Ein unfaireres Spiel mit dem Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 13: Offenbarung ----------------------- Ich drückte ihn weg von mir und betrachtete dieses markante und so auffällige Gesicht. „Was meinst du damit?“, wollte ich sofort wissen. Meine Stimme war belegt durch Tränen und ich musste blinzeln, um ihn richtig zu sehen. Ich war erstaunt, dass er meinem strengen Blick auswich, denn so etwas kannte ich von ihm nicht. Erneut forderte ich ihn auf zu sprechen. Ich wollte Antworten. Ich brauchte Antworten. „Ist nicht wichtig“, wich er aus und als er sich wegdrehen wollte, hielt ich ihn fest. „Nein“, sagte ich energischer als beabsichtigt, „Es ist verdammt wichtig, Ragnar.“ Unergründlich war der Blick mit dem er mich musterte. Ich konnte ihn nicht deuten, doch ich hielt ihm stand. Sah ihm einfach in die grünen Augen. Hatte ich doch gelernt, dass es Schwäche symbolisierte, Jemandes Blick nicht zu erwidern. Ich glaubte, er merkte, dass ich nicht einfach aufgeben würde. „Es ist vier Jahre her“, begann Ragnar zu sprechen und ich hörte die Reue deutlich in seiner Stimme raus, „Ich… Es gab Krieg und wir haben gekämpft und nach einer gewonnen Schlacht sind viele Männer…“ Er brach ab, doch ich glaubte zu wissen, was er meinte. Nach Kämpfen wurden die Besiegten ausgeraubt. Kinder und Frauen oft genug geschändet. Ich hatte vieles gehört, während unseres Krieges. Viele Gräueltaten, welche ich kaum in Worte fassen konnte. Ich blickte ihn nur an, versuchte keine Wertung in mein Gesicht zu legen, ob ich es schaffte oder nicht, dass wusste ich selbst nicht. „Ich war damals noch jünger“, sprach er nach einem Augenblick weiter und unsicher kratze er sich an der Schläfe, „Ich bin nicht stolz darauf, aber auch ich habe mich dabei nicht zurückgehalten.“ Ich trat von ihm weg und ich glaubte nicht, dass ich mein Gesicht noch unter Kontrolle bekam. Mein Mann schien nicht besser zu sein als die Menschen, die mein Volk angegriffen hatten. Ich blickte zur Seite, denn mit offener Verachtung wollte und konnte ich Ragnar auch nicht ansehen. So hatte ich ihn schließlich auch nicht kennen gelernt. Machte es das besser, dass er sich nun seiner Taten schämte? Ich war keine Richterin, noch eine Politikerin, welche mit ihm verhandelte. Ich war einzig seine Frau. Die Person, die er vor solch einem Unheil bewahren sollte. Eisig wurde der Raum zwischen uns und ich war mir sicher, dass nicht nur ich dies so spürte. Ich schwieg, denn ich wusste nicht was ich dazu sagen sollte. Was sagte man jemanden, der Frauen geschändet hatte und sich dessen nun schämte? Es war nicht schlimm? Das konnte ich nicht sagen. Dafür hatte ich während des Krieges zu viel gesehen. Vielleicht hätte die Thalia vor dem Krieg gesagt, dass es, wenn man Reue zeigte nicht so schlimm war. Doch ich kannte Frauen, denen es zugestoßen war und nicht alle Frauen waren mir fremd gewesen. Ich wusste, dass viele daran zerbrachen und Reue ihnen dieses Gefühl vermutlich nie hätte nehmen können. Also schwieg ich eisern und presste die Lippen aufeinander. Wusste Lillie davon? Doch wenn sie es wusste, wie konnte sie ihren Bruder dann noch als netten und freundlichen Menschen verkaufen? „Thalia, schau mich an“, forderte Ragnar mich auf, doch ich schaffte es nicht. Immer noch wollten keine Worte meine Lippen verlassen. Ich stand bereits mit dem Rücken zur Wand und ich konnte es nicht verhindern, als Ragnars Hand sich auf mein Kinn legte und mich zwang ihm ins Gesicht zu blicken. Er war nicht brutal dabei, doch sein Griff war bestimmend. Seine grünen Augen suchten die Meinen und sein Blick hielt mich gefangen. „Thalia“, begann er erneut zu sprechen und mir fiel auf, dass er nie so oft meinen Namen ausgesprochen hatte. „Ich bereue es. Ich sage dies nicht nur, damit du mir verzeihst. Damals habe ich mir eine junge Frau genommen. Sie war hübsch und… Ich wollte…. Sie hatte danach geweint und gemeint, sie sei nun nichts mehr wert. Ich hab es nicht ernst genommen...“ Er machte eine kurze Pause bevor er weitersprach und man sah deutlich, wie schwer ihm die Worte über die Lippen kamen, „ Sie nahm sich mein Messer und schnitt sich die Kehle durch. …einfach so, als wäre es das einfachste auf der Welt...“ Ich ließ ihn sprechen und sagte auch nichts, wenn er länger brauchte um die richtigen Worte zu finden. Ich erschauderte, als er sprach. Sich selbst zu richten war etwas, dass ich nie könnte. Nicht jetzt und nicht in unbestimmter Zukunft. Tiefe Reue spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder und sie ließ erahnen, dass es ihm wahrlich Leid tat. „Ich war so erschrocken“, sprach er leise weiter und noch immer sah er mir in die Augen. „Sie hatte einen Mann“, meinte er gerade, als ich den Mund öffnen wollte um etwas zu sagen, „Er hatte mich angeschrien, verflucht. Er griff mich an und ich war zu geschockt, über das was grade passiert war. Doch bevor er mich erreichen konnte, hatte Sven ihn mit einem Pfeil niedergestreckt…“ Ich schluckte und starrte ihn fast schon an. Die Reue die von ihm besitz ergriffen hatte wurde von Mal zu Mal deutlicher auf seinem so markanten Gesicht. Ich zwang mich gerade zu stehen. Ich wollte nicht geschockt aussehen. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn ich es geschafft hätte, alle meine Gefühle hinter einer Maske der Emotionslosigkeit zu verbergen. „Und wieso hat dich das so geschockt?“, fragte ich und rauer, als ich dachte klang meine Stimme, „Du warst und wirst nicht der Erste sein, der so etwas sieht.“ Es wirkte ein wenig fahrig, als sich Ragnar durch den roten Bart strich. Und es dauerte länger, als ich annahm, bis er die richtigen Worte gefunden hatte. „Ich habe nie…. Nie hat sich eine Frau deswegen gerichtet. Ich habe nie gewollt, dass eine Familie so zerbricht. Ich musste an meine Familie denken... was hätte ich getan wenn es meine Schwester gewesen wäre…“, raunte er und ich glaubte ihm tatsächlich. Es schien ihm wahrlich nicht bewusst gewesen zu sein, was er mit seiner Gräueltaten angerichtet hatte. Bis ihm diese arme Frau so deutlich vor Augen geführt hatte. „Wie oft, hast du das gemacht oder war diese Frau die einzige?“, wollte ich wissen. Ich wusste nicht warum ich es fragte. Vielleicht auch einfach, weil mir keine bessere Frage einfallen wollte. Doch Ragnar schwieg und als er mich fragte, ob ich es wirklich wissen wolle, weiteten sich meine Augen vor Schreck. Sie war nicht die einzige gewesen. Er hatte es noch öfter gemacht. „Ich bin bei weitem nicht so schlimm gewesen, wie andere es sind!“, verteidigte er sich und blickte mich fast schon etwas auffordernd an. Er wollte wohl, dass ich ihm Glauben schenkte. Er wollte nicht, dass ich so ein Monster in ihm sah, dies war offensichtlich. „Ich habe mir nicht immer eine gesucht, noch brauchte ich es nach einem Sieg. Ich feiere lieber mit Alkohol als mit Frauen. Und nach diesem Erlebnis, habe ich es nie wieder gemacht.“ Stumm betrachteten wir einander und was ich in den Augen des Mannes vor mir suchte, wusste ich selber nicht. Auch wenn ich es versuchte, schaffte ich es nicht mir meinen Mann als so einen grauenvollen Menschen vorzustellen. Ich glaubte ihm. Warum ich dies tat, hätte ich niemanden erklären können. Ich nahm ihm seine Reue ab und ich glaubte ihm auch, dass er es nicht noch einmal getan hatte. Nie hätte ich erwartet, dass dieser starke Krieger vor mir je so nach Worten ringen musste. Doch wie konnte Lillie ihren Bruder nach diesen Taten noch so in Schutz nehmen. Sie wirkte nicht naiv und nicht dumm! „Weiß deine Familie davon?“, wollte ich leise von ihm wissen. Ich musste es einfach fragen. Ich musste wissen, ob Lillie wirklich ihren Bruder so gut darstellte, wenn sie wusste, was geschehen war. Ich war erstaunt, als er leicht den Kopf schüttelte. „Nein. Ich habe nie damit geprahlt. Glaub mir Thalia, ich war nie einer der so etwas regelmäßig gemacht hat.“ Skeptisch war mein Blick und ohne darüber nachzudenken fragte ich: „Wieso sagt mir Lillie dann, dass deine Geliebte, dir damals nicht alles hatte verziehen können? Was meinte sie damit“? Überrascht war der Blick mit dem mein Mann mich betrachtete. Ich konnte mir denken, dass er nicht erwartet hatte, dass Lillie und ich einander so mochten. Doch vielleicht vertat ich mich auch. „Ich…. Sie hat mir nicht verziehen, dass ich so häufig bei anderen Frauen war. Wie ich bereits sagte, wenn ich trinke, dann bin ich nicht mehr der Treuste.“ Das war es, was Lillie meinte? Ich konnte nicht leugnen, dass ich erleichtert war, als ich es hörte. Lieber einen Mann, der bei anderen war als ein Mann der eine seiner Geliebten vergewaltigt hatte. „Ich trinke gerne, aber ich mache es dann… nie absichtlich?“, sagte er und klang immer fragender zum Ende des Satzes. Unsicher nickte ich und dachte kurz an Leif. Ich hatte ihn bereits betrogen, nicht einmal vierundzwanzig Stunden waren wir verheiratet gewesen. Sollte ich es ihm sagen? Ich hatte Angst davor, doch auch Ragnar musste ziemlich Angst gehabt haben als er mir von all dem berichtete. Ich seufzte schwer und strich mir eine Strähne meines Haares aus dem Gesicht. Ich blickte auf die Wand über Ragnars Schulter und schwankte innerlich, ob ich es machen sollte oder nicht. Ich war erstaunt, als Ragnar meine Hand griff und sofort suchten meine Augen die Seinen. „Bitte, verzeih mir“, bat er leise und vorsichtig strichen seine großen Hände über meine Hand. Ein warmes Gefühl erwachte in meiner Brust. Es war tatsächlich eine Woge der Zuneigung für diesen Menschen. Ein leichtes, sanftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich vergaß den Gedanken ihm zu sagen, was in meiner Heimat geschehen war. „Schon in Ordnung. Jeder hat Dinge getan die ihm leid tun, wichtig ist nur, aus den Fehlern zu lernen“, meinte ich ruhig und ich war wahrlich überrascht, als Ragnars Hand vorsichtig über meine Wange streichelte. Die Idee, ihm von meinem Fehltritt zu berichten verschwand wieder in meinen Hinterkopf. „Ich würde dich gerne küssen“, raunte er und ich konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Du hast sonst auch nie gefragt“, erwiderte ich leise und ich bemerkte, wie seine Mundwinkel kurz zuckten. Er beugte sich zu mir hinunter und drückte seinen Mund auf den meinen. Ich erwiderte den Kuss und spürte, wie seine Hand von meiner Wange zu meinem Hinterkopf wanderte und sich leicht in meine Haare krallte. Ich ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten und spürte, wie er mich näher an sich drückte. Ich konnte meine Hände und Arme nicht richtig bewegen, also hingen sie nutzlos hinunter. Sein Bart kitzelte mich am Ausschnitt und als er meine Lippen freigab bat ich ihn: „Oh bitte Ragnar, rasiere dich.“ Überrascht sah er mich an und trat etwas von mir weg. Skeptisch strich er sich durch den langen roten Bart und blickte von diesen zu mir. „Du wirst dich sicher daran gewöhnen“, meinte er ruhig und ich stöhnte innerlich laut auf. Ich glaubte kaum, dass ich dies wirklich konnte. Hätte er jetzt nicht einfach, in Ordnung, sagen können? So schien mein Mann jedoch nicht zu sein. Ich selbst hatte an diesem Tag nicht viel zu tun. Nachdem wir wieder hinunter in die Taverne gingen waren Raik und Inga bereits unterwegs. Wo sie waren wusste ich nicht. Ich selbst wollte meine Ruhe und so verbrachte ich den größten Teil des Tages in unserem Zimmer. Ich dachte darüber nach, was geschehen war. Krieg verändert Menschen. Es war nichts Neues und zu glauben, dass mein Mann der weiße Ritter sei, der nie etwas Grauenvolles getan hatte war sicher nicht intelligent von mir. Dennoch erinnerte ich mich auch an die Reue in seinen grünen Augen. Sie schien ehrlich und aufrichtig. Es dauerte bis ich mir einig zu sein schien. Den Mann der er nun war, der war nicht grauenvoll und diesen begann ich langsam zu mögen. Ich verbrachte einige Zeit alleine mit meinem Pferd und auch dies beruhigte mich und klärte meine Gedanken. Wenn mein Mann in den Augen Fremder und mir gesichtsloser Menschen als Monster in Erinnerung geblieben war, so konnte ich es nicht ändern. Doch ich musste mit ihm leben und ich war zu egoistisch, um ihn auch so sehen zu wollen. Denn es war nicht das Monster, was er mir von sich gezeigt hatte. Er kam dem Mann näher den Lillie mir immer beschrieben hatte. Später an diesem Tag, kam Ragnar abends in das Zimmer und ich war überrascht, dass er nicht bei seinen Freunden war. Wir sprachen viel miteinander und ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass wir einander auf Augenhöhe begegneten, denn tatsächlich fragte er mich nach meiner Meinung zu dem was er erzählte. Er berichtete von seinen Schlachte, die er bestritten hatte und hörte mir zu, als ich ihm erklärte, wie ich meinem Vater als Beraterin zur Seite gestanden hatte. Er wollte wissen was genau meine Aufgaben waren und wieso ich die machen durfte als Frau. Er suchte keine körperliche Nähe und wenn ich ehrlich war, war ich ihm dafür dankbar. Wir waren noch einen Tag in dem Dorf geblieben. Zwei Pferde brauchten neue Eisen und auch Gunnar und seine Brüder hatten sehr viel getrunken und mussten ausnüchtern. Ragnar hielt sich zurück was das Trinken anging und auch meine Nähe suchte er nicht in den Nächten. Er hatte mir tatsächlich ein neues Nachthemd gekauft. Ich hatte ihn nicht darum gebeten, noch hatte ich mich beschwert, dass meins zerrissen war. Ich hatte ihm das Versprechen abgenommen, mir während der Reise nicht mehr näher zu kommen, jedenfalls nicht in den Zelten. Früh brachen wir am nächsten Tag auf und konnten den Weg entspannt folgen. Denn es war nicht das Monster, was er mir von sich gezeigt hatte. Er kam dem Mann näher den Lillie mir immer beschrieben hatte. Nur wenige Felder waren am Wegesrand bestellt worden. In einer Nacht glaubte ich sogar einen Bären zu hören. Ich war erschrocken und Ragnar musste mir versichern, dass sie nicht einfach in das Lager kamen um uns anzugreifen. Ich war froh, dass ich meine Waffen bei mir hatte. Denn sollten sie doch kommen wäre ich vorbereitet. Ein Sommergewitter hielt uns auf und sorgte dafür, dass wir in einem Gasthaus einige Tage verbringen mussten. Den Wirt und den Angestellten kam dies nur zurecht. Seit der einen Nacht, hatte Ragnar nicht noch einmal versucht, das Bett mit mir zu teilen. Und als ich eines Morgens erleichtert feststellte, dass ich blutete, stieß ich ein zufriedenes Seufzten aus. Ich war nicht schwanger. Wäre ich schwanger geworden, hätte ich nicht sagen können, von wem das Kind gewesen wäre. Es war ein komisches Gefühl, je näher wir meiner neuen Heimat kamen. Das Wetter wurde rauer, die Landschaft bergiger und als ich des Nachts das erste Mal einen Wolf heulen hörte erschrak ich fürchterlich. Erneut musste Ragnar mich beruhigen und wie bei dem Bären versicherte er mir, dass die Tiere uns nichts tun würden. Es war das erste Mal, dass ich froh war, als mich Ragnar in seine Arme zog. Ja, ich hatte wirklich etwas Angst. Ich war erleichtert, dass er nicht lachte und vorsichtig streichelte er mir über den Bauch. Es dauerte, bis der Schlaf mich an dieser Nacht in seine Fänge zog und die ganze Zeit versuchte mein Mann mich zu beruhigen. Ich fror in den Nächten und drückte mich tatsächlich etwas an ihn. Ich sagte es damals nur ungerne, aber ich war froh, dass er da war. Ich wusste zwar, dass einer der Männer wache hielt, doch ich sorgte mich auch um Freya. Jedoch beruhigten mich die sanften Streicheleinheiten meines Mannes und so zog der Schlaf mich in seine Fänge. Doch etwas hatte sich gewandelt. Zwar verbrachte Ragnar immer noch Zeit mit seinen Freunden, doch er war auch ab und zu bei mir. Es schien als würde er anfangen sich für mich zu interessieren. Er fragte mich, wie ich die Dinge fand, wie mir die Landschaft gefiel und was ich, außer dem Reiten, noch tat. Ich sprach von den Seen und dem Meer, an dem wir als Kinder oft gespielt und geschwommen waren. Als Ragnar lachend meinte, dass er mich zu einem eiskalten und klaren Bergsee bringen konnte scherzte ich, dass ich mich in das Wasser hineinwagen würde. Dies glaube er mir erst, wenn es soweit war. Auch fragte er mich, wie ich es fand, dass ich jeden Abend mit seiner Mutter kochte. Mein langes durchatmen ließ ihn schmunzeln. Ragnar beugte sich auf Idril zu mir und meinte: „Meine Mutter ist auch ziemlich anstrengend, aber ich kann es nicht. Also versuch es zu lernen.“ Ich verdrehte leicht die Augen und nickte. Ja, es war schließlich meine Aufgabe, dies hatte ich akzeptiert. „Kannst du mir dabei nicht helfen?“, bat ich ihn und blickte hinein in sein Gesicht, auf welches sich Entsetzen abzeichnete. „Kochen ist Frauensache. Wie sieht das aus, wenn ich dir dabei helfe?“, war seine Gegenfrage und sie klang weder böse noch aggressiv. Es war einfach so für ihn. Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern und erwiderte fast schon etwas frech: „Als habe ich einen Mann, der mir unter die Arme greift?“ Unzufrieden grummelte er etwas, was ich nicht verstand. Als ich ihn fragend anblickte raunte Ragnar: „Wir werden sehen.“ Er überraschte mich von Tag zu Tag mehr. An diesem Abend verließ er nicht mit Gunnar oder Sven das Lager um Feuerholz zu holen. Allerdings kam er auch nicht zu seiner Mutter und mir. Er betrachtete uns aus der Ferne beim Kochen und erst am nächsten Abend ließ er sich dazu herab bei uns zu stehen und unbeholfen etwas zu schneiden. Doch so schnell er begann zu helfen, so schnell war er wieder verschwunden. Es schien ihm wahrlich unangenehm zu sein. Ich sagte dazu nichts. Immer weiter ging unsere Reise gen Norden. Ragnar erzählte mir, dass wir bald die Grenzen seines Landes überschreiten würden. Ab dann würden immer wieder kleine Dörfer unseren Weg kreuzen. Ich hörte ihm zu, doch als wir um eine Biegung ritten starrte ich sprachlos auf das, was sich vor mir bot. Wenn ich schon dachte, dass die Landschaft bergig wurde, war das nichts zudem, was sich vor mir erschreckte. Grau und riesig war am Horizont eine lange Gebirgskette zu sehen. Ich konnte Schnee auf ihnen ausmachen. Nicht auf allen Spitzen, aber auf drei hohen Bergen war Schnee! Und das mitten im Juni! Noch nie, hatte ich so etwas gesehen. Majestätisch ragten die Berge in den blauen Himmel und es schien, als fanden die Berge kein Ende. „Wunderschön, oder?“, hörte ich Ragnar neben mir und ich blickte hinauf in seine Augen. Ich konnte nichts sagen, zu sehr beeindruckte mich das, was sich vor mir erstreckte. „Es ist… einfach beeindruckend“, sagte ich nach einem Augenblick. Ich kannte solche Landschaften nur aus Büchern und sie schafften es doch nicht, dass ich es vermochte, sich diese Größe vorzustellen. Dagegen war das, was ich bis dahin als Berg kannte nichts. „Was hast du dir nur bei unseren Bergen gedacht?“, fragte ich leise und eigentlich nur an mich selbst. Ich war überrascht, als ich Ragnar plötzlich leise lachen hörte: „Wo sollen in deinem Land denn Berge sein? Die großen Hügelchen? Mein Heimatdorf liegt am Rande des Gebirges. In vier Tagen denke ich sind wir da.“ Ich nickte nur und als wir wieder zur Gruppe aufschlossen konnte man über den Baumwipfeln immer noch die Berge sehen. Nur die höchsten Tannen vermochte das Gebirge zu verdecken. Ja, diese Umgebung war rau. Wir kamen an klaren und eiskalten Seen vorbei. Frischten unsere Wasservorräte auf und auch die Pferde konnten ihren Durst stillen. Immer noch war ich gezwungen, meiner Schwiegermutter beim Kochen zu helfen. Es klappte besser und doch machte es mir keinen Spaß. Doch es schien niemanden zu interessieren und mich langsam auch nicht mehr. Ich wollte auch leckeres Essen haben. Also akzeptierte ich, dass ich dann dafür sorgen musste, dass es mir schmeckte. Ab und zu gesellte sich Ragnar dazu und schien doch nicht zu wissen, was er hier verloren hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es von Tag zu Tag kühler wurde und ich gewöhnte mich daran, in der Nacht, wenn es im Zelt zog mich einfach dicht an Ragnar schmiegte. Da war es wenigstens warm während der Nacht. Von Tag zu Tag wuchsen die Berge immer weiter in die Höhe und kamen uns immer näher. Häufig durchquerten wir Dörfer. Viele kleine, einige etwas großer. Kaum eines bot eine Gaststätte an. Viele dieser kleineren Gemeinden hatten eine große Mauer aus Baumstämmen die an ihrem Ende angespitzt waren. Die Häuser waren zumeist komplett aus Holz und standen auf Dicken Stehlen. Sie waren nicht mehr als einen halben Meter vom Boden entfernt. Ragnar erklärte, dass dies Einerseits vor Tieren, andererseits auch vor starkem Regen schützt. Als ich eines Morgens von Ragnar aus dem Schlaf gerissen wurde, er trat mich ausversehen, und nach draußen ging war ich überrascht. Überall, auf den Halmen der Gräser, in den Blättern der Bäume glitzerte der morgendliche Tau und ließ die Umgebung aussehen, als seien hunderte kleiner leuchtender Kristalle über Nacht einfach hier gewachsen. Ja, diese Umgebung konnte wirklich schön sein. Ich strich mir müde durch meine Haare und gähnte herzhaft. Ich war immer noch kein Frühaufsteher, doch diese Reise ließ es nicht zu, dass ich lange schlafen konnte. Ich streckte meine müden Glieder und plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. Vorsichtig, berührte sie mich und als ich mich umwandte sah ich das Gesicht meines Schwiegervaters. Er lächelte mich freundlich an und grüßte mich. Noch bevor ich fragen konnte, ob ich ihm helfen könne sagte er: „Heute kommen wir endlich an. Wir erreichen unser Dorf von Westen. Deswegen passieren wir zwei andere Dörfer. Sie gehören zwar zu uns, doch anders, als bei euch leben wir ja nicht in großen Städten. Hast du ja alles eh schon gesehen. Ich denke zwar auch, dass Ragnar dir dies sicherlich schon gesagt hat, doch vielleicht interessiert es dich ja, etwas mehr zu erfahren“, sprach er und lächelte mich offen und freundlich an. Überrascht blinzelte ich meinen Schwiegervater zu. Sein längerer grauer Vollbart ließ ihn vermutlich älter aussehen, als er war, doch er hatte etwas in seiner Art, das es zuließ, dass man sich bei ihm durchaus wohl fühlen konnte. Anders, als bei meiner Schwiegermutter, wie ich fand. Ich lächelte leicht und nickte, während ich ihm zu den Tieren folgte. „Ragnar hat mir schon einiges erzählt. So weiß ich, dass es hier eine Grotte gibt und einen See… Er meinte die raue Natur kann auch ihre schönen Seiten haben und gerade muss ich sagen, dass er durchaus Recht hat.“ Mich umblickend, folgte mein Schwiegervater meinen Blick und ich sah, wie er schmunzelte. Er half mir mit Freya und nach einer Weile sagte er: „Das stimmt schon. Ich kenne es nicht anders. Ich bin nie viel gereist. Die Reise, in dein Land, war die längste, die ich je angetreten bin.“ Überrascht sahen meine Augen in die Seinen und stirnrunzelnd fragte ich: „Warst du nie ein Krieger?“ Sofort schüttelte Raik den Kopf. „Nein“, sagte er mit kräftiger Stimme, „das war nie von Interesse für mich. Ich war und bleibe immer ein Schmied. Das ist das was ich kann. Meine Söhne waren da ganz anders…“ Söhne? Doch dann erinnerte ich mich, dass Ragnar mir sagte, dass sein Bruder bereits gestorben war. Gefallen, wie ich es in Erinnerung hatte. Stirnrunzelnd fragte ich nach einem Moment: „Würdest du mir etwas, von Ragnars Bruder berichten?“ Nachdenklich nickte Raik und ein trauriges und vielleicht auch melancholisches Lächeln zierte sein Gesicht. „Natürlich“, begann er mit seiner tiefen und ruhigen Stimme zu erzählen, „Jari war mein ältester Sohn. Er war ein wissbegieriger und ehrgeiziger Mensch. Er und Ragnar haben sich ständig gestritten und auch wieder vertragen. Doch immer, wenn es drauf ankam, hielten die Beiden zusammen. Sie waren keine Unruhestifter, doch sie konnten sich gut durchsetzen. Sie mussten eben lernen, wo die Grenzen waren. Jari wollte damals unbedingt ein Krieger werden und dann kam auch Ragnar auf die Idee… Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten beide etwas anderes gemacht… Doch es war so.“ Ich schmunzelte und nickte, während ich Freya etwas Dreck vom Fell bürstete. „Sie waren wirklich beste Freunde. Sven, Jari und Ragnar“, meinte Raik und er seufzte schwer. Ich merkte, dass er gerade nicht mehr bei mir war. Vermutlich war er bei seinem Sohn. Die Trauer war auf seinem Gesicht eingemeißelt und war tief in seinen Augen verwurzelt. „Raik“, sagte ich leise, „Es tut mir leid, wenn ich Wunden aufreiße. Ich wollte nicht taktlos sein.“ Sofort schüttelte der Alte sein Haupt. „Ach Thalia“, meinte er ruhig und freundlich sah er mich an, „Die Frage war nicht taktlos. Weißt du… Der Tod ist nichts Schlimmes und wir glauben, dass wir nach unserem Tod unsere Vorfahren und Familien wiedertreffen. Ich weiß, dass ich Jari wieder sehen werde. Doch es wird noch dauern und ich vermisse einfach die Gespräche. Kein Vater und keine Mutter, sollte nach ihrem Kind gehen.“ Ich nickte leicht, denn, ja, dass glaubte ich ihm. „Da hast du Recht“, meinte ich ruhig und offen sah ich meinen Schwiegervater an. Freya stupste mich mit ihren großen Kopf an, doch ich ignorierte sie. „Jari hatte keine Frau und keine Kinder… Das ist einer der Gründe, warum Inga so froh ist, dass du da bist. Seit Jari gegangen ist, ohne etwas von sich zu hinterlassen ist sie… sie trauert einfach“, erklärte er ruhig und ich verstand, was er mir sagen wollte. Tatsächlich, konnte ich sie sogar etwas verstehen. Es machte sie mir zwar nicht sympathischer, doch erklärte einfach ihre Art ein wenig. „Bei uns sagt man“, sprach ich leise zu dem alten Mann vor mir, „Dass Menschen erst dann wirklich gegangen sind, wenn sich niemand mehr an sie erinnert. So lange ihr an euren Sohn, Bruder und Freund denkt, ist er nicht weg.“ Während ich sprach sah ich auf einmal Tränen in den Augen des älteren Mannes vor mir glitzern. Sichtlich ergriffen sah er mich an. Er setzte an, um etwas zu sagen, doch keine Worte verließen seine Lippen. Unbeholfen wirkte es, als er mir leicht auf die Schultern klopfte und immer noch waren seine Augen am Glänzen, als er sich umdrehte und mich sprachlos stehen ließ. Es tat mir leid, dass er trauerte. Nicht, dass ihm meine Worte so ergriffen hatten, doch Raik war mir sympathisch und dieser Verlust lastete noch schwer auf ihn. Wie schwer er noch auf der Familie lastete, vermochte ich nicht zu sagen. Erneut stupste Freya mich an und schnaubte auf, als beschwere sie sich, dass ich ihr keine Beachtung schenkte. Idril, Ragnars Rappe, schnaubte unruhig und tänzelte etwas herum. Kurz sah ich meinem Schwiegervater nach, doch er war verschwunden, vermutlich war er zu seinem Zelt gegangen. Und streichelte Freya und sprach ruhig auf sie ein, während ihre lange Zunge, kurz über meine Hand leckte. „Toll, Süße“, meinte ich grinsend und strich meine Hand an ihrem Hals trocken. Ich ging ihm nicht nach. Ich fand es taktlos, ihm dabei zuzuschauen, wie er trauerte. Ich sagte an diesem Tag nichts mehr zu Raik. Er war sehr still und war die ganze Zeit bei seiner Frau. Doch meine Aufmerksamkeit galt etwas gänzlich anderem. Je mehr Schritte getan wurden, desto nervöser wurde ich. Ich kannte schließlich niemanden von hier, außer den Menschen die mich auf dieser Reise hier hin begleitet hatten. Ich sah einige Felder, doch nicht so große wie bei uns. Immer wieder tauchte ein Haus auf und mit der Zeit wurden es immer mehr Häuser. Ich hörte wie Gunnar sagte, dass sie bald endlich da seien und ich freute mich darauf, endlich aus dem Sattel zu können. Ich liebte das Reiten, doch nun war ich froh, wenn ich einige Tage dem Sattel fernbleiben könnte. Ragnars Heimatdorf lag im dichten Wald, umgeben von kleinen Hügeln. Es lag etwas versteckt im Gegensatz zu den anderen und war mehr als doppelt so groß wie die anderen Dörfer. Auch hier säumte eine Mauer aus hohen Baumstämmen seine Grenzen. Die Straßen waren nicht gepflastert und sehr felsig. Grasbüschel wuchsen wo sie nur konnten und ließen es sehr farbenfroh wirken, in dieser kargen Gegend. Es war kein Vergleich zu meiner Heimatstadt. Die Häuser hier standen, für meinen Geschmack, wild durcheinander. Es sah aus als hätten die Leute dort gebaut wo grade Platz war. Keine der Straßen hier war gerade. Am Ende dieses Ortes war eine große, prächtige Hütte. Schon aus einiger Entfernung konnte man viele Verzierungen an den großen Säulen erkennen. Ragnar erklärte, dass dort öffentliche Verkündungen gehalten wurden und große Festmahle. Alle Häuser in dem Dorf waren aus Holz. Ihre Dächer meist mit Stroh und Holz gedeckt. In den Straßen liefen oft Hühner oder gar Schweine herum. Es gab zwar Ställe, doch ließ man sie auch frei herumlaufen, sagte man mir. Wir betraten Ragnars Haus. Daneben stand eines, welches ebenso groß war. Ich vermutete, dass es das von meinen Schwiegereltern war. Ich war Raik dankbar, dass er die Pferde zum Stall bringen wollte. Wo dieser Stall war, dass wusste ich nicht, doch ich vertraute Raik und so überließ ich ihm meine Stute. Ich folgte Ragnar in sein Haus und sah, dass die Kisten, die ich gepackt hatte, tatsächlich alle angekommen waren. Sie standen im Eingang. Alle waren etwas dreckig. Natürlich waren sie, wie wir auch durch den Regen gewandert. Alles war aus Holz gemacht. Nichts in diesem Haus war aus Stein. Mehrere Sitzgelegenheiten standen in einer Ecke und einige Kissen lagen darauf. Vor dem Sofa und den zwei Sesseln lag ein riesiges Bärenfell. Ich hatte noch nie einen Bären gesehen. Es war ein braunes und einfach nur riesiges Tier gewesen. Der Kopf und die Tatzen hingen noch an dem Fell. Während ich weiter in den Raum trat, sah ich hinten eine Feuerstelle und wusste sofort, ohne genauer hinzuschauen, dass es die Küche sein sollte. Ein Fenster stand in der Nähe und skeptisch betrachtete ich die Küchenzeile. Es war ein großer geschliffener Stein, nur wenige Zentimeter über dem Boden. Daneben eine Feuerstelle, einem Lagerfeuer gleich. Es lag noch verkohltes Holz darin. Über dieser Stelle ein Schweres Eisengitter auf dem man Scheinbar Fleisch grillen konnte. Mein Blick glitt hinaus zum Dach und wie Ragnar bereits beschrieben hatte war dort eine Luke. So konnte der Rauch dort abziehen. „Soll ich dir helfen, beim Auspacken?“, fragte Ragnar und stellte seine Waffen in eine Ecke. Langsam schüttelte ich den Kopf und folgte dem Mann und stellte meinen Bogen neben sein Schwert ab. „Ich will das lieber erstmal alleine machen. Zeigst du mir das Haus?“, bat ich leise. Es war komisch, sich vorzustellen, hier mein ganzes Leben verbringen zu müssen. Es war nicht sonderlich hell, da das Haus nur kleine Fenster hat. „Wieso sind die Fenster so klein?“, wollte ich wissen und Ragnar erklärte mir, dass es, wegen der Winter sinnvoller sei. Je größer die Fenster, desto mehr Wärme konnte über sie entweichen. Das Schlafzimmer war kleiner als das meine, doch wunderte es mich nicht. Das Bett war an die Wand geschoben und viele unterschiedliche Felle lagen hier. Ich erkannte einen Wolf und ein zweites Bärenfell. An der Wand, an welcher auch das Bett lehnte, war ein Fenster eingelassen worden. Zwei Schränke und eine tiefe Truhe standen herum. Es gab noch weitere Räume, es stand nicht wirklich etwas herum und ich ahnte, dass diese Kinderzimmer werden sollten. Ich sagte dazu nichts. Es waren zwei etwas größere Räume. Der letzte Raum, war ein Waschraum und erinnerte an den, den ich Zuhause hatte. Es war der einzige Raum, in denen tatsächlich Steine verarbeitet waren. „Und?“, fragte mich Ragnar, nachdem wir wieder in die Wohnstube getreten waren. „Es ist anders, wie bei mir und ich hoffe, ich kann mich einfach schnell einleben“, meinte ich diplomatisch. Doch noch hatte ich nicht viele andere kennen gelernt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)