu erledigen. Immerhin hat uns eine gewisse Dame angefahren, die Sicherheit unserer Mitarbeiter zu gewährleisten“ Oh, er würde das tatsächlich durchziehen? Punkt für ihn, aber das machte ihn dennoch um keinen Deut sympathischer. Ohne ein Wort der Verabschiedung gingen die Gestalten einfach wieder, begleitet von zwei Lehrern, welche wohl eher sicher gehen sollten, dass die Fünf das Gelände auch tatsächlich verließen. Erschöpft ließ sich die Direktorin zurück auf ihren Stuhl fallen.

„Ich hasse diese Wesen“, meinte sie genervt. „Und du“ Damit sah sie mich an und deutete mit dem Zeigefinger auf mich. „Du hast uns fast um unsere Existenz gebracht. Wir hatten Glück, dass Roland so ein Arschloch ist“ Wohl Glück im Unglück, konnte man sagen. Vincent sah nur verwirrt zwischen uns her, er hatte ja die gegenseitigen Ansprachen verpasst. Was mich aber wieder auf einen wichtigen Punkt brachte:

„Moment mal … eine Bombe?!“ Der Braunhaarige grinste schief und blickte zu Xenia. Diese erteilte ihn mit einem Abwinken die Erlaubnis, darüber zu sprechen.

„Der Grund, warum der linke Flügel gesperrt werden musste. Es befand sich irgendwo dort in den Gemäuern eine Bombe, die hochgehen sollte. Es dauerte allerdings, bis wir sie gefunden und unscharf gemacht hatten, da sie anscheinend nun jemanden haben, der meine Gabe blockt“

„Was für eine Gabe?“, stocherte ich weiter herum. Vincent lachte leise auf und hob eine Hand.

„Ich kann in die Vergangenheit sehen. Per Berührung“ Einen Moment mal, das kam mir stark bekannt vor. Ich blickte Caleb an, suchte nach Hilfe in dieser Angelegenheit, da ich hoffte, dass er wusste, was gerade in meinem Kopf vorging. Er aber blickte mich nicht an, seine Aufmerksamkeit galt Vincent, welchen er nicht aus den Augen ließ. Er musste es auch mitbekommen haben. Diese Gabe kam uns gefährlich bekannt vor.

„Ich … werde auch Ran genannt“, gab er uns schließlich den letzten Hinweis und bei uns beiden machte es gleichzeitig Klick, während ich hätte schwören können, dass unsere Kinnladen nach unten gefallen sind.

„Der Ran, der uns geholfen hat, das Versteck zu stürmen?“, fragte Caleb sofort nach und Vincent nickte uns zu. Er lehnte sich lässig neben die Tür an die Wand und kratzte sich nachdenklich am Hals.

„Ich wurde hier stationiert, da wir Hinweise bekommen haben, welcher beinhaltete, dass die Akademie erneut im Ziel des Widerstandes steht. Diesmal wollen sie wohl präziser vorgehen“

„Es gibt also noch immer Spitzel“, meinte Caleb und fuhr sich genervt durch die Haare. Vincent nickte ihm missmutig zu. Jetzt war raus, was man vor uns geheim gehalten hatte, Zwei Dinge sogar: Zum einen, dass der Widerstand immer noch große Probleme machte. Zum anderen, dass Vincent zu dem Special Task Team gehörte, eine Elite an Vampiren, welche für den Kampf gegen andere ihrer Spezies ausgebildet wurden.

„Und wer waren diese Vollidioten von eben?“, fragte ich nun auch nach, da ich es einfach wissen wollte. Diesmal antwortete unser schweigsamer Direktor.

„Engel. Sie halten sich für etwas Besseres, da sie Lichtgeborene sind und damit natürliche Feinde der Wesen der Nacht, also uns. Vor einigen Jahrhunderten haben wir aber einen Vertrag geschmiedet, welcher Frieden bewahren soll, solang wir die jeweils andere Partei aus unseren Angelegenheiten heraushalten. Deswegen gab es gerade dermaßen Stress“ Engel also. Ich hätte nicht gedacht, so schnell welche kennen zu lernen. Ich hätte auch nie gedacht, dass Wesen, welche als Boten Gottes bezeichnet wurden, so eingebildet sein konnten. Ich wunderte mich, ob es so etwas wie Gott vielleicht tatsächlich gab oder ob die Engel eine ganz andere Herkunft hatten. Vielleicht würde sich das alles noch klären.

Es war nicht einfach, unsere nächsten Schritte zu besprechen. Da wir nun ein Zeitlimit hatten, wurden wir stark eingeschränkt und gleichzeitig gestresst. Vincents Fähigkeit gab uns zwar einen Vorteil, aber wie wir erfuhren, hatte der Widerstand jemanden, der seiner Gabe entgegen wirken konnte. Das erschwerte die ganze Situation wieder. Der Tote Briefkasten wurde entfernt, einen Neuen würden wir kaum ausmachen können, da das Gelände nun besser überwacht wurde. Deswegen wunderte es die Direktoren auch, wie jemand es geschafft hatte, eine Bombe im Schulgebäude zu installieren. Es war gut, dass niemand außer uns davon wusste. Es wurde nur Panik bei den Schülern auslösen. Es löste ja sogar eine leichte Panik in mir aus, da ich nicht wusste, was für Anschlägen wir uns noch gegenüber stellen mussten. Unterbewusst schmiegte ich mich an Caleb, damit ich mich sicherer fühlte. Wir würden nicht einmal Kira und Neva darin einweihen können, denn sonst würden wir sie nur unnötig in Gefahr begeben. Deswegen hatten bislang Caleb und ich auch nichts davon erfahren: Da wir bereits viel durchgemacht hatten, wollte man es uns ersparen, noch einmal mit dem Thema in Berührung zu kommen. Nun waren die Direktoren aber der Meinung, dass wir ihnen womöglich von Nutzen sein konnten. Stellte sich nur noch die Frage, inwiefern.

Wir hatten nicht das Privileg, viel Zeit zu haben. Gezwungen dazu, schnell zu handeln, setzten wir uns so oft wie möglich mit Rannoch zusammen und überlegten, wie wir am besten die Spitzel hervorlocken konnten. Ich hatte die Idee in den Raum geworfen, mit Yakeno zu reden, doch das STT hatte diese Möglichkeit schon ausprobiert und waren nur gegen eine Wand gefahren. Man berichtete uns, er wäre seinem Wahnsinn nun komplett erlegen, lachte seinen Ansprechpartnern ins Gesicht und sollte man versuchen, ihn Fragen zu stellen, schrie er los und rollte ich über den Boden. Manchmal mussten Wachen seine Zelle stürmen um ihn davon abzuhalten, sich umzubringen! Das ganze klang nicht nach einer gewöhnlichen Art von Wahnsinn und wäre vor vier Jahren nicht der ganze Mist passiert, hätte er mir womöglich auch noch Leid getan. So aber hatte ich kein bisschen Mitleid mit ihm, verrückt oder nicht.

Vincents erster Anhaltspunkt war es gewesen, in die Vergangenheit der Gänge zu blicken. Da es aber an unserer Akademie sehr viele Schüler gab und er kein besonderes Ziel hatte, auf welches er sich konzentrieren konnte, war es ihm nicht möglich, Gespräche herauszufiltern, welche von uns von Bedeutung sein könnten. Wir standen bei Null, während der Widerstand die Möglichkeit hatte, auf unsere Räumlichkeiten zuzugreifen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Schüler wieder verschwinden würden.

Zur Ablenkung beschlossen wir, bevor wir uns ausgiebig mit der Sache beschäftigen würden, noch ein letztes angenehmes Wochenende miteinander zu verbringen. Kira hatte voller Freude verkündet, dass sich dem sogar Sei anschließen würde. So waren wir also zu sechst: Neva, Kira, Sei, Caleb, Vincent und ich. Dabei war es so, dass sich Neva immer mehr an unseren Klassenkameraden drängte, obwohl dieser so freundlich wie möglich versuchte, sie von sich abzuwenden. Er hatte offensichtlich kein Interesse an der jungen Vampirin mit den kurzen feuerroten Haaren.

Sei erzählte uns von seiner Arbeit, um etwas Dampf abzulassen. Es war schwer, den Konzern seines Vaters zu übernehmen und er musste sich immer noch einarbeiten, da er bis vor einigen Monaten noch nicht viel Zeit dafür gehabt hatte. Kira kicherte nur gelegentlich und erwähnte einige Textnachrichten von ihm, in denen er sich über seine Arbeit beschwerte und sich wünschte, wieder auf die Schule gehen zu können, Schwierigkeit der Prüfungen hin oder her. Außerdem gefiele es ihm nicht, Kira nicht im Auge behalten zu können. Er machte sich wohl permanent Sorgen darum, dass ihr etwas passieren könnte, obwohl er nicht einmal davon wusste, dass wir tatsächlich wieder in Gefahr sein könnten. Jedenfalls redeten, scherzten und lachten wir während der Fahrt zum Einkaufszentrum, welches Neva immer noch liebte. Mich warf es zurück in die Zeit, als wir hier mehrere Stunden verbrachten, nur um ein paar Kleider rauszusuchen. Damals irrte ich mit einem derangierten Gedächtnis durch das Zentrum. Jetzt konnte ich das alles mit all meinen Freunden genießen, sogar mit dem Vampiren, den ich vor vier Jahren noch gehasst hatte. Ich griff nach seiner Hand, eine Angewohnheit, die ich mir zugelegt hatte, wenn wir in der Öffentlichkeit unterwegs waren. So hatte ich das Gefühl, nicht von den anderen getrennt werden zu können. Es gab mir halt ein Gefühl von Sicherheit und Caleb gefiel es, dass ich mich so auf ihn verließ. Eine Win-Win-Situation so zu sehen. Als einziger Mensch kam ich mir unter den Vampiren schon eigenartig vor. Auch für Kira lag es nun schon einige Jahre zurück, dass sie ihre Menschlichkeit verloren hat. Ich war also die einzige, die während unseres Einkaufsbummels auch etwas zu Essen brauchte.

„Manchmal wünsche ich mir echt die Geschmacksknospen zurück“, säuselte Kira verträumt, als sie meinen Chickenburger musterte. Ich verdrehte nur mit einem Grinsen die Augen und biss ab, das würde mir fehlen, wenn auch ich zum Vampir werden würde. Ich wollte es noch so lange und so oft wie möglich genießen.

„Ist die Umgewöhnung schwer?“, fragte ich meine beste Freundin. Sie legte nachdenklich den Kopf schief und blickte dabei Sei an, als hätte er alle Antworten parat.

„Na ja, nicht wirklich um ehrlich zu sein. Am Anfang habe ich manchmal aus alter Gewohnheit etwas gegessen und … naja. Das hab ich kurz darauf wieder gesehen“

„Du hast dich deswegen übergeben?“ Das machte mir nur noch mehr Angst. Kira nickte, diesmal aber ergriff Sei das Wort.

„Normalerweise vertragen Vampire menschliches Essen, es schmeckt nur nach nichts. Jungvampire, außer Babys, können es aber nicht verdauen und vertragen es dementsprechend nicht, weswegen der Körper es abstößt und auf den schnellsten Weg wieder loswerden will.“

„Wie ist das eigentlich mit Babys?“, fragte ich ohne groß darüber nachzudenken, hörte nur, wie Caleb neben mir anfing zu husten und sich auf die Brust klopfte. Erschrocken blickte ich den Vampir an, welcher versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. „Ich will das doch nur rausfinden! Sowas erfahren wir dummerweise nicht im Unterricht“

„Trotzdem“, hüstelte er heraus. „Das war unerwartet“

„Es wird ja wohl kaum so sein, als würden wir nie Kinder haben“, fügte ich murmelnd hinzu und sah Neva an, welche gerade an Vincent anlehnte. Dieser blickte mich hilfesuchend an, nicht in der Lage, sie weiterhin von sich zu schieben. Ich erwiderte seinen Blick nur entschuldigend, da konnte ich nichts machen. Er räusperte sich und fing diesmal an zu sprechen.

„Ich hab mich darüber schon mal erkundigt, um genau zu sein“, meinte er und suchte in seinem Kopf nach den Informationen, so wie er anfing, an die Decke zu starren. „Babys von Vampiren sind bis zum 10. Lebensjahr wie menschliche Kinder. Sie können normale Nahrung zu sich nehmen. Die Gene greifen erst spätestens mit 9 Jahren, können sich aber schon mit 6 oder 7 entwickeln, vorher nicht. Meistens ist es um die Zeit herum, dass Kinder ihre Zähne verlieren. Bei den Neuen entwickeln sich dann unsere markant herausstechenden Fangzähne mit, sodass sie in der Lage sind, nicht nur körperlich den Nährwert von Blut aufzunehmen, sondern auch an die Lebensflüssigkeit ranzukommen. Man muss die Kinder natürlich daran gewöhnen und ihnen beibringen, dass sie kein normales Essen mehr zu sich nehmen können. Man könnte sagen, das ist so wie die Vampir-Pubertät. Die dauert aber nicht so lang an wie die Normale“ Da hatte sich jemand wirklich ausführlich darüber informiert. Der Vampir lachte beschämt auf und senkte den Kopf. „Ich mag zeitnah Kinder bekommen, deswegen hab ich darüber recherchiert. Ich bin immerhin schon 27“

„Und verheiratet, möchte ich dazu erwähnen“, mischte sich eine neue Stimme mit ein und unsere Köpfe drehten sich in die Richtung der neuen Person. Diese Frau kam uns bekannt vor: Schwarze Haare mit dunkelblauen Strähnen, zu einem buschigen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Dunkles Make-Up, dicker schwarzer Eyeliner, grüne Augen, die besonders hervorstachen. Makellos weiße Haut. Schwarz-rotes kurzes Kleid im Gothicstil, schwarze fingerlose Handschuhe, Netzstrumpfhose mit Rosenmuster und Lackstiefel mit Plateau-Absatz, die sie größer erschienen ließen. Sie stand da, verschränkte die Arme vor der Brust und blickte wütend auf Vincent herab, welchem jegliche Farbe aus dem Gesicht wich.

„Elisabeth!“, stieß er aus und erhob sich von seinem Platz, wodurch Neva aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Die angesprochene Dame hob eine Hand.

„Ich bin momentan als Fleur Noire unterwegs, also sprich mich gefälligst auch so an. Und wie kannst du es eigentlich wagen, mir zu erzählen, dass du wegen einem Auftrag eine ganze Weile nicht nach Hause kommen kannst und ich dich dann erwische, wie du mit irgendwelchen Schülern herumhängst?! Noch dazu … noch dazu …!“ Sie sah zu Neva, Tränen bildeten sich in ihren Augen. Fleur Noire … diese neue Sängerin, welche vor drei Jahren ihren Durchbruch geschafft hatte, natürlich! Daher kam sie mir so bekannt vor. Mit ihrem Kleidungsstil hätte es mir eigentlich sofort auffallen müssen, aber wenn man sie so von Nahem sah, kam sie ganz anders rüber. Immer noch auffällig, aber zerbrechlicher als auf der Bühne. Nun stand sie vor uns, hatte das Gefühl, gerade von ihrem … wie war das? Von ihrem Ehemann betrogen zu werden.

„Ich kann das erklären, okay?“, fing Vincent ruhig an und ging zu ihr, legte ihr seine Hände auf de Oberarme, aber sie schüttelte ihn ab.

„Du kannst dir deine dummen Erklärungen in die Haare schmieren, Vinc. Ich kann’s einfach nicht glauben“ Sie wischte sich mit einer Hand über die Augen, ihr Eyeliner verschmierte dabei und trotzdem sah es nicht weniger gut aus. Es sah sogar eher so aus, als wäre es gewollt, würde die zweite Seite auch noch so ausfallen. „Ich hab‘ dir gesagt, dass ich es nicht leiden kannst, dass du ihnen angehörst. Und nun nimmst du deine Arbeit als Ausrede, um irgendwo mit anderen Frauen herumzuhängen.“ Vincent hob sofort die Arme, versuchte sie zum Schweigen zu bringen. Neva zog bereits misstrauisch die Augenbrauen zusammen und auch Kira und Sei schienen wissen zu wollen, wovon Noire da redete. Der Braunhaarige entschuldigte sich kurz und schnappte sich seine Frau gegen ihren Willen, um das Gespräch wo anders fortzusetzen. Als sie sich wehrte, mit ihm mitzugehen, nahm er sie einfach auf die Arme und verschleppte sie. Na, so konnte man die ganze Sache auch lösen.

„Zum Glück bist du nicht eifersüchtig“, murmelte Caleb mir zu und vergrub seine Nase in meinem Haar, während er mit einer Hand mit meinen Strähnen spielte. Da ich es wieder hatte lang wachsen lassen aber dennoch offen trug, hatte er es sich zum Hobby gemacht, meine Frisur immer mal wieder durcheinander zu bringen.

„Du hättest viel zu viel Angst davor, mir fremd zu gehen“, meinte ich nur und nahm noch einen Happen von meinem Essen.

„Ganz davon abgesehen, dass es für gebundene unmöglich ist, für andere romantische oder sexuelle Gefühle zu entwickeln“, wandte Kira ein und stützte sich auf dem Tisch ab.

„Sagt mal“, mischte sich nun Neva in das Gespräch ein, nachdem sie sich wieder gefasst hatte, „Was war das denn eben? Vincent ist verheiratet?“ Wir zuckten nur mit den Schultern, davon hatte niemand von uns gewusst. Aber was erwartete man sich? Er war bereits 27 und wie wir ja herausgefunden hatten, war es für Vampire nicht untypisch, jung zu heiratet und lange zusammen zu bleiben. Es war einfacher für sie, auf diese Art und Weise etwas aufzubauen und es in der Welt der Nacht zu etwas zu bringen. Immerhin waren viele Vampire äußerst einflussreich in unserer Welt.

Neva musste das ganze erstmal verarbeiten. Immer wieder, wenn sie sich in jemand verguckte, stellte sich heraus, dass er schon jemandem gehörte oder, nun ja … er verschwand einfach, wie Luc damals. Sie konnte einem schon leid tun, sie musste sich bei uns ja wie das fünfte Rad am Wagen vorkommen. Womöglich hatte sie gehofft, dieses Gefühl mit der Hilfe von Vincent loszuwerden und das war für den Vampir leider nach hinten losgegangen.
 

An dem Tag hörten wir nichts mehr von unserem Klassenkameraden und konnten dementsprechend nicht einschätzen, ob alles gut ausgegangen war für ihn. Erst zwei Tage später tauchte er wieder in der Schule auf, begleitet von Elisabeth, wie sie privat genannt werden wollte. Und privat sah sie schon ziemlich anders aus. Zwar änderte sich nicht viel, aber sie war nicht so auffällig. Ihre Kleidung bestand zwar noch immer überwiegend aus der Farbe schwarz, aber diesmal trug sie ein langärmliges Oberteil, eine hautenge Hose und Stiefel. Während ihrer Auftritte musste sie eine Perücke tragen, denn ihre natürlichen Haare waren kurzgeschnitten und hatten keine dunkelblauen Strähnen, sondern einen natürlichen Blaustich von Haus aus. Make-Up trug sie keines.

Sie stellte sich uns ein weiteres Mal vor, war diesmal besser gelaunt als vorher. Ihr Gespräch musste gut ausgegangen sein. Mit einer speziellen Erlaubnis der Direktoren war es ihr vergönnt, in Vincents Zimmer zu bleiben, solange wie sie seine Ermittlungen nicht stören würde. Er musste natürlich auch zur Schule, sonst würde seine Tarnung auffliegen, weswegen sie tagsüber leider alleine war. Manchmal, so hatte sie angekündigt, müsste sie den Campus für Auftritte verlassen, aber das sollte kein Problem darstellen. Xenia hatte einen extra Pass für sie anfertigen lassen, welcher sie als speziellen Gast auswies. Damit konnte die das Gelände betreten und verlassen wie sie wünschte. Hoffentlich würde das nicht zu Problemen führen.
 

Es war Mittwoch und wir hatten ausnahmsweise mal eine theoretische Unterrichtsstunde. Geschichte um genau zu sein, ein Fach, welches wir nicht mehr so oft auf unserem Stundenplan sahen. Im Unterricht ging es zwar sehr theoretisch vor, dennoch packte man auch einen praktischen Teil mit hinein, indem wir eine Gruppenarbeit bewältigen mussten. Jede Gruppe bekam einen Urvampir zugeteilt, so musste meine über Dracula recherchieren. Ich dachte mir nicht viel dabei, als ich zusammen mit Michaela und drei anderen in eine Gruppe kam und wir unsere Textbücher aufschlugen, um die Informationen über ihn heraus zu schreiben. Es hieß, er sei einer der mächtigsten Vampire gewesen und wurde für lange Zeit als König der Vampire angesehen. Er besaß eine unbekannte aber mächtige Gabe, machte sich dementsprechend aber auch viele Menschen zu Untergebenen und Feinden. Sein Aussehen war typisch für einen Urvampir: Schwarze Haare, rote Augen, bleiche Haut. Er war besonders anfällig der Sonne gegenüber und konnte tagsüber sein Heim nicht verlassen. Auf einer späteren Seite gab es ein gezeichnetes Portrait von ihm von einem unbekannten Künstler. Mir blieb fast die Luft weg. Ich sah herüber zu Caleb’s Gruppe und musterte meinen Vampir. Dass er aus der Blutlinie eines Urvampires kommt war schon geklärt gewesen, aber mir fiel in diesem Moment auf, dass er sehr viele Ähnlichkeiten zu diesem Dracula hatte. Die Gesichtszüge, Haare, der Blick. Dracula muss sein Ahne gewesen sein. Interessant, vor allem wenn man es von der Seite betrachtete, dass bekannt war, dass auch Sei ein Nachfahre aus der Blutlinie dieses Vampires war. Sie mussten dementsprechend also ferne Verwandte sein!

„Hey, Wynne“, holte mich Michaela aus den Gedanken und stieß mir mit ihrem Ellenbogen leicht in die Seite, um meine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Fragend sah ich sie an, legte den Kopf verwirrt schief.

„Was ist?“, fragte ich sie und wandte meinen Blick auf das Textbuch, welches sie, auf einer bestimmten Seite aufgeschlagen, in die Mitte schob. Ganz oben war das Portrait einer Frau zu sehen. Ernster und starrer Blick, eisig und fast tödlich. Ihre Haare hatte sie hochgesteckt, zwei geflochten Zöpfe gingen darin über. Sie hatte eine Rüstung an und einige Narben im Gesicht. Unter dem Bild stand der Name ‚Adamantia‘.

„Was ist mir ihr?“, kam es wieder von mir, während ich die Zeichnung weiterhin musterte. Trotz der Narben in ihrem Gesicht war sie eine sehr hübsche Frau.

„Die sieht aus wie du“, meinte meine momentane Sitznachbarin und mir blieb kurz der Atem in der Lunge stecken. Diese Adamantia sah aus wie ich? Oder eher anders herum: Ich sah aus wie diese Adamatia? Ich war mir dessen nicht gerade sicher, weswegen ich das Bild genauer unter die Lupe nahm. Das Portrait war mit Farben angefertigt worden, weswegen man erkennen konnte, dass ihre Haare eine Blonde Farbe hatten. Sehr hell um genau zu sein. Das war schon mal eine Ähnlichkeit. Ich hatte auch früher oft meine Haare so getragen wie sie. Ihre Augen waren blau. Okay, das wurde langsam gruselig. Ich entschied mich dazu, ihre Biografie durchzulesen.

„Jägerin Adamantia, richtiger Name unbekannt. Lebte zu Zeiten von Dracula bis zu den letzten Jahren der Aufstände. Verfeindet mit dem König der Wesen der Nacht, wurde aber von demselben selber in einen Vampir verwandelt, was ihren Hass nur steigerte. Leitete die Aufstände an und brachte Dracula selber zur Strecke, so erzählt man sich zumindest. Entwickelte die Gabe, auf den Geist eines Menschen oder anderen Wesen angewandte Siegel zu brechen und diesen ihren freien Willen zurück zu geben“ Siegel brechen! War ich dazu nicht auch in der Lage? Ich fuhr mir mit einer Hand durch mein Gesicht, stützte meinen Kopf darin ab und dachte nach. Ohne zu blinzeln starrte ich auf mein leicht beschriebenes Blatt. Das müsste ich den anderen beiden erzählen.

Ich nutzte unser Zusammenkommen am Abend, um das Thema anzusprechen. Ich erzählte Caleb und Vincent also von meiner Entdeckung, von Dracula und Adamantia. Vincent nickte auf meine Erzählung hin.

„Es war allgemein bekannt, das Dracula Gefallen an der Dame gefunden hatte. Aber selbst nach ihrer Verwandlung schien ihr Hass nicht abgenommen zu haben“, meinte er nachdenklich.

„Sie war in der Lage, Siegel zu brechen und Menschen ihren freien Willen wieder zu geben. Gebrochenen“, warf ich in die Diskussion mit ein. „Ich kann das auch. Zwar habe ich es bislang nur bei meinem eigenen Geist geschafft, aber das Siegel in meinem Kopf konnte ich zerstören“ Erstaunt sah mich der Braunhaarige an.

„Du bist ein Mensch und kannst das?“, hakte er nach und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ich nickte ihm zu, tippte dabei mit einem Finger gegen meine Schläfe.

„Es ist anstrengend, aber geht“, meinte ich. Caleb, welcher eher stumm daneben saß, starrte nachdenklich aus dem Fenster hinaus, bis er selber etwas dazu beizutragen hatte.

„Es würde erklären, warum der Widerstand an dich heran will. Sie müssen wissen, dass die Amands aus der Blutlinie von Adamantia kommen“ Wenn man so darüber nachdachte, war die Sache mit meinem Nachnamen auch ziemlich lächerlich. Er klang fast wie ihr Name, nur etwas abgeändert. Sollte es also tatsächlich so sein, dass ich mit ihr Verwandt war, ließ das natürlich ein ganz anderes Licht auf die gesamte Situation scheinen.

„Moment mal“, warf Vincent ein und hob einen Finger. „Wenn du dieselbe Gabe hast wie sie … und dir das Aussehen mit ihr teilst … dann würde das bedeuten, dass du nicht nur ihre Nachfahrin, sondern ihre Reinkarnation bist“ Reinkarnation! Ich musste weiß im Gesicht werden, denn Caleb legte in Sorge eine Hand an meine Wange. Diese Informationen waren schwer zu verarbeiten.

„Aber …“, kam es kleinlaut von mir. „Caleb stammt aus Draculas Blutlinie. Und Adamantia hat Dracula gehasst. Es gab keinen Bund zwischen ihnen“

„Das heißt nur, dass ein anderer Nachfahre von ihm dafür bestimmt war, mit ihr zusammen zu sein. Es könnte sogar sein, dass sie damals ihren Seelenpartner getötet hat, bevor sie dazu kam, es herauszufinden. Sie war geblendet von ihrem Hass auf die Vampire“, erklärte Vincent. Oh je, das klang wirklich nach mir. Ich war auch geblendet von meinem Hass auf Vampire, wollte mich nicht mit ihnen abgeben und hatte sie ohne Grund angepöbelt. Wir hatten zwar von Grund auf verschiedene Gründe, bei ihr war es die Versklavung der Menschen und bei mir ‚gerade Mal‘ der Tod meines Bruders, welcher noch dazu nicht aller Vampire Schuld war.

„Das heißt auch, dass mein Bruder vermutlich deswegen sterben musste. Der Widerstand hielt ihn für die Reinkarnation Adamantias oder wollte auf Nummer sicher gehen. Weswegen aber bin ich dann nicht einfach umgebracht worden?“ Mit jedem Wort fiel mir das Reden schwerer und ich wurde leiser und leiser. Caleb neben mir seufzte leise, hob mich, ohne dass ich irgendwelche Worte des Protests äußerte, auf seinen Schoß und schloss mich in seine Arme. Reflexartig lehnte ich mich an ihn, während der dritte im Bunde wieder zu sprechen anfing.

„Ich vermute, dass Yakeno eine gewisse Hemmung hatte, eine alte Freundin einfach umzubringen“

„Alte Freundin? Als ob er einen Wert darauf gelegt hätte. Er hat fast Kira ermordet“

„Es ist möglich. Vermutlich hat sein zerstörter Verstand einen Tod gefordert und er musste zwischen dir und Kira wählen. Er musste zu dir eine stärkere Verbindung gespürt haben“

„Oder aber er wusste um den Tod meines Bruders und wollte mir dasselbe Schicksal ersparen …“ Ich murmelte nur noch leise vor mich hin, drehte mich auf Calebs Schoß, sodass ich mit dem Gesicht zu seiner Brust saß, die Arme um seinen Hals legen konnte und mich so bei ihm regelrecht versteckte. Mein Kopf tat weh. Das alles war so viel zu verarbeiten. Klar, der Grund, warum der Widerstand mich wollte, war mir nun endlich klar. Es verschaffte mir Gewissheit, warum ich ein Ziel war. Und warum mein Bruder ihnen zum Opfer gefallen war. Aber es machte die ganze Situation nicht einfacher. Ihr Ziel war es, die Menschheit wieder zu unterwerfen, indem sie die Geister der Leute brechen. Ich war dabei ihr größter Feind, denn ich könnte ihnen den freien Willen wiedergeben, sollte man mich zu einem Vampir machen. So vermutete ich, würde es funktionieren. Momentan war ich in der Lage, meine eigenen Siegel zu brechen. Um diese Fähigkeit auf andere anwenden zu können, müsste ich verwandelt werden. Und dann wäre es so gut wie unmöglich für den Widerstand, mich einfach umzubringen.
 

Da nun klar war, dass ich definitiv nicht in Sicherheit wäre, entschieden wir uns dafür, mich im Kampf auszubilden, während wir nach Anhaltspunkten suchten. Das hieß, dass Vincent mir einige Techniken zeigte, damit ich mich gegen andere Vampire wehren konnte. In meinem Kampf gegen Yakeno hatte ich schon einmal bewiesen, dass in mir der benötigte Kämpfergeist vorhanden war, mir jedoch einfach die Ausbildung fehlte. Während also Caleb mal wieder im Deep Web unterwegs war und nach Informationen suchte, trainierte ich in der Sporthalle mit Vincent. Man konnte nie wissen, wann die Techniken wichtig sein würden. Und es war besser für mich, wenn ich mich für längere Zeit, bis Hilfe kam, selber verteidigen konnte. Das hieß auch, dass ich lernen musste, mehr einzustecken.

Das Training war nicht leicht und meistens lag ich am Abend mit Muskelkater im Bett. Kira hatte ich inzwischen davon erzählt, nachdem mir Vincent die Erlaubnis dazu erteilt hatte. Er war auch dabei gewesen, hatte ihr noch zusätzliche Informationen gegeben, wenn er meinte, dass es nötig war. Als ebenfalls eine direkte Gegnerin des Widerstandes mit ihrer Gabe könnte sie ebenfalls ein erneutes Opfer werden, doch als Vampir wäre sie besser in der Lage dazu, sich zur Wehr zu setzen.

Mein Privatleben musste leider kürzer treten. Ich kam weder dazu, zu schreiben, noch viel Zeit mit meinem Verlobten alleine zu verbringen. Manchmal entschied ich mich dazu, da wir als Abschlussklasse die Freiheit dazu hatten, die Nacht bei ihm zu verbringen, um wenigstens ein paar Momente zusammen zu haben. Ich freute mich schon darauf, wenn das alles endlich vorbei war. Diese gesamte Tortur. Ich hatte nichts dagegen, dieses Training mit dem Agenten durchzuführen, aber es machte meine Schulzeit nicht gerade einfacher. Während wir nämlich übten, musste ich mit dem Lernen kürzer treten. Ich wurde öfter krank aufgrund des Stresses und verpasste den Unterricht. Es war alles nicht leicht.

Zwei Monate vergingen. Inzwischen hatte Caleb schon einige Informationen bekommen, sodass wir ein paar Spitzel ausfindig machen konnten. Diese hielten jedoch dicht bei uns, weswegen wir sie in die Hände des STTs gaben. Wir hatten nur noch 4 Monate. Das klang länger, als es tatsächlich war. Dadurch, dass gerade Februar war, würden uns drei Tage eines Monats fehlen. Noch dazu kam, dass im April unsere ersten Prüfungen anstanden und wir uns darauf vorbereiten sollten. Würden wir es nicht tun, liefen wir Gefahr, durchzufallen. Ich hatte Angst, war gestresst und musste einige Tage vorher noch das Bett hüten. Endlich durfte ich mal wieder zurück in die Klasse, durfte am Unterricht teilnehmen. Leider war meine Konzentration noch nicht ganz wieder da, weswegen ich nach einem anstrengenden Schultag meine Tasche einfach im Klassenzimmer vergessen hatte. So ging ich also zurück, bat Caleb darum, mich bis zum Zimmer zu begleiten, sollte ich einen Rückschlag erleiden. Ich ging zu meinem Platz und passierte dabei Nevas, welcher eigenartiger Weise den ganzen Tag lang leer gewesen war. Diesmal aber fand ich eine Notiz darauf vor. Ich war mir nicht sicher, ob der Zettel für sie gedacht war und verfluchte meine Neugierde, welche mich dazu brachte, ihn mir genauer anzuschauen. Und was darauf stand, gefiel mir ganz und gar nicht.

„Unser Geduldsfaden ist gerissen. Wir wollen eine Kompensation für die verlorenen Ressourcen“, las Vincent vom Zettel vor und zog die Augenbrauen besorgt zusammen. Neva musste etwas zugestoßen sein, denn die anderen hatten mir berichtet, dass sie nicht erst an diesem Tag verschwunden war. Irgendwann hat sie einfach aufgehört, am Unterricht teilzunehmen und niemand wusste, warum. Sie hatte niemandem Bescheid gegeben. Bislang hatten wir es geschafft, Neva aus der Sache rauszuhalten. Sie musste nun zum Opfer geworden sein, da sie Yakenos Schwester war. Scheiße. Ich kniff mir in den Nasenrücken, irgendwie rutschten wir in diesem Jahr von einem Extrem ins andere. Vincent musste sogar aufpassen, dass seiner Frau nichts zustieß, denn würde herauskommen, dass sie mit einem Mitglied des STTs verheiratet war, wäre sie ebenfalls im Visier des Widerstandes und der Feinde, die er im Allgemeinen angesammelt hatte. Während unseres Trainings, welches Elisabeth manchmal beobachtete, kamen wir des Öfteren ins Gespräch, um die Stimmung etwas zu lockern. Das geschah vor allem in den Pausen. Da meine Kondition noch am Ausbauen war, mussten wir immer mal wieder welche einlegen. Da kam auch seine Frau ins Spiel, denn diese hatte es sich zur Aufgabe gemacht, aus reiner Freundlichkeit mir immer eine kleine Erfrischung mitzubringen. So hatte ich in ein paar Gesprächen erfahren, dass die beiden bereits seit mehr als 200 Jahren verheiratet sind. Sie selber haben nur einen Altersunterschied von 6 Jahren und zu ihrer Zeit war es sogar unter den Menschen noch sehr üblich, jung zu heiraten. Um nicht aufzufallen, taten die Vampire es ihnen gleich, obwohl es auch viele von ihnen gab, die die Menschen wissen ließen, dass sie noch existierten. Das lag natürlich alles in der Vergangenheit.

Schon früh hatte Vincent damit angefangen, für diesen Geheimdienst zu arbeiten. Je mehr die Technik voran schritt, desto einfacher wurde es natürlich für sie. Er war unter anderem dafür zuständig, Neulinge einzuweisen und auszubilden, weswegen es für ihn auch kein Problem war, mich zu trainieren. Er wusste, wie er mit mir umgehen musste, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.

Darum ging es aber gerade nicht. Mein Training musste verschoben werden, da es sich bei dieser Drohung vermutlich um Leben und Tod drehte. Sie mussten schnell handeln und das Mitglied des STTs setzte sich sofort mit den anderen Mitgliedern in Verbindung. Ich konnte nur daneben sitzen und zusehen, während sogar Caleb einer wichtigen Aufgabe nachging. Da er die letzten Jahre über nicht nur geschlafen hatte sondern auch daran arbeitete, seine Hackfähigkeiten weiter auszubauen, machte er es sich schnell ohne weitere Absprache zur Aufgabe, Informationen zu suchen und sich so nützlich zu machen. Meine Wenigkeit drehte Däumchen, unterhielt sich mit Elisabeth, wenn sie gerade Zeit hatte. Denn sie war momentan eigentlich nur in der Gegend, weil sie in der Nähe mehrere gebuchte Auftritte hatte und somit kam ihr diese Unterkunft sogar ganz gelegen.
 

Vincent entschied sich dazu, die gesamte Schule nach Informationen über Neva abzusuchen. Wir begannen bei ihrem Platz, wo er in die Vergangenheit abtauchte und für etwa eine halbe Stunde nicht ansprechbar war. Es sah schon eigenartig aus, wie er da hockte, eine Hand auf dem Schreibtisch und tief in den Gedanken. Seine Augen waren dabei geschlossen, sodass er keine Ablenkung hatte. Er musste gerade wohl durch fünf Jahre Erinnerungen dieses Platzes gehen, so lange wie es dauerte. Und daraus natürlich noch brauchbare Informationen filtern. Viel konnten wir nicht tun, meist ging er allein los und sammelte Informationen. In der Zwischenzeit gingen wir entweder zum Unterricht, ich machte, wenn ich Zeit hatte, meine Übungen und sammelte auf meine eigene Art und Weise nach Informationen. Kira verständigte Sei, fragte nach irgendwelchen Neuigkeiten, einfach ob er etwas gehört hatte. Leider musste er es verneinen, versprach aber, die Augen offen zu halten. Die Direktoren verständigten und ebenso über jede Kleinigkeit, jede auffällige Bewegung, doch nichts davon brachte uns weiter. Wir schienen in einer Sackgasse und die Zeit lief uns davon.
 

An einem doch recht zufälligen Nachmittag wurden Caleb und ich von dessen Eltern kontaktiert. Wir sollten angeblich in einen extra hergerichteten Chatroom eintreten und uns mit jemanden in Verbindung setzen. Verwirrt starte ich den Computerspezialisten unter uns an. Wer sollte denn etwas von uns wollen? Sofort machte sich der Schwarzhaarige daran, sich in diesen Chatroom einzuloggen, während ich mir einen Stuhl holte, um mich ohne Probleme neben ihn zu setzen. Wie ich erfuhr, hatte ein Angestellter der Familie Harrison diese Kontaktmöglichkeit vor einigen Jahren entwickelt, damit die Familien untereinander leichter Nachrichten austauschen konnten. Diese waren zudem geschützt vor neugierigen Blicken und man konnte nicht so einfach darauf zugreifen, denn jede Nachricht wurde extra von der Firma, in welcher Lucian arbeitete, verschlüsselt. Und wir alle wussten, dass deren Codes ziemlich zuverlässig sein konnten, wenn nicht gerade ein Maulwurf mit an diesen gearbeitet hat. Caleb musste ein unnötig langes Passwort eingeben um in sein Profil zu kommen und selbst da musste er noch eine Bestätigung hinter sich bringen, bevor er vollkommen Zugriff darauf hatte. Ich starrte auf den Bildschirm: Eingehende Videochatanfrage von Hollys. Hollys? Wir kannten niemanden mit diesem Nachnamen. Die Diener der Familien hatten keinen Zugriff auf dieses Programm und keiner der Familien hieß Hollys, geschweige denn eines der Kinder. Wir waren uns beide nicht sicher, ob wir es annehmen sollten. Seine Eltern meinten zwar, dass es dringend sei, aber hätten sie uns nicht verraten können, um wen genau s sich handelte? Seufzend nahm Caleb an, nachdem wer auch immer dahinter war nicht aufgab. Das Problem war nur, dass die Person noch etwas warten müsste, bevor sie uns sehen konnte.

„Hallo?“, ertönte es von der anderen Seite, doch war kein Bild zu sehen. „Funktioniert das?“ Damit der Vampir in Ruhe suchen konnte, machte ich es mir zur Arbeit, zu antworten. So tippte ich sofort, dass wir die Frau, was man offensichtlich an der Stimme erkannte, zwar hören, aber nicht sehen könne. Sie fluchte kurz und man hörte Geraschel, bevor sie einen Namen rief.

„Roland!“ Der Name kam mir gefährlich bekannt vor. „Du solltest das Ding doch einrichten! Kannst du nicht Einmal nicht zu dumm sein, etwas zu tun?“

„Red nicht so mit mir, sonst kapp ich die Verbindung. Du wolltest mit den Blutsaugern reden, nicht ich“, kam es sofort zurück. Diese Stimme kannte ich ebenso! Und noch bevor die Kamera unserer Gegenüber anflickerte wusste ich auch wieder, um wen es sich handelte. Roland war dieser Vampir, welcher vor einiger Zeit uns besucht hatte und uns das Zeitlimit stellte. Er erwartete, unser Problem in dieser kurzen Zeit zu lösen. Ob sie uns kontaktierten um herauszufinden, wie weit wir bereits waren? Ich fluchte innerlich vor mich her. Wir hatten noch nichts außer eine verschollene Freundin, was sogar sogesehen ein Schritt zurück war. Das Bild unseres Chatpartners erschien. Ein vorgebeugter Mann, Roland natürlich, und dahinter eine doch eher zierlich wirkende Frau, welche neugierig auf den Monitor starrte um zu beobachten, was genau er da machte. Sie winkte als sie bemerkte, dass die Kamera endlich funktionierte und lächelte hinein. Roland verdrehte genervt die Augen und wandte sich mit einem ‚Hier hast du‘ zum Gehen, wobei er kurz aufgehalten wurde und einen Kuss auf die Wange bekam. Ich verzog das Gesicht, was man zum Glück nicht sehen konnte, da Caleb auch gerade erst dabei war, die Kamera einzurichten. Mir hatte er derweil ein Mikrophon gegeben, um immerhin mit ihr sprechen zu können.

„Also!“, fing die Frau mi weißgoldenen Haaren an und klatschte in die Hände. „Ihr könnt euch bestimmt vorstellen, warum ich euch kontaktiere. Mein Mann hatte keine Lust dazu, da es ihn nicht stören würde, den Vertrag endlich auflösen zu können. Aber ich finde, dass unser friedliches Zusammenleben wichtig ist“ Sie musste eine der Gestalten sein, die nichts gesagt hatte. Oder sie war an dem Tag gar nicht erst mitgekommen. Vor allem war sie viel zu freundlich um die Frau dieses unausstehlichen Arschlochs zu sein!

„Das freut mich zu hören, jedoch …“, fing ich an und sah, wie nun auch unser Bild auf dem Monitor erschien. Jetzt konnten wir uns gegenseitig sehen und Caleb setzte sich wieder neben mich, nahm das Mikrophon vorsichtig an sich, um das Reden zu übernehmen.

„Willst du die Wahrheit hören oder eine verschönerte Lüge?“

„Ich bitte euch, Ich möchte euch nichts Böses. Ich habe sogar vielleicht ein paar Infos für euch, die euch weiter helfen könnten“, meinte die Frau und legte ihre Hände auf den Tisch, als wäre sie gerade bei einem Verhandlungsgespräch. Mein Vampir verleierte kurz die Augen, bevor er sich nach vorn beugte und ebenfalls auf dem Schreibtisch aufstützte.

„Wir haben so gut wie nichts. Außerdem wurde eine unserer Schülerinnen entführt-„

„Neva Ishta“, beendete der Engel den Satz und wir beide blickten sie erstaunt an. Oder eher, wir starrten ihr Bild in dieser Manier an. Sie kannte Neva? Woher? Wie konnte es sein? „Wir haben einwenig Recherche betrieben. Neva Ishta ist mit Yakeno, dem geglaubten Anführer des Widerstandes, verwandt. Wir vermuten, dass der wirkliche Anführer etwas mit beiden zu tun hat.“

„Ein weiterer Verwandter?“, munkelte Caleb sofort drauf los und blickte dabei nachdenklich auf den Holztisch.

„Vielleicht“, meinte die grazile Frau und lehnte sich zurück. „Es ist nur eine Annahme. Es könnte aber auch sein, dass sie mit dem Anführer selber in einer anderen Art und Weise zu tun hat“

Diesmal nahm ich das Wort an mich: „Du meinst doch nicht damit, dass es ein Freund, ihr Freund, oder noch schlimmer, Verlobter oder Mann sein könnte?“ Auch wenn das Letzte gar nicht sein könnte. So, wie sie nach Liebe suchte, konnte sie nicht verheiratet oder verlobt sein. Außer sie war unglücklich damit. „Moment. Wenn Letzteres der Fall sein sollte … Dann hätten sie ein Motiv, Neva zu entführen. Ich kann mir vorstellen, dass die Firma, welche ihr Vater leitete, finanziell vom Widerstand unterstützt wurde. Im Gegenzug dazu bekamen sie Yakeno mit einer wirklich mächtigen Fähigkeit und seine Schwester, um etwas gegen den Jungen und deren Vater in den Händen zu haben. Vielleicht hat seine Angst um seine Schwester ihn dermaßen verrückt gemacht“ Nervös trommelte ich mit den Fingern auf dem Schreibtisch herum. Wenn das stimmte, würde das bedeuten, dass Neva in großer Gefahr war. Die Firma ihres Vaters war so gut wie im Ruin und ihr Bruder eingesperrt, niemand konnte es verhindern. Und niemand könnte ihn von dort rausholen, wo er gerade steckte! Ich schnalzte meine Zunge und kniff mir in den Nasenrücken. Scheiße, was sollten wir nur tun?

„Vielleicht solltet ihr versuchen, die Kontakte ihres Vaters ausfindig zu machen. Für uns ist der Mann leider unantastbar … oder eher, unauffindbar. Entweder hat der Widerstand ihn schon ausradiert und jegliche Spuren verschwinden lassen, oder er hat selber reiß aus genommen. Das heißt es dürfte eine ziemlich komplizierte Schnitzeljagd werden“ Der Blick der Frau war fast wehleidig. Ich schätzte es sehr, dass sie versuchte, uns zu helfen. Ihr Mann hätte es definitiv nicht getan und der Tipp, ihren Vater ausfindig zu machen, war recht wertvoll. Vielleicht sollten wir auch versuchen, ihren Bruder zu befragen. Er könnte nützliche Informationen für uns besitzen.

Wir redeten nicht mehr lang, vor allem da ihr Mann nervig wurde und verlangte, dass sie dieses Gespräch endlich beende. Wir verdrehten nur unsere Augen, mit einer Entschuldigung verabschiedete sie sich letztlich von uns und wünschte uns noch viel Glück auf unserer Suche. Unglaublich froh zu wissen, dass wir wenigstens eine Verbündete bei den Engeln hatten, wandte ich mich zu Caleb.

„War doch ein interessantes Gespräch“, meinte ich nur.

„Und es hat uns ein paar Anregungen gegeben. Ich werde mit Vincent reden“, gab er hinzu und ich nickte ihm zu. Wir mussten jeden Schritt mit dem anderen absprechen sonst gerieten wir in das Problem hinein, aneinander vorbei zu arbeiten und vielleicht denselben Schritt zwei Mal zu gehen. Das wollten wir tunlichst vermeiden.
 

An einem längeren Wochenende besuchten wir Leiah, welche ich eine ganze Weile nicht sehen konnte. Im Gegensatz zum ersten Mal, als ich sie traf, sah sie schon viel besser aus. Ihre Haare waren nun etwas länger, wenn auch noch immer sehr zerzaust und unordentlich, da sie ihre Anfälle nicht unter Kontrolle hatte. Apropos Anfälle: Diese hatten immer mehr nachgelassen, ganz zur Überraschung ihrer Ärzte und der Wissenschaftler, welche sie ab und zu besuchen kamen. An dem Wochenende, an dem Caleb und ich sie endlich wieder trafen, war gerade einer ihrer Ärzte vor Ort und begrüßte uns herzlich. Freudig umarmte Leiah mich, als sie mich sah. Ich erwiderte die Umarmung meiner baldigen Schwägerin und lächelte sie an.

„Wir geht es dir?“, fragte ich sie und musterte sie kurz. Sie sah besser aus als an anderen Tagen, hatte keine Augenringe was hieß, dass sie gut geschlafen hatte. Während der Umarmung hatte ich auch gespürt, dass ihr Puls normal war. Dinge, die ich erst mit der Zeit mir antrainiert hatte, bei ihr zu beachten.

„Gut!“, gab sie zurück und lachte leise. Sie stellte mir ihre Ärztin Fyona vor, welche uns mit einem Lächeln begrüßte. Sie schien neu zu sein, selbst Caleb war verwirrt über die neue Dame.

„Ich wusste nicht, dass wir jemand Neues eingestellt haben“, meinte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Momentan konnten wir nicht vorsichtig genug sein, immerhin war es schwierig, Freund von Feind zu unterscheiden. Kurz blickte uns die Frau verwirrt an, bevor sie ihre Hände in Verteidigung hob.

„Oh, Eure Eltern haben mich schon überprüft! Ich bin eigentlich nur der Ersatz für meinen Mann, welcher momentan mit der Tageskrankheit ans Haus gefesselt ist.“ Ah, die Krankheit, welche verhinderte, dass Vampire in der Sonne gehen konnten. Trotz ihrer Erklärung blieb Caleb weiterhin misstrauisch und entschuldigte sich kurz, um einen Anruf zu tätigen. Er wollte definitiv seine Eltern anrufen, was ich auch als weise ansah. Die Ärztin hatte nur freundlich genickt und gemeint, er könne es ruhig tun, wenn er sich unsicher war. Sie wusste um die Umstände und verstand ihr Misstrauen. Die Angestellten der Lecrunes mussten also alle eingeweiht sein.

„Jedenfalls!“, erhob Fyona wieder ihre Stimme und sah diesmal zu mir. „Ich möchte eine doch sehr interessante Kenntnis mit euch teilen! Deswegen bin ich gerade noch hier. Eigentlich wollte ich gehen, aber ich dachte, es könnte euch etwas helfen. Und vielleicht Hoffnung geben“ Ich sah zu Leiah.

„Ist das der Grund, warum du so glücklich bist?“, fragte ich sofort nach. Sie nickte mit zu und klatschte aufgeregt in die Hände.

„Unter anderem! Außerdem freue ich mich, mal wieder von euch Besuch zu haben. Wegen der doofen Schule seh ich euch ja so selten und trotz dessen, dass es mir besser geht, darf ich das Anwesen momentan nicht verlassen“ Ein grausames Leben meiner Meinung nach. Ihr Verstand hing am seidenen Faden, manchmal riss dieser, bevor er sachte wieder zusammen gebunden werden musste. Und deswegen war es nicht sicher für sie, sich lange draußen aufzuhalten, da sie in Gefahr lief, sich weh zu tun. Mitten auf der Straße zusammen zu brechen würde kein gutes Licht auf sie werfen und sie vermutlich weiter in den Wahnsinn treiben.

„Nun, ich denke mal, Ihr könnt Euren Verlobten ebenfalls darin einweihen, wenn er fertig mit dem Telefonat ist. Ich habe leider nicht mehr viel Zeit“, meinte die Ärztin und tippte mit einem Finger auf die Uhr an ihrem linken Handgelenk. „Wir haben herausgefunden, dank euch, dass es möglich ist, einen Einfluss auf den Wahnsinn zu haben. Das bedeutet, je nachdem, wie man einen Wahnsinnigen behandelt, können die Symptome zurückgehen oder sich verstärken. Bei unserer Patientin hat sich heraus gestellt, dass eure Anwesenheit und Hilfe dazu geführt hat, dass ihre Anfälle abnahmen und sie sogar anfing, sich wieder freiwillig zu ernähren.“

„Und ich wünsche mir nicht mehr so oft, tot zu sein“, fügte Leiah hinzu, wobei mir ein Schauer über den Rücken lief. Es war zwar gut, aber wie sie es einfach aussprach gab mir Gänsehaut. Aus Gewohnheit wollte ich sie glatt in den Arm nehmen, doch Fyona sprach weiter.

„Das heißt, wir gehen davon aus, dass man den Wahnsinn sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann. Einige von uns haben, um ehrlich zu sein, sich diesen Ishta angeschaut und … nun ja. Wir vermuten, dass es sich bei ihm auch um eine Form des Einflusses ist“

„Mooooment mal!“, unterbrach ich die Ärztin mit gehobener Hand. „Soll das heißen, Yakeno hat seinen Seelenpartner verloren? Yakeno hatte einen gebundenen Seelenpartner?!“ Denn dieser Wahnsinn trat nur auf, wenn man den Bund bereits eingegangen war! Was zur Hölle? Hatte man den Jungen manipuliert, ihn so gebogen, dass er das machte, was der Widerstand wollte? Vielleicht hatte man seinen Seelenpartner sogar eine Weile lang benutzt, um ihn zu erpressen und als es nicht fruchten wollte, tötete man ihn einfach und nutzte den Wahnsinn, um Yakeno zu brechen. Sie brachen ihre eigenen Leute, zerstörten ihren Verstand, nur, weil sie deren Fähigkeit brauchten! Ich hatte das Bedürfnis, etwas (oder jemanden) zu schlagen. Der Widerstand ekelte mich immer mehr an. Dass sie Menschen brachen war ihnen wohl nicht genug. Sie mussten sogar ihre eigenen Leute gefügig machen, mit Erpressung und regelrechter Zerstörung, weil sie zu unfähig waren, andere auf normale Art und Weise auf ihre Seite zu ziehen. Sie verloren anscheinend Anhänger!

„Wie es scheint, ja. Jedoch ist es extrem schwer, mit ihm zu sprechen, da seine Aussetzer ein Ausmaß angenommen haben, wo man so gut wie nicht mehr mit ihm sprechen kann. Er reagiert zwar auf Fragen, antwortet aber nur mit gebrochenen Sätzen. Keine Chance“ Fyona zuckte mit den Schultern. „Er zeigt aber die typischen Anzeichen, welche auch Miss Lecrune am Anfang zeigte. Schreien, Weinen, Lachen. Manchmal alles gleichzeitig. Rausreißen von Haaren, Aufkratzen der Haut, verkrampfen. Rollen auf dem Boden. Es mussten ihm sogar Gegenstände weggenommen werden, damit er sich nicht umbringt“ Hatte ich davon nicht zum Teil sogar schon gehört oder kam mir das nur so vor? Ich hörte gespannt zu, denn die Ärztin schien sehr davon überzeugt, dass es sich um den durch den Verlust des Seelenpartners ausgelösten Wahnsinn handelte. Das würde … das würde einiges erklären. Aber wie kam es dann, dass er sich nicht selber das Leben genommen hatte, sondern danach dürstete, jemand anderen umzubringen? Aber die Ärztin hatte mir einen Denkanstoß gegeben. Man kann doch noch mit Yakeno reden. Zwar antwortete er nur gebrochen, aber er könnte uns ein paar Anhaltspunkte geben. Immerhin musste er mit der Person in Kontakt gestanden haben, welche in Auftrag gegeben hat, Neva zu entführen. Und das könnten wir nutzen.
 

Wir verbrachten das Wochenende noch bei Leah, unternahmen ein paar Ausflüge mit ihr wenn es ging, meistens hingen wir aber im Anwesen und schauten Videos oder Filme, gelegentlich spielten wir sogar Videospiele und ich wies sie nun endlich nach mehreren Jahren in Downlook ein. Es hatte eine therapeutische Wirkung auf sie wie es schien, denn trotz dessen, dass sie lange spielte, zeigte sich kein Anflug von einem Anfall. Sie war so sehr konzentriert darauf, dass es sie wohl ablenkte. Ich wusste doch, dass Zocken zu etwas gut war. Das mussten wir den Ärzten sagen, denn ich konnte mir gut vorstellen, sollte man Leiah endlich etwas mehr spielen lassen, da sie nun auch die Ausdauer dazu hatte, könnte sich ihre Lage weiterhin verbessern. Und vielleicht, nur vielleicht, würde sie bald gar keine Anfälle mehr haben. Oder nur noch so vereinzelt auftretende, dass es keine große Sache mehr war.

Mit Vincent machten wir aus, einen Ausflug in die Strafanstalt der Vampire zu machen. Es war eine Art Hochsicherheitsgefängnis und je gefährlicher die Vampire waren und je höher die Straftat ausgefallen war, desto tiefer wurden sie hinein gebracht. Als Anführer eines der renommiertesten Teams der STTs war es Vincent möglich, selbst zu den letzten Räumen Zugriff zu erhalten. Wir durften als Begleitung mitkommen, doch mussten wir aufpassen. Da Yakeno nicht in der Verfassung war, länger als drei Minuten aufrecht auf einem Stuhl zu sitzen, wurden wir in seiner Zelle empfangen. Und der Anblick war wahrlich kein schöner. Er kniete da, den Kopf gesenkt, die Haare hingen ihm bereits lang ins Gesicht. Über die Arme verteilt konnte man blutige, teils verkrustete Kratzspuren ausmachen, an einigen Stellen hatte er blaue Flecken, vermutlich weil er mehrmals gegen die Wände gerannt ist. Er zuckte als würde er schluchzen, doch kam kein Ton von ihm. Man hatte ihm die Hände nicht verbunden, dafür war er aber an den Füßen festgekettet, sodass wir am anderen Ende des Raumes sicher waren. Langsam, nachdem sich die Tür hinter uns geschlossen hatte und nur das kleine Licht den Raum erhellte, hob er den Kopf und starrte und mit blutunterlaufenen geweiteten Augen an. Seine Fratze verzog sich von einen vorher noch überraschten Ausdruck in ein hämisches Grinsen.

„Wenn das nicht mal die Schlampe, ihr Schoßhündchen und der Spast vom STT ist!“, sprach er aus und spuckte in unsere Richtung. Oder zumindest, er versuchte es, denn kaum machte er die Bewegung, fiel er vor Schwäche vorn über und röchelte. Ich konnte sehen, wie etwas Blut aus seiner Nase lief. Aus Reflex versteckte ich mich hinter Caleb, sah an seiner Seite vorbei zu Yakeno. Ich hatte tatsächlich Angst vor ihm, mein Herz raste wie verrückt. Mein Verlobter sah mich kurz an und griff nach meiner Hand. Ich spürte, wie eine Welle der Ruhe mich überkam. Er nutzte seine Fähigkeit um mich zu beruhigen.

„Es bringt nichts, Angst zu bekommen, wenn wir ihn ausfragen wollen“, meinte er nur während Vincent zu dem Vampir rüber ging, ihn am Kragen packte und aufrichtete. Sein stählerner Blick bohrte sich in den von Yakeno, welcher nur lachte und so weit es ging hin und her wippte.

„Du hörst den beiden jetzt zu und beantwortest ihre Fragen, hörst du?“, zischte er ihn an. Der andere lachte laut auf, hob sie Hände und umklammerte das Handgelenk des Brünetten, welcher sich davon aber nicht einschüchtern ließ. Ich im Gegenzug wäre schon längst durchgedreht und wäre vermutlich in Tränen ausgebrochen.

„Wenn ich es kann!“, schrie Yakeno und kratzte Vincent, woraufhin er kurz geschüttelt wurde und Würggeräusche von sich gab. Als ob er sich davon wirklich übergeben würde.

„Wir wollen wissen, wer etwas im Widerstand von deiner Schwester will“, übernahm Caleb das Sprechen und ich war froh darüber, dass er mitgekommen ist. Wie er meinte, ich musste nicht immer die Starke spielen wenn ich Leute hatte, auf die ich mich verlassen konnte. Und er hatte oft genug bewiesen, dass er eine großartige Stütze und Unterstützung für mich war, weswegen ich mich darauf verließ, dass er das hinbekommen würde.

„Meine Schwester?“, wiederholte Yakeno überraschend ruhig, bevor er wieder in Gelächter und Geschrei ausbrach. Diesmal riss er sich aus Vincents griff und knallte auf den Boden. „Es gab nie eine Schwester! Ich habe keine! KEINE KEINE KEINE!“

„Wir reden hier von Neva!“, mischte ich mich diesmal ein. Was sollte das bitte heißen, keine Schwester?! Jemand musste sein Gedächtnis verdreht haben!

„Nein nein nein nein! Keine! Keine Keine! Nie da! Nirgends! Nur Lügen verbreitet! Wahnsinnig! Wütend! Keine Schwester! Verrückte!“ Er schaffte es nicht mehr, in Sätzen zu antworten und begann, seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen. Tränen rannen über seine Wangen, während er immer wieder ‚Keine‘ schrie. Panisch umklammerte ich Calebs Hand, diesmal schaffte auch er es nicht, mich mit seiner Gabe zu beruhigen. Vincent herrschte uns an, die Zelle zu verlassen und holte sofort einen Arzt, um Yakeno eine Beruhigung zu verlassen. Wenn der Wahnsinn mit dem Tod seines Seelenpartners zu tun hatte, wieso ließ man ihn dann eigentlich am Leben? War es seine Strafe? Wurde er Teil des Experiments? So oder so empfand ich es als sehr grausam, selbst für den armen Tropf. Aber seine Aussage verwunderte mich dennoch. Wieso schrie er, er habe keine Schwester? Hatte man sein Gedächtnis verdreht, sodass er Neva vergessen hatte? Sie mussten wirklich nicht wollen, dass wir die Vampirin fanden. Stellte sich nur die Frage, warum.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

„Wie ich es hasse. Kann man lernen nicht irgendwie spannender gestalten? Wie in den Filmen oder so. Einfach die Zeit fix vorspulen und schon weiß ich alles“ Ich musste mich einfach beschweren. Nun saß ich schon seit Tagen daran, alles nachzuholen, was ich über die Monate, die ich nicht zur Schule gehen konnte, verpasst hatte. Es war schwierig, sich alles zu merken und noch in den richtigen Kontext zu setzen. Und noch dazu – Ich wurde dank der Tatsache, dass ich zu Caleb gehörte, auch noch anders geprüft. Und obwohl ich schon einiges hinter mir hatte - Der ganze Scheiß begann ja mitten in der Püfungszeit - so hatte mir der damalige Schock einen ordentlichen Strich durch die Rechnung und mein Gedächtnis gemacht.

Normalerweise sollte mir vieles erspart blieben. An Insignia gab es nur wenige schriftliche Prüfungen, da es in der Welt der Vampire eher darum ging, sich verbal behaupten und mit den anderen, höheren Wesen messen zu können. Zumindest hatte ich am Anfang gedacht, dass es sich bei diesen höheren Wesen nur um Vampire handelte. Wie wir aber nun im letzten Jahr erfahren hatten, gab es mehr als nur zwei Rassen in unserer Welt und wir mussten es schaffen, mit allen mit zu halten. Oh, und dann gab es ja noch ein Problem …

„Du denkst immer noch wie ein Mensch, Wynne“, gab mir mein Freund zu verstehen und schaute über meine Schulter hinweg auf den Paragraphen, an dem ich gerade hing. Ich musste ja schon selber zugeben, dass ich überraschend weit gekommen war. Eigentlich hatten wir sogar Wetten abgeschlossen. Das hieß Sei, Kira, Caleb und sogar ich. Kira und Caleb hatten damit gerechnet, dass ich nach den ersten drei Kapiteln aufgeben würde. Sei hatte mir immerhin schon mal vier zugetraut. Ich dachte, ich würde nur eines schaffen. Ja, nur eines. Denn ich hatte mir zugetraut, nach den ersten paar Sätzen des zweiten Kapitels das Buch an die Wand zu schmeißen und mich auf das Bett zu werfen. So ein Scheiß. Jetzt hing ich im fünften fest.

„Schau Mal. Die Blutsdiener-Prüfung fällt für dich schon mal weg. Das heißt, den ganzen Stoff kannst du vergessen.“

„Toll. Dadurch, dass ich aber gewandelt bin, muss ich mich mit der menschlichen und mit der vampirischen Geschichte auseinander setzen. Weißt du eigentlich, was für ein Scheiß das ist? Das ist doppelt so viel Geschichtsunterricht und ich hasse dieses Fach wie die Pest! Ich wollte nicht einmal die menschliche Geschichte so auseinander nehmen! Jetzt muss ich zwei Stränge irgendwie in meinen Schädel prügeln und-„ Mein Beschweren wurde durch seinen nur allzu süßen Kuss unterbrochen. Schmollend blickte ich meinen Vampir an. Das war nicht unbedingt der praktischste Zeitpunkt dafür, aber es hatte mich immerhin etwas beruhigt.

„Du packst das, Wynne. Du wirst eine Lecrune“

„Stimmt. Wenn du das hinbekommen hast mit deinem Mäusehirn, sollte ich das rocken können“

„…. Was immer dich glücklich macht“
 

Man konnte nicht sagen, dass man nett mit mir umsprang, weil ich gerade vor wenigen Monaten zur verdammten Heldin dieser Rasse geworden war. Ich hatte es aus dem Grund nicht einfacher, weil sie der Meinung waren, ich sollte damit doch zurechtkommen. Zum Teil konnte ich es verstehen, immerhin waren sie so nett und ließen mich die Prüfungen in den eigentlichen Sommerferien nachholen. Normalerweise gab es eine solche Ausnahme nicht, aber da kam mein Titel ‚Heldin der Vampire‘ mir ganz gelegen. Sie gaben mir nur deswegen diese Chance. Trotzdem waren sie ganz schöne Arschlöcher.

Jeder von ihnen ging davon aus, dass ich bald zu den Lecrunes gehören würde. Da gab es an sich auch nicht wirklich einen Weg drum herum, dadurch, dass wir durch den Bund zusammen gehörten. Und natürlich musste diejenige, die zum baldigen Oberhaupt einer führenden Familie gehörte, besonders geprüft werden. Glaubt mir, wenn ich sage, wenn euch ein Oberhauptskind anredet: Lauft. Lauft und schaut nicht zurück, denn es bedeutet euren Untergang, vor allem dann, wenn ihr Prüfungsangst habt. Immerhin damit hatte ich Glück. Nur wünschte ich mir immer wieder, Kiras photographisches Gedächtnis zu besitzen. Sie musste das alles gerockt haben, Wissenstechnisch.

Ich konnte immerhin mit meiner Art überzeugen. Direkt, selbstüberzeugt und nicht nachgebend. Ich hatte noch an meinem Trauma zu nagen, das rechneten sie mir nicht an. Manchmal hatte ich selber noch mit Rückfällen zu kämpfen, musste mich sogar während einer Prüfung stark zusammen reißen. So sehr, dass man mich fragte, ob ich abbrechen wöllte. Ha. Für’n Asch wäre alles gewesen, wirklich alles. Denn eine Wiederholung hätte ich nicht bekommen. Keiner der Lehrer wollte sich antun, das alles länger als nötig durchzuziehen. Was soll man sagen? Vampire waren eiskalt. Und das war kein gewöhnliches Gymnasium.

Also stand ich da. Zitternd. Die Hände verkrampft, den Blick auf meine Prüfer gerichtet. Funkelte denjenigen an, der den Abbruch vorgeschlagen hatte.

„Nein“, presste ich zwischen den Zähnen hervor. „Vor etwas davon zu laufen, was mich sowieso mein Leben lang verfolgen wird, nur in diesem einen Moment, wird mich auch nicht weiter bringen“ Ein angestrengtes, triumphierendes Lächeln stahl sich über meine Lippen, als der Vampir nickte, sich eine kurze Notiz machte und dann an seine letzte Kollegin weiter gab, welche ich nur mit wenigen Worten von meiner Gerissenheit überzeugen konnte. Man könnte sich fragen, worin ich geprüft wurde. Es war etwas ganz eigenständiges. Davon hatte ich auch erst erfahren, kurz bevor man mich ausfragen würde. Alias: Ich wurde aus dem Bett geschmissen und mir wurde gesagt, ich solle in den Saal gehen. Klasse, oder? Ich wurde getestet, wie ich in unvorbereiteten Situationen reagierte, mich artikulierte und letztlich auch als Oberhaupt hinstellte. Würde ich einen kühlen Kopf bewahren oder durchdrehen? Unter dem Druck zusammen brechen? Glaubt mir, ich wollte es. Ich tat es auch, als ich wieder in Calebs Zimmer war. Ohne ihn hätte ich diese ganze Tortur über zwei Wochen nicht durchgehalten. Als wir uns kennen lernten, hätte ich nie geglaubt, dass er eine tragende Säule in meinem Leben werden würde. Geschweige denn mein Seelenpartner. Wir teilten uns den intimsten Bund, den es gab. Auf die stärkste Art und Weise. Das hatte sogar Caleb nicht glauben können.
 

Über die Tage, in denen ich Zeit hatte, beschloss ich mich dazu, ein wenig Recherche zu betreiben. Es war schon bekannt, dass Caleb und ich diese ‚Bestimmung füreinander‘ hatten und teilten. Nur halt, dass es bei uns etwas eigenartig war. Anstatt dass wir uns uneingeschränkt zueinander hingezogen fühlten wie Sei und Kira, hatten wir unsere Höhen und Tiefen bis zu dem Punkt, an dem ich manche Dinge sogar einfach bezweifelte. An denen ich an unserem Bund zweifelte. Ich hatte gespürt, wie er beinahe entzwei gerissen wäre. Wir bewegten uns lange auf dünnen Faden. Und ich wollte wissen, warum.

Wie sich herausstellte, hatte alles mit meiner Vorfahrin Adamantia zu tun. Die Zerstörung eines Bundes benötigt einen starken Willen, auch, um danach nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Und Adamantia war stark, sehr stark sogar. Sie war eine, in damaligen Zeiten, sogenannte Vampirjägerin, die sich darauf spezialisiert hatte, die Rasse auszumerzen. Und es war auch kein Problem für sie, bis sie auf einen Vampir mit dem Namen ‚Dracula‘ stieß. Kommt einem bekannt vor? Sollte es auch, immerhin ist es Caleb’s Vorfahre. Bereits die zwei teilten sich den Bund, eine Tatsache, die sich herausstellte, als Dracula meine Vorfahrin biss. Allein die Tatsache, dass er so nah an sie heran gekommen ist, ohne zu sterben, zeugte von einem Talent, das anderen Vampiren fehlte. Niemand wusste, wie er es geschafft hatte, nur, dass er Adamantia gebissen und somit an sich gebunden hatte, denn diesen Teil erzählte sie nicht. Nur, dass sie, im Laufe des Aufstandes, ihm ein zweites Mal gegenüber stand und Probleme bekam, sich ihm zu stellen. Der Bund zeigte Wirkung, doch sie wehrte sich dagegen und brachte den Vampir letzten Endes zur Strecke.

Adamantia schaffte es, während der Trauerphase über den Verlust ihres Seelenpartners, nicht dem Wahnsinn zu verfallen und sich selber das Leben zu nehmen. Sie beschrieb es als schwierig, mit erhobenem Haupt den Tag zu bestreiten, jedoch half der Sieg über die Vampire, dass sie diese Schritte tun konnte. Und die Überwindung der ‚Trauer‘ brachte auch den Bruch des Bundes mit sich, ein Bruch, der über mehrere Jahrhunderte verhinderte, dass sich unsere Blutlinien treffen konnten. Auch wenn ich mich frage, mit wem Dracula Nachkommen gezeugt hat … und vor allem, wann!

Aber das spielte keine Rolle mehr. Was wichtig war, war die Erkenntnis, dass wir an uns arbeiten mussten, dass ich daran arbeiten musste, Caleb nicht zu oft auf den Schlips zu treten und zu verletzen. Es war nicht einfach. Ich war keine romantische Person und hatte oftmals Probleme damit, ihm offen meine Gefühle zu zeigen oder zu sagen. Mit vielem davon kam er schon klar, nur meine bissigen Kommentare verletzten ihn. Die Angewohnheit musste ich wirklich noch loswerden.

Aber ich konnte auch stolz auf mich sein. Ich hatte meine Abneigung Vampiren gegenüber so gut wie abgelegt und verstand mich jeden Tag ein bisschen besser mit ihnen, wobei mit auch Caleb unglaublich half, nicht die Fassung zu verlieren. Die Prüfungen waren schlimm genug gewesen, manch eingebildete Blicke hätte ich gerne einfach eingeschlagen. Als ich jedoch von den Ergebnissen hörte, verschwand diese Wut wieder. Ich hatte bestanden und das mit einem unglaublich guten Durchschnitt! Vor Freude hob mich Caleb hoch und drehte mich einmal im Kreis, bevor er mich wieder absetzte und mir einen Kuss gab. Ich lachte nur, legte meine Hände auf seine Schultern und bedankte mich bei ihm dafür, dass er mich so unterstützt hatte.

„Das kommt alles von deiner eigenen Stärke, Wynne.“, meinte er nur und legte seinen Kopf auf meinen, während er mir mit einer Hand über den Rücken streichelte. Ich seufzte, schloss meine Augen und legte schließlich auch meine Arme um seinen breiteren Körper.

„Die Stärke, die gebrochen war, meinst du Wohl“, gab ich nur zurück und kuschelte mich vorsichtig an. Ich konnte selber manchmal nicht glauben, wie wohl ich mich auf einmal fühlte, wenn ich in seinen Armen war. Ob es nun eine Umarmung war, Kuscheln, oder sonstiges, Caleb strahlte eine unbeschreibliche Stärke und Sicherheit aus. Daran könnte ich mich definitiv noch weiter gewöhnen, wobei ich aufpassen musste, nicht davon abhängig zu werden.
 

An dem Abend feierten wir noch. Dafür luden wir auch Kira und Sei ein, die sich ausnahmsweise Zeit nehmen konnten, und fuhren in die Stadt, um trinken zu gehen. Wir hatten auch versucht, Vincent und Elisabeth zu erreichen, aber bei einem Mitglied des STTs und einer berühmten Sängerin konnte man halt davon ausgehen, dass diese schwer zu erreichen waren. Beide würden aber definitiv in unserem Herzen bleiben, auf eine äußerst positive Weise.

An dem Abend erfuhr ich, dass es für Vampire ein spezielles Gemisch an Alkoholischem Getränk gab. Mit Blut! Das musste man sich erst einmal vorstellen. Die ganze Sache mit dem Bluttrinken war noch immer nicht so meins, aber ich versuchte es wenigstens und gab auch dem Getränk eine Chance. Da ich aber noch ein Jungvampir war – Kira bald nicht mehr, da sie ja einige Zeit vor mir verwandelt wurde – waren auch meine Geschmacksknospen noch nicht abgestorben und ich konnte mir auch normale menschliche Getränke bestellen und damit angeben. Hey, wenn ich das noch konnte, warum denn auch nicht?

„Caleb hat uns erzählt, dass du die Prüfung als Drittbeste abgeschlossen hast“, meinte Kira, nachdem wir uns zusammen gesetzt und schon ein wenig geplaudert hatten. Ich sah kurz mit gehobener Braue zu meinem Vampir, welcher mich unschuldig anlächelte, und schüttelte mit einem Schmunzeln den Kopf.

„Manchmal redet er einfach zu sehr!“, meinte ich mit einem amüsierten Unterton, „Aber ja, das habe ich tatsächlich geschafft. Und ich hätte es selber nicht erwartet. Ich dachte mir nur, wenn ich wenigstens bestehe, bin ich glücklich“

„Und dann hat sie während der Spezial-Prüfung die Prüfer so von sich überzeugt, dass ihre Note gehoben wurde!“, berichtete Caleb stolz und legte einen Arm um meine Schultern. „Aber von meiner Zukünftigen habe ich auch nicht weniger erwartet“ Ich verleierte die Augen bei seinem Gehabe, grinste aber vor mich her. Irgendwie freute es mich ja auch, dass er es nicht bereute, ausgerechnet mit mir verpartnert zu sein. Kira neben mir, welche ihre Prüfung mit Bravur bestanden hatte, klopfte auf den Tisch vor Anerkennung, was ich mit einem Schnauben quittierte.

„Du brauchst dich nicht über mich lustig zu machen“, meinte ich nur und lehnte mich zurück, noch immer ein Grinsen in meinem Gesicht.

„Das würde ich doch niemals wagen, Wynne!“, gab diese nur mit einem Lachen zurück und streckte mir die Zunge heraus. Sie war in den Jahren so unglaublich frech geworden, dass ich es selber kaum glauben konnte. Aber sie war ja auch nicht die einzige, die sich geändert hatte. Mir ging es dabei nicht anders. Ich kam mir tatsächlich ruhiger, entspannter und vor allem erwachsener vor. Aber was sollte man auch von einem 24-Jährigen Ich erwarten? Irgendwann musste sich bei mir ja auch mal der Schalter umlegen!

Caleb und ich waren während meiner Zeit, als ich noch kaum ansprechbar war, regelrecht zusammen gewachsen. Er hatte mir geholfen, damit klar zu kommen, dass ich nun ein Vampir war und mir beigebracht, wie ich das Blut richtig trank. Gleichzeitig hatte er mich auch an den Geschmack gewöhnt und mich unterstützt, wenn ich einen meiner Panikanfälle hatte. Denn seine Gabe wirkte noch immer Wunder bei mir, und ich konnte jedes Mal nur erleichtert aufatmen, als er sie angewandt hatte. Niemals hätte ich gedacht, dass er mir mal eine solche Hilfe sein würde. Aber so war es nun einmal gekommen.

Wir genossen die Gesellschaft unserer Freunde, plauderten und tranken. Ich versuchte auch einen der Blutcocktails und musste zugeben, dass dieser nicht schlecht schmeckte. Wie hieß er nochmal? Red Fountain oder so. Ein echt interessantes Gemisch. Der Geschmack von Blut ging beinahe unter, gleichzeitig bemerkte man auch kaum was vom Alkohol. So wenig, dass mir nach einiger Zeit schon etwas schwummrig wurde, weswegen Caleb mich festhielt.

„Trink nicht zu viel.“, meinte er nur ruhig und schnippte mir leicht gegen die Stirn. Ich schnaubte, hielt ihm mein Glas hin und entgegnete: „So leicht kipp ich schon nicht um, mein Lieber!“

„Soll ich dich daran erinnern, dass du auf der einen Party sturzbesoffen warst?“

„Das war nich‘ ‚sturzbesoffen‘! Und das war nich‘ meine Schuld!“

„Was auch immer, Prinzessin“ Damit verdrehte der Vampir die Augen und ich kniff ihm in den Oberarm, was ihn zum Jammern und die anderen zwei zum Lachen brachte.

„Wer hätte gedacht, dass ihr euch mal so gut versteht!“, warf Sei ein und stützte sich auf dem Tisch ab, beugte sich somit leicht nach vorn, bevor er zu seiner Verlobten sah. „Aber ich hatte auch nicht daran gedacht, meine Seelenpartnerin an der Schule zu finden. Wunder sich also durchaus möglich“

„Und man muss es schon als Wunder bezeichnen, dass Wynne Caleb nicht nach zwei Monaten gehäutet hat!“, scherzte Kira, um mit einzustimmen und lehnte sich an ihren Schwarzhaarigen. Seufzend fuhr ich mir durch die Haare. Irgendwie ging es wieder darauf zurück, wie sehr ich Vampire und vor allem auch Caleb nicht ausstehen konnte. Aber nun, nun war ich mit ihm verlobt. War von ihm verwandelt worden. Und irgendwie bereute ich es nicht. Wir waren stark, gemeinsam, und ich nicht irgendein billiger Bettvorleger, auf dem mein Mann rumtreten konnte. Oder sonst irgendwer in der Vampirgesellschaft. Schwacher weiblicher Mensch? Pah! Ich hatte denen gezeigt, wie weit ich gehen konnte, bevor ich beinahe gestorben wäre. Noch immer fragte ich mich, wie knapp die Lage eigentlich gewesen war, aber niemand wollte darüber sprechen. Selbst Caleb lief kreideweiß an, und dabei war er schon sehr bleich. Wenn das nicht von seiner Angst zeugte, dann wusste ich auch nicht weiter. Und dieser Kerl hatte mir vor einigen Jahren noch gedroht, mich von der Schule schmeißen zu lassen …

„Da wir grad ja dabei sind, über’s gut Verstehen und so zu reden!“, fing ich wieder an, schwenkte mein Glas und beugte mich selber nach vorn, mein Glas Sei entgegen haltend, welcher mit gegenüber saß. „Wann steht denn nun eigentlich die Hochzeit an, ihr Turteltauben?!“ Mit einem Grinsen vernahm ich, wie sich beide Augenpaare weiteten und die zwei angesprochenen rot anliefen. Sei räusperte sich, während Kira sich nervös lächelnd durch die Haare fuhr.

„Wissen wir noch nicht, um ehrlich zu sein“, gab sie zuerst zu und legte den Kopf schief. „Es gibt einfach noch so viel zu planen. Und dabei sind es bald schon wie viele Jahre?!“

„Eins, soweit ich richtig zählen kann“, sprach Sei und seine Verlobte nickte leicht.

„Also doch noch nicht ganz so lang! Außerdem könnte man euch zwei dasselbe fragen!“

Gespielt schockiert setzte ich mich auf und legte eine Hand an meine Brust.

„Bei uns sind doch kaum ein paar Monate vergangen!“, meinte ich nur und sah zu Caleb, bevor sich Kira räuspernd einmischte.

„Ich habt euch nur wenige Monate nach uns verlobt. Also bitte!“ Tja, wie schnell doch die Zeit verging. Und wie man sich auch einfach in der Schätzung vertun konnte.

„Wenn ich ehrlich sein soll“, mischte sich diesmal Caleb ein und stützte sich auf den Tisch ab, sah von unten zu mir, bevor er begann, Kreise mit dem Zeigefinger auf dem Holz zu ziehen. Verwirrt zog ich meine Brauen zusammen. „Auch wenn wir eigentlich keine Eile haben, hätten meine Eltern ganz gern, wenn wir innerhalb eines Jahres heiraten“

„Entschuldige?!“, stieß ich aus und verschluckte mich beinahe an meinem Getränk. Binnen eines Jahres? Das war doch nicht zu fassen! Was trieb sie dazu? Dass ich im Namen noch keine Lecrune war? Das sollte doch kein Problem darstellen, selbst wenn Caleb nach der kurzen Ruhezeit das Erbe antreten sollte! Und soweit ich wusste, war es sogar nach den Sommerferien bereits soweit. Ich konnte nur seufzen, denn das bedeutete, dass wir kaum Zeit füreinander hätten. Es war so schon nicht einfach gewesen, aber wir konnten das klein bisschen Zeit wohl noch nutzen. Hoffte ich zumindest.

„Ich weiß auch nicht, warum. Sie haben es mir einfach so gesagt. Vielleicht können sie es einfach nicht erwarten, dich als Schwiegertochter zu haben?!“

„Es is‘ ja nich‘ so, als hätte ich was dagegen! Aber, uff! Ein Jahr ist schneller rum, als man denkt. Und wenn ich überlege, was hinter einer Vampirhochzeit alles dahinter steckt …“ Ich würde die Abende in den nächsten Monaten wohl haareraufend dasitzen und überlegen, wie wir das am besten veranstalten würden. Die Ratsfamilien mussten eingeladen werden, so viel war klar. Enge Freunde der Familie, Maids und Diener der Familien und Freunde. Die Eltern, natürlich. Meine Eltern. Ach du scheiße. Und mein Teil der Familie. Die wussten natürlich schon über alles Bescheid, aber ein paar kleine Menschen gegen die Masse an Vampiren zu stellen war schon übel. Wenn ich nur daran dachte lief es mir kalt den Rücken runter! Ich seufzte auf und schlug mit dem Kopf auf dem Tisch auf. Zum Glück war der Abend noch nicht ganz gelaufen …
 

Zum Glück schwappte das Thema noch einmal über und wir entspannten uns zumindest ein wenig. Keine Hochzeiten. Keine Prüfungen. Nur vier Freunde, die beisammen saßen, tranken, redeten und lachten. Über ihre Abenteuer plauderten und sich fragten, wie sie denn eigentlich so weit gekommen waren. Und die Nacht brach an. Wir alle mussten unserer Wege gehen, doch keiner von uns musste zurück an die Akademie. Es fühlte sich seltsam an. Gut, aber es stimmte mich auch minder traurig. Der Gedanke, dass die Jahre vorüber waren, der ganze Stress, das Lachen, die Zusammenarbeit, aber auch die Angst … es trieb mir Tränen in die Augen, die ich während der Fahrt zu dem Hotel, in welchem Caleb ein Zimmer gebucht hatte, nicht zurückhalten konnte. Das alles hieß natürlich nicht, dass wir uns alle niemals wieder sahen. Ich würde darauf achten, in Kontakt mit Kira zu bleiben und ihr regelmäßig zu schreiben. Sie zu nerven und ja daran zu erinnern, uns auf ihre Hochzeit einzuladen. Caleb nahm mich einfach in den Arm, während ich die Tränen still laufen ließ. Dabei gab ich keinen Ton von mir. Das Wasser rann mir lediglich die Wangen hinab, befeuchtete meine Wangen und tropfte letztlich auf mein Oberteil. Es war, als würde mit jeder Träne ein bisschen mehr Last von meinen Schultern fallen. Und es fühlte sich zugegebener Maßen recht gut an. Und immerhin, diese Nacht konnte ich endlich wieder mit meinem Verlobten in vertrauter Zweisamkeit verbringen. Und davon genoss ich jede Minute.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie auf dem Feld stand. Dem Feld, das vor einigen Monaten noch mit Blut befleckt war und nun schon wieder die ersten Gräser zeigte. Es war unzerstörbar. Die Natur kehrte dorthin zurück, wo sie hingehörte. So zog es auch die Jägerin langsam nach Hause zurück. Doch war es nun eine andere Heimat. Sie befand sich in den Armen einer Person, welche sie als solche niemals wahrgenommen hätte. Er, ihr Pfeiler? Er, ihre Stütze? Er, ihr Geliebter? Sie hatte sich mehrmals selber ausgelacht, seinem Charme zum Opfer gefallen zu sein. Aber anstatt ihr wie erwartet in den Rücken zu stechen, stand er nur hinter ihr und streichelte ihr über die Wunden, die sie während ihrer Kämpfe erhalten hatte. Narben, die nie wieder verschwinden würden, aber auf welche sie mehr als stolz war. Ihr Lächeln wurde breiter. Endlich war sie angekommen.
 

Zufrieden speicherte ich das Dokument ab und schloss meinen Laptop. Gerade rechtzeitig, denn Caleb erwartete mich bereits, um mit den Vorbereitungen zu beginnen. Wir hatten nun ein Datum für unsere Hochzeit. Diesmal waren wir dabei schneller als Sei und Kira, was aber nicht zuletzt an einer simplen Tatsache lag: Vor wenigen Wochen hatte ich herausgefunden, dass ich anscheinend ein Kind erwartete. Als uns diese Nachricht verkündet wurde – nachdem ich auf Grund von Übelkeit zu einem Arzt bin und mich hatte untersuchen lassen – war uns zunächst der Atem weggeblieben. Wir wussten nicht, bei welchem der Male es passiert war, aber nun, daran konnte man jetzt auch nichts mehr ändern. Und ärgerlich war es auch nicht wirklich. Wir nahmen es als Startpunkt für unsere Planungen, da weder ich noch Caleb wollten, dass ich zu ‚dick‘ für das Kleid werden würde. Lächerlicher Gedanke, aber so war es nun mal! Da ich aber noch in einer kritischen Phase war, entschieden wir uns dafür, es noch geheim zu halten, bis sicher war, dass mein Körper das kleine Wesen nicht abstoßen würde. Wenn ich ehrlich sein sollte, wusste ich nicht einmal, wie das passieren sollte: Caleb kümmerte sich auf Grund seiner eigenen Aufregung und, zugegebener Maßen, großen Angst um das meiste, nahm mir einige Arbeiten ab, obwohl ich noch nicht in dem Stadium war, wo mir derartiges verboten wurde. Doch anstatt mich zu beschweren rollte ich leidglich mit meinen Augen und legte am Ende des Tages zufrieden die Arme um den Oberkörper meines zukünftigen Mannes, erzählte ihm, wie stolz ich doch auf ihn war, dass er sich so entwickelt hatte und mir ja so viel schwere Arbeit abnahm. Ich wusste bereits genau, dass er es mochte, derartiges zu hören. Er war doch immerhin noch ein recht simpler Mann. Er mochte Komplimente in diese Richtung und fühlte sich dadurch bestärkt in seinem Tun. Und dass diese Komplimente noch von mir kamen, freute ihn umso mehr, immerhin war ich keine einfache Persönlichkeit. Ich hatte große Probleme damit gehabt, meine Gefühle offen auf den Tisch zu legen oder mich darüber zu äußern. Je mehr ich jedoch Zeit mit Caleb verbrachte, desto einfacher fiel es mir. Die ersten Tage, als ich noch schwer ansprechbar war, hatte er viel mit mir geredet. Über uns. Seine Gefühle. Und wie er mich wertschätzte. Dass er sich sicher war, dass meine Stärke zurückkehren würde. Zwar musste ich zugeben, dass ich noch immer etwas gebrochen war, und eine gewisse Angst davor hatte, allein zu sein, aber alles in allem hatten mir diese Monologe von ihm sehr geholfen, mich wieder aufzubauen und mir auch den Mut zu geben, diese wichtigen drei Worte zu sagen. ‚Ich liebe dich‘. Niemals würde ich die Macht dieser Worte missbrauchen, immerhin erinnerte ich mich jederzeit bestens daran, wie überrascht mich Caleb damals angesehen hatte. Meine ersten Worte nach einer Menge schweigen und es war direkt das Geständnis, dass ich über all die Zeit nicht hatte mustern können.

Dass ich jedoch jetzt so mit Caleb redete, hieß noch lange nicht, dass wir uns nicht mehr gegenseitig neckten. Gelegentlich warfen wir uns Worte aus Spaß an den Kopf, meistens begann ich damit, wofür ich von ihm einen gespielt genervten Blick abbekam, meistens begleitet von einem leichten Grinsen. Dann gab er entweder etwas zurück, oder hob mich einfach auf das nächstbeste Möbelstück, sodass wir auf einer Augenhöhe waren. Wenn ich dann weiter machte, oder ihm nach einer kurzen ‚Standpauke‘ die Zunge rausstreckte, küsste er mich einfach. Hätte man mir vor 5 Jahren gesagt, dass ich so enden würde, hätte ich demjenigen vermutlich vor das Schienbein getreten. Aber nun, nun konnte ich mich kaum glücklicher schätzen. Ich hatte einen Mann, der mich beschützte, alles für mich tun würde und meine leicht bissigen Kommentare so nahm, wie sie waren: Kleine Sticheleien, die nicht ernst gemeint waren. Niemals mehr wollte ich ihn so verletzen so wie das eine Mal kurz vor seiner Zwischenprüfung. Der Ausdruck hing mir noch in Mark und Bein. Es hatte geschmerzt, seelisch, wie verletzt er damals gewesen war. Und jetzt, jedes Mal, wenn er niedergeschlagen zu sein schien, nahm ich sein Gesicht in die Hände und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Nicht, dass es noch oft vorkam. Und wenn, dann war wenigstens nicht ich der Grund. Nicht mehr und nie wieder. Und dafür war er mir auch mehr als dankbar.
 

Nicht nur, dass wir uns so besser verstanden. Tag für Tag spürte ich mehr, wie unser Bund zusammen wuchs. Er wurde stärker, und das merkten wir an Kleinigkeiten: Caleb spürte, wenn ich aufgeregt war. Ich spürte, wenn er sich Sorgen machte oder gestresst war. Es waren triviale Dinge, auf die wir dank dieser Verknüpfung jedoch besser eingehen konnten als jedes Menschenpaar. Und es half dabei, Geheimnisse zu vermeiden. Zumindest solche, die mit Gefühlen zusammen hingen. Wenn es einem von uns schlecht ging, merkte der andere dies und sprach es an. Wir redeten darüber, nahmen einander in den Arm und unterstützten uns. Streitigkeiten gab es nur noch, wenn es um etwas ging wie die Gestaltung unserer Hochzeit. Welche Deko? Welche Musik? Kleidung? Unsere Ringe? Seine Eltern wollten auch ein paar Wörtchen mitzureden haben. Das wichtigste hierbei war aber auch das: Da ich aus einem menschlichen Haushalt stammte, wollten natürlich meine Eltern – und auch ich – eine traditionell menschliche Hochzeit. Bei den Vampiren jedoch gab es eine andere Sitte. Sie hatten weder Brautjungfern noch Trauzeugen oder sonstiges. Ringe gab es, immerhin dies überschnitt sich. Anders war der Brauch, dass Vampire bei deren Hochzeit ihr Blut austauschten. Oder eher gesagt: Sie gaben einen kleinen Teil ihres Blutes in eine Schale, sodass es gemischt wird. Diese Schale müssen sie umfassen, gemeinsam, während ihre Handgelenke locker aneinander gebunden werden. Zunächst hilft dann der Bräutigam seiner Braut, aus der Schale zu trinken. Ein Symbol dafür, dass er über sie wacht, sie beschützt und sich wenn nötig für sie aufopfert. Ein Teil des Blutes muss dabei an den Lippen der Frau bleiben, mit welchen sie ihren Mann dann küsst, bevor dieser den Rest aus der Schale trinkt. Bestenfalls sollte das meiste noch darin sein: Die Frau nimmt nur einen kleinen Schluck und lässt dabei die Stärke für ihren Mann, das Vertrauen, dass sie sich alles teilen, schenkt sie ihm mit ihrem blutigen Kuss. Das alles musste ich mir merken. Mir einprägen. Denn ein Fehler bei der Zeremonie verhieß im Lande der Vampire nichts Gutes. Sollte angeblich Unglück bringen. Und auch wenn ich nicht abergläubisch war: Wenn die Vampire etwas fürchteten, dann musste ja wohl etwas dahinter stecken. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dieses Ritual bei nicht gebundenen Vampiren einen Bund simulieren soll.

Auch eine interessante Tatsache, die mich nicht wirklich störte: Vampire trugen auf ihren Hochzeiten kein Weiß. Sie selber verstehen darunter dasselbe wie Menschen: Reinheit. Und sie wissen, dass sie keine reinen Wesen sind. Die Farben der Kleider werden meist in den Hauptfarben der Familien gehalten, so wird meines schwarz-rot ausfallen. Xenia und Cécilia haben sich schon bereit erklärt, mit mir in einer der Hauptstädte einkaufen zu gehen und um nicht vollständig den Verstand zu verlieren, habe ich dazu noch Kira eingeladen, um mir Beistand zu leisten. Außerdem war sie meine Brautjungfer, also war es sogesehen auch ihr Anliegen.

Anzüge waren an sich wie bei den Menschen, wobei sie zum Teil eleganter ausfielen. Fast Barock-Mäßig könnte man sagen. So hatte ich es zumindest gehört. Gesehen jedoch leider nicht, und es würde mich wirklich brennend interessieren, da ich genau wusste, wie gut Caleb in einem Anzug aussah.

„Was sagst du zu denen?“, fragte mich mein Mann und deutete auf zwei schwarze Ringe. Alles war ziemlich kontrastreich zu meinen eigentlichen Farben, immerhin war ich Blautöne gewohnt. Hellere Farben. Bei den Lecrunes war alles eher dunkel, schwarz oder rot, aber unglaublich elegant, dass man wirklich glauben konnte, man befände sich in einem vollkommen anderen Zeitalter bei ihnen.

„Die sind hübsch“, meinte ich ehrlich, als ich den kleineren der beiden genauer musterte. Ich hatte Caleb darum gebeten, etwas nicht allzu pompöses rauszusuchen. Obwohl sie zur Adelsklasse gehörten und dementsprechend fast mit einer schwarzen Kreditkarte wedeln könnten (ganz davon zu schweigen, dass ich auch nicht gerade arm war), wollte ich es eher schlicht halten. Der Preis für die Ringe war ebenso annehmbar. Natürlich ein Paar, ein glänzendes schlichtes schwarz.

„Natürlich fehlt noch die Gravur“, erklärte der Schwarzhaarige und steckte mir den Ring zur Probe an den Finger. „Er steht dir“ Seine ganze Mimik wandelte sich, als sich unsere Blicke trafen. Eben noch war er ein Business-Mann, verhandelte mit den Angestellten und dem Besitzer des Ladens, doch nun sah ich all die Liebe in seinen Augen widerspiegeln, die er für mich empfand. Ich wusste nicht mehr, wie ich jemals an dem zweifeln konnte, was wir füreinander empfanden. Sicher, der Bund hat uns zueinander geführt, aber was auch immer wir fühlten gehörte allein uns. Das war nichts Falsches oder Erzwungenes. Das war unseres. Mit einem Lächeln erwiderte ich den Blick, bevor ich auf den Ring an meinem blassen Finger sah. Bei Caleb würde es einen ähnlichen Kontrast geben.

„Die rote Rosengravur fehlt noch. Und die Feder“

„Die Symbole der Lecrunes“ Caleb lachte leise und nahm mir vorsichtig den Ring wieder ab. Es war wohl so, als hätten wir uns entschieden, ohne es wirklich in Worte zu fassen. Und auch obwohl es dunkel war – und das Rot nicht viel dazu beitragen würde, es aufzuhellen – fand ich die Ringe wunderschön. Und sie würden uns in alle Ewigkeit verbinden.

Caleb redete noch etwas mit dem Verkäufer, während ich mich umsah. Das war der vierte Laden gewesen, den wir besucht hatten. Die vorherigen waren entweder zu teuer gewesen oder hatten einfach nichts gehabt, was uns gefallen hatte. Diesmal aber waren wir uns einig, und um Caleb noch einmal die Rückversicherung zu geben, dass ich mit den Schmuckstücken einverstanden war, nahm ich seine Hand und drückte sie etwas. Er sah mich kurz an, lächelte leicht, bevor er sich wieder an den Verkäufer wandte und erklärte, was für eine Gravur er haben wollte. Oder fast brauchte. Auch ein Brauch unter Vampiren, besonders der der höheren Familien. Xenia hatte mir bereits einmal ihren Ring gezeigt. Während es unter Menschen nicht unüblich war, neue Ringe zu kaufen, behielten Vampire ihren für immer. Das war dank der besonderen Ringschmiede in ihrer Gesellschaft durchaus möglich, denn diese kannten einen Trick, dass der Schmuck keiner Verwitterung ausgesetzt wurde. Und wenn ich ehrlich sein sollte: Ich freute mich auf dieses kleine Ding, dass bald für immer an meinem Finger bleiben würde.

Als wird in diesem Geschäft fertig waren, schlenderten wir noch etwas durch die Stadt. Der Tag gehörte uns. Den danach würde ich mit Calebs Mutter, der Dienerin der Familie und Kira verbringen. Und vermutlich ebenso die darauffolgenden Tage. So nutzten wir also die Zeit, die wir noch übrig hatten.

„Geht es dir eigentlich gut?“, fragte Caleb besorgt nach, als wir einige Zeit lang gelaufen waren. Verwirrt sah ich ihn an, erinnerte mich daran, dass ich ja momentan meinen Körper mit jemandem teilte und lachte dann leise, bevor ich nickte.

„Sicher. Gehen wir noch ein Stück und setzen uns dann. Vielleicht in ein Café?“ Auch wenn Caleb nichts mehr schmecken konnte, so ließ er mir noch die letzten Freuden, die ich mich menschlichem Essen hatte. So stimmte er auch diesmal zu und wir steuerten das nächste Café an, das wir finden konnten.

Als wir saßen und bestellt hatten, atmete ich einmal tief durch und lehnte mich zurück. Wir waren schon eine ganze Weile unterwegs, aber morgen würde es sicherlich schlimmer werden.

„Denk daran, Pausen einzulegen, okay? Überanstreng dich nicht“ Der Schwarzhaarige war deutlich weitaus besorgter, als er sein musste. Ich verdrehte nur die Augen, beugte mich leicht nach vorn und umfasste seine Hand mit der meinen.

„Ich bin nicht hochschwanger, Caleb. Noch halte ich das aus. Später hätte das sicher anders ausgesehen, aber da würden mich die zwei bestimmt auch nicht triezen. Und Kira wird schon aufpassen“ Ich hatte entschlossen, sie einzuweihen. Nicht zuletzt, weil sich Caleb dadurch auch sicherer fühlen würde, mich mit den Frauen allein loszuschicken. Denn nachdem sich Xenia mit den menschlichen Traditionen befasst hatte, war sie besessen davon, eine uralte durchzuführen: Der Bräutigam durfte die Braut nicht vor der Hochzeit in deren Kleid sehen. Ein Brauch, der nicht mehr überall üblich war, aber wenn es meine Schwiegermutter so wollte, dann hörten wir natürlich auch darauf.

Seufzend streichelte mein Vampir meinen Handrücken mit seinem Daumen. Er schien etwas beruhigter, nachdem ich Kira erwähnt hatte, aber sichtlich noch nicht ganz überzeugt. Er hatte Angst, dass ich das Kind in den kritischen Monaten noch verlieren könnte. Aber ich hatte deutlich nicht mehr so viel Stress wie früher und mir ging es auch mental viel besser.

„Also sucht ihr morgen nach einem Kleid …“, murmelte er recht unzufrieden und starrte auf unsere Hände.

„Eventuell auch den Tag danach, je nachdem, wie es morgen läuft“, klärte ich ihn auf und hörte ihn schnauben. „Jetzt stell dich nicht so an. Nichts wird passieren“

„Wie oft haben wir das schon gedacht, Wynne?“ Mit diesen Worten sah er mich an und ich spürte, dass es ihn ordentlich bedrückte. Mit einem versicherndem Lächeln versuchte ich, eines klar zu stellen: „Wir kämpfen nicht gegen den Widerstand, Caleb. Es sind nur Kleider. Und die bringen mich schon nicht um“

„Die nicht. Aber meine Mutter und Cécilia vielleicht noch. Urgh ... mir lässt das einfach keine Ruhe!“

Ich lachte leise auf und legte den Kopf schief. Er war schon süß. Doch ich entschied mich dazu, das Thema umzulenken.

„Weißt du, ich habe schon eine Frisur im Kopf. Die wird Kira sicher auch gefallen“, fing ich mit Erzählen an und Caleb sah mich interessiert an. Er hatte einen ganz eigenartigen Faible für meine Haare, den ich mir nicht erklären konnte. Er liebte es, meine Frisuren zu öffnen, wenn ich sie mal wieder hochgesteckt trug und mit den Fingern durch zu streichen. Auch, wenn er gerade liebevoll war, nahm er manchmal eine Strähne zwischen Zeigefinger und Daumen und küsste diese, anstatt meiner Knöchel. Und im Bett ist er ebenso sanft. Man hörte von Leuten, die darauf standen, an Haaren zu ziehen. Caleb nicht. So wild und leidenschaftlich er auch war, an meinen Haaren zog er nie. „Ich hatte überlegt, sie mir stecken zu lassen. In kleinen Locken, befestigt mit einer kleinen-„

„Du lässt dir die Haare nicht hochstecken, Wynne“, unterbrach mich mein Verlobter in einem strengeren Ton, als ich es erwartet hatte. Da wollte wohl jemand diskutieren.

„Warum nicht?“, fragte ich sofort und zog meine Hand langsam zurück, um meine Arme vor der Brust zu verschränken. „Die meisten Bräute lassen das so machen. Da gibt es so auch die schönsten Frisuren! Und die Varietät erst!“

„Wynne, du hast deine Haare mehr als genug in Hochsteckfrisuren. Du wirst sie offen tragen, wie es eigentlich sein sollte“

„Willst du mit mir jetzt wirklich über meine Frisur diskutieren, Caleb?“

„Ja, will ich. Du weißt genau, dass ich es liebe, deine Haare offen zu sehen. Wenn sie dir über den Rücken fallen. Über deine Schultern. Hör doch auf, dich hinter deiner strengen Frisur zu verstecken. Sei etwas lockerer. Außerdem bist du so viel hübscher“

„Viel hübscher, hm?“, hakte ich nach, als sein Ton langsam wieder ruhiger und versöhnlicher wurde. „Also willst du keine Hochsteckfrisur sehen“

„Nein. Manchmal hab ich das Gefühl, ich würde eine meiner Lehrerinnen heiraten. Brille, Hochsteckfrisur. Fehlt nur noch eine Uniform. Zum Glück haben wir die abgelegt“ Er seufzte auf und fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht. „Okay, Babe, hör zu. Ich will mit dir über sowas nicht streiten. Ich meine nur … es würde dir richtig gut stehen. Manchmal frage ich mich, ob du dich überhaupt im Spiegel anschaust, wenn du deine Haare offen trägst. Dann würdest du sehen, wie schön und elegant du damit aussiehst. Und trotzdem noch genau so ernst. Das wird dir keiner nehmen“

Ich konnte es mir nicht verkneifen, zu lächeln. Das war wirklich süß. Beinahe zu süß.

„Na gut. Wenn du offene Haare willst, werde ich Kira Bescheid geben, dass sie sich austoben kann. Dafür lässt du dir aber einen Zopf machen. Er darf auch locker sein“, schnurrte ich mein Friedensangebot. Caleb lachte auf, wurde leicht rot um die Nase, aber immerhin war er wieder gut drauf.

„Na gut, einverstanden!“ Oh, darauf freute ich mich. Denn zugegebener Maßen: Caleb sah mit einem lockeren Zopf wirklich verdammt scharf aus.
 

Ob ich es nun begrüßte oder nicht, der nächste Tag kam und ich konnte es nicht verhindern. Caleb verabschiedete mich am Morgen an der Tür, als mich Xenia und Cécilia abholten. Kira hatte ich am Abend noch einmal kontaktiert und mit ihr ausgemacht, dass wir uns gemeinsam am ersten Laden treffen würden. Es erleichterte mich etwas, sie bei mir zu wissen, vor allem auch, da ich sie in das kleine Geheimnis mit eingeweiht hatte. Sie würde die Tage darauf achten, dass mich Caleb’s Mutter und deren Dienerin nicht überforderten, ohne preiszugeben, weswegen. Und diese Entscheidung bereute ich nicht.

Xenia schliff mich in den ersten Laden, vor welchem wir meine noch immer beste Freundin antrafen. Ich umarmte sie kurz zur Begrüßung und lächelte sie etwas schwach an. Die Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen, vor allem auch weil ich Angst hatte, mich zu verplappern. Irgendwann natürlich, wenn es soweit wäre, dass ich aus der kritischen Zeit heraus wäre, müsste ich das Geheimnis lüften und dementsprechend die restlichen Familienmitglieder darin einweihen, immerhin müsste auch mein Kleid entsprechend angepasst werden. Denn wenn die Hochzeit stattfinden würde, hätte ich schon eine kleine Wölbung. Und ein zu enges Kleid wäre definitiv unpraktisch. Ich konnte mir jetzt schon die Reaktionen vor dem inneren Auge vorstellen. Meine Schwiegermutter würde vermutlich an Ort und Stelle einfrieren, mit geweiteten Augen. Calebs Vater wäre da eher ruhig, würde eventuell grinsen oder seine Frau dazu bringen, sich zu beruhigen, sollte sie ausflippen. Obwohl das ganze natürlich auch ganz anders ablaufen könnte. Für Vampire war es gewöhnlich so, dass sie erst später an die Familienplanung dachten, auch wenn sie früh heirateten. Immerhin war es nicht unüblich, schon früh den Bund einzugehen, besonders, wenn man seinen Seelenpartner gefunden hat. Das größte Problem würde sein, die Verwandten und Bekannten zusammen zu trommeln, denn meist war es so, dass Vampire eine weitreichende Liste an Gästen hatten, welche natürlich abgeklappert werden musste.
 

Als wir den ersten Laden betraten, wurden wir von einem älteren Herren begrüßt. Ich war überrascht, dass sich die zwei Damen den Laden eines Menschen herausgesucht hatten. Es war nicht sehr bekannt, dass Vampire viel bei Menschen einkaufen gingen. Anders herum war es schnell mal der Fall.

„Wir schätzen die Qualität der Kleider hier“, erklärte mir Xenia auf meinen verwirrten Blick hin und ich nickte kurz. „Ich habe schon oft selber für mich etwas anfertigen lassen“

„Aber auch nur, weil du dich in deinem Stil viel zu oft vergreifst, Xenia, Liebling!“, mischte sich Cécilia ein und seufzte auf.

„Nicht jeder braucht so viel drum herum wie du, Cécilia.“

„Es ist eine `ochzeit, Xenia! Da benötigt man viel drum `erum! Ein wunderschönes, weites Kleid für viel Beinfreiheit und äußerste Eleganz. Sie vertritt eine Ratsfamilie, meine Liebe. Da muss man ein gewisses Auftreten an den Tag legen!“

„Aber auch nicht alle Gäste zur Seite stoßen.“ Xenia seufzte auf und fuhr sich durch die Haare. Die beiden Frauen stritten noch einer Weile, während wir uns von dem netten Herren in das hintere Abteil des Ladens führen ließen. Hier hatte man die weißen Kleider aussortiert und wie ich sah, musste Xenia den Laden vorher angerufen haben, da natürlich die dargestellten Kleider alle in den Farben der Lecrunes waren: Schwarz und Rot. Es überraschte mich schon nicht mehr, es störte mich auch nicht. Immerhin musste ich mich nicht im Alltag an diese Farbenordnung halten, weswegen ich meine Blau- und manchmal Weiß-Töne behalten durfte. Obwohl ich mir das weiß eventuell abgewöhnen sollte.

Nachdem sich die beiden Frauen endlich beruhigt hatten, kam auch der Mann zum Sprechen. Er lächelte uns an, begrüßte uns zunächst, bevor er uns die Kleider vorstellte. Wie es schien, hatten die beiden Frauen nicht geplant, so viele Läden abzuklappern, was mich doch durchaus aufatmen ließ. Es war immer eine Tortur für mich, derartige Sachen anzuprobieren, vor allem bei diesen Stücken. Die meisten waren doch recht eng geschnitten, erinnerten an den bekannten ‚Meerjungfrauen-Stil‘ und ließen mich tief durchatmen. Wir mussten etwas finden, was man mit Leichtigkeit erweitern konnte, sollte ich dann noch an Rundungen zugenommen haben.

„Natürlich habe ich mit in Betracht gezogen, welche Art von Symbol auf eurem Wappen ist“, erzählte der Mann und holte ein Kleid hervor, welches definitiv ausladend war – so wie Cécilia es wollte, dem Glänzen in ihren Augen nach zu urteilen – in den Farben der Lecrunes und mit kleinen Rosen im Tüll des Rockes, wodurch diese zwar auffielen (der Rock war schwarz, die Rosen natürlich rot), aber nicht sofort ins Auge stachen. Nachdenklich legte Xenia einen Finger an ihre Lippen, musterte das Kleid und dann mich. War es nicht normalerweise so, dass die Braut entscheiden musste, und nicht die Schwiegermutter?

„Lasst es mich anprobieren“, erhob ich meine Stimme und stand auf. Die Augen des Besitzers fingen an zu leuchten, als ich mich dazu entschied, mich in das Kleid zu zwängen. Nun gut, zwängen war nun auch nicht das richtige Wort. Überraschender Weise ging es leicht anzuziehen, es hatte keine Träger und dadurch war ich um das Schlüsselbein herum blank, was mich doch etwas zittern ließ. Das war vielleicht unangenehm. Aber da ließ sich natürlich noch was machen. An sich war es tatsächlich nicht schlecht: Hoch geschnitten, sodass ich nicht zu viel Dekolletee zeigte, der obere Part war rot, reichte knapp bis zu meiner Hüfte und würde sich, dem Stoff nach zu urteilen, leicht erweitern lassen. Der Rock war zwar ziemlich breit, aber da ließ sich vielleicht auch etwas machen.

„Ganz gut an sich“, meinte ich, nachdem ich mich auf eine Art Hocker oder Erhöhung stellte, damit das Kleid nicht am Boden entlang schliff. „Ich frage mich nur, ob es sich auch erweitern lässt, im Falle dessen, dass ich zunehme oder so“

Ich sah, wie Xenia eine Braue auf meine Aussage hin hob, bevor beide Frauen unisono zu kichern begannen.

„Darüber musst du dir keine Sorge mehr machen, Kindchen!“, warf Cécilia ein und stand auf, ging um mich herum und zupfte hie und da am Kleid. „Vampire können nicht zunehmen. Auch du nicht, obwohl du noch deine Geschmacksknospen `ast.“

„Für den Fall der Fälle natürlich …“, murmelte der Besitzer und überlegte kurz, „wäre es durchaus möglich, es etwas zu erweitern.“ Okay, das Kriterium wäre schon einmal überstanden. Ich ließ mir wieder aus dem Kleid helfen und die anderen vorführen, von welchen ich einige probierte. Viele folgten dem gleichen Schema, Schwarzer Rock. Rotes oberes Part. Einige hatten Schwarz-Roten Tüll, was auch recht interessant aussah. Kleider, die hinten gebunden wurden oder ein Korsett hatten, lehnte ich von vornherein ab mit der Ausrede, dass es viel zu anstrengend wäre, sich da hineinzuzwängen. Außerdem könnte es passieren, dass man mir in alter Manier noch die Luft abschnitt, worauf ich noch viel weniger Lust hatte. Eine Wespentaille hatte ich nun lange nicht, geschweige denn eine ‚Sanduhr-Figur‘. Obwohl Caleb meinte, er liebe meine ‚Rundungen‘, wofür ich ihn früher dezent angefunkelt hatte, bis ich verstand, was er damit meinte. Verdammter Lüstling.

Nach dem vierten Kleid brauchte ich dringend eine Pause. Ich entschuldigte mich kurz und setzte mich hin, atmete durch und lehnte mich auf dem Stuhl zurück. Kira, welche bislang dank den anderen zwei Frauen kaum zu Wort gekommen war, sah mich an und musterte mich.

„Also, welches hat dir bislang am besten gefallen?“, fragte ich sie daraufhin, wodurch sie nachdenklich den Kopf auf die Seite legte.

„Gute Frage. Das erste war echt hübsch, aber zu lang und würde beim Tanzen definitiv in die Quere kommen. Das zweite stand dir überhaupt nicht“ Da waren wir immerhin einer Meinung. „Und die anderen zwei gingen, wobei mir das letzte einen Ticken besser gefallen hat.“

„Das mit dem schiefen Träger?“, fragte ich nach und sofort schaltete sich Cécilia ein.

„Absolut nicht! Das Kleid kannst du auf einer anderen Feier tragen, aber doch nicht auf deiner eigenen `ochzeit, Kindchen! Das Dritte war doch wunderschön!“

„Aber total unpraktisch. Es lässt sich ja nicht einmal eindrücken. Wie soll das beim Tanzen gehen?“, fragte ich sofort und in meinem Kopf tat sich ebenso die Frage auf, wie damals die Frauen im Mittelalter mit solchen weiten Kleidern umgehen konnten. Das war doch so überaus unpraktisch und unangenehm. Ich seufzte auf und fuhr mir schon zum dritten Mal heute durch die Haare. Da fiel mir noch etwas ein, weswegen ich mich zu meiner besten Freundin drehte.

„Kira. Machst du mir eigentlich meine Frisur an dem Tag?“ Ich sah, wie sich die Augen der Brünetten weiteten, ihre Mundwinkel nach oben gingen, bevor sie energisch nickte.

„Klar! Aber wehe, ich muss dir eine Hochsteckfrisur machen, dann tret‘ ich dir in den Hintern, Amand!“

Ich lachte auf und lehnte mich leicht nach vorn, bevor ich wieder sprach: „Nein, ausnahmsweise nicht. Ich hab Caleb versprochen, sie offen zu tragen. Dafür lässt er sich die Haare zu einem Zopf binden“

„Du stehst drauf, wenn er die Haare so trägt, oder?“ Kira grinste mich noch breiter an, woraufhin ich die Augen verdrehte, aber ebenso schmunzelte.

„Eventuell“ Und ich hatte noch immer die kleine Hoffnung, dass er sich angewöhnen würde, es immer so zu tragen. Und wie sagte man so schön: Die Hoffnung stirbt zu Letzt.

An dem Tag kontaktierte mich Caleb noch mal via Handy, weswegen ich mich kurz entschuldigen musste und vor die Tür ging. Er wollte sich nur schnell nach mir erkundigen, weswegen ich leise kicherte und ihm erzählte, dass alles okay sei und wir eventuell schneller fertig wurden, als ich gedacht hätte. Xenia hatte nämlich einen Plan gehabt. Da es so schien, als würden wir uns doch tatsächlich für das erste Kleid entscheiden – für die obere Region um die Schultern gab es noch einen farblich passenden Bolero dazu und schon kam ich mir nicht mehr ganz so nackt vor – hatte sie sich mit dem Besitzer auseinander gesetzt und gefragt, ob man den Rock umschneidern lassen könnte. Die Idee: Der breitere Rock sollte festmachbar sein, durch Knöpfe oder sonstiges, versteckt im Oberteil. Der Part darunter war dadurch etwas kürzer, sollte ebenso in schwarz gehalten werden, aber dafür leichter, mit ebenso genügend Beinfreiheit, aber nicht ausladend. Jedoch sollte ein Kriterium definitiv beachtet werden: Meine Füße sollten bedeckt sein, sodass ich wieder flache Schuhe tragen konnte. Und nein, ich werde mir niemals angewöhnen, in welchen mit Absatz zu laufen. Ganz zu schweigen davon, dass ich eine ganz schlechte Erinnerung mit diesen in Verbindung setzte.

Als ich von der Tortur erlöst wurde, war es bereits dunkel. Ich hatte gar nicht wirklich mitbekommen, wie die Zeit vergangen war. Unglaublich. Jetzt hatten wir also die Ringe, das Kleid, Caleb hoffentlich bald seinen Anzug (wobei ich mir vorstellen kann, dass auch dort Cécilia ein Wörtchen mitzureden hat), ich meine Frisöse und Make-Up-Artistin, und wir hatten noch einige Monate Zeit. Der Ort stand sowieso fest, immerhin handelte es sich um eine Feierlichkeit der Vampire, weswegen diese in dem guten alten Anwesen stattfand, welches wir in nächster Zeit sehr oft besuchen dürften. Die Gästeliste nahm auch langsam Gestalt an, sowie das Design der Einladungskarten. Endlich konnte ich einmal stolz behaupten, dass alles nach Plan verlief. Auch wenn sich Xenia und ihre Dienerin oft stritten, wenn es ums Dekor oder um die Kleider ging, so kamen wir auch in diesen Kategorien voran und konnten unsere Hochzeit wohl zum geplanten Datum auch halten. Und je näher diese Zeit kam, desto aufgeregter wurde ich. Aber natürlich hieß es vorher auch, den Verwandten eine weitere Nachricht zu überbringen.

„Du kriegst das schon hin“, munterte Caleb mich auf und streichelte mir über den Rücken. Inzwischen hatten wir die Zeit überstanden. Inzwischen war es so weit, dass wir sagen konnten, mein Körper würde die Kinder nicht abstoßen. Und das, obwohl ich noch nicht einmal ein voll entwickelter Vampir war. Ich fragte mich des Öfteren, inwiefern sich das auf die zwei auswirken würde. Und ja, zwei. Tatsächlich trug ich Zwillinge in mir, was in sich eine weitere Überraschung war. Nun war es aber natürlich auch soweit, unseren Familien die Nachrichten zu überbringen. Über die Woche hatten wir meine Eltern in das Anwesen der Lecrunes eingeladen. Leah hatte sich erneut vorgestellt und meine Eltern erkannten sie noch, auch wenn sie nicht gerade gesund aussah. Ihr Zustand hatte sich zwar dermaßen zum Guten gewendet, dass sie nun auch öfter nach draußen durfte, aber Anfälle kehrten auch immer mal wieder zurück. Es machte mir zwar nicht mehr so viel Angst wie früher, aber es war immer noch grausam anzusehen.

Ich atmete tief durch und beugte mich einen Moment nach vorn.

„Was ist, wenn es Probleme gibt? Wenn deine Eltern durchdrehen und meinen, es sei unverantwortlich?“, hinterfragte ich mit einer leicht zitternden Stimme. Ich verstand noch immer noch nicht alles, was die Sitten der Vampire anging, vor allem die Familiengründung. Ein Thema, das nicht behandelt wurde, immerhin gingen nicht alle Menschen darin über, sich mit ihrem Herren oder ihrer Dame zu verpaaren. Vor allem, da dies an sich im Allgemeinen nur geschah, wenn sich Vampir und Mensch den Seelenbund teilten. Das trat zwar öfter auf als erwartet, aber immer noch zu selten, um über derartiges im Unterricht zu reden. Ich seufzte erneut auf.

„Papperlapapp.“ Was hatte er da gerade gesagt? Papperlapapp? Ich sah zu dem Schwarzhaarigen, welcher mich ermutigend anlächelte. „Meine Eltern lieben dich. Besonders mein Vater. Als ob die wegen sowas sauer sein könnten. Wenn schon, dann braten die mir eine über.“ Es war für mich immer noch ein Mysterium, wieso sein Vater mich mochte. Antoine Lecrune war wie ein zugeschlagenes und versiegeltes Buch. Ihm konnte man nichts ablesen und er ließ keine Emotion nach draußen dringen. Das einzige, was man sah, war seine Liebe zu seiner Frau, und diese reichte tief.

Ich erwiderte Calebs Lächeln leicht und sah zur Tür, richtete mich derweil wieder auf und zupfte kurz an meinem Oberteil. Ich war lange nicht mehr so nervös gewesen. Immerhin waren es doch schon ziemlich ernste Neuigkeiten. Meine Eltern würden es noch immer aus der Sichtweise eines Menschen sehen. Ich war an sich alt genug für Kinder, hatte meine Ausbildung hinter mir, war verlobt, und meine Karriere war mir auch so gut wie sicher. Als Direktorin und auch Autorin, denn mein Lektor hatte seine Augen über das Manuskript fliegen lassen und es abgesegnet, sodass ich es weiter leiten konnte. Und vom ungefähr 10. Publisher kam dann auch endlich eine positive Aussage zurück. Mein Buch würde gedruckt werden.

„Es war deutlich einfacher, mein Manuskript an fremde Leute zu schicken, denen ich nicht ins Gesicht blicken muss, ganz ehrlich. Und deutlich einfacher, einer Absage entgegen zu sehen“, meinte ich nur und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Am Morgen hatte ich mir meine Haare zwar hochgesteckt, aber der feine Herr musste sich ja unbedingt daran zu schaffen machen und hatte die Frisur geöffnet, sodass mir die Strähnen nun über den Rücken und zum Teil ins Gesicht fielen.

„Wenn du Beruhigung brauchst, bin ich noch immer hier. Vergiss das nicht.“ Caleb bot mir seine Hand an. Ich musterte diese kurz, wusste genau, worauf er anspielte. Mit seiner Gabe konnte er mir den nötigen ‚Mut‘ geben, aber ich wollte es aus eigener Kraft schaffen.

„Danke, aber … das will ich selber hinbekommen.“

„Gut. Dann geh endlich da raus! Außerdem bin ich doch hinter dir. Wir überbringen die Nachricht. Nur du hast darauf bestanden, das Sprechen zu übernehmen“

„Weil du vermutlich irgendwelche Grütze erzählen würdest“ Ich lachte leise auf, nahm schließlich dennoch seine Hand, funkelte ihn aber warnend an. Sollte er seine Gabe benutzen, würde ich meine Finger sofort von seinen lösen. Kein wenn und kein aber. Unschuldig lächelte er mich an und legte den Kopf zur Seite. Dieses Scheinheilige tat manchmal weh, aber den Welpenblick hatte er wirklich perfektioniert. So ein Arsch.

Noch einmal tief durchgeatmet und ich trat mit meinem Verlobten nach draußen. Wir suchten das Wohnzimmer auf, wo sich unsere Familien angeregt unterhielten. Es war schon ein eigenartiges Bild. Meine Mutter sah deutlich älter aus als Calebs, obwohl Xenia die deutlich ältere war. Natürlich wussten meine Eltern, wer die Lecrunes waren. Und was mir widerfahren war. Das hatten sie damals schon erfahren, als ich damals wegen Yakeno im Krankenhaus gelandet war. Und noch ein weiteres Mal, als ich verwandelt wurde. Damals hatte meine Mutter mich traurig angelächelt und gesagt: „Ich wusste ja schon, dass du uns überleben wirst, aber so viele Jahre … Du hast dich verändert, Wynne. Und ich bin stolz auf dich“ Selbst mir waren damals die Tränen gekommen. Ich konnte mir ein Leben ohne meine Eltern nur schwer vorstellen. Obwohl wir nicht immer das Beste Verhältnis hatten, immerhin hatte es sie nur gekümmert, ob ich gute Noten nach Hause brachte, waren sie noch immer meine Eltern und hatten mir ein gutes, ziemlich privilegiertes Leben ermöglicht. Und dafür war ich ihnen auch dankbar. Ich wäre nicht dort, wo ich nun stand, wenn es sie nicht gäbe.

Als Caleb und ich das Wohnzimmer betraten, wandten sich die Blicke zu uns. Xenia lächelte uns an und deutete auf die freien Plätze, doch schüttelte ich nur den Kopf und blieb mit meinem Vampir am Kaffeetisch stehen. Die Blicke, die uns trafen, veränderten sich ins Verwirrte. Niemand war sich sicher, was nun der Fall war. Trennen würden wir uns nicht, so viel war klar, immerhin sorgte der Seelenbund dafür, dass das nicht geschah oder geschehen konnte.

„Also, uhm …“, stammelte ich los und rieb mir den Nacken. Meine Augen wanderten über die versammelten Personen. Fünf an der Zahl, denn auch Leah hatte sich mit zu ihnen gesellt. Kontakt zu anderen tat ihr gut, vor allem ihrer nahen Familie. Und wäre das mit meinem Bruder nicht passiert, wären meine Eltern vermutlich auch ihre Schwiegereltern … das Schicksal konnte grausam sein. Oder nein, eher der Widerstand war grausam. Mir drehte sich der Magen nur bei dem Gedanken an diese Organisation um.

Caleb stieß mich sanft an. Ich blickte kurz zu ihm, dann wieder zu unseren Familien. Ich sollte diese Angst nicht haben, obwohl es doch eher als Nervosität eingestuft werden konnte.

„Wir … haben da etwas, was wir euch mitteilen möchten. So ziemlich betrifft es uns alle, und, eh … immerhin sollte ich es ja auch sagen, da es der Grund ist, warum das Kleid definitiv erweitert werden muss“ Ich lächelte Xenia schief an, welche verwirrt den Kopf auf die Seite legte.

„Das Thema hatten wir doch bereits“, meinte die Vampirdame und legte ihre Hände auf den Schoß. „Vampire können nicht zunehmen. Oder wurde eine Genmutation festgestellt?“

„Nein, das nicht, nur …“ Ich sollte einfach Klartext reden, aber irgendwie wollte mein Kopf nicht mitspielen. Aber da fiel mir etwas ein, was meine Eltern auf alle Fälle verstehen würden. „Bei uns gibt es da diese Redewendung, für zwei Essen … oder für drei, wie man es gerade nimmt. Ich weiß nicht, ob sich das bei Vampiren auch so auswirkt … also … für zwei Trinken und so …“ Ich sah zu meiner Mutter, deren Augen geweitet waren. Sie legte sich die Hände auf den Mund und schrie hinein, quietschte fast eher, bevor sie sich erhob und zu mir herüber kam, um mich in den Arm zu nehmen.

„Mein Baby!“ Ich vernahm Schluchzen in ihrer Stimme. Mit einem leichten Lächeln seufzte ich auf und schloss meine Mutter in meine Arme. „So früh! Du hättest doch Zeit gehabt!“

„Es ist halt einfach passiert“, warf Caleb ein und zuckte mit den Schultern. Meine Mom ließ mich los und ich sah, dass sich Xenia erhoben hatte und nun bei mir stand.

„Ein Kind?“, fragte sie mich mit einem ruhigen Blick. Ich nickte zögernd, woraufhin sie mich ebenso in eine Umarmung schloss und auflachte.

„Wenn man es sogar genau nimmt, sind es zwei …“

„Zwei Kinder! Antoine, wir werden Großeltern!“ Aufreget drehte sich die Dame zu ihrem Ehemann, welcher sie anlächelte, dann zu Caleb und mir blickte und lediglich die Hand hob und einen Daumen nach oben zeigte. „Antoine! Jetzt erheb dich doch einmal von deinem Allerwertesten und schließ deine Schwiegertochter in den Arm! Es geht hier um unsere Enkel!“, fuhr ihn seine Frau sofort an. Zum ersten Mal seit ich ihn persönlich kannte lachte er auf und erhob sich tatsächlich von seinem Platz. Ich konnte meinen Augen kaum glauben und auch Caleb hob überrascht eine Braue, als der Mann zu uns herüber kam. Er war noch einige Zentimeter größer als mein Verlobter. Es bestand zwar kein großer Unterschied zwischen ihnen, aber ich musste schon meinen Kopf etwas recken, um ihm in die Augen schauen zu können. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er seinem Sohn auf den Rücken klopfte und kurz darauf mir eine Hand auf die Schulter legte. Er war noch nie ein Mann vieler Worte gewesen, wenn es nicht gerade um die Schule ging, also bedeuteten diese Gesten mehr, als sie zu zeigen schienen. Er gab uns seinen Zuspruch, verkündete ebenso, dass auch er sich darüber freute. Und das ließ mich aufatmen.

Als letztes gesellte sich Leah zu uns und nahm mich freudig in den Arm. Dass sie sich für mich freute, bedeutete mir die Welt. Wenn mein Bruder nicht tot wäre, wäre vermutlich sie es, die hier stände und diese Nachrichten verkünden würde. Wäre mein Bruder da auch so vorschnell gewesen? Darüber musste ich tatsächlich nachdenken. Er war immer etwas schneller als ich, fröhlicher, offener. Er war ein Optimist, also konnte ich mir sogar sehr gut vorstellen, warum Leah sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie hatte wahrlich nicht viel in ihrem Leben, das ihr Freude spendete, besonders jetzt nicht mehr. Wenn man nur etwas für sie tun könnte, mehr als, nun ja, sie gelegentlich aufzumuntern, wenn wir mal Zeit hatten. Und diese Zeit würde abnehmen. Obwohl vermutlich Xenia und Antoine sich dann um sie kümmern würden.

„Ich hoffe doch, dass du mich zu Rate ziehst, wenn es um die Namensgebung geht!“ Sie lachte leise und ließ mich langsam los, um mir in die Augen zu schauen. „Und hoffentlich werd ich die beiden dann auch oft sehen! Sonst werde ich böse“ Ich schmunzelte, umarmte sie von mir aus noch einmal, bevor ich sie zu Caleb gehen ließ.

„Du kannst uns auch jeder Zeit mal besuchen kommen, das weißt du. Sofern du die Erlaubnis bekommst“, sprach dieser, als er seine Schwester in die Arme schloss.

Diese seufzte auf und drückte sich an ihren kleinen Bruder, welcher sie in der Körpergröße um mehr als einen Kopf überragte. „Ja, wenn ich diese dumme Erlaubnis bekomme“ Das war das Schwierige mit ihr. Aufgrund ihres instabilen Zustandes war es ihr nicht oft vergönnt, das Anwesen zu verlassen, da sie stetig unter Beobachtung gehalten werden musste. Momentan, da die gesamte Familie anwesend war, war es auch nicht von Nöten, dass sie von einem Arzt begleitet wurde. Denn normalerweise stand ihr immer jemand zur Seite, wenn sie das Gebäude verlassen wollte oder sich auch nur darin bewegte. Ebenso, wenn sie eben das nicht tat. Sie musste unter Beobachtung gehalten werden, zu ihrem Besten, das wusste sie auch selber. Ein Experiment. Um zu sehen, ob es Reinkarnationen gab und ob der Bund über den Tod hinaus bestehen blieb. Ein grausames Vorhaben, aber auch Leah begann langsam, zu hoffen, dass sie eines Tages ihren Seelenverwandten zurückbekam. Und ich hoffte mit ihr.

Nach der ganzen Umarmungs-Zeremonie setzten wir uns zu unseren Familien. Caleb und mir wurde auf einem Zweisitzer Platz gemacht, sodass ich neben meinem Verlobten saß, er zurück gelehnt und einen Arm um meine Schultern gelegt, während mein Kopf auf der seinen ruhte. Wir redeten, lachten, sprachen uns ab. Meine Mutter war besonders aufgeregt. Nachdem sie und mein Vater nämlich erfahren hatten, dass ich ein Vampir war – oder eher schon, als es hieß, ich würde Caleb heiraten – hatten sie aufgegeben, ihren Enkel noch zu sehen. Nun aber war es anders gekommen als in ihrer Vorstellung und ihre Planerei stieg ihr fast über den Kopf. Ich musste aufpassen, nicht laut zu lachen. Wer hätte das überhaupt gedacht? Meine Eltern, die sich normalerweise kaum dafür interessiert hatten, was ich tat, so lang ich gute Noten nach Hause brachte, waren nun voll auf mein Leben konzentriert. Das ganze hatte aber auch erst begonnen, nachdem ich fast gestorben wäre. Nachdem Caleb mich verwandelt hatte. Zum ersten Mal hatten sie gesehen, wie leicht es hätte sein können, dass ich einfach starb. Doch nun hat mich diese Nahtoderfahrung stärker gemacht. Stärker als meine Widersacher. Nun wusste ich, wie sich Kira gefühlt haben musste.

Ich war froh, als wir uns am Abend in unser Zimmer zurück zogen. Seitdem ich schwanger war, hat sich Caleb nicht recht getraut, mich unkeusch anzufassen, was ich recht amüsant fand. Vielleicht sollte er mal darüber recherchieren, dass es nicht schädlich ist, während der Schwangerschaft Sex zu haben. Sollte ich ihm das vielleicht beibringen?

Ich überlegte, ob ich ein Bad nehmen sollte. Caleb richtete bereits das Bett her, zog die Tagesdecke runter, faltete diese zusammen und räumte sie in den Schrank. Die Kissen legte er anders zurecht, sodass sie wie eine kuschlige Kuhle ergaben. Mein Blick fiel auf die Tür zum Badezimmer rechts von mir. Es war riesig. Das Anwesen der Lecrunes war riesig. Nicht so groß wie der Hauptsitz, aber groß genug, sodass ich mich an meinen ersten Tagen hier verlaufen hatte. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln.

„An was denkst du denn gerade, hm?“, holte mich der Schwarzhaarige aus den Gedanken. Er stand gerade vor mir, sodass ich den Kopf heben musste, um ihn anzuschauen. Leicht lächelnd legte er seine Arme um meine Taille und zog mich an sich. Rein aus Reflex und Gewohnheit platzierte ich meine Hände auf seiner Brust.

„Hm. Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen will“, säuselte ich und zeichnete Kreise mit meinem Zeigefinger auf sein T-Shirt. Seine Angewohnheit, Shirts mit V-Ausschnitt zu tragen oder seine Hemden so weit offen zu lassen, dass man einen Teil seiner Brust sah, hatte er sich noch immer nicht abgewöhnt. Und das würde er vermutlich auch nie. Und wenn ich ehrlich sein sollte: Es störte mich nicht mehr. Oder zumindest nicht mehr so sehr wie früher.

Neugierig wackelte mein Verlobter mit den Augenbrauen. Meine ungenaue Antwort hatte sein Interesse geweckt.

„Oh? Wieso nicht? Ist es unanständig?“, hakte er nach, beugte sich zu mir runter und begann, an meinem Ohr zu knabbern. Ich lachte auf und schlug ihm leicht gegen die Brust.

„Sagt der, der mich seit Monaten nicht mehr anfasst, weil er Angst hat, den Babys weh zu tun!“, gab ich amüsiert zurück. „Außerdem bist du ja wohl der Meister des Unanständigen. Woran hab ich denn deiner Meinung nach gedacht, hm?“

Caleb dachte nach. Er richtete sich wieder auf, sah mir ruhig in die Augen. Ein bekannter rötlicher Schimmer huschte kurz über diese, als sich unsere Blicke trafen. Er hatte noch ein leichtes Grinsen auf den Lippen, aber ich konnte nicht glauben, dass er mit einer derartigen Ernsthaftigkeit über diese Sache nachdachte. „Echt jetzt, Caleb?“

„Vielleicht hast du ja daran gedacht, endlich mal mit mir ein Bad zu nehmen“, schnurrte er schließlich und sein Blick wurde lasziv. Endlich mal? Ich zog die Brauen zusammen, doch es dämmerte mir. Als wir uns vor der ganzen Zeit für eine Weile lang das Zimmer geteilt hatten, auf der Akademie, hatte ich mich darüber beschwert, dass er eine Badewanne in seinem Bad hatte. Etwas, worauf ich wirklich neidisch gewesen war, da sich bei uns nur eine Dusche befunden hatte. Unglaublich unfair. Aber damals hatte ich seine Flirterei zurückgegeben. Und bis zu diesem Tage war ich nie wieder darauf eingegangen. Überrascht blickte ich ihn an.

„Daran erinnerst du dich?“, fragte ich nach, unsicher, überrascht, über was für ein gutes Gedächtnis er verfügte.

„Natürlich. Das war das erste Mal, dass du auch mit mir geflirtet hast“ Deswegen also. Ich lachte auf, legte meine Stirn an seine Brust. Caleb war und blieb unverbesserlich. „Wieso lachst du denn jetzt?“

„Ich hoffe, du wirst dich nie ändern, Caleb“, meinte ich nur, ohne ihm wirklich zu antworten. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, legte meine Fingerspitzen an seine Wangen und küsste ihn kurz. Verdutzt blickte er mich an, das hatte er nicht erwartet, aber sein Lächeln kehrte schnell zurück. Manchmal konnte ich nicht glauben, dass ich ausgerechnet ihn liebte. Das ausgerechnet er es war, der mein Herz gestohlen hatte.

„Vor einer Weile hast du mich noch verflucht“, raunte er mir nun wieder ins Ohr und ich spürte, dass er seinen Griff verstärkte, um mich hochzuheben. Meine Hände wanderten zu seinen Schultern, damit ich mich sofort festhalten konnte.

„Vor vier Jahren, Caleb“, gab ich nur zurück und musterte ihn kurz. Er hatte die Augen nun geschlossen und ich wartete darauf, dass er irgendetwas tat. Er stand nur da. Zu mir gebeugt. Sein Gesicht war neben meinem, die Stirn fast auf meiner Schulter. Was war auf einmal los? „Caleb?“

„Weißt du, wie glücklich ich vor all den Monaten war, als du zum ersten Mal gesagt hast, du liebst mich? Ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben. Du hast nicht gesprochen. Kein Wort. Und dann, nach deinem Schock, waren das deine ersten Worte“

„Caleb …“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Schließlich legte ich meine Arme um seinen Nacken und ruhte mit meiner Stirn in seiner Halsbeuge. Für einen Vampir war er überraschend warm. Für einen Vampir strahlte er überraschend viel Sicherheit aus.

„Ich liebe dich, Wynne. Ich werde es immer tun. Nicht wegen dem Bund.“, murmelte er gegen die Haut an meinem Hals und platzierte darauf einen kurzen Kuss.

„Jetzt werd mir hier bloß nicht kitschig!“ Er schnaubte auf meine Aussage hin und hob seinen Kopf wieder an. Hatte ich ihn verletzt? Ich konnte aus seinen Augen nicht wie gewöhnlich ablesen, was er dachte. Und auch unser Bund zeigte mir nur, dass er gerade ruhig war. „Ich … Ich meine, du weißt doch, wie schlecht ich damit umgehen kann …“

„Mhmh, extrem schlecht, meine Liebe“ Eine seiner Hände streichelte mit über den Rücken. Eine Weile lang wiederholte er diese Geste, bevor er sich runter beugte, diesen Arm um meine Oberschenkel legte und mich so anhob, dass ich für Halt meine Beine um seine Taille schlingen musste.

„Caleb!“, fuhr ich ihn sofort an. Ich hatte mich erschrocken und das spiegelte sich nicht nur in meinem Blick, sondern auch in meinem erhöhten Puls wieder. Der Vampir schmunzelte nur und zeigte mir kurz die Zunge. Er hatte mir absichtlich einen leichten Schreck eingejagt, aber eine Vorwarnung wäre dennoch angebracht gewesen!

Ich merkte, wie er Richtung Badezimmer ging. Aus reiner Vorsicht zog ich meinen Kopf an, die Arme noch immer um seinen Nacken. Und von dort nahm ich sie nicht weg, auch nicht, als er mich schließlich auf der Theke neben dem Waschbecken absetzte. Das Bad war groß und geräumig, in dunklen Farben gehalten aber nicht nur in schwarz rot. Der Boden bestand aus Fließen, die vom Wasser nicht so leicht zu beschädigen gingen. Ich saß gerade auf Marmor, einer der breiten Flächen, welche sich auf beiden Seiten des Waschbeckens befanden. Beim Zurücklehnen müsste ich aufpassen, da sich hinter mir ein Hängeschrank befand, und an meinem Hinterkopf vermutlich noch die Kante davon. Weiter rechts von uns befand sich die Badewanne. Reiner Luxus, konnte ich nur sagen. Groß genug, um mehrere Personen hinein zu lassen, in den Boden gesenkt und extra komfortabel. Es gab extra Flächen, an denen man sich anlehnen konnte, ohne wegzurutschen. So war es mir schon mehr als einmal passiert, dass ich einfach eingeschlafen war.

Mit gehobenen Brauen musterte ich Caleb, welcher meine Arme und Beine von sich löste und mich auf der Theke zurück ließ, um sich um das Badewasser zu kümmern. Würde er meine Flirterei von damals wirklich umsetzen? Ich blieb sitzen und beobachtete ihn, kurios, doch gleichzeitig beschleunigte sich mein Puls vor Aufregung ein weiteres Mal. Und ein weiteres Mal kam mir sein Name von den Lippen, bevor er sich mir wieder zuwandte uns mich lasziv anlächelte. Ab da wusste ich genau, was er vorhatte.

„Ich dachte, du hast Angst, den Kindern weh zu tun“, meinte ich spielerisch und lehnte mich leicht zurück, den Kopf nach unten gebeugt, doch die Augen auf den Schwarzhaarigen gerichtet, welcher sich leise lachend mit einer Hand durch die Haare fuhr.

„Nun, es gibt da diese wirklich wunderbare Erfindung mit dem Namen ‚Internet‘, die allerlei nützliche Informationen hat“, meinte er leise, kam raubtierhaft auf mich zu und nahm mich zwischen seinen Armen gefangen, indem er sich mit jeweils einer auf jeder Seite von mir abstützte. Er beugte sich so vor, dass wir auf einer Augenhöhe waren. Mein zukünftiger Mann war wirklich ein Riese.

„Oh, tatsächlich?“, säuselte ich noch immer mit neckendem Unterton, „Und was hast du da rausgefunden?“

„Dass ich mir vollkommen umsonst eine Platte gemacht habe, was mit denen da drin passiert“ Damit spielte er mehr als offensichtlich auf die Zwillinge an. Um seine Aussage zu unterstreichen, wanderte er unter mein Oberteil und streichelte mir über meinen bereits leicht rundlichen Bauch. Auch wenn der erste Part davon nicht wirklich nötig war.

„Da kommt der feine Herr aber wirklich früh drauf“, neckte ich ihn weiterhin, den Kopf auf eine Seite gelegt, während ich seinen lasziven und verführerischen Blick erwiderte. Caleb schnaubte, zwickte mir sachte in die Seite, was mir ein leises Fiepen entlockte. „Caleb!“ Doch mein Verlobter ließ sich von nichts abbringen. Seine Hand wanderte über meine Haut zu meinem Rücken, sanft strich er mit den Fingerspitzen über mein Rückgrat, sodass ich reflexartig meinen Rücken durchstreckte.

„Wenn du wüsstest, was für ein Kopfkino du mir damals bereitet hast ..“, knurrte der Schwarzhaarige gegen meinen Hals und strich mit seinen Zähnen über die dort empfindliche Haut. Leise keuchte ich auf, als diese seichte Berührung bereits Blitze durch meinen Körper sandte. Obwohl viele Vampire, auch Paare, damit spielten, sich gegenseitig während des Aktes zu beißen, hatten wir davon bislang nie Gebrauch gemacht. Aber gelegentlich neckte er mich mit seinen Zähnen, da er genau wusste, dass mein Hals eine extrem empfindliche Zone für mich war.

„Ich denke, ich kann es mir doch ganz gut vorstellen“, murmelte ich leise, als ich mit einer Hand durch seine Haare fuhr und diese letztlich auf seinem Hinterkopf ruhen ließ. Ich wollte zur Seite blicken, schauen, ob auch das Wasser nicht überlief, aber die Position von Caleb’s Kopf ließ das nicht ganz zu. Er schmunzelte gegen meine Haut, machte es sich regelrecht gemütlich in dieser Position, während ihr spüren konnte, wie er sich langsam an die Arbeit machte, mir aus meinen Sachen zu helfen. Was ein Gentleman. Ich seufzte leise, ließ ihn aber gewähren, lehnte mich langsam nach vorn, sodass er besser meinen Rücken erreichte. Seine Kehle entwich ein Schnurren als er sich endlich an die ‚Arbeit‘ machen konnte.

Es benötigte nicht vieler Worte zu sagen, was er vorhatte, und was schließlich auch geschah. Ich gab mich meinem Vampir hin, so wie viele Male zuvor. Er, nun, setzte einer seiner eigenartigen, wenn auch zugegebener Maßen lang andauernden Fantasien durch, sich mit mir ein Bad zu teilen. Und das eben nicht nur zum Entspannen. Caleb wusste, wie er mich mit seinen Ideen auf Trab hielt, mit seinem Einfallsreichtum und der Kreativität. Auch wenn ich gelegentlich nur den Kopf schütteln konnte, oder, wie in diesem Fall, von meinem Verlobten gehalten werden musste, weil mir die Energie fehlte. Er war wild. Konnte zärtlich sein, aber die meiste Zeit war er doch etwas gröber, ohne mir dabei wirklich weh zu tun. Und um ehrlich zu sein, ich hatte nichts dagegen. Durch seine verrücktere Art wurde es wenigstens nicht langweilig – Weder innerhalb, noch außerhalb des Bettes. Wenn man eine Ewigkeit miteinander verbringen musste, war das doch schon mal ein Vorteil.

Diese Nacht schlief ich selber wie ein Baby. Ob mein Partner neben mir nur ruhte oder gar die Nacht über mich wachte, wusste ich dabei nicht. Was ich erfahren hatte, war recht interessant: Vampire benötigten aus irgendeinem eigenartigen Grund nur extrem wenig Schlaf. Das hieß, ein paar Stunden nach einigen Tagen waren genug, um ihre Energie aufzutanken. Dennoch bevorzugten sie es, wie Menschen zu schlafen, da es sich auch für sie als Vorteilhafter und Gesünder herausgestellt hatte. Ein geringer Energieverbrauch bedeutete im Allgemeinen für sie auch, dass sie nicht so oft Blut zu sich nehmen mussten. Jedoch, seit meinem traumatischen Erlebnis, hatte es sich Caleb zur Aufgabe gemacht, auch über Nacht über mich zu wachen und aufzupassen, nachdem ich einmal schreiend und mit einer Panikattacke aufgewacht war. Nicht das angenehmste Erlebnis in meinem Leben, aber doch definitiv weiter oben auf der Tabelle. Noch einmal fast sterben würde ich jedenfalls nicht so gern.

Es waren nur noch wenige Wochen bis zur Hochzeit. Bislang war das wichtigste schon geplant, die Sachen auch schon soweit fertig, nur ich müsste wenige Tage vorher noch einmal zur Anprobe, damit mein Kleid angepasst werden konnte. Wir erhielten die Tage einige Antworten auf unsere Einladungen. Viele positive, einige unklar. Dass meine beste Freundin kam, stand von Anfang an fest. Immerhin war sie bei der Anprobe des Kleides dabei gewesen. Mich überraschte die positive Zusage von Elisabeth und Vincent. Von den beiden hörte ich so gut wie war nichts, außer wenn die Sängerin gerade einen Auftritt hatte. Von ihrem Ehemann keine Nachricht zu erhalten, war an sich normal. Er konnte nicht viel Kontakt mit uns Pflegen und musste sich vermutlich um äußerst wichtige Angelegenheiten, so wie dem Rest des Widerstandes, kümmern.

Zu den Vorbereitungen kamen jetzt noch andere Gespräche und Besorgungen hinzu. Meine und Caleb’s Mutter kamen endlich ins Gespräch, alles aufgrund der Zwillinge. Während Xenia’s Expertise darauf lag, vampirische Kinder zu erziehen, wusste ich ganz genau, dass meine Mutter mir Disziplin nahelegen würde. So bin immerhin ich aufgewachsen. Und noch bin ich nicht auf der Straße gelandet. Außerdem gab es im Hause der Lecrunes Maids, welche sich angeblich um die Babys kümmern konnten, aber ich wollte mich da doch selber an der Erziehung beteiligen. Immerhin wusste ich auch, wie Leah und Caleb aufgewachsen sind. Nicht, dass ich etwas einzuwenden hätte (außer zu Beginn bei Caleb), die beiden waren an sich wunderbare Persönlichkeiten, aber beide hatten mir geschildert, dass es ohne ihre Eltern im Haus sehr einsam sein konnte. Das Schicksal wollte ich meinen Kleinen dann doch gern ersparen. Trotz dessen, dass Caleb doch bald schon als Direktor an die Schule musste, würde ich also eher Zeit mit ihnen verbringen. Dafür hatten wir aber auch schon einen Plan ausgemacht.

In der Nähe der Akademie hatte sich die Familie ein kleines Haus gebaut. Es war nicht unüblich für die Direktoren, dort zu leben, geschweige denn für Lehrer, sich gleich in der Nähe anzusiedeln, um einen kürzeren Weg zur Schule zu haben und gleichzeitig nicht auf dem Campus wohnen zu müssen. Einige von ihnen taten es, unter anderem auch ein Teil des neu eingestellten Sicherheitspersonals. Allesamt durchliefen Hintergrundchecks, gestellt vom STT und einer mit ihnen verbundenen Firma. Die meisten von ihnen hatten eine strenge militärische Ausbildung hinter sich und trugen sich auch in dieser Art und Weise. Zum einen war es irgendwie gruselig, zum anderen aber auch äußerst erleichternd und versicherte uns, dass wir uns in guten Händen befanden und sich auch die Schüler wieder sicher fühlen konnten. Einige von ihnen bezogen auch ein Haus in der Nähe meiner baldigen neuen Heimat, um mir und den Familien in der Nähe genügend Schutz zu gewährleisten, sollte doch noch etwas passieren. Man konnte nach all den Geschehnissen nicht sicher genug sein.

Über die Tage wurden wir einmal zu dem Haus gebracht. Es war kein Anwesen wie das, was die Lecrunes schon hatten, sondern eher eines, wie man es sich für Familien vorstellen konnte. Zwei Stockwerke, nicht zu weitläufig. Unten Küche, Wohnzimmer und ein Bad, so wie ein Gästezimmer, welches ich an sich gerne vorläufig als eine Art Spielzimmer einrichten würde. Oben waren dann das Kinderzimmer, zwei weitere Bäder, das Schlafzimmer für Caleb und mich und ein Arbeitsraum. Die Möbel gefielen mir ganz gut, nur das Kinderzimmer – eigentlich ebenfalls ein Gästezimmer, aber das ließ ich definitiv umbauen – benötigte einiges an Renovierung. Ich besprach die Details mit Caleb und dessen Vater, welcher bereits einige seiner Kontakte herausgesucht hatte, um uns zu helfen. Ich beschrieb meine Ideen, wohin die Betten sollten, Wickeltisch, eine gemütliche Ecke und ein Schrank mit allen nötigen Utensilien. Xenia half mir bei der Entscheidung für verschiedene Farben. Um den Rest des Hauses mussten wir uns nicht wirklich kümmern, da das Ehepaar dieses Gebäude bislang noch für sich beansprucht hatte. Es besaß alle nötigen Anschlüsse, Empfang und eine Adresse, offensichtlich. Hier würde ich mich definitiv wohl fühlen.

Es lief alles perfekt. Während Caleb weiterhin in seinen Aufgaben als Direktor eingewiesen wurde, verbrachte ich Zeit mit Leah. Die Zeit verging. Tage wurden zu Wochen. Und vergangene Wochen brachten uns unserer Hochzeit näher. Ich hatte mehrere Termine bei meinem Arzt, um die Entwicklung der Babys noch etwas zu überwachen, und sicher zu stellen, dass sie auch gesund sein würden. Bislang keine Komplikationen. Zum Schneider bin ich auch nochmal, kurz vor dem entscheidenden Tag, damit mein Kleid angepasst werden konnte. Alles andere war schon erledigt. Caleb hatte seine Kleidung, Kira hatte sich schon zurecht gelegt, was für eine Frisur sie mir machen wollte. Die Hochzeit konnte kommen.

Epilog

„Mit dem Vermischen und Teilen dieses Blutes, eures Blutes, schafft ihr einen undurchdringlichen Bund. Ihr gebt euch gegenseitig einen großen Teil eures Lebens, eures Körpers – euren Lebensnektar“, sprach der Vampir in ruhiger Stimme, während das Paar sich gegenüberstand. Ihre Blicke trafen sich, ein rötlicher Schimmer huschte immer wieder über ihre Augen. Sie lächelten sich an, den Kelch in ihren Händen haltend, Gelenke sanft durch ein Band verbunden. Die Simulation eines Bundes, sollte keiner bestehen.

Caleb führte den Kelch an Wynnes Lippen, welche einen kleinen Schluck von dem Blut nahm.

„Der Mann gibt. Schützt. Opfert auf. Er ist für seine Frau da, steht ihr bei, so schlecht es auch gerade stehen mag. Er ist da, wenn sie ihn braucht“, wurde weiter gesprochen. Wie in den Traditionen verlangt, hatte die junge Vampirin nur einen kleinen Schluck genommen, und davon benetzte das meiste noch ihre Lippen, mit welchen sie die ihres Mannes sanft berührte, bevor sie sich trennten und sich ein erneutes Lächeln auf den ihren formte. Sie folgte mit den Armen der Bewegung ihres Mannes, welcher nun den Kelch zu seinem Mund führte und diesen leerte.

„Vertrauen. Einteilung. Richtige Einschätzung. Die Frau hat ein schweres Los, eine schwere Bürde zu tragen, sich mit ihrem Mann einzulassen. Sie muss ihm blind vertrauen, wenn er nicht da ist. Sie teilt ihr Leben, teilt ihr Blut. Gibt ihre Stärke für ihren Mann, damit dieser sie und ihre Nachkommen beschützen kann. Ein blutiger Kuss als Zeichen ihrer Liebe. Als Zeichen des Ablehnens von Rationen in der Not, um schwere Zeiten zu überstehen“ Ihre Herzen schlugen gemeinsam in einem Takt. Sie atmeten tief durch, der schwierigste Teil war geschafft. Das Band wurde gelöst, ihnen wurde der Kelch abgenommen. Stattdessen holte der Zeremonienmeister eine Box hervor, zu welcher er vor der Öffnung ebenso ein paar Worte sprach: „Als Beweis ihrer Verbundenheit tragen zwei Körper ein Zeichen. Ein Symbol, welches sie immer zusammen führen soll. Aneinander binden ohne Ketten, ohne Gewicht, und dennoch teils schwer zu tragen. Eure Ringe“ Die Schatulle wurde geöffnet und zwei weiße Ringe mit einer golden eingravierten Rose freigegeben. Wynne weitete die Augen, als Caleb ihren Ring an sich nahm, ihren Handschuh auszog, um das Schmuckstück auf ihrem Finger zu platzieren.

„Diese Farbe …“, murmelte sie, vollkommen überrascht über diese Änderung. Die Farben der Lecrunes waren schwarz rot, nicht weiß-gold, eine reine Farbkombination.

„Ich dachte, etwas Abwechslung würde dir gefallen. Und ich habe deinen Blick gesehen, als wir die Ringe ausgesucht hatten“ Sie drehte ihre Hand und entdeckte an der Unterseite noch eine kontrastreiche schwarze Feder. Ihr stiegen Tränen in die Augen. Natürlich hätte sie nichts gegen ein schwarzes Paar gehabt. Es hatte ihr gefallen. Aber die Tatsache, dass ihm aufgefallen war, dass sie doch etwas ihre eigentlichen, helleren Farben vermisste, bedeutete ihr unglaublich viel. Sie lächelte ihn an, Tränen rannen ihr über die Wangen, während sie ein leises Danke äußerste und den anderen Ring nahm, um diesen Caleb in selber Manier an den Finger zu stecken. Sie passten perfekt zueinander und waren wie ein frischer Wind in der Familie Lecrune – so wie das Paar an sich.

Gratulationen folgten der Zeremonie. Die verschiedenen Familien waren gekommen, um sich die Vereinigung von Amand und Lecrune anzusehen. Nun war Wynne aber auch unter dem anderen Nachnamen bekannt und ein vollwertiges Mitglied der Vampirgesellschaft. Ihr entgingen die Blicke des alten Harrison nicht, aber dessen Tochter beglückwünschte das junge Paar, begleitet von ihrer Maid. Als Elisabeth ihnen mit ihrem Mann entgegen kam, begrüßte das Paar diese freudig, bevor sie die Glückwünsche entgegen nahmen. Bei einem Star und dem Mitglied des STTs konnte man nie sicher sein, ob diese auch wirklich Zeit hatten. Doch etwas schien komisch.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte die junge Lecrune den Agenten, welcher nervös auflachte.

„Natürlich. Nach einigen Jahrhunderten, die man nicht auf solche Feierlichkeiten eingeladen wurde, ist man halt dezent .. eingerostet“, gab Vincent mit einem Lachen zu verstehen. Verständlich, dachte die Vampirin nur, und unterhielt sich ein wenig mit Elisabeth, welche sie auch seit einigen Monaten nicht mehr gesehen hatte. Es war ein angenehmer Tag, und auch wenn es nicht leicht war, sich durch die Gäste zu manövrieren, schaffte Wynne es, sich mit ihrem Ehemann auf die Tanzfläche zu begeben. Eine weitere Tradition aus der Welt der Menschen, die die Vampire aufgrund der Eleganz übernommen hatten.

Aus einer unbeachteten Ecke im Hauptanwesen heraus wurde das Treiben der Vampire und Menschen beobachtet. Wesen, unverzeichnet in den verschiedenen Registern über Rassen und deren Merkmale, achteten auf das neue Paar, auf die verbundene Blutlinie von Dracula und Adamantia. Ein eigenartiges Bild für die zwei ungeladenen Gäste. Kichernd hielt sich die Frau eine Hand vor den Mund und nippte von ihrem Glas Wein.

„Eine unerwartete Wendung, was?“, fragte sie ihren Partner, während sie die Lecrunes beäugten. „Du musst mir unbedingt ihren Werdegang schildern. Ich kann spüren, dass sich da etwas weltveränderndes entwickeln wird“

„Darum mache ich mir ja gerade Sorgen. Neue Blutlinien bedeuten neue Seelen … neue Seelen bedeuten eventuelle neue Probleme. Und du weißt, wie ich Probleme liebe“

„Am liebsten würdest du sie irgendwo vergraben und nie wieder finden, ich weiß.“

Sie unterhielten sich in aller Ruhe, bis, unerwarteter Weise, die frische Lecrune-Gemahlin auf sie zukam. Der blonden waren die zwei Gestalten am Rande der Veranstaltung aufgefallen und hatte herum gefragt, zu wem sie gehörten. Keiner konnte ihr eine Antwort geben, also holte sie sich selber eine.

„Verzeihung.“, mischte sie sich in das Gespräch ein.

„Entschuldigung angenommen“, meinte der Mann und stellte in Ruhe sein Glas weg, während seine Begleitung kicherte. Wynne’s Auge zuckte, ein deutliches Anzeichen dafür, dass sie genervt war. Dieser Fremde war nicht nur ein ungebetener Gast, sondern auch noch verdammt vorlaut.

„Ich würde gerne wissen, wer Ihnen eine Einladung hat zukommen lassen. Keiner unserer Gäste kann sich entsinnen, Sie jemals gesehen zu haben“, brachte die Vampirin ihr Anliegen auf den Punkt und verschränkte die Arme vor der Brust. Eine trotzige Geste, die zeigte, dass sie sich nicht ohne Antwort von ihrem Platz bewegen würde. Ihr blondes Gegenüber seufzte genervt, musterte sie kurz, bevor er von seiner Partnerin den Ellenbogen in die Seite bekam.

„Tut mir leid, meine Gesellschaft ist manchmal ein grimmiger Bock“, entschuldigte sich nun die schwarzhaarige Frau und bot der Vampirin ihre Hand an. „Mein Name ist Navia und es ist mir eine Freude, die Nachkommin Adamantia’s kennen zu lernen“

„Nachkommin Adamantias … Woher …?“ Zögerlich schüttelte Wynne die Hand der Fremden, welche sich vor einigen Sekunden als Navia vorgestellt hatte. Die Frau kicherte, legte einen Finger auf ihre Lippen als Symbol, dass diese versiegelt waren.

„Betriebsgeheimnis. Tut mir leid.“

Gerade als Wynne dazu ansetzte, etwas dagegen zu sagen, sich zu beschweren, legte sich ein Arm um ihre Schulter und hinderte sie daran, ihrer Wut freien Lauf zu lassen. Caleb, welchem das Verschwinden seiner frischen Gemahlin aufgefallen war, hatte sich auf die Suche nach ihr begeben und sie am Rande des Festes gefunden, wo sie eben mit den zwei Gestalten sprach.
 

Wiederrum an einem ganz anderen Ende, während sich die Lecrunes mit den Gästen auseinander setzten, redete eine Ehefrau auf ihren Mann ein, mit dem Paar zu reden. Der Mann seufzte auf und fuhr sich frustriert durch die Haare. Er wollte nicht unbedingt an einem solchen Tag mit ihnen darüber reden. Es war ihm sichtlich unangenehm, aber es stand auch nicht fest, ob sie sich so schnell wieder trafen. Er atmete tief durch. Die beiden waren sowieso beschäftigt, argumentierte er, doch wurde von seiner Frau darauf hingewiesen, dass die zwei wenige Sekunden später ihr Gespräch mit den Fremden beendeten. Nun … er musste da wohl oder übel durch.
 

„Musst du dich auch auf unserer Hochzeit mit den Leuten verzanken?“, scherzte Caleb und gab seiner frisch Vermählten einen Kuss aufs Haupt. Diese plusterte ihre Wangen auf, hatte die Arme noch immer verschränkt.

„Ohne Einladung bei uns. Und was soll diese Geheimnistuerei? Ich hasse sowas“, argumentierte diese und seufzte frustriert. Sie hätte nicht gedacht, dass sich solche Leute auf ihre Hochzeit schleichen würden. Sie wollte doch nur Ruhe und Frieden an diesem Tag, endlich mal etwas entspannen, nachdem alles durch war.

Eine weitere Person näherte sich den beiden. Vincent kam auf sie zu, sprach sie an, bevor er bei ihnen stehen blieb. „Wynne, Caleb, kann ich euch kurz stören? Ich müsste … dringend mit euch reden“

Verwundert blickten sich die zwei zunächst an, bevor sie dem Agenten ihr Ohr schenkten.

„Natürlich“, meinte Wynne mit neugewonnener Ruhe. „Was liegt dir auf dem Herzen?“

Ihr Familienfreund seufzte auf. Zur Hölle, ihm fiel das nicht einfach. Wie sollte er es am besten sagen?
 

„Wir konnten Nevas Körper nicht finden“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eine kleine Überarbeitung des Prologs, da mir der Alte vom Inhalt nicht mehr gefallen hatte.
Ein paar Details wurden rausgenommen und für unwichtig empfunden, da sie auch im Laufe der Geschichte keine große Rolle spielen würden. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Puh! Damit wäre die Geschichte von Wynne und Caleb abgeschlossen. Ein ordentlicher Ritt, was?
Wie sehr werde ich für den Cliffhanger gehasst?
Es hat mir unglaublich Spaß gemacht, die Geschichte, leicht überarbeitet, nun auch hier einmal hochzuladen.
Es hat mir auch den nötigen Anstoß gegeben, das Ende endlich fertig umzuschreiben. Denn eigentlich endete die Geschichte vorher nach dem Kampf gegen Neva und der Epilog war stark herunter gebrochen.

Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich für die lieben Kommentare bedanken, die mich so motiviert haben.
Und natürlich auch zum Schmunzeln gebracht haben, als Sympathie für die Antagonistin empfunden wurde
Auch wenn ich nicht immer antworten konnte, so habe ich mich doch jedes Mal sehr gefreut.

Nun, trotz dessen, dass diese Geschichte nun vorbei ist, ist aber die Soulmate-Reihe noch lang nicht beendet.
Vielleicht kann ich euch ja auch für My Heavenly Soulmate interessieren, eine Geschichte, in der man das Leben von Allendra Lecrune, Wynne's und Caleb's Tochter, verfolgt. Sie hat einige andere Probleme in ihrem Leben und gerät auch an andere Personen.

Nun denn. Dann sag ich mal
Bis zum nächsten Mal! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (35)
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Von:  Narudia
2019-02-18T06:42:07+00:00 18.02.2019 07:42
Huhu,

oha das ist die Geschichte leider zu ende und ja ich hasse Cliffhanger aber sie haben ja immer ihre gründe :)

Es hat trotz allem ein schönes Ende genommen und das ist die Hauptsache. die beiden werden ihren weg gehen das weis ich einfach.

Und natürlich werde ich auch deine neue Geschichte verfolgen und bin schon sehr gespannt wie es dort weitergeht.

Jetzt bin ich doch aber schon sehr neugierig wer die 2 Fremden waren und vor allem, was für Geschöpfe? nicht verzeichnet bedeutet ja schon mal keine Engel was meine erste Vermutung war. Vielleicht erfahren wir das ja in deiner neuen Geschichte.

Lg Narudia
Von:  Narudia
2019-02-14T06:01:45+00:00 14.02.2019 07:01
Huhu,

Hachja die schönen seiten des lebens aber auch stressige hochzeiten können bis es soweit ist verdammt anstrengend sein. man muss an sovieles denken und vorbereiten und machen und tun...aber die feier vergönnt es einem dann hinterher.

lg narudia
Von:  Narudia
2019-02-11T05:38:10+00:00 11.02.2019 06:38
Huhu,

ohje arme wynne da hatte sie ja einiges nachzuholen aber wie ein fels in der Brandung stellt sie sich allem unerschütterlich und schließt die Prüfungen noch nachträglich verdammt gut ab. das ist nicht allein der hilfe ihres seelengefährten zu verdanken sondern ihrer ganz eigenen stärke, sie allein hat sich da durchgekämpft und alles in ihrer macht stehende gegeben. und nun können sie ein paar ruhige tage geniesen bevor der ernst des lebens richtig los geht. es ist schön zu lesen wie langsam alles ruhig am ausklingen ist. das haben die 4 sich redlich verdient.

lg narudia
Von:  Narudia
2019-02-07T12:59:23+00:00 07.02.2019 13:59
Hey, oha ein wirklich tolles kapitel. und es ist soviel passiert. Also ist es wahr Neva hatte allen nur etwas vorgespielt und Ihr Sohn war der leidtragende gewesen was für eine Qual es für ihn sein musste seinen eigenen Seelengefährten zu töten? ob er es zu dem Zeitpunkt überhaupt richtig verstanden hatte? wahrscheinlich nicht. er tut mir jetzt noch mehr leid. und auch Wynne ok es war schon naiv von ihr zu glauben das sie neva alleine retten könnte ohne hinweise ohne irgendwas. zum glück konnte caleb sie finden trotz der eigenen schmerzen die er durch den bund mit ihr haben musste. sie hat verdammtes glück gehabt. das sie nach neva keiner mehr angegriffen und aufgehalten hat. hoffen wir das der widerstand nun endgültig seines Anführers beraubt wurde und damit geschlagen. damit die Engel auch ruhig bleiben und alles seine Ordnung hat. natürlich ist sie auch traumatisiert wer wäre das nicht. aber wie können sie nach Monaten immernoch zur schule gehen wenn sie schon Prüfungen vor dem Ereignis hatten? da wird sie wohl das letzte jahr wiederholen müssen wenn sie so viel verpasst. zudem frag ich mich wie sehr wohl caleb leiden musste seine Gefährtin so zu sehen ohne leben ohne Freude ohne wirklich da zu sein fast als hätte er sie verloren. das musste hart gewesen sein. hoffen wir das nun aber endgültig alles gut werden wird.

lg narudia
Von:  Narudia
2019-01-28T07:58:52+00:00 28.01.2019 08:58
huhu, hui das mit dem neuen kapitel ging ja schnell. Sehr interessante neue Aspekte. benutzt jemand neva als Druckmittel oder war sie sogar einer derjenigen die die fäden gezogen hat. möglicherweise sind neva und yakeno ja garnicht verwandt sondern das war nur ein vorwand um ihn beobachten und lenken zu können was ist wenn neva einer der anfüherer oder mit einem der anführer zusammen ist? und sie yakeno sagte was er tun soll. aber wer war yakenos seelengefährtin gewesen und wann kam sie ums leben? oder wurde er wirklich manupuliert seine schwester zu vergessen welche rolle nimmt neva ein ? jedenfalls muss es eine wichtige sein.. bin sehr gespannt wie es weitergeht.
lg Narudia
Von:  Narudia
2019-01-25T06:38:55+00:00 25.01.2019 07:38
Huhu,

hey endlich geht es weiter. Das war wieder ein tolles Kapitel.

Mir hat Neva ja etwas leid getan ich hätte ja gehofft Vincent wäre es einfach peinlich das sie so jung ist und wolle sich deswegen nicht so recht auf sie einlassen aber nein, er hat bereits eine frau. Die arme hat kein Glück verliert ihren Diener an dem sie sehr hing und nun das.

So Caleb und Wynne sind also die rekarnationen von Dracula und dieser Adamamantia, das ist doch mal eine sehr interessante Wendung und endlich hat man mal Erklärungen wieso man so hinter Wynne und ihrem bruder her war. Sie haben eine ganz besondere gabe die dem Widerstand schaden kann. Aber zum glück lernst sie nun Selbstverteidigung falls mal irgendwas schief gehen sollte. aber leider stehen sie unter zeit druck und haben schwer zu arbeiten. Das treibt sie an ihre letzten Reserven.

Die frage bleibt nun was stand auf dem zettel? es gibt nur 2 Möglichkeiten entweder sie gehört zum Widerstand oder sie wurde in eine falle gelockt es bleibt abzuwarten welche Option es ist.

lg und bis bald Narudia
Von:  Narudia
2019-01-03T14:01:01+00:00 03.01.2019 15:01
huhu,

ah shcön es geht weiter. das waren wirklich 2 tolle kapitel.
da sind die 2 nun verlobt voll süss. und die geheimnisvolle Dame ist also calebs schwester wahrscheinlich auch die ältere die auch geerbt hätte wäre sie nicht über den verlust ihres seelenverwandten verrückt geworden. ich frage mich ob sich noch genau klärt was mit ihrem bruder geschehen ist. und wer weis vielleicht lebt er auch noch irgendwo und ist nur total abgeschirmt sodass sie ihn für tot hält?

Der Widerstand blüht also auf. und es gibt neue Wesen zu bestaunen... engel gemeine engel :D bin echt gespannt wie es weitergehen wird. ich hätte ja auch zu gern mehr davon gelesen, wie caleb die Ankunft von wynnes ex aufgenommen und sich verhalten hat er war schließlich sehr eifersüchtig gewesen als sie ihre exen erwähnt hatte XD

lg narudia
Von:  IKuraiko
2019-01-03T07:46:08+00:00 03.01.2019 08:46
Da war ich etwas voreilig hehe
Die Entwicklung der Geschichte gefällt mir und freue mich schon auf die nächsten Kapitel.
Von:  IKuraiko
2018-12-25T19:23:04+00:00 25.12.2018 20:23
Ist das schon das Ende gewesen oder kommt noch was?

Gib Narudia recht, ging etwas zu schnell mit dem Ende des Widerstandes.

Schöne Grüße
Von:  Narudia
2018-12-22T23:51:10+00:00 23.12.2018 00:51
Huhu sehr tolle 2 Kapitel herjee haben die 4 Freunde viel hinter sich sie mussten so viele Rückschläge erleiden mussten so viele quälen über sich ergehen lassen kira müsste sogar ihre Menschlichkeit frühzeitig aufgeben könnte dadurch aber Wynne ihre Erinnerungen zurück geben aber Caleb immer wieder wird er vergessen oder verleugned er hat definitiv Keine einfache seelengefährtin aber dennoch sind die 4 froh sich zu haben. Ist das nun das Ende? Ging so schnell kann mir nicht vorstellen das der widerstand so schnell besiegt ist.

Lg Narudia


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