My bloody Soulmate von Thane ================================================================================ Haare weiß wie Schnee, lang über den Rücken, doch am Nacken zu einem lockeren Zopf gebunden. Sie standen kaum im Kontrast zu seiner Haut, dafür aber stachen die blutroten Augen umso mehr hervor, welche die Jägerin nicht aus ihrem Blickfeld ließen. Er hatte von ihr gehört, umgedreht war es jedoch nicht der Fall gewesen. Ein friedlicher Clan, der sie anheuerte, um Unruhestifter loszuwerden. Ihre grünen Augen erwiderten den Blick des anderen, ließ ihn nicht los. Seine Mundwinkel zuckten nach oben, er mochte es, wie sie ihn herausforderte. Sonst standen Menschen vor ihm und verbeugten sich, knickten ein, sobald sie unter seinem Einfluss standen. Doch sie, sie blieb aufrecht. Sie hatte keine Angst. Er hatte keinen Einfluss auf sie ... zumindest nicht auf diese Art und Weise. "Willkommen", flüsterte der Weißhaarige und erhob sich von seinem Thron. Der Jägerin war gar nicht aufgefallen, dass er eine dermaßen lange Robe trug, dass es seine Füße verdeckte. Ein paar Strähnen seiner Haare hatte er frei gelassen. Diese umrundeten sein Gesicht und fielen von dort aus auf seine Brust hinab. Er grinste die Jägerin an, als er bemerkte, wie sie ihn musterte und keine Antwort auf seine Begrüßung gab. Mit eleganten Schritten, welche man als Schweben bezeichnen könnte, kam er auf sie zu. "Miss Jägerin, sind Sie noch bei uns?", fragte er sie neckisch, als er direkt vor ihr stand. Scharf sog diese die Luft ein und hatte für einen Moment ihre eiskalte Fassade fallen gelassen. Sie stolperte zurück, wäre gefallen, hätte der große Mann nicht ihren Arm gepackt und sie oben gehalten. Ein elektrischer Impuls fuhr durch ihren gesamten Körper ... Die nächsten Wochen zogen eher still an mir vorbei. Da die Schule ruhig war und weder zu Weihnachten noch Silvester viele Leute da waren, feierten wir diese Tage auch nicht wirklich. Zudem ich mich gar nicht darauf konzentrieren konnte, da mein Kopf nur aus einem Wirrwarr aus Erinnerungen bestand. Caleb ... Dieser verdammte Vampir verwirrte mich. Ich war der festen Annahme, wir würden uns hassen. Wir wären uns aus dem Weg gegangen. Wie sich herausgestellt hatte, war das, was in meinem Kopf verankert war, eine Lüge. Wir waren uns nicht aus dem Weg gegangen. Und ich war zudem noch seine Bluts-Maid. Seufzend hatte ich mir an dem Abend noch mehrmals an den Hals gefasst. Sein Biss ... nicht nur ich, sondern auch er reagierte in einer eigenartigen Extreme auf das Gift, das wirkte, um es angenehmer zu gestalten. Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass manche Vampire es zudem nutzten, um ihre Opfer noch zu etwas anderem zu bewegen? Ich sträubte mich bei dem Gedanken, er ekelte mich an. Das glich einer Vergewaltigung, obwohl ich mir gleichzeitig auch gut vorstellen konnte, dass es einen Menschen nicht interessierte, ob er von einem Blutsauger flachgelegt wurde. Bei aller Herrgotts Namen, es hätte damals nicht einmal mich gestört, und meine Erinnerungen lagen momentan in Trümmerhäufchen vor mir. Ich wusste nicht, was ich mit den Puzzleteilen anfangen sollte. Nichts passte zueinander, kein Stück folgte auf das andere. Und ich selber? Mich konnte man momentan als ein nervlich angespanntes Wrack bezeichnen, was nur als Schmuckwerk im Unterricht diente. Am ersten Tag wurde ich sogar zum Unterricht, welcher sich 'Etiquette' nannte, abgeholt, da ich vergessen hatte, dass ich diesem beiwohnen musste. Ich begann viele Anfängerfehler, wusste nicht, was ich dort zu suchen hatte und wurde schnell zum Gespött der Klasse. Mit mitleidigen Augen sah mich Legrand an und schüttelte den Kopf. Hatte sie es anders von mir erwartet? Wenn ich so darüber nachdachte, war gut ein halbes Schuljahr vergangen. Eine Weile muss ich wohl schon Lecrunes Bluts-Maid gewesen sein, denn mich kannten schon einige von ihnen mit Vornamen. Einige, die nicht in unsere Klasse, ja nicht einmal in unseren Jahrgang gingen. Mitten im Unterricht hatte ich mich gemeldet und gebeten, mich nach draußen begeben zu dürfen. Ich hatte es nicht mehr ausgehalten. Mein Kopf schmerzte stark und ließ keinen Denkprozess mehr zu. Draußen gesellte sich nach einer Weile Miss Legrand zu mir. Ihre lockigen blonden Haare fielen ihr zum Teil über die Schultern. Damit sie nicht zu lang waren, hatte sie diese auch zum Teil elegant hochgesteckt, jedoch über ihren Nacken noch einige Locken verlaufen lassen, nicht so wie ich. Doch in diesem Moment verfluchte ich meine Frisur, sie bereitete mit nur noch mehr Kopfschmerzen, als ich sowieso schon hatte. Doch wollte ich sie auch nicht lösen. "Miss Amand", sprach mich meine Lehrerin an, legte einen Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an, sodass ich ihr in die Augen sah. Das giftgrün in den ihrigen blitzte auf, suchte in mir etwas, was nicht mehr vorhanden war. Das Wissen der vergangenen Unterrichtsstunden unter ihr war weg, verschwunden, für immer vermutlich. Ich wusste nicht, wie ich es schaffen sollte, alles wieder ans Licht zu bringen, mich an alles zu erinnern. Und es schmerzte mich innerlich, dass ich nicht stark genug war, um die Bruchstücke wieder zusammen zu fügen. "Was ist mit Ihnen los? Sie waren immer eine se'r vorbildliche Schülerin. 'aben sie Streit mit Mister Lecrune? Er kann wirklich ein 'olzkopf sein, wenn es um weibliche Emotionen geht" Ich schüttelte verneinend den Kopf. Zum Teil hatte es zwar mit diesem Beißer zu tun, aber er war nicht der Auslöser für meine Patzer und meine Unbeholfenheit. Ich stand schon seit einiger Zeit neben mir, wusste nicht, wo vorne und hinten war. Kira hatte mir zwar versucht zu helfen, oder eher Hilfe angeboten, doch selbst ihre Erzählungen brachten meine Erinnerungen nicht zurück. Es klang einfach alles viel zu unglaublich, eine verrückte Abenteuergeschichte, die sich angeblich innerhalb dieser Mauern abgespielt hatte. "Nein ... ausnahmsweise nicht", sprach ich eher kleinlaut und blickte wieder schutzsuchend zunächst auf den Boden, dann auf die Wand zu meiner linken. "Ich kann mir selber nicht erklären, was mit mir los ist ... Es ist, als hielte ich Sand in den Händen, welcher mir langsam durch die Finger rinnt, wenn ich versuche, mich an die Ereignisse der letzten Monate zu erinnern. Ich wusste nicht einmal, dass ich Ihrem Unterricht beiwohnen muss, Miss Legrand. Nichts gegen sie ... Aber in meinem Kopf herrscht ein extrem dicker Nebel und aufgrund dessen ein derartiges Durcheinander, das ich nicht zu bändigen weiß" "Erinnerungsschwund?", hakte sie nachdenklich nach, stellte die Frage aber eher an sich selber. Ich sah sie kurz an, sie legte einen Finger an ihre Lippen und starrte die Wand hinter mir an, als wäre sie mit einem Mal die Lösung dieses Rätsels ... oder würde zumindest einige Hinweise darauf enthalten. "Nicht gut, nicht gut" Das war das einzige, was ich hörte, bevor sie sich entschuldigte und zurück zu ihrem Unterricht ging. Ich blieb auf dem Gang stehen und seufzte, fuhr mir verzweifelt mit einer Hand durch meinen Pony. Was sollte ich nur tun? Der Winter hatte gerade erst begonnen und die meiste Zeit, während es schneite, verbrachten wir drinnen mit lernen. Die Zeit der Prüfungen rückte immer näher, nur noch zwei Monate und wir müssten uns das erste Mal richtig beweisen. Mit kleineren Aufgaben und Tests wollten sie uns darauf vorbereiten, doch daneben gab es natürlich noch den normalen Unterricht, da wir ja wohl auch Stoff brauchten, für den wir getestet werden konnten. Momentan saßen wir in meinem absoluten Hass-Unterricht ... Geschichte. Ich hatte nie verstanden, wie man sich dafür begeistern konnte. Bislang hatten wir die 'Dunklen Zeiten' besprochen. Das Zeitalter, in dem die Vampire noch die Oberhand hatten und dafür sorgten, dass die Menschen keinen Aufstand anzettelten. Sie unterdrückten die andere Rasse, so wie es der Widerstand in der heutigen Zeit wollte. Dass ich mir das gemerkt hatte ... "Im 18. Jahrhundert erhoben sich die Menschen. Sie erhoben sich gegen ihre Lehnsherren und Meister, um zunächst Aufstände anzuzetteln, welche zu Beginn noch niedergeschlagen wurden. Doch ihre Angst gegen uns nahm ab, die ersten mordeten aus Angst, selber getötet zu werden. Sie fanden heraus, dass wir genauso leicht wie sie sterben konnten, wenn man unser Herz durchstieß. So konnten sie unsere Reihen dezimieren, stärker Ausgebildete wurden als Jäger verwendet, um uns gezielt zu töten" Jäger, mh? Was für eine unausgesprochene Ironie. "Es dauerte nicht lang, da befanden wir uns im Krieg gegen die Menschen" Unser Lehrer drehte sich zu seiner Weltkarte um und deutete mit dem Zeigestock auf verschiedene Länder. "Zu den ersten Kriegen kam es in China und Griechenland. Von dort aus erstreckten sich zunächst die Aufstände, bis sie auch Amerika erreichten." Von Australien war gar nicht die Rede, was mich nicht wunderte. Diesen Kontinent mieden die Vampire seit Anbeginn der Zeit, genauso wie jegliche Wüstengegenden, da sie dort kaum bis gar keinen Schutz vor der Sonne fanden. Auch jetzt noch musste sich ihre Haut weiter entwickeln, um genügend Widerstand gegen die Sonneneinstrahlung zu bekommen, damit sie nicht wahnsinnig werden würden. "Die Kriege dauerten lang an und die Verluste auf beiden Seiten waren zahlreich. Informationen wurden gegen uns verwendet und viele Urvampire verloren ihr Leben." Ja, heute lebten nur noch sehr wenige von ihnen. Wer hätte auch gedacht, dass Dracula zu den Urvampiren zählte? Lustig, um ehrlich zu sein. "Mit fehlender Führung dezimierten sie uns weiterhin, bis wir kapitulierten." Die Vampire und kapitulieren? Das hätte ich als aller letztes von ihnen erwartet. Ich notierte mir die Informationen, gleichzeitig würde ich das aber auch als Inspiration für meine Geschichte nutzen. Hach ja ... meine Geschichte. Ich war nicht Herrin über sie, jedes Mal, wenn ich neue Worte zu Papier brachte, übernahm jemand anderes für mich und schrieb das Kapitel. Unbewusst hatte ich so neue Charaktere eingebaut. Eine gute Freundin für meine Jägerin, ein Vampir, welcher sie verführt hatte ... und ein Anführer der angeblich friedlichen Blutsauger. Kurz sah ich rüber zu Caleb, welcher, wie gewohnt, mit dem Kopf auf der Tischplatte lag und dem Lehrer wohl nur mit halbem Ohr zuhörte. Und er sollte irgendwann mal das erben, was seine Eltern hier aufgebaut hatten ... na, die Insignia-Akademie hatte wohl eine rosige Zukunft vor sich. Jedenfalls hatte ich bei den ersten paar Entwürfen gemerkt, wie ich den Anführer beschrieben hatte. Er hatte nicht von Anfang an schneeweißes Haar. Vorher war er ein Ebenbild von Caleb mit dem Unterschied, dass er sich viel stärker in seiner Führungsposition zurecht fand und wusste, was seine Verantwortungen waren und was er sich erlauben durfte. Kira hatte mir nach dem Schreiben meines Rohentwurfes die neuen Charaktere skizziert und wie von einer Tarantel gestochen hatte ich die Beschreibung umgeschrieben und angepasst. Ich würde sicherlich nicht zulassen, dass man mich deswegen aufziehe. Es ist nicht unbekannt, dass ich die Autorin von Schwarze Nacht war und ich hatte nicht wenige Leser unter Klassen- und Schulkameraden. Ihnen wäre es definitiv aufgefallen und auf die darauf sicherlich folgenden Kommentare konnte ich herzlich verzichten. Schnaubend wandte ich meinen Blick ab und konzentrierte mich wieder auf unseren Lehrer. Er ging gerade auf die Neue Ordnung, welche im 19. Jahrhundert nach den beendeten Kriegen eingeführt wurde, ein. Diese beschrieb ein friedliches Zusammenleben von Vampir und Mensch, wobei die Wesen der Nacht in den Hintergrund traten und den Menschen ihren kleinen Spielplatz zur Entwicklung überließen. Sie richteten eine Gemeinschaft ein, welche daraus bestand, dass sie mit Krankenhäusern in Kontakt blieben, um an Blutkonserven zu kommen. Dafür gaben sie auch ihr eigenes Lebenselixier her, um sie dafür zu kompensieren. Außerdem arbeiteten sich die Vampire langsam im Hintergrund zur Führungsspitze nach oben. Sie regierten zwar nicht mehr, aber viele Firmen gehörten ihnen. Sie schufen Arbeitsplätze für Menschen, beobachteten, wie sie sich untereinander an den Kragen gingen. Gleichzeitig mussten sie aber auch beobachten, wie sich langsam aber sicher eine Opposition herausbildete und das friedliche Zusammenleben störte. Der Widerstand ... Vor Schmerz stöhnend hatte ich mir an den Kopf gefasst. Tief in mir reagierte etwas auf diese Bezeichnung, doch meine Erinnerungen vermochten es nicht, eine Verbindung herzustellen. Einige Puzzleteile regten sich, doch blieben sie am Boden, als wären sie festgeklebt. Verdammt. So ein Mist aber auch. Es war ein Trigger gewesen, doch hatte es nicht genügt, um das erste Teil des Puzzles zu lösen. Der Widerstand. Immer wieder ließ ich es mir durch den Kopf gehen und immer wieder bereute ich es. Inzwischen stützte ich mich mit den Ellenbogen schon auf dem Tisch ab, um meinen Kopf in die Handflächen zu legen und meinen Nacken zu entlasten. "Alles okay?", flüsterte Kira mir zu, Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit. Ich sah zu ihr herüber, sie beugte sich leicht nach vorn, um nicht vom Lehrer ins Visier genommen zu werden. "An ... irgendwas erinnert mich dieser Begriff. Widerstand", murmelte ich und zischte leise. Wann würde diese Tortur mit dem Decknamen Unterricht endlich vorbei gehen? Wenn ich richtig gezählt hatte, müssten wir danach eine große Pause haben, auf die ich mich jetzt nur noch mehr freute. Kira's Augen leuchteten kurz auf. "Das ist gut", meinte sie. "Gut? Ich habe das Gefühl, mein Schädel platzt gleich" "Also ... also ja, das vielleicht nicht. Aber ich meine, dass dich 'Widerstand' an etwas erinnert. Wir können deine Erinnerungen also noch zurück bringen" Ich wusste nicht, ob das, angesichts der Schmerzen, die ich gerade hatte, wirklich etwas Gutes war. Mein Kopf sprang auf diesen Denkanstoß zwar an, aber mehr, als mich fast in Ohnmacht fallen zu lassen, brachte es mir nicht ein. Die große Pause war in diesem Moment die Erlösung schlecht hin. Zwar dröhnte das Klingeln in meinen Ohren, doch die daraufhin folgende kalte Luft des Wintertages brachte etwas Schmerzlinderndes mit sich. Kaum war die Klasse nämlich entlassen worden, hatte ich mir meine Jacke geschnappt und bin nach draußen geeilt, so schnell konnte nicht einmal Kira mir folgen. Ich atmete erleichtert tief ein und ging den verschneiten weg entlang. Schneeflocken landeten auf meiner weißen Jacke, verweilten eine Weile, bevor sie sich wieder in Wasser zersetzten. Ich hätte mir Handschuhe zulegen sollten, dachte ich mir, als ich die weiße Landschaft vor mir betrachtete. Ich begab mich herüber zu einer Bank und machte sie etwas frei, um mich setzen zu können. Winter. Ich liebte den Winter. Mein Geburtstag ließ auch nicht mehr lange auf sich warten, doch hatte ich nicht vor, jemandem davon zu erzählen. Ich würde 19 werden ... ach herrje. Ich atmete tief durch und langsam ebbten meine Kopfschmerzen ab. Es lag wohl eher an der stickigen und trockenen Luft im Klassenzimmer, dass sie so extrem geworden sind. Wir heizten natürlich, damit uns Menschen nicht zu kalt in dieser Jahreszeit wurde. Den Vampiren schien das nichts auszumachen, ich sah einige von ihnen selbst mit offenem Hemd über den Schulhof laufen, was mich zum Frieren brachte. Im Sommer schwitzten sie nicht und im Winter froren sie nicht. Was für ein perfektes Leben das sein musste. Meine Gedanken und Ruhe wurde unterbrochen, als Kira mich aus ihnen holte. "Wynne!", rief sie. Ich öffnete die Augen und blickte meiner Freundin entgegen, welche gerade zwischen den Wohnblöcken hervor kam. Sie hob eine Hand, um zwischen dem Schnee auf sich aufmerksam zu machen, obwohl ihre Braune Mähne dabei schon eine gute Arbeit leistete. Ein paar winzige Schneeflocken hatten sich vereinzelt bereits darauf niedergelassen und bildeten einen interessanten Kontrast. "Ich hab dich gesucht" "Wir hätten uns spätestens in ein paar Minuten im Klassenraum gesehen", meinte ich gelassen und blickte sie an. Sie schnaufte und holte tief nach Luft, während sie sich auf ihren Knien abstützte. Sport war noch nie ihr Ding gewesen. Meines auch nicht wirklich, aber ich war in einer angenehmen Mitte. Nicht extrem sportlich, aber auch nicht unbeweglich wie ein Holzbrett. "Eben nicht. Wir" Sie holte nach Luft und richtete sich auf. "Wir sollen uns im Saal treffen. Alle Erstklässler" Eine außerplanmäßige Versammlung? Ansonsten wurden wir immer am Anfang des Tages darauf hingewiesen, dass wir uns in der großen Pause im Saal einfinden sollten. Ob etwas vorgefallen war? Hm, eigentlich nicht, sonst würde man die gesamte Schule versammeln, nicht nur ein paar Schüler. Seufzend stand ich auf und folgte meiner Zimmergenossin nach drinnen. Der Saal war schon gut angefüllt, doch schien die wichtigste Person noch zu fehlen. Vorne auf der Bühne stand noch keine Gestalt, welche die Masse unter Kontrolle bringen würde. Wir fanden in dem Gewusel Neva, welche uns zwei Plätze freigehalten hatte. "Da seid ihr ja", lachte sie. "Ich hab mich schon gewundert" Kira nickte ihr zu, während ich nur mit den Schultern zuckte und mich neben meine Freundin stellte. In letzter Zeit empfand ich es als immer unangenehmer mit Neva zu sprechen, wobei das wohl auch an meinem Gedächtnisverlust lag. Die Rothaarige klopfte mir auf die Schulter und lächelte mir aufmunternd zu, wollte etwas sagen, kam jedoch nicht dazu, als wir durch ein überlautes Räuspern auf jemanden aufmerksam gemacht wurden. Doch noch wurde es nicht ruhig im Saal. Meine Augen huschten nach vorn und ein nur allzu bekannter schwarzer Haarschopf hob sich auf der Bühne aus den Massen hervor. Ungeduldig wippte Caleb mit einem Fuß und verschränkte die Arme, bevor er das Mikrofon nahm und dagegen schlug. Es übersteuerte und wir hielten uns die Ohren zu. Vor allem die Vampire schienen insbesondere davon betroffen. "Hab ich jetzt endlich eure Aufmerksamkeit?", fragte er in die Masse. "Zumindest von denen, die nicht taub geworden sind", rief ich nach vorn. Selbst von meinem Platz aus konnte ich sehen, wie Caleb die Augen verdrehte, während er das Standmikrofon ausschaltete und auf eine Gerätschaft umstieg, die er sich hinter das Ohr klemmte. Ein feineres Eingabegerät befand sich nun in der Nähe seiner Lippen und verstärkte den Ton seiner Stimme. "Ruhe auf den billigen Plätzen", kam es zurück. "Tut mir leid, dass ich eure Pause so unterbrechen muss. Ich find es auch nicht gerade scharf, aber meine Eltern haben mir erst eben einen Zettel durchgereicht" Er hob ein beschriebenes Blatt Papier nach oben, welches er nur genervt betrachtete, als er es wieder herunter nahm, bevor die erste Reihe auch nur einen Wortfetzen entziffern konnte. "Wir werden aufgefordert, unsere Fortschritte im Zusammenleben miteinander zu präsentieren, vor dem Rat. Dies ist eigentlich etwas, was dem letzten Jahr in die Hände fällt, als eine Art extra Prüfung, doch habt ihr das Pech, mich in eurer Klasse zu haben. Ich soll das Projekt nämlich leiten" "Das kann ja nur in einem Desaster enden", meinte ich diesmal eher kleinlaut und fasste mir an die Stirn. Neben mir hörte ich, wie die beiden Mädchen kicherten. "Jedenfalls", der Sohn der Direktoren erhob erneut seine Stimme, als hätte er gehört, was ich gemurmelt hatte, "Ihr werdet in euren Klassen aufgeteilt bleiben und jeweils präsentieren, wie ihr miteinander zurechtkommt. Dafür haben wir eine Woche Vorbereitungszeit, bevor die restlichen Familien hier auftauchen. Was habt ihr gelernt? Was hat sich verbessert? Verschlechtert? Kommt ihr nun besser klar? Versteht ihr, worum es in unserer Welt geht? Verstehen wir, worum es in eurer Welt geht? Etcetera etcetera." Also eigentlich all das, was die Fünftklässler besser einschätzen konnten. Ich hatte das mulmige Gefühl, dass man hier nicht unser Wissen und Zusammenleben prüfen wollte, sondern eher den späteren Erben, wie er sich anstellte, eine Masse zu führen, welche sich in mehrere Gruppen aufteilte. Er sollte lernen, ein Projekt durchzusetzen, erfolgreich. Ah, das könnte ja interessant werden. Er teilte unsere Aufgaben noch zu. Dass es dazu kommen würde, dass wir mit ihm zusammen arbeiten, war mir klar. Für die anderen würde sich diese Zeit beschränken, als seine Bluts-Maid jedoch ... na ja, ich musste ihm wohl mit Rat und Tat und als Packesel zur Seite stehen, so konnte ich es mir nur vorstellen. Caleb erklärte, dass er nur das Beste Benehmen von uns erwartete. Außerdem würde, sollte alles glatt gehen und der Rat zufrieden sein, für uns am Ende der Woche eine Party stattfinden. Wieso das bei den meisten genügend Feuer entfachte, um sie zu motivieren, blieb eine mir unausgesprochene Frage, auf welche ich nur den Kopf schütteln konnte. Die Vorstellung, dass auch nur einer der Schüler das ganze sabotieren wöllte, war schon abstrus genug. Zumindest dachte ich so. Während des ersten Tages musste ich mit Caleb mehrmals zwischen den Klassenzimmern auf und ab laufen, um irgendwelche Streitigkeiten zu klären. Ich lernte, dass ich nicht die einzige mit gewissen Abneigungen gegen Vampire war und dass es nicht nur Vampire waren, die sich wie Arschlöcher verhielten. Meistens wies Caleb sie zurecht, manchmal aber schritt auch ich ein und wurde laut. Ich konnte mir dieses lächerliche Verhalten nicht weiter mit ansehen. "Du hast dich auch verändert, als du Caleb's Schoßhündchen wurdest, Wynne", meinte eine Schülerin der 2. Klasse des ersten Jahrganges. "Genauso wie deine Geschichte. Gute und Schlechte Vampire? Echt jetzt? Wie lächerlich ist das bitte." Ich schnaubte. Wieso es mich so aufregte, dass sie sich gegen diese Blutsauger so aussprach, wusste ich nicht. "Sarah, bitte", bat sie ein Mitschüler, an dessen Armband ich erkannte, dass es sich um einen Vampir handelte. Die Angesprochene hingegen war in jeglicher Hinsicht ein Mensch, verschränkt die Arme und rümpfte die Nase, nachdem sie angesprochen wurde. "Halt deinen Rand", fauchte sie ihn an. Mit eingezogenem Schwanz machte sich der Vampir vom Acker und half einigen anderen Klassenkameraden. Seufzend versuchte ich, mich mit Sarah auseinander zu setzen und zunächst unsere Streitigkeiten, dann die mit ihren Mitschülern zu klären. Worauf das alles begründet war, war absolut lächerlich ... sie war eifersüchtig. "Ist das dein Ernst?", fuhr ich sie ein wenig zu laut an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Nur, weil du dich gerade in einer Trockenperiode befindest, deinen Arsch nicht hochbekommst und denjenigen ständig anmaulst, von dem du behauptest, er behandle dich nicht gerecht, heißt das noch lange nicht, dass du deine miese Laune jetzt auf alle auslassen musst. Entweder zu nimmst jetzt den Stock aus deinem Allerwertesten und setzt dich in Bewegung, hörst auf, dich zu verstecken oder aber hältst die Schnauze und hilfst deinen Mitschülern endlich mal, damit das alles hier ein Erfolg wird" "Als ob ich mir von einer schuhleckenden Schlampe irgendwas befehlen lassen würde! Du hast ja nicht einmal genügend Rückgrat, um noch alleine zu stehen!", fauchte sie zurück und fuhr langsam ihre Krallen aus. Lecrune, welcher in der Nähe stand und sich um einige Vampire kümmerte, wandte seine Aufmerksamkeit nun zu uns und ich merkte, wie er sich hinter mit positionierte, um einzuschreiten. Doch ruhig hob ich eine Hand und verbot ihn, den Mund aufzumachen. "Wynne ...", sprach er warnend, doch ich schüttelte den Kopf. "Klappe zu. Das ist meine Angelegenheit." Mit einem eisigen Lächeln legte ich den Kopf schief und kicherte leise. "Kein Rückgrat, ja? Jetzt hör mal zu, du vorlautes Miststück. Wenn hier jemand diesen Idioten von Blutsauger in der Hand hat, dann bin ich das" Das hatte ich schnell bemerkt. Während ich mich wieder in die Arbeit, die er aufgetragen bekam, reinfitzen musste, merkte ich, dass er mehr auf meine Hilfe angewiesen war als ich auf seine. Wieso hatte ich zugesagt, seine Bluts-Maid zu werden? "Ich hätte es nicht nötig, mir den ganzen Scheiß hier zu geben. Im Gegensatz aber zu dir habe ich etwas, das nennt sich 'Charakterentwicklung'. Das haben die in meiner Geschichte auch. Und es zeugt nichts mehr von Rückgrat, als sich zu entwickeln und an eigenen Fehlern zu wachsen. Also, entweder wird aus diesem potthässlichen Entlein, das gerade vor mir steht, ein stolzer und schöner Schwan, oder aber ich kleb dir deinen Schnabel zu, damit du endlich die Luft nicht mehr verpesten kannst" "Ich glaube nicht, dass du mit Beleidigungen hier weit kommst, Amand", wurde ich nun doch von Lecrune angesprochen und schnaubte genervt. Ich hatte dem Weib sowieso genug gesagt und begab mich wieder in den Hintergrund, wo ich hingehörte. Es kam sogar so weit, dass ich zurück ins Klassenzimmer geschickt wurde, um dort weiter am Projekt zu arbeiten. Kurz musterte ich Caleb, doch der harte Ausdruck in seinem Gesicht ließ keine unnötigen Widerworte zu. Kurz blieb ich noch stehen, wandte mich dann aber dennoch auf den Fersen um, ohne ein weiteres Wort zu verlieren und kehrte zurück ins Klassenzimmer. Mit der Zeit ließ mein Wille wieder nach. Ich hatte zwar zwischendurch meine Anflüge von Mut, aber meine Träume rissen mich aus dieser Welt und brachten mich zurück in die Realität: Ich wusste nicht, wer ich in den letzten Monaten geworden bin. Unterbewusst war mir klar, dass ich mich verändert hatte. Mein Hass gegen die Blutsauger reichte nicht mehr so tief wie früher, doch wodurch kam das? Was wusste mein altes Ich, worauf ich nicht mehr zugreifen kann? Jeden Morgen betrachtete ich mich im Spiegel und fühlte mich eigenartig. Die letzten zwei Tage des Projektes standen bevor und heute hatten wir nur einen halben Tag, da wir mit allem recht gut vorangekommen sind. Seufzend fuhr ich mir durch die offenen Haare. Ich brauchte eine Veränderung und die perfekte Person dafür befand sich mit mir in einer Wohnung. "Kiiiraa", säuselte ich, als ich aus dem Badezimmer trat, die Haare immer noch unten. Sie blickte von ihrem Smartphone auf und zunächst leuchteten ihre Augen auf. "Darf ich dir endlich mal deine Haare machen?", fragte sie mich, doch zu ihrer großen Enttäuschung schüttelte ich den Kopf und wurde wieder ernster. "Wie viel Wissen hast du von deiner Mutter über Haare schneiden?", fragte ich sie. Zunächst schien sie nicht zu verstehen, worauf ich hinaus will, doch als es dann in ihrem Kopf klick machte, schüttelte sie diesen vehement. "Oh nein! Ich werd dir die Haare nicht abschneiden!", sagte sie und verschränkte die Arme. Ich wusste, dass sie neidisch auf meine Mähne war, wie lang sie waren, gut zu stylen angeblich und das ich einfach nichts daraus machte. "Na gut", meinte ich, ging zu meinem Schreibtisch herüber und durchsuchte die Schubladen. "Dann werd ich das machen." Ich hatte so oder so vor, eine Veränderung an mir vorzunehmen. Ob es nun absolut lächerlich aussah, sei letztendlich dahin gestellt. Ohne weitere Umschweife holte ich eine stinknormale Bastelschere heraus und wollte damit wieder ins Bad verschwinden, als mich Kira mit einem halben Schrei aufhielt und mein Handgelenk umklammerte. "Okay, lass den Scheiß!" Wütend schnaubte sie und nahm mir die Schere weg, welche sie abwertend musterte und zurück auf den Schreibtisch warf. Meine arme Schere, ging es mir durch den Kopf, bevor ich meine etwas kleinere Mitbewohnerin ansah, welche mich böse anfunkelte. "Ich werd's machen. Dann hast du wenigstens eine ordentliche Frisur und keine .... was auch immer das bei dir geworden wäre" "Vermutlich ein zerschnittener Teppich", scherzte ich. "Vermutlich sogar was schlimmeres" Sie schob mich ins Bad, nahm dabei einen Hocker mit, auf welchen ich mich zunächst setzen sollte. Ich zeigte ihr ungefähr an, was für eine Länge ich mir vorstellte. Da wir zum Glück nicht sofort beim Projekt gebraucht wurden, konnte sie sich damit sogar Zeit lassen. Kira seufzte und schnitt zunächst grob alle überschüssige Länge ab, bevor die restliche Prozedur begann. Sie war wirklich geschickt mit ihren Händen und verdammt sturköpfig, als sie arbeitete. Jedes Mal, wenn ich mich ungünstig bewegte, zischte sie mich an und ruckte meinen Kopf zurecht. Meinen Pony veränderte sie, daraufhin noch die restliche Länge meiner Haare, sodass sie alsbald Schulterlang waren. Es war ungewohnt ... anders. Ich hatte meine Haare ewig nicht offen getragen und nun sollte es etwas Normales werden. Da es doch etwas länger dauerte als erwartet, hatten wir uns mit Neva in Verbindung gesetzt und gaben unsere Arbeit via Sprach- und Textnachrichten durch. Da sie auch ihren Laptop mit Wlan Verbindung mithatte, konnte ich sogar einige Textdokumente zu ihr schicken. Praktisch. So arbeitete ich mit Neva zusammen, während Kira hinter mir meine Haare machte. Ich kam mir vor wie eine ganz andere Person. Aber das passte, immerhin war ich gerade noch dabei, zu erkunden, wer ich eigentlich geworden bin. Diese kleine Typveränderung tat mir gut, als ich mich im Spiegel betrachtete und einmal mit der Hand durch meine Haare fuhr. "Danke", flüsterte ich Kira zu, welche das Chaos beseitigte. Ich half ihr natürlich, als ich aus meinem Staunen heraus kam und mich bewegen konnte. Sie hatte ein unglaubliches Talent, doch das musste ich ihr wohl kaum noch sagen. Ich fühlte mich nun einen Ticken besser in meiner Haut, wobei sie es mir wohl böse anrechnete, dass ich meine Haare hatte schneiden lassen. Die werden doch wieder nachwachsen! Noch einmal blickte ich in den Spiegel. Von nun an war es vorbei mit der Hochsteckfrisur und dem Bibliothekaren-Look. Mit offenen, schulterlangen Hellblonden Haaren trat ich diesmal aus der Tür heraus und freute mich schon auf die eigenartigen Gesichter meiner Mitschüler. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)