Ein unfaireres Spiel mit dem Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 10: Reise in eine neue Welt ----------------------------------- Die Sonne war dabei unterzugehen und erschöpft seufzte ich auf, als ich die Hand hob, um mich vor der blendenden Sonne zu schützen. Zwei Wochen waren vergangen, seit wir aufgebrochen waren. Zwei Wochen, in denen ich nicht mehr Zuhause war. Zwei Wochen in denen ich mich jeden Tag immer weiter von meiner Heimat entfernte. Ulveig hatte ich nicht mehr getroffen. Er war an dem Tag abgereist, an dem ich Ragnar die Lande gezeigt hatte. Erfahren hatte mein Vater dies erst am nächsten Morgen. Dass er nicht beleidigt war, zeugte davon wie unsympathisch er diesen Gast in seinem Hause fand. Auch Leif hatte ich nicht mehr sprechen können. Ich hörte, dass Ragnar ihm die Nase gebrochen hatte. Das er zornig war und er in seinem Zorn eine Stalltür zerstört hatte. Ich wusste nicht, was mein Bruder oder der Rest meiner Familie mit ihm besprochen hatte. Ich wusste auch nicht, ob er noch in der Stadt war. Vielleicht war er gegangen. Auch mein Aufpasser Sven, so sympathisch er mir eigentlich auch war, hielt mich davon ab Leif aufzusuchen. Doch eigentlich, brauchte ich meinen Aufpasser die letzten Tage nicht mehr. In der Zeit, die ich noch mit meiner Familie hatte, saßen wir oft zusammen und redeten oder spielten ein paar Spiele Am letzten Abend, waren Ragnars Eltern Gast in unserem Haus gewesen. Freundlich waren die Gespräche, doch die Wehmut auf die kommende Verabschiedung trübte die Stimmung bei Tisch. Immer noch zog mein Herz sich zusammen, wenn ich an die Verabschiedung meiner Familie zurückblickte. Es tat weh, wenn ich daran dachte, wie meine Mutter mich festhielt und versuchte mir Mut zu zusprechen oder mein Vater mich lieb in den Arm nahm und mir sagte, wie sehr er mich vermissen würde. Meine Schwester weinte und ich tröstete sie, versprach ihr so oft es ging zu schreiben. Doch die schwerste Verabschiedung war die von Tal. Er wollte mich gar nicht los lassen. Keine aufbauenden Worte kamen aus seinem Mund. Er wusste, dass ich diese zu oft gehört hatte, in den letzten Tagen. Nur schwer, schien er sich von mir lösen zu können. Ich zwang mich, nicht zu weinen. Es war schließlich kein Abschied für immer. Ja ich zog aus in eine neue Welt, die ich nicht kannte. Es war eine Reise deren Ende für mich nicht absehbar war. Eine Reise in neue, mir Als die Tränen kamen wischte ich sie schnell weg. Ich hatte nicht mehr viel geweint, in den letzten Tagen. Denn zu sehr konzentrierte ich mich auf den Weg, der vor mir lag. Wir hatten die sanften Hügel meines Landes hinter uns gelassen, die gefährlichen Moore und die mir so bekannten Wälder meiner Heimat. Die Umgebung schien mit jedem Tag, jeder Meile wilder zu werden. Die Laubwälder wurden immer gemischter und immer mehr hohe dunkelgrüne Tanne mischten sich unter sie. Wasser und Vorräte hatten wir genug dabei. Immer wieder waren am Wegesrand Brunnen errichtet worden, damit Reisende ihr Trinken auffüllen konnten. Ich wusste, dass unsere Jäger, als auch die Jäger der Umliegenden Länder die Brunnen regelmäßig pflegten. Ich hatte häufig mitbekommen, wie mein Vater erzürnt war, dass viele diese Pflicht nicht ernst nahmen. Doch nach dem Krieg, waren auch bei uns im Lande viele Brunnen versiegt, zerstört oder zu gewuchert. Nicht mehr alle waren nutzbar. Wir kamen an Gehöften vorbei, wo wir immer wieder einiges an Lebensmitteln kaufen konnten. So waren wir vorerst nicht gezwungen zu jagen. Tiere sahen wir nicht, dafür waren wie zu viele Menschen. Neben meiner neuen Familie, reisten Sven mit seinen Eltern und ein weiterer guter Freund meines Mannes mit seinen drei Brüdern, mit. Laut schrien die Vögel über uns, als schienen sie die anderen Tieren zu warnen und zu zeigen, wo wir gerade waren. Seit zwei Tagen, hatten wir die Grenzen meines Landes hinter uns gelassen. Nie, war ich weiter von Zuhause entfernt, als jetzt. Der gestrige Tag war anstrengend gewesen. Es schien, dass vor wenigen Tagen der Regen den Boden aufgeweicht hatte. Immer wieder fuhr sich der Karren für die älteren Damen im Schlamm feste. Es war eine schmutzige und kräftezehrende Arbeit gewesen diesen zu befreien. Ich hatte mitgeholfen und spürte den Muskelkater heute in meinen Armen. Die dreckigen Kleider hatte ich in meinem Rucksack verstaut. Es war von Ragnar wahrlich eine gute Idee gewesen, meine Kisten mit der großen Gruppe vorweg zu schicken. Wenn wir meine Kisten noch dabei hätten, würden wir viel Zeit verlieren. Die Stute schien die lange Reise besser zu bestehen, als ich es selber. Meine Knochen fühlten sich müde an und ich hatte Muskelkater in den Oberschenkeln und Armen. Doch Freya ging stetig und mit sicherem Tritt über die Wege und schnaubte aufgeregt. Nicht alle hatten Pferde und die zwei älteren Frauen und Männer saßen auf einem Karren und unterhielten sich. Einige der Männer wechselten sich mit den Pferden ab, so dass wir nur langsam vorankamen. Doch sie schienen es gewohnt zu sein und jammerten nicht über schmerzende Füße oder gar Blasen. Jedoch schien das Wetter auf unserer Seite zu sein. Außer ein paar vereinzelte Regenwolken, welche uns heimsuchten, war es ein gutes und offenes Wetter. In wenigen Tagen würde der Mai dem Juni weichen. „Blendet dich die Sonne?“, fragte eine helle, doch leicht erschöpfte Stimme neben mir, nachdem ich mir die Tränen aus dem Augenwinkel gewischt hatte. Neben mir, auf Ragnars altem, dunkelbraunem Pferd, ritt Lillie. Ihre langen roten Locken waren von dem Nieselregen der letzten Stunden und der jetzt wärmenden Sonne, krauser und wilder, als gewöhnlich. Der Wind wehte uns unsere Haare durcheinander und ließ ihr und vermutlich auch mein Gesicht in einer gesunden Farbe erstrahlen. Ich nickte nur und schluckte den schweren Kloß in meinem Inneren hinunter. Ich blendete die Verabschiedung aus und brachte meinen Geist wieder in das Hier und Jetzt. „Ja… Tut weh in den Augen“, log ich und war dankbar, dass sie mir diese Ausrede so einfach in den Mund gelegt hatte. Ich sollte nicht zu häufig an den Abschied denken. Lillie nickte und streckte sich. „ich kann nicht mehr… vor allem nach gestern“, hörte ich sie murren, „Ich reite ja gerne, aber diese Reise ist schrecklich lang. Mir tut einfach alles weh.“ Ich nickte nur und im Stillen musste ich ihr Recht geben. Ich war schon sehr häufig geritten und auch lange, doch noch nie saß ich so viele Tage, so viele Stunden auf den Rücken meines Tieres. Selbst Freya, welche eine trainierte und ausdauernde Stute war jeden Abend erschöpft. Zwar machten wir, auch wegen der älteren Damen, immer wieder Pausen, doch diese reichten langsam nicht mehr. Mein Mann verbrachte die meiste Zeit des Tages bei seinen Freunden. Sie ritten vor, oder ließen sich nach hinten fallen. Ragnar war der Reiseführer. Er entschied wann eine Pause gemacht wurde. Doch gerade schien er anderes im Sinn zu haben. Ausgelassen schienen die Gespräche der Männer zu sein. Sie lachten viel und erstaunlicherweise kam Ragnar immer besser mit dem schwarzen Hengst zurecht. Nur noch selten bockte er rum. Sven, Ragnar und Gunnar, ein blonder Mann mit längerem Bart, schienen gute Freunde zu sein. Doch außer mit Sven hatte ich mit dem anderen nicht viele Worte gewechselt. Natürlich, sprachen Ragnar und ich miteinander. Jedoch bezogen sich alle Gespräche auf die Reise und das, was am Tage geschehen war. Wirklich tiefsinnige, oder emotionale Gespräche hatten wir immer noch nicht geführt. Auch, hatten wir nicht mehr miteinander das Bett geteilt. Wir nächtigten im Zelt seiner Eltern und ich war erleichtert, dass er einfach nur ruhig neben mir lag und schlief. Vielleicht, war er auch einfach nur schöpft, von den Strapazen der Reise. So jedenfalls erging es mir. „Heute kommen wir an einem Dorf vorbei“, meinte Lillie und ich hörte die Sehnsucht in ihrer Stimme, „dort können wir nächtigen und die Pferde können sich richtig erholen. Die haben Ställe.“ Ja, das klang wirklich gut! Zufrieden nickte ich und seufzte erleichtert auf. „Gott sei Dank“, meinte ich und zufrieden seufzte ich auf. Dann würde ich heute sicher nicht mit meiner Schwiegermutter kochen müssen. Jeden Abend, wenn die Zelte aufgebaut wurden, nahm mich Inga zur Seite und ließ mich unter ihrer strengen Anleitung das Essen zubereiten. Ich hasste es! Es machte mir absolut keinen Spaß und doch, ließ sie nicht locker. Ich wolle es schließlich lernen, sagte sie immer und es war mir neu, dass ich es wollte. Musste käme der Angelegenheit näher. Auch ermahnte sie mich, dass ich bald nicht mehr ständig in meiner Reiterkluft herum laufen sollte. Frauen in Hosen seien ein komischer Anblick. Wenn ich ehrlich war, lauschte ich ihren Worten nur selten, während des Kochens. Lillie half mir und ihrer Mutter und nur dank ihrer offenen und fröhlichen Art, war es eine erträgliche Angelegenheit. Langsam, lichtete sich der Wald auf unserem Weg und ich sah, dass es Menschen waren, welche den Wald und die Landschaft geformt hatten. Ein Zaun war am Wegesrand errichtet worden und in der Ferne sah man Rauch zwischen den Bäumen aufsteigen. Auch Lillie blickte in die Richtung und erklärte: „Die Menschen, die hier Leben haben mit Ulveig ein Abkommen geschlossen. Sie gewähren uns sicheres Geleit und wir helfen ihnen im Falle eines Kampfes.“ Stirnrunzelnd sah ich zu Lillie hinüber. Es war der gleiche Packt, den wir mit den Nordmännern eingegangen waren. Ich seufzte und fragte: „Macht ihr das ständig? Also eure Hilfe im Falle eines Krieges anzubieten?“ Unschlüssig zuckte Lillie mit den Schultern. Sie strich sich eine ihrer gelockten Strähnen aus dem Gesicht und meinte fast schon ein wenig belehrend: „Wieso auch nicht? Viele unserer Männer sind kräftig und groß. Sie haben gelernt zu kämpfen. Unsere Ernte reicht nur, um uns selbst satt zu bekommen. Wir können ihnen nur das Anbieten, was wir auch oft haben und das sind nun mal die Erfahrungen im Kampf und der Handel mit unseren Waffen. Ihr handelt doch auch immer nur mit euren Tieren.“ Überrascht sah ich Lillie an. So viel Weitsicht und Wortgewandtheit hätte ich dieser jungen Frau im ersten Augenblick nicht zugetraut. Es wirkte keineswegs naiv, wie Ragnar sie einst beschrieben hatte. Meine Mundwinkel zuckten und zu ihr blickend nickte ich schmunzelnd. „Ja, da hast du wohl Recht. Du kannst echt gute Argumente aufbringen, Lillie“, sagte ich und zwinkerte ihr nett gemeint zu. Ich bemerkte, wie sie stockte und ein fröhliches und vielleicht auch stolzes Lächeln sich auf ihrem hübschen Gesicht ausbreitete. „Ja“, meinte sie und ich hörte den Stolz deutlich in ihrer Stimme raus, „Man sollte mich niemals unterschätzen.“ Ich lachte leise und schüttelte den Kopf, als ich ihr lauschte. Als ich schnelles Hufgetrappel hinter uns hörte und als ich mich auf Freya nach hinten wandte, war Ragnar bereits auf unserer Höhe. „Wir kehren heute in die Gaststätte zur Goldenen Tanne ein. Mutter will heute Ruhe und auch die Pferde können eine Pause zu vertragen“, sagte er ernster, als ich dachte. Wir nickten nur und sofort trieb Ragnar Idril an, zu den Leuten vorweg aufzuholen. „Dein Bruder hat unter den Kriegern viel zu sagen, oder?“, fragte ich Lillie und sah auf den hohen, breiten Rücken meines Mannes. Sie nickte leicht und sagte: „Ja, er war immer sehr engagiert. Er ist ein guter Stratege und auch wegen seiner Größe auf dem Schlachtfeld ein beeindruckender Gegner. Ulveig schätzt seine Art und kein Können sehr. Er darf sogar die neuen rekrutieren. Wer ihn nicht überzeugt, kann nicht Krieger werden.“ Gedankenverloren nickte ich. Tatsächlich, fand ich es ziemlich intelligent, wie sie sich zu helfen wussten. Wenn der Handel und das Viehzüchten nicht genug einbrachte lebten viele Länder von der Hand in den Mund. Wenn dann ein harter und rauer Winter einkehrte waren Hungersnöte die grausame Folge. „Ich hoffe“, sagte ich nach einem Augenblick der Stille, zwischen Lillie und mir, „Dass wir bald ankommen. Ich reite zwar gerne, aber na ja… ich brauch bald einfach eine Pause.“ Es dauerte länger als ich dachte, bis wir die ersten Häuser sahen. Es waren Bauernhäuser, mit viel Land herum. Einige Getreidefelder zogen sich am Wegesrand entlang. Die Häuser waren klein und einfach. Ein kleiner Bach war links von uns, schlängelte sich am Wegesrand entlang. Mit der Zeit standen die Häuser näher beisammen. Die bunten Felder am Wegesrand kamen zu einem Ende und immer mehr Menschen waren zu sehen. Der Weg war teilweise gepflastert und auch die Häuser wurden schöner. Vor uns lag ein ansehnliches kleines Dorf. Ich sah die Menschen, welche neugierig unsere Reisegruppe beobachteten. Viele Kinder kamen an die Zäune und ich hörte wie einige über Ragnars und mein Pferd staunten. Ja, die Tiere waren wirklich eine Augenweide. Sie waren größer und kräftiger gebaut, als die anderen Pferde und auch die Farbe meiner Stute stach hervor. Wir erreichten das Dorf und erleichtert sprang ich aus dem Sattel. Zufrieden seufzte ich und schloss meine Augen. Sofort lockerte ich den Sattelgurt, um den Bauch meiner treuen Gefährtin und sie hörte sich fast schon erleichtert an, als sie die Luft tief in ihre Lungen zog. Ich sah wie mein Mann von seinem Rappen sprang und ihm kurz und liebevoll über den Hals strich. „Ich frag, ob für uns genug Zimmer zur Verfügung stehen und ob die Tiere in einem Stall unter kommen können“, sagte er und ich spürte deutlicher, als die Tage zuvor, dass er in unserer Reisegruppe das Sagen hatte. Wir nickten und ich beobachtete, wie Ragnar den Kopf einzog und in die Taverne eintrat. Wir waren zwölf Leute. Namen merken war leider nie eine Stärke von mir gewesen, die Namen aller Menschen wollten mir nicht einfallen. Ich blickte zu dem blonden Freund meines Mannes, Gunnar. Er schien ein erfahrener Krieger zu sein. An seiner Seite hing ein Schwert, doch eine Narbe zog sich über seine Wange, als habe er einen Schlag nicht vernünftig ausweichen können. Seine Brüder standen um ihn herum. Alle blond, doch ihr Bart war nicht so voll, wie der ihres Bruders. Sie wirkten jünger. Vielleicht waren sie in meinem Alter. Ein junger Mann trat aus der Taverne und wie er auf die Pferde und Karren sah, wusste ich, dass er in der Taverne arbeitete. Ich sah, wie der schlaksige junge Mann, er konnte nicht älter als fünfzehn sein, schnell nach drinnen verschwand. Vermutlich würde er gleich mit mehreren hinauskommen um die Pferde zu den Ställen zu bringen. Ich löste mein Schwert und meinem Bogen von meinem Sattel. Die Eltern von Sven, sowie meine Schwiegereltern waren entsetzt, als ich damals meine Waffen am Sattel von Freya befestigt hatte. Sie verstanden nicht, was ich mit den Waffen wollte. Doch ich ließ sie mir nicht abnehmen. Auch wenn ich merkte, dass es Ragnar nicht passte, dass ich die Waffen bei mir hatte. Wieso er so empfand war mir unverständlich. Ich hatte weder gejagt noch sonst etwas mit den Waffen angerichtet. Ich wollte sie nur, um mich im Falle des Falles zu verteidigen. Ich strich über den Bogen, bevor ich nach der ledernden Schwertscheide griff. Die meisten anderen Sachen, die wir für unsere Reise brauchten, waren bei den älteren Reisenden auf dem Karren. Endlich wurden die Pferde weggebracht, doch ich wollte und musste einfach sehen, wo und wie sie sich um meine Freya kümmerten. Schließlich war sie das einzige Lebewesen, welches mich in die Ferne begleitete. Doch alles was ich sah, wie die Menschen die Tiere versorgte war gut und ließ keinen Tadel zu. „Gebt ihr etwas Kraftfutter, sie hat es sich verdient“, sagte ich dem jungen Mann und drückte ihm eine Münze in die Hand. Überrascht lächelte er mich an und freudig weiteten sich seine Augen, als er auf die Münze in seiner Hand hinabsah. Er strahlte fröhlich und nickt eifrig. „Natürlich, Herrin“, sagte er und ich sah, wie er sich auf den Weg zu einer Kammer machte. Vermutlich wurde dort das Futter für die Tiere gelagert. Ich betrat die Taverne und las das Schild „Zur goldenen Tanne“. Der Schrankraum war dunkel und wirkte warm und einladend. Die Decke wurde von hölzernen Säulen gestützt und hatte große Rundbögen. Die Theke und Sitzbänke waren schön verziert und zeugten davon, dass dies keine einfache Absteige war. Viele Weinflaschen lagen in großen rustikalen Regalen an der Wand. Vermutlich der ganze Stolz des Besitzers. Über den Tischen hingen große Leuchter und erhellten so den Platz. In einer Ecke standen noch ein paar große Weinfässer die als zusätzliche Tische dienten. Hier hatte sich jemand wirklich Mühe beim Einrichten gegeben. Ob es der Wirt war, oder doch seine Frau, welche gerade hinten durch den Schankraum lief, konnte ich natürlich nicht sagen. Während ich mich noch umsah hörte ich schwere Schritte auf mich zukommen. Ich drehte mich um und während ich zur Seite treten wollte erblickte ich Ragnars große Gestalt vor mir. Überrascht sah ich hinauf in sein markantes Gesicht. Den Bart, den er heute einfach zusammen gebunden hatte, zog immer noch meinen Blick auf sich. „Ich habe unsere Sachen auf ein Zimmer gebracht… Gunnar und Sven besorgen Lebensmittel… Und Oscar, Carl und Olaf bleiben bei den Tieren. Du kannst dich also ausruhen“, meinte er und nickte, dass ich ihm folgen sollte. So hießen also Gunnars Brüder, jetzt wo er es sagte, erinnerte ich mich wieder. Ich kam der nonverbalen Aufforderung nach und langsam folgte ich meinem Mann eine schmale Treppe hinauf. Die holzvertäfelten Wände ließen den Flur dunkel und kleiner wirken, als er vermutlich war. Einige Türen konnte man erkennen. Ich folgte Ragnar durch den langen, dunklen Raum und wir blieben an der hintersten Tür stehen. Sie öffnend betrat er Schlafzimmer und tatsächlich, war ich ziemlich erleichtert, dass ich endlich wieder in einem Bett würde schlafen können. Außer dem Bett war in diesem Raum nicht viel mehr. Eine Kleidertruhe vor dem Bett war der einzige Stauraum. Auf der Fensterbank stand eine kleine, gelbe Blume, welche fast verloren in diesem sonst trostlosen Zimmer wirkte. Ich stellte meine Waffen in eine Ecke und blickte kurz hinaus aus dem Fenster. Man konnte die Straße sehen. Unser Eintreffen schien bei den Dorfbewohnern einigen Trubel ausgelöst zu haben. Ich beobachtete wie viele geschäftig hin und herlaufen. Ich sah Gunnar mit seinen Brüdern und bemerkte, wie er in die Richtung der Ställe deutete. Erleichtert ließ ich mich auf dem Bett nieder und war froh, dass wir heute Nacht nicht in einem Zelt schlafen mussten. „Kommen wir noch an weiteren Dörfern vorbei?“, fragte ich und begann meine Weste aufzuknöpfen. Ich hatte meine Kleidung regelmäßig gewechselt und gesäubert und doch brauchten sie langsam mehr, als nur eine Katzenwäsche. Auch Ragnar schnallte sich gerade seinen Gürtel ab und ließ seine Waffen in einer Ecke des Raumes nieder. „Ja“, meinte er und war gerade dabei sein Hemd aufzuknöpfen, „noch zwei größere. Und auch gibt es hier am Wegesrand einige kleinere Siedlungen, wo reisende nächtigen können. Vielleicht nicht immer in einzelnen Zimmer, sondern in Schlafräumen, aber besser als nichts.“ Ich nickte und beobachtete ihn dabei, wie er in seinem Rucksack nach einem sauberen Oberteil suchte. Auch er war gestern sehr schmutzig geworden, als er beim Karren helfen musste. Ich sah zu, wie er an zwei drei Oberteilen roch und sich dann für eines entschied. „Glaubst du“, begann ich nachdenklich zu fragen, „dass wir hier unsere Kleidung jemanden geben können, der sie reinigen kann?“ Stirnrunzelnd betrachtete mich mein Mann. Sich durch den langen roten Bart streichen fragte er mit seiner tiefen Stimme: „Hm… Ich dachte eigentlich, du könntest mal die Wäsche machen.“ Mir war bewusst, dass auch dies später zu meinen Aufgaben gehören würde, so wie das Kochen. Doch ich wollte noch nicht. So albern es war und ja ich wusste, dass es albern war, wollte ich diese Pflichten so lange es ging, hinauszögern. Ich wollte es nicht so sagen, wie ich es dachte, es hätte nur eine Diskussion ausgelöst und darauf hatte ich heute keine Lust. Ich beschloss das naheliegest zu erwidern: „Ich bin einfach wahnsinnig erschöpft, Ragnar. Ich würde wirklich gerne heute nichts mehr machen.“ Ich erhob mich langsam vom Bett, denn eigentlich wollte ich die Laken nicht mit meiner Hose verschmutzen. Stirnrunzelnd sah Ragnar mich an und als er zu den Kleidungsstücken in seinem Rucksack blickte war ich überrascht, als er tatsächlich nickte. „In Ordnung… Dann sorgst du aber dafür, dass die Kleider gereinigt werden. Ich muss gleich mit Sven und Gunnar die anderen Sachen organisieren.“ Es waren diese Kleinigkeiten, welche mich immer bei diesem Menschen überraschten und meine Mundwinkel zuckten nach oben. Auf diesen Kompromiss konnte ich mich sehr gut einlassen. „Mache ich“, bekräftigte ich mein Kopfnicken und wollte mich gerade zu meinem Rucksack drehen, als mich eine Hand aufhielt. Überrascht sah ich von der Hand an meinem Oberarm hinauf in das Gesicht meines Mannes. „Du bist zäher, als ich dachte“, sagte der bärtige Hüne und ich war mir tatsächlich sicher, dass dieser Satz aus seinem Mund ein ehrliches und aufrichtiges Kompliment war. Noch bevor ich fragen konnte, was genau er meinte, erklärte er sogleich: „Du bist nicht am Jammern und hältst uns nicht auf. Hast gestern sogar mit dem Karren geholfen. Du schlägst dich gut, Prinzessin.“ Überrascht sahen ihn meine blauen Augen an und verwirrt fragte ich: „Prinzessin?“ Hatte er gerade vergessen, welchen Titel ich in meinem Land inne hatte? Sicherlich nicht der einer Prinzessin. Das Schmunzeln auf seinem Gesicht ließ erahnen, dass es ein Scherz war. Fast schon sanft strich er mir mit seinen rauen Fingern über meine Wange und sagte: „Benehmen wie eine tust du dich ja schon gerne, dann kann ich dich doch auch so nennen, findest du nicht?“ Ein ehrliches Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Es war das erste Mal, dass es mein Mann dies schaffte. Ich ließ ihn mich berühren. Er hatte mir nichts getan und ich war nun mal seine Frau. Kurz auf den Boden blickend schmunzelte ich. Fast schon frech erwiderte ich: „Wenn du mich schon so nennst, dann kannst du mich doch auch wie eine behandeln, oder etwa nicht?“ Erneut strich er über meine Wange und langsam wanderte seine Hand über mein Schlüsselbein. Ich trug die Kette meiner Mutter und langsam glitten seine Finger über das Metall, hinunter in meinen Ausschnitt. Ich beobachtete, wie seine Mundwinkel zuckten. „Ich glaube“, meinte er und langsam löste sich seine Hand von der Kette, „Dass ich mir das lieber noch einmal durch den Kopf gehen lasse.“ Er strich eine meiner blonden Strähnen aus meinem Gesicht und trat näher an mich heran, als ich eigentlich dachte. Wieso er plötzlich meine Nähe suchte verstand ich nicht. Seit wir die Reise angetreten hatten, war er zumeist mit seinen Freunden am Sprechen gewesen. Und nun, wirkte es fast so, als habe er meine Nähe schmerzlich vermisst. Ich roch den Schweiß und den Geruch des Pferdes an ihm. Vermutlich würde ihm ein Bad ebenso gut tun wie mir. Erneut glitt seine Hand durch meine Haare. Sie waren zusammen gebunden. Nicht schön, aber einfach praktisch für lange Reise zu Pferd. „Weißt du, dass ich dich mit Dreck im Gesicht und auf der Hose tatschlich hübscher finde, als in dieser so strengen und adretten Kleidung?“, sagte er und verwirrt weiteten sich meine Augen. Wieso sagte er so etwas? Ich war mir sicher, dass er es ernst meinte. Nie hatte Ragnar mir Komplimente gemacht, um etwas von mir zu erhalten. Bis jetzt, hatte er sich immer genommen, was er wollte. Es war ehrlich gemeint, dass wusste ich. „Danke“, hauchte ich fast schon und wie er mir in die Augen blickte, spürte ich eine innere Unruhe in mir. Obwohl wir das Bett miteinander geteilt hatte, wirkte dieser Augenblick anders, als diese Male. Es wirkte intimer. Vielleicht war es einigen unsympathisch, vielleicht würden einige Frauen mich auch nicht verstehen. Ja, ich hatte wahrlich Glück mit meinem Mann. Ich konnte in den letzten Wochen darüber nachdenken. Er hätte auch ein gänzlich anderer Mensch sein können. Einer der mich anschrie, einer der mich nur unterdrücken wollte, einer der in mir nur einen Zeitvertreib sah. Doch das war Ragnar nicht. Vielleicht war es auch das, was es mir schwer machte. Er gab sich wahrlich Mühe. Er versuchte ein guter und netter Mann zu sein. Schaffte es mal mehr, mal weniger gut. Man konnte keine Gefühle erzwingen, noch konnte man Gefühle abstellen. Ich wollte einfach nie, dass man mir den Mann mit dem ich lebte aufzwang. Vermutlich, ging es Ragnar ebenso, doch anders als ich, versuchte er sich darauf einzulassen. Ich hatte versprochen, es zu versuchen. Auf der Hochzeit und einmal vor Lillie und doch fiel es mir einfach schwer. Es waren nicht einmal drei Wochen vergangen. Ich wusste nicht, ob man lieben wirklich lernen konnte, doch nun wo ich aufbrach in eine neue Welt, blieb mir kaum etwas anderes übrig, als es einfach zu versuchen. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich ihn betrachtete und fast schon liebevoll zog ich an seinem Bart. „Ach komm her“, meinte ich leise und legte sanft meine Lippen auf die Seinen. Leif war nicht vergessen und immer noch war das schlechte Gewissen vorhanden. Ich wusste nicht wann und ob dieses Gefühl je verschwinden würde und so versuchte ich es gerade einfach zu verdrängen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)