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Ein unfaireres Spiel mit dem Schicksal

von

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Worte aus der Vergangenheit

Ich war dankbar, dass Ragnar das Geheimnis meiner Schwangerschaft für sich behielt. Doch ich wusste, dass ich es nicht mehr lange geheim halten konnte. Die Zeit ließ sich schließlich nicht anhalten, so gerne ich es auch tun würde. Doch es war schön, zu wissen, dass wir dieses noch so kleine und eigentlich so große Geheimnis nicht herum erzählten. Seit Ragnar von meiner Schwangerschaft wusste, war er so vorsichtig mit mir, dass ich ihn oft genug daran erinnern musste, dass ich nicht krank sei. Es war schon erstaunlich welche Wirkung dieser Umstand auf ihn hatte. Dieser kräftige Hüne, dem seine eigene Ehre eigentlich so wichtig war, war wie ausgewechselt. Als ich einmal stöhnend und ächzend den Wäschekorb trug nahm er ihn mir einfach ab.

Er trug ihn dorthin, wo ich immer die verdammte Wäsche machte und blieb bei mir. Er half mir nicht beim Waschen, doch er setzte sich entspannt zu mir und während ich die Klamotten reinigte plauderten wir einfach über Alltägliches. Und auch auf dem Rückweg nahm er mir den schweren Korb ab. Liebevoll und dankbar lächelte ich ihn an und gemeinsam schlenderten wir wieder nach Hause.
 

Seit ich auf die Jagd gegangen war spürte ich, dass sich etwas gewandelt hatte. Einige der älteren Frauen, zumeist im Alter meiner Schwiegermutter, mieden mich. Sie waren nicht klug genug, ihre Blicke zu verbergen und oft bemerkte ich sie als sie ihre Gesichter wegdrehten. Ich fand es albern, denn es war nur ein einziges Mal gewesen und eigentlich nicht schlimm. Manche Menschen taten so, als habe ich etwas so verbotenes getan, dass es besser wäre mich nie wieder anzusprechen. Lillie, Sontje und ich alberten herum deswegen. Auch wenn Sontje nicht verstand, weswegen ich das Jagen so toll fand. Als ich versuchte es ihr zu erklären, dass es toll sei alleine mit sich zu sein, um die Stille zu genießen und den eventuellen Anflug von Euphorie, wenn man es schaffte etwas zu erlegen erklärte sie lachen: „Also wenn ich sowas haben möchte, dann gehe ich an kalten Tage in den Badezuber mit einem guten Buch. Und wenn nicht gerade Sven zu mir steigt und mir ein viertes Kind gemacht hätte, hätte ich solche Augenblicke noch wesentlich öfter haben können.“ Sie lachte und erst nach einem Augenblicke schaffte ich es mit einzustimmen. Denn es waren mir eindeutig zu viele Informationen, nach denen ich gar nicht gefragt hatte. Und doch fand ich es irgendwie amüsant. „Jeder hat seine Methode sich zu entspannen. Und ja ich kann das auch in der Badewanne“, scherzte ich und wir kicherten. Mir taten solche Momente gut und sie ließen das Heimweh in meiner Brust für diesen Augenblick vergessen. Doch je weiter die Zeit voran ging, spürte ich wie sehr ich meine Heimat vermisste. Den Geburtstag meiner kleinen Schwester hatte ich bereits verpasst. Zwar hatte ich ihr geschrieben und doch wäre ich an diesem Tag gerne Gast im Hause meiner Eltern gewesen. Denn es zeigte mir, dass die Welt sich einfach weiterdrehte und sich nach und nach verändert.  
 

Der Herbst schien hier sehr viel schneller einzuziehen wie ich es eigentlich kannte und frustriert betrachtete ich den Regen welcher von den dunklen Wolken auf uns hinab regnete. Die Blätter einiger Bäume hatten sich verfärbt, doch leider waren die Tannenwälder zumeist nur dunkel und ließen die wenigen Laubbäume wie farbenfrohe Punkte erscheinen. Auch die heftigen Gewitter, welche vom Gebirge her kamen, ließen mich das ein oder andere Mal erschrocken aus den Schlaf schrecken.

Das Training der neuen Anwärter hatte begonnen und Ragnar kam erst spät abends wieder nach Hause. Ich wusste, dass Lillie keine Zeit hatte, sie war heute mit einer anderen Freundin unterwegs, was genau sie machte wusste ich nicht. Und Sontje musste sich um ihren erkrankten Sohn Merlin kümmern. Gelangweilt ging ich durch das Haus und mein Blick blieb an meinem neuen Bogen hängen. Vor zwei Tage hatte mein Mann ihn mir überreicht. Das Holz war dunkler als das meines alten Bogens und die Sehne war stärker bespannt. Doch er war in meinen Augen einfach wunderbar! Als Ragnar mitbekam, wie sehr ich mich über sein Geschenk freute hatte er mich feste an seine Seite gedrückt und mir versprochen, dass wir gemeinsam auf die Jagd gehen würden.  Doch leider wollte er warten, bis das Kind da war. „Was ist, wenn du vom Pferd fällst“, hatte er gesagt und noch weitere Eventualitäten, welche mich und mein Ungeborenes in Gefahr gebracht hätten. Fassungslos hatte ich ihn angeschaut und konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte. Ich nahm das Holz in die Hand, strich liebevoll mit den Fingern darüber und sehnte mich danach wieder jagen zu gehen. Doch leider war das Wetter gerade nicht auf meiner Seite, von meinen Umständen ganz zu schweigen. Ich hoffte, dass ich bald wieder auf die Jagd könnte und meinen Bogen nicht hinterm Haus ausprobieren musste, während meine Schwiegermutter mir und Ragnar missmutig zusah. Doch während ich den Bogen ausprobierte meinte Ragnar plötzlich: „Du bist wirklich gut. Zwar ist die Haltung, wie du den Bogen hältst seltsam, aber du triffst.“

Stolz erinnerte ich mich an diesen Tag zurück und ein zufriedenes Lächeln legte sich auf meine Lippen. Doch leider ließ das Wetter es nicht zu, dass ich erneut hinter dem Haus trainieren konnte.

Auch meine Bücher hatte ich ausgelesen und als ich den Bogen langsam und andächtig wieder wegstellte erinnerte ich mich daran, wie Ragnar mir sagte, dass sein Bruder noch viele Bücher hatte. Belesen soll er gewesen sein. Wenn er wirklich so belesen war, wie Ragnar sagte, würde ich sicher etwas finden, was mich interessiert. Doch leider musste ich dazu in das Haus von Inga. Doch besser das als Langeweile.
 

Schnell ging ich durch den Regen und Klopfte an das Haus meiner Schwiegereltern. Ich hoffte, dass es nicht Inga war, die die Tür öffnen würde. Denn schließlich wohnte hier auch Raik. Doch leider schien dieser Wunsch nicht erhört zu werden. Die beleibte Frau öffnete mir die Tür und blickte mich überrascht an. „Oh Gott Thalia, was treibt dich bei diesem Regenwetter vor die Tür?“, fragte sie und trat zur Seite und ließ mich eintreten.

„Hallo“, sagte ich ruhig und höflich lächelte ich meine Schwiegermutter an, „Ragnar sagte mir mal, dass sein Bruder Jari viele Bücher besessen habe. Er hat mir angeboten, diese auszuleihen und zu lesen.“ Ich bemerkte das Stocken in den Bewegungen der Frau, als ich ihren toten Sohn erwähnte. Sie schien damit wirklich nur schwer abschließen zu können.

Doch ich war mir nicht sicher, wie ich so etwas verarbeiten könnte, oder ob ich nicht auch an so etwas zerbrechen würde. Seit ich selbst schwanger war, hatte ich ständig selber Angst, dass dem Ungeborenen etwas passieren könnte. Deshalb diskutierte ich auch nicht mit Ragnar, als mir das Jagen wegen der Schwangerschaft verboten hatte.

Doch ich zwang mich, nicht so häufig darüber nachzudenken. Während ich Inga betrachtete bemerkte ich, wie sie mit sich rang. Weswegen verstand ich nicht. „Ähm… ja… Natürlich. Aber bringe sie mir unversehrt wieder zurück“, verlangte sie mit versuchter strenger Stimme. Doch es gelang ihr nicht. Dafür klang ihre Stimme zu belegt. Ich nickte nur und folgte ihr durch das Haus. Es war genauso aufgebaut wie das Unsere. Nur lagen überall gehäkelte und bestickte Kissen herum. Basteleien von ihren Kindern standen herum und man bekam den Eindruck, als wolle sie diese Zeit aufbewahren. Als wünschte sie, dass ihre Kinder noch klein seien. Doch ob dies stimmte, wusste ich nicht. Es war einzig meine Vermutung.

Neugierig betrachtete ich Ragnars und Jaris altes Kinderzimmer. Zwar war ich schon des Öfteren Gast in ihrem Haus gewesen, doch nie hatte ich einen anderen Raum betreten als den Wohnraum mit der integrierten Kochzeile. Zwei Betten standen nebeneinander, dazwischen stand ein Nachttisch und auf dem die Bücher lagen. Es waren einige und als ich zur Seite sah, sah ich ein ganzes Regal voll mit Büchern stehen. Ja, Ragnar hatte nicht übertrieben. Jari schien wahrlich belesen gewesen zu sein. „Der hat aber wirklich viel gelesen“, murmelte ich und war überrascht, als Inga mir zustimmte. Langsam ging ich die Bücher in dem Regal durch und zog das ein oder andere heraus. Ich hasste es, dass Inga mich nicht in Ruhe schauen ließ. Doch ich vermutete, dass diese Sachen ihr zu wichtig waren, um mich damit alleine zu lassen. Vermutlich war dies alles was ihr von ihrem Sohn geblieben war. Neugierig begutachtete ich die Bücher auf dem Nachttisch und nahm auch davon zwei mit. „Die stammen alle aus Reisen meines Sohnes… Mich wunderte manchmal, dass er überhaupt wiedergekommen ist. So sehr wie er von der Ferne geschwärmt hat.“ Unschlüssig nickte ich, denn ich tat mich einfach schwer, mit dieser Frau zu sprechen, obwohl sie gerade sehr freundlich war. „Vielleicht war er nach langen Reisen auch gerne wieder hier“, meinte ich vorsichtig und drehte mich mit einigen Büchern um.

„Vielleicht… Ich habe ihn nie gefragt“, murmelte sie und ging zum Nachttisch. „Hier, Kind“, meinte sie leise und reichte mir ein in rotes Leder gewickeltes Buch, „Das war sein letztes Buch, was er gelesen hat. Ich glaube er hat nicht geschafft es zu Ende zu lesen. Weißt du… manchmal hat er mir einige Geschichten erzählt, aber ich war nie so begeistert von Büchern, auch wenn einige der Geschichten sehr toll klangen…“ Ich nahm das rote Buch entgegen und blickte der Frau in die Augen. Sie sahen zu glasig aus und das war mir irgendwie unangenehm. Unsere Beziehung war nicht intensiv genug, als dass ich sie hätte trösten wollen. Ich biss mir kurz auf die Lippen. Ja vielleicht war es unsympathisch und vielleicht auch unsensibel, doch ich fand nicht, dass ich für Inga die richtige Person war, um über den Verlust zu sprechen. Wir waren einfach in unseren Handlungsweisen und unserem denken zu unterschiedlich.

„Ich kann mir vorstellen, wie wichtig dir diese Bücher sind. Ich werde auf sie Acht geben und versuchen sie schnellstmöglich wieder hier hin zu bringen“, meinte ich höflich und nahm das rote Buch entgegen und überrascht stellte ich fest, dass es im Gegensatz zu den anderen Büchern lädiert aussah. Allerdings lenkte Inga mich zu sehr ab, als dass ich darauf achten konnte. Freundlich lächelte sie mich an und nickte kurz.
 

Nachdem ich wieder Zuhause war befeuerte ich den Kamin, denn die Flammen drohten aus zu gehen und als sie wieder hoch loderten ließ ich mich auf einen Sessel nieder.

Unschlüssig blätterte ich durch die Bücher durch. Tatsächlich konnte ich einige nicht lesen, da ich die Sprache gar nicht, oder nicht gut genug beherrschte. Hätte ich vorhin mehr Zeit gehabt, hätte ich entspannter nach passenden Büchern Ausschau halten können.

Als ich nach dem roten Buch griff, welches auf dem Nachttisch lag und Inga mir gereicht hatte, spürte ich plötzlich, wie etwas schweres Herausfiel und erschrocken stellte ich fest, dass ich nur noch den Roten Einband in den Händen hielt. „Oh verdammt“, entfuhr es mir, als ich die Seiten auf den Boden sah. Schnell hob ich es auf und betrachtete die Seiten und den Einband. Stirnrunzelnd sah ich, dass jemand das Buch entzwei gerissen hatte. Doch weswegen? Vorsichtig legte ich die Seiten wieder in den Einband und bemerkte, dass sie nicht wirklich passten. Die Seiten waren, wenn auch nur wenige Millimeter, zu groß. Kein Buchbinder würde eine solche Arbeit machen. Dieses Buch gehörte eindeutig nicht zum Einband.

Sofort schlug ich es auf und erblickte Handgeschriebene Texte. Nicht so ordentlich wie die anderen Bücher und einige Worte waren durchgestrichen worden, auch wenn die Handschrift gut und klar zu lesen schien.

Meine Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen, als ich die ersten Seiten des Buches aufschlug. Die saubere und filigrane Schrift ließ sich gut lesen. Ich sah ein Datum und neugierig flogen meine Augen zu dem Text.

„27. Tag des vierten Monats
 

Schlechtes Wetter lässt uns nur schwer vorankommen. Truppen sind müde und durch den ständigen Regen sind einige Krank. Auch Ragnar ist erkrankt und jammert viel. Eine harte Erkältung und er tut mir leid. Doch Ulveig zeigt kein Erbarmen. Wenn er nicht bald einsieht, dass es so nicht geht, muss ich mich mit ihm anlegen. Schon drei Leute haben den Marsch durch den nicht aufhörenden Regen nicht überlebt. Ich habe Sorge, dass mein Bruder noch kränker wird. Wenn Mutter das wüsste, würde sie durchdrehen…. Ich kenne sie und höre in Gedanken schon ihre schimpfende Stimme, dass ich auf ihren „Kleinen“ aufpassen soll.“
 

Ich hörte auf zu lesen. Ein Tagebuch! Ich hätte nie erwartet, dass die Menschen hier Tagebuch führen oder jedenfalls einige von ihnen! Ja, ich gab es zu, manchmal waren diese Menschen für mich immer noch Barbaren, welche nicht viel Wert auf Bildung legten. Bildung wie ich sie eben kannte. Selten hatte ich Menschen hier ein Buch lesen sehen. Und langsam sickerte durch, was ich da in den Händen hielt. Ich konnte mit diesem Buch in die Familie meines Mannes abtauchen. Vielleicht hatte Jari noch mehr zu meinem Mann geschrieben. Ich betrachtete die Zahl des Datums. Ich wusste nicht um wie viel Jahre Jari älter als mein Mann. Die Langeweile war verschwunden und neugierig blätterte ich durch die Seiten. Wonach ich genau suchte, das wusste ich gar nicht. Doch es war als tauche ich ab in ein mir fremdes Leben und es tat irgendwie.

An manchen Tagen stand nicht viel und einige Tage hatte er gar nicht erst aufgeschrieben. Dann gab es stellen, welche sehr lang und sehr ausführlich geschrieben waren.
 

„Die Truppen sind erschöpft und viele finden die fremdartige Umgebung ungemütlich. Viele vermissen die bergige Landschaft und ein kräftiges Bier aus den Fässern des Alten Gerstenmannes. Auch Ragnar vermisst das Bier. Ich habe ihn bereits gesagt, dass er mir zu oft davon trinkt. Auch ich liebe den Rausch des Alkohols, doch möchte ich nicht, dass meine Sinne davon zu häufig beeinträchtigt werden. Ein klarer Kopf kann Gold wert sein. Ich vermute, dass Ragnar dies noch begreifen wird. Er ist schließlich nur ab und zu einfältig. Doch ich glaube er verlässt sich zu sehr auf mich. Als großer Bruder hat man es echt nicht immer einfach. Alle verlangen, dass ich auf ihn aufpasse. Unsere Kameraden und meine Eltern. Jedoch muss er Fehler auch selber machen! Ansonsten lernt er schließlich nichts.

Ich genieße gerade die Stille und erfreue mich an der fremden Umgebung. Keine Berge, alles ist flach, bis auf ein paar Hügel. Die lichten Laubwälder beginnen sich zu verfärben und trotzdem ist es nicht nur kalt und nass. Der heutige Tag war sogar warm und schön. Schade, dass wir wegen eines Krieges hier sind.

Ich weiß, dass wir bald das Meer sehen werden. Ich habe es noch nie gesehen und alle sagen, dass Menschen die das Meer gesehen haben, diesen Anblick niemals vergessen können. Ob ich auch dazu gehöre? Ich wünschte, ich könnte die Welt bereisen ohne Krieg im Nacken. Ich frage mich, weswegen Ulveig so sehr bemüht ist, weiter zu machen. Wir haben genug Bündnisse und könnten einen harten Winter gut durchkommen. Doch leider vermag ich kaum noch mit ihm zu sprechen.

Ulveig verschließt sich leider immer weiter. Er sagt mir nicht mal mehr vernünftig, wie lange wir noch unterwegs sind. Weswegen, verstehe ich nicht. Viele fragen mich, was los ist und doch kann ich keinen eine klare Antwort geben.

Doch vielleicht scheint Ulveig meine Skepsis bezüglicher seiner Person nicht entgangen zu sein. Zu Machthungrig erscheint er mir. Und zu überheblich. Ja, wir sind gute Krieger und doch wird es sicher irgendwo Menschen geben, die uns überlegen sind. Doch ich vermute, dass er dies nicht einsieht. Wenn man mit den anderen Männern spricht bekommt man mit, dass sie nicht mit ihm zufrieden sind. Doch sie trauen sich nicht dies auszusprechen. Ich erfreue mich lieber nun noch einmal der Schönheit der Umgebung und werde Ragnar bitten, mich zu begleiten.
 

Der Absatz endete und ich war sehr überrascht. Ich war überrascht, wie Jari war. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass diese Zeilen von einem Krieger aus dem Norden stammten. Von einem Volk welches ich als grob und ungehobelt kannte. Er schien fast schon mit einem philosophischen Blick die Welt zu betrachten. Und als ich die nächste Seite aufschlug wurde ich bekräftigt in meiner Annahme.
 

„Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben die Weiten des Meeres erblickt. Wie klein und unbedeutend man sich bei diesen Weiten vorkommt, vermag ich kaum in Worte zu fassen. Auch mein Bruder schien kaum Worte zu haben, für die sich vor uns erstreckende Weite. Die Luft schmeckt sogar anders als wir es kennen und weiße Vögel, dessen Namen wir nicht kennen, folgten uns auf unserem Weg. Gerne erinnere ich mich an Ragnar Worte wie er sagte: „Bruder wir werden diesen Anblick nie vergessen. Ich glaube langsam verstehe ich, was du an der Fremde so faszinierend findest.“ Vielleicht dringt in seinem Dickschädel ja langsam doch mehr hinein als nur Bier.
 

Ich schmunzelte, als ich es las und wie Jari es schrieb, klang es sehr danach, als sei man Mann früher sehr weniger nachdenklich durch das Leben gegangen. Mir war klar, weswegen es sich geändert hatte und ich selbst spürte so etwas wie Trauer in mir aufkeimen. Denn ich vermutete, es hatte alles mit dem Tod seines Bruders zu tun.

Ich kannte Ragnar zwar als aufbrausend und dem Alkohol nicht abgeneigt, aber nicht als jemanden, der nicht über Sachen nachzudenken schien. Er schien seit dem Tod seines Bruders erwachsener geworden zu sein. Weitere Einträge ließen mich schmunzeln. Jari schien einen Abend dem Alkohol klein bei gegeben zu haben, denn er schrieb über Kopfschmerzen, die den Rausch nicht wert gewesen waren. Es waren nicht mehr viele Seiten und die nächsten Eintrage waren kurz und waren nicht wirklich interessant. Jedoch ließ sich deutlich herauslesen, dass dieser Mensch ein freundlicher und offener Mann war. Schade, dass er tot ist.

Er schrieb, dass es allen Kammeraden gut ging und sie gut voran kamen und dass Ulveig sie immer weiter antrieb und niemand verstand weswegen. An einem Absatz blieb ich hängen. Er war sehr lang und ich bewunderte erneut die wunderschöne Handschrift, welche der Mann hatte. Ich selbst hatte auch Schönschrift gelernt, doch ich war überrascht, dass ein Mann aus dem Norden sie beherrschte.

Ich kuschelte mich auf einen großen Sessel und las
 

„Die Hafenstadt ist wunderschön. Das warme Wetter und die fremden Gerüche in der Luft habe ich nie zuvor gerochen. So viele Gewürze habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich habe meiner Mutter welche gekauft.

Die viermonatige Reise hat sich meiner Meinung nach gelohnt. Die Stadt ist riesig, keines der Dörfer meiner Heimat kommt dem nahe, was ich hier gesehen habe. Eine Stadtmauer drei Mal so hoch wie unsere Palisaden schützt die Stadt vor Angreifern. Ulveig brüstet sich damit, dass diese Menschen uns baten, ihren Kriegern zu helfen. Sie haben sich mit einem Land zerstritten und ihre Soldaten sind nicht gut ausgebildet, um im Unterholz zu kämpfen. Sie beherrschten die Schlacht zu Wasser, etwas was ich mir nicht vorstellen konnte. Doch ihr nächster Feind kam nicht von der See und unser Ruf eilt uns voraus.

Ulveig redet die ganze Zeit davon, dass er dem König dieses Landes dafür bluten lassen wolle. Warum er diese Worte verwendete ist mir schleierhaft. Doch er meinte, die Goldvorräte der Stadt würden bald auch unsere sein. Ich bin mir da nicht so sicher. Dieses Land hatte gute Soldaten und wir sollten sie unterstützen und ihnen zeigen wie man im Unterholz kämpft, sich sammelt und Hinterhalte legt. Wir sollten nicht für sie kämpfen und es sollte auch kein Bündnis zustande kommen. Ich vermute sobald sie dies könnten, bräuchten sie unsere Hilfe nicht mehr.

Ragnar lacht darüber nur und sagt mir immer wieder, ich soll den Mann einfach sprechen lassen. Doch ich bin skeptischer. Seit Ulveig erneut zum Oberhaupt ernannt wurde nehme ich eine Veränderung in ihm wahr. Eine welche mir nicht gefällt. Ich werde es im Auge behalten, denn mir gefällt es nicht - ganz und gar nicht. Auch Gunnar ist dies bereits aufgefallen und einige der Krieger waren enttäuscht, dass Ulveig erneut von den Dorfvorstehern gewählt wurde. Es wird gemunkelt, dass er diese bestochen hat. Hätte man mich vor 10 Jahren gefragt, hätte ich dies immer abgestritten, doch jetzt nicht mehr.

Meine Schritte hatten mich heute durch die engen Gassen geführt. Ich beobachtete die Menschen und sie beobachteten mich. Die farbenfrohen Blumen versprühten einen angenehmen Duft und die Bienen flogen herum. Viele unterschiedliche Sprachen wurden hier gesprochen, doch aus der Sprache, welcher sich in der Welt verbreitet hatte. Ich habe sogar einen Mann gesehen, dessen Haut so dunkel war, dass sie schwarz war. Ich traute mich nicht zu fragen, weswegen dies so war. Es war albern, denn vielleicht war es einfach so, weil es so war. Ich wünschte ich könnte Lillie die Schönheit dieser Stadt zeigen. Sie würde sich so freuen und ich vermisse ihre strahlenden Kinderaugen. Vermutlich wäre hier alles ein riesiger Spielplatz für sie.

Die riesigen Schiffe am Hafen, welche durch einen Torbogen glitten waren beeindruckend und ich kann die Größe nicht mit Worten erfassen. Leider ist sie noch ein Kind. Ich hoffe, dass ich endlich zur Ruhe finde, denn morgen werden die Verhandlungen geführt und da auch in meiner Heimat die Rekruten trainiere werde ich dies auch hier machen. Ebenso wie die Kampfstrategien festlegen und eigentlich sollte mein Bruder mich unterstützen.

Leider ist mir Ragnar nur bedingt eine Hilfe. Erst gestern musste ich ihn davor bewahren in einem Gasthaus eine Schlägerei anzufangen. Der Alkohol der hier ausgeschenkt wird ist stärker als der den wir kennen. Zu viel hatte er getrunken und den Alkohol hier nicht vertragen. Und heute erneut, doch ich wollte nicht wieder auf meinen kleinen Bruder Acht geben. Er liegt jetzt schnarchend neben mir und lässt mich nicht einschlafen und scheint einige Prellungen zu haben. Der Morgen wird für ihn vermutlich schlechter sein als für mich.“
 

Als er den Bogen erwähnte erinnerte ich mich. Es war eines der Nachbarländer, weiter im Süden. Ich selbst hatte diese Hafenstadt erst einmal betreten und erinnerte mich gerne an diese Reise zurück. Es war eine Seefahrernation und die Hafenstadt war ein Beeindruckendes Monument menschlicher Bauchkunst.  Es war eine bunte und aufblühende Stadt. Sie lebte eindeutig vom Handel und endlich wusste ich, wann diese Reise her war. Der Krieg mit einem Land aus dem Osten war fünf Jahre her. An der Ostgrenze des Landes sind hohe und dichte Wälder und auch mein Vater war überrascht, dass sie die Schlacht gewonnen hatten, denn waren sie eher dafür bekannt ihre Schlachten auf der See zu führen, wie Jari es so gut in Worte gefasst hatte.

Ich strich über die Zeilen und ein trauriges Lächeln umspielte meine Lippen. Jari war wirklich anders wie sein Bruder. Selbst aus diesen wenigen Zeilen konnte man erahnen und doch las man auch die Liebe der Geschwister untereinander raus. Ich wünschte, ich hätte ihn kennen lernen dürfen. Je mehr ich in sein Leben abtauchte desto trauriger wurde ich, dass ich diesen Menschen nie kennen lernen würde. Ich blätterte um und schmunzelte erneut, als ich die ersten Zeilen las.

„Ich habe vor weniges Tagen die wunderschönste Frau getroffen, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Sie ist die Tochter des Buchhändlers und ihr Name ist Alea. Ihr Lächeln hat mich sofort verzaubert und traf mich vollkommen unvorbereitet. Mutter sagte mal, dass so etwas immer geschehen kann und nie wollte ich ihr Glauben schenken. Doch mit nur einem einzelnen Blick hatte sie mich in ihren Bann gezogen. Ihre gebräunte Haut und ihre dunklen Haare, ihre Bewegungen, alles fasziniert mich an ihr. Nie hat mich eine Frau so verrückt gemacht. Sie war so anders, sie war so, exotisch!

Ich habe es Ragnar gesagt und er meinte, ich solle mich an eine Frau aus unserer Heimat binden. Diese würden unsere Gepflogenheiten besser verstehen. Er ist ein Narr habe ich ihm gesagt. Zu glauben, dass Menschen aus einem anderen Land schlechter seien ist dumm. Auch er solle darüber nachdenken. Eine Frau aus einem anderen Land ließ einen umdenken und die eigenen Handlungen hinterfragen. Abgesehen von dem wunderschönen äußerem. Nachdenklich hatte mein kleiner Bruder mich angeschaut und als er mich fragte, ob ich wirklich lieber eine Frau aus der Fremde ehelichen würde, habe ich sofort ja gesagt. Als er daraufhin sagte, dass Mutter mit so einer Person sicher Schwierigkeiten haben würde habe ich gelacht. Ja, da hatte er Recht. Mutter würde dieser Dame das Leben nicht einfach machen…

Doch dann war es so. Als ich Ragnar das sagte blickte er mich fast schon fassungslos an. Doch es war mein Ernst.

Jeden Tag nach der Arbeit verbrachte ich in dem Laden. Ich wollte sie sehen mit ihr sprechen. Ich wollte ihr zeigen, dass ich keiner der Barbaren war, für die uns viele in dieser Region der Welt hielten. Wir sprachen über vieles, meine Reisen, meine Arbeit. Doch ich wollte alles von ihr erfahren. Alea ist wundervoll. Sie bringt mich und mein Herz zum Strahlen und endlich ging sie mit mir etwas trinken. Es schien als wisse sie nun, dass ich kein schlechter Mann bin und unehrenhafte Gedanken habe.

Alea erklärte mir, wie man richtig Wein trank. Ich wusste gar nicht, dass man dabei etwas falsch machen konnte. Sie lachte, als ich ihr sagte, dass bei uns viele darauf nicht achteten. Sie nannte mich einen Barbaren, doch ihre dunklen Augen zeigten mir, dass sie es nicht böse meinte. Und sie durfte mich so nennen, wenn sie es immer so betonte mit ihrem wunderbaren Akzent.

Ich habe mein Herz in der Fremde verloren und schmerzlich wird der Abschied werden. Doch noch ist daran nicht zu denken. Sie bat mich morgen Abend zu ihr zu kommen und ich leugne es nicht, dass ich mir mehr erhoffe.“
 

„Oh, da scheinst du also wie dein Bruder gewesen zu sein… von wegen unehrenhafte Gedanken“, murmelte ich leise und blätterte um. Das schlechte Wetter von draußen nahm ich gar nicht mehr wahr.
 

„Zwei unbeschreibliche Tage liegen hinter mir. Ich wünschte ich könnte hier bleiben. Hier bei dieser Frau. Der Anstand verbietet es mir zu schreiben was geschehen ist. Doch die Erinnerungen lassen auch jetzt noch mein Blut überkochen. Ich liebe diese Frau! Sie ist wunderbar und leidenschaftlich. Und nicht nur das, sie ist schlau und so belesen, wie ich selten einen Menschen vor ihr kennen lernen durfte. Ich werde sie bitten, mit mir zu kommen. Ich hoffe, Alea wird ja sagen.“
 

Traurig wurde mein Blick. Ob Ragnar das gewusst hatte? Ich vermutete nicht. Ja, ich glaubte mit Jari hätte ich mich sehr gut verstanden. Doch ich fragte mich, wieso ein Mann wie er ein Krieger war. So wie er klang wirkte er nicht so, wie die, die ich kennen gelernt hatte.

Doch sofort, als ich es mir dachte, war es offensichtlich. Er wollte die Welt sehen und ich vermutete, dass er es nur als Krieger konnte.

Erneut blätterte ich um und war vollkommen überrascht. Hastig und weit weniger schön waren die Zeilen geschrieben. Und ich brauchte einen Moment, bis ich sie lesen konnte. Und einige Sätze waren nicht ausgeschrieben. Es sah aus, als sei er in großer Eile gewesen, als er diese Zeilen geschrieben hatte.
 

„Gespräch belauscht. Ulveig hat Menschen umbringen lassen, damit er wieder gewählt wird. Sie wollten mich fragen, ob ich seinen Platz einnehme. Sie würden sowohl mich wie auch Ragnar schätzen. Ulveig sprach davon uns was anzutun. Ich muss Ragnar warnen. Ich muss untertauchen. Ich muss fliehen, ich werde das Tagebuch verstecken, wenn ich nicht weiterschreibe, hoffe ich, dass du es findest Ragnar, denn dann hat er mich getötet. Diese schleimige Kröte hat mich gesehen…“
 

Ich erschauderte, während ich die letzten Zeilen las und die letzten Worte auf der Seite vermochte ich nicht zu lesen. Zu hastig musste Jari diese Worte geschrieben haben. Was war danach geschehen? Was war passiert? Ich dachte, er wäre in einer Schlacht gefallen. Oder war das nur eine Lüge? Doch auf Mal, spürte ich die Angst in mir wachsen. Ulveig…

Er hatte Ragnar noch nichts getan. Vermutlich, stand er ihm noch nicht so im Weg, wie es Jari getan hatte. Ich nahm das Tagebuch an mich, zu groß die Sorge, dass einer von Ragnars Freunden uns infiltriert haben köntne. Hastig zog ich mir Reisekleidung an. Ich wollte zu Ragnar! Gerade als ich das Haus verlassen wollte trat ich Lillie entgegen. Überrascht sah sie mich an und betrachtete meine Kleidung.

„Wo möchtest du denn hin?“, fragte sie und drängte mich in das Haus, da es immer noch regnete. So sehr ich sie auch mochte, gerade wünschte ich mir, sie würde mich einfach ziehen lassen. „Ich… Ich muss Ragnar suchen. Es ist wichtig“, meinte ich und konnte meine Aufgebrachtheit nicht aus meiner Stimme zurücknehmen. Ein verwirrter Ausdruck erschien auf dem Gesicht der Rothaarigen. „Wieso? Er muss doch arbeiten? Das Aussuchen der Anwärter ist immer  das, was am längsten dauert… Er ist mit Ulveig und anderen jetzt auch in einem anderen Dorf unterwegs. Panisch sah ich Lillie an. Ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass Ragnar gar nicht hier war.

Wie groß war die Gefahr? Ulveig selbst hatte mich bereits gewarnt. Wie dumm er war, dies zu tun! Ich spürte wie mein Puls schneller wurde und sofort sagte ich hastig: „Ich muss dahin! Kannst du mir den Weg zeigen?“

Überrascht sahen mich die Augen der jungen Frau an und verwirrt betrachtete sie mich. Ich hatte keine Lust darauf jetzt groß in Erklärungsnot zu kommen. Ich zog das Tagebuch hervor und blätterte bis zur Mitte des Buches. Zur letzten Seite Jaris und überreichte es seiner Schwester. „Lies selbst, was dein Bruder schrieb“, meinte ich und ungeduldig wartete ich darauf, dass Lillie die hastig geschriebenen Wörter entschlüsseln konnte.

„Oh….“, murmelte sie und überrascht sah sie mich an. „Das Kann nicht sein“, hauchte sie leise und schien diese eine Seite immer und immer wieder zu überfliegen. Sie schüttelte den Kopf und leise fragte ich: „Wie sicher seid ihr euch eigentlich, dass er tot ist? Er sagte was von untertauchen“, sprach ich leise und vorsichtig, denn ich wollte keine alten Wunden aufreißen. Doch ich musste es einfach fragen. Mit tränennassen Augen betrachtete mich meine junge Schwägerin und leise sagte sie: „Ragnar hat seine Leiche gefunden, es gibt keinen Zweifel, dass er tot ist“, murmelte sie und strich sich durch das Gesicht.

„Ulveig hat mich schon einmal gewarnt, dass er Ragnar nicht mehr gerne hier sehen würde… Was ist wenn er es wieder macht. Wir müssen ihm helfen! Bring mich zu dem Dorf… Was ist, wenn Ulveig Leute bestochen hat deinen Bruder umzubringen, oder ihnen droht… Ich will ihn nicht verlieren!“, eindringlich sprach ich auf Lillie ein und spürte deutlich die Ungeduld in mir.

 



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