[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 45: Der Rest -------------------- Eames Schon als Arthur auf seine Frage nach dem Job reagierte, merkte Eames eine deutliche Veränderung des herrschenden Klimas. Fühlte sich wie ein kleiner Frühling an. Arthur schien allmählich über seinen Groll hinweg zu kommen. Als er schließlich von italienischen Espresso schwärmte war das Eis gebrochen. Eames kannte seinen Point Man gut genug um das einschätzen zu können. Arthur würde nie so gelassen von Dingen sprechen, die ihm Freude bereiteten (!), wenn er wütend war. Eames betrachtete das Gesicht seines Gegenübers mit seligem Lächeln und nickte langsam doch zustimmend, während er mit den Fingern geistesabwesend den Rand der Untertasse seines Espressos streichelte. Er antwortete nicht auf Arthurs Aussage, sondern sah ihn einfach weiter an. »Ich hab was für dich.«, warf er stattdessen in den Raum. Er hatte gehofft, dass sie noch an diesem Abend Frieden schließen würden, damit er ihm sein Geschenk überreichen konnte. Aus der Innentasche seines Tweed Mantels zog er eine kleine, hölzerne Schatulle hervor. Das Holz war dunkel und matt und erinnerte ihn an Arthurs Augenfarbe. Er reichte die Schatulle, die etwa so groß war, dass sie genau in seine Handinnenfläche passte, in einer fast vorsichtigen, langsamen Bewegung über den Tisch. »Keine Sorge, es ist kein Ring.«, scherzte er, aber in seinem Blick wuchs die Erwartung zusehends. In der Schatulle befand sich ein Schlüssel. Ein einfacher Buntbartschlüssel aus Metall dessen silberne Farbe an einigen Stellen bereits matt und angelaufen schien. An der Reite hing ein Schlüsselring, der durch einen matten und teilweise abgewetzten Kenianischen Shilling gefädelt worden war. »Happy birthday.« Arthur Als er aus seinen Tagträumen ihrer gemeinsamen Italienreise (die eigentlich absurd waren, wenn man bedachte, was sie planten) aufblickte, verstummte er. Dieser so warme Blick traf ihn unvermittelt und berührte ihn tief. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug, wie es hart gegen seine Brust schlug. In diesem Moment sah er so deutlich vor Augen, dass er diesem Mann immer verfallen sein würde, dass es ihn erschreckte. Eine Mischung aus scary love und To Late To Say Goodbye. Doch im Gegensatz zu seinen Gedanken vorhin fühlte sich das hier in keiner Weise falsch an. Seine Stirn zog sich überrascht zusammen, als Tom ihm offenbarte, dass er etwas für ihn habe. Er beobachtete, wie sein Gegenüber etwas aus der Jackentasche holte, etwas Kleines, eine Schatulle, die er ihm nun entgegenstreckte. Etas sagte ihm, dass Eames vorsichtig war. Vorsichtig, wegen seiner Reaktion? Oder zögernd, wegen dessen, was darin war? Einen Moment betrachtete er die Schatulle, die Eames ihm herüberreichte. Die misstrauische Stimme, die ihn vorhin schon an die eigentliche Intention des Essens erinnerte, meldete sich wieder. Doch sie war erstaunlich leise und verschwand mit dem nächsten Kommentar. »Keine Sorge, es ist kein Ring.« Arthur löste sich aus seiner Überraschung und musste schmunzeln. Er antwortete nichts darauf. Wenn ihm Thomas Eames jemals einen Ring schenken würde, würde er an der Realität zweifeln oder daran, dass das wirklich Tom war. Wobei auch dieser Moment ihn hatte spüren lassen, dass sein Würfel genau dort war, wo er hingehörte. Er griff nach der Schatulle, strich mit dem Daumen über das weiche Holz. Noch einmal blickte er in das erwartungsvolle Gesicht, so als müsse er sich die Erlaubnis abholen, sie auch wirklich öffnen zu dürfen. Dann erst hob er den Deckel ab. Er schluckte, betrachtete den Schlüssel und war vollkommen perplex. Mit allem hätte er gerechnet, niemals damit. Den Glückwunsch nahm er nur bedingt wahr. Erstaunt blickte er auf, holte sich die Gewissheit darüber, dass er die Symbolik richtig verstand. Dann erst betrachtete er den Schlüssel eingehender und holte ihn raus. Seine Augen glitten darüber, schließlich verschloss er das kühle Metall in seiner Hand. Arthur spürte, wie ihn mit einem Mal all die Gefühle einholten, die er in den vergangenen Wochen versucht hatte zu verarbeiten. Er konnte nichts sagen, etwas schnürte ihm den Hals zu. Er konnte nur auf den Schilling blicken, der aus seiner geschlossenen Hand spitzte, während er versuchte, sich zu sammeln. Er wusste, wenn er jetzt sprechen müsste, würde seine Stimme brechen. Und alles, was er sagen würde, würde den Moment zerstören. Er zwang sich aufzublicken, denn die Erwartung, die er vorhin gesehen hatte, wollte sicher dennoch irgendwie beruhigt werden. Seine Lippen formten ein schier lautloses „Danke!“, zu mehr war er im Moment nicht fähig. Eames Er musste das „Danke“ nicht hören, um es zu verstehen. »Unter dem Kissen in der Schatulle findest du die Adresse.«, ergänzte er, noch immer nahezu reglos in seinem Stuhl sitzend. Auch für ihn war der Moment kein leichter. Jetzt hatte er eine Tür geöffnet – sprichwörtlich. Mi casa es su casa. Er hatte sich lange Gedanken um dieses Geschenk gemacht, aber nun da er tatsächlich den Zweitschlüssel zu seiner Wohnung überreicht hatte, fühlte er sich wie ausgeliefert. Gleichberechtigung war wohl auch nicht seins... Viel wichtiger war jedoch, dass er den richtigen Nerv bei Arthur getroffen hatte. Er war ganz gut darin dessen Unmut auszuhalten; er war quasi geübt; aber diese Situation war anders. Es war ernst zwischen ihnen geworden, nach all den Jahren. Ein merkwürdig betäubendes Gefühl; ein bisschen wie Heroin. Das Hochgefühl war auch nicht zu verachten. Die Sache war so beängstigend wie erstrebenswert. Es war eine ganz andere Hausnummer von jemandem aus der Ferne besessen zu sein und ihn dann wirklich zu „haben“. In diesem Moment fühlte sich dieses something so real an, wie nie zuvor. Während sie Jobs in New York bearbeitet hatten, war er auch einfach permanent high gewesen, also kein Wunder, dass er es nicht so gefühlt hatte, wie in diesem Moment. Easy »Ich würde dir gern erzählen, was die letzten Wochen bei mir los war.«, setzte er an. Wieder der Wunsch nach Alkohol – Give me one more medicated peaceful moment. Dieses Mal verweigerte er sich jedoch die süße Erlösung. Arthur würde wirklich zuhören; da konnte er sich nicht erlauben irgendeinen Blödsinn zu erzählen. Und Whisky wirkte sich bekanntermaßen nicht gut auf das Sprachvermögen aus. Arthur »Unter dem Kissen in der Schatulle findest du die Adresse.« Arthur nickte, hatte den Blick wieder auf den Schlüssel und die Schatulle gesenkt und suchte sich zu sammeln, die ganzen verschiedenen Gefühle wieder zu sortieren, seine Gedanken. Ihm war bewusst, dass diese Geste etwas sehr Großes war. Eames vergab sicher nicht leichtfertig die Schlüssel seiner Wohnung. Arthur war sich sicher, dass er der einzige war. So wie er der einzige war, der direkt auf dessen Haut verewigt worden war. Sich dessen bewusst zu werden, war berauschend, verwirrend und seltsam. Dass es sich seltsam anfühlte, war aber allein sein Problem. Es hatte mit seinem mangelnden Selbstwertgefühl zu tun, dessen er sich in solchen Momenten mehr als bewusst war. Das Vertrauen, das ihm Eames zusammen mit diesem Schlüssel schenkte, strafte seine Worte von vorhin Lügen. Er wusste, dass er dennoch auch recht hatte. Damit, dass er sich ihm nie wirklich anvertraute zum Beispiel. Aber dieser Schlüssel war ein ähnlicher Vertrauensvorschuss wie das Einwilligen, ihn mit ins Casino zu nehmen. Genauso wie er ein Symbol dafür war, dass Tom ihr something wirklich wichtig war. Jener hatte sich sicher Gedanken dazu gemacht, ihm diesen Schlüssel zu schenken (das sah man nicht allein an der Schatulle), während er selbst begonnen hatte, ihn zu verfluchen. Das schlechte Gewissen klopfte vehement an. All die Gedanken, das Misstrauen, das versuchte ihm einzureden, dass er bedeutungslos war, dass ihr something dem anderen nicht wichtig war, nur um sich nicht mit der Wahrheit abfinden zu müssen. All die Zweifel, die kleinredeten, was eigentlich unverrückbar war. All die Bedenken, ob er sich verrannte in etwas, das nicht existierte. Er hatte bereits einmal den Moment gehabt, in dem er einfach akzeptiert hatte, dass Tom so war, wie er war. Ein Moment, in dem er ihn aufgefangen hatte, ohne ihn zu verurteilen. Er hatte ihn auch nach seinem Verschwinden wieder auffangen wollen, lange hatte er das gewollt. Irgendwann waren die Zweifel zu groß geworden. Für die Zukunft würde er etwas haben, an dem er sich wirklich wird festhalten können, etwas, das ihm in den Momenten des Misstrauens Halt geben wird. Sie waren auf dem richtigen Weg, im Grunde waren sie das. Sie gingen ihn nur nicht gerade und auch nicht immer nebeneinander. Eames verbiegen zu wollen, war das letzte, was er wollte. Ihre Beziehung war alles, nur nicht normal. Sich hin und wieder dieser Tatsache bewusst zu werden, half, seine Erwartungen zu verändern. Schlucken musste er deswegen dennoch nicht alles – und das würde er sicher auch nicht. Denn auch er wollte sich nicht verbiegen müssen. Aber vielleicht sollte er besser kommunizieren. Und vielleicht sollte er die Mindestanforderung (eine Verabschiedung) überdenken. Wobei? Nun ja… Sie würden sich oft wie ein Karussell drehen. Das hatten sie schon immer. Aber vielleicht wären die Absprünge besser, oder sie ließen sich einfach darauf ein. Round and round like a horse on a carousel, we go Arthur war froh darüber, dass er sein Schloss zu Hause nicht hatte auswechseln lassen. Und er würde es vermutlich auch nie wieder tun (eigentlich war ihm das schon lange klar). Seine Wohnung gab Tom eine Anlaufstelle. Nun hatte er selbst aber auch einen weiteren Ort, der ihm ein Zuhause wäre, an dem er immer willkommen sein würde. Wann er wohl wirklich einmal dort sein würde? Er hatte mit dem Gedanken gespielt, dorthin zu fliegen, als Eames untergetaucht war. Aber er hatte keine Möglichkeit gehabt. Zumal er nicht daran gezweifelt hatte, ihn in dieser riesigen unübersichtlichen Stadt finden zu können. Gleichzeitig wurde ihm bei diesem Gedanken jene Angst wieder bewusst, die er empfunden hatte, weil er nicht gewusst hatte, wie er ihn überhaupt wiederfinden könnte bzw. ob Eames nicht bereits tot war. »Ich würde dir gern erzählen, was die letzten Wochen bei mir los war.« „Gerne“, sagte er und spürte, dass er sich wieder gefasst hatte. Oder hörte er auch ein "ABer"? Er verwarf den Gedanken gleich wieder. Nein! Dieses Gespräch würde definitiv anders verlaufen, als das, das er sich in seinem Kopf so oft ausgemalt hatte. Ein Gespräch, in dem er ihm erklärt hätte, dass es kein WIR gab, wenn man nicht bereit war, etwas dafür zu tun, etwas zu geben, während man nahm. Ein Gespräch, in dem er ihn gefragt hätte, was genau er von ihm wolle. Ob er nur den Point Man wollte, seinen Körper oder eben auch ihn selbst. Ein Gespräch, in dem er ihm klargemacht hätte, dass er erst wieder an seine Tür klopfen solle, wenn jener wüsste, was er wollte: einen Arbeitskollegen, einen Freund, Sex oder eben doch ihn im Ganzen. Diese Frage war aber bereits beantwortet worden, ungezwungen, von selbst, mit sehr viel mehr Intensität. „Lass uns spazieren gehen, ok?“, fragte er und trank, ohne auf die Antwort zu warten, sein Bier gar aus. Dann zückte er seinen Geldbeutel und legte genug dieser bunten Euro-Scheine hin, dass der Kellner sich auch noch freuen würde. Die Summe hatte er im Kopf kurz überschlagen. Die Schatulle samt Schlüssel verwahrte er sorgsam in der Innentasche seines Jackets. Arthur hatte zum einen das Gefühl, dass er das nicht hier besprechen wollte. Zum anderen hatte er ein anderes Bedürfnis. Diesem kam er nach, als sie schließlich auf die Straße traten und er sich zu Tom umwandte und ihn einfach umarmte, sein Gesicht im Hals des anderen vergrub. Er atmete tief ein und genoss den kurzen Moment der Nähe. „Ich bin froh, dass dich diese Arschlöcher nicht erwischt haben.“ Vielleicht hätte er das schon viel früher einmal sagen sollen. Eames Mit einem Spaziergang war er mehr als einverstanden. Er hatte kein Interesse daran unter Manuels ungeduldigen Blicken seine Geschichte zu erzählen. Und so lecker war der Espresso wirklich nicht, als dass man noch einen zweiten davon bestellen müsste. Draußen angekommen, erhielt er endlich die Begrüßung, auf die er so lange gewartet hatte. Er schlang seine Arme um Arthur und genoss das Gefühl der kalten Nasenspitze und des warmen Atems an Hals und Nacken. „Ich bin froh, dass diese Arschlöcher dich nicht erwischt haben.“ Er hüstelte ein kleines Lachen vor Erleichterung und rieb Arthurs Rücken mit sanftem Druck langsam auf und ab. »Sie hatten keine Chance.«, erwiderte er mit der gewohnten Spur von Größenwahn in der Stimme. Er war nicht Thomas Eames, wenn er nicht ein bisschen angeben konnte. Als sich der andere wieder von ihm lösen wollte, griff er fester zu und zog ihn noch ein wenig enger zu sich. Es fiel ihm schwer ihn gleich wieder gehen zu lassen. Der Körperkontakt, ohne das Gefühl sich die eigenen Rippen in die Lunge zu stoßen, oder dem bekannten dumpfen Schwummern der Opioide hinter der Stirn, war berauschend. Wozu happy pills, wenn es ausreichte Arthur eng bei sich zu spüren, zu riechen, zu küssen, um all die Glückshormone auszuschütten, die ihm sonst fehlten? I'm already high enough Er hielt ihn, drückte ihm dann langsam ein paar sanfte Küsse auf die dünne Haut hinter Arthurs Ohr, ehe er ihn ziehen ließ. Eine Frau, gefolgt von einem großen Blonden mit einem Kleinkind auf dem Arm, traten wenige Meter hinter ihnen aus dem Restaurant. War vielleicht keine gute Idee unter einer Straßenlaterne rumzuknutschen, wie zwei Teenager. Als sie ein paar Meter in Richtung ihres Hotels zurückgelegt hatten, begann Eames die Geschichte aufzurollen. Er erzählte von seinem alptraumhaften Aufwachen in Hassims OP und wie er wegen des Trips, den er gefahren hatte, Hassim mit einer Waffe bedroht hatte. Er war nicht im Stande gewesen auch nur einen zusammenhängenden Satz zu bilden. »Danach hab ich glaube ich einen ganzen Tag hinter einer Mülltonne in einer Seitengasse gelegen. Ich konnte mich einfach nicht bewegen. Ich dachte alles und jeder will mich umbringen und mein Körper hat mir so wie so nicht gehorcht.«, sein Ton klang zwar locker flockig, aber die Sache war, tatsächlich, ganz schön krass gewesen. Nicht nur, dass er in dieser Nacht fast erfroren wäre; er hatte ein weiteres erfahren müssen, wie es sich anfühlte nicht mehr Herr über sich zu sein. Mit 30 hätte er das alles wahrscheinlich leichter verkraftet... »Dann war ich bei dir zuhause. Besser gesagt, ich stand vor deinem Haus. Aber Lorenzos Leute hatten mich schon aufgespürt, also bin ich abgedreht und habe sie auf eine falsche Spur gelockt. Dann hab ich ein Auto geklaut und bin erst mal runter nach Baltimore gefahren.« Er hatte nicht das Bedürfnis Arthur anzulügen, was erstaunlich war. Auch wenn er vielleicht ein zwei Details ausließ, die ein paar Italiener und eine grässliche Nacht in einem Motel betrafen. Arthur Er spürte, dass er fast etwas nervös war, unwissend, wie Tom auf die Umarmung reagieren würde. Doch dieser umarmte ihn ohne zu zögern. Tom war nicht nachtragend, nicht so wie er zumindest. Es tat gut, verdammt gut. Die Hand, die über seinen Rücken strich, das leise Lachen auf seine Worte. Hatte nicht er Tom mit seinen Worten auffangen wollen? Im Moment kam es ihm irgendwie anders vor. Die Antwort ließ auch ihn leicht lachen. Ein Lächeln blieb auf seinem Gesicht, als er sich lösen wollte, Tom ansehen und etwas erwidern oder etwas sagen, was sein Misstrauen entschuldigen würde, aber er wurde nicht entlassen. Stattdessen wurde er nur noch mehr umarmt, bisher ungewohnt fest. Arthur schloss die Augen und ließ sich in die Umarmung sinken. Vielleicht war es beides: ein auffangen und ein fallen lassen. Wie hatte er einmal irgendwo gelesen (und ‚seltsamerweise‘ direkt an Tom denken müssen)? “What if I fall?“ „Oh my Darling! What if you fly?“ Seine Arme schlossen sich auch noch ein wenig mehr, eine Hand strich schließlich nach oben, tauchte in das Haar des anderen ein und kraulte leicht – wie er es so gerne tat. Er spürte die Küsse an seinem Hals – so wie Tom es so gerne tat. Sein Hals streckte sich, das rieselnde Gefühl am Rücken genießend, das er vermisst hatte. Als er die Tür des Restaurants und Stimmen hinter sich hörte, löste er sich doch und wurde nun entlassen. Während sie sich lösten, strich seine Hand den Arm des anderen hinab bis zur Hand. Einen Moment blieben sein Zeigefinger und Toms kleiner Finger ineinander, dann lösten sie sich und liefen los, um das Gespräch zu führen, das wichtig war. Arthur zog die Jacke enger um sich, während er zuhörte. Die Erinnerungen an jenen Moment, an dem Yussuf ihn angerufen hatte, waren sehr präsent. Er hätte niemals zustimmen dürfen, nach Hause zu gehen, um etwas zu schlafen. Er hätte dort sein müssen, bei ihm sein müssen, so wie all die anderen Tage zuvor. Die Tatsache, dass Tom eine Nacht in irgendeiner Gasse hinter einer Mülltonne verbracht hatte, machte alles schlimmer. Er hatte Yussufs Stimme im Ohr, die ihm versichert hatte, dass seine Leute ihn im nahen Umfeld gesucht hätten. Er hätte es selbst tun müssen. Er hätte… Arthur griff nach der Hand des anderen und ihre Finger glitten ineinander. „Es tut mir leid, dass ich nicht da war“, sagte er leise. Er hatte im Komatraum gesehen, in welcher Hölle seine Gedanken unterwegs gewesen waren. Er hatte genau davor Angst gehabt: dass jener die Alpträume mit in die Realität nahm. Er hatte dort sein wollen, um genau das zu verhindern. Als Tom fortfuhr, sah er ihn überrascht an. Er war bei ihm gewesen? Vor seinem Haus? Mit den Italienern im Nacken. Arthur selbst wäre auch weit weg gegangen, sehr weit weg, um Tom zu schützen. »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Arthur.« – so hatte er es im Flugzeug gesagt. Er verstand es – für den Moment. Nicht für 6 Wochen. Aber er wollte nicht schon wieder ungeduldig sein, wollte nicht schon jetzt ein Aber formulieren. Wie es ihm ergangen war, kam später. Das hier war kein Kreuzverhör. Baltimore… Er hatte seine Suche auf New York beschränkt. Alles andere wäre uferlos gewesen. Baltimore lag etwa vier Stunden entfernt. Jenseits von Philadelphia Richtung Washington. Ob er absichtlich an Jobs Familienwohnsitz vorbeigefahren war? Waren Lombardos Männer dort nicht sicher? Vielleicht. „Kennst du jemanden in Baltimore? Jesse?“, fragte er. Er hatte eine Woche nach dem Verschwinden mit dem Hacker telefoniert. Tom hatte gesagt, dass er zu ihm gekommen war, weil er von Jesse gewarnt worden war, dass Arthur in Gefahr sei. Ob er dort gewesen war, bei dem, der sich selbst aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte? Aber nein, jener ging ja in New York ins Rotlichtmilieu… Eames Ob er jemanden in Baltimore kannte, das war anscheinend eine berechtigte Frage. Er hatte wohl oft genug mit all seinen Kontakten und Freunden auf der ganzen Welt angegeben. Er lächelte etwas schräg, angesichts des Gedankens, was für ein Bild das alles wohl in Arthur geformt hatte. Weltenwanderer, Partylöwe, Spieler, Entwurzelter und always Center-of-attention. Klang alles viel cooler als es in Wirklichkeit war. »Nein, im Gegenteil.«, gestand er. »Ich war vorher noch nie in Baltimore gewesen.« Er haderte kurz mit sich. Entschied sich dann eine kleine Information doch für sich zu behalten, weil er vermutete, dass es Arthur wütend machen würde. Auch wenn er den Kontakt zu allen anderen vermieden hatte, hatte er versucht Dom zu erreichen. Es gab einen sicheren Informationsweg zwischen ihnen durch ein altes Forum, dass sie vor etlichen Jahren genutzt hatten und dass sie sich für eben solche Notfälle offen gehalten hatten. In der codierten Nachricht hatte er Dom gebeten Arthur zu kontaktieren, um ihm seinen Status durchzugeben, ihm zu sagen, dass er bald wieder kommen würde, sobald er alles geklärt hatte. Eine ähnliche Botschaft sollte an Yusuf gehen. Jesse würde er selbst anschreiben, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Aber Dom hatte sich nicht gemeldet. Ein halbes Jahr hatten offenbar einen Vollzeit-Daddy aus ihm gemacht und wer konnte es ihm verübeln? Die beiden Sprossen waren für ihn das wertvollste auf der Welt für ihn, erst recht nachdem Mal nicht mehr war. »Ich hab in einem Motel gewohnt und mich bedeckt gehalten, aber diese Typen haben mich trotzdem gefunden. Keine Ahnung wie sie das gemacht haben, ich bin gut darin mich zu verstecken.«, an seinem Tonfall war klar zu erkennen, dass ihn dieser Umstand beunruhigte. Vielleicht war sein Vorschuss an Glück letztendlich aufgebraucht und Karma holte sich nun seinen Arsch. »Ist aber diesmal alles heil geblieben, keine Sorge.«, negierte er Arthurs mögliche Bedenken im Voraus mit einem verschmitzten Zwinkern. »Danach habe ich Jesse kontaktiert, der mir dann von den Jungs vor deiner Haustür erzählt hat. Er hat sie ein paar Wochen beobachtet und als es ernst zu werden schien, hab ich mich in den nächsten Greyhound gesetzt.« Arthur Arthur hatte diese Frage ohne speziellen Hintergedanken gestellt, ohne wirklich darüber nachzudenken, aus dem Bauch heraus – dachte er zumindest. Tatsache war, dass er fast ein wenig erleichtert war, dass Eames wahrlich niemanden in Baltimore kannte und dort wirklich alleine gewesen war. Es irritierte ihn, diese Erleichterung. Doch er ahnte, warum es so war. Er wollte nicht immer der einzige sein, der nicht involviert war, der nichts wusste, um ‚beschützt‘ zu werden. Gleichzeitig war ihm aber auch bewusst, dass Eames die absolute Einsamkeit gewählt hatte, weil diese Mafiosi wirklich, wirklich gefährlich waren. Niemanden, so schien es, hatte jener in Gefahr bringen wollen. Dieser Gedanke beruhigte. Da war es, dieses viel zu große Herz, das er immer wieder sah und in dem er offenbar einen besonderen Platz einnahm. Er blickte auf, als eine kurze Pause entstand, so als überlegte Tom, wie er fortfahren sollte und vielleicht auch, was er noch erzählen wollte. Das waren die Momente, in denen Arthurs Alarmglocken gerne losgingen. Die Alarmglocken, die ihm sagten, dass er nur die halben Wahrheiten hörte. Er spürte seinen Würfel im Jackett, der ihn stets ermahnte, nicht zu vertrauen, um nicht wieder enttäuscht zu werden. Doch der Würfel war nicht das einzige, was er spürte. Daneben befand sich die Schatulle mit dem Schlüssel, der ihn bat, Vertrauen zu haben. Zwei Gegenstände, die unterschiedlicher in ihrer Bedeutung nicht sein könnten. Zwei Gefühle, die im Widerspruch standen. Als der andere fortfuhr, zog sich Arthurs Stirn zusammen, Tom einen Moment musternd. Ihm war nicht aufgefallen, dass jener erneut Blessuren irgendeiner Art davongetragen hatte und Tom bestätigte ihm das, so dass er sich wieder entspannte. Nun, Tom wird vorgesorgt haben, eine Art ‚Frühwarnsystem‘ eingerichtet haben. Entweder war er schneller weg gewesen, oder die Mafiosi überrascht worden. Letztlich war es egal, es war gut gegangen. Seine Hand schloss sich fester um die des anderen. Dass Jesse ihn überwacht hatte, bzw. von dem Auto vor seinem Haus gewusst hatte, überraschte ihn schon ein wenig. Aber gut. Der Hacker hatte ihm mehrmals bewiesen, dass er mehr als brillant und mehr als gruselig war. Als Tom endete, schwieg Arthur einen Moment. Er konnte ihn verstehen, in allem, was er getan hatte. Es war auch gut zu wissen, dass er ihm zur Hilfe kommen wollte. Dennoch wischte das die Wut, die er gespürt hatte, nur bedingt weg. „Dass du schwer zu finden bist“, begann er schließlich, „das habe ich auch nur zu deutlich gemerkt, in den drei Wochen, in denen ich dich gesucht und gesucht habe. Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, Kameras anzuzapfen und Daten auszuwerten. Ich… ich hatte eine Scheiß Angst, dass das Koma dein Gedächtnis beeinträchtigt hat, dass du orientierungslos irgendwo bist, dass dir weiß Gott was passiert ist. Ich habe sogar die Krankenhäuser versucht zu überwachen.“ Er lächelte matt, blickte in eine unbestimmte Ferne. Er hatte damals kaum geschlafen und sobald er mit der Arbeit fertig war, sich darangemacht, ihn zu finden. „Irgendwann hab ich kapiert, dass du vermutlich wirklich einfach gegangen bist. Das hat weh getan. Schließlich hatte ich geglaubt, dass wir eine Vereinbarung hatten.“ Er schluckte das seltsame Gefühl hinunter, das seine Stimme versuchte zu verändern. „Die größeren Zusammenhänge kannte ich nicht“, schob er etwas leiser noch nach, wie eine Entschuldigung. ‚Ferrari‘ kam ihm wieder in den Sinn. You're LA and I'm Newbury Park But you’re the flame I use when it gets dark You've got enough pain for both of us I've got all these things I'm focused on You treat all the rules like you're the queen But you and I are few and far between Ja, sie waren ‚rar‘, einzigartig, jeder auf seine ganz unterschiedliche Art und Weise. Vielleicht war das die Basis, derer er sich immer wieder bewusst werden musste. Es gab niemanden anderen, der jemals ansatzweise das gleiche für ihn bedeuten würde wie Tom – mit all den ‚Fehlern‘, all den Eigenschaften, die ihn so oft aufregten. Aber auch er selbst hatte genug an sich, was sich nicht wirklich ändern würde und den anderen aufregte. Dennoch waren sie gemeinsam hier. Arthur brachte zum Stehen und umarmte ihn, hielt ihn fest. Vielleicht war ihre Beziehung eben so: sie nervten sich gegenseitig mit ihren Macken und Eigenarten. Wenn es zu viel wurde, prügelten sie sich (wenn auch oft nur verbal) und dann war alles wieder gut. „Eigentlich bin ich erst sauer geworden, als diese Typen vor der Tür standen“, fuhr er leise fort. „Sie sagten mir letztlich, dass du lebst. Aber das bedeutete auch, dass du dich bewusst nicht melden wolltest, dass du mir nicht erklären wolltest, was los war, dass du mich mit meinen Sorgen um dich zurückgelassen hast. Ich konnte gegen die Typen nichts tun, außer abzuwarten, was geschehen würde. Ich wusste nichts, gar nichts. Und du weißt, wie sehr ich das hasse - neben dem Gefühl, dass man über meinen Kopf hinweg Entscheidungen trifft.“ Er verzog den Mund unwillig und atmete tief durch, kämpfte gegen die nervigen Emotionen an, die wieder aufgewühlt wurden. „So richtig sauer war ich dann, als mein Bruder anklopfte und mich nach dir fragte, weil ich Idiot versäumt habe, im Four Seasons richtig aufzuräumen.“ Darüber hatte er sich wirklich geärgert. Vermutlich wusste Tom das alles schon von Jesse. „Erst da war mir klar geworden, woher die Italiener überhaupt von mir wussten. Sie haben das Zimmer durchsucht und die Wanze gefunden. Daraufhin ist die Polizei auch auf uns aufmerksam geworden.“ Er dachte einen Moment nach, haderte, ob er weiter so ehrlich sein sollte. „Die Folge war, dass ich alles, was mit dir zu tun hatte, aus dem Blickfeld räumen musste. Wieder eine Wohnung haben musste, in der du nicht existent warst.“ Er wollte noch etwas sagen, schloss aber den Mund. Dass er erst da den Zustand ihres letzten gemeinsamen Abends aufgelöst hatte, war nicht wichtig. Auch nicht die Leere, die dieses Aufräumen in ihm hinterlassen hatte. „Dann tauchst du ausgerechnet dann auf, als es brenzlig wurde.“ Er hatte an diesem Tag Tom finden wollen hatte bereits einen Plan gefasst, wie er Jesse ausfindig machen konnte, um ihn sich vorzuknöpfen. Im Grunde versuchten sie sich nur gegenseitig zu schützen und litten darunter. Seine AUgen suchten die des anderen, um seinen folgenden Worten mehr Nachdruck zu verleihen. „Es wäre alles einfacher gewesen, wenn wir gemeinsam ausgemacht hätten, dass es besser war, wenn du untertauchst. Dann hättest du auch wirklich verschwinden können.“ Er ahnte, warum es Baltimore sein musste, wohin Eames geflohen war: Es war weit genug weg und doch nah genug an ihm dran. Ein beängstigender Gedanke – neben der Wärme, die dieser auch auslöste. Eames Als Arthur antwortete hielt Eames die Hand in seiner automatisch fester. Als befürchtete er ihn im Dunkel zwischen zwei Straßenlaternen zu verlieren. Er hatte geahnt, dass er Arthur durch die Hölle geschickt hatte und der neurotische Bock hatte ihn nicht enttäuscht. Drei ganze Wochen, dachte er. Solange hatte es gedauert bis Angst in Ärger umgeschlagen war. Vielleicht sollte er sich diesen Zeitraum merken... Wenn Dom nur ins Forum gesehen hätte... Er betrachtete das flache Lächeln etwas wehmütig. Der Schein der Laterne malte harte Schatten auf ihre Gesichter. Dann machte Arthur wieder den Schritt die merkwürdige Ferne zwischen ihnen zu schließen. Und er hielt ihn einfach nur fest bei sich, als befürchtete er, dass er gleich wieder verschwand, wenn er nicht aufpasste – und konnte man es ihm denn verübeln? Die süße Nähe legte sich wie ein warmer Umhang um seine Schultern. Er ließ ihn aussprechen. Ließ ihn seine Wut formulieren; all das was er ihm in den letzten Wochen nicht sagen konnte, weil er verschwunden war. Und es schmerzte ganz so, wie Eames befürchtet hatte, aber wenigstens litten sie zusammen. Zu Verschwinden hatte er als das einzig Richtige angesehen und vermutlich würde er es wieder tun, egal was Arthurs sanfte Augen ihn zwangen zu versprechen. „Es wäre alles einfacher gewesen, wenn wir gemeinsam ausgemacht hätten, dass es besser war, wenn du untertauchst. Dann hättest du auch wirklich verschwinden können.“ »Du hast Recht.«, entwaffnet. Seine Hände glitten unter Arthurs Jackett und schlossen sich um seine Taille. Durch die Berge an Klamotten zwischen ihnen war es schwer etwas zu spüren, aber die Andeutung des Gefühls war bereits berauschend. Warm war es zwischen ihnen. »Ich hätte dir das nicht antun dürfen.«, leiser. Sie waren sich ganz nah, ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Einen Moment sah er ihm in die Augen, bis sein Blick hinunter glitt, einen Moment die winzigen Muttermale wertschätzend, um an Arthurs Lippen hängen zubleiben. »Wirst du mir verzeihen?« Arthur Vieles sprach dafür, dass sich Eames bewusst war, dass er ihn mit seinem Verhalten verletzt hatte. Er ließ ihn aussprechen, widersprach nicht, lenkte nicht ein oder machte sich gar lustig über seine Ängste und Sorgen, seine Wut. Nein, er hörte zu und hielt ihn und es tat gut. Vielleicht hatte er sogar so etwas, wie ein schlechtes Gewissen? – Nun, mal lieber nicht übertreiben. Fakt war, dass er ihn hielt, als habe er Angst, er könne sich wieder von ihm distanzieren, jetzt, da Arthur über jene Wut sprach, die Tom nur vor wenigen Stunden im wahrsten Sinne des Wortes, die Pistole auf die Brust gesetzt hatte. Aber diese Wut war ja nur deshalb so groß (gewesen), weil die Sehnsucht nach dem anderen nicht weniger geworden war, weil er ihn Nacht für Nacht vermisst hatte, weil er gespürt hatte, wie er abhängig geworden war, obwohl er das doch nie für sich gewollt hatte, weil er diese Angst wieder gespürt hatte, die er nie wieder hatte spüren wollen. Die Angst davor, wieder einen Menschen zu verlieren, er ihm mehr bedeutete als alles andere auf der Welt. »Du hast Recht.« Arthur stutzte leicht, ließ sich seine Irritation aber erst einmal nicht anmerken. Er war gerade dankbar gewesen, dass er seine Wut in Worte hatte fassen dürfen. Nun war er gespannt, was Tom dazu sagen würde. Und dass jener noch nicht fertig war, sah er. – und er spürte es, als die Hände unter die Jacke, das Jackett glitten, seinen Rücken hinauf. Dass seine Gedanken abdrifteten, muss nicht erwähnt werden. Dennoch hielt er den Blick, wartend. Er biss sich sacht auf die Unterlippe, um den Mund nicht zu verziehen, löste die Arme nicht, die er um die Schultern des anderen gelegt hatte. »Ich hätte dir das nicht antun dürfen.« Nun musste er doch einiges an Selbstbeherrschung aufbringen, um ungerührt zu bleiben. Aber im Grunde war das eine seiner leichtesten Übungen. Tom versuchte gerade alles ungeschehen zu machen – auf seine ganz eigene Art und Weise. Was er ihm zugestehen musste: Eames blieb sich treu. Das beruhigte Arthur ungemein, als er feststellte, dass er ihm kein Versprechen gab, wieder kein Versprechen gab. Der Konjunktiv – das „hätte“ – war eindeutig: Das ‚Aber ich würde es wieder tun‘ schwang mit. Arthur hatte Tom einmal gesagt, dass er ihn nicht ‚einsperren‘ wollte. Genauso wenig wollte er ihn ‚verbiegen‘. Ihre Augen hingen ineinander. ‘Don't give me those eyes‘, dachte er,‘ 'cause you know me and I can't say no to you‘ Zumindest nicht mehr – aber das sollte er ihm lieber nicht sagen. Mal sehen, was er noch auspackte… Er spürte den Atem des anderen um seine Lippen spielen, sah, dass jener den Blick senkte, schließlich auf seine Lippen blickte. Das Kribbeln in seinem Bauch zeigte ihm nur zu deutlich, dass sein Körper dem Wunsch des anderen definitiv gerne nachkommen wollte. »Wirst du mir verzeihen?« Nun wanderte doch eine Augenbraue leicht hinauf. Die Hände an seinem Rücken, der treudoofe Dackelblick, diese Worte…. Eine Bitte, es noch einmal mit ihm zu versuchen, mit diesem ‚furchtbaren Menschen‘ – wie er sich einst selbst betitelt hatte. Wenn er ehrlich war, genoss Arthur diesen Moment weidlich. Es war fast ein wenig amüsant. Maybe just one more try Er kam Tom ein Stück entgegen, stoppte jedoch, bevor sich ihre Lippen berührten. Dann distanzierte er sich wieder von ihm, lehnte den Oberkörper in der Umarmung etwas zurück, so dass er Tom wieder ansehen konnte. „Die Masche zieht oft, nicht wahr?“, sagte er dann amüsiert. Wie viele Frauen (und Männer) er wohl so nochmal in sein Bett bekommen hatte? „Du hörst dich an, als seien wir verheiratet.“ Wie ein Mann, der resigniert nach einer Schimpftriade seiner Frau genau das sagte, was sie hören wollte: „Du hast recht! Es tut mir so leid! Bist du wieder lieb zu mir? Versöhnungssex, ja?“ Es war kein Ring gewesen, vorhin im Restaurant – aber ein Schlüsselring. Ein Grinsen lag auf seinen Lippen, als er sich vorbeugte, sich zu Toms Ohr beugte. „Weißt du, Honeybunny!“, sagte er mit dunkler, rauer Stimme. Ob er ihm jemals einen ernstgemeinten Kosenamen geben würde? Vermutlich fror eher die Hölle zu. „Ich hab immer recht. Vielleicht begreifst du das doch irgendwann mal.“ Er biss ihm strafend ins Ohrläppchen, küsste es dann jedoch entschuldigend. „Danke“, hauchte er dann leise. „Danke, dass du keine Versprechen gibst, die du nicht gedenkst einzuhalten.“ Er meinte das wirklich ehrlich. Denn wenn er aus der Situation etwas gelernt hatte, dann dass Tom wirklich versuchte, aufrichtig zu ihm zu sein. Es wäre ein leichtes zu lügen und ihm zu versprechen, dass er es nie wieder tun würde, dass er sich immer verabschieden würde etc. Aber er tat es nicht. Er belog ihn nicht. Denn beide wüssten sie, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Die Unverbindlichkeit war wichtig, um verzeihen zu können. „Sag es dir nicht weiter, sonst wirst du noch größenwahnsinniger, als du es eh schon bist. Aber ich fürchte, dass ich dir schon längst verziehen habe“, sagte er nun und löste sich vom Ohr des anderen, blickte ihm in die Augen. Erst jetzt küsste er ihn, versiegelte die Lippen des anderen mit seinen. Sanft, zärtlich, nur kurz - voll unterdrückter Sehnsucht. Es fiel ihm schwer, sich wieder zu lösen. „Lass uns ins Hotel gehen und dich von dem grässlichen Hemd befreien und mich verfluchen, dass ich auf zwei getrennte Betten bestanden habe.“ Eames Als Eames erwachte, standen sie im Stau kurz vor der italienischen Grenze. Ein Luftzug wehte ihm einen leichten Benzingeruch um die Nase; Arthur hatte offenbar das Fenster geöffnet. Er rieb sich durchs Gesicht und reckte die müden Knochen. Sein Nacken schmerzte aufgrund der äußerst ungünstigen Schräghaltung in der er nun eine ganze Weile verweilt hatte. Er sah zu Arthur herüber, der freiwillig die erste Schicht beim Fahren übernommen hatte. Wahrscheinlich wollte er noch einmal das unbegrenzte Geschwindigkeitslimit in Deutschland ausnutzen, ehe sie wieder weg waren. Etwas wie Neid keimte in Eames, als er feststellte, dass Arthur weitaus frischer aussah, als er selbst sich fühlte. Die Wiedersehensfreude war groß in der vergangenen Nacht gewesen. Dementsprechend wenig Schlaf hatte Eames bekommen. Außerdem hatte er Arthur ja noch beweisen müssen, dass seine Performance mit zusammengewachsenen Rippen und ohne (nennenswerten) Einfluss von Substanzen, natürlich viel eindrucksvoller war – kein Vergleich zu ihren ersten malen in New York. Im Nachhinein war er froh gewesen, dass er das Massageöl aus dem Four Seasons und genug Kondome eingepackt hatte. Danach hatten sie dann versucht zusammen in einem der kleinen Betten zu schlafen. Das Einschlafen war für Eames auch nicht das Thema gewesen. Darin war er ungeschlagen. Das Problem war eher, dass sie schrecklich eng aneinander lagen und die Sehnsucht so groß gewesen war, dass er mitten in der Nacht mit dem nächsten Vollständer aufwachte. Und Arthur war offenbar in Ordnung damit durch einem Blowjob geweckt zu werden, egal wie ungünstig die Stunde war. Nun saß Arthur trotzdem im Fahrersessel und sah nicht maßgeblich erschöpft aus. Unfair. »Wenn wir drüben sind übernehme ich.«, beschloss er. »Dann kannst du dich bis Verona ausruhen.«, so oder so war es sicherlich nicht schlecht, wenn sein Partner auch etwas Ruhe bekam. Immerhin hatten sie noch einiges vor. Er hatte einen Termin mit einer Bekannten ausgemacht, die ihm bereits zwei mal beim Waffenkauf in Europa unterstützt hatte. Verona war einer ihrer wichtigsten Umschlagsorte; dort hatte sie Connections, Immobilien, Einfluss. Sie würden maximal einen Tag auf ihre Waren warten müssen; bei dem guten Wetter war das wohl zu verschmerzen, dachte er. Arthur Dass er wenig Schlaf bekommen würde, hätte er von Anfang an geahnt. Aber er hatte es aus anderen Gründen angenommen. So war es aber definitiv besser. Den wenigen Schlaf, den er bekam, und der auch noch auf so angenehme Weise unterbrochen worden war, war weit erholsamer gewesen, als all jene Nächte, in denen er sich kn seinen Gedanken verworren herumgequält hatte. In Eames‘ Armen zu schlafen, verschaffte ihm ungeahnte Ruhe; erholsame Ruhe. Er war recht bald aufgestanden, aufgewacht von den unbekannten Geräuschen (Kuhglocken?), hatte geduscht und Tom schließlich rausgeworfen, damit sie zügig losfahren konnten. Er genoss es wirklich, die noch ziemlich leere Autobahn, die Geschwindigkeit, das Gefühl von Ruhe und den Glückshormonen im Blut, die bei den Gedanken an die vergangene Nacht gewiss nicht weniger wurden. Nichtsdestotrotz arbeitete er, während Eames die atemberaubende Landschaft der Alpen verpasste. Er diktierte seinem Handy jene Liste, die Tom sich gewünscht hatte. Eine Liste mit Munition, Waffen, einfachen Sprengstoff und ein paar Zaubermitteln, die für Effekte sorgen könnten. Mal sehen, was sie brauchen würden. Kohle hatte er genug für dergleichen Spielereien. Und wie gesagt: er war der Trickser. Als sie beim Brenner im Stau standen, kam in Tom wieder Bewegung. Arthurs Lächeln, das die ganze Fahrt nicht gewichen war, wurde zu einem Schmunzeln, als Tom ihn zerknautscht ansah. „Ist gut“, sagte er. „Ich hab dir eine Liste zusammengestellt“, sagte er und öffnete sein Handy, um es Tom zu reichen. „Schau mal drüber. An wen soll ich sie schicken?“ Kurz hatte er gezögert. Aber Tom wird schon nicht seine Mails lesen... eine aktuelle Nummer hatte er nicht von ihm. Eames Er nahm das Handy entgegen und ließ sich Zeit beim Lesen der Liste. Der Blick, den er Arthur danach zuwarf, war bewusst nachdenklich, fast skeptisch. War er Schuld daran, dass Arthur in der Lage dazu war solche Dinge zu tun? Oder hatte er nur all die Jahre nicht bemerkt, dass er von vorn herein so war, wie er war? Er dachte an ihr Gespräch in New York zurück. Mit 16 hatte er sein erstes Leben genommen. Wie viele waren gefolgt? Wollte er bewusst all diese Leben auslöschen? Wenn er diese Liste so betrachtete war er durchaus darauf aus so einige in den Tod zu stürzen. Er fragte sich, ob er überhaupt berechtigt daran glauben durfte Arthur zu kennen. Eames selbst hatte gemordet. Das erste mal auf Befehl und danach war nichts mehr so wie zuvor. Er wüsste gern, welche Wandlung in Arthur stattgefunden hatte. Vielleicht würde er es bald herausfinden. »Ausreichend.«, kommentierte er bloß. Eames griff nach hinten auf die Rückbank in seine Reisetasche und fummelte mit etwas Mühe ein kleines Notizbuch mit dunkelbraunem Lederumschlag heraus. Er blätterte eine Weile darauf herum, bis er fand was er suchte. »Ich schreibe unserer Kontaktfrau eine E-Mail.«, erklärte er, tippte auf Arthurs Handy herum und fand schnell die gewünschten Funktionen. Simultan studierte er weiter das kleine Heftchen in der anderen Hand. »Wir benutzen zwar eine Verschlüsselung, aber ich werde die Email trotzdem gleich aus dem Ausgang löschen. Sollte Concetta dir je zurückschreiben... lösch die Nachricht ungelesen. Sie ist immer der Meinung man sei ihr was schuldig, auch wenn man bezahlt hat.« Äußerst anstrengend diese Frau, erinnerte Eames irgendwie an seine Mutter, was an sich schon gruselig genug war. Arthur Arthur beobachtete, wie Eames die Liste studierte. Den kritischen Blick begründete er darin, dass Tom sicher mehr Erfahrung in dem Bereich hatte als er und jener durchdachte, ob er an alles gedacht hatte. Als er dann aber aufblickte und ihn so… musternd ansah, wurde er unsicher. Hatte er die Menge falsch berechnet? Hatte er die falschen Waffen ausgesucht? Er hatte wirklich versucht, an alle Eventualitäten zu denken. Schließlich wussten sie noch nicht wirklich, wohin ihre Reise gehen würde, wo jener Endpunkt sein würde, an dem sie die Waffen brauchen würden. Ob er etwas übersehen hatte? Das „ausreichend“ wirkte seltsam, Arthur nickte aber. Es würde ‚reichen‘… Nun das hoffte er, dass es das würde. Genervt tippte er leicht mit dem Zeigefinger gegen das Lenkrad. Klare Aussagen wären ihm lieber. Die Kolonne setzte sich in Bewegung, während Eames nach seiner Tasche angelte und ein kleines Büchlein herauszog. Arthur bezahlte die Maut über den Pass und endlich konnten sie wieder Fahrt aufnehmen. Hin und wieder blickte er hinüber, während Tom in dem Notizbuch blätterte. Als sich Tom erklärte, wurde eines der vielen Rätsel um Thomas Eames gelöst. Arthur hatte sich schon oft Gedanken darüber gemacht, wie Tom so oft untertauchen konnte, ohne je wirklich den Kontakt zu seinen Leuten zu verlieren. Er wusste gar nicht, wie oft er Eames Nummer in seinem Handy geändert hatte, wie oft er mit unbekannten Daten kontaktiert worden war. Während er an seiner Nummer hing und sich davor hütete, wem er sie gab (also die seines privaten Handys), schien es Tom immer egal zu sein, ob er eine Woche später noch unter der Nummer zu erreichen war, die er einem gegeben hatte. Zudem schien er keinen großen Wert darauf zu legen, sich Dinge (wie Hotelzimmernummern oder gar Telefonnummern) wirklich langfristig merken zu wollen – außer es ging ums Geschäft. Das Büchlein erklärte jedoch einiges. Immerhin ein Verbindungspunkt für ihn mit denen, die ihm wichtig waren, und damit war dieses Büchlein vermutlich sehr wichtig für ihn. Er nickte die Mail ab, blickte dann aber irritiert, als er den Hinweis hörte, was das für Folgen haben könnte. Zwei Dinge irritierten ihn. Einmal, dass es eine Frau war, bei der sie die Waffen bekommen würden. Zum anderen der Nachsatz. Dass er die Mail löschte, war schon irgendwie ok. Es war Toms Kontakt und ihn ging es vermutlich nichts an. Das respektierte er. Aber wieso gab sich die Frau nicht mit der Bezahlung zufrieden? „Klingt, als wäre sie an mehr als nur finanzieller Bezahlung interessiert“, sagte er aus dem Bauch heraus, ohne weiter darüber nachzudenken. Erst dann wurde ihm bewusst, dass das vielleicht wirklich so war. Bezahlen mit Naturalien? Oder einer Gegenleistung? Er blickte nicht zu Tom, auch wenn er den dringenden Wunsch in sich spürte, ihn zu mustern, die Reaktion zu sehen. Lieber nicht. „Vielleicht verlangt sie auch nur eine Verabschiedung, nachdem sie dir geholfen hat…“, schob er hinterher. Er hatte ihm verziehen. Das bedeutete aber nicht, dass er es verdaut hatte. Die Fahrt nach Verona kam ihm mit einem Mal weniger unbeschwert vor, als noch zuvor. Conchetta klang anstrengend. Eames „Klingt, als wäre sie an mehr als nur finanzieller Bezahlung interessiert“ Er zog die Augenbrauen in die Höhe und nickte in Gedanken verloren. Concetta war ein gieriges Biest. Sie leistete exzellente Arbeit und das wusste sie. Deswegen war sie immer der Meinung noch mehr verlangen zu dürfen, als der Riesenhaufen Kohle, den sie bei jedem Verkauf kassierte. Er sperrte Arthurs Smartphone und legte es in einer sicheren Mulde im Armaturenbrett ab. Kurz hatte er überlegt einen Blick auf SMS und E-Mails zu werfen (irgendwo in seinem Hinterkopf meldete sich das eifersüchtige Monster, dass befürchtete Arthur hatte ihn in den sechs Wochen Abwesenheit bereits betrogen), sparte sich allerdings diesen Vertrauensbruch für ein andermal auf. Auf Arthurs nächste Aussage hin, musste er lachen. »Sure, darling.« Er hatte den mentalen Seitenhieb durchaus gespürt. Vielleicht hatte er das ja verdient. Beschweren durfte er sich jedenfalls nicht, nachdem Arthur in der vergangenen Nacht das Kriegsbeil begraben hatte. Nachdem sie die Grenze überwunden hatten, wandelte sich die Landschaft allmählich und der typische, mediterrane Touch rief Urlaubsgefühle in Eames wach. Er vermisste es sehr stundenlang in der Sonne am Pool, am Meer oder auf seiner Dachterrasse zu liegen und nur aufzustehen, wenn die Natur nach ihm rief. Auch das Spielen im Casino vermisste er und irgendwie auch das zwanglose Flirten mit Fremden an Hotelbars. Letzteres wunderte ihn sogar ein bisschen. Er hatte irgendwie gehofft, dass sein ewiges Suchen nach dem nächsten bedeutungslosen Fick ein Ende gefunden hatte, nun da er Arthur für sich gewonnen hatte. Auf einer gewissen Ebene stimmte das wohl auch. Immerhin war er sich zu 100% sicher, dass er niemals jemanden so sehr lieben und wollen würde, wie Bambi; mittlerweile auf dem Beifahrersitz. Alles andere war jedoch noch nicht in Stein gemeißelt. »Du kannst wählen: Pizza in irgendeiner Touristen-Bude, oder Pasta bei Concetta.«, nachdem sie an einem Schild vorbeigefahren waren, dass Verona in 20km ankündigte. Arthur Sie wechselten die Seite bei Bozen. Die Strecke wurde langsam langweilig. Weniger gekurvt, nur noch zweispurig. Die italienischen Autobahnen waren ohnehin nervig. Die Mittelleitplanke war so nah an der Spur, dass das Schnellfahren anstrengend war, besonders wenn man die unendlich vielen Lastwagen überholte, die in einer Karawane die rechte Spur blockierten. Arthur steckte sein iPhone wieder ein. Ob Ariadne sich gemeldet hatte, würde er später nachsehen. Er würde sich heute wieder Zeit zum Arbeiten nehmen. Es gab zu viel zu tun. Erst einmal schlief er jedoch etwas und erwachte erst, als Tom bereits die Autobahn verlassen hatte und die breite Zufahrtsstraße Richtung Verona entlangfuhr, die auch von Lkws bevölkert war und an der entsprechend die Nutten am Straßenrand Spalier standen. Das Landschaftsbild hatte sich komplett verändert. Die Berge lagen weit hinter ihnen, es war monoton eben und die Landschaft war vollkommen zersiedelt. An den Straßen reihten sich freistehende Häuser oder Reihenhäuser, die durch ein Gewirr an Stromkabeln miteinander verbunden waren. Ein riesiges Einkaufszentrum ragte majestätisch aus der Häuserflut des Speckgürtels von Verona. Es war einfach nur hässlich hier- fand Arthur. Verona selbst - zumindest die antike gemischt mit mittelalterlicher Innenstadt - würde wieder schöner sein. »Du kannst wählen: Pizza in irgendeiner Touristen-Bude, oder Pasta bei Concetta.« Arthur blickte zu Eames und dachte einen Moment nach. Pest oder Cholera, hm? Aber auf Touristen hatte er so gar keine Lust. „Pasta“, entschied er daher. Dort gab es sicher das bessere Essen und den besseren Espresso. Sie mussten um die Altstadt herumfahren, schließlich parkte Tom den Wagen. Arthur stieg aus und streckte sich leicht. Die Etsch floss eingebettet unterhalb der Straße, der Blick fiel auf eine schöne Brücke, die hinüber in die Innenstadt führte. Die Arena befand sich auf der anderen Seite der Innenstadt. Hierher verirrten sich daher wenige Touristen. Wollte jemand auf dem Hügel St Pietros, an dessen Fuß sie geparkt hatten, fuhren sie meist mit dem Bus hoch und liefen nicht. Der Wagen wurde verschlossen, dann liefen sie zur Brücke und über sie hinweg. Die Innenstadt durften nur die Anwohner befahren. Es war warm und Arthur fühlte sich automatisch wohl. Trotz der teilweise recht verwahrlost wirkenden Fassaden, dem Dreck auf den Straßen, den Katzen, die mehr tot als lebendig wirkten, Klappergerüste, die in der Sonne sich räkelten. Wärme hatte er viel zu lange nicht genossen. Um diese Jahreszeit waren sie Temperaturen genau richtig. Alles in allem konnte Concetta gar nicht so schlimm sein, dass ihm das Gefühl von Wohlbehagen abhandenkommen würde. Tom führte ihn zu einem kleinen Platz jenseits der Brücke, in dessen Mitte eine hohe Edelkastanie stand. Im Grunde war der Platz von Autos zugeparkt, in einem Straßencafé saßen drei alte Männer und beobachten das Geschehen. Sie gingen auf eine Tür zu. „Trattoria di Maria“ stand darüber skeptisch betrachtete Arthur die Tür, die so gar nicht nach Restaurant aussah. Mittlerweile hatte sogar er Hunger. Als sie näherkamen, bemerkte er die vielen Aufkleber in einem Fenster, durch die auf diverse Preise und Auszeichnungen hingewiesen wurde, die das Restaurant gewonnen hatte. Sie betraten einen Raum, in dem Tische und Stühle eng beieinander aufgestellt worden waren. Schwere weiße Tischdecken lagen auf den Holztischen. An den Wänden etliche Bilder und Mariendarstellungen, umrahmt von Plastikblumen. Hinter einem Tresen reihten sich diverse Flaschen Alkoholika und Wein. Es roch verführerisch, aber es war niemand zu sehen. Stimmen drangen aus dem hinteren Bereich, wo eine breite Tür auf eine Terrasse führte. Eames ging direkt dorthin weiter, Arthur folgte. Im verwunschen wirkenden und eingewachsenen Hinterhof saßen Leute an den Tischen, aßen und unterhielten sich im gewohnten italienischen Singsang. Kinder lachten, aßen, spielten. Einige Blicke richteten sich auf sie, dich die meisten aßen einfach weiter. Eames Das lange Sitzen machte ihm gar nichts, bloß hätte auch er lieber weiter in der angenehmen, schaukelnden Wärme gedöst, als sich aufs Fahren zu konzentrieren. Das Bedürfnis nach einem kleinen Helfer für die Konzentration war stark. Doch statt dieser unschönen Marotte nachzugehen, half er sich erst einmal mit einer Dose Energy von der nächsten Tankstelle. Von dort kaufte er auch einen dicken Stapel Schokoladentafeln und ein paar Tulpen. Gelbe, orange, weiße und eine einzige Violette, die er lose zusammengebunden und unkommentiert auf der Rückbank ablegte, während Arthur friedlich auf dem Beifahrersitz schlummerte. Die „Trattoria di Maria“ lag inmitten eines dichten Gewirrs aus kleinen Straßen. Nicht ganz leicht den Laden wiederzufinden, aber Concetta legte es schließlich auch nicht unbedingt darauf an für jeden sichtbar zu sein. Vor der Tür war der Geruch himmlisch und Eames freute sich bereits auf ein paar klassische Spaghetti und einen guten Wein. Große Teile der Innenhofgemäuer waren mit Weinreben zu gewuchert. Die teilweise überdachten metallischen Tische und Stühle waren merklich alt, aber gepflegt und hatten dadurch ihren ganz eigenen Scharm. Eine junge Frau, sie trug eine eng anliegende Jeans, die ihrem großen, runden Hintern schmeichelte, eine schwarze, kurze Schürze und ein schwarzes T-Shirt, drehte sich zu den Ankommenden um und erstrahlte förmlich. Sie hatte offenbar den Versuch unternommen sich mit Smokey-eyes und viel Kajal älter wirken zu lassen; ihr breites Lächeln konnte ihr wahres Alter jedoch nicht zur Gänze verbergen. 17, wenns hochkam, und wenn sich Eames richtig erinnerte. Sie kam auf die beiden zu und grüßte Eames mit Küssen auf die Wangen und einem gesungenen: »Ciao, Mister Eames.«, dabei fiel auf, dass sie ein bis zwei Zentimeter größer war, als die beiden Männer. Er reichte ihr den kleinen Strauß Tulpen, sie begeistert quietschend entgegennahm. Bei Arthurs Anblick wirkte sie höflich, zurückhaltend und es machte den Anschein als errötete sie unter der dünnen Puderschicht, die sie im Gesicht trug. Vielleicht genierte sie sich etwas. »Buongiorno.«, grüßte sie ihn höflich und reichte ihm die Hand. »Vi va di mangiare qualcosa?« »English please.«, bat er die junge Damen. Er wusste immerhin nicht, wie gut es um Arthurs Italienisch stand und er wollte ihm nicht das Gefühl geben aus irgendetwas herausgehalten zu werden. Jedenfalls nicht in diesem Moment. »So sorry, ich dachte er wäre Italiener!«, rief die Kleine aus und lachte. Ein wunderbarer Klang. »Er ist so gut angezogen!«, bemerkte sie kokett, als wäre Arthur gar nicht anwesend. Sie sprach mit starkem Akzent, aber langsam und verständlich. Braves Mädchen. Eames ließ diese Vermutung grinsend unkommentiert. »Wo ist deine Mutter, Marcella?« Als hätten diese Worte sie heraufbeschworen tauchte eine kleine Frau neben ihnen auf. Sie war aus der Tür getreten, die von einem bunten Sonnenschirm verdeckt, in der Nähe einer Sitzecke, vom Hof abging und hatte einen Blick drauf, der einen ausbrechenden Vulkan einfrieren ließe. »Ihr seid viel zu früh.«, beschwerte sie sich. Sie musterte Arthur, dann Eames strengen Blickes. Bemerkte dann die letzten Tulpe in Eames' Hand, die Violette, während sie etwa zeitgleich den Strauß an hellen, fröhlichen Farben in den Händen der Kleinen entdeckte. »Flirtest du wieder mit meiner Tochter? Wenn du sie schwängerst, bring ich dich um.«, knurrte sie düster. Ihre Englisch war nahezu akzentfrei. Sie reichte Arthur ebenfalls die Hand, ihr Griff war fest, aber ihre Haut war bemerkenswert weich und warm. »Concetta Parisi. Ich schätze mal die E-Mail war von dir.« Arthur Es fühlte sich ein wenig so an wie früher, wenn Patricia ihn zu einer Party mitgeschleift hatte, auf der er niemanden kannte (und meist auch kennen wollte). Irgendwie fühlte man sich immer fremd und deplatziert, egal wie freundlich die Menschen waren. Arthur ließ es sich gewiss nicht anmerken, dafür war er zu professionell. Aber innerlich nervte ihn die Situation zunächst. Die junge hübsche Frau, die ihnen entgegenkam und Eames so herzlich begrüßte, war vermutlich noch minderjährig. Man sah ihr an, dass sie der Pubertät noch nicht ganz entwachsen war. Dass Tom ihr Blumen überreichte, wunderte ihn ein wenig. Arthur war klar, dass das nicht Concetta sein konnte. Bei so einem jungen Ding hat er gewiss nicht vor ein paar Stunden Sprengsätze, Munition, Schnellschusswaffen und ähnliches Zubehör bestellt – und wenn doch, würde er Eames die Hölle heiß machen. Doch die junge Dame freute sich sichtlich über die Blumen. Dass eine zurückbehalten wurde, war ein weiteres Indiz, dass sie noch nicht bei Concetta angelangt waren. Die großgewachsene Italienerin blickte Arthur an, begrüßte ihn und er ergriff ihre Hand, um den Gruß zu erwidern. So viel verstand er dann noch. Aber bevor er etwas sagen konnte, bat sie Tom bereits, Englisch zu sprechen. Langfristig gesehen sicher einfacher, dennoch schob er nun ein „Bon giorno“, nach und lächelte sie höflich an, wobei das Lächeln blieb, als sie ihren Irrtum zugab und bemerkte, dass er gut angezogen war (wobei es nicht schwer war, neben Eames diesbezüglich hervorzustechen). Ja, wie früher auf den Partys. Da hatte man auch gern neben ihm über ihn gesprochen… Sie zu berichtigen oder auf das ‚Kompliment‘ einzugehen, kam ihm nicht in den Sinn. Wieso auch? Je weniger man voneinander weiß, desto besser ist es. „Kein Problem“, war das einzige, was er entgegnete, bevor sein Partner nach der Mutter des Mädchens fragte, die vermutlich Concetta sein würde. Die Frau, die nun die Bühne betrat, kam Arthur nun schon wesentlich mehr wie jemand vor, bei dem er eine Söldner-Truppe mit Todeswerkzeug ausstatten konnte. Es schien ihm fast, als bliebe die Welt für einen Moment stehen. Der Blick war durchdringend und bestimmt. Der Mann, der sich glücklich schätzen konnte, eine Tochter wie Marcella zu haben, hatte hinsichtlich seiner Frau sicher gar nichts zu lachen – falls es denn einen Vater gab – zumindest hätte der gewiss nicht die Hosen an. Unter dem musternden Blick verschwand das Gefühl des Deplatziert-Seins dem Gefühl, als ungenügend empfunden werden zu können. Erstaunlich, welche natürliche Ausstrahlung diese Frau hatte. Jetzt verstand Arthur, was Eames im Auto gesagt hatte. ‚Sie ist immer der Meinung man sei ihr was schuldig, auch wenn man bezahlt hat.‘ Arthur hatte das Gefühl, ihr jetzt schon etwas schuldig zu sein, obwohl sie noch gar nicht ins Geschäft gekommen waren. Er streckte das Kinn etwas, nahm noch mehr Haltung an. Im Grunde ließ er sich seine Nervosität nie anmerken. Dass er sie spürte, wunderte ihn dennoch. Der Kommentar hinsichtlich der Blumen, ließ ihn innerlich schmunzeln. Der Tonfall machte Arthur definitiv klar, dass sie Eames wirklich den Arsch aufreißen würde. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass diese Drohung für den Forger sicher der beste Anreiz war, dennoch mit Marcella bis zum Äußersten zu flirten. Nun, vielleicht hatte er Glück und er ersparte ihm das zumindest dieses Mal. Er ergriff die gereichte Hand und nickte. „Arthur Moore“, stellte er sich wie gewohnt vor. „Die Liste kam von mir, die Mail hat Eames von meinem Account verschickt.“ Besser man sorgte da für Klarheit. Menschen, bei denen man Waffen kaufen konnte, wussten gerne, wer zu ihnen Kontakt aufnehmen konnte und wer nicht. „Entschuldigen Sie bitte, dass wir so früh da sind. Der Verkehr war überraschend wenig, so dass wir schneller vorankamen, als erwartet. Ich hoffe, es macht Ihnen keine Umstände.“ Er lächelte charmant. Nun, wenn er in Deutschland nicht so sehr aufs Gaspedal gedrückt und die Geschwindigkeit genossen hätte, wären sie sicher später gekommen. „Man könnte aber fast annehmen, dass mich der Hunger so zügig hierhergetrieben hat. Denn das Essen riecht betörend…“ Essenstechnisch war es in jedem Fall besser gewesen, gleich hergekommen zu sein – sofern sie auch von Concetta etwas zu essen bekämen. Alles andere würde sich zeigen. Eames Eames schmunzelte, während er Arthur und Concetta beobachtete. Er hatte sofort erkannt, dass sie ein Raubtier war und verhielt sich entsprechend respektvoll. Genau der Umgang, den sich die Königin gern gefallen ließ. Sie zog einen ihrer Mundwinkel spitz in die Höhe, sonst regte sich in ihrem Gesicht nichts, während Arthur sprach. Marcella war während der Unterhaltung vollkommen verstummt und sah mit der Andeutung eines Lächelns aufmerksam zwischen Arthur und ihrer Mutter hin und her. So als erwartete sie jederzeit einen Befehl. Auch Eames verhielt sich ruhig. Sicherlich kannte er Concetta besser, aber er vertraute Arthurs diplomatischen Fähigkeiten. »Keine Umstände, mit denen wir nicht umgehen können.« Sie gab ihrer Tochter eine wortlose Anweisung, indem sie mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung nickte. Die „Kleine“ (eigentlich die größte Person in der Runde) machte sich sofort daran einen Tisch in der Ecke mit Besteck, Gläsern und eine Karaffe mit Wasser auszustatten. Den Blumenstrauß hatte sie auf einem kleinen Beistelltisch zwischengelagert. Ihr Blick wanderte wieder zu Eames und schien dabei wieder eine Spur abfälliger zu werden. Sie griff nach der einzelnen Tulpe in seiner Hand und roch daran. »Blumen von der Tankstelle. Tz tz tz.«, stellte sie trocken fest, als hätte sie es geahnt. »Setzt euch. Meine Mutter macht euch Pasta. Wenn ihr gegessen habt, besprechen wir alles weitere.« Arthur Offenbar hatte er den richtigen Ton getroffen und Arthur entspannte sich etwas, als er die Andeutung eines Lächelns auf den Lippen sah. Na, das klappte doch ganz gut. Ein wenig Honig, ein Touch Demut, eine Prise Seriosität – das würde hoffentlich passen. Er nickte und lächelte dankbar, als sie seine Entschuldigung annahm und dem Wunsch nachkam, dass sie etwas zu essen bekämen. Sein Lächeln wurde etwas breiter, als er sah, dass Concetta von der Blumenmasche nicht beeindrucken ließ – sehr sympathisch diese Frau. Wieso quietschte man, wenn man Grünzeug bekam? Noch dazu von der Tankstelle… Ob Tom seine Blumen auch an der Haltestelle des Greyhounds gekauft hatte? Vermutlich. Arthur setzte sich und blickte Concetta kurz nach, die nach innen ging, um offenbar etwas zu essen für sie zu ordern. Dann ließ er seinen Blick über den Hinterhof gleiten, sofern man etwas sah. Es war idyllisch. Schließlich sah er Eames wieder an. Wie er wohl auf Concetta gekommen war? Arthur griff zu der Karaffe und schenkte ihnen Wasser ein. „Wir sollten den Wagen loswerden“, sagte er nun. „Und vielleicht wäre es gut, Jobs von hier zu kontaktieren, mit der Aussage, dass eine größere Waffenlieferung nach Süden transportiert wird. Das gibt ihm etwas Zeit zu entscheiden, was er tun wird.“ Er trank einen Schluck. „Ich vermute, Concetta ist in der Branche bekannt.“ Eames Er nickte zustimmend. „Loswerden“, im Sinne von „bei der nächsten Station zurück geben“, oder? Sie waren ja keine wilden Tiere und der Wagen war ohnehin nicht auf echten Namen geliehen. Auch er schüttete sich etwas Wasser ein und trank, während Marcella bereits eine kleine Vorspeise zu Tisch brachte. Da Concetta wieder aus dem Hinterhof verschwunden war, taute auch die Kleine wieder etwas auf und plapperte in ihrer melodischen Zwitscherstimme. Sie widmete sich allerdings schnell wieder den anderen Gästen. Unter anderem einer Gruppe älterer Herren, die Marcellas Aufmerksamkeit und ihren Service sehr zu schätzen wussten. »Jesse wird das für uns übernehmen.«, führte er Arthurs Gedanken nahtlos fort. Die Information an Jobs weiterzuleiten war der erste Schachzug in dem Manipulationsspiel, das sie sich ausgedacht hatten. Er schnappte sich ein Häppchen und sprach weiter, nachdem er den ersten Bissen fast heruntergeschluckt hatte: »Concetta... hm, sie ist bekannt. Ich weiß, dass Lombardo bereits bei ihr gekauft hat. Würde mich auch nicht wundern, wenn Beretta sie kennt. Aber wir sollten uns hüten ihren Namen für unsere Zwecke zu benutzen.«, dabei hatte er die Stimme etwas gesenkt, damit Marcella (erweiterte Augen und Ohren) nichts mitbekam. Er beobachtete das schönen, jungen Mädchen und fuhr fort: »Sie ist keine Freundin.« Es hatte eine Zeit gegeben, wo er geglaubt hatte, dass er mit der Lady so etwas wie einen „guten Status“ erreicht hatte – wo man sich gegenseitig auch mal einen Gefallen tat, oder in die Bresche sprang. Was Concetta betraf hatte er auf dem harten Weg lernen müssen, dass manche Menschen mit harter Schale auch einen harten Kern haben. Arthur Arthur nickte. Es war wirklich gut, dass sie Jesse auf ihrer Seite hatten. Er wüsste zu gerne, wer der Typ wirklich war. Aber dass er ihn je zu Gesicht bekäme, bezweifelte er stark. Eames war in jedem Fall überzeugt, dass der Hacker auf ihrer Seite war und das machen wird. Hatte er schon mit ihm kommuniziert? Oder hatte er das im Vorfeld schon geklärt? War ja auch egal. Hauptsache der Plan ging entsprechend auf. Arthur nahm sich ein Stück Brot und tunkte es ins Olivenöl. Er möchte den leicht herben Geschmack und auch das seltsam ungesalzene Brot. Dass Concetta bekannt war, registrierte er mit einem leichten Nicken. »Sie ist keine Freundin.« Arthur reagierte erst einmal nicht, so als habe Eames nichts gesagt, aß noch etwas von den marinierten Zucchini. In Gedanken ging er die Situation von eben durch. Im Grunde bedeutete dies einiges: Zum einen - Marcellas überzogenes Verhalten war unter Umständen absolut berechnend. So wie sie auf Anweisungen gewartet hatte, wusste sie genau, wie der Hase lief. Ihre jugendliche Naivität, die sie vor sich herzutragen schien, war ein gutes Ablenkungsmanöver zur Gewinnung von Informationen - und gewiss auch Verkaufstaktik. Zum anderen - Concetta selbst würde ihnen keine Sicherheit bieten, keine Rückendeckung. Im Grunde mussten sie davon ausgehen, dass sie ihnen zu nichts verpflichtet war und damit bereits jetzt auch auf feindlicher Linie stehen und gegen sie arbeiten könnte. Wenn sie nicht aufpassten, könnte sie ihr Schicksal entsprechend besiegeln. Sie mussten vorsichtig sein, was sie sagten und wie sie mit ihr umgingen. Ja, es ergab alles ein Gesamtbild. Auch dieses Gefühl, das sie vermittelte, und das Tom bereits im Auto angekündigt hat, passte dazu. Geschickt, aber gefährlich. „Das ist richtig gut“, sagte er und deutete auf die Vorspeise, als Marcella ihnen den Wein hinstellte. Er schenkte ihr ein naives Lächeln. „Molto gustoso!“, fügte er hinzu, etwas falsch akzentuiert. Ein weiteres Lachen erfüllte den Raum. „Warte nur auf die Pasta!“, sagte sie verheißungsvoll. „Sie kommt gewiss bald.“ Dann tanzte sie wieder durch die Tische davon. Arthurs Lächeln erstarb und er sah erst jetzt wieder Eames an. „Dann sollten wir umso vorsichtiger sein und das alles möglichst zügig und möglichst lukrativ für sie über die Bühne gehen lassen!“, reagierte er nun endlich auf die Warnung. Auch er konnte jemanden spielen, den man unterschätzte. In Gedanken fügte er ein: ‚Umso wichtiger, dass wir Spuren verwischen und falsche Fährten legen.‘ hinzu. Die Pasta, die ihnen Marcella alsbald mit einem Lächeln servierte, war wirklich sehr gut, ausgesprochen gut. Arthur ging, während er aß, in Gedanken die Waffenliste durch und überlegte, welche Rückschlüsse man auf ihre Pläne aus ihr ziehen könnte. Vielleicht hätten sie nicht alles über einen Kontakt nehmen sollen. Hätte er vorher gewusst, wie die Situation war, hätte er es anders gemacht. Hätte, hätte.... Im Auto war er zu wenig bei der Sache gewesen, um das zu hinterfragen - zumal er Eames vertraut hatte, dass der Waffendeal ohne Probleme klappen würde. Klar war aufgrund der Liste jedenfalls, dass die Menge an Munition und Waffen nur für eine kleine Gruppe ausreichend war, was die Italienerin sicher auf sie beide schließen lassen wird. Vielleicht sollten sie bei Gelegenheit einstreuen, dass sie nach Venedig weiter wollten, um ihre Spuren zu verwischen. Zudem sollten sie wirklich darauf achten, dass Concetta finanziell gesehen keinen Grund hatte, unzufrieden zu sein. Sicher sah sie sich keinem gegenüber so verpflichtet wie dem Geld, das sie erhielt. „Wo schlafen wir heute Nacht?“, fragte er unvermittelt, aus seinen ratternden Gedanken auftauchend. Eames Natürlich hatte Arthur erkannt, dass Marcella, trotz ihrer engelsgleichen Art, genauso sehr mit Vorsicht zu genießen war, wie ihre Mutter. Als Eames die Kleine das letzte mal gesehen hatte, war sie 13 gewesen und hatte bereits mit einem Fuß im Business ihrer Mutter gestanden. Außerdem war sie damals längst nicht so trainiert gewesen. Kampfsport war schon immer ihre Leidenschaft gewesen, aber die feine Andeutung eines Bizeps und die athletische Statur, die sie unter ihren langen Haaren zu verstecken zu versuchte, waren neu. Alles deuteten darauf hin, dass Concetta nichts dem Zufall überließ und ihre Kleine auf die harte Welt ihres Geschäfts bestens vorbereitete. Wie sich dieser Druck wohl mit pubertären Hormonschwankungen vertrug? Auch Eames tat sich gütlich an den kleinen Leckereien und natürlich an dem Wein, den er genüsslich schwenkte und in großen Schlücken genoss. Die Pasta hielten natürlich auch was sie versprachen. Allein wegen des Essens sollte es niemanden wundern, wieso sich Eames immer wieder wochenlang nach Italien und Sizilien zurückgezogen hatte. Arthur hatte Recht, die Sache sollte so sauber wie möglich laufen, um ihnen weitere Komplikationen zu ersparen. Er konnte sich gut vorstellen, dass Concetta zu einer Gefahr für die ganze Mission werden konnte, wenn sie nicht zufrieden war, oder den Verdacht hegte, dass sie einen Feldzug gegen einen ihrer besten Kunden führten. Allerdings war dies keins der Themen, die man in Marcellas Hörweite besprechen sollte. »“Lady Capulet Apartments“?«, antwortete er verschmitzt. Den Namen dieses Hotels hatte er bereits vor Wochen in bei einer kurzen Google-Suchen gefunden und auf seine Agenda geschrieben, wenn er Verona das nächste mal besuchte. »Ich zieh mein bestes Negligee an und warte im Zimmer, während du den Balkon hoch kletterst, wie klingt das für dich?« Sie speisten, Marcella füllte ihre Gläser und nach einer guten halben Stunde, holte Concetta sie ab, um mit ihnen in ihrem privaten Büro über Geschäftliches zu sprechen. Der Raum war klein und grenzte an die Küche. Es roch nach Gewürzen, gutem Öl und Tomatensauce. Die Hocker, auf denen Arthur und Eames platz nehmen durften, waren wackelige Konstruktionen, die selbst den vornehmsten Geschäftsmann in eine unelegante Pose zwang. Concetta dagegen thronte auf einem Sessel, der stark an die Designs ihres wohlbekannten Architekten und Möbeldesigners Charles Eames erinnerte. Unbezahlbar so ein Teil, aber es hätte Eames nicht verwundert, wenn er echt gewesen wäre. Bei ihrem Einkommen.... »Drei Tage. Zwei, wenn ihr auf die Extra-Munition verzichtet. Und 10.000 im Voraus. Euro natürlich, nicht euer amerikanisches Spielgeld.«, forderte sie und ihre Miene verriet, dass sie keine Widerrede duldete. Arthur Arthurs Augenbraue wanderte einen Moment nach oben. Lady Capulet Apartments? War das sein Ernst? Er zögerte und musterte Eames eingehend, ob er ihn nur verarschte oder das wirklich der Wahrheit entsprach. Doch das Schmunzeln dieses romantischen Narren ließ leider keinen Zweifel zu: es war sein Ernst. [i ]»Ich zieh mein bestes Negligé an und warte im Zimmer, während du den Balkon hochkletterst, wie klingt das für dich?« Arthurs zweite Augenbraue wanderte nach oben, unschlüssig, was er darauf sagen sollte. Er legte die Gabel hin, die er sich eigentlich eben zum Mund führen wollte, dann verzog er den Mund zu einem aufgesetzten Lächeln. „Na, wenn es dein bestes sein wird, dann möchte ich mal nicht so sein“, erwiderte er trocken, während das Lächeln zuckersüß werde. „Vielleicht pfeiff ich auch wie die Nachtigall – bevor ich dir in den Arsch trete.“ Tz, dieser Kerl. Arthur war froh, dass er genug Körperspannung hatte, dass er auf diesen erniedrigenden Hockern (im wahrsten Sinne des Wortes) dennoch einigermaßen Haltung annehmen konnte. Beim Wein hatte er sich zurückgehalten. Trinken konnten sie später noch, wenn alles in trockenen Tüchern war. Er kannte seine Liste. Er hatte geglaubt, sie gingen sie noch einmal durch. Aber Concetta kam direkt zum Geschäftlichen. Nun, sie wusste, wie man verhandelte. Aber er auch. Arthurs Miene blieb regungslos. Drei Tage? Zu lange, definitiv. Und das wusste sie auch. Im Grunde durften sie sich gar nicht so lange an einem Ort aufhalten. Es war zu unsicher für Tom. Zwei Tage ohne Extra-Munition. Nö. Er lächelte unvermittelt. „Das dauert uns zu lange“, sagte er direkt. „Das Geld wäre kein Problem.“ Er zuckte mit den Schultern. Dann blickte er zu Tom und zückte das iPhone, so als wolle er gleich telefonieren, wenn er den Raum wieder verlassen hätte. „Gut, dass Antonio die Sachen hat. Auch wenn der Umweg über Mailand uns einen halben Tag kosten wird. Geht schneller, als wenn wir hier zwei Tage zu lang festsitzen.“ Ja, er hatte Tom gefragt, ob er jemanden hätte. War ja aber nicht so, dass er sich nicht auch informiert hätte. Und auch wenn er Concetta nicht kannte, wusste er von einem Waffenhändler in Mailand – Antonio Fernale. Vermutlich war das direkte Konkurrenz zu Concetta. So weit war Mailand nicht von Verona entfernt. Er stand auf. „Wir sollten gleich losfahren.“ Eames Da sie zuvor nicht ein Sterbenswörtchen über einen Antonio Fernale gesprochen hatten, musste Eames davon ausgehen, dass Arthur bluffte. Deswegen schwieg er, hielt sich zurück, tat kurz so, als tangierte ihn diese Diskussion nur zaghaft. Concetta lachte trocken. Es klang wie eine alte Raspel. »Sicher, fahrt zu Antonio.«, sie machte eine abfällige, wegwerfende Geste. »Dort bekommt ihr sofort irgendetwas. Sein Geschäft ist Quantität, nicht nicht Qualität. Die letzten Kunden, die ich an Antonio verloren habe, sind drauf gegangen, weil ihnen die Waffen in den Händen explodiert sind.« Auch sie tat cool, als machte es ihr ganz und gar nicht aus, dass die beiden dabei waren zu gehen. »Wie wäre es mit Folgendem...«, sie machte eine kurze Pause, in der sie selbst nachzudenken schien. Ihre Miene regte sich jedoch noch immer nicht. »Ihr wartet einen Tag. 20 Stunden, um genau zu sein. Dafür erhebe ich einen Aufschlag von 40% für Expresslieferung und ihr erledigt eine Kleinigkeit für mich hier in der Stadt. Ist das ein Angebot?« Da Arthur seine Strategie hatte, hielt sich Eames zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den reglos strengen Blick nachdenklich. Arthur Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er die Reaktion der Italienerin sah und hörte. Das Horrorszenario, das Concetta zeichnete war fast abzusehen gewesen. Aber es zeugte davon, dass sie sie unbedingt als Kunden behalten würden. Das gab ihm Sicherheit. Dann lenkte sie auch schon ein. Arthur hob die Hand, schien über das neue Angebot nachzudenken. Was ihm definitiv nicht schmeckte: sie sollten etwas hier erledigen. Im Grunde durften sie nicht auffallen, Tom sollte nicht auffallen. „Maximal 20%“, erklärte er, so als sei das sein letztes Wort. „Um welche ‚Kleinigkeit‘ handelt es sich?“ Noch hatte er nicht zugesagt. Gesetzt hatte er sich auch nicht wieder. Eames Ob Concetta das neue Angebot von 20% schmeckte oder nicht, ließ sie nicht nach Außen dringen. »Ihr treibt Geld für mich ein.«, antwortete sie schlicht. »Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen. Er besitzt eine Bar im Parco delle Colombare. Wenn er nicht zahlen kann, nehmt einfach ein bisschen den Laden auseinander. Dürfte für euch ja kein Problem sein.« Arthur Arthur schwieg, überdachte den Plan. Er hasste so etwas. Nicht unbedingt nur die Handlung selbst - die auch - vor allem das Kurzfristige. Allerdings war da dieser Nebensatz, der ihn kitzelte und seine Entscheidung bereits festgelegt hatte. ‘Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen.‘ Arthur ging ein solches Verhalten gegen den Strich, selbst wenn es nur gemeint wäre im Sinne von „Der Typ nimmt Frauen als Geschäftspartner in diesem Metier nicht ernst.“ - was Arthur stark vermutete. Angesichts der Tatsache, dass sie nicht auffallen sollten, war es aber dämlich, sich auf so etwas einzulassen. Arthur blickte nun zu Eames. „Was meinst du?“, fragte er. Tom konnte die Situation sicher besser einschätzen. Eames Eames atmete hörbar ein und aus. Die altbekannte, nachdenkliche Grube zwischen seinen Augenbrauen war wieder aufgetaucht. »Machbar.«, gestand er zu. Er hatte kein Problem damit irgendwelche Arschlöcher zu verprügeln. Oder zumindest den Anschein von gewaltsamen Konsequenzen zu erwecken. Eigentlich machte ihm das sogar Spaß, weil ihn das ein wenig an alte Gangster-Filme aus der Prohibition erinnerte. Al Capone, die Kray-Brüder und Konsorten. »Was schuldet er dir?« »13.000. Ich würde selbst gehen, aber ich bin damit beschäftigt eure Liste abzuarbeiten.«, der Hauch eines Lächelns umspielte ihre schmalen Lippen. »Dann sind wir wohl im Geschäft.«, schlug Eames vor, der seinen Blick wieder Arthur zugewandt hatte, um ihm die Möglichkeit eines letzten Wortes zu lassen. Arthur Arthur nickte leicht, nachdenklich. Na gut, dann degradierten sie sich eben zu Handlangern. Er wusste schon, warum er das Dream-Sharing bevorzugte, um an Geld zu kommen. Es war weniger dreckig. Irgendwie lagen ihm die Spaghetti im Magen. „Gut, dann 10000€ Anzahlung, das Restgeld mit 20% Aufschlag und die 13000€, wenn wir in 20 Stunden unsere Sachen bekommen“, fasste er zusammen. Als sie wenig später wieder bei ihrem Wagen ankamen, atmete Arthur tief durch. Sie hatten noch auf 25% verhandelt. Er hat die Anzahlung via Handy direkt überwiesen. Dann waren sie gegangen. Arthur zündete sich schnell eine Zigarette an. Sein Blick glitt über die Häuserfassaden am gegenüberliegenden Ufer. „Lass uns den Wagen abgeben und etwas anderes besorgen. Wenn wir im Hotel sind, besprechen wir, wie es weitergeht, ok?“ Er brauchte eine kurze Pause, um seinen Unmut loszuwerden. Mit einem neuen Wagen, den sie gebraucht gekauft hatten, parkten sie schließlich vor dem Lady Capulet Apartments. „Es gibt gar kein Rosengitter“, stellte Arthur bedauernd mit einem Blick die Fassade hinauf fest. „Zu schade…“ Das schmucke italienische Eckhaus unweit der Arena, in dem sie diese Nacht verbringen würden, bot mehr Luxus, als es Arthur erwartet hatte. Schade eigentlich, dass sie rein geschäftlich hier waren. Der Point Man ließ sich auf dem Sofa nieder und packte seinen Laptop aus, um sich ein wenig über ihr ‚Ziel‘ zu informieren. Er wusste, dass Eames so etwas nicht brauchte. Und im Grunde wusste er auch, dass ihr ‚Dienst‘ für Concetta dessen Sache war – so wie er das vermutlich schon mal in ähnlicher Weise für sie oder andere gemacht hatte. Für sich brauchte er das Recherchieren, und die Zeit für sich selbst, die damit einherging. Außerdem konnte er auch gleich mal schauen, ob Ariadne ihm etwas geschickt hatte oder jemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Vielleicht lenkte ihn das von seiner miesen Laune ab. Eames Arthur nickte leicht, nachdenklich. Na gut, dann degradierten sie sich eben zu Handlangern. Er wusste schon, warum er das Dream-Sharing bevorzugte, um an Geld zu kommen. Es war weniger dreckig. Irgendwie lagen ihm die Spaghetti im Magen. „Gut, dann 10000€ Anzahlung, das Restgeld mit 20% Aufschlag und die 13000€, wenn wir in 20 Stunden unsere Sachen bekommen“, fasste er zusammen. Als sie wenig später wieder bei ihrem Wagen ankamen, atmete Arthur tief durch. Sie hatten noch auf 25% verhandelt. Er hat die Anzahlung via Handy direkt überwiesen. Dann waren sie gegangen. Arthur zündete sich schnell eine Zigarette an. Sein Blick glitt über die Häuserfassaden am gegenüberliegenden Ufer. „Lass uns den Wagen abgeben und etwas anderes besorgen. Wenn wir im Hotel sind, besprechen wir, wie es weitergeht, ok?“ Er brauchte eine kurze Pause, um seinen Unmut loszuwerden. Mit einem neuen Wagen, den sie gebraucht gekauft hatten, parkten sie schließlich vor dem Lady Capulet Apartments. „Es gibt gar kein Rosengitter“, stellte Arthur bedauernd mit einem Blick die Fassade hinauf fest. „Zu schade…“ Das schmucke italienische Eckhaus unweit der Arena, in dem sie diese Nacht verbringen würden, bot mehr Luxus, als es Arthur erwartet hatte. Schade eigentlich, dass sie rein geschäftlich hier waren. Der Point Man ließ sich auf dem Sofa nieder und packte seinen Laptop aus, um sich ein wenig über ihr ‚Ziel‘ zu informieren. Er wusste, dass Eames so etwas nicht brauchte. Und im Grunde wusste er auch, dass ihr ‚Dienst‘ für Concetta dessen Sache war – so wie er das vermutlich schon mal in ähnlicher Weise für sie oder andere gemacht hatte. Für sich brauchte er das Recherchieren, und die Zeit für sich selbst, die damit einherging. Außerdem konnte er auch gleich mal schauen, ob Ariadne ihm etwas geschickt hatte oder jemand versucht hatte, ihn zu erreichen. Vielleicht lenkte ihn das von seiner miesen Laune ab. Arthur Ariadne hatte tatsächlich geschrieben. Sie brauchte Zahlen von ihm, schickte eine ganze Liste mit Fragen, die es zu entscheiden galt. Zudem bat sie ihn um ein Telefonat, damit sie wisse, ob es ihm gut ginge. Er schickte ihr verschlüsselt eine Nachricht, dass alles gut wäre und er die Fragen alsbald beantworten würde. Dann machte er sich daran, über jenes Restaurant im Parco delle Colombare mehr heraus zu bekommen. Aber wie immer war das in Italien nicht so einfach. Letztlich hatte er Fotos und Bilder, wusste immerhin, wie derjenige aussehen würde, dem sie die schlechten Manieren austreiben sollten. Als er die Badezimmertür hörte, blickte er auf die Uhr. Seine Laune war noch immer nicht besser, eher im Gegenteil. Der leichtbekleidete Mann nervte ihn mit seiner bloßen Anwesenheit, seiner Ruhe, seinem ‚Ist doch alles egal!‘. Gleichzeitig fragte er sich, warum er sich wegen Concetta überhaupt aufregte, wegen diesem Zusatz an Arbeit, der laut Eames sicher ein... Arthur blickte nicht auf, als jener zu reden begann. Und da war es auch schon das Wort: Kinderspiel Arthurs Kiefer knirschte - nichtehelichen als der Bildschirm seines MacBooks umgeklappt wurde. Eilig wechselte er das Programm und drückte er die Tastenkombination, die Speichern würde, was Ariadne ihm geschickt hatte. Dann blickte er finster auf, zunächst nicht die Finger von der Tastatur nehmend. genießen...?! Arthur duckte sich unter dem Versuch eines Kusses weg, zog seinen Laptop an sich und stand auf, um ihn wegzupacken. Der Kerl hatte Nerven! „Genießen kann ich den Tag erst, wenn wir diesen Scheiß hinter uns gebracht haben“, entgegnete er knapp. Wieder kam in ihm die Frage auf, was genau ihn daran störte. Er war schließlich hier unterwegs, um einige Leben auszulöschen. Was störte ihn dann an blutigen Nasen? Vermutlich der Fakt, für wen er es tat. Er entschied gerne selbst. Eames Er hatte ja ein wenig damit gerechnet abgewiesen zu werden. Arthur war bereits den ganzen Tag angespannt... dabei war noch überhaupt nichts passiert! Und das eigentliche Schauspiel lag noch in berechenbarer Ferne, also wieso nicht kurz inne halten? Er stützte sich auf der Lehne der Couch ab, um nicht vollends nach vorn zu fallen und schürzte unzufrieden die Lippen. Herausgefordert trappelte Eames dem Stressmeister hinterher, stellte dabei die Flasche im Vorbeigehen auf dem Wohnzimmertisch ab. Er packte seinen Liebsten von hinten an der Hüfte und streichelte mit den Daumen über die fühlbaren Spitzen seiner Hüftknochen, während sich seine Finger mit sanftem Druck in seine Leisten drückten. »Ich helf' dir dich zu entspannen.«, hauchte er in Arthurs Nacken, als hätte er nicht gehört was dieser gesagt hatte und drückte sich von hinten an ihn. Arthur Arthur haderte mit sich. Sollte er duschen gehen? Darauf drängen, den Job hinter sich zu bringen? (Wobei es dafür vermutlich einfach zu früh am Tage war - wobei sie dann weniger Schaulustige und Querschläger hatten - Er hasste es!) Oder sollte er auch ein Bier trinken und wirklich etwas runterkommen? Als er Eames hinter sich hörte, wollte er sich zu ihm umdrehen, um ihm anzubieten, nach einer Dusche mit ihm etwas die Stadt anzuschauen, als er schon die Hände an seiner Hüfte spürte, die Finger seine Leiste entlangtasteten fühlte, den Körper des anderen an seinem Rücken, die Lenden an seinem Gesäß... Eames Atem rann über die Haut in seinem Nacken. Arthurs Mund verzog sich unwillig, seine Zungenspitze leckte gereizt über seinen Eckzahn, während er schnaubte, sich drehte und Eames mit dem Ellbogen eine in die Seite verpasste, ihn von sich stieß. „Lass das!“, fauchte er. „Mir ist ganz und gar nicht danach. Hörst du mir nicht zu, Arschloch?“ Ja er war wütend. Unabhängig davon, dass er die vergangene Nacht (und auch die Autofahrt) noch in den Knochen spürte - er hatte gerade so absolut keine Lust auf dergleichen Entspannung. Nicht, wenn sein Kopf ganz woanders war. “Ich will mich nicht entspannen. Ich will diesen Scheiß hinter uns bringen, für diesen verfickten Drachen. Danach sehen wir weiter.“ Eames Er gab einen überraschten Laut von sich, als Arthur ihn in den Rippen traf und ließ unverzüglich von ihm ab. Er hielt sich die empfindliche Stelle einen kurzen Moment, auch wenn er genau wusste, dass die Knochen nicht so schnell wieder brechen würden. In anderen Situationen hätte er diesen Move noch als Vorspiel gewertet, aber unter diesen Umständen und in Anbetracht dieses gefährlichen Untertons Arthurs Stimme... Er knurrte etwas, das wie »Bloody bastard...« klang und wandte sich mit leicht gekrümmter Haltung von Arthur ab. »Hab verstanden.«, gab er zum besten und machte eine abwinkende Geste mit der Hand, während sich ein spitzes Lächeln auf seinen Zügen formte. Er richtete sich wieder auf, während er langsam zu der hölzernen Treppe ging, die in den Schlafbereich hinaufführte. »Geh schon mal duschen, damit wir los können. Ich besorg's mir selbst in der Zeit.« Das Handtuch glitt ihm achtlos von den Hüften, während er die Stufen hinaufstieg. Arthur Nein, Mitleid hatte er keines, während er den anderen anfunkelte. Zum Glück hatte der von ihm abgelassen, veranstaltete jetzt aber dieses alberne Possenspiel, so als habe er ihn wirklich schmerzhaft erwischt. Fasst wäre ihm ein „Stell dich nicht so an, Mimose!“, rausgerutscht. Aber er wollte es sich dann doch nicht ganz mit Eames verscherzen - ok, das bereute er sogleich, als er den Fluch hörte. (Dass er ihn gerade selbst beschimpft hatte, war ihm dabei nicht präsent) Eine Mischung aus amüsiertem Lachen und genervtem Schnauben entwich ihm, währender dem schönen Rücken hinterhersah, der sich langsam wieder zu ganzem Stolz aufrichtete und ihm zu verstehen gab, dass er es sich bereits verscherzt hatte. Gerade als er sich abwenden wollte, um... irgendwas zu tun, hörte er den Kommentar. Einen Moment erstarrte er. So genau konnte er gar nicht sagen, wie diese kleine nachgebildete Statue von der Kommode in seine Hand kam. Sie flog jedenfalls dem anderen hinterher Richtung Treppe (wo sie zerschellte) - zusammen mit einem: „Ja, geh und fick dich selbst! Dann hab ich wenigstens meine Ruhe vor dir, du elendiger Scheißkerl! Kannst ja an deine so liebreizenden Marcella denken!“ Das „Hurensohn!“, schob er leiser hinterher, während er zum Bad stapfte und in eben diesem verschwand. Dort blickte er sich missmutig um. „Wie schaffst du es nur, immer so ein beschissenes Chaos zu hinterlassen?!“, fluchte er laut. Das Wasser lief lange über sein Gesicht, bevor er nicht mehr das Gefühl hatte, ganz dringend auf irgendwen einschlagen zu wollen. Aber vielleicht sollte er sich genau dieses Gefühl aufbewahren für das, was sie nun erledigen sollten. Zum Glück hatte er sich schon vorher etwas zum Anziehen zurechtgelegt. Hätte er hoch gemusst, wäre er vermutlich lieber nackt geblieben. So aber trat er schließlich geduscht und angekleidet aus dem Badezimmer, ging zu seinem Koffer und schnallte sich den Waffengurt um, in dem er zwei hineinstecken konnte, was er danach auch tat. „Ich wäre dann soweit“, erklärte er halblaut. Den Kommentar, der ihm noch auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Eames Er war fast oben, als irgendetwas laut scheppernd unter ihm zerbrach und ihn zusammenfahren ließ. Ein rascher Blick auf die unteren Stufen verriet ihm, dass Arthur der Kragen geplatzt war – die verbale Attacke folgte auf dem Fuße. »Oh, danke für die Erinnerung, darling!«, warf er provokant zurück und hoffte sehr, dass sie sich noch ein wenig streiten und angreifen würden. Wenn die Versöhnung so wie letzte Nacht würde, lohnte es sich. Eine Sekunde später hörte er allerdings schon die Badtür zuknallen und weitere höchst amüsierende Flüche. Tja, interessante Frage, die Arthur da stellte. Das Chaos verfolgte ihn offenbar, aber wichtiger zu klären war doch wohl: wer von beiden die größere Klatsche weg hatte. Er hatte ein Hemd mit Paisleymuster gewählt von dem er wusste, dass Arthur es hasste. Jetzt plötzlich Frieden zu stiften lag ihm fern, immerhin hatte Arthur ihn abgewiesen (das tat seinem Ego nicht gut)! Vollkommen bekleidet kam er die Treppen wieder herunter und ignorierte die Scherben großzügig, die unter seinen Schuhsohlen knirschten. »Ich wäre dann soweit« »Bist du sicher?«, er überblickte den Raum gespielt argwöhnisch; hatte ein wenig von einem Sitcom-Moment, der nur darauf wartete, dass jemand die Taste für Klatschen und Lachen drückte. »Der Großteil vom Zimmer ist doch noch heil.« Sie fuhren, auch wenn sie wahrscheinlich kurz vor einem weiteren Ausbruch standen, als sie an der Hotelrezeption vorbei liefen. Schließlich hoben sie ihren Ärger für Signore Davoli auf und fuhren mehr oder weniger schweigend zum Parco delle Colombare. Eames würde sich schon noch revanchieren, dachte er. Der Schuppen hatte noch nicht geöffnet und sah aus, als könnte er eine Grundsanierung gebrauchen. Einige Dachziegel waren herabgefallen und lagen zerdeppert auf dem Vorhof. Sie waren nur halbherzig beiseite gefegt worden, um den Gästen einen sicheren Zugang zur Bar zu ermöglichen, welche nach außen hin vergittert war, solange geschlossen war. Das breite Getränkeangebot war dahinter zu erkennen und sah mit bunten Lichtern, Plastikblumen und Marienstatuetten geschmückt. Es gab Stühle und Tische, die auf einer hölzernen, aufgequollenen Außenterrasse zwischen aufklappbaren Sonnenschirmen standen. Der Innenbereich schien weitaus kleiner zu sein; wozu auch wenn das Wetter meistens gut war? Trotz des relativ ungepflegten Looks, eine Bar in die sich Eames unter normalen Umständen gern für ein paar Stunden mit Sonnenhut und Zeitung gesetzt hätte, um sich gemütlich einen hinter die Binde zu kippen. Vielleicht Blickkontakt mit potenziellen One-Night-Stands aufzubauen; Urlaub eben. Bei den warmen Temperaturen hatte er die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und trug eine gelbbraune 80er Jahre Sonnebrille, die wahrscheinlich straight aus einer Folge Magnum kam. »Anscheinend sind wir zu früh.«, stellte er fest und verkniff sich den vorwurfsvollen Unterton – immerhin wären sie wahrscheinlich genau pünktlich gewesen, wenn sie sich noch ein bisschen im Hotel bespaßt hätten. Arthur »Bist du sicher? Der Großteil vom Zimmer ist doch noch heil.« Arthur überging den Seitenschlag geflissentlich. Nein, er würde sich nicht gleich wieder provozieren lassen. Gelassen drehte er sich ihm zu, wollte ihm einen gleichgültigen Blick zuwerfen, der aber bei weitem nicht so gelang, als er Eames ansah. Der soeben im wahrsten Sinne des Wortes ‚heruntergespülte‘ Unmut war quasi im selben Moment wieder da. Dieses Hemd! Das war pure Absicht. Er hätte in der Zeit, als Tom untergetaucht war, alle Hemden von ihm verbrennen sollen! Das wäre die Gelegenheit gewesen! Arthur ließ sich jedoch nichts anmerken, überprüfte den Sitz seiner Waffen und zog dann das Jackett darüber, so dass man sie nicht direkt sah. „Der Rest folgt später - wenn es so weitergeht“, sagte er trocken und verließ das Apartment. Arthur hatte Eames fahren lassen (er hatte beim Autokauf ja auch einfach selbst bestimmt, welcher Wagen es sein sollte) und die Fahrt über aus dem Seitenfenster geblickt. Nun stiegen sie vor einer Bruchbude aus – verglich man mit dem Haus, in dem Concettas Restaurant vorzufinden war. Allein daran merkte man, wer hier in der Stadt besser dastand. Dafür, dass hier Touristen eine Einnahmequelle sein könnten, war es wirklich schäbig. ‚Da passt wenigstens das Hemd her‘, dachte er im Stillen bei sich, während er Eames vor sich hergehen ließ, der zur Terrasse ging und sich ein Urteil bildete, ob jemand da war. Arthur blickte sich um. Ein zucken an der Gardine, ein Wagen in der Hofeinfahrt, der zur Hälfte auf den Bordstein ragte und nicht mehr in die Einfahrt zu passen schien, generell ein Hinterhof. „Oder genau richtig“, knurrte er. „Lass uns mal in den Hinterhof blicken. Ich wette, da werden wir fündig.“ Ohne auf Eames Antwort zu warten, ging er zu eben jenem Auto, ein kleiner Fiat, schäbig wie die Bar aber die Musikanlage war erneuert worden, die Boxen ließen vermutlich das ganze Auto vibrieren. Davor stand ein schnittiger Alfa Romeo mit roten Ledersitzen und getönten Scheiben, weshalb der Fiat wohl nicht weiter hatte vorfahren können. „Ich denke, wir sind nicht der einzige Besuch.“ Er blickte Tom fragend an. Der Alfa zeugte von Wohlstand, der in etwas anderes als in die Bar gesteckt wurde. Der Fiat wirkte wie von einem jungen Handlanger, der ihnen Ärger bereiten könnte. Das Fenster über ihnen ging auf und eine aufgebrachte Frauenstimme ergoss einen Schwall Italienisch über ihnen. Vermutlich, was sie hier machten und ob sie sich verlaufen hätten. Arthur verstand kein Wort und blickte zu Eames. Seine Scheiße – sollte er doch zusehen, wie sie weiterkämen. Eames Auf den einen oder anderen Seitenhieb würde Eames nicht verzichten können, aber auch er war lang genug um Geschäft, um professionell zu sein, wenn er musste. Er schob die Hände in die Hosentaschen, während die fette, goldene Armbanduhr an seine linken Handgelenk noch immer gut sichtbar herausragte. Sein Point Man machte ihn auf die Autos aufmerksam; ein guter Hinweis. Vielleicht war Davoli nicht allein, das war unbedingt zu berücksichtigen. Die Frau, die von oben auf sie herab plapperte lenkte Eames jedoch von den Fahrzeugen ab. Er hatte etwas Schwierigkeiten jedes einzelne Wort der Dame – er schätzte sie auf Anfang-Mitte-40, trotz ihrer Make-up-Bemühungen – zu verstehen, aber der Kontext war klar: dass sie sie zu Tode erschreckt hatten, weil sie um so eine komische Uhrzeit im Innenhof herum schlichen und dass sie gar nicht erst nach Maria fragen sollten, schließlich wäre sie vergeben und das sei auch gut so! Eames lächelte charmant und erklärte ihr in geschmeidigem Italienisch, dass sie Signore Davoli suchten. Während er auf Arthur und sich deutete, gab er ihr zu verstehen, dass sie da waren, um ihm bei der geplanten Restauration seines Lokals zu helfen und dass sie die reizende Dame sicherlich nicht währen der Mittagsruhe stören wollte. Wo er bei Arthur versagt hatte, schien er zumindest bei dieser etwas ärmlicheren Version von Donatella Versace zu punkten. Sie bat die Herren zu warten und kaum war sie vom Fenster weggetreten war ihr Geplapper dumpfer, von etwas weiter aus ihrer Wohnung zu hören. Eames tauschte einen Blick mit seinem Kollegen und nickte ihm selbstsicher zu, ehe er seinen Blick wieder nach oben richtete. Die Lady kehrte zurück und verwies die beiden, es doch einmal von hinten zu versuchen. Der Laden habe einen Hintereingang, den man durch den Hof erreichen könnte. Erst jetzt viel Eames auf, dass ein violettes Veilchen auf ihrer Wange thronte; deswegen die ganze Schminke. Eames bedankte sich und gemeinsam bahnten sie sich ihren Weg. »Wenn er nicht auf unsere Forderungen reagiert, knüpfe ich ihn mir vor. Ich brauche dich, wenn er Schwierigkeiten macht.«, dabei deutete er mit zwei Fingern auf die Stelle an der Arthur seine Waffe im Holster trug. Insgeheim hoffte er jedoch, dass dies nicht notwendig sein würde, aus zwei Gründen, um genau zu sein. Der erste war simpel: er war aufgestachelt genung um Signore Davoli so richtig die Wurst warm zu machen. Selbst wenn er im Augenblick ruhig wirkte, brodelte es in ihm und er spürte, wie sich sein Nacken versteifte. Der andere Grund lag etwas tiefer, vielleicht zum Teil unbewusst, aber es fiel ihm noch immer schwer sich Arthur in der Rolle des Geldeintreibers vorzustellen. Er hatte das Gefühl noch immer nicht abgelegt ihm noch viel beibringen zu müssen... »Sind wir d'accord?« Arthur Immerhin schien Eames zu versehen, was die Frau überschwänglich von sich gab. Arthur musterte währenddessen ungerührt ihr Gesicht und die Worte Concettas kamen ihm erneu in den Sinn. ‚Der Mann hat keinen Respekt vor Frauen.‘ In gewisser Weise hatte es etwas Gutes, dass er noch immer wegen Eames geladen war – er hatten den Moment, in dem er unüberlegt seiner Wut freien Lauf ließ, bereits hinter sich. Nun hatte er sich wieder unter Kontrolle, in Erwartung darauf, einen Grund zu bekommen, kontrolliert seine Wut zu entladen. Als die Frau nach Innen verschwand, wunderte sich Arthur. Seine Hand hob sich etwas, bereit, seine Waffe zuziehen, falls sie gleich unangenehm aufgefordert werden würden, zu gehen. Doch die Italienerin kehrte ans Fenster zurück, so als habe sie nur überprüfen wollen, ob ihr Mann in der Wohnung war. Als Eames sich ihm zuwandte, runzelte er leicht die Stirn. War jener sich so sicher, dass die Frau nicht durchschaute, was sie hier zu tun gedachten? Er wusste ja nicht, was Eames gesagt hatte, aber es musste wohl gut durchdacht gewesen sein, wenn jener so zuversichtlich war. In diesem Moment kehrt sie zurück. Entweder die stark geschminkte Frau war eine gute Schauspielerin oder aber sie war wirklich unbedarft, was ihre Anwesenheit betraf. Offenbar sollten sie den Hintereingang benutzen. Arthur folgte vor die viel genutzte Tür, die um den Türgriff ziemlich Farbe gelassen hatte. Er war versucht, bereits jetzt die Pistole zu ziehen. Irgendwie vertraute er einer Frau, die im Zweifel wieder geschlagen wurde, falls sie ihrem Mann in den Rücken fiel, nicht. Als Eames sich ihm noch einmal zuwandte, zog sich seine Stirn kraus. Nett von ihm, dass jener nicht wollte, dass er sich die Hände schmutzig machte! Doch er hörte nur zu gut wieder den leisen Ton des „Lass das mal den Groß(artig)en machen!“ heraus? Aber wenn der Kerl Schwierigkeiten machte, dann durfte er ihn heraushauen, oder wie? Arthur überlegte einen Moment, zuckte dann mit den Schultern. „Wenn du meinst“, entgegnete er nur. Lieber nicht jetzt das Diskutieren anfangen. Lieber hinterher aufs Butterbrot schmieren – schmeckte meistens besser. Er nicke in Richtung Tür: nach dir! Die Tür quietschte etwas in den Angeln, führte sie zunächst in einen schmalen Flur, von dem einige Türen abgingen. Die Küche ging direkt als erstes zu Seite weg. Alles blieb ruhig. Wo das Klo war, roch man ziemlich eindeutig. Doch sie folgten den Stimmen, die aus einem Raum am Ende des Flurs zu kommen schienen. Arthur meinte drei verschiedene ausmachen zu können. Der typische italienische Singsang, bei dem man nicht genau wusste, ob die Männer sich gleich umbringen würden oder dabei waren, sich um den Hals zu fallen. Einen Moment blickten sie sich an, dann öffnete Eames die Tür... Im Grunde ging es sehr schnell. Anstatt dass sie eine Gruppe Männer antrafen, die gemeinsam beieinanderstanden und sich unterhielten, trafen sie auf drei Männer, die ihnen die gezückten Waffen entgegenhielten. Also hatte sie dort oben doch Alarm geschlagen. Arthur hatte bereits seine eigene Waffe in der Hand, blickte abwartend von einem zum anderen. Ja, er wusste, weshalb er solche Aktionen hasste. Eames Eames' Ausdruck war ehrlich überrascht, als ihm die Fremden ihre Kanonenläufe entgegen hielten. Er hob die Hände, aber nicht in Kapitulation, sondern eher in souveräner Schlichtung. »Kommen wir gerade ungelegen?«, fragte er nonchalant und bedeutete Arthur, mit einer raschen Bewegung seiner rechten Hand und einem eindringlichen Blick, die Waffe zu senken. Wären sie jetzt in einem Traum wäre es leicht ihm die Schuld für das Schlamassel zugeben. In der wirklichen Welt musste er leider geradestehen. Der kleine in der Mitte, dessen Haar sich ab der Stirn aufwärts zu verflüchtigen begann, passte auf Davolis Beschreibung. Die anderen beiden wirkten wie die obligatorischen Cousins, die man sich einlud, wenn man Stress erwartete. Ein hagerer Kerl mit Bandana um seine Glatze gebunden und ein etwas jüngerer, ungefähr so alt wie Arthur, in Muscle-shirt und Jogginghose. »Verpisst euch.«, knurrte Wahrscheinlich-Davoli und fletschte die prägnant gelben Biberzähne. In Eames' Kopf spielte Hoocked on a Feeling von Blue Swede. Die Situation war absurd, also konnte er nichts anderes tun, als absurd zu reagieren. Er stieß ein Lachen aus. »Das musst ein Missverständnis sein. Dieses verdammte Schlampe, da draußen!«, auch wenn Arthur kaum Italienisch sprach, wusste er wahrscheinlich was Puttana, bedeutete. Er gestikulierte wild während er sprach; wie ein aufgedrehtes Hühnchen; versuchte die Aufmerksamkeit allein auf sich zu ziehen. Dabei warf er Arthur kurz einen warnenden Blick zu. Wieso hatten sie bisher noch nicht gelernt, wie man telepathisch kommunizierte? Er hätte ihn gern darauf vorbereitet, dass er dabei war einen waghalsigen Move zu machen, aber wie es eben häufig im Business war... ab und zu musste man die Suppe mit der Gabel essen. Die Erwähnung der „Schlampe“ hatte Davoli offenbar hörig gemacht, aber keine Spur von Wohlgefallen - wenigstens hatte er seine Aufmerksamkeit. Die beiden Jungs links und rechts neben ihm, sahen ihn verkrampft an. »Spiel keine Spielchen, ich weiß, dass Concetta euch schickt.“«, kläffte der Kleine in der Mitte. »Ach, jetzt tu nicht so, Diego! Ich bin's, Francesco, dein Cousin!«, er machte ein paar wiegende Schritte auf Davoli zu und öffnete die Arme. Die anderen beiden zuckten und richteten ihre Waffen auf Eames, doch dieser schritt souverän weiter voran. Diese Typen waren keine Mörder. Bei dem jüngeren war er sich sogar ziemlich sicher, dass er höchstes mal im Hinterhof auf Dosen geschossen hatte. Er konnte nur auf seine Intuition vertrauen und auf das unverschämte Glück, dass ihn verfolgte. Die Aufpasser wollten sich ihm in den Weg stellen, Davoli war mittlerweile hochrot geworden und brüllte unverständliches Zeug aus seinen aufgeblasenen Backen, doch Eames ließ sich von nichts mehr aufhalten. Er machte einen gewagten Sprung nach vorn und schlang seine Arme mit aller Kraft um den kleineren Mann, wobei er auch den Arm einklemmte, indem Davoli seine Waffe hielt. Schüsse lösten sich. Einer davon aus Davolis Waffe. Eames stöhnte vor Anstrengung, als er den dicken Mann herumriss, um sich selbst hinter ihn zu manövrieren und ihn als lebendes Schutzschild zu benutzen. Er kannte Arthur gut genug, um zu wissen, dass er ihm nicht sagen musste, was er zu tun hatte. Arthur Schlichtung wäre schön und vermutlich war es den Versuch wert, doch Arthur sah schwarz. Sie waren erwartet worden. Der kleine Untersetzte (um höflich zu bleiben) hatte ein Gesicht, das von Hinterlistigkeit zeugte - zum Reintreten und Wohlfühlen. Der lange Dünne sah dumm aus, Marke Troll. Der kleine Sportliche zuckte nervös mit dem Augenlied - hatte wohl heute seine Tabletten vergessen. Nein, Arthur würde die Waffe nicht senken, da könnte Eames ihn noch so bohrend anblicken und mit der Hand herumfuchteln. Er ignorierte Blick und Geste geflissentlich. Seine Augen lagen auf den drei Männern, von denen keiner so zögern würde, sie zu erschießen. Das Lachen irritierte ihn kurz, während er überlegte, wer wohl zuerst schießen würde. Was hatte Davoli denn gesagt? Einen kurzen Moment blickte er irritiert zu Eames, als dieser die Dame, die in den Farbtopf gefallen war, zu bleidigen schien. (Bei Fremdsprachen lernte man neben Bitte, Danke und Hallo stets zuerst die Schimpfwörter) Ihre Blicke trafen sich, doch er verstand nicht, was er ihm erklären wollte. Was um Himmels Willen wollte Eames denn damit bezwecken, verdammte Scheiße!?!?!?! Skeptisch sah er dabei zu, wie Eames begann auf Davoli zuzulaufen. Was machte der Idiot da?! Wollte er sich einfach abknallen lassen? So große Jenseits-Sehnsucht?!?! Arthurs Augen verengten sich, während er krampfhaft versuchte, abzuwägen, wessen Finger am nervösesten war. Sein Lauf wechselte vom kleineren Nervösen zu Davoli. Der Troll war im Kopf zu langsam. Arthurs Kiefer pressten sich aufeinander, während Eames weiter auf den Fiesling zuging. Wie um alles in der Welt, sollte er ihn so beschützen?!? Warum, verdammter Mist, lief er ihm auch noch ins Schussfeld?!? Sicher, alle waren abgelenkt, aber das war doch Irrwitz!!! Der Kleine würde zuerst schießen, schoss es ihm durch den Kopf, als er begriff, was Eames vorhatte. Tom ging deshalb auf ihn zu! Um ihn aus dem Konzept zu bringen, ihn handlungsunfähig zu machen? Arthur zielte auf den Gummiball. Nun war es an jenem zu reagieren. Arthur fixierte diesen, während Eames irgendwas von einem Cousin faselte. Richtig, er hatte recht! Beide richteten ihre Waffe auf Eames. Arthurs Herz schlug heftig gegen die Brust. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Mit einer Mischung aus Faszination und purem, aus Sorge hervorgerufenem Zorn beobachtete er, wie Eames seinen Plan zu Ende brachte und es schaffte, dem Kleinen so nahe zu kommen, dass er ihn zu fassen bekam. Nun war es an ihm, die anderen beiden in Schach zu halten. Mit einer Spur von Erleichterung sah er, wie Eames hinter dem Alten in Deckung ging, bevor die beiden anderen wirklich begriffen, was vor sich ging. Ein Schuss löste sich nun doch – es war der Nervöse gewesen. Arthur sah keine Notwendigkeit mehr, sich zurückzuhalten. Er schoss dem Schützen in die Schulter, sprang auf ihn zu, und nutzte den Moment des Schmerzes, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Noch bevor der wirklich begriff, schlug er ihm unter das Zwerchfell auf den Solar plexus – Eames war ein guter Lehrer gewesen. Der Körper vor ihm sank zusammen, dann fiel ein weiterer Schuss, Glas zersprang, Arthur drehte sich und duckte sich zeitgleich, hechtete sich hinter einen der massiven Holztische, den er mit sich zog, so dass die Tischplatte ihn schützte. Hatte der andere auf ihn oder auf Eames gezielt? Doch jener war hinter dessen Boss. Auf diesen würde der Vollpfosten doch nicht schießen, oder? Er schluckte, blickte sich um, als weitere Schüsse fielen und er das Holz hinter sich erbeben spürte. Also doch auf ihn… Sein Blick blieb im Spiegel hinter der Theke hängen, in dem er den anderen gut sah. Kurz Luft holen, abwarten…. Er richtete sich auf, drehte sich, zielte auf den Oberschenkel des Trolls und schoss, ging wieder in Deckung. Er hörte ein Stöhnen, einen Schrei. War da eine Blutlache am Boden gewesen? Irgendetwas dunkelrotes rann über den Boden. Er schluckte. „Eames!“, schrie er. „Eames! Alles in Ordnung?“ Er lauschte. Wenn er nicht direkt antworten würde, dann würde er den Troll und Davoli erschießen. Dann durfte er keine Zeit verlieren, nachzusehen, ob mit Tom alles in Ordnung war. Arthur schoss in dem Moment, in dem genau dieser abdrückte, offenbar aber zu unkontrolliert und vermutlich aus Versehen, so dass dessen Kugel ein Bild an der Wand traf. Arthur hingegen traf genau: ein klares Einschussloch an der Schläfe. Die Waffe fiel zu Boden, der Körper sackte in sich zusammen, fiel unwirklich laut auf den dreckigen Steinboden. Arthur drehte sich, blickte dem Troll ins Gesicht, der vollkommen perplex zu ihm starrte und nun auf ihn zielte. Arthur schoss - verfehlte und traf die Schulter, so dass dieser schreiend zu Seite taumelte. In diesem Moment hörte er einen weiteren Schuss, duckte sich reflexartig in der Drehung, sah, dass Eames Davoli festhielt, sich mit ihm drehte und hinter ihm Schutz suchte. Blöd war nur, dass sie genau diesen lebend brauchten, wenn sie noch Geld von ihm haben wollten!!! Arthur schwor sich, dass er Eames nachher höchst persönlich den Wunsch eines baldigen Todes erfüllen würde - wenn das hier vorbei war! So eine gottverdammte Scheiße! Concetta hatte vermutlich gehofft, sie oder Davoli loszuwerden. Dieser ganze Mist hier, war genau das, was sie gewollt hatte!!! Arthur drehte sich, sprang zur Seite und duckte sich hinter den Tresen, als er sah, dass der Dümmliche rasend vor Wut die Waffe erneut hob, auf ihn zielte und ein ums andere mal abdrückte. Hinter ihm zersprang Glas, roter Wein ergoss sich auf dem Boden, bildete eine Lache - wie Blut. Eames Der erste Schuss, der aus Davolis Waffe kam, ging höher, als Eames erwartet hatte. Wahrscheinlich hatte er verzweifelt versucht den Mann zu treffen, der ihn mit seinen starken Armen in einem schraubstockartigem Griff festhielt. Zum Glück war Arthur bestens ausgebildet (Eames selbst hatte ihm schließlich auch einige Manöver beigebracht) und kümmerte sich souverän um den Grünschnabel. Nachdem dieser sich vorerst kaum rührte, nahm Arthur Deckung vor Bandana. So weit die Beobachtung, die er aus dem Augenwinkel tätigte. Alles andere war eher weniger erfreulich. Er spürte den feuchten Leib unter dem teuren Hemd Davolis und roch das aufdringliche Aftershave, ja er konnte sogar beinahe das Schweiß auf seiner Haut schmecken, so nah waren sie sich. Er rang mit ihm, presste seine Hand nach unten. Der Dicke biss ihm in die Brust, woraufhin Eames empört aufschrie und etwas knurrte, das wie "bloody bastard" klang – irgendwie wäre er lieber mit Arthur intim geworden, als mit diesem schmierigen Waffen-Baron. Ein weiterer Schuss löste sich und durchlöcherte Eames' Schuhspitze, woraufhin er erschrickt aufsprang und Davoli damit mit sich zu Boden riss. Wenig elegant gelang es ihm nun endlich ihn zu entwaffnen. Mit dem Griff der Glock verpasste er ihm einen heftigen Schlag auf die Schläfe. Im gleichen Augenblick fiel ein weiterer Schuss aus Arthurs Richtung und Bandana ging unter Schmerzen schreiend zu Boden. Das wars wohl mit seiner Kniescheibe. „Eames! Alles in Ordnung?“ »Exzellent!«, keuchte er und richtete sich auf. Der Troll versuchte auf ihn zu zielen. Seine Hand zitterte und war Blut überströhmt. Mit einem beherzten Tritt gegen die Waffe flog sie aus seiner Hand und landete unter einem der Stühle an der Wand. Der Mann jammerte und flehte im Namen der heiligen Mutter um Erlösung. »Na, na.«, machte Eames und sah mit einer Mischung aus gespieltem Mitleid und Amusement auf ihn herab. »Sei froh, dass mein Freund so gut zielt.«, erklärte er ihm, freundlicherweise auf italienisch, ehe er sich zu Arthur umdrehte. »Wir brauchen was, um sie zu fixieren. Kabelbinder, Klebeband, Abstellkammer.«, warf er Arthur zu. Davoli bewegte sich derweilen stöhnend auf dem Boden, schien jedoch ganz schön mit der Ohnmacht zu ringen. Der andere Knabe keuchte. »Wir schaffen seine Freunde aus dem Weg, dann reden wir ein Wort mit dem Mister Diabetes Typ 2.« Irgendwie hatte das doch ganz fein geklappt, dachte er selbstgefällig. Er konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht ganz verkneifen, als er verschwitzt und noch immer schnell atmend Arthurs Blickkontakt traf. Sein Fuß tat kaum weh, nur die Stelle an seiner Brust zog; ein recht gutes Ergebnis für die makabere Ausgangssituation. Arthur “Exzellent!“ Arthur atmete erleichtert aus, verfolgte im Spiegel, wie Eames auch den letzten entwaffnete. Langsam richtete sich Arthur auf und sah zu Tom. Die Spuren des Bisses waren auf dem Hemd erst nicht richtig zuzuordnen. War jener doch getroffen worden? Doch irgendwie sah das nicht nach einem Schuss aus. Dafür aber der Schuh. Wie um alles in der Welt konnte denn so etwas passieren?! Arthur schüttelte leicht den Kopf, blickte dann auf die dunkelrote Lache am Boden. Offenbar war eine Weinflasche getroffen worden. Doch die Assoziation, die er einen Moment gehabt hatte, hatte in ihm etwas bewegt, was ihn irritierte. Die klare Anweisung, die er erhielt, ließ ihn diese in den Hintergrund stellen. Als sich ihre Blicke trafen, hielt er diesen einen Moment. Er war erleichtert, dass ihnen nichts passiert war. Die Angst, die er kurz empfunden hatte - besonders nach dem Schrei und dem darauffolgenden Schuss - war bekannt aber unerwartet heftig gewesen. Eigentlich wollte er fragen, ob alles in Ordnung war mit seinem Fuß, mit dem Biss, doch er nickte nur und wich dem Blick aus, tat wie ihm befohlen. Schließlich mussten sie handeln, bevor einer von denen wieder zu sich kam... Arthur trat in den kurzen Flur, öffnete die Tür der Abstellkammer, blickte sich um. Er fand kein Klebeband aber dafür kam er mit Kabelbindern zurück und reichte sie Eames, damit dieser Bandana fixieren konnte. Er selbst kümmerte sich um den Nervösen, der sich zu regen begann, als er ihn drehte und ihm die Hände auf dem Rücken mit Kabelbinder festsurrte. Der Treffer an der Schulter war ein glatter Durchschuss gewesen. Arthur blickte sich um, griff zu einem Geschirrtuch und band einen provisorischen Verband, der zumindest die Blutung etwas aufhalten könnte. Dann richtete er ihn auf, um ihn in eben jene Kammer zu befördern, in der er vorhin die Kabelbinder gefunden hatte. „Kinderspiel!“, knurrte Arthur, als er Eames entgegenging und an ihm vorbei zurück in das Lokal trat. „Das ich nicht lache!“ Jetzt, wo alles glimpflich ausgegangen war, kehrte die Wut von vorhin zurück. Während er Davoli im Auge behielt, wartete er darauf, dass auch Tom mit Bandana fertig war, dann folgte er ihm zurück zu Davoli. Das war jetzt nun wirklich Toms Sache! Eames Während Arthur den jungen Kerl wegschleppte, schnappte sich Eames eine der Flaschen auf dem Thresen; ein recht guter polnischer Wodka. Er befeuchtete eine Serviette damit um sich diese auf die Bisswunde unter sein Hemd zu pressen. Brannte wie die Hölle, aber würde helfen. Danach fixierte er Bandana mit den Kabelbindern, obwohl er jammerte wie ein kleiner Junge und verfrachtete ihn dann zu dem Schlaksigen in die Abstellkammer. »Ich weiß nicht, was du meinst.«, erwiderte er mit waschechter Unschuldsmiene. »Ich bin sehr zufrieden. Damit haben diese Bastarde nicht gerechnet.«, gluckste er und nahm einen Schluck von dem Wodka, den er kurz zuvor noch zur Desinfektion genutzt hatte. Danach reichte er Arthur die Flasche. Signore Davoli versuchte offenbar die Tatsache zu verbergen, dass er bei Bewusstsein war – was auch immer er sich davon erhoffte. Als Eames ihm die Schuhspitze des unverletzten Fußes in die kurzen Rippen drückte, zuckte und wand er sich jedoch auf dem Boden wie eine plötzlich entblößte Made. Keine Chance sich zu verstecken. Gewalt mussten sie ja nun nicht mehr andeuten, immerhin hatten er und Arthur seine Cousins derbe zugerichtet. Und Davoli selbst war auch nicht allzu glimpflich dabei weggekommen. Trotzdem richtete Eames ein paar obligatorische böse Worte an den „frauenverachtenden Wichser“ mit den Forderungen, die sie von Concetta ausrichten sollten. Job erledigt. Als sie den Laden verließen hatten sie ihm immerhin eine kleine Anzahlung von 350 Euro abgezogen. Mehr hatte er nicht in der Tasche gehabt und bevor sie noch mehr teure Flaschen oder Möbel zerstörten, gab Davoli ihnen das Geld freiwillig. »Anscheinend sind wir ein ziemlich gutes Team.«, flötete er, als er den Wagen in Richtung des Hotels lenkte. Für Eames war es offenkundig grandios gelaufen. Er hatte direkt in drei Kanonenläufe gesehen und war trotzdem nahezu unverletzt aus der Geschichte heraus gekommen. Für ihn ein klares Zeichen, dass Fortuna wieder auf seiner Seite war. Alles was ihm jetzt noch zu seinem Glück fehlte war ein kühles Glas Bier und ein Blow-job auf der Rückband... als er Arthur aus dem Augenwinkel so ansah würde ihm aber auch erst einmal ein Lächeln von seinem Boyfriend genügen. Die schlechte Laune konnte er sich gar nicht erklären. Arthur Es war faszinierend, wirklich beeindruckend. Dieser Mann war ein Phänomen. Ein wenig beneidete er ihn dafür, das musste Arthur sich eingestehen - nur ein kleines bisschen. Ansonsten machte es ihn rasend! Wie schaffte es Eames immer wieder, ja wirklich ausschließlich im Hier und Jetzt zu leben und alles andere komplett auszuschalten? Alles, was vergangen war - auch wenn es nur ein, zwei Stunden zurücklag? Alles, was schief gelaufen war...? Was unangenehm war? Wenn er an Tokyo dachte, konnte er vielleicht auch sagen: ausblenden, was schön gewesen war, aber nicht mehr bestand? Vielleicht war das seine einzige Möglichkeit, mit all dem klar zu kommen, was ihn sonst zerstören würde. All der Mist und die Scheiße, die ständig passierte in seinem kaputten Leben. Vielleicht war das der Grund, weshalb Arthur ihn in gewisser Weise dafür bewunderte, vielleicht sogar beneidete: er konnte das nicht so einfach. Er konnte Dinge, die nicht exakt so verliefen, wie er das wollte, oder anderes, was schieflief, nicht einfach ausblenden, vergessen, verdrängen. Zumindest nicht so schnell und mit dieser Leichtigkeit, mit einem Lächeln auf den Lippen, einem dummen Spruch. Meist kamen diese Sachen nach einer gewissen Zeit wieder hoch... Vermutlich war das der Grund, warum sein eigenes Leben sich so oft so kaputt anfühlte... Dass Tom zufrieden gewesen war, hatte er gemerkt. Hatte eigentlich nur das fröhliche Pfeifen von ‚Don‘t worry! Be happy!‘ gefehlt. Die Flasche hatte Arthur ihm etwas perplex abgenommen. Kurz war er sogar versucht gewesen, sich einen Schluck zu gönnen. Aber Alkohol machte das Drama auf zwei Beinen gerade für ihn auch nicht besser. Und so war die Flasche auf die Theke gestellt worden. Besser machte es, dass er etwas durchschnaufen konnte, während Eames Davoli klar machte, dass er Concetta gefälligst das Geld geben solle. Arthur hatte sich bei dem Gedanken erwischt, seine Wut, oder eher sein „Genervt-Sein“ an jenem abzureagieren - etwa eine Millisekunde. Doch er war ja nicht derselben Barbarei verfallen wie manch Anderer, der das brauchte, um klar zu kommen, und so besann er sich und schwieg, bis sie schließlich mit ein paar Dollars mehr in Eames‘ Tasche aufbrachen. Es war gut, dass Arthur etwas runtergekommen war, sonst hätte der Spruch vom ‚Guten Team‘ ihm vermutlich sauer aufgestoßen. So aber hob er zweifelnd die Augenbrauen, schnaubte abfällig und blickte aus dem Fenster. Kurz hatte er ein Grinsen unterdrücken müssen. So ganz ohne Spaß war die Aktion ja auch nicht gewesen – wenn er ehrlich war… was er aber nie zugeben würde. Gutes Team Ihm kam die Szene in Tokyo in den Sinn, die Szene, die sie sich gemeinsam noch einmal angesehen hatten, das Billardspiel. Ja, verdammt. Sie waren eigentlich ein gutes Team. Damals, vor ihrem Bruch vielleicht mehr als heute, aber eigentlich waren sie echt gut. (Dass er diese Art von Jobs generell nicht wirklich mochte, stand auf einem anderen Blatt.) In der Erinnerung damals hatte er Eames etwas Ähnliches gesagt: dass sie ein gutes Team wären, sogar das beste sein könnten. Die Erinnerung war darin geendet, dass sie sich geküsst hatten, er sein Verlangen nicht mehr unter Kontrolle gehabt hatte und sie schier wortlos beschlossen hatten, es miteinander zu versuchen. Manchmal schien genau das unmöglich, manchmal gab es einen Hoffnungsschimmer, manchmal waren sie sich tatsächlich nah. Arthur blickte aus dem Fenster, kaute etwas auf seiner Unterlippe und schluckte weiter seinen Unmut herunter. Gewiss musste Tom auch oft wegen ihm schlucken. Rational betrachtet war es eine Schnapsidee, dass sie es versuchten. Nun ja. Immerhin stimmte es, dass sie aus dieser von Anfang an beschissenen Situation das Beste gemacht hatten. Toms Irrwitz hatte die Situation letztlich entschärft, Arthur hatte dafür gesorgt, dass es so blieb. Tom hatte einen Biss abbekommen und ein Loch im Schuh (hoffentlich nicht mehr), Arthur dafür zwei Menschen angeschossen. Als er den Blick des anderen spürte, sah er zu ihm und erwiderte diesen schon deutlich entspannter. „Lass uns ins Appartement gehen und deinen Fuß und diesen Biss ansehen. Dann hätte ich nichts gegen ein gemütliches Essen. Ich muss allerdings später noch ein paar Sachen für Ariadne machen.“ Sie waren ins Apartment zurückgekehrt. Während Tom geduscht hatte, hatte Arthur die Scherben ihres Streits beseitigt. Als er hörte, dass die Dusche ausging, war er ins Bad gegangen, um sich die Verletzungen anzusehen. Eames hatte stillgehalten, bis er ein Pflaster auf der Brust hatte. Als Arthur von diesem aufblickte, war er es, der Tom küsste und dieser ließ ihn zum Glück nicht auflaufen. Zwischen Verarzten und Essengehen passte wunderbar noch etwas Leidenschaft. ‚Love, love is a verb Love is a doing word Fearless on my breath Gentle impulsion Shakes me, makes me lighter Fearless on my breath Teardrop on the fire Fearless on my breath...‘ Sie hatten die Waffen und ihr Equipment ohne weitere Probleme erhalten. Arthur war noch eine gute Stange Geld losgeworden. Concetta schien sehr zufrieden, während Arthur distanziert und kühl blieb. Offenbar hatte Davoli noch an diesem Abend die Schulden beglichen. Nein, er mochte für so etwas nicht benutzt werden. Sicher hatte er schon Druck auf andere ausgeübt, um Dinge durchzusetzen. Er hatte ähnliche Dinge für Cobb getan, auch getötet. Doch da war er nicht erpresst worden. Dom war ein Freund, war Familie. Bereits seit einigen Stunden waren sie wieder auf dem Weg gen Süden. Arthur hatte bis spät in der Nacht noch gearbeitet, während er den ruhigen Atemzügen des anderen gelauscht hatte. Es war ein seltsames, ungewohntes Gefühl als er spürte, wie er sich nachts an den Körper des anderen klammerte. Doch nur so schienen die Bilder, die der über den Boden fließende Wein in seinem Kopf freigesetzt hatte, im Hintergrund bleiben zu können. Bilder und eine Angst, die er früher nie gespürt hatte. Es war ein ähnliches Gefühl gewesen wie vor gut einem halben Jahr. Das Gefühl, das er gehabt hatte, als sie auf der ersten Traumebene in diesem Taxi unter Beschuss gewesen waren, als das Heckfenster zerschossen worden war und er einen Moment Angst gehabt hatte, Eames sei getroffen worden, während er damit beschäftigt gewesen war, die Barriere der Autos irgendwie zu durchbrechen. Er hatte keine Angst um Fischer gehabt, nicht um Cobb, Yusuf oder Ariadne. Es war nur Eames, nach dem er gerufen hatte. Nach den anderen hatte er pro forma gefragt. Damals hatte er sich damit rausreden können, dass er Sorge gehabt habe, dass ihnen der Forger gleich Hops gegen würde und damit ihr Plan zunichte wäre. Eigentlich wusste er es besser. Der Gedanke, Tom geschieht etwas und er hätte es verhindern können, machte ihm seit jeher Probleme. Jetzt mehr denn je. Früher hatte er es besser im Griff gehabt, sehr gut im Griff gehabt. ‘Es ist nicht einfacher geworden.‘ Diese Angst löste vermutlich auch diese Bilder aus, Erinnerungen an eine dunkle, schwarze Zeit. Eine Zeit, in der es ihm nicht gut gegangen war, in der er fast das Träumen verloren hätte, in der Eames eine Rolle gespielt hatte, ohne dass es jenem auch nur ahnte. Es war nur sein Unterbewusstsein, das diesen hatte kommen lassen. Die Erinnerungen daran hatte er vergraben wollen, hatte Barrieren errichtet, hatte sich lange Zeit genommen, um sich mental wieder zu festigen, um das nie wieder erleben zu müssen. Es war heute bei weitem nicht das wie damals, aber die Bilder waren aufgetaucht. Etwas, was Arthur fast noch mehr ängstigte, als die Sorge die er gestern gespürt hatte. Arthur hatte aus dem Fenster gesehen, blickte nun Tom an, der schon die ganze Strecke fuhr. Es roch nach Kaffee, den sie sich noch mitgenommen hatten. „Wann kannst du mir von Archie erzählen?“, fragte er ihn unvermittelt. ‚Und von den Meeresungeheuern, die dich heimsuchen, den andren Kriegsschaulätzen in deinem Leben und warum du mich in Tokyo aus dem Traum geschmissen hast und danach so lange nichts von dir hast hören lassen?‘, fügte er in Gedanken hinzu. Die Erinnerungen an den Billard-Abend, das Eames-Haus, das sie seitdem nicht mehr angesprochen hatten, hatten die Gedanken aufkommen lassen, dass sie eigentlich noch immer so viel zwischen ihnen stand. So viele Dinge, die vielleicht auch dafür sorgten, dass er sich so oft über Tom ärgerte. Eames Diese Minuten in denen sie ein bisschen zärtlich zueinander waren, nachdem sie gemeinsam die bösen Jungs vermöbelt hatten, ließ Eames sich noch mehr in Arthur verlieben. Auch wenn er das nur schwer für möglich gehalten hätte, aber es schien noch einen kleinen Unterschied zwischen seinem erträumten Idealbild von Arthur und der Realität zu geben: die Realität war anstrengender, aber trotzdem in jeder Hinsicht besser. Der Deal lief glatt. Concetta schien ihnen wohlgesonnen zu sein, deswegen behielt sich Eames ein paar Kröten von Davoli ein; eine Art Schmerzensgeld; um sich und Arthur später ein feines Abendessen kaufen zu können. Immerhin hatte der Sugar-Daddy ja bisher alles bezahlt, da wollte er zumindest ansatzweise etwas zurückgeben. Sie verabschiedeten sich noch von Marcella, welche sowohl Eames, als auch Arthur einen Abschiedskuss gab. Natürlich im richtigen Moment, damit ihre Mutter nichts mitbekam. Im Radio lief A Horse With No Name von America, was erstaunlich gut zu Eames' Roadtrip-Stimmung passte. Sein Daumen tippte im Takt auf dem Lenkrad, während er gut gelaunt mit sang: »I've been through the desert on a horse with no name It felt good to be out of the rain In the desert you can remember your name 'Cause there ain't no one for to give you no pain~« Die Frage von rechts traf ihn unvermittelt. Ihm war nicht mehr nach mitsingen, aber sein Daumen tippelte noch immer weiter auf dem leicht abgegriffenen Lenkrad des Mietwagens, wenn auch nur in halbherzigem Takt. Offenbar hatte Arthur tatsächlich gesehen, woran sich Eames mittlerweile nur noch schemenhaft erinnern konnte. Er hatte geträumt als er in seinem Koma lag; offenbar hatte sein Geist oder Bewusstsein oder was auch immer hart darum gekämpft wieder die Kontrolle zurück zuerlangen und war dabei durch die eine oder andere persönliche Hölle gegangen. Schlau von Arthur sich einfach einzuklinken, um ihn wach zu rütteln. Nun musste er jedoch mit den unangenehmen Konsequenzen leben... »Archie...«, er sprach den Namen langsam und vorsichtig aus. Fühlte sich komisch an, nach so langer Zeit. Es war unsinnig zu fragen woher genau Arthur diesen Namen kannte. Er hatte seine Alpträume gesehen, ganz klar. Fraglich nur wie viel er gesehen hatte. Sein Blick haftete noch immer auf der Straße, als er weiter sprach. »Archie war ein Freund. Wie du weißt hat er's nicht geschafft.« Vielleicht war es besser das Thema schnell zu beenden, dachte er und hielt Ausschau nach einem Rastplatz. Noch 20 Kilometer... das würde selbst mit Vollgas noch ein paar Minuten dauern. Arthur Die Veränderung in Toms Körperhaltung, seinem Gesicht, seiner ganzen Ausstrahlung war frappierend. Dass seine Frage Tom sicher nicht begeistern würde, war ihm bewusst gewesen. Ja, im Grunde hatte er auch schon mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet. Sie dann jedoch zu sehen, war dann doch erstaunlich. Man merkte das körperliche Unwohlsein, das jenen auf dem Sitz rutschen ließ. Man sah die Unruhe, die ihn befiel, am ernsten, ja fast düsteren Gesichtsausdruck. Die Augen schienen unruhig umher zu wandern, einen Ausweg zu suchen. Die Hände wirkten verkrampfter am Lenkrad zu liegen. War das Ehrfurcht oder Furcht, die Eames den Namen so aussprechen ließ? Arthur konnte es nicht genau sagen. Es wirkte seltsam. Kurz hatte er das Gefühl, als würde Tom mit sich hadern, ob er leugnen solle oder nicht. Noch immer hatte er ihn nicht ansehen können, während Arthurs blick unverwandt auf dem Gesicht des anderen ruhte. Er hatte das Gefühl, dass wenn er die Aufmerksamkeit nicht bei Tom behielt, jener ihm entgleiten würde, sich aus der Situation winden würde wie ein Aal. Die Antwort, die er nun erhielt – oder vielmehr die Aussage zu der Tom bereit war (denn die Frage beantwortete er nicht damit) – zeigte deutlich, dass jener sich schwertat, darüber zu reden. Aber so leicht würde Arthur nicht nachgeben. Sicher, mit der Brechstange würde er auch nicht eine Antwort erzwingen. Doch er würde ihn auch nicht so einfach ausweichen lassen. »Archie war ein Freund. Wie du weißt hat er's nicht geschafft.« Arthur schwieg einen Moment, wartete darauf, dass Tom fortfuhr zu erklären, und gab ihm gleichzeitig etwas Zeit, sacken zu lassen, dass er das Thema angesprochen hatte. „Im Grunde weiß ich gar nichts“, sagte er leise, ohne Anklage. „Ich weiß nicht, ob das so real war oder nicht“, sagte er schließlich. „Dass er es nicht geschafft hat – ja, das war mir vermutlich klar. Die Frage ist nur: was ist das ‚es‘, das er nicht geschafft hat? Und vielleicht ist auch die Frage: warum hat er es nicht geschafft?“ Er überlegte einen Moment, dann sagte er noch. „Bist du für seinen Tod verantwortlich, oder fühlst du dich nur dafür verantwortlich?“ Das war ein Unterschied. Arthur hatte lange über diese Szene nachgedacht, hatte über diese ganzen Situationen viel nachgedacht. Er wusste nicht, ob Tom Archie in dem Traum getötet hatte, wie er es damals offenbar hatte tun müssen, oder ob es nur aus einem Gefühl resultierte, für den Tod für den jungen Mann verantwortlich zu sein. Eames Seine Eingeweide fühlten sich an wie ein fiebriges, krampfiges Schlangennest. Wenn Eames richtig vermutete hatte Arthur einen Blick auf den vielleicht düstersten Augenblick in seiner Geschichte geworfen. Und das war weiß Gott kein gutes Gefühl. Er spürte den Drang Arthur dafür anzufahren, dass er sich ungefragt Zugang zu seiner Privatsphäre verschafft hatte und dann auch noch unverschämte Fragen stellte. Missmutig kaute er auf der Innenseite seiner Backe herum, aber antwortete zunächst nicht. »Du hast Recht, darling.«, begann er schließlich nachdem Arthur geendet hatte. Seine Stimme klang bitter-heiter. »Du weißt nichts.«, dabei klang er jedoch nicht halb so angriffslustig, wie er selbst vermutet hätte. »Es wäre besser, wenn das so bliebe, glaub mir. Aber ich schätze das Kind ist bereits in den Brunnen gefallen.« Er spürte einen Kloß im Hals und vernahm ein stetes Rauschen in seinen Ohren, das definitiv nicht aus dem Radio kam. Eames dachte daran, wie gut er und Arthur zusammenarbeiteten. Wie sie als Team funktionierten, auch wenn sie selten einer Meinung waren. Wie sie einmal im Traum in Mombasa im Ring rumgemacht hatten und an das letzte gemeinsame Frühstück in New York kurz bevor sie sich Jobs vorgeknüpft hatten. Er dachte an das Eames-Haus. Dann dachte er an seine Zeit in Ramadi, mit Archie und Richard und seinen anderen Kameraden. Er fragte sich, ob er überhaupt noch ein ganzer Mensch war oder ob er damals sein altes Ich einfach zurück gelassen hatte und nun jemand ganz anderes war. »Ich hab' ihn umgebracht, das ist Fakt. Der Film in meinem Kopf, den du mitansehen musstest, ist keine Metapher. Sie hatten uns sechs Tage lang gefoltert. Wir haben Kamelpisse getrunken, um nicht zu verdursten.« Er holte tief Luft, befeuchtete seine trockenen Lippen. Den Blick trüb nach vorn gerichtet. »Die Kerle, die uns festhielten, haben mir die Wahl gelassen. Ich durfte mir aussuchen, ob ich Richard, Archie oder mich selbst erschieße. Richard hat mich angebettelt: „Bitte, bitte Thomas, ich habe zwei kleine Mädchen, Louise und Ann, ich muss zurückkehren“ und ich hab geheult -...«, er wurde immer leiser während er sprach »Und Archie hat gesagt: „Bitte nicht, meine Mutter hat ein Tablettenproblem. Wenn ich nicht zurückkomme, bringt sie sich um, das darf ich meinem Dad nicht antun.“ - Tja und dann war da ich. Auf mich hat niemand gewartet und meiner Familie war es herzlich egal, ob ich aus Ramadi zurückkehre, oder nicht. Aber ich hatte solche Angst... Ich weiß nicht mehr wieso ich mich ausgerechnet für Archie entschieden habe.« Mittlerweile liefen die Nachrichten im Radio, aber Eames nahm sie kaum wahr. Sie waren nicht mehr als italienisches Genuschel im Hintergrund. »Stellt dich das zufrieden, Arthur?«, fragte er bitter. Er fühlte sich nackt und kalt und das lag sicherlich nicht an der Klimaanlage. Das Schlangennest wand sich weiterhin schmerzhaft ineinander irgendwo unterhalb seines Zwerchfells. So fühlte es sich also an darüber zu sprechen... eine Erfahrung, auf die er gern verzichtet hätte. Arthur Arthur gab Tom die Zeit, die er brauchte, um zu antworten und schwieg. Dass jener antworten wollte, überraschte ihn fast ein wenig. Oder würde er noch versuchen, sich herauszuwinden? Zumindest fuhr er ihn nicht direkt an, dass es ihn nichts anginge – das war schon mal etwas. Ein Versuch kam dann doch, eine Antwort zu umgehen. Doch es war halbherzig und schließlich schien Tom selbst zu ahnen, dass er nicht drumherum kommen würde. Dass Arthur ihn gar nicht gebeten hatte, ihm diese Geschichte direkt zu erzählen, sondern eigentlich gefragt hatte, wann er bereit dazu wäre, sie ihm zu erzählen, schien Eames gar nicht zu bemerken. Arthur wagte daraus zu schließen, dass, egal wie unangenehm es jenem war - und man sah deutlich, dass es ihn wirklich mitnahm -, jener vermutlich unbewusst schon das Bedürfnis hatte, darüber zu reden. Arthur war kein Therapeut und er verstand sich nicht als solcher. Gott bewahre! Vermutlich brauchte er viel dringender einen, als es Tom tat. Aber so viel meinte er schon zwischen den Zeilen lesen zu können. Dann begann Tom zu erzählen. Arthur blickte ihn an, sah den Schmerz, den jener empfand, während er erzählte, spürte den Schmerz, den er selbst empfand, weil er ihn so sah. Die Erzählung war heftig, ehrlich und grausam. Die Gefühle, die sie hinterließ, tiefgreifend. Arthur kannte den Blick, mit dem Tom stur geradeaus blickte. Er kannte ihn von sich selbst. Es war der Blick, den Männer haben, wenn sie wissen, dass sich ihre Persönlichkeit geändert hat, weil sie Dinge getan haben, die man nicht rückgängig machen kann. Wenn sie das nicht erkennen, zerbrechen sie irgendwann daran. Er konnte Archie nicht wieder lebendig machen. Sich das einzugestehen, war aber nicht einfach. Tom kämpfte vermutlich seit dem Moment damals gegen das Zerbrechen an. Ob die Taktik, die er fuhr, aufging, lag nicht an ihm zu bewerten. Doch es erklärte viel. Die Risikobereitschaft, die selbstzerstörerischen Situationen, in die jener sich so oft brachte. Die Ruhelosigkeit und auch sein Talent, Momente des Glücks zu zerstören. Fakt war, dass ein schmaler Grad zwischen Trauer und Schuld verlief. Manchmal hatte man auf diesem schmalen Grad das Gefühl, dass der Tod einfacher sei, als die Agonie des Lebens. Nur war Tom eben nicht der Typ Mensch, der sich das Leben selbst nehmen konnte. Die wenigsten waren das. Untersuchungen haben gezeigt, dass in den Gaskammern der Nazis die Leichen der Stärkeren auf denen der Schwächeren gelegen hatten. In ihrem Überlebenskampf haben die meisten versucht nach oben zu kommen, um noch länger Sauerstoff zu haben - ohne an die anderen zu denken. Vermutlich hoffte Tom, ihm nähme jemand diese Bürde ab. Doch der Tod oder all die schlimmen Dinge, die Eames immer wieder wiederfuhren, waren gewiss nicht so etwas wie eine ‚gerechte Strafe‘. Tom hatte trotz allem jedes Recht der Welt, glücklich zu sein! Dieser prägende Punkt in seinem Leben erklärte sogar, warum jener in Momenten, die Arthur in Gefahr brachten, auf Abstand ging, ihn hinausbeförderte, ihm nichts zutraute. Es erklärte den unbändigen Wunsch, ihn stets vor allem schützen zu wollen, ihn nicht dabei haben zu wollen, wenn es eng wurde Selbst seine Art zu leben, erklärte es. Rastlos, nur im Moment, möglichst komfortabel, ohne ein Gedanke an morgen oder gar gestern. Die Handlung des anderen zu verurteilen, lag Arthur fern. Der Krieg war kein Platz der Moral. Im Krieg musste man handeln. Man hat keine Zeit, sich in Frage zu stellen. Wenn man nicht handelte, dann starb man. Die Moral musste woanders angesetzt werden. Bei den Machern, die daheim auf dem Sofa lagen und ihren Scotch genossen, während die Soldaten zu Mördern gemacht wurden, zu Werkzeugen für Verbrechen, für die sich die Machthaber nicht verantworten mussten. Oder bei Männern, die andere dazu zwangen, Freunde umzubringen, die Freunde dazu zwangen, eine Wahl zu treffen. Thomas hatte in einer Situation eine Entscheidung gefällt, bei der die Wahl, die er gehabt hatte, im Grunde gar keine Wahl gewesen war. Leben war gleichwertig, auch das eigene. Es gab niemanden, der mehr wert war als der andere. Diese Wahl war nur eine weitere Folter gewesen. Eine Folter, deren Folgen man den anderen beiden Soldaten für ihr Leben lang mitgegeben hatte. Verletzungen heilten, hinterließen Narben, aber heilten. Eine zerstörte Seele regenerierte sich vermutlich nie. Bei Thomas nicht, weil er hatte entscheiden müssen, weil er sich über das Leben eines Freundes hatte stellen müssen. Bei Richard, weil dieser sein Leben genauso dem Tod von Archie verdankte, nur dass er nicht hatte handeln müssen. Arthurs Hand hatte sich gehoben. Die letzte Frage überging er einfach. Er hatte nicht gefragt, um zufrieden zu sein. Er hatte gefragt, um verstehen zu können. Seine Finger strichen Tom zärtlich durchs Haar, kraulten ihm einen Moment im Nacken. Sicher empfand er etwas wie Mitleid. Aber das war nicht das primäre Gefühl in ihm. Etwas ganz anderes stand ihm im Sinn. Ein Gedanke, der ihm ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Hätte Tom sich damals anders entschieden, hätte Tom damals sich dafür entschieden, sich zu opfern, damit die anderen beiden leben konnten, dann wären sie sich nie begegnet. „Es mag vielleicht seltsam - oder egoistisch- klingen. Aber ich bin froh, dass du hier bist. Auch wenn wir uns noch nicht gekannt haben, habe ich das Gefühl, schon damals auf dich gewartet zu haben.“ Dieses Gefühl, komplett zu sein, wenn sie sich nahe waren, dieses Gefühl konnte ihm kein anderer Mensch geben. „Ich hätte dich mein Leben lang vermisst.“ Seine Hand ergriff die Hand des anderen am Lenkrad, zwang sie mit sanftem Druck, loszulassen. Seine Finger verhakten sich in die des anderen, dann führte er sie zu seinem Mund und küsste den Handrücken. „Danke, dass du es mir erzählt hast.“ Erst jetzt glitt sein Blick wieder nach vorne. Die Hand des anderen ließ er nicht los, hielt sie, so dass Tom selbst entscheiden konnte, ob er sie wieder haben wollte oder nicht. Der Rastplatz wurde für in 5km angekündigt. „Wenn du magst, kannst du rausfahren. Ich übernehme eine Weile.“ Eames Tatsächlich fühlte Eames eine Art Erleichterung nachdem er diesen finsteren Fetzen aus seiner Vergangenheit zum ersten mal losgeworden war. Obwohl sein Bauch schmerzte, weil sich sämtliche Eingeweide noch immer zusammen zuziehen schienen, fühlte er eine neue Leichtigkeit. Dieses sachte Kraulen an seinem Hinterkopf und seine Worte; „Ich hätte dich mein Leben lang vermisst.“; entblößten ein Gefühl der Geborgenheit, dass Eames in diesem Augenblick glaubte nicht verdient zu haben und doch so sehr ersehnte. Er hielt seine Hand und streichelte Arthur zart mit dem Daumen, bis sie den nächsten Rastplatz erreichten. Die Luft war feucht und nicht allzu heiß, als sie ausstiegen. Es hatte kurz geregte. Eames öffnete einen weiteren Kopf seines Hemdes und strich sich das angefeuchtete Haar zurück. Er schritt um den Wagen herum auf Arthur zu und obwohl er den Blickkontakt vermied, enthüllte sich ein ehrliches, kleines Lächeln auf seinem Gesicht. Es war der Beweis dafür, dass er OK damit war, was er preisgegeben hatte, aber behielt sich den Schmerz vor, den er bei dieser Erinnerung empfand. Ohne etwas zu sagen, schloss er die Distanz zwischen ihnen und küsste ihn sanft, während seine Hände sich mit sanftem Druck an Arthurs Hüfte und Seite legte. Cross over and turn Feel the spot don't let it burn Er schlief ein bisschen nachdem Arthur das Steuer übernommen hatte, immerhin hatte er angeboten die Nacht durch zufahren. Außerdem fühlte sich sein Körper plötzlich ausgelaugt und müde an, nach so vielen Offenbarung und dem Vertrauen, das er dafür aufbringen musste. Besser erst einmal ruhen und nicht überlegen, dachte er kurz bevor er endgültig wegdimmerte. Denn er spürte wie sein Fluchtreflex in ihm aufschwoll. We all want we all yearn Be soft don't be stern Arthur Arthur warf einen kurzen Blick zur Seite. Eames schlief, hatte zumindest die Augen geschlossen, sich wieder verschlossen. Die ruhigen Atemzüge verrieten, dass er vermutlich wirklich schlief. Er war froh darum. Sicher, er hatte noch viele Fragen, vieles, das er wissen wollte, Dinge, die mit Archie und der Situation in Ramadi zusammenhingen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er hatte so viel erfahren, mehr denn je. Arthur war sich sicher, dass da noch viel viel mehr war. Das kam ein anderes Mal, wenn überhaupt. Arthurs aufrechte Haltung sank etwas in sich zusammen. Er wechselte in die rechte Spur und drosselte das Tempo etwas, maß den Abstand zum nächsten Lkw. Es war nicht viel los, sie waren noch ein gutes Stück von Rom entfernt. Dann schloss er die Augen, nur kurz zum Luftholen. Sein Herz hatte so schmerzhaft heftig geschlagen nach diesen (seinen) Worten, als er merkte, dafür nicht verlacht zu werden. Das Kribbeln in seinem Magen fühlte sich seltsam an, während die Hand fester gegriffen hatte, die seine nicht losließ. Er war so atemlos gewesen, nach diesem Lächeln, das er so schon sehr sehr lange nicht mehr gesehen hatte - wenn überhaupt. Seine Knie waren so weich nach diesem Kuss, der so voll ehrlicher Zärtlichkeit und Zuneigung gewesen war, dass es ihn fertig gemacht hatte. Hatte er das überhaupt verdient? Arthur schlug die Augen wieder auf, stützte den Ellbogen des linken Arms am Fenster auf und strich sich mit der freien Hand übers Gesicht. Gefühlt waren sie sich noch nie so nahe gewesen wie in diesem Moment. Sie hatten ihrem something mehr Tiefe, mehr Verbindlichkeit, mehr Bedeutung gegeben - er, weil er gefragt hatte; Tom, weil er es ihm erzählt hatte. Seine Worte schienen auch nicht ganz verkehrt gewesen zu sein, auch wenn er im Nachhinein betrachtet gar nicht richtig darüber nachgedacht hatte. Die Worte waren einfach da gewesen. Arthur dachte, an ihr Gespräch auf dem Sofa, als er nach dem Grund gefragt hatte, weshalb Tom nicht nach London konnte. Damals hatten sie abgebrochen, er hatte nicht weiter gefragt. Er hatte Angst gehabt vor der Antwort - und vermutlich vor den Konsequenzen der Antwort. Diese Angst spürte er jetzt auch. Etwas in ihm hatte Angst vor diesem Wissen, dieser Bindung, dieser Tiefe, diesen Gefühlen. Etwas in ihm hatte ihn in diesem Kuss begreifen lassen, dass er nun endgültig verloren war in dem Chaos, das ein Leben mit Thomas Eames mit sich brachte. Er musste wirklich aufpassen, dass er sich darin nicht verlor. Mal hatte ihm das einmal gesagt. Sie hatte ihm gesagt, er solle sich nicht verlieren. Arthur bremste scharf, als sich plötzlich ein Auto vor ihn schob. Er hatte nicht gesehen, dass es geblinkt hatte. Er schüttelte den Kopf, versuchte diese Gefühle und Gedanken zu vertreiben, die ihn ablenkten. An sich war diese Nähe ja nichts Schlimmes, eigentlich war es ... schön - irgendwie. Aber... - Ja, was aber? Er biss sich auf die Unterlippe. Themenwechsel! Wenn sie die Nacht durchfuhren, so wie Tom es geplant hatte, wären sie morgen früh auf Sizilien, könnten ihren Plan in die Tat umsetzen. Spätestens da befand sich Tom in Lebensgefahr. Wenn sie in Palermo ankamen, mussten sie eine Lagerhalle finden, musste er ins Casino gehen, die Informationen mussten gestreut werden. Jesse hatte Jobs bereits Informationen zukommen lassen. Sicher bekamen sie bald eine Nachricht, wann jener den Flieger besteigen würde. Der Stein war bereits ins Rollen gebracht. Bald mussten sie nur noch darauf warten, dass beide Parteien am Ort X erschienen und das Geschehen seinen Lauf nahm. Sollten sie sich nicht noch ein wenig Zeit gönnen? Zumal sie die Straße von Sinai nachts ohnehin nicht passieren konnten. Es gab nur Pläne bis zum Punkt X. Alles, was danach kam, war nicht planbar. Nichts. Hatte Tom nicht gefragt, wie er seinen Geburtstag nachfeiern wollte? Er erinnerte sich an versprochenen Strand, Rotwein - oder waren es Cocktogewesen? Ihm war gerade mehr nach Zitrone, Salz und Tequila! Vielleicht sollten sie sich nach Neapel bevor sie in das Gebiet von Jobs’ Familie kamen, irgendwo ein Zimmer nehmen in einem kleinen Küstenort, sollten sich noch einen Abend, eine Nacht gönnen, etwas trinken, leben, sich lieben - bevor der Suicide Squad loszog, um zu versuchen, dem ein Ende zu setzen, was Tom blockierte, freier Atmen zu können. Klang gut, vermutlich wäre auch Tom einverstanden. Seine Gedanken gingen zu den Waffen über, zu den Dingen, die er damit anstellen konnte. Er überlegte, welche Bedingungen ihr Ort X haben musste, wie er vorgehen wollte. Etwas südlich von Rom wachte Tom wieder auf. Sie aßen etwas Kleines, Arthur bestand darauf, weiterzufahren. Sie sprachen etwas über ihr Vorgehen auf Sizilien, das Thema Casino mieden sie. Nach Neapel fuhr Arthur mit den Worten „Brauch ne Pause!“ von der autostrada, schlug den Weg Richtung Küste ein. Vor einem Supermarkt hielt er und drehte sich zu Tom. „Du besorgst Zitronen und Salz und was du sonst so magst“, sagte er und schnallte sich ab. Vermutlich war Tequila nicht mehr up to date, aber er mochte das Zeug und die Kombi. Und es weckte Erinnerungen an einen Job in Mexiko vor langer Zeit. „Ich den Tequila. Sizilien kann noch warten. Außerdem hast du mir eine Geburtstagsfeier versprochen.“ Eames Die Gespräche über den Job taten gut, lenkten ab. Eames konnte sogar beinahe das Gefühl loswerden sich entblößt zu haben. Dass Arthur nicht mehr nachfragte beruhigte und verunsicherte ihn zugleich. Er wusste, dass er so oder so ein gewisses Antiheld-Image hatte, aber so konkret vor Arthur zu werden ging ihm an die Substanz. Hier ging es nicht um dumme Anmachsprüche, waghalsige Schlägereien oder Missbrauch irgendwelcher Substanzen. Diese Seite von ihm war düsterer als die Nacht und vor ein paar Stunden hatte er ihm einfach davon erzählt. So normal die anderen Gespräche im Vergleich auch wirkten, machte es Eames dann doch nervös, dass Arthur nicht mehr über die Verhältnisse wissen wollte unter denen Archie gestorben war. War es Höflichkeit, Unsicherheit oder blanke Abscheu? Eine Pause und Tequila schienen auch das zu sein, was Eames in diesem Augenblick brauchte. Er grinste schief und salutierte spielerisch. »Jawohl sir.«, aber schon, als er Arthur den Rücken zu drehte, um auszusteigen, bereute er die militärische Anspielung. Es versetzte ihm einen kalten Schauer und einen Kloß im Hals, er sich erfahrungsgemäß nur mit literweise Alkohol auflöste. Auf dem Parkplatz des Supermarktes war es voll. Viele Neapler wollten vor dem Wochenende und kurz vor Ladenschluss noch einkaufen. Die Temperaturen waren gerade in einen erträglichen Bereich gefallen. »Ich schau mir die Stände da vorne an, die haben sicherlich Zitronen.« Zwar packten die Händler auf der anderen Seite der Straße gerade zusammen, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie nicht abgeneigt sein würden noch ein paar Geschäfte zu machen. Außerdem brauchte ein ein bis drei Zentimeter Abstand von Arthur. Vielleicht auch Kilometer. Oder Flugmeilen. »Ich komm gleich nach.«, mit diesen Worten stagste er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er fand Zitronen. Und einen Liquor-Store um die Ecke, wo er sich ein paar Kurze und eine kleine Flasche ekliges Zeug besorgte, das einen Arsch voll Umdrehungen hatte. Genau das richtige für seine Bedürfnisse. Eine halbe Stunde später kehrte er zum Wagen zurück. Dass er bereits leicht einen im Tee hatte konnte er ganz gut verstecken. Darin übte er sich, seit er ein Teenager war. Tatsächlich half ihm das dumpfe Gefühl hinter der Stirn sich etwas zu entspannen. Nicht fortzulaufen, auch wenn es sicherlich in diesem Augenblick ein leichtes gewesen wäre über alle Berge zu verschwinden. Wenn er es darauf angelegt hätte, wäre er nie mehr von irgendwem gefunden worden. Aber noch riss er sich zusammen. Nicht, dass er sich allzu viel aus seinen eigenen Versprechen machte, aber Arthur vertraute ihm (ob er das sollte, sei mal dahin gestellt). Durchhalten. Noch ein wenig. »Auf zum Strand!«, flötete er heiter, ohne jede Form der Erklärung und winkte mit seiner blauen Plastiktüte, in der sich noch ein paar Überraschungen mehr verbargen als Salz und Zitronen. »Ich will den Vesuv sehen.« Arthur »Jawohl sir.« Arthur blickte irritiert, doch Tom hatte ihm bereits den Rücken zugedreht, er schaute ihn auch nicht mehr an, nachdem er ausgestiegen war und ihm erklärte, dass er zu dem Marktplatz hinüber gehen wolle, um die Sachen zu besorgen. Arthurs Augenbrauen zogen sich zusammen, während er dem breiten Rücken und wiegenden Gang hinterhersah. Irgendetwas lief gerade sehr schief. Das Gefühl, das damit einherging, war ihm vertraut und hinterließ einen sehr bitteren Geschmack. Was machte er schon wieder falsch? Arthur ging strategisch durch den Supermarkt, wusste er doch, was er wollte. Wasser, Tequila (keinen billigen), Crissini (die mochte er so gerne), Oliven, Käse, Salami (damit der Magen nicht nur mit Alkohol gefüllt werden würde) - nicht zu vergessen: ein paar Schachteln Zigaretten. Eine seltsame Unruhe befiel ihn, die nicht weniger wurde, als er an der Kasse anstand und es nur sehr schleppend voranging. Das rege Treiben um ihn herum, die vielen Stimmen fremder Sprache machten die Unruhe nicht besser. Als er endlich wieder zum Auto zurückkehrte, war Tom nicht da. Der Gedanke kam plötzlich und hefig: was, wenn er gar nicht wieder hierherkäme? Befand sich Tom wieder auf der Flucht vor ihm wie schon so viele Male zuvor? All die Male, nachdem sie sich nahe gewesen waren? All die vielen Male, an denen er sich nicht verabschiedet hatte, weil sie dann vielleicht noch klärende Worte hätten sprechen müssen? Sich in die Augen hätten sehen müssen? Aber wenn er wegwolle, hätte er das nicht schon früher, vielleicht beim letzten Rastplatz getan? Irgendwie drängte sich ihm dieses Gefühl immer vehementer auf. Er packte seine Einkäufe auf die Rückbank, blickte sich suchend um. Nirgendwo konnte er ihn sehen. Arthur spürte, wie ihn das belastete, wie ihn dieser Gedanke nervte, wie das in ihm etwas löste, was er auch schon lange nicht mehr gespürt hatte: zuletzt nach Tokyo. Genau diese Erkenntnis brachte die Antwort darauf, was er falsch machte. Er schloss von sich auf andere, auf Eames. In Tokyo war ihm klar gewesen, dass er mehr wollte, dass er Tom wollte und er hatte gedacht, dass das klar wäre, nur weil er nich mehr ganz so kaltherzig und abweisend gewesen war – Tom hatte das nicht gemerkt. Wenn ihm etwas zu nahekommt, hilft ihm die Arbeit, um mit der Situation zurecht zu kommen – Tom verunsicherte das, ließ ihn unsicher und damit wahnsinnig ‚charmant‘ und gut gelaunt werden. Momente der Nähe ließen ihn verstummen – Tom ließen sie fliehen. Hatte er es schon wieder verbockt? Wie damals? My world was on fire and no one could save me but you… Er hatte es nicht begriffen, was das damals bedeutet hatte. Er wusste letztlich immer noch nicht, was Tom sich von ihm erhoffte – aber offenbar nicht das, was er gerade tat: schweigen. Er hatte ihm gesagt, dass er ihn vermisst hätte. Doch dann hatte er nicht weiter gefragt, weil er kalte Füße wegen seiner eigenen Gefühle bekommen hatte. Angst vor diesem Herzklopfen und dem zugeschnürten Magen, den diese Erzählung ausgelöst hatte (was er gut verdrängt hatte). Vor all der Zuneigung, die er empfand und dem Wunsch, Tom zu umarmen, ihn für immer festzuhalten. Früher, bevor sie versucht hatten, ihrem something eine Chance zu geben, hätte er ganz anders reagiert. Vermutlich hätte er Tom abgeklärt zu verstehen gegeben, dass er sich wegen so einer Geschichte nicht so haben solle. Hätte ihm vorgehalten, nicht ernsthaft Schuldgefühle empfinden zu dürfen. Gesagt, dass ihm hoffentlich bewusst sei, dass der Krieg Opfer forderte. Irgendsoetwas Unsensibles halt, was ihm im ersten Moment in den Sinn kommt. Etwas Rationales, was vermutlich irgendwo stimmte, aber eben mehr zerstörte als half. Ein Teil von ihm, bereute, dass er es nicht so gemacht hatte. Jetzt tobten diese Ängste und Gefühöe wieder in ihm, die ihn unsicher machten. Ein anderer Teil aber, versuchte krampfhaft zu überlegen, was er tun könnte, um zu verhindern, dass Tom das Weite suchte und sich von ihm distanzierte. Er erinnerte sich an die Sorge, die Tom bei ihrem letzten Versuch, dieses Gespräch zu führen gehabt hatte. »Aber ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob das so gut wäre. Du hast gerade erst aufgehört mich zu hassen. Danach wirst du mich wahrscheinlich in einem ganz anderen Licht sehen. Also...« Er hatte damals auch sich für das Schweigen entschieden. Aber seitdem war viel geschehen – zwischen ihnen. Vielleicht sollte er endlich aufhören, Angst zu haben, zu viel zu sagen – oder das Falsche – und endlich einmal beginnen, überhaupt etwas zu sagen. Aber das war nicht einfach für ihn. Wenn es um solche Dinge ging, war er ein absoluter Legastheniker. Hatte ihm dieses Unvermögen einmal mehr den Menschen verletzt, der genug gelitten hat? Bitter, war der Geschmack in seinem Herzen. »Auf zum Strand!« Arthur hatte gerade nervös an der Zigarette gezogen, auf die Uhr geblickt, sich auf die Unterlippe gebissen, als sein Blick hochschnellte. »Ich will den Vesuv sehen.« Dieser Tonfall! Wie die vielen Male, bei denen jener den locker flockigen Sunnyboy heraushängen hatte lassen, an jenen Abenden, nachdem er ihm eine vor den Bug geknallt hatte. Die Abende, an denen er sich bestätigt gesehen hatte, dass es besser war, sich nie auf Thomas Eames einzulassen. Der bittere Beigeschmack... Arthur lächelte dennoch erleichtert darüber, dass Eames überhaupt noch da war und er eine Chance erhielt, seinen Fehler vielleicht gut zu machen. Er nickte, überspielte seine Angst, die er eben empfunden hatte. Dem Gefühl, zu Tom gehen zu wollen, um ihn zu umarmen, schob er beiseite. Hier war nicht der richtige Ort. „Gut, dass ich heute Mittag am Strand von Bikini Beach gebucht habe.“ Tatsächlich hatte er mittags ohne das Wissen von Tom bereits in einer Hotelanlage einen komfortablen Bungalow nahe des Meeres in der Bucht „Il Bikini“ gebucht. Pool, Bar, Touristen. Zum kotzen schnieke. Der Blick auf den Vulkan war garantiert – laut Homepage. Als Tom eingestiegen war, atmete Arthur durch. Er war ein unverbesserlicher Idiot. Er folgte Tom in den Wagen. Roch es nach Alkohol? Sie schoben sich im dichten Feierabendverkehr an Pompeji vorbei in Richtung Küste. Etliche Touristen kamen ihnen entgegen, die vermutlich den Tag in Capri verbracht hatten. Doch Arthur nahm das letztlich nicht wirklich wahr. Er sollte etwas ändern, etwas sagen – zu Archie, zu seinen Gedanken, zu seinen Gefühlen. Jetzt? Oder später lieber? Aber wie? Und vor allem was?! Am liebsten würde er ihm sagen, dass er nicht schon wieder zum Arschloch mutieren solle. Aber das wäre vermutlich unangebracht. Oder? Erst einmal anders versuchen. „Es tut mir leid“, sagte er schließlich zögerlich, „dass ich keine eigenen Worte finde. Aber für mich gilt letztlich das Selbe wie für dich: Du kannst mir alles zeigen - in diesem Fall sagen. Meine Meinung über dich wird sich niemals ändern.“ Kurz huschte sein Blick zu Tom, glitt dann jedoch wieder nach vorne. Der Verkehr war zu dicht, als dass er lange unaufmerksam sein konnte. „Du bist immer für mich der Mann mit dem viel zu großen, viel zu geduldigen Herzen, den ich … mit dem ich zusammen sein möchte.“ War das ein Anfang? Vielleicht. Oder doch mehr Klartext? „Ich möchte nicht, dass du glaubst, dass ich dich in irgendeiner Art und Weise verurteile oder dir gar die Schuld gebe oder… Ich…“ Warum war es eigentlich so schwer, so etwas feinfühlig zu sagen? „Ich wäre für dich gern jemand, mit dem du über solche Dinge reden kannst, ohne danach das Gefühl zu haben, einen Fehler begangen zu haben.“ Eames Als Eames zur Seite aus dem Fenster sah und bemerkte, dass die Welt schwankte, war er ganz froh, dass sich Arthur direkt ans Steuer gesetzt hatte. Er wäre sicherlich in der Lage gewesen den Wagen zu manövrieren (da hatte er schon unter schlimmeren Einflüssen Maschinen bedient), aber es hätte ihn extrem viel Konzentration und Willenskraft gekostet. Die plötzliche Entschuldigung ließ Eames erstarren. Er blickte unbewegt aus dem Fenster, atmete langsam und schwer und wartete bis Arthur fertig war. „Ich wäre für dich gern jemand, mit dem du über solche Dinge reden kannst, ohne danach das Gefühl zu haben, einen Fehler begangen zu haben.“ Wieder schauderte es Eames. Er wünschte sich das auch, aber er fühlte es nicht, so sehr er Arthur auch liebte. You can't make me stay Er wusste nicht, wie er diese Situation am besten regeln sollte. Am liebsten wäre er aus dem fahrenden Auto gesprungen. Doch das war nur der erste Impuls; er brauchte einen klaren Kopf... oder mehr Alkohol? Viel zu großes, geduldiges Herz?, dachte er bitterlich amüsiert. Verurteilen; Schuld; der Mann, mit dem er zusammen sein möchte – Eames war nicht dumm, er wusste, was für eine Überwindung es auch Arthur gekostet hatte, dies alles zu sagen und nun schallte es in seinem betrunkenen Schädel hin und her, wie ein schneidendes Echo. »Darling...«, entkam es ihm weich und doch herablassend amüsiert. »... sei nicht albern.«, die Worte schlichen sich aus ihm heraus, ohne dass er viel Kontrolle darüber hatte. »Wir wissen beide, dass wir immer Geheimnisse voreinander haben werden.« Seine Stimmung war undefinierbar panisch, er fühlte sich wie ein Rindvieh, dass einen gefrorenen See überquerte. Es knackte bereits unter seinen Füßen. »Glaub mir, ich hätte nicht mit dir über Ramadi gesprochen, wenn ich es nicht gewollt hätte. Aber es wird immer Dinge geben, die ich für mich behalten muss. Genau wie bei dir.«, er hasste sich bereits kurz nachdem er zu Ende gesprochen hatte, aber konnte einfach nicht aufhören. Er wusste was gerade wieder passierte. Er tat mal wieder so, als würde es ihm nichts ausmachen, als wäre Arthur der Dumme in diesem Gespräch, der viel zu viel hineininterpretierte. Leider fiel ihm keine andere Strategie ein, um nicht vollständig zu vergehen. »Lass uns die Zeit jetzt genießen, ok?«, er lächelte, wahrscheinlich sensibler, als zuvor, aber er ahnte, dass es die Sache nicht mehr besser machen würde. Der Rest war nur ein genuscheltes, leeres Versprechen: »Wir reden, wenn wir mal nicht deinen Geburtstag feiern.« Arthur Hatte er ernsthaft geglaubt, dass sich etwas ändern würde, wenn er auf Eames zuginge, ihn in sein Leben ließe, ihm sogar sagte!, dass er mit ihm zusammen sein wolle? Hatte er das wirklich geglaubt?!? Offenbar! Denn dieses Darling bereits schmerzte und sagte ihm, dass er mal wieder ein naiver Idiot gewesen war. Unverbesserlich gutgläubig, ein hoffnungsloser Narr! Das albern bestätigte ihm, dass er vorhin doch auf seine andere Stimme in seinem Kopf hätte hören sollen. Auf die, die kein Interesse daran hatte, Eames zu tief in sein Leben zu lassen, die ihn davor schützte, wieder und wieder verletzt zu werden. Diese schrie jetzt gerade voll Genugtuung auf, als Thomas erklärte, dass sie immer Geheimnisse haben würden. Was bitte, war das für eine Argumentation! Völlig dämlich und leicht zu zerschmettern. Aber nein! Wenn Eames ihm gerade zu verstehen geben wollte, dass es zu Archie nichts weiter zu sagen gab - wer wäre er, wenn er da in eine dieser sinnentleerten Diskussionen einsteigen würde?! Nicht mit ihm. Wenn er das nach all dem, was sich zwischen ihnen geändert haben könnte, nicht sah, dann würde er es ihm auch nicht aufdrängen. Wenn er lieber zerstörte, dann sollte er sich ihm nicht in den Weg stellen - zumindest nicht noch einmal. Er hatte gerade versucht, ihm die Abzweigung zu zeigen - Tom fuhr lieber geradeaus weiter. Nun denn. So ganz konnte er seinen Unglauben angesichts der Worte jedoch nicht verbergen. Zu einer Antwort war er erst einmal weder fähig noch bereit. Vielmehr erklang ein schnaubendes Auflachen, bevor er den Kopf leicht schüttelte und auf der Unterlippe kaute, seinen Blick stur geradeaus auf den Verkehr gerichtet. Dann verschloss er sich wieder, allein seine Stirn zeugte von seinem wachsenden Unmut. Wie leicht es Tom doch fiel, ihm immer wieder eine verbale Ohrfeige zu verpassen. Dinge, die er für sich behalten muss? Wie bei ihm? Hatte Arthur in den letzten Monaten, in den letzten Tagen, den letzten Stunden und Minuten nicht deutlich mehr von sich preisgeben als Tom? Es war das erste Mal, dass er so tiefen Einblick gewährt hatte. Andererseits: War es nicht normal, dass man nicht alles miteinander teilte? Die abartigste Vorstellung waren Pärchen, die sogar die selbe E-Mail Adresse hatten, die sich alles erzählten und keine Geheimnisse voreinander hatten. Gruselig! Ihm würden definitiv viele Dinge einfallen, die ihn an Toms Leben nie interessieren werden: angefangen von all den Frauen und Männern bis hin zu all den waghalsigen Aktionen, die jener so gerne fuhr. Aber so wie man solcherlei Dinge aus seinem Leben nicht teilte, so sprach man doch aber mit den wichtigen Menschen in seinem Leben über das, was einen belastete? Er hatte Mal so viel anvertrauen können. Das Loch, das sie hinterlassen hatte, war riesig und in den letzten Wochen hatte er sie unfassbar vermisst. Jetzt gerade vermisste er sie schmerzhaft. Auch wenn es nicht einfach war, über solche Dinge zu sprechen - das wusste Arthur nur zu gut - war es wichtig. Sonst ging man immer mehr kaputt. Hinterher fühlte man sich normalerweise besser. Normalerweise - Tom war genauso wenig normal wie er. Eigentlich kannte er ihn zu gut, um ernsthaft glauben zu dürfen, etwas könnte sich zwischen ihnen ändern. Dieser Schlüssel, der gerade so schwer in seiner Brusttasche lag, hatte ihn das vermutlich glauben lassen. Alles ein Trugbild einer nicht existenten Welt, die Tom um ihn herum erschuf und die er früher besser durchschaut hatte. Er brauchte wieder mehr Abstand! War es falsch von ihm, etwas von Tom wissen zu wollen? Tom gab ihm gerade sehr nachdrücklich das Gefühl, dass es ihn nicht nur nichts anzugehen hatte, sondern auch, dass es nicht wichtig war, nichts bedeutete. ‚Ich bin ein furchtbarer Mensch.‘ - wohl einer der wenigen Momente, in denen Tom wirklich ehrlich zu ihm gewesen war und er es nicht bis in letzter Konsequenz wahrhaben hatte wollen. Warum waren sie eigentlich beide hier? Warum hatte Eames ihn mitgenommen? Manipulierte er ihn mal wieder, indem er vorgaukelte, Arthur bei sich haben zu wollen, aber eigentlich brauchte er nur den Pointman. Den Sex nahm er gerne auch noch mit... Pack up again, head to the next place Where we'll make the same mistakes Burn it up, or just chop it down Ah, this is what I really call a party now.. „Wunderbar!“, sagte er mit hoch erfreuter Stimme und nickte gewichtig. „Das machen wir! Genauso wie sonst ja auch. Wenn wir nicht gerade meinen Geburtstag feiern, dann reden wir ja immer so super miteinander!“ Er bog in die Einfahrt der Ferienanlage ein und blickte kurz zu Tom. Warum waren ihm vorhin nicht die geröteten, glasigen Augen aufgefallen? „Wir machen es genauso wie immer. Hat ja in den letzten acht Jahren immer perfekt geklappt! Wir geben uns die Kante, bis du nicht mehr zurechnungsfähig bist und du alles auf den Alkohol schieben kannst. Dann bring ich dich noch irgendwie aufs Sofa und spätestens morgen Früh wische ich die Kotze auf. Hat doch immer wahnsinnig geholfen, mit allem klar zu kommen. Wir wiederholen die Scheiße einfach, bis es vielleicht doch irgendwann mal wirklich funktioniert! Perfekt!“ Das ‚Arschloch!‘, das ihm auf der Zunge lag, schluckte er hinunter. Er parkte den Wagen nahe des Rezeptions-Hauses und schaltete den Motor ab, öffnete die Fahrertür. „Diese Männer damals haben ganze Arbeit geleistet. Du lässt sie dich noch heute wieder und wieder foltern. Du lässt sie immer gewinnen.“ Gott, er musste hier dringend weg!!! Am liebsten sehr weit weg. Er stieg aus. Ja, diese Männer hatten Eames noch heute im Griff, weil sie ihn vor diese abartigen Entscheidung gestellt hatten. Offenbar wollte Tom noch immer nicht verarbeiten. Lieber bestrafte er sich erneut. Lieber ließ er nichts zu, was irgendwie Heilung bedeuten könnte. Lieber zerstörte er alles Positive (sofern Arthur das je sein könnte). Das Bittere war: offenbar bedeutete Eames sein persönlicher Schmerz, seine persönliche Hölle mehr als alles andere, mehr als ihr something - falls sie das je ernsthaft gehabt hatten. Nun, Arthur würde sicher nicht darauf warten, dass sich Tom irgendwann in ferner Zukunft doch dafür entschied, nicht mit seinem persönlichen Leid verheiratet sein zu wollen. Nein, das würde er definitiv nicht. Er hatte ihm die Hand reichen wollen, um ihn aus diesem Strudel zu ziehen. Doch diese Hand war nicht erwünscht. Arthur ahnte, dass er ihm dennoch die Hand immer wieder reichen würde. Aber wie nahe er ihn an sich ziehen würde, das musste neu entschieden werden. Die Konsequenzen dieses Gedanken schmerzten irgendwie. Aber die Konsequenzen würden verhindern, dass er immer wieder verletzt wurde. Er war es leid. Jeder war sich selbst der Nächste - Tom hatte es ihm gerade einmal wieder sehr bewusst gemacht. Lieber ‚genießen‘, ohne Verbindlichkeiten. Welcome back, Eames, the fucking asshole! Hatte Tom ihm wirklich immer die Gefühlskälte vorgeworfen?! Er war gut darin, die Wirklichkeit zu verdrehen! War das auch der Grund für die Flucht in Tokyo gewesen? Hatte jener ihn fallen gelassen, weil er eben doch gemerkt hatte, dass Arthur sich öffnen wollte? Vielleicht. Tom würde es ihm gewiss nie ehrlich beantworten. Meine Güte, hatte er sich heute mal wieder zum Idioten machen lassen! Unfassbar albern! Während er den Bungalow für eine Nacht bezahlte, ärgerte er sich, dass sie nicht doch durchgefahren waren. Eigene Dummheit! Er war doch wirklich so blöd gewesen, zu glauben, dass die Nähe in jenem Kuss, etwas bedeutet hätte, etwas, das es wert war, darin zu verweilen. Die Realität war: Je früher sie diese Arschlöcher ins Jenseits beförderten, desto schneller konnten sie wieder auf Abstand gehen. Sein Tatendrang als Pointman wuchs gerade ins unermessliche. Abstand war die Hoffnung, die sich gut anfühlte. Viel Abstand!!! Er verlor sich. Mal hatte ihn gewarnt. Er verlor den Blick auf das Wesentliche. Er verlor seinen klaren Blick, geblendet von einem Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Ruhe. Manchmal fragte er sich, wann er endlich erwachsen wurde. Sie wurden zu ihrer Unterkunft für diese Nacht geleitet, nach einer kurzen Erklärung der wichtigsten Regeln verabschiedete sich der hübsche junge Italiener mit der Fliege, dem Personal-Anzug und dem hübschen Hintern wieder. Der Bungalow lag wirklich nah am Strand, die Terrasse mit Blick zwischen ein paar Bäumen hindurch aufs Meer. Man hörte Musik, vermutlich von der Strandbar. Arthur trug seine Tasche hinein, Laptop und Einkäufe stellte er auf dem Esstisch ab, dann ging er nach hinten in eines der beiden Schlafzimmer mit Doppelbett. Unterwegs löste er den Krawattenknoten, im Zimmer zog er die Tür hinter sich zu und sich das Hemd aus und schließlich ein bequemeres Shirt an. Während er sein iPhone anschaltete, überlegte er, ob er schon zu den Einkäufen zurückkehren sollten. Tequila schien gerade mehr als das Richtige zu sein - ob mit oder ohne Eames. Eames Er wusste, dass Arthur Recht hatte, aber er hatte schlichtweg keine Lust darüber nachzudenken – was durchaus auch am Alkohol lag. Dumpf war schön, Ruhe war gut. Es war so viel einfacher eine gottverdammte Diva in ihm zu sehen, als einen Schritt weiterzugehen und sein eigenes Ego zu verletzen, oder vielleicht eine Tür zu öffnen. Er hatte wohl noch nie besonders guten Zugang zu sich selbst gehabt. „Wir wiederholen die Scheiße einfach, bis es vielleicht doch irgendwann mal wirklich funktioniert!" Eigentlich nicht der schlechteste Gedanke, dachte er. Wenn er immer so weiter machte, würde er vielleicht wirklich irgendwann drauf gehen. Dann hätte dieses ganze Theater endlich ein Ende. Auch wenn der Gedanke daran Arthur endgültig zu verlieren ihn wahnsinnig machte, würde er dadurch zumindest niemals wieder die vernichtende Wahrheit fühlen – die brachialen Konsequenzen seines Handelns, egal wie viel Schuld das widerliche, egoistische Arschloch, das er war, wirklich daran trug. Er wusste wer er war. Diesen Gedanken das erste mal völlig klar in seinem Kopf zu hören, erleichterte Eames tatsächlich ungemein und gab ihm eine merkwürdige Ruhe, obwohl er wusste, dass es ihm unangenehm sein sollte, dass sein White-Knight sich immer und immer wieder für ihn aufopferte. Selbst wenn das bedeutete jedes mal wieder seine Kotze aufzuwischen; er würde ihn retten und er würde daran vergehen und ein Teil von Eames wollte Arthur deswegen so weit wie möglich von sich drücken, wie er nur konnte. Der andere, wollte ihn bewahren, so sehr bewahren, weil wenn er diese Aufgabe nicht mehr übernähme, es keinen mehr gäbe, der sich wirklich um ihn scherte. Was Arthur über die Männer aus seiner Vergangenheit vom Stapel ließ, wagte er nicht an sich heran zulassen. Nicht in diesem Zustand. Stattdessen suchte er die Ablenkung, vertraute auf das dämpfende Gefühl in seinem Kopf und schaltete ab. Er schloss die Augen und dachte an... Sex. Dachte an seinen nächsten Drink, an den nächsten geilen Job. Er dachte an Marcellas süße kleine Brüste und fragte sich, wieso er sich nicht einfach eine Stunde Zeit genommen hatte die Kleine zu verführen. Er war sich sicher, dass er dazu in der Lage gewesen wäre; Concetta hin oder her. Eames erinnerte sich nicht, wie er ins Zimmer gekommen war. Es war, als erwachte er einfach in seinem eigenen, kleinen Reich, als die Tür hinter ihm zufiel. Er wusste, dass Arthur nebenan war. Wieso hatte er zwei Zimmer gebucht? Wieso teilten sie sich kein Bett? Er warf einen Blick aus dem Fenster und sah die Poolanlage und eine Bar. Er wollte einfach nichts mehr fühlen. Und doch musste er irgendetwas tun, um Arthur nicht vollständig zu verlieren. Nur was? Das Repertoire seiner Handlungsmöglichkeiten war scharf begrenzt, erst recht wenn er betrunken war. Er klopfte an die verschlossene Tür des anderen. »Arthur?«, seine Stimme war gebrochen, hoffnungsvoll. Er brauchte ihn. Egal wie scheiße aktuell alles zwischen ihnen war. Ohne seinen White-Knight war er verloren. »Mach auf, Arthur. Bitte.« Words like violence Break the silence Come crashing in Into my little world Es dauerte einen Augenblick, aber irgendwann öffnete sich tatsächlich die Tür, obwohl Eames bereits daran gezweifelt hatte. »Ich bin eine miserable Person. Aber ich liebe dich.«, seine Stimme hallte dumpf in seinem benebelten Schädel wieder. Er war etwas nüchterner, als noch vor zehn Minuten. Er trat vor, ergriff Arthurs Handgelenk aus Angst er könnte verschwinden; dieses mal endgültig. Es war schwer etwas zu sagen; das richtige schier unmöglich. Words are very unecessary The can only do harm »Ich liebe dich.«, als müsste er dem gerade gesagten noch einmal flüsternd Nachdruck verleihen. Als gäbe es keine andere Möglichkeit und keine anderen Worte. Sein Blick wanderte hoch, um Arthur ins Gesicht zusehen. Vielleicht war es falsch jetzt körperlich zu werden, aber es wollte ums Verrecken nichts mehr über seine Lippen kommen. In der Hoffnung irgendetwas zu retten küsste er ihn, während seine Hände ihn am Flüchten hinderten. Tequila und Sex, das würde helfen. Arthur Sein Handy surrte sogleich, als er es angeschaltet hatte, verschiedene Laute, verschiedene Apps, verschiedene Dringlichkeit. Doch ein Ton alarmierte Arthur sogleich. Er griff zum iPhone, entsperrte es und öffnete eben jene Nachricht. Mit klopfendem Herzen wartete er, bis die App geladen hatte, was sie ihm mitteilen wollte. Als die Nachricht endlich erschien, schluckte er. Sein Bruder hatte tatsächlich seine Wohnung betreten. Die Aufzeichnungen der Überwachungskamera waren eindeutig, das Bild, wie jener lächelnd in die Kamera blickt, brannte sich in seine Netzhaut ein. Arthur wechselte zu seinen Anrufen. Ariadne hatte versucht, ihn zu erreichen, dann eine Nachricht geschickt. Das Finanzamt hatte sich gemeldet und machte eine Steuerprüfung. Arthur setzte sich langsam auf das Bett, starrte auf die Nachricht und versuchte zu begreifen, was gerade geschah. Ging Ted wirklich so weit, dass er sogar versuchte, seine Firma anzugreifen? Es war letztlich nicht die Steuerprüfung, die ihm Angst machte. Seine Bücher waren einwandfrei und völlig unauffällig. Es war vielmehr die Tatsache, dass sein Bruder diese Grenze tatsächlich überschritten hatte. Ein Fakt, der ihm schier die Luft zum Atmen nahm. Er zuckte zusammen, als es an der Tür klopfte. Irritiert blickte er nach oben, hörte seinen Namen, diese Stimme, die so zerbrechlich klang. Er erstarrte, als er begriff, dass dort draußen vermutlich der einzige Mensch stand, der sich niemals gegen ihn richten würde – egal, wie Scheiße er ihn behandeln würde. Die Einsamkeit, die ihn bei dieser Erkenntnis überkam, kroch schwer durch seine Glieder. Arthur sperrte sein Handy, stellte es lautlos und ließ es in der Hosentasche verschwinden. Dann trat er an die Tür, hinter der Eames stand und ihn erneut bat, aufzumachen. Seine Rede vorhin musste ihm ordentlich zugesetzt haben, ansonsten würde er einfach hereinkommen. Seine Worte, die er ihm an den Kopf geworfen hatte, die vermutlich wahr waren, aber nichts und niemandem halfen. Vielmehr ließen sie diesen so stolzen Mann nun hier vor seiner Tür stehen und betteln. Er öffnete die Tür, sah den anderen an. Jener wirkte wie ein Schatten. »Ich bin eine miserable Person. Aber ich liebe dich.« Die Worte trafen ihn so unvorbereitet, dass der Schmerz heftig war, den sie auslösten. Wie gelähmt war er unfähig sich zu bewegen, als Eames sein Handgelenk ergriff, eher kam er sich wie ein Unbeteiligter vor, der zu eben jener Hand blickte und nicht begriff, was gerade geschah. Er sollte sich schleunigst sammeln. Arthur streckte sich, versuchte irgendwie wieder Haltung anzunehmen. Doch die nächsten Worte verhinderten dies. Wieder ein »Ich liebe dich.« Bekamen diese Worte mehr Bedeutung in der Wiederholung? Ihre Blicke trafen sich und er fühlte sich so schlecht, so dermaßen schlecht. Wer war hier eigentlich das Arschloch? Vermutlich sie beide. Vielleicht half diese Erkenntnis. Er spürte die Lippen, die seine berührten, schmeckte den Alkohol, roch ihn - und endlich ging ein Ruck durch seinen Körper. Etwas in ihm schrie auf, dass das hier gerade ganz falsch lief. Alles lief falsch, einfach alles. Er sollte etwas dagegen tun. Er drehte den Kopf, ohne zurückzuweichen, wich nur dem Kuss aus. Thomas hielt ihn ohnehin fest. „Halt“, sagte er leise. „Stopp!“ Er schluckte befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge. „So nicht.“ Seine Stimme klang nicht harsch, nicht sauer oder aufgebracht, wie er eigentlich auch in dieser Situation sein könnte – wie er vor wenigen Minuten vermutlich gewesen wäre, bevor er erkannt hatte, dass er ohne Tom so dermaßen am Arsch war, wie jener vermutlich ohne ihn. Vielmehr klang sie ruhig, fast sanft. „Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angegangen bin. Ich habe einige unschöne Dinge gesagt, ungerechte Dinge. Entschuldige bitte.“ Im Grunde hatte er die Worte gemeint, ehrlich gemeint. Aber sie waren nicht angebracht gewesen – nicht auf diese Art und Weise. Ob er es jemals schaffen würde, über die Provokationen von Tom hinwegzusehen und die Wogen gar nicht zum Tsunami werden zu lassen? ‚Ich habe deine Liebe gar nicht verdient!‘ Er suchte den Blick des anderen, sah dieses gläserne, verschwommene Blau. „Ich hasse es, wenn ich dich so sehe wie vorhin nach dem Einkaufen. Wenn du dich verkriechst, wie ein geprügelter Hund, der den Schmerz nicht teilen möchte. Ich kann das nicht ertragen, es macht mich fertig und ich möchte dir helfen, möchte doch einfach nur für dich da sein. Aber jedes Mal, wenn ich das versuche, schubst du mich – nein, prügelst du mich von dir. Du sagst, dass du mich liebst. Aber immer wenn ich dir nahe komme, fliehst du. Das tut Scheiße weh.“ Er lächelte bitter, verstummte, damit die Stimme nicht brüchig wurde. Alles irgendwie zu viel gerade in dem Moment. „Lass uns Tequila trinken, bitte!“ Eames Er spürte wie leicht Arthur sein Ego verletzte und es machte ihn wahnsinnig. Nie im Leben wollte er sich so fühlen und er fragte sich wieso er immer noch bei ihm war. Wieso er nicht längst das Weite gesucht hatte, um nach ein paar Monaten wieder locker-flockig von vorn anzufangen. Hatte doch bisher immer super funktioniert; Abstand tat ihnen gut! Wieso etwas erzwingen? Früher war dieses etwas zwischen ihnen einfach gewesen. In seiner Vorstellung war Arthur eine Trophäe gewesen, die er nach harter Arbeit endlich eroberte, um sie dann selbstzufrieden in seinem Regal verstauben zu lassen. Für immer perfekt, denn wenn man nicht an der Oberfläche kratzt hält Lack ja bekanntlich ewig... Tja, und dann war es kompliziert geworden, ohne dass Eames es bemerkt hatte und er war tatsächlich und endgültig verloren in dieser Geschichte. Was er wusste war, natürlich: er hatte Gefühle für Arthur – schon immer gehabt. Aber er wusste nicht, ob er sich den Herausforderungen stellen wollte, die mit diesem Mann in sein Leben traten. Abgewiesen werden kannte er von Arthur – aber nicht nachdem er ihm die heiligen drei Worte gesagt hatte. Nicht nachdem sie so weit gekommen waren, nachdem Eames sich ein Stück weit geöffnet hatte, obwohl er es besser gefunden hätte all das niemals wieder ans Tageslicht dringen zu lassen. Jetzt war es wieder da und er musste irgendwie damit klarkommen und wenn er sich dafür Pillen einschmiss oder in diesem Fall nur ein Schlückchen zu viel trank, wer sollte ihm diesen Versuch der Selbstregulation verübeln? Und nun stand dieser Arsch da und machte ihm Vorwürfe. Trotz der Entschuldigung ein erbärmliches Gefühl, das zunächst blanken Trotz bei ihm auslöste. Mit einer Hand hielt er Arthur noch immer, doch mit der anderen rieb er sich die Stirn und die Augen. Schüttelte langsam den Kopf. „Lass uns Tequila trinken, bitte!“ Daraufhin wiederum nickte zaghaft und rang sich ein Lächeln ab. Er ließ von ihm ab und zwängte sich an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Den Raum, den sie sich eigentlich teilen sollten, oder lief es schon wieder so schlecht zwischen ihnen? Wie ein Spürhund angelte er die Flasche aus einer der Einkaufstüten und schwenkte sie, drehte den Deckel ab und nippte daran. Guten Tequila konnte man pur trinken, ohne davon zu würgen. Er zitterte leicht, er musste sich selbst beherrschen. Ruhig Brauner, nicht rennen, nicht kämpfen. »Weißt du, du musst nicht alles wissen, Arthur.«, ein Statement. Er nahm noch einen Schluck, dann reichte er ihm die Flasche. Er spürte wie sich seine Nackenmuskulatur verhärtete. Auch Arthurs Schmerz ging ihm an die Nieren. »Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere...«, er ließ sich Zeit, fummelte seinen gezinkten Jeton aus seiner Hosentasche und spielte mit einer Hand damit herum. Er fragte sich wieso er sonst so gut verhandeln und schwafeln konnte, aber sobald es um emotionale, persönliche Sachen ging, einen Knoten in der Zunge hatte. »... alles andere ist doch egal, oder?«, unter seinen Worten drang ein Lächeln hervor. Ein Stück weit kam ihm selbst erst in diesem Moment die Selbsterkenntnis. Sicher könnten sie sich stundenlang hinsetzen und reden und sich gegenseitig therapieren, um am Ende vielleicht festzustellen, dass sie nichts tun könnten und dass Drogen und Selbstmord doch gar nicht so unattraktive Optionen waren. Oder aber... »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.«, er zuckte die Schultern, schnippte den Jeton in die Luft und fing ihn geschickt. Arthur Arthur spürte, wie Eames sich verkrampfte, wie er sich distanzierte, als er den Kuss unterbrochen hatte (Hatte er ernsthaft geglaubt, jetzt Versöhnungssex zu bekommen?!) und ihm gesagt hatte, wie er empfand. Die Worte waren nicht als Anklage gemeint. Er hatte ihm nur sein Dilemma erklären wollen. Aber half das? Ein Gefühl von Resignation schlich sich mehr und mehr ein. Er hatte das Gefühl, dass er das schon einmal gefühlt hatte. Der Glaube, etwas wäre anders, besser geworden zwischen ihnen - bevor er gegen die Wand knallte. Sie drehten sich so oft im Kreis. Hatte diese ganze Diskussion einen Sinn? Oder zerstörte er mal wieder nur, mit seinem Bedürfnis nach Wahrheit? Warum ging er hier immer raus mit dem Gefühl, der alleinige Depp zu sein, der alles zerstörte, der sich und sein Verhalten ändern musste? Ging Tom eigentlich auch auf ihn zu? Er hatte die Stimme des anderen im Ohr, dieses flehende. Der stolze, unzerbrechliche Thomas Eames - doch er drückte ihn hinunter, weil er etwas erzwingen wollte, weil er glaubte, dass es jenem gut täte, weil er dachte, dass sie das bräuchten - oder brauchte es er? Wer war er, sich das zu erlauben?! Now here you go again, you say You want your freedom Well who am I to keep you down It's only right that you should Play the way you feel it But listen carefully to the sound Of your loneliness Das gequälte Lächeln, das Nicken - hatte sich Tom von seiner ‚Offenbarung‘ mehr erwartet? Weil er ihm drei Worte gesagt hatte, die er im Vollrausch viel zu oft schon gesagt hatte? Er würde es gern fühlen - nicht nur, wenn sie Sex hatten. Aber konnte er das nicht schon längst? Hatte er es nicht erst heute Mittag so deutlich in diesem Kuss gespürt, beängstigend deutlich? Lag das Problem bei ihm, weil er nicht endgültig vertrauen konnte? Und weil er sie gar nicht richtig zuließ - seine eigenen Gefühle? Arbeitete sein Kopf schon wieder zu viel? Gedankenspiralen. Er brauchte Alkohol, ein wenig Betäubung. Er hatte vermutlich nicht das Recht, Eames mit tollen Ratschlägen zu kommen, was er zu tun oder zu lassen hatte - auch wenn es ihn wirklich schmerzte, wenn er ihn leiden sah. Doch er war ja selbst in anderen Dingen derselbe Idiot! Der Gedanke, Tom im Laufe des Abends von seinem Bruder zu erzählen, war irgendwie absurd. Er wollte ihn nicht leiden sehen, aber vergrößerte sein Leid mit seiner Art. Sie waren so Scheiß-verschieden! Es hatte mal ein paar Stunden gegeben, in denen er Tom glücklich gesehen hatte. Die Stunden, bevor sie sich Jobs geschnappt hatten. Stunden, ohne Fragen, ohne Vorwürfe, ohne Streit. Stunden, in denen sie einfach nur gelebt hatten, sich geliebt hatten. Auch er hatte so etwas wie Glück empfunden. Damals waren Gespräche vorausgegangen. Gespräche über ihre gemeinsame Vergangenheit. Damals konnten sie reden - zumindest zum Teil. Damals hatte Tom ihm angeboten, die ganze Nacht zu reden. Sie waren im Bett gelandet, noch bevor sie wirklich in die Tiefe ihrer Vergangenheit eingetaucht waren. Sein Blick war Tom ins Zimmer gefolgt, sank jetzt zu Boden. Er atmete tief durch, lockerte die verkrampften Schultern etwas. Waren sie beide in die Sackgasse gefahren, obwohl er es hatte verhindern wollen? Ironischerweise ja. Gute Gelegenheit gemeinsam die Kurve zu kriegen, oder? »Weißt du, du musst nicht alles wissen, Arthur.« Arthur hob den Blick, sah auf die Flasche, die ihm angeboten wurde. Tequila würde helfen. Er griff zur Flasche und trank einen Schluck. Das Zittern war ihm nicht entgangen. Die Zitrone fehlte, das Salz. Er verzog einen Moment das Gesicht. »Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere...« Da waren sie: Zitrone und Salz, das i-Tüpfelchen, die Geheimzutat, eine Liebeserklärung, die ehrlich klang, die nicht weh tat. »...alles andere ist doch egal, oder?« Arthur beobachtete, wie Eames den Jeton herauszog. Erinnerungen an Tokyo. Warum in dieser Situation? Wieder Provokation? Er brauchte Langmut... Ja, vielleicht müsste das reichen. Vielleicht musste ihm das als Gewissheit reichen, um langmütiger zu werden. Vielleicht sollte er endlich aufhören, ihn verändern, ihn ‚verbessern’ zu wollen. Vielleicht musste er sich einfach damit abfinden, dass Tom handelte, wie er handelte, es aber nicht tat, um ihn zu verletzen - nicht automatisch. Vielleicht brauchte Eames den Schmerz für sich alleine und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten und da zu sein. Vielleicht musste er ihm auf andere Art mitteilen, wann er sich Scheiße verhielt, ihn anders behandeln, als krampfhaft zu versuchen, ihn verstehen zu wollen. Vielleicht lebte jener deshalb nur im Hier und Jetzt, während Arthur selbst selten mit seinem Gedanken im Moment war. Vielleicht... vielleicht... Er hasste dieses Wort. Er hasste die Ungewissheit, die damit einherging. Er hasste die Ungewissheit, die Unsicherheit, die Angst, wieder verarscht, verletzt, zerstört, verlassen zu werden. Aber vielleicht war das einfach nur sein eigenes verficktes Problem. Vielleicht (und er nahm sich vor, dass das das letzte Vielleicht an diesem Abend sein sollte!) musste er einfach auf diese Zusage vertrauen. Mehr bekam er nicht von Tom, nicht unmittelbar. Kleine Schritte, kleine Gesten, kleine Worte, kleine Geschichten. Mühsam ernährte sich das Eichhörnchen. Vertrauen... Noch immer schwierig mach Tokyo. Es war nicht leicht, aus alten Gewohnheiten auszubrechen. Er hatte das alles doch schon einmal durchdacht, oder? Traute er sich zu springen? Würde er fallen oder fliegen? »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.« Nun, so ganz stimmte das nicht. Aber das wusste Eames auch. Sie waren hier, weil Tom Mist gebaut hatte. Wie es wohl wäre, wenn jener nicht von ihm abhängig wäre? Wäre er auch zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Arthur schüttelte den Kopf, den ungerechten Gedanken weg er brachte niemanden weiter. Zumal er die Worte nicht so wörtlich nehmen sollte. Es ging um ihr something bei diesem ‚hier’. Letztlich würde sich erst nach dem Job hier zeigen, ob sie wirklich ein something + x hatten oder nur ein something. Er musste sich aber jetzt entscheiden, was er wollte: Ja oder Nein; Kopf oder Zahl - seine Augen folgten dem Jeton, sahen zu, wie Eames ihn fing. Ja oder Nein zu ihnen, ihrem something+x. Ein Ja mit Vertrauen, Langmut, Geduld und Kraft, ein paar Tiefschlägen, die es einfach zu ertragen galt, oder ein Nein - ein Leben endgültig ohne Thomas Eames. Arthur trat auf Tom zu, die Flasche in der Hand, trat vor ihn, suchte seinen Blick, wartend bis jener ihn ansah. Dann küsste er ihn, fordernd, neckend. Der Geschmack von Tequila auf den Lippen, Salz und Zitrone im Herzen. Ein Leben ohne diesen Scheißkerl war schlichtweg nicht möglich. Vollkommen absurd in mehrfacher Hinsicht. Er hatte es viel zu lange versucht. Er würde ihn sein Leben lang vermissen. Das hatte er doch erst heute gesagt, ehrlich gesagt. Er wollte nicht immer wieder in diese beschissene Sackgasse fahren, an deren Ende er sich wie schon so oft diese 1000 blöden Frage stellte. Er sollte sie endgültig klären! Jetzt! Er sollte endlich lernen, ihn zu nehmen wie er war. Irgendwie musste das in seinen viel zu viel nachdenkenden Schädel hinein. In the stillness of remembering what you had And what you lost, and what you had, and what you lost Thunder only happens when it's raining Players only love you when they're playing „Du wolltest den Vesuv sehen“, sagte er leise, als er sich löste. Ein leises Schmunzeln zierte seine Lippen. „Ich will Zitronen, Salz und Tequila - und später Sex. Sofern du dazu noch in der Lage sein wirst. Lass uns an den Strand gehen.“ Eames Eames hörte Meeresrauschen und spürte den Wellengang in seinem Kopf. Letzteres hatte jedoch lediglich etwas mit dem Pegel zu tun, den er erreichte, als sie Tequila am Strand tranken. Damit sie nicht noch schneller betrunken wurden, hatte er ebenfalls ein paar Leckereien besorgt, die sie sich in ihrem kitschigen Strandkorb genehmigten. Eames fühlte sich als hätte er locker 24 Stunden nichts gegessen und bediente sich gründlich. Wäre er nicht so betrunken gewesen, hätte er sich nicht damit abgefunden an einem Strand zu sitzen, wo sie von Touristen umgeben waren, auch wenn in diesem teuren Etablissement, was Arthur kurzfristig gebucht hatte, schon weit aus weniger los war, als an den weniger teuren Stränden. Er hätte eine stille Bucht oder ähnliches vorgezogen. So musste er wohl oder übel warten bis er touchy werden durfte. Natürlich konnte er nicht vollständig vermeiden, dass seine Hände ihren Weg zu diesem makellosen Wesen neben ihm fanden. Mit gelockerter Zunge erzählte Eames, dankbar dass sie nun nicht mehr über ihre Leiden sprachen, von einem Fall, den er vor etwa drei Jahren gehabt hatte. Natürlich auch um Arthur zu schmeicheln berichtete er von dem katastrophalen Point Man und dem Architekten, der vergessen hatte dass es im Schweinestall nach Scheiße stank; wunderte wohl keinen, dass das Subjekt skeptisch wurde, nicht wahr? Trotzdem hatte der Fall etwas gutes gehabt, da er zu Shania Twain forgen durfte, die er – wie er Arthur bislang noch nicht gestanden hatte – liebte seit er 12 war. Also quasi schon immer. Da Arthur nicht ganz überzeugt war, versuchte Eames ihn mit ein paar selbst gesungenen Versen aus Ka-Ching zu überzeugen, leider ohne Erfolg. Als die Sonne gerade unterging und der Versuv in ein fabelhaftes Orangerot getaucht war, kam Eames auf die fantastische Idee schwimmen zugehen und begann sogleich sich auszuziehen. Sein Handy fiel ihm aus der Hosentasche in den Sand, wodurch er bemerkte, dass Yusuf ihm geschrieben hatte. Mit offenem Hemd und heruntergelassener Hose stand er da und las interessiert, was sein Lieblings-Araber ihm geschrieben hatte: »Jobs ist auf dem Weg.«, verkündete er. Das war gut, sehr gut. Sie waren vielleicht etwas spät dran, um den ganzen Betrug einzufädeln, aber er kannte Arthur und sein Zeitmanagement. Sie würden es schaffen. Quasi im selben Augenblick vibrierte auch Arthurs Telefon, jemand wollte ihn sprechen. Jemand der eine gewisse Nachricht auf einem Board gelesen hatte und verdammte sechs Wochen zu spät dran war, um eben diese Nachricht weiter zuleiten. »Arthur, morgen. Hier ist Dom. Ich glaube wir sollten mal wieder reden.« Arthur „Sorry, Eames!“, sagte Arthur bewusst kühl und versuchte dann selbst den Ton der Sängerin zu treffen, als er fortfuhr. „That Don’t Impress Me Much!“ Er schüttelte den Kopf und lachte über den Versuch des anderen, mit seiner rauen Stimme, seinem britischen Akzent und dem Unvermögen, zweimal den selben Ton zu treffen, Ka-Ching zu performen. „Probiere es lieber mit ‚Man, I feel like a woman now‘“Arthur grinste breit, strich nun Tom mit der Hand über den Oberschenkel, zwischen diese und dann leicht nach oben. „Vielleicht punktest du dann bei mir.“ Dann zog er die Hand zurück, nahm wieder Distanz auf. Sie waren hier schließlich nicht allein. Zufrieden blickte er aufs Meer und fühlte sich angenehm unbeschwert. Er wusste, dass Tom das besser konnte, dass es am Alkohol lag - oder daran, dass er es nicht besser machen wollte, damit er sich entspannen konnte. Sicher tat er das nur aus Eigennutz - um nicht auf ein anderes Thema zurück zu kommen. Aber Arthur war das durchaus recht. Der Tequila half sein Hirn angenehm zu verlangsamen. Der Geschmack von Oliven, ungesalzenem Weißbrot und italienischer Salami war schlichtweg Urlaub. Es tat gut, einfach abzutauchen, aus dem zu verschwinden, was hinter ihnen war, was vor ihnen lag. Shania Twain - soso. Die Brünette Kanadierin hatte es ihm also als Teenager angetan. Keine schlechte Wahl. Ein wenig beneidete er Tom ja um sein Können, in die Haut anderer Mensch hineinzuschlüpfen. Er wäre auch gern manchmal jemand anderes. Eames war seinem Blick zum Meer offenbar gefolgt, denn plötzlich stand er auf und kündigte an, schwimmen gehen zu wollen. Bevor Arthur recht begriff, begann er bereits sich auszuziehen. Abrupt richtete sich Arthur, der nach hinten ins Kissen gesunken war und die Beine überschlagen hatte, wieder auf. „Moment, Eames!“, begann er ihn zu mahnen. „Du kannst doch nicht...“ Zum Glück lenkte das Handy Eames vom weiteren Vorgehen ab. Arthur nickte auf die Neuigkeit, fühlte mit einem Mal, wie er ziemlich jäh zurückgeworfen wurde in die Realität. Sein Kopf schwamm leicht, sein Blick war vermutlich etwas glasig. Er schloss die Augen, spürte sein eigenes Telefon surren. Ariadne? Arthur zog es aus der Hosentasche und runzelte irritiert die Stirn. Dom? Arthur stand auf, merkte, wie schnell er eigentümlich nüchtern wurde. Reflexartig drehte er sich von Tom weg, lief ein paar Meter hinter den Strandkorb, um Abstand zwischen sich und Eames zu bekommen. Erst dann nahm er mit einem „Hm?!“ den Anruf entgegen. »Arthur, morgen. Hier ist Dom. Ich glaube wir sollten mal wieder reden.« Seine Stirn legte sich noch mehr in Falten. Was wäre denn so dringend, dass er so ernst klang? Sie hatten tatsächlich seit seinem Geburtstag nicht mehr gesprochen. Er hatte ihn damals gebeten, ihn anzurufen, wenn er von Tom etwas hören würde. Kurz blickte er zu eben diesem. Das konnte es nicht sein. Oder? Ob Ariadne ihn kontaktiert hatte, weil sie ihn nicht erreicht hatte? „Sollten wir?“, fragte er nach. „Ist bei dir alles in Ordnung? Ist etwas passiert?“ Eames Die Lust auf Schwimmen war ihm noch nicht ganz vergangen, aber erst einmal setzte er sich und schrieb Yusuf eine Antwort. Es kostete ihn einiges an Anstrengung und er musste das Handy sehr nah vors Gesicht halten, um mit seinen Wurstfingern auch die richtigen Buchstaben zu treffen. Natürlich war besoffen Texten nie eine gute Idee, aber Yusuf kannte schon, dass er auch ihm mal ein Herzchen zu viel schickte, wenn er einen sitzen hatte. »Arthur?«, säuselte er und bemerkte erst dass Arthur ein paar Schritte weggegangen war, als er seine Nachricht abgeschickt hatte. Stirnrunzelnd starrte er auf seinen Rücken... diese Haltung. Wenn es Ariadne wäre, wäre er nicht so hörig, dachte er. Er ahnte schon, wer sich da aus der Versenkung meldete. Dom Dom ließ ein entspanntes, leises Lachen hören. »Nein, nein. Es ist alles gut..«, er wirkte dennoch angespannt. Im Hintergrund war das Lachen von Kindern zu hören, die sich allerdings zu entfernen schienen. »Hast du etwas von Eames gehört?« Nachdem Arthur ihm diese Frage positiv beantwortet hatte, fuhr Cobb gleich mit einem erleichterten »Oh gut.«, fort. Er schien kurz etwas abgelenkt, kehrte dann aber wieder zu 100% Aufmerksamkeit für Arthur zurück. Die Verbindung war leider auch nicht die Beste. »Ich habe vor einigen Wochen eine Nachricht von ihm erhalten, die ich eigentlich an dich weiterleiten sollte. Es klang alles ziemlich ernst, aber... ich schätze mal ihr habt das bereits geklärt...«, kurzes Räuspern. »Du bist nicht zufällig in der Nähe, oder? Es gäbe da vielleicht eine Art... sagen wir mal, Umstand, den ich mit dir besprechen will.« Arthur Arthurs Anspannung wich nicht, als Dom verneinte, dass etwas passiert war. Warum rief er ihn dann an? Was musste er mit ihm bereden? Die nächste Frage ließ seine Unruhe wachsen. Ob er von Eames gehört habe? Sein Blick huschte erneut zu diesem, der mit seinem Handy beschäftigt schien. Erneut brachte er ein paar Schritte zwischen sie. „Ja, hab ich. Er hat sich gemeldet“, antwortete er möglichst gleichgültig. Zu einem ‚Wieso?‘ kam er nicht mehr. Irritiert zog sich Arthurs Stirn zusammen. Warum klang Dom deswegen so erleichtert? Ein Rauschen, ein Knistern. Arthur warf einen kurzen Blick auf sein Display, noch existierte die Verbindung. »... vor einigen Wochen eine Nachricht von ihm erhalten, die ich eigentlich an dich weiterleiten sollte. Es klang alles ziemlich ernst, aber... ich schätze mal ihr habt das bereits geklärt...« Arthur erstarrte in der Bewegung und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können. Eames hatte was? Er hatte Dom eine Nachricht geschickt, die eigentlich ihm galt? Arthur war klar, dass das nur nach Toms Verschwinden nach dem Koma passiert sein konnte. Aber was hatte... »... in der Nähe, oder? Es gäbe da vielleicht eine Art... sagen wir mal, Umstand, den ich mit dir besprechen will.« Arthur schüttelte den Kopf, so als würde ihm das helfen, wieder klarer zu werden. Er wusste schon, warum er selten über den Durst trank. Das Denken fiel schwer. Er hasste das! Doch Dom klang nervös. Irgendwas war los. Er zwang sich, erstere Information erst einmal hintenan zu stellen. „Umstand? Wie meinst du das? Ich bin grad leider in Europa - ein Job. Ich bin erst in einer Woche wieder in New York. Ist es dringend? Ich könnte zusehen, dass alles hier etwas schneller geht und direkt zu dir fliegen.“ Mit Ariadne würde er das schon klären können. Letztlich würde da nichts passieren und noch hatte die Bauphase bei ihrem aktuellen Projekt noch nicht begonnen. „Was genau hat Eames dir geschrieben?“, schob er nun nach. Tom hatte behauptet, keine Möglichkeit gehabt zu haben, ihn zu kontaktieren. Aber offenbar hatte er es doch versucht. Warum hatte er ihm das nicht gesagt? Er wäre doch wesentlich versöhnter gewesen, wenn er das gleich gewusst hätte... Dom Dom kam nicht dazu auf Arthurs eifrige Angebote einzugehen, als er schon die Frage nach Eames einschob. Er schmunzelte. Das sah ihm leider sehr ähnlich. Dom wusste eindeutig nicht was zwischen den beiden war, aber dass Arthur viel aus dieser ambivalenten Beziehung mit dem Forger schöpfte war ihm irgendwie klar. Immerhin hatte er sie zusammen gebracht und die Anfänge ihrer... Freundschaft (?) selbst beobachtet. Dass Eames einen Narren an Arthur gefressen hatte war klar, daraus machte er keinen Hehl. Fraglich nur, wie ernst das ganze war... aber wenn Dom ehrlich zu sich war, hatte er sich seltenst um die beiden Gedanken gemacht. Wieso also in diesem Moment damit anfangen? »Ich kann den genauen Wortlaut nicht wiedergeben, die Nachricht hat sich bereits selbst gelöscht.«, begann er. Dabei war deutlich zuhören, wie er sich mit den Fingern über die Bartstoppeln fuhr – eine typische Geste, wenn er nachdachte. »Ich sollte dir sagen, dass er weiß, was du getan hast und dass alles in Ordnung ist. Dass er sich melden würde, sobald die Luft rein ist und dass er sicher gehen würde, dass dir und Yusuf nichts passiert. Da war noch mehr... irgendetwas von einem Haus. Warte...«, man hörte Papier rascheln. »Dass er das Eames-Haus nicht so schnell vergessen würde. Tut mir leid, ich habe mir nur Stichpunkte gemacht, ich habe die Nachricht heute in aller Frühe gelesen, als ich Krankenhaus auf Phillipa gewartet habe. Sie hatte einen Asthma-Anfall.« Er räusperte sich. »Was die andere Sache angeht; komm einfach sobald du es einrichten kannst.«, ob es nun eilig war oder nicht hatte er glatt vergessen zu erwähnen. Vielleicht auch ein wenig mit Absicht, immerhin kannte er Arthur und wusste, was er aus solchen Informationen machte. Arthur Während Dom die Nachricht sinngemäß wiedergab, schloss Arthur die Augen, überrascht von dem seltsamen Gefühl in seinem Innersten. War das der Tequila, der ihm dieses flaue Gefühl bereitete? Diesen Schwindel? Die weichen Knie? Vermutlich war es dieser, der ihn so seltsam zumute werden ließ. Aber als Dom rezitierte, dass Tom das Eames-Haus nicht vergessen würde, konnte er das Herzklopfen und das Kribbeln im Bauch nicht mehr auf den Alkohol schieben. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, was alles anders gewesen wäre, wenn er diese Nachricht früher erhalten hätte - bevor seine so großen Sorgen und seine Angst in Wut umgeschlagen waren. Dom war letztlich sein bester Freund, war ihm wichtig. Beruflich und privat hatte er sich immer auf ihn verlassen können. Jetzt im Moment merkte er einen Unmut, den er eigentlich noch nie bei Dom gespürt hatte, eher nur bei dem Kerl, der sich wieder in den Strandkorb gesetzt hatte und auf ihn wartete. Arthur zwang sich, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. „Geht es der Kleinen gut?“, fragte er zunächst, ehrlich besorgt. Er mochte Dom und Mals Kinder, besonders Phillipa erinnerte ihn in vielen Momenten an seine beste Freundin, die er so oft schmerzlich vermisste. Sie war genauso sanftmütig und lieb, gleichzeitig auch sehr selbstbewusst und stark. Erst als Dom das bestätigte, griff Arthur das andere Thema auf. „Ich komme, sobald es mir möglich ist. Ich melde mich dann nochmal bei dir. Wird aber vermutlich erst in drei, vier Tagen sein.“ Er schwieg kurz. Warum hatte Tom ihm nicht von der Nachricht erzählt? Arthur wusste die Antwort, noch bevor er die Frage zu Ende gedacht hatte. Hätte er ihm geglaubt in der Wohnung, als er ihm die Waffe vorgehalten hatte? Er hätte es als Ausrede, als Lüge deklariert und Dom definitiv mehr vertraut. Hätte er es ihm im Flugzeug sagen sollen? Im Gasthaus? Bei jenem Abendessen? Arthur war fast froh, dass er es nicht getan hatte. Es hätte gewiss alles zerstört. Er hätte ihn einen Lügner beschimpft. Ob er den Schlüssel je angenommen hätte? Damals in seiner dummen Wut und Enttäuschung hätte er Dom definitiv mehr vertraut als Tom. Wieder meldete sich der Unmut. „Und Dom“, fügte er daher noch an. „Die Nachricht wäre wichtig gewesen. Ich weiß, dein Kopf ist momentan mit anderen Dingen beschäftigt. Aber kontrollier deine Kommunikationswege dennoch regelmäßig.“ Immerhin hatte er ihn ja auch gebeten gehabt, die Ohren offen zu halten, was den Verbleib von Eames betraf. Da hätte er doch nachsehen können - für ihn. Er würde es doch für Dom ebenso machen. „Wie gesagt: Ich melde mich, wenn ich weiß, wann ich in L.A. lande.“ Er beendete das Gespräch und blieb noch einen Moment stehen. Das Eames Haus, ihr Konstrukt, das Symbol für ihre Beziehung. Sie hatten es damals im Traum nicht betreten, hatten es noch nie betreten. Oder? Jetzt wo er darüber nachdachte... war nicht seine Wohnung dieses gewesen, in den Tagen vor der Extraction bei Jobs? War nicht jenes Gasthaus bei München, das Appartement in Verona, dieser Bungalow hier stellvertretend dafür? War nicht all die Zeit, die sie miteinander verbrachten, Zeit in diesem Haus? Wenn sie stritten, wenn sie sich liebten, wenn sie nebeneinander saßen und sich wohlfühlen - alles Zeit in diesem Haus. Eames hatte ihm den Schlüssel dazu überreicht. Nun versuchten sie sich darin zurecht zu finden, sich zu arrangieren und einzuleben. Dass das bei ihnen nicht einfach war, wussten sie beide, merkten sie oft genug. Aber immerhin schafften sie es, gerade beieinander zu sitzen und Tequila zu trinken, obwohl er heute den Gedanken gehabt hatte, ausziehen zu wollen. Ob Tom auch schon den Wunsch gehabt hatte, auszuziehen? Wahrscheinlich. Vermutlich würde es diese Momente auf beiden Seiten aus unterschiedlichen Gründen immer wieder geben. Doch irgendwie bekamen sie immer wieder die Kurve. »Ich leide, du leidest und umgekehrt. Aber Fakt ist, dass wir beide jetzt hier sind, obwohl wir sind, wie wir sind.« Arthur steckte das iPhone in die Hosentasche und knöpfte sich sein Hemd auf, während er hinüber zu Tom ging. Der von der Vulkanasche dunkle, graue Sand unter seinen Füßen fühlte sich warm an. Die Sonne stand bereits recht tief, es wurde dunkel. Vor Tom blieb er stehen, zog sich das Hemd aus, ließ es neben diesem auf den Strandkorb fallen, dann begann er die Hose etwas aufzuknöpfen. „Noch Lust zu schwimmen?“, fragte er mit dunkler Stimme, setzte sich auf Toms Schoß, rechts und links von diesem kniend. Seine Arme legten sich um die Schultern des Forgers, während er ihn einfach ansah. Seine Finger glitten durch dessen Haar, spielten damit, wie er es so gerne tat, während ihre Augen ein stummes Gespräch führten. An Ausziehen aus ihrem Haus war jetzt noch weniger zu denken denn je. Es käme einem Aufgeben gleich, nur weil es nicht einfach war, weil sie beide nicht einfach waren. Aufgeben war etwas, was er so gar nicht mochte. Sie begannen doch erst, die Regeln auszuloten, wie es funktionieren könnte. Und angesichts dessen, dass er ihm vor wenigen Tagen erst vorgeworfen hatte, sich ihm nicht anvertrauen zu können, waren sie heute einen großen Schritt gegangen. Auch wenn Arthur das nicht immer gleich erkannte. Er überwand die wenigen Zentimeter und küsste Tom sanft, fast zärtlich. „Oder wollen wir gleich ins Schlafzimmer verschwinden?“, raunte er gegen die Lippen, bevor er sie erneut verschloss. Arthur lauschte den Herzschlägen des anderen. Sein Kopf war auf dessen Schulter zur Ruhe gekommen, sein Körper schmiegte, nein klebte eher an Toms. Ein Schweißfilm bedeckte dessen Haut, bei ihm war es nicht anders, das Haar auf der Stirn verklebt. Oder war es noch nass vom Meer? Ein kühler Luftzug ließ ihn kurz frösteln. Doch er deckte sie nicht zu. Er wollte sich nicht wegbewegen. Arthur fühlte sich entspannt, zufrieden, ungewohnt ruhig. Ein seltener Moment, in dem er nur das Hier und Jetzt genoss, wirklich einfach da war - nicht nur physisch. Seine Finger glitten fahrig über die Brust des anderen zeichneten vereinzelt Linien der Tätowierungen nach. A.D. Er war müde, erschöpft und... glücklich. Er schloss die Augen, lauschte den ruhigen Atemzüge des anderen. Auch wenn er jetzt liebend gerne einfach eingeschlafen wäre, kehrten seine Gedanken nun doch zu diesem Telefonat zurück. „Dom hat mir vorhin deine Nachricht überbracht“, sagte er leise in den Raum hinein. Tom rührte sich nicht, bewegte sich nicht, antwortete nicht. War er schon eingeschlafen? Arthur wusste es nicht. Es war letztlich egal. „Ich danke dir!“, fügte Arthur leise hinzu, küsste die nach Salz schmeckende Haut dort wo seine Lippen gerade lagen. „Es tut mir leid, dass ich dir mal wieder so viele ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht habe.“ Der Mensch sieht immer nur das, was er sehen will. Das tat er bei Tom schon so lange, vermutlich immer. Zeit, dass sich das änderte. Dass es ihm nicht leicht fiel hatte mehrere Gründe. Fakt war jedoch, dass es sich ändern musste. Er küsste erneut die Stelle, angelte dann doch nach der Decke, die er über sie zog und bettete erneut seinen Kopf. Er atmete tief durch, schloss die Augen. Er sollte schlafen. Die nächsten Tage würden anstrengend werden. Kopfschmerzen trieben Arthur als erstes aus dem Bett und unter die Dusche, in die Eames ihm wenig später folgte. Das Wissen darum, dass die nächsten Tage keine Zeit lassen würden für ihr something, war vermutlich mehr der Grund dafür, sich etwas Zeit zu lassen, als das drückende Gefühl in Arthurs Kopf, das mit Ibuprofen hoffentlich bald in den Griff zu bekommen war. In dem Moment, in dem sie in das Auto stiegen und losfuhren, merkte Arthur, dass sich etwas in der Stimmung zwischen ihnen veränderte. Sie beide waren vermutlich gerade in den Arbeitsmodus gewechselt. Ihm tat das gut, gerade im Hinblick darauf, dass Tom sicher noch immer dagegen war, dass Arthur ihn ins Casino Lombaros begleiten würde. Für das Gelingen des heiklen Plans war es wichtig, dass sie arbeiteten und nur das im Fokus stand. Für alles andere würde hinterher Zeit und Raum sein - mehr oder weniger. Es ging um zu viel, als dass Gefühle hier wichtig wären. Jobs war mittlerweile in Neapel gelandet, wie Eames mitgeteilt wurde, während sie ihre Sachen ins Auto trugen. Neapel war bereits Einzugsgebiet der Familie des ehemaligen MoneyGram CEOs. Es war ziemlich sicher, dass jener nach Süden reisen würde. Der Familiensitz befand sich in Catanzaro. Die Informationen, dass Lombardo versuchte, sein Einflussgebiet zu vergrößern, hatten Wirkung gezeigt. Zugleich hatte Jobs die Info erhalten, dass sie sich an Lombardo rächen wollten und Informationen hätten, die den Verbleib des Geldes betrafen. Nun mussten sie auf Sizilien zunächst einmal eine Unterkunft finden, dann ein Gelände, auf dem die vermeintliche Geldübergabe stattfinden könnte. Sie sprachen es nicht aus, aber es würde Sinn machen, dass Arthur sich um die Location kümmerte, während Tom Kontakt zu Jobs aufnahm, um alles weitere in die Wege zu leiten. Sie mieteten sich etwa genau in der Mitte zwischen Palermo und Catanzaro in ein beschauliches renoviertes Bauernhaus ein, das etwas höher gelegen bei San Giorgio-Magaro lag. Von der Dachterrasse konnte man abends in der Ferne den Stromboli beobachten, der in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Lava spuckte. Zwei Stunden entfernt von Palermo war die Chance größer, nicht entdeckt zu werden. Zudem war es Grenzgebiet zwischen Lombardos und Jobs‘ Familien. Arthur fand eine Lagerhalle in den Bergen, die ursprünglich einmal zu einer Winzerei gehört hatte. Das Weingut war mittlerweile an einem anderen Ort, doch das Gebäude und die Nebengebäude existierten noch. Es war schon dämmrig, als sie dort abends noch vorbeifuhren. Viel konnten sie nicht sehen. Aber es wirkte brauchbar. Arthur kümmerte sich darum, während Eames tatsächlich am nächsten Morgen losfuhr, um Jobs zu kontaktieren. Er hatte versprochen, mittags am darauffolgenden Tag zurück zu sein. Es fühlte sich seltsam an, ihn gehen zu lassen. Nicht, weil er sich sorgte, jener könne Probleme mit Jobs bekommen. Eher, weil Arthur Sorge hatte, er würde nicht zurückkehren, ohne vorher auch alles mit Lombardo zu regeln. Zu schnell hatte Eames bei ihrer Diskussion eingelenkt. Irgendwie traute er dem Ganzen nicht. Allerdings zwang er sich, nichts zu sagen. Langmut und Vertrauen - hatte er sich das nicht vorgenommen? In gewisser Weise genoss er aber auch die Zeit alleine. Er vermisste seine Wohnung. Arthur arbeitete konzentriert. Nachdem Tom weg war, nahm er sich einen Leihwagen und erkundete die Halle erneut. Dann fuhr er nach Catania, um letzte Dinge zu besorgen: ein Laptop, über den er einige zum Beispiel die Explosionen steuern konnte, wenn es nötig wäre. Zwei Geldkoffer, die er zum Teil füllte. Salzsäure in einer unauffälligen Menge. Dann machte er sich daran, die Sprengsätze zu basteln. Die Grundrisse des Gebäudes zeichnete er selbst, analysierte, welche Wände tragend waren. Dann konstruierte er das Gebäude für einen Traum, damit Tom sich auch noch einmal mit dem Gebäude vertraut machen könnte, wenn er von Jobs zurückkam. Einen P.A.S.I.V-Koffer hatte er mitgenommen. Es gab ihnen die Möglichkeit, sich besser abzustimmen und vorzubereiten, ohne viel Zeit zu aufzuwenden. Jetzt mussten sie nur noch ihre Aktion im Casino vorbereiten. Über Jesse kam er an die Baupläne des ‚Caesars Palace‘ Casinos. Doch auf Basis dessen ein Gebäude für eine Traumebene zu konzipieren war letztlich unmöglich. Vielleicht könnte Tom ihn auf Traumebene ein wenig vorbereiten. Arthur blickte auf die Uhr. 14Uhr, brütende Mittagshitze herrschte draußen. Er betrachtete, was er in den letzten Stunden gemacht hatte. Eames hatte sich noch nicht gemeldet. Eigentlich hätte er schon hier sein wollen. Arthur ging in die Küche und setzte sich einen Espresso auf. Dann überlegte er. Noch hatten sie Zeit. Noch konnten sie entspannt sein. Aber eigentlich wollten sie an diesem Abend nach Palermo und Lombardo darüber in Kenntnis setzen, dass Jobs auch mit Berretta zusammentat. Arthur griff zu der Zeitung, die er morgens mitgenommen hatte. Es war seltsam gewesen, alleine aufzuwachen. Daher war er in den Ort gelaufen und hatte dort gefrühstückt. In einer der ausliegenden Zeitungen hatte er zufällig eine Nachricht gesehen, die wichtig sein könnte. Es ging um eine Frau, die mit einem von Lombardos Söhnen liiert gewesen war. Vermutlich könnte Tom über sie sehr leicht an Informationen über das private Anwesen des Mafiabosses kommen. ‚Genau sein Kaliber‘, dachte Arthur, während er zurück ins Wohnzimmer ging. Er blickte erneut auf die Uhr. Er hasste es zu warten. Sein Blick fiel auf die beiden Anzüge, die er für sie besorgt hatte. Um 17 Uhr würde er nach Palermo fahren und nachsehen, ob Tom es tatsächlich hinter seinem Rücken tat - so hatte er es sich zumindest vorgenommen. Bis dahin waren noch drei Stunden. Er sollte die Zeit sinnvoll nutzen... und so ließ er sich auf einem der Stühle nieder, um sich an den Koffer anzuschließen und noch einmal seine Pläne hinsichtlich der Lagerhalle durchzugehen. Eames Plötzlich waren sie nicht mehr und nicht weniger, als ein verliebtes Pärchen. Ein zugegebenermaßen ziemlich betrunkenes Pärchen, aber das schmälerte ihr Glück an diesem Abend nicht. Eames fühlte sich heil, als Arthur auf ihm saß. Safe and sound. Nichts konnte ihm schaden, weder von innen noch von außen. Arthur war vollkommen und Eames nahm seine Liebe in diesem Augenblick mit Ehrfurcht und Demut an. Wenn er die Nachricht vorher erwähnt hätte, wäre er nur auf taube Ohren gestoßen. Schließlich ging bei Arthur nichts über Saint Dom – undenkbar, dass Dominick Cobb einen Fehler gemacht, oder das Forum vergessen hatte, dass sie sich extra für solche Notfälle eingerichtet hatten. So ganz konnte Eames es ihm nicht einmal verübeln. Er hatte auch ewig nicht drauf geguckt... wenn man relativ regelmäßig voneinander hörte, schien es fast irrelevant. Und jetzt wo Dom quasi im Ruhestand war (auch wenn das keiner so richtig glaubte, wahrscheinlich nicht einmal er selbst), hatte Eames es generell für noch unwahrscheinlicher gehalten. Aber immerhin nicht für unmöglich und wie sich jetzt zeigte, hatte die Nachricht Arthur doch noch zu eine guten Zeitpunkt erreicht. Am nächsten Morgen fühlte Eames sich so leicht wie nie zuvor und das trotz Kater. Als wüsste er, dass die nächstem Tage kein Raum dafür sein würde, genoss er ein letztes mal unter der Dusche ein paar Zärtlichkeiten mit seinem Liebsten. Kein Stress, kein Unmut, nur Streicheleinheiten, neckende Bisse und Orgasmen – und das alles vor dem Frühstück. Eames spürte, dass Arthur nur noch solange sein Liebhaber sein würde, wie sie beide nackt waren. Als sie allmählich ihre Anzüge anlegten, die Ausrüstung zusammen suchten und alles ins Auto packten, verwandelten sie sich in Point Man und Forger. Sie waren Geschäftsmänner mit einem grausamen Ziel. Sie würden jeden ausschalten, der es noch immer in Betracht zog Thomas Eames zu jagen. Sie wechselten sich mit dem Fahren ab. Das gab jedem Zeit zu recherchieren, in sich zu gehen, Dinge für sich klar zu machen. Arthur regelte eine Menge. Eames blieb in Kontakt mit Jesse und klügelte seinen Plan aus. Gespräche mit Jobs und Lombardo standen an und er musste jeweils überzeugen, sonst wäre er tot. Nennenswerter Druck, der auf ihm lastete. Aber sein Selbstbewusstsein war stärker denn je, was ihn zeitweise auch zu etwas anstrengenden Angebereien verführte, die Arthur zwar bereits kannte, aber sicherlich nicht immer angenehm waren. Es war kurz vor 17 Uhr, als Eames zu dem Bauernhaus zurückkehrte, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Keine Uhrzeit mehr, die man als „Mittag“ bezeichnen würde, so wie er eigentlich versprochen hatte. Er hoffte, dass die guten Nachrichten Arthur seinen Ärger vergessen lassen würden.. Er ließ einen schrillen Pfiff von sich, als er das Haus betrat und Arthur nicht gleich antraf. »Komm raus, Darling, ich hab gute Nachrichten!«, flötete er und ging vor sich hin grinsend an den Kühlschrank. Kein kaltes Bier... aber eine halbe Flasche Martini! Auf dem Weg zur großen, rustikalen Couch, die in der Mitte des Salons vor einer pompösen Glotze stand, schälte er sich aus seinen Klamotten und ließ sie achtlos auf dem Boden liegen. Mit aufgeknüpftem Hemd und barfuß ließ er sich fallen und legte sich die kühle Flasche abwechselnd auf Brust, Bauch und Kopf, um etwas runter zukühlen. Die Hitze war noch immer unerträglich. Als Arthur endlich auch seinen Weg zu ihm gefunden hatte, rief er Jesse an und stellte ihn auf Lautsprecher, um sich nicht wiederholen zu müssen. Dann berichtete er von seinem grandiosen Gespräch mit Jobs. Wie „dieser Wichser“ einfach alles geschluckt hatte, was er ihm aufgetischt hatte. »... einfach alles! Es war, als hätte er nur darauf gewartet, dass jemand ihm offenbart, wer „wirklich“ an seinen Problemen schuld ist. Er war nicht einmal nennenswert wütend darüber, dass ich ihn ausgeraubt habe, ist das zu fassen?«, er lachte, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck Martini. »Ich habe gesagt „Rate mal was Lombardos Männer in New York machen“, da hat er nicht schlecht geguckt. Er wollte nachforschen, ob meine Aussage stimmt, deswegen hat es so lange gedauert. Tatsächlich haben sich seine und Lombardos Männer schon in New York in die Haare gekriegt; das spielt uns perfekt in die Karten.« Jesse schien das ganze etwas nüchterner zu betrachten. Er grunzte zustimmend und kratzte sich hörbar. »Na solange sie nicht vorher in Verhandlungen treten, steht uns ja nichts im Weg, ne.«, warf Jesse mit einer Spur Sarkasmus ein. Die Gefahr bestand immerhin, dass relevante Diskussion zwischen den Handlangern zustande kamen... wenn auch die Chancen darauf relativ gering bemessen werden konnten. »Hast du schon einen konkreten Plan wann wir ins 'Caesars Palace' gehen?«, wandte Eames seine Frage an Arthur. Sein Gesicht war sowohl gebräunt, als auch leicht gerötet vor Hitze und Euphorie. Nun war er erst recht bereit es krachen zu lassen. Arthur Da war es wieder, dieses riesige Ego, das zu wachsen schien, je näher sie dem Tag X kamen. Zum einen besser als der selbstkritische Thomas Eames, der auf der Fahrt zum Flughafen ihm verkaufen wollte, jemand könne besser als er sein. Zum anderen aber einfach anstrengender. Auf Traumebene hatte Arthur alles vorbereitet, was er Tom zeigen wollte. Alle Fallen, alle sicheren Orte, alle Möglichkeiten, die diese Lagerhalle ihnen boten. Nur zu gerne hätte er aber auch sich von Tom zeigen lassen, wie das Caesars aussieht. Nun, dann würde er sich die Baupläne ganz genau ansehen und versuchen sich ein Bild davon zu machen, wo welcher Raum war. Es war halb Fünf, als er auf die Uhr blickte. Er sollte duschen, sich anziehen und losfahren... Ein grollender Unmut machte sich in seinem Magen breit, bei dem Gedanken, Tom könnte wirklich allein nach Palermo fahren. Eine drückende Sorge machte sich bei dem Gedanken breit, Tom könnte NICHT im Caesars sein, sondern war Jobs nicht 'entkommen'. Arthur ging ins Bad, duschte sich den Schweiß ab, der lief, auch wenn man sich nicht bewegte. Nachdem in New York erst die ersten warmen Frühlingstage angefangen hatten, überfordere ihn die Hitze ein wenig. Er blickte gerade in den Badezimmerspiegel und rasierte sich, als er den Pfiff hörte. Ah, der König pfiff nach seinen Bedienteten. Ein Gedanke, der sich nur allzu sehr bestätigte, als er das Wohnzimmer bereits im Anzug berat und das Bild sah, das sich ihm bot. Der König der Diebe und Trickbetrüger. Der König der Selbstgefälligkeit. Arthur seufzte innerlich. Dass der Herr der Schöpfung sogleich seinen Bericht erstattete, verhinderte den spitzen Kommentar, den er auf den Lippen hatte. Dass Jesse mithörte, verhinderte, dass er ihn direkt von seinem hohen Ross schubste. Letzteres übernahm jener - zum Teil. Arthur war mit in den Hosentaschen versunkenen Händen im Türrahmen stehen geblieben, saugte die Informationen auf und passte sie ins Bild ein. Seine Augenbrauen waren ein wenig zweifelnd nach oben gerutscht. "Das ist ein wichtiger Punkt, Jesse", mischte er sich nun das erste Mal ins Gespräch ein. "Wir müssen schnell alles in die Wege leiten, damit ihnen die Zeit fehlt." Einen Moment dachte er nach, welche Informationen zu Jobs ihm noch fehlten, als Tom bereits nach dem Casino fragte. Arthus Blick wanderte etwas träge zur Uhr über dem Kamin. "Vor zehn Minuten wollte ich nach Palermo aufbrechen. Wir brauchen zwei Stunden hin." Er musterte Eames abschätzend. Ob es so gut war, ihn in diesem Übermut zu dem Menschen mitzunehmen, der ihn am liebsten von oben bis unten aufschlitzen wollte? Er stieß sich von der Tür ab und trat näher an das Sofa. "Jesse, du hast ein Auge auf Jobs und seine Telefonate?", fragte er den Hacker. "Wie bist du mit Jobs hinsichtlich des angeblichen Übergabetermins verblieben? Ich denke, wir wären übermorgen soweit, die beiden Parteien aufeinander loszulassen." Eames "Wir müssen schnell alles in die Wege leiten, damit ihnen die Zeit fehlt." Ich Eames' Kopf plärrte ein lautes „Papperlapapp!“, auf Arthurs Bedenken. Er machte eine wegwerfende Handbewegung, aber verweilte in seiner überaus entspannten Macho-Pose auf dem Sofa. Ihm fehlte wahrlich nur noch eine Zigarre im Mundwinkel und eine halbnackte Blondine auf dem Schoß, damit er selbst wie einer der verachtenswerten Mafiosi aussah, die sie auszuschalten versuchten. Zwei Stunden fuhren sie bis Palermo. Wenn er noch duschte, würden sie vielleicht um 6:30 loskommen. Immer noch genug Zeit fand Eames. Zu früh in so einem Etablissement auf zu tauschen war ohnehin nicht ratsam. »Pff, es gibt noch keinen Termin. Ich habe in Eames' Namen noch einmal bestätigt, dass er die Kohle bekommt, habe ihm ein paar gefakte Bilder von Geldbündeln geschickt. Wenn er jetzt keinen absoluten IT-Spezialisten drüber gucken lässt, sollte der Fake bis übermorgen nicht auffallen. Ich werde gleich einen Termin mit ihm ausmachen und euch dann Bescheid geben. Die Location steht so weit, nehme ich an?« »Steht!«, bestätigte Eames, statt Arthur, im besten Gewissen, dass sein Point Man ohnehin alles immer on point regelte. So wie immer. »Sollte ich irgendeinen Pups von Jobs hören, lasse ich es euch wissen. Momentan sieht es ruhig aus. Oh, er hat vor zehn Minuten einen Call-boy bestellt, das ist interessant... wo nimmt er die Kohle her, haha...«, letzteres nuschelte Jesse in den Hörer, ganz so, als hätte er bereits vergessen, dass er noch in einer Telefonkonferenz mit seinen Geschäftspartnern steckte. »Aber na ja, wie gesagt, ich halte euch auf dem Laufenden.« Eames nickte zufrieden und erhob sich ächzend, die Flasche noch immer an seine Stirn gepresst. »Wonderful, dann dusche ich jetzt und dann fahren wir los.« Arthur Arthurs Kiefer pressten sich knirschend aufeinander, als er Eames Handbewegung, seinen abwehrenden Gesichtsausdruck, seine ganze herablassende Selbstgefälligkeit sah. ‚Langmut, Arthur! Langmut...‘, betete er wie ein Mantra in Gedanken herunter. ‚Einfach ignorieren!‘ Dieses einfach war in dem Moment nur noch schwerlich möglich, als Eames ihn nicht zu Wort kommen ließ, was die Lagerhalle betraf. Er hatte gerade antworten wollen, als das »Steht!« hereingeträllert wurde. Seine Augen verengten sich einen Moment, er schluckte. ‚Laaaaangmuuuuut! Das macht er nur, weil er eigentlich eine Scheiß Angst hat!‘ Der Call-Boy lenkte ihn zum Glück wieder zu dem Telefon und zu Jesse. Eine Idee setzte sich fest, die er aber erst einmal an die Seite pinnte. Arthur trat um das Sofa herum, auf Eames zu und baute sich vor ihm auf. Er entwand ihm die Flasche und das Handy und trat zur Seite, damit Eames duschen gehen konnte. „Ich fahre genau um 18Uhr los - ob mit oder ohne dir! Pass auf, dass du beim Blick in den Spiegel nicht erblindest und wenn du weiter so aufgeblasen rumläufst, passt du nicht in den Anzug, der im Zimmer hängt“, sagte er knapp und widmete sich dann wieder Jesse, drehte sich von Eames weg. Während er weitersprach ging er in die Küche, um die Martini-Flasche wieder in den Kühlschrank zu stellen. „Gut gemacht, dass du ihm nochmal nen Köder vorgesetzt hast. Die Location wird fertig sein, sobald Mr. ‚Ach so toll‘ sie gesehen und sich mit ihr vertraut gemacht hat. Übermorgen, 19Uhr können wir die angebliche Übergabe terminieren. Dann bleibt etwa eine Stunde, bis es anfängt dunkel zu werden.“ Er zögerte kurz. „Meinst du, du kannst im Caesars ein Auge auf uns werfen? Ich befürchte, Eames stolpert über sein Ego - wenn es überhaupt durch die Tür passt. So groß, wie es momentan ist, schätze ich den freien Fall auf - hmmm ... ein Fallschirmsprung aus 4000m hat etwa eine Dauer von einer Minute... Bei ihm also etwa 2Minuten. Aufprall mit ca. 250km/h - wird also tödlich sein. Mal sehen, ob er mich seine Reißleine sein lässt.“ Arthur überprüfte seine Waffe, räumte noch etwas auf, sortierte seine Notizen, während Eames duschte. Er wollte früher in Palermo sein, am nahegelegenen Hafen noch was essen (seit dem Frühstück hatte er nix mehr gegessen), sich etwas umsehen - wenn er schon mal da war... außerdem arbeitete die hübsche Italienerin dort in einer Boutique. Vor 21Uhr sollten sie ohnehin nicht ins Casino gehen. Je mehr Menschen um sie herum sein werden, desto besser. Er hatte Eames Handy und die Zeitung auf den Beifahrersitz gelegt. Arthur blickte auf die Uhr: 17:59 Er wartete, während die Sekunden stetig verstrichen. Punkt 18Uhr startete er den Motor und wendete den Wagen. Gerade als er am Haus vorbeifahren wollte, trat Eames aus dem Haus. Arthur ließ ihn einsteigen und fuhr los. „Drei Dinge“, sagte er ohne Tom anzusehen, als er auf die autostrada fuhr. „Erstens: Gib nie wieder meine Location frei, wenn du noch nicht einmal einen echten Blick darauf geworfen hast. Dein Vertrauen in meine Arbeit ist ja nett. Aber solange nicht alle Beteiligten einen Einsatzort gesehen haben, ist er nicht fertig. Zweitens: wir sollten vor Lombardo erwähnen, dass Jobs das eigene Geschlecht bevorzugt. Ich könnte mir vorstellen, dass solche Informationen für Zündstoff sorgen könnten. Drittens: in der Zeitung auf Seite 5 findest du einen Artikel zu einer Frau die sich mit der Familie um Lombardo auskennt. Du hattest mal Bedenken geäußert, dass Lombardo womöglich nicht zum Treffpunkt kommen könnte. Über sie könnten wir ihn finden. Sie arbeitet bis 20Uhr heute am Hafen in einer Boutique. Falls du sie direkt ansprechen möchtest.“ Eames Jesse bestätigte Arthurs Bitte im Casino ein Auge auf sie beide zu haben. Er war bereits drauf und dran die Sicherheitssysteme zu infiltrieren, noch während sie telefonierten. Mal sehen, ob er mich seine Reißleine sein lässt. Ein trockenes Lachen, aber kein Kommentar. Er kannte Eames. Er wusste ziemlich genau was alles schief gehen konnte. »Mach dir keine Sorgen Arthur, ich bin auch noch da.« Eames ärgerte sich etwas, dass er sich so abhetzen musste. So hatte er nicht einmal Zeit sich unter der Dusche einen runter zu holen – Arthur ließ ihn vorerst nicht ran, da der Job gerade in der heißen Phase war. Als ob Eames das nicht selbst wüsste, aber irgendwo musste die ganze angestaute Energie und Selbstzufriedenheit doch hin. Solche Erfolgserlebnisse, wie heute, machten ihn leider immer rattenscharf... Nun ja, vorerst Pech gehabt. Er trug einen Holster mit einer Waffe, weil er wusste, dass die Affen ihn abtasten würden. Wenn sie ihn entwaffnet hatten, würden sie seinen Körper nicht weiter durchsuchen und das Mikrophon und das versteckte Messer nicht finden. Er war nicht unbedingt der Messerkämpfer; mit Kick-Boxen kam man schon ganz gut voran; aber sie begaben sich heute Abend in ein wahres Rattennest. Lombardo hatte ihn das letzte mal übel zugerichtet, wegen seiner Kohle und nach dem Jobs-Fall hatte er sogar nach seinem Leben getrachtet, obwohl das Geld nur eine Woche zu spät kam. Die Sache war also wirklich heikel. Umso ärgerlicher, dass Arthur unbedingt dabei sein wollte. Auch er hatte ein Talent zu reden, darum machte sich Eames keine Sorgen. Es ging eher darum, dass die Situation erschreckend leicht eskalieren konnte... und dann wäre Arthur da und in Gefahr und das stresste Eames bei Weitem mehr, als die Aussicht auf eine weitere üble Portion Prügel. Mit seinem üblichen Gemecker, lenkte Arthur ihn jedoch etwas von dem allgemeinen Unwohlsein ab, das Eames empfand. »Sure, darling, was auch immer du willst.«, antwortete er in legerem, doch höflichem Ton und schlug bereits die Zeitung auf, um zu lesen. Er hatte eindeutig nicht richtig zugehört. »Hm, sehr interessant...«, murmelte er. Erst hatte er nur überflogen, aber als er merkte, was Arthur da für einen Schatz gefunden hatte, nahm er sich Zeit den Artikel ausführlich zu lesen. »Sehr interessant...« Er wandte sich an Arthur, der zielstrebig am Steuer saß und dem Navi bereits zum Hafen in besagte Boutique folgte. »Sehr gute Arbeit, Arthur. Ich denke Sie haben eine Gehaltserhöhung verdient.« Das Geschäft lag quasi eine Straße entfernt vom Meer. Geparkt hatten sie in einem Parkhaus gleich um die Ecke, was sie für eine Stunde sicherlich ein halbes Vermögen kosten würde. Eames nahm einen Schluck aus einer kleinen Plastikflasche, ehe er sie in einen der Müllkörbe auf der Straße warf. Immer schön hydrieren, dachte er. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. »Da vorne ist es.«, bemerkte er, unnützer Weise. Er trug eine Sonnenbrille und hatte die Zeitung eingerollt unter seinem Arm geklemmt. »Willst du warten, oder Wingman spielen?« Arthur Wie er es liebte! Wie es ihm gefehlt hatte! Dieses Gefühl, ignoriert und nicht ernst genommen zu werden! Einfach fantastisch! Er atmete langsam wieder aus. Seine Zungenspitze glitt über seinen Eckzahn, ein ungläubiges Lächeln, zierte seine Lippen. Er schüttelte leicht den Kopf, während er versuchte, ruhig Luft einzusaugen. Langmut… Wenn das so weiter ging, würde er Eames vermutlich noch vor dem Casinobesuch ins Gesicht springen… Offenbar sickerte durch Eames‘ in den Wolken schwebendes Hirn jedoch die Information hinsichtlich der Ex-Geliebten von Lombardos Sohn. Dass sie es ihm gleich antun würde, das war eigentlich vorauszusehen gewesen. Der Beigeschmack, den das ganze hatte, war seltsam. Doch so eine Aktion gehörte zum Job dazu und Tom war einfach gut darin, Frauen um den Finger zu wickeln. So war das halt… Als Eames nach der Lektüre des Artikels sich ihm wieder zuwandte, warf er ihm doch einen kurzen Blick zu. Einen Moment sah er ihn skeptisch an. Wollte er ihn verarschen? Dieser treudoofe Blick, den er bekam, ließ ihn wieder nach vorne sehen. Dann erwiderte er recht nüchtern: „Gute Idee! Ich werde es berücksichtigen, wenn ich dir die Rechnung schicke – zusammen mit der Spesenabrechnung.“ Dass bei ihrem Trip durch halb Europa er die ganzen Kosten übernahm, obwohl sie eigentlich Eames Arsch retten wollten, störte ihn im Grunde nur bedingt. Aber es war auffällig. „Vielleicht sollte ich deine hässliche Uhr als Pfand mir aushändigen lassen. Als Schuldschein sozusagen.“ Eigentlich hatte er sich vorgenommen, diese Uhr zu ignorieren, aber gerade stieß sie ihm sauer auf. Woher hatte der Kerl das Geld für so eine Uhr, wenn er doch angeblich alles Geld an Lombardos überwiesen hatte?! Sie waren knapp dran, so dass sie in ein nahegelegenes Parkhaus fahren mussten. Auf dem Weg zum alten Hafen roch es nach Meer, Möwen zogen ihre Kreise. Die Stadt war laut und voll, hupende Mofas bahnten sich ihren Weg durch die Gassen, Menschen saßen in den Cafés und unterhielten sich, Touristen stolperten umher, während sie sich versuchten zu orientieren. Ihr Zielobjekt zog die Ladentür gerade zu, schloss ab und machte sich dann daran, das Gitterrollo herunter zu ziehen. »Willst du warten oder Wingman spielen?« Arthur blickte zu Tom. Ja, was wollte er? Warten und darauf vertrauen, dass Tom wusste, was er tat, oder dabei zusehen und hören, wie der andere sich darin versuchte, ihr Honig ums Maul zu schmieren. „Ich bin zwar der zuverlässigste Mann in unserem Team und gebe auch gerne Tempo und Richtung vor. Aber ich glaube ich kann gut auf das Gesülze verzichten, das vermutlich gleich kommen wird“, entschied er. Zumal er es eh nicht wirklich verstehen würde. „Muss ja auch nicht sein, dass sie uns beide sieht“, fügte er als etwas rationalere Begründung noch hinten an. „Ich bleib an euch dran.“ Eames Gesülze?! Eames sah kurz gespielt beleidigt aus, grinste dann jedoch süffisant. Na wenn er meinte! Er wusste ja, dass Arthur hin und wieder genervt von ihm gewesen war; früher wohl noch mehr, als heute; wenn er ihn in seinem „jugendlichen“ Übermut mit Liebesbekundungen angegangen war. Aber offensichtlich hatte sein „Gesülze“ ausgereicht, um ihn rumzukriegen. »Exzellent.«, antwortete er und checkte seine Uhr, vor allem um sie Arthur noch einmal vor die Nase zu halten. Was auch immer er gegen eine goldene Rolex hatte... »Es ist 7:04; ich werde versuchen sie an den Strandpromenade zu locken. Dort wirst du uns vermutlich besser beschatten können.« Er hielt Arthur die Zeitschrift vor die Brust, bis dieser sie ihm abnahm. Dann richtete er seinen Kragen und trat etwas näher an Arthur heran, als zwei Männer normalerweise beieinander standen. »Rieche ich auch gut genug?«, witzelte er in rauem Flüsterton und öffnete einen weiteren Knopf an seinem Hemd. Zum Abschied klopfte er ihm dann sanft gegen die Hüfte; wie man es auch gern bei Hunden oder Pferden tat. Dann drehte er sich um und marschierte in wiegendem Gang davon. An einem Souvenir-Shop auf dem Weg stahl er eine Postkarte und spazierte weiter, als wäre nichts gewesen, bis er die Lady eingeholt hatte: Viola Arianna Pellegrino. Kaum zu glauben, dass sie allein unterwegs war, dachte er sich. Sie war nicht so schön, wie auf dem kleinen Bild, das er in dem Magazin gesehen hatte, aber immer nicht zu verachten. Ein kleines, zierliches Ding mit gemachten Brüsten und einer Art sich zu schminken, die an namenhafte Latina-Berühmtheiten erinnerte. Mit Highlighter hatte sie nicht gespart. Er sprach sie an und deutete etwas ratlos auf die Karte, die er geklaut hatte. Wie es sich für einen Schauspieler gehörte, verkörperte er die Rolle des liebenswerten, verlorenen Touristen ganz wunderbar, während die goldene Uhr und das teure Parfum von gelangweiltem und abenteuerlustigem Millionär sprachen. Genau den Eindruck, den er auf Viola machen wollte. Sie schien nicht direkt verzaubert, aber immerhin nicht ganz abgeneigt. Eine Gelegenheit, die er ab Schopf packte und sie mit ein paar netten Sprüchen einlullte. Natürlich, liebend gern würde er sich von ihr den Stromboli zeigen lassen. Und gegen ein Snack hatte sie sicherlich auch nichts einzuwenden, nach der harten Arbeit. Es war ein Fest. Er zog sämtliche Register und wenn er einmal zu weit ging, behauptete er einfach, dass sein Italienisch noch verbesserungsbedürftig sei und dass sie ihm dabei gern helfen dürfte, sollte er mal wieder zu frech werden. Seit er merkte, dass sie ihm nicht abgeneigt war, drehte er den Schalter um auf Voll-Flirt und baggerte was das Zeug hielt. An der Strandpromenade angekommen, ließ sich Viola dazu überreden einen Kaffee mit ihm zutrinken – was in manchen Sprachen schon einer Einladung zum Sex gleich kam, aber natürlich würde Eames es nicht so weit kommen lassen. Das Gefühl von Arthur beobachtet zu werden, schränkte ihn ohnehin schon in seiner künstlerischen Freiheit ein. Während sie auf ihre Bestellung warteten, seilte sich Eames kurz ab, um Arthur anzurufen, den er bereits seit einiger Zeit aus den Augen verloren hatte. »Ok, hör zu, ich hab sie fast so weit mich mit nachhause zu nehmen. Sie wohnt nicht weit von hier. Ich werde ihr Handy klauen, da müssten alle Daten über Lombardo drauf sein. Mal sehen was ich sonst noch mitgehen lassen kann...«, leider hielt die junge Dame ihr Smartphone in der Hand, als wäre es ihr verlängerter Arm. Keine Chance einfach so daran zu kommen, er hatte es versucht. »Ich brauche noch einen Aufhänger, damit sie mich wirklich will--«, eine Heldentat, so zusagen. »Komm rüber und bedränge sie. Sie versteht dich auf Englisch. Lass mich strahlen, dann sind wir in einer halben Stunde durch mit dem Thema.« Arthur Die Macho-Uhr würde Eames gewiss gleich helfen. Sie erweckte bei solchen Frauen den Eindruck, dass man wohlhabend war. Der Anzug, den er ihm besorgt hatte, vervollständigte das Bild eines Vermögenden. Dass er sie ihm nochmal vor die Nase hielt, war nach seinem Kommentar im Auto vorhin im Grunde vorprogrammiert gewesen. Das konnte er ertragen. Was ihm seine ohnehin angespannte Laune allerdings so richtig verhagelte, war vielmehr das was folgte. König Thomas Eames erteilte seinem Fußvolk die nötigen Informationen, damit das Turnier für ihn entschieden wird. Arthur kam sich wie der letzte Idiot vor. Er zögerte lange, diese beschissene Zeitschrift zu nehmen. Seine Faust schloss sich fest um diese, als Tom näher zu ihm trat und im Grunde fragte, ob er anziehend genug, unbesiegbar wäre - und das mit dieser Stimme! „Leck mich!“, war seine geknurrte Antwort. Der absolute Höhepunkt jedoch war dieser... dieser Klaps!, den er sich echt sonstwohin stecken konnte! Oder für sein trautes Eheweib aufsparen, das adrett im perfekt geputzten Haus auf ihn wartete, ihm sein Essen gekocht, die Pantoffeln zurechtgestellt und die Zeitung auf dem gedeckten Tisch platziert hatte - sofern es noch Frauen gab, die sich solcherlei Erniedrigung gefallen ließen. Sein sonst so ungerührter Gesichtsausdruck war einen Moment aus der Fassung, während er Eames hinterherschreie. Kurz war er wirklich gewillt, ihm diese Zeitschrift in seiner Hand gegen seinem Kopf hinterher zu schmeißen, doch er ließ die Hand langsam wieder sinken. Nicht verwunderlich, dass er mit einem Gefühl von Erleichterung daran dachte, dass er heute ein Ticket für den Flug nach L.A. in drei Tagen in Rom gebucht hatte und bei diesem Gedanken ruhiger ausatmeten konnte. Er gab Eames etwas Vorsprung, dann folgte er unauffällig mit entsprechendem Abstand. Es war genau dieses Gesülze, das er gemeint hatte, das er jetzt förmlich hören konnte, während er Eames bei seiner Showeinlage zusah. Dabei hatte er genug Entfernung, so dass er es eigentlich nichts hören und somit ertragen musste. Dennoch kamen all die Honigschmierereien, alle Sprüche, Pseudokomplimente und Doppeldeutigkeiten wieder hoch, die er so in den Jahren hatte sammeln dürfen. Das Gefühl, das sie ihm bereiteten, war eine Mischung aus dem selben Genervt-sein wie früher, der selben Ablehnung (vielleicht sogar Abneigung) und etwas wie Mitleid mit dieser Frau, deren Gesichtsausdruck nur zu deutlich machte, dass sie voll drauf reinfiel. Eifersucht spielte hier gar keine Rolle! Nein! Never! Er hatte sich nie auf Eames eingelassen, wenn er diese Register zog. Er hatte sich stets nur auf ihn eingelassen, wenn er ehrlich zu ihm war, wenn er er selbst war. Dieses Selbst war liebenswert, nicht dieser vor Charme überlaufende, viel zu einnehmend lächelnde, leider verboten gut aussehende Mann dort drüben im Strandcafé mit seinen schiefen Zähnen und den immer lächelnden, leuchtenden, intelligenten Augen. Arthur atmete tief durch, als Eames ihren Arm berührte und sie glockenhell lachte, drehte sich einen Moment weg, schloss die Augen - nur einen Moment Abstand. Seine Gedanken drifteten zu den Augen, in denen er versunken war, als sie im Strandkorb gesessen hatten. Das war echt gewesen, pur, wirklich. Im Grunde war Eames als Forger wirklich einfach unfassbar gut. Er war der beste Täuscher, der sein Talent dafür nutzte, das maximal Mögliche aus jeder Situation herauszuholen - für den Job, am meisten jedoch für sich selbst. Sein Handy vibrierte. Während er es herauszog, drehte er sich wieder zu dem ‚Pärchen‘ um. Tom war nicht mehr da, dafür rief er ihn gerade an. „Eames?!“, meldete er sich knapp und hörte zu. Wie ‚weit’ er war, interessierte nicht. Die Idee mit dem Handy war jedoch gut. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr der andere jedoch fort. Damit sie ihn wirklich will? Er sollte was?! Ungläubig hob er die Augenbrauen. Dann schloss er die Augen. Tom tat das nur, um ans Ziel zu kommen. Er sollte professionell damit umgehen! „Geht klar“, sagte er möglichst neutral. „Warte kurz, dann geh ich direkt zu ihr und mach sie an. Aber vielleicht sollten wir das Handy nicht klauen. Wenn ich es bekomme, brauche ich nur 10Minuten, um die Daten runterzuziehen“, erklärte er noch. „Dann merkt sie nichts und kann niemandem etwas in der Richtung erzählen. 10Minuten - länger brauchst du ja sicher eh nicht.“ Ohne recht zu wissen, was er zu ihr sagen sollte, ging er hinüber zum Café, erklomm die zwei Stufen auf die Terrasse. Im Vorbeigehen zog er eine Blume aus einer Vase am Tresen und ging von hinten auf sie zu. Er streckte die Blume hin ohne um sie herum zu treten, wartete bis sie zu sprechen begann, sich drehte und ihn freudestrahlend anlächelte im Glauben der nette Kerl von eben sei es. Ihre Worte erstarben in dem Moment, in dem sie ihn sah und sich ihr Gesichtsausdruck von wahrer Freude in Verwirrung wandelte. „Es tut mir leid“, begann er auf Englisch, versuchte dabei etwas alkoholisiert zu klingen. „Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet und mir ist bewusst geworden, dass ich vermutlich nie ein schöneres Wesen gesehen habe.“ Arthur ging in die Knie, ergriff ihre Hand. Er musste diese festhalten, denn im ersten Impuls hatte sie sie wegziehen wollen. Sie wollte etwas sagen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen. „Ich kann kaum glauben, dass es so viel Vollkommenheit in einem Körper gibt. Du musst eine Göttin sein! Venus vielleicht? Ist das dein Name? Bei deinem Anblick geht in meinem Herzen die Sonne auf.“ Er beugte sich vor, küsste ihre Hände. Dann legte er ihre Hände auf ihrem Oberschenkel ab, kam ihr näher. Warum tat er sich das eigentlich an?! Zumindest konnte er auf Sprüche zurückgreifen, die unter anderem Eames bei ihm auch in ähnlicher Weise versucht hatte. „Der Typ von grade. Ist das dein Freund? Du hast wahrlich was Besseres verdient. Bestimmt hat er kalte Füße bekommen und ist abgehauen, weil er gemerkt hat, dass er dir nicht gewachsen ist. Aber nimm’s leicht! Nimm mich!“ Gott, ihm wurde schlecht! All den Scheiß hatte er auch schon hören dürfen. Eames Er meinte einen bissigen Unterton bei ihrem Telefonat herausgehört zu haben; da war die finale Bemerkung eigentlich nur die letzte Bestätigung für Eames. Arthur gefiel gar nicht was hier passierte und in gewisser Weise konnte Eames es ihm nicht einmal übel nehmen. Das änderte aber nichts daran, dass sie es durchziehen mussten. Es war der simpelste Weg und nebenbei wahrscheinlich der einzige, den der Forger kannte. Eine Extraction wäre vielleicht noch eine Möglichkeit gewesen, aber für die Planung war längst keine Zeit mehr. Außerdem hatte er bereits viel zu viel Spaß an der Sache, um jetzt noch alles um zuschmeißen. Viola schien nicht allzu begeistert von dem neuen Verehrer. Eames beobachtete, wie sich ihr Gesicht angestrengt verzog, als Arthur ihre Hand nahm, auch wenn sie zunächst noch recht angetan von der Geste mit der Blume gewesen zu sein schien. Den Besoffenen konnte er ganz gut, das musste man dem Stick-in-a-butt lassen, dachte er. Er beobachtete die beiden noch ein Weilchen aus sicherer Entfernung, bis er sich ganz sicher war, dass Viola ihm absolut abgeneigt und bereit war es deutlich zu machen. »No!Togliti dai piedi-...!«, wo sie zunächst noch fast höflich versucht hatte Arthur loszuwerden, wurde sie allmählich garstig – das war der Startschuss. Allzu wütend durfte sie auch nicht werden. »Hey, Kumpel!« Eames packte Arthur harsch an der Schulter und zwang ihn auf zwei Beine. »Verstehst du kein Nein? „No“, vielleicht?« Er baute sich vor ihm auf; in diesem Augenblick waren sie kein Pärchen. Sie waren nur Held und Antiheld in einer romantischen Komödie. Er packte Arthur am Kragen und drückte ihn weiter von Viola und dem Tisch weg. »Ich will dir nicht wehtun, Cornuto. Also verpiss dich jetzt.«, sprach er laut genug, dass die Zielperson es noch mithörte. Dann schob er leise hinterher, während er Arthur besonders nah und energisch weg manövrierte: »Gute Arbeit..« Er gab Arthur einen letzten Schubs und kehrte dann zu Viola zurück, die offenbar ganz zufrieden mit ihrer Rettung zu sein schien. Auch wenn sie fallen ließ, dass sie das auch allein hätte klären können. Sie fanden einen feministischen Kompromiss, indem Eames ihr nur aus Dankbarkeit geholfen hatte, dafür dass sie sich bereit erklärt hatte ihm ein paar Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Und wo sie gerade beim Thema waren hatte er auch großes Interesse daran sich weiter umzusehen und ob sie denn noch eine Idee hätte, was sie ihm noch zeigen könnte. Sie hatte durchaus einen Einfall; ihr Apartment sei ja immerhin auch ganz schick, das müsste man gesehen haben... Was für eine fantastische Idee! Sie zahlten und endlich – endlich (!) ließ Viola ihr Handy einmal in ihre Handtasche fallen. Nun durfte er nichts anbrennen lassen. Er suchte den Blickkontakt zu Arthur, der sich gut getarnt in ihrer Nähe befand und ihnen folgte, als sie wieder in die Straße zur Innenstadt einbogen, einen kleinen Hügel hinauf, an alten, in traditioneller Handarbeit gemauerten Hauswänden und alten, restaurierten Metalltoren vorbei. Sie war gut drauf und als sie ein weiteres mal herzhaft über eine seiner ausgedachten Geschichten lachte, legte er einen Arm um ihre Schultern und strich mit den Fingerspitzen über ihren glatten Oberarm. Eine kleine, intime Geste. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Als sie vor ihrer Tür standen – es war ein Zugang durch einen Hinterhof, ähnlich wie bei Davoli – und sie den kleinen Treppenabsatz hinaufgestiegen war, wagte Eames einen weiteren Schritt, den entscheidenden Schritt. Er packte sie mit sanfter Bestimmtheit und küsste sie, während seine Hand in ihre Handtasche glitt und dort ihr Handy zu fassen bekam. Während er sich augenscheinlich näher an sie schmiegte, streckte er den Arm zur Seite aus, um ihr Telefon auf der grobsteinigen Fensterbank eines der Erdgeschosswohnungen abzulegen. Er hoffte nur, dass keiner der Nachbarn sie beobachtete, aber dieses Risiko mussten sie jetzt eingehen. Wichtig war, dass Arthur in ihrer Nähe war und (leider) alles mitbekam. Kurz darauf fiel die Tür hinter ihnen zu und Eames gab sich Mühe Viola für zehn Minuten gut zu beschäftigen. Arthur Man! Arthur rieb sich über die Seite, auf der er ziemlich unsanft aufgekommen war, als er sich von Eames hatte schubsen lassen und dummerweise gegen einen der Stühle geknallt war. Zumindest hatte durch den Schmerz seine Verfluchung sehr echt geklungen, bevor er leicht torkelnd von dannen zog. Sicher hatte er morgen einen schönen blauen Fleck. Dummerweise bekam er die bei solchen Dingen leichter, als wenn er trainierte. Er spähte um die Ecke, verfolgte die beiden, die so vertraut miteinander umgingen. Ein schönes Pärchen, das Arm in Arm die Straße wechselte, das Ziel vor Augen: das Schlafzimmer. Arthur folgte ihnen, eilte hinterher, als sie in einer Hofeinfahrt einbogen und zum hinteren Hauseingang gingen. Sobald Eames ihm das Handy irgendwo deponiert hatte, musste er vor Ort sein. Wie selbstverständlich ging er in den Hinterhof, blickte auf seine Uhr, so als habe er einen Termin. Er blieb vor der Tür stehen, die nur angelehnt worden war, schloss die Augen und lauschte. Die Geräusche waren eindeutig, Geräusche von einem knutschenden Paar, das es kaum erwarten konnte, ins Bett zu kommen. Die Faust, die ihm in den Magen stieß, sich um seine Eingeweide ballte und darin herumwühlte, war unerwartet heftig aber nicht ganz unbekannt. Es ist alles nur ein Job! Es ist wichtig für Tom. Nicht mehr und nicht weniger. Ein Schauspiel. Im Grunde hatte er es ja vorgeschlagen. Er hätte ihm den Artikel auch nicht zeigen müssen… Es sollte ihn nicht berühren. Die Tür ging, Arthur drückte die Haustür auf, blickte die Treppe hinauf und sah sogleich das Handy auf dem Fenstersims. Er lauschte, ob noch andere Geräusche (von einem Nachbarn zum Beispiel) im Treppenhaus zu hören waren, aber es war ruhig. Ein Fernseher lief irgendwo recht laut. Irgendjemand sprach laut aber hinter geschlossenen Türen. Koppeln, in die Cloud laden, Spuren verwischen, abwischen, hinlegen – 8 Minuten 37Sekunden. Er verließ das Haus und lief den Weg zurück in Richtung Strandpromenade. Unterwegs schrieb er Jesse, gab ihm die Zugänge für die Daten und bat ihn, Eames eine Nachricht zu schreiben, dass er auf ihn am Souvenir-Stand warten würde. Dann atmete er tief durch, versuchte die Übelkeit zu verdrängen, die seinen Magen verkrampfen ließ. Es ist nicht leichter geworden… Der Blick aufs Meer, die Schiffe, die in den Hafen einliefen, Wellen, die an die Mauern schlugen… etwas entspannen und warten. Als er Schritte hinter sich hörte, drehte er sich für einen Blick um, um seine Vermutung zu bestätigen. Er erkannte Eames am Rhythmus seiner Schritte - fast etwas gruselig. „Es hat alles geklappt“, begann er halblaut. „Die Daten schaut sich Jesse genauer an. Ich denke, es ist alles dabei, was wir brauchen.“ Er hatte kurz etwas durchs Telefonbuch geblättert. Sah gut aus. „Wir sollten schauen, dass wir ins Casino kommen.“ Eames Als er Arthur an dem Souvenirladen stehen sah, verkrampfte sich sein Magen. Er fühlte sich elend. Sicher, es war nur ein Job, alles nicht so wild nicht wahr? Aber irgendwie war es doch wild – es war widerlich. Er fühlte sich wirklich schmutzig, dass Arthur alles hatte mit ansehen müssen. Wo er nicht mehr in seiner Rolle war, brach das Ausmaß erst über ihn ein. Einen kurzen Moment konnte er den Point Man beobachten, ohne dass er von ihm entdeckt wurde. Er war die männliche Version von Schneewittchen – schlank, bleich, schön und traurig. Eames schlug sich die Faust gegen die Stirn, um wieder klar zu denken. Ein Job. Es war nur ein verdammter Job. Aber er ahnte bereits, dass diese Sache Konsequenzen haben würde. Sie hatten sich gerade erst wieder gefangen. Gerade erst hatte Arthur ihm wirklich geglaubt und etwas Vertrauen gefasst und dann kam so eine Nummer... Am Ende könnte Eames die Schuld immer noch auf Arthur schieben. Er war erst auf Viola aufmerksam geworden; hatte ihm den Artikel unter die Nase gehalten; war zum Hafen gefahren... eigentlich war Eames doch auch nur eine Schachfigur in diesem Drama. Irgendwie auch nicht... »Hm.«, machte er anerkennend. Er trug wieder seine Sonnenbrille, auch um Arthur nicht direkt ansehen zu müssen. „Wir sollten schauen, dass wir ins Casino kommen.“ »Sure.« So zogen sie los. Arthur fragte nicht und Eames erzählte zunächst nichts. Als sie wieder im Auto saßen und auf die Schnellstraße auffuhren ging die Sonne unter. Es war ein idyllisches Spektakel in Orangerot. Rund um sie her waren kaum Autos unterwegs und ihre Sicht auf den Horizont war frei. Erst als er einen Blick in den Spiegel im Auto warf, bemerkte er, dass noch Lippenstift an seinem Kragen klebte, den er umgehend mit einem Taschentuch abzuwischen versuchte. »Ich muss etwas fragen, Arthur.«, setzte er an. »...wir sind uns einig, dass es ein Job ist, oder? Du weißt, dass mir diese Frau nichts bedeutet, richtig?«, er versuchte locker und beiläufig zu klingen, aber tatsächlich gelang es ihm in diesem Augenblick nicht zu 100%. Er fühlte sich schlecht und war gleichzeitig wütend, dass er so empfand. Sie hatten nie die Konditionen ihrer Beziehung ausgehandelt und ob Monogamie tatsächlich dazu zählte, aber irgendwie fühlte es sich so an und es wühlte ihn auf einer Eben auf, mit der er nicht gerechnet hatte. Arthur Es war gut, dass er ihn nicht berührte und ihm nicht zu nahe kam. Arthur brauchte etwas Abstand, um damit klar zu kommen, dass diese Frau den einzigen Menschen, den er nah an sich heranließ, auf diese Weise berührt hatte. Sie hatte ihre Finger durch das Haar streichen lassen, das seines war. Sie hatte diesen Körper an ihrem gespürt, der sich so perfekt mit seinem zusammenfügte. Sie hatte diese Lippen geküsst, die ihn so manches Mal ablenkten. Der Lippenstift am Kragen zeugte davon, dass es kein harmloses Geknutsche gewesen war, dass diese gewisse Gier darin eine Rolle gespielt hatte, die ihn in seiner Einsamkeit auch losziehen ließ, um sie zu befriedigen. Das Schweigen half, diese Emotionen zu ordnen, sie zu sortieren und irgendwie zu verarbeiten. Ja, verdammt. Es schmerzte mehr denn je. War ja nicht so, dass er früher nicht hatte zusehen dürfen, wie Tom Frauen abschleppte - ob mit oder ohne Job. Aber jetzt, seit sie versuchten, ihr something zu leben, noch mehr seit dem Schlüssel, nach ihrer Nacht bei Neapel, nach diesem Strandkorb fühlte sich die Eifersucht so anders an. Dass Tom ihn im Auto darauf ansprach, überraschte ihn, überraschte ihn wirklich. Er hatte nicht gedacht, dass es von Toms Seite zur Sprache kam. Der Tonfall war zudem ungewohnt, die Art mit ihm zu reden. Arthur hatte viele Situationen erlebt, in denen Tom ihn hatte dumm dastehen lassen, ihn aufgezogen hatte, ihm Sachen unterstellt hatte. Situationen mit Frauen, die Tom benutzt hatte, verführt hatte, ja sogar ihm abspenstig gemacht hatte. Früher, als er sich dafür hatte rächen müssen, weil er sich nie auf ihn eingelassen hatte. Früher, als jener auf Biegen und Brechen versucht hatte, ihm irgendeine Form von Emotion zu entlocken, die ihm zeigte, dass er Arthur nicht gleichgültig war. Je mehr er es versucht hatte, desto mehr hatte er sich verkrochen, während die Hülle des Desinteresses und der Gleichgültigkeit gewachsen war. Nein, dieser Tonfall hier war ehrlich und hatte eine Spur von Sorge. Er blickte zu ihm, sah ihn an und begriff, dass sich etwas zwischen ihnen wirklich grundlegend geändert hatte. Und diese Erkenntnis tat unfassbar gut. „Ich möchte nicht sagen, dass mich das kalt gelassen hat. Eher im Gegenteil. Und ich brauch noch etwas Zeit zum Verdauen“, begann er schließlich zögernd aber mit der gleichen Ehrlichkeit. „Ich hoffe, dass ich das nicht allzuoft mitansehen muss.“ Diese Verführungen kamen in ihrem Metier oft vor. Aber auch im privaten war Tom kein Kind von Traurigkeit. Im Grunde wusste er, dass jener niemand war, der ohne Sex auskam. Wenn sie nicht beieinander waren, würde er sich gewiss Ablenkung suchen. Es war ihm egal, solange er nichts davon sah und wusste. Es war ihm egal, solange er ihm vermittelte, dass es bei ihnen nicht (nur) um Befriedigung ging, sondern dass da mehr war. Er hatte ihm versprochen, ihn nie in einen goldenen Käfig zu sperren - und das würde er tatsächlich nie wollen. „Ich bilde mir ein zu wissen, dass du mich noch nie gefickt hast, weil es dein Job war“, sagte er schließlich. „Solange sich das nie ändert, ist alles in Ordnung.“ Er sah zu dem Mann an seiner Seite. Ja, er hatte anfangs, als Eames mit dem Jobs-Fall ankam, Angst gehabt, dass er ihm nur so nah auf die Pelle rückte, weil er ihn als Point Man brauchte. Er wusste es aber besser. Er hatte es in seinen Augen gelesen, als er auf Toms Schoß am Strand gesessen hatte. „Falls sich das jemals ändert und du nur aus Pflichtgefühl heraus mit mir schlafen würdest, dann mach es bitte nicht.“ Er war ein Mann, keine Frau. Wenn er so darüber nachdachte, hatte Tom vor seinen Augen noch nie einen anderen Mann angemacht. Dennoch konnte er sicher nicht mit den Reizen einer Frau mithalten. Vielleicht begegnete Tom ja auch irgendwann einer Frau, mit der er lieber zusammen sein wollte. Sehnte sich der Forger nicht in gewisser Weise nach einem Zuhause? Auch wenn er alles dafür tat, so zu tun als sei es nicht so? Der Gedanke schmerzte, doch er sollte das nie vergessen. - Zeit das Thema zu wechseln. „Ich brauche 30Minuten im Casino, um mich mit allem vertraut zu machen. Bekomme ich den Vorsprung?“, lenkte er das Thema auf ihren Job. Eames „Solange sich das nie ändert, ist alles in Ordnung.“ Eames hatte nicht gemerkt, dass er Arthur förmlich angestarrt hatte, als er sprach. Nun wendete er etwas verhalten den Blick ab und sah aus dem Fenster. Diese Sache gleich auf den Tisch zu bringen hatte ihn Überwindung gekostet. So etwas ging ihm in der Regel nicht allzu leicht von den Lippen. Dass alles in den letzten Tagen so gut für sie lief, brachte ihn jedoch hin und wieder auf neue Ideen. Er lächelte, nickte leicht, mehr für sich, als für Arthur. Zum ersten Mal glaubte er, dass es so etwas wie eine Beziehung tatsächlich zwischen ihnen geben könnte. Nicht unbedingt im absolut klassischen Sinne, aber es war ein Name für das Gefühl von nachhause kommen. Warme, ehrliche Liebe, ohne die klassischen Forderungen und Misstrauen. Vielleicht war er endlich bereit dazu. „Falls sich das jemals ändert und du nur aus Pflichtgefühl heraus mit mir schlafen würdest, dann mach es bitte nicht.“ Darauf entkam ihm ein sanftes Lachen. »Sicherlich nicht, darling.« Er wünschte, dass Arthur sich selbst nur ein einziges mal durch seine Augen sehen könnte. Nur einmal müsste er fühlen, was er empfand, wenn er ihn ansah. Alle Zweifel wären wie weggeblasen, da war sich Eames sicher. Leider musste er es ihm irgendwie anders beweisen, aber fühlte sich bereit dazu. Die 30 Minuten sollte Arthur bekommen. Eames übergab Arthur den Ohrstecker, der zu seinem versteckten Mikro passte. So würden sie zumindest einseitig in Kontakt bleiben. Nachdem sie die Technik kontrolliert hatten, suchte Eames einen Parkplatz und ließ Arthur Zeit vorzugehen. Genau 32 Minuten später, verschaffte sich auch Eames Zugang ins „Caesars Palace". Der Schuppe war edel, es roch nach Zigarren und teurem Parfum. Die Angestellten trugen alle Anzüge und die Securities Headsets und Sonnenbrillen. »Buona sera!«, grüßte Eames einen der Kellner, den er spontan wieder erkannte. Alle anderen Angestellten schienen neu zu sein. Dabei brauchte er doch so dringend jemanden, der er kannte, der ihn zu Lombardo führen würde. Von Arthur fehlte ihm im Augenblick auch noch jede Spur. Der Laden war bereits gut gefüllt um diese Uhrzeit. Er spürte sein Herz schneller schlagen. »Wo steckst du, Arthur?«, nuschelte er ins Mikro und sah sich noch einmal um. Als Eames sich umdrehte und einem großen, böse guckenden Italiener in die Arme lief, schien es jedoch nicht mehr notwendig zu sein, den Boss ausrufen zu lassen. Eames grinste ihn unverholen an. »Nevio, richtig? Ich hab dich an den Schuhen erkannt. Die hattest du auch an, als du mir ins Gesicht getreten hast.«, er reichte ihm die Hand, welche der große Typ direkt wieder wegzog. Sogleich erschienen zwei weitere Kerle. Das war nicht der Empfang, den sich Eames vorgestellt hatte. »Und deine Cousins, richtig? Hört zu, Jungs, ich muss dringend mit Lombardo sprechen.«, die drei waren drauf und dran ihn mit so wenig Aufsehen wie möglich zu fassen zu kriegen und schlimme Dinge mit ihm anzustellen. Aber Eames wand sich elegant aus ihren Griffen und tänzelte um einen der Spieltische herum, wo er einen eleganten, älteren Herren massiv beim Spielen störte. »Es geht um Baretta.«, schon bei der bloßen Erwähnung dieses Namens schienen die sogenannten Jungs zusammen zu zucken. »Baretta und Jobs. Ich habe Informationen, die Lombardo interessieren werden. Also bringt mich schnell zu ihm, sonst -«, in diesem Augenblick entdeckte er Lombardo auf der Balustrade stehen, die sich in elegantem römischen Stil über ihnen erstreckte. »Lorenzo, mein Freund! Hör mal, wir müssen dringend reden!«, rief er und tatsächlich bekam er eine Audienz in einer der Hinterräume. Arthur Casinos hatten stets ihren ganz eigenen Flair. Gedämpftes Stimmengewirr, das Klicken aneinanderschlagender Jetons, die Schieber, die über den Filz glitten, das Roulette, das man aus allem heraushörte, Gläser, die auf die Theke gestellt wurden - Geräusche, die sich scheinbar perfekt in die leise Hintergrund Musik einfügten. Gelegentliche Freude, gelegentliche Enttäuschung unterbrachen den Singsang. Die einarmigen Banditen mit ihrem Gedudel waren nicht ohne Grund im Nebenraum, wo eine gänzlich andere Stimmung herrschte. Eine Stimmung von Hektik, Nervosität, billigem Alkohol und Ablenkung. Hier hingegen war eine Stimmung von scheinbarem Wohlstand. Arthur nahm die Sonnenbrille ab, die er aufgesetzt hatte, bevor Eames wieder bei ihm aufgetaucht war, und blickte sich um. Er erkannte recht schnell, wer wirklich über Geld verfügte. Es waren die wenigsten. Auch die Süchtigen erkannte man schnell, die Profis, die Neugierigen, die Grünschnäbel. Er orientierte sich im Raum, glich ihn mit den Bauplänen ab und durchschritt ihn wie jemand, der noch nicht wusste, wo er seine Jetons loswerden wollte. Beim Roulette blieb er etwas stehen und sah scheinbar zu. Arthur liebte Roulett, ein Spiel, das so symmetrisch und geordnet ablief, viele Konstellationen, viele Möglichkeiten, alles hatte einen klaren Namen, die Null war das, was man gerne übersah, was sich von hinten anschlich, was einen überraschte. „24, schwarz, Pair und Passe, gerade und in der zweiten Hälfte des Tisches. Mittleres Dutzend“, hörte er - alles Glückssache, Zufall. Ein guter Croupier kannte seine Spieler und er kannte die Bewegung, mit der er die Kugel in das Roulette einlassen musste. ‚Tout est possible!... Rien ne va plus.‘ Er würde dieses Spiel nie spielen. Sein Weg führte ihn weiter. Auf der Balustrade thronte der König, Lombardo und seine Gefolgsleute. Es war blöd, dass nur er Eames hören konnte, jener ihn aber nicht. Er hätte ihm viel berichten können, um ihn vorzubereiten. Die Angestellten wurden mit Argusaugen überwacht. Es gab viele Sicherheitsposten, die durch den Raum gierten. Alle Angestellten waren angehalten, sich gegenseitig zu kontrollieren, damit kein Jeton in die falsche Tasche gesteckt wurde. Es gab Belohnungen fürs Verpfeifen, die einem Monatsgehalt gleich kamen, so dass es lukrativ war, andere anzuschwärzen. Die wenigsten arbeiteten lange hier. Bis auf die Familie - sie hatte einen anderen Stellenwert im System und man erkannte sie sogleich. Und dank ihnen auch die Wege, die das einfache Volk nicht nehmen durfte. Beispielsweise die Hinterzimmer mit den geschlossenen Pokerrunden, die Fluchtwege für die VIPs, wenn es am Pokertisch schmutzig wurde. Arthurs iPhone vibrierte in seiner Brust. Er hatte sich einen Martini an der Bar geholt, überblickte von hier aus den Raum. Er würde ihn nicht trinken, aber er hatte hier einen guten Überblick. Er zog das Handy aus der Tasche, öffnete es, Jesse hatte sich gemeldet. Die Auswertung der Daten hatte gezeigt, dass Lombardo offenbar gestern mehrmals erfolglos versucht hatte, Beretta zu erreichen. ‚Habe ein wenig Fotos bearbeitet. Habe es auch Eames geschickt.‘, schrieb er zusätzlich mit einem Foto von Jobs und Berretta, die sich freudig begrüßten. Zu einer Antwort kam er nicht. Er hörte eine wohlbekannte Stimme in seinem Ohr. »Wo steckst du, Arthur?« Arthur überließ dem Herren an der Bar 20€ und stand auf, durchquerte den Raum in Richtung Black Jack. Es war an der Zeit, Position zu beziehen. Dass er durch Toms Sichtfeld lief kam begünstigend hinzu. Während er sich vorhin umgesehen hatte, war er bereits an jenem Tisch hängen geblieben, an dem eine resolute Italienerin die Karten mischte und austeilte. Zeit ein wenig zählen zu üben. Ihm war gleich aufgefallen, dass sie hier keinen Shuffle benutzten und mit nur vier Kartensets spielten. Das war überschaubar. Und es sparte ihm, einen einarmigen Banditen mit einem Magnet zu manipulieren. Im Spiegel hinter dem Tresen sah er, wie Eames von einem Schrank abgepasst und schließlich weggeführt wurde. Eames Worte reichten, um zu begreifen, dass es sich um jene Typen handelte, die ihm damals die Rippen gebrochen hatten, die den Zahn beschädigt hatten. Arthurs Miene verdunkelte sich. Jetzt musste er sich richtig konzentrieren. Black Jack war sein Spiel. „Mr. Eames“, hörte er wenig später Lombardo langgezogen sagen, als spräche er mit dem Nachbarskind, das er wiederholt beim Kirschenklauen erwischt hatte. „War ich nicht deutlich genug in meinen Worten, ... nein eher in meinem Rat gewesen, dass du dich hier nie, NIE wieder blicken lassen solltest?“ Er klang etwas dumpf, doch nah durch den Knopf. „Habe ich dir nicht äußerst höflich zu verstehen gegeben, dass es ratsam für dich wäre, nie wieder einen Fuß auf sizilianischen Boden zu setzen?“ Arthur hörte Eames aufstöhnen, leise fluchen. Er musste sich beeilen! Arthur schob die Jetons auf seinen stetig wachsenden Haufen, fixierte sichtbar die Hände der Dame, die die Karten für die nächste Runde mischte. Kartenzählen war leicht, und nicht gern gesehen... „Warum kommen Leute wie du immer wieder zurück, wie die Schmeißfliegen. Dir müsste doch klar sein, dass das nicht gut ist!“ Arthur hörte wie Eames erneut ansetzte, doch offenbar hatte Nevio oder einer seiner Cousins zugeschlagen. „Na, na, na, Mr. Eames“, hörte man nun wieder Lombardos schnarrende Stimme über den Kopfhörer. „Du solltest doch wissen, dass ich es nicht mag, wenn man mir ins Wort fällt.“ Es war nicht einfach zuzuhören, wie Eames versuchte sich Gehör zu verschaffen und gleichzeitig möglichst unauffällig und doch sichtbar Karten zu zählen, um den Haufen Jetons zu mehren - bis sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. „Würden Sie so freundlich sein und mich begleiten. Seniore Lombardo möchte Sie sprechen.“ Fünf Minuten später saß Arthur in einem der Hinterzimmer einem Mann gegenüber, der ganz offensichtlich leicht verstimmt war. Er hatte sich ihm nicht vorgestellt, er war etwa Ende vierzig und hatte vermutlich die Aufsicht im Casino übernommen, wenn Lombardo anderweitig beschäftigt war. Die Ähnlichkeit im Gesicht ließ Arthur vermuten, dass er der Bruder des Königs war. Seine teure Lederjacke hatte er über den Stuhl gehängt und die weißen Hemdsärmel hochgekrempelt. Da es ein maßgeschneidertes Hemd war, ging Arthur davon aus, dass der Mann entweder Bestechungsgelder annahm oder im Casino selbst spielte - und stets gewann. Ein Detail, das ihn auf eine Idee brachte. Alles war möglich. Nichts ging mehr. „Wie hat es geschafft, Mr.“ Lombardo, der Zweite, blickte auf seinen irischen (und gefälschten) Ausweis, den ihm das Personal abgenommen hatte. „McCartney.“ Ein kurzer Blickkontakt, den Arthur ungerührt erwiderte. „...in kurzen Minuten so viel zu gewinnen. Du bist ein lucky man!“ Sein Englisch war unbeholfen und ungeübt. Abwartend blickte er ihn an, doch Arthur gedachte nicht zu antworten und schwieg. „Sie wissen, nicht erlaubt zu betrügen? Verrate mir wie du kannst machen“, fuhr er fort, als ihm das Schweigen nach kurzer Zeit unerträglich wurde. Schwach, dachte Arthur. „Haben bestfriend?“ Arthur blickte ihn gleichgültig an, blickte dann auf die Uhr. „Wann kann ich mit jemandem sprechen“, sagte er schließlich in gestochenem Englisch mit irischem Akzent, „der wirklich etwas hier zu sagen hat? Ich habe nichts verbrochen und wenn ich nicht bald mit dem Chef dieses schönen Etablissements sprechen darf, verklage ich Sie wegen Freiheitsberaubung. Meine Personenschützer warten draußen und wissen, wo ich bin. Wenn ich mich nicht regelmäßig melde, werden sie mich suchen.“ Er blickte erneut auf die Uhr, während Eames in seinem Ohr stockend begann zu erklären, weshalb er da war. Er pokerte hoch, das wusste er. Unter Umständen würde er gleich ordentlich ein paar aufs Maul bekommen. Zur Not hatte er Plan B, um Lombardo von Eames abzulenken und ihm einen Denkanstoß zu geben, der ihn von seiner Wut auf den Forger ablenken und ihn gleichzeitig hellhörig für dessen Informationen machen würde. Tatsächlich klappte es, Lombardo herzulocken - lucky man. Und kurz darauf wurde es ruhig im Ohr und Lombardo selbst betrat das Zimmer. „Endlich ein Mann mit Format“, sagte Arthur zufrieden nickend. „Ihr Mitarbeiter glaubt, ich hätte Karten gezählt. Dabei hatte er nicht einmal den Mumm, es mir ins Gesicht zu sagen. Obwohl er recht hatte...“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Aber keine Sorge. Es war nur ein Test, um zu sehen, ob mein Geld hier sicher angelegt wäre. Zudem brauchte ich eine Möglichkeit, mit Ihnen zu reden...“ Er redete unbedarft auf ihn ein, erzählte von Geschäften, die er plane - bis Lombardo ihn zum Glück (endlich!) unterbrach. Es gluckte zumindest zum Teil, den Mafiaboss mit seinem Redeschwall etwas zu überfahren, auch wenn er spürte, dass es eine Gradwanderung war. Interessanterweise nicht ganz abgeneigt, aber mit einem klaren: „Ich habe jetzt keine Zeit für so etwas! Hier meine Karte, melden Sie sich auf normalem Wege.“ Arthur hatte damit gerechnet, dass er ihn schneller einfach rausschmeißen würde und Hausverbot erteilte - oder vermöbeln ließ und dann rausschmiss. „Sehr gut!“ Arthur betrachtete die Karte und sah ihn dann wieder an. Lombardo war zur Tür gegangen und hatte der Sicherheitskraft gesagt, er solle ihn nach draußen begleiten. „Noch eine Frage: Ihr Bruder trug einen unglaublich schönen und vermutlich sündhaft teuren Anzug. Ähnliche Qualität hab ich bisher nur in Mailand gesehen. Ist das Bucaletti? Haben Sie Beziehungen dorthin? Das wäre gut.“ Der sonst sehr undurchsichtige Lombardo sah ihn einen Moment irritiert an, dann öffnete er die Tür. „Darüber reden wir bei Gelegenheit“, sagte er nur und deutete ihm zu gehen, ihm seine Brieftasche wieder hinhaltend. Arthur wurde hinaus gebracht, ging (wissend, dass er beobachtet wurde) zu einer Gruppe echter Personenschützer hin, die bei den Limousinen standen und verwickelte einen in ein kurzes Gespräch. Dann deutete er zu einem Café die Straße herunter, als träfe er eine Abmachung, obwohl er den Mann nach dem Weg gefragt hatte. Dort setzte er sich hin - gegenüber der Hintertür des Casinos. Arthur bestellte sich einen Espresso, dem Gespräch lauschend, das Eames hoffentlich nun entspannter führen konnte. Ansonsten müsste er doch noch anders einschreiten. Der Verkehr war laut. Vespas führen vorbei. Das Café war gut besucht. Frauen und Männer saßen und tranken Unterschiedliches und unterhielten sich. Im Radio lief „Moriró da re“ von Måneskin. Wie passend, dachte Arthur. In vielerlei Hinsicht. “E amore accanto a te, baby, accanto a te... Io morirò da re...“ (And love is next to you, baby, next to you...I'll die as a king) Eames Lombardo war ein eindrucksvoller Typ. Mit seinen knapp über 170 cm fast so groß wie Eames und mit ähnlicher, breitschultriger Statur gesegnet. Trotz des lichten Haars war er äußerst attraktiv, mit seinem grauen Fünf-Tage-Bart und dem ausgereiften Sinn für Mode. Auf seiner Habichtnase thronte eine kleine Brille mit runden Gläsern und an seinen Fingern steckten ein paar äußerst alt und teuer wirkende Ringe. Der Blick, mit dem er Eames durchstach, war kalt und unbarmherzig, trotz des Lächelns, das sich auf seinen schmalen Lippen formte. Natürlich hatten seine Männer sofort die Waffen gefunden, die er in seiner Kleidung versteckt hatte. Dafür war das Mikrophon unentdeckt geblieben. Wenigstens das war nach Plan gelaufen. Dagegen hätte er die die Schläge, die er anschließend kassierte, eher vermeide wollen. Als Lombardo zu einem anderen Kunden gerufen wurde, hatte er zumindest kurz Zeit durch zuatmen. Er war verletzt, was das Warten nicht gerade angenehm gestaltete, aber immerhin gewährte man ihm ein kaltes Getränk. Ganz abgeneigt von den Infos, die Eames angedeutet hatte, schienen die Jungs also nicht zu sein. Als Lombardo wieder kam, irgendwie gut gelaunt, hatten sie die Gelegenheit endlich ein vernünftiges Gespräch zu führen und Eames konnte ein paar interessante Bilder präsentieren, um seine Lügen glaubhaft zu untermauern. Am Ende entschuldigte sich Lorenzo sogar dafür, dass Nevio so grob geworden war. Was für ein Durchbruch! Sie schüttelten sich die Hände. »Wir hören voneinander, mein Freund.«, bestätigte Eames grinsend. »Denen machen wir einen Strich durch die Rechnung. Enttäusch mich nicht, Mister Eames.«, ergänzte er mit drohendem Unterton und hielt seine Hand etwas länger und fester als nötig. Dann ließ er den Spieler von Nevio und seinen Kollegen nach draußen begleiten, da er leider keine Zeit mehr hatte zu bleiben und noch einen Drink zu nehmen. Kaum war er außer Sichtweite zückte er erneut sein Handy und rief Arthur an, um dessen Position zu erfahren. Die linke Hand verbarg er an seiner Brust unter seinem Jackett, als er zufrieden grinsend auf seinen Partner zukam. »Jesse ist ein verdammtes Genie!«, sein Gesicht war vor Aufregung von roten Flecken überzogen und ein Schweißfilm ließ seine Haut glänzen. Er wirkte euphorisch. »Wie hast du ihn herausgelockt? Das war gut! So hatte ich Zeit mit Jesse's Informationen zu arbeiten.« Arthur Mit einem zufriedenen Lächeln lauschte Arthur dem Gespräch. Seine Rechnung war aufgegangen, sie konnten zufrieden sein. Als er hörte, dass Eames entlassen wurde, nahm er den Knopf aus dem Ohr, griff kurz darauf zum vibrierenden Handy und teilte dem Forger mit, wo sie sich treffen würden. Am Hintereingang des Casinos sollten sie sich nicht zusammen sehen lassen. Unter einer Plantane auf einer nahegelegenen piaza wartete er schließlich darauf, dass er zu ihm stieß. Den wiegenden Gang, den zufriedenen Gesichtsausdruck des anderen sah er von Weitem. So als habe er Sex gehabt, schoss es Arthur durch den Kopf. So ähnlich wie er vorhin an der Promenade zu ihm zurückgekehrt war. Er schluckte. Arthur hatte das Bedürfnis, die Sonnenbrille wieder aufzusetzen, doch das war angesichts der späten Stunde und der Dunkelheit, die allmählich über die Stadt hereinkroch, ziemlich albern. Er nickte und bemühte ein Lächeln. „Das ist er“, bestätigte er und stieß sich von der Parkbank ab, an die er gelehnt gewesen war. „Just in time geliefert.“ Zu gerne würde er Jesse einmal begegnen und ihm persönlich dafür danken, dass er Tom hier den Arsch rettete und ihnen half. Ob Tom ihm dafür etwas versprochen hatte? „Ich hab nur etwas Karten gespielt“, sagte er dann schulterzuckend, „und lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt.“ Sein Blick war zur Brust des anderen gewandert, zu der Hand. Ein wenig dachte er ja, dass er es verdient hatte. Gleichzeitig ärgerte er sich über diese Idioten, die es wagten, ihn anzurühren. „Haben sie dich arg erwischt?“, fragte er. „Lass uns in die Unterkunft fahren. Vielleicht finden wir auf dem Weg ein Fisch-Restaurant. Dann können wir besprechen, wie es weitergeht.“ Langsam kehrte sein Hunger zurück. Außerdem hatte Eames noch nicht gesehen, wie er die alte Fabrik präpariert hatte. Es war wichtig, dass Tom genau wusste, wie der Ort aussieht, an dem sie die tödliche Falle für Lombardo und Jobs vorbereiteten. Und dann gab es da noch ein Thema, über das sie reden sollten und bisher nicht angesprochen hatten. Was kommt danach? - ob sie wirklich darüber reden würden, bezweifelte er jedoch. Eames „Ich hab nur etwas Karten gespielt und lukrative Geschäfte in Aussicht gestellt.“ Dafür wollte er ihn am liebsten knutschen, aber Arthur lenkte direkt auf ein anderes Thema. Vorsichtig zog er die leicht Hand unter dem Jackett her. Der Ringfinger war recht merkwürdig abgeknickt und bereits etwas angeschwollen. Ansonsten war er dieses mal von Gräueltaten verschont geblieben. »Oder wir nehmen uns was mit und fahren nachhause, damit ich meinen Finger richten kann, wie wäre das?«, unterbreitete er schief grinsend. Eames war bester Laune, trotz der Schmerzen und schlang auf dem Weg zum Auto seinen rechten Arm um Arthurs Schultern. »Übrigens, grandiose Arbeit, darling. Das feiern wir, wenn alles vorbei ist.« Mit deinem dicken Schmatzer auf die Wange, schloss er seine Lobpreisungen und entließ seinen steifen Partner wieder aus seinem festen Griff. Die Fischspezialitäten sahen zum Mitnehmen, in Plastikschalen und Alufolie, natürlich nicht halb so delikat aus, wie im Restaurant. Der Geruch trieb Eames jedoch das Wasser in den Mund, trotz des ekelerregenden Gefühls, das von seinem Finger ausging. Während Arthur bereits in der Wohnküche ein paar Teller und Besteck vorbereitete, schloss sich Eames im Badezimmer ein. Es war längst nicht sein erster gebrochener Finger, aber schön war das Prozedere natürlich trotzdem nicht. Unter einem unterdrückten Schmerzensschrei richtete er sich den Finger, tapete und stabilisierte ihn. Statt Oxycodon, blieb er dieses mal lieber nur bei Tilidin, er wollte nicht wieder so ein Drama wie beim letzten mal auslösen, wo sein exzessiver Tablettenkonsum am Ende für unvorhergesehene Probleme gesorgt hatte... außerdem wollte er Arthur beweisen, dass er nicht zwingend die volle Dröhnung brauchte. Das Hemd war offen und die Ärmel hochgekrempelt, als er schließlich zu Arthur stieß. Er fühlte förmlich, dass etwas im Busch war. Sicher war es üblich, dass Arthur stets der rationale von ihnen beiden war und die Euphorie selten von Eames auf ihn übersprang, aber ein wenig fühlte Thomas sich so, als ob sie ein Begräbnis vorbereiteten. »Ich finde wir sollten Jesse eine Grußtorte backen lassen, wenn wir wieder in New York sind: „Danke, dass du unsere Ärsche gerettet hast“, oder so was in der Art, was meinst du?«, quatschte er, um die Stimmung aufzulockern und fischte eine Flasche Weißwein aus dem Kühlschrank. Arthur Arthurs Augenbrauen zogen sich dunkel zusammen, als er die Hand, bzw. den Finger erblickte. Wieso mussten diese blöden Spaghettifresser eigentlich immer zu so mittelalterlichen Foltermethoden greifen! Das war doch schon lange nicht mehr zeitgemäß und affig und überhaupt... Seine Miene rührte sich nicht weiter, er nickte nur stumm zu dem Vorschlag. Besser, Tom versorgte den Finger so schnell wie möglich. Zumidnest war es die linke Hand, Ringfinger - er würde ihn hoffentlich nicht zu sehr beeinträchtigen, wenn es übermorgen zur Sache ging. So ging er seinen Gedanken nach, während sie sich in Bewegung setzten. Das Auto stand nicht weit. Als sich der Arm unvermittelt um ihn legte und der andere ihn für seinen Job lobte, verkrampfte sich etwas in ihm. Sie hatten beide gut gearbeitet. Jeder auf dem Gebiet, das er gut beherrschte. Sie waren ein gutes Team, ein verdammt gutes. Sollte er das einmal zur Sprach bringen? Tom dafür loben, wie er die Frau um den Finger... Der Kuss auf die Wange verhinderte, dass er das Lob über die Lippen brachte. Er überfuhr ihn, erinnerte ihn dummerweise an den Lippenstift am Kragen. Es waren die Momente, in denen er nicht einordnen konnte, ob das "darling" sein Nachname war oder nicht. Vielleicht war es ihm deshlab lieber, wenn er ihn my love nannte. "Das machen wir", murmelte er nur. Wenn der Zeitplan so aufging und es ein "alles vorbei" gab, dann würde ihnen eine Nacht zum Feiern bleiben. Ariadne saß ihm im Nacken, Cobb wollte ihn sehen, sein Bruder betrat seine Wohnung. Er hatte keine Zeit, dieses "Feiern" in die länge zu ziehen. Vermutlich war es dieser Moment, in dem er beschloss, nicht das "nachher" anzusprechen. "Den Gedanken hatte ich auch schon", antwortete er wahrheitsgemäß. Er hatte die Zeit genutzt, ein wenig durchzuatmen und sich zu ordnen, während Eames im Bad gewesen war. Er richtete die Gabeln und Messer auf der Tischdecke gerade und blickte dann zu diesem, der das Hemd leider nicht gewechselt hatte. Der durch die geöffneten Knöpfe ausstehende Kragen ließ den Blick darauf und den Lippenstift leider nur noch besser zu. Es war nur ein Job... "Wobei ich sie ihm gerne persönlich überbringen würde." Sein Finger war geschient. Ein nicht unbekannter Anblick, dass jener irgendwo ein Tape, einen Verband, Hämaotme hatte. Aber es schien ihm ut zu gehen. "Ich habe gerne ein Gesicht zu den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Und auch so bin ich, glaube ich, neugierig." Er setzte sich, schenkte Tom Wasser ins Glas und stellte ihm sein Weinglas hinüber, ihm dabei zusehend, wie er einschenkte. Den Fisch hatte er noch einmal gewärmt. Es roch gut, sie saßen auf der Terrasse, Falter schwirrten um die Lampe über der Tür, die ihnen Licht spendete. Die Zikaden gaben ein Konzert, Glühwürmchen flogen, die Sterne leuchteten. Er sollte professioneller damit umgehen, dass sie beide nur ihren Job machten. "Ich habe die Fabrik präpariert, während du bei Jobs warst. Es ist alles vorbereitet. Lebend kommt dort niemand raus. Du solltest dir den Ort morgen unbedingt zu eigen machen." Eames In der lauschigen Wärme des späten Abends und im warmen Licht der Terrassenbeleuchtung, vergaß er glatt, dass sie bei der Arbeit waren. Er hatte ein warmes Gefühl von Liebe und Urlaub im Magen und der Wein machte es ihm noch leichter von den Gräueltaten Abstand zu nehmen, die hinter ihnen lagen und die sie planten. Er schob sich gerade einen Happen weißen, glänzenden Fischs mit den Fingern der gesunden Hand in den Mund und machte ein wohlwollendes, genießerisches Geräusch dabei, als Arthur sprach. »Unbedingt.«, bestätigte er den Vorschlag nickend. Sich das Gelände nicht anzusehen, wo sie einen Massenmord planten, wäre selbst für seine Verhältnisse äußerst waghalsig. »Das ist übrigens das erste mal, dass wir keine Extraction zusammen planen. Aber ich bin nicht überrascht, dass es trotzdem funktioniert. Du leistest wie immer fantastische Arbeit.«, lobte er ein weiteres mal in lockerem Plauderton. »Übrigens ist dieses Haus hier..«, er machte die klassische Chefkochgeste und küsste dabei Daumen- und Zeigefingerspitze. »Fantastische Aussicht, schön abgeschieden, trotzdem nur zehn Minuten in die Stadt...«, als wollte er Arthur das Haus für ihre gemeinsame Zukunft schmackhaft machen. »Wir sollten nach dem Coup noch eine Woche bleiben und Urlaub machen. Einfach etwas erholen von dem ganzen Theater.« Er fühlte sich ein wie ein verliebter Idiot, aber das war merkwürdig in Ordnung für ihn. Er hatte eine Art Frieden gefunden, erst recht nach Arthurs Gespräch mit Dom. Sie waren jetzt wirklich ein Pärchen und er fühlte sich wie ein Teenager mit Schmetterlingen im Bauch. Angesichts der absurden, brutalen Situation in der sie sich befanden, vielleicht nicht gerade die beste Gelegenheit so zu empfinden, aber er konnte sich nicht helfen. Er wusste ja, dass er einen an der Klatsche hatte... »Und sobald wir diesen unverschämt guten Fisch aufgegessen haben, lass ich uns ein Bad ein. Kerzen, Wein, gute Musik, was meinst du?«, er wünschte sich eigentlich nur, endlich wieder ein echtes Lächeln von Arthur zu sehen, wenn er so darüber nachdachte. Arthur Arthur schwieg, schwieg dazu, dass Eames offenbar keine Manieren hatte, schwieg zu der sichtbaren Fröhlichkeit des anderen. Vor allem aber schwieg er dazu, dass jener erneut seinen Vorstoß über das zu reden, was in zwei Tagen auf sie zukam , unterband und es mit einer Leichtigkeit von sich zu schieben, die Arthur Angst machte. Er konnte nur nicht einschätzen, ob es das unfassbare Vermögen des anderen, unangenehme Dinge von sich zu schieben, oder ob es Angst war. Und Arthur wusste nicht, was von beidem ungesünder war. Doch dann kam erneut dieses Lob, das er ihm vorhin schon gemacht hatte. Arthur trank einen Schluck des gut gekühlten Weißweins, ließ den leicht herben Geschmack auf seiner Zunge wirken. Er lehnte sich zurück, betrachtete den anderen, der das Haus lobte, die Gegend, den Erholungsfaktor, den das hier ihnen bieten würde, wenn sie unter normalen Umständen hier wären. Normale Umstände... Gab es sie da noch? Arthur war fasziniert von der guten Laune, die Eames vor sich hertrug, als würde er dafür bezahlt. Der Zwist in seinem Inneren war auf Arthurs Gesicht nicht zu sehen. Doch es rumorte in ihm. Etwas sagte ihm, er sollte Eames ganz dringend von seiner Wolke auf den Boden der Hölle zurückholen, in die sie bald marschieren würden. Arthur hatte solche Todesfallen schon oft konzipiert. Zwar nur auf Traumebene, aber er war stets dabei gewesen, wenn die Soldaten, die in dem Traum trainierten, sich gegenseitig abschlachteten - wie er sie selbst abschlachtete, weil sie in seine Fallen tappten, die sie in der Realität eben vorher erkennen sollten. Es war nur Training, es waren nur Träume, es war dennoch grauenhaft für ihn gewesen, es hätte ihm dennoch fast die Fähigkeit genommen, selbst träumen zu können. Das Lob vorhin war angebracht. Er war darin wirklich sehr gut. Aber es hatte einen sehr bitteren Beigeschmack. Eine andere Stimme in ihm flüsterte ihm, dass er es nicht so eng sehen sollte, dass er nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen sollte. Eames bemühte sich, ihn davon abzulenken, was vor wenigen Stunden geschehen war. Er wollte ihn von Lombardo, von ihrem Todesplan ablenken, und natürlich vor allem von der Frau. Die Arbeit war gemacht, alles vorbereitet. Im Grunde hatten sie alle Zeit der Welt, sich auch etwas Ruhe, etwas Zweisamkeit zu gönnen. Doch allein der Gedanke an eine Badewanne, an Kerzen(!) und laue Musik, ließ ihn erschaudern. Es wirkte falsch, deplatziert - unabhängig davon, dass er nicht der Typ dafür war. Es lag ihm einfach zu fern, sich in dieser Situation zu entspannen. Es stand so viel auf dem Spiel. Nichts desto trotz widerstrebte es ihm, Eames schonungslos vor den Kopf zu stoßen. Es hatte sich zwischen ihnen etwas geändert. Eames bemühte sich gerade so sehr, die Stimmung zu heben. Er bemühte sich auf seine übertriebene Art und Weise, so wie er es oft tat - mit einem ‚zu viel‘. So, wie er es früher gehasst hatte, die Hilflosigkeit des anderen ignorierend. Arthur stellte sein Weinglas ab und stand auf. Er löste seinerseits die Krawatte, zog sie ab, öffnete zwei Knöpfe. Dann ging er auf Eames zu, drückte ihn an der Schulter nach hinten an die Lehne, so dass jener sich leicht ihm zudrehen musste. Nun setzte er sich ihm auf den Schoß, den Tisch neben ihnen. „Du hast recht, wir sollten uns erholen, wenn es vorbei ist“, sagte er. Er sagte nicht, dass es im Anschluss so sein würde. Er würde ihm nicht sagen, dass er keine Zeit hatte, dass der Flug schon gebucht war. Im Grunde wusste Tom das, da war Arthur sich sicher. Dass Tom glaubte, dass Arthur sein ganzes Leben an seines anpassen würde, traute er ihm dann doch nicht zu, auch wenn es ihn offenbar nicht zu einem Danke gereichte, dass er alles stehen und liegen gelassen hatte und einfach mitgekommen war, um seinen schönen Hintern zu retten. Er verdrängte das, aber er wusste es gewiss besser. Arthur nahm Eames das Weinglas ab, trank davon und stellte es dann auf den Tisch. Dann strich er über dessen Hemd. „Und gerne können wir uns heute noch etwas entspannen“, sagte er und lächelte auf Eames herab, leckte sich Reste des Weins von den Lippen. Er hob die Hand und strich ihm die Schläfe hinab, über die Wange zum Mund, mit dem Daumen über die Lippen streichend. „Aber verdränge nicht, was vor uns liegt. Ich kann das nicht wegschieben. Mir ist nicht nach Badewanne oder Kerzen. Das passt nicht. Ok?“ Einen Moment sah er ihn an, dann drehte er sich, griff zur Gabel und spießte etwas von dem Fisch auf, hielt es Eames vor den Mund. „Nicht nur ich leiste gute Arbeit“, sagte er und sah in das Blau, das in diesem Licht so dunkel wirkte. „WIR sind ein gutes Team.“ Diesen Abend sollten sie ein wenig entspannen, ein wenig genießen, dass sie ein gutes Team waren. Er beobachtete, wie Tom den Fisch in den Mund nahm, wie die Gabel langsam wieder herausglitt. „Deine Mutter hat dir keine Tischmanieren beigebracht, oder?“, fragte er mit strafendem Blick und einem Schmunzeln auf den Lippen. Eames So wie Arthur auf ihn zuging, hatte Eames kurz das Gefühl er würde ein Messer ziehen und es bis zum Anschlag in seiner Brust versenken. Und das obwohl er sich das Hemd aufknüpfte. Er liebte diese stolze, selbstsichere Haltung und diese präzisen Bewegungen; unbewusst hatte ihn das an Arthur schon immer fasziniert. Dass er sich schließlich auf seinem Schoß niederließ begrüßte er natürlich. Seine Hände wanderten wie automatisch an die harten, schlanken Hüften. Seine Daumen streichelten die Stelle an der Oberschenkel in Lenden überging in langsamen Kreisbewegungen, während er geduldig fasziniert zu ihm aufsah. „Mir ist nicht nach Badewanne oder Kerzen. Das passt nicht. Ok?" Dieser ruhig Tonfall, der bestimmende Druck auf seinen Schultern und der eiskönigliche Blick aus diesen tiefschwarzen Augen, der ihn von oben traf wie ein kalter Platzregen; das alles duldete keine Verneinung, machte ihn jedoch schrecklich an. Als er ihn schließlich mit dem Fisch fütterte und ihm dabei tief in die Augen sah, hätte Eames dem Drang beinahe nicht widerstanden und ihn direkt auf dem Tisch genommen. Leckeres Abendessen hin oder her. Arthur erschien in diesem Fall als die bessere Nachspeise. Ohne den Blick von der fesselnden Gestalt abzuwenden, die auf ihm saß, griff er nach seinem Weinglas und nahm selbst einen Schluck davon. Die Hand, die an Arthurs Hüften verblieben war, drückte ihn näher in seinen Schoß. »Hat sie nicht.«, bestätigte er. »Du kannst versuchen das für sie zu übernehmen, aber ich sage dir gleich, dass die Chancen ziemlich schlecht stehen, dass ich noch was dazu lerne.«, erklärte er. Sein Glas wanderte wieder auf den Tisch. Dann legte er die Hand bestimmend in Arthurs Nacken und zog ihn in einen neuerlichen Kuss zu sich herab. Wein und Küssen war schon immer eine gute Kombination gewesen in seinen Augen. Unter Arthurs Hintern, in Eames' Hosentaschen begann es zu vibrieren. Eames gab ein genervtes Knurren von sich und fummelte das Mobiltelefon aus seiner Tasche. Jesse rief an. Er stellte auf Lautsprecher: »Na, mein Freund und Kupferstecher.«, begrüßte er in irgendwie gereiztem Tonfall. »Jesse, was gibt’s? Ist es ernst oder können wir morgen darüber reden?«, erwiderte Thomas und versuchte Arthur neuerlich mit der freien Hand bei sich zu behalten indem er seine Fingerspitzen rückseitig unter den Bund der feinen Anzughose schob. »Es ist verdammt ernst. Ich hoffe Arthur hört gerade nicht mit, denn ich will nicht derjenige sein, der ihm sagen muss, dass die Scheiße den Ventilator trifft, also pass auf - …« Hektisch versuchte Eames den Lautsprecher auszuschalten, schaffte es jedoch nicht, bevor Jesse die Bombe platzen ließ. »Lombardo hat Jobs eine Drohung ausgesprochen. Er will sich morgen mit ihm treffen... - morgen! Ihr müsst es morgen durchziehen, verstanden?« Eames erwiderte nichts, sondern sah nur entgeistert zu Arthur auf. Ein wenig Hoffnung hatte er noch, dass das die Stimmung jetzt nicht gänzlich platzen ließ, aber irgendwie befürchtete er, dass er deswegen heute nicht mehr zum Stich kommen würde. Arthur Es gefiel, Arthur die Kontrolle zu haben, diesen Mann hier gerade unter Kontrolle zu haben. Eames‘ Blick, der eine Mischung aus Faszination, Verlangen aber auch etwas von Ehrfurcht innehatte, verriet ihm, dass er genau das hatte, Kontrolle, und er spielte gern damit. „Tztztz“, raunte er dunkel. „Vielleicht sollte ich zu härteren Erziehungsmaßnahmen greifen.“ Arthur leistete der Hand im Nacken kurz Widerstand, den bevorstehenden Kuss kurz bevor sich die Lippen trafen verzögernd, selbst bestimmend, wann er erfolgte. Er wollte die Kontrolle nicht abgeben, auch wenn er wusste, dass das ein Kampf werden würde, ein sich lohnender, ein erregender Kampf - der jedoch nicht mehr erfolgen sollte. Der Vibrationsalarm ließ ihn vom Schoß rutschen wollen, doch Eames hielt ihn davon ab. Jesses Tonfall allein bei der Begrüßung verriet schon, dass etwas nicht passte. Arthur richtete sich auf, lauschte den Worten. Dass er lieber nicht zuhören sollte, ließ ihn verwundert blicken und sich einmischen, um zu verhindern, dass Eames auf stumm schaltete. Wieviel wohl sonst vor ihm verheimlicht wurde? Aber das war jetzt uninteressant. Vielmehr war gerade wichtig, was Jesse für sie hatte, und das ließ ihn erstarren. Diese Scheiß-hitzköpfigen Italiener!!!! Arthur griff nach Eames‘ Handgelenk und zog sie von seinem Hintern. „Ja, verstanden“, antwortete er an Toms Stelle, dessen Blick er mied. Er wusste genau, dass jener diese Information weit weniger wichtig empfand als er. Ob er sie ihm bis morgen verheimlicht hätte, um das nicht zu stören, was sie gerade begonnen hatten? Ja, mit absoluter Sicherheit. Es würde jetzt ein anderer Kampf kommen, als ursprünglich eben noch geplant. „Bleibt es bei der Uhrzeit und der Lokation, die wir den beiden genannt haben?“, fragte er und glitt vom Schoß. Er hörte Jesse tief einatmen wegen der Erkenntnis, dass Arthur dich mitgehört hatte, dann etwas atemlos antworten. „Ja, dabei bleibt es. Lombardo geht davon aus, dass Berretta bereits dort ist oder Jobs ihn mitbringt und umgekehrt.“ Ein amüsiertes Grinsen legte sich in die Stimme. „Sie haben herrlich aneinander vorbeigeredet und es nicht gecheckt.“ Arthur nickte. „Na dann hoffen wir mal, dass das so bleibt“, knurrte Arthur bedrohlich. Verfluchte Scheiße! „Danke für die Info. Halt uns auf dem Laufenden.“ Sein klarer Blick glitt nun erstmals wieder zu Eames. Jesse bestätigte, verabschiedete sich und legte auf. „Ich fürchte, wir müssen eine Nachtschicht einlegen. Wenn ich mir nicht zu 100% sicher bin, dass du dich vor Ort auskennst, nehme ich dich nicht mit. Sonst wird dir das Gebäude zur Todesfalle.“ Eames Er war auf dem Stuhl zusammen gesunken. Sein Blick ging starr geradeaus, direkt in die Dunkelheit jenseits der Terrasse, fern der unnachgiebigen Blicke Arthurs, während seine rechte Hand sowohl seinen Kopf stützte, als auch einen Großteil seiner unteren Gesichtshälfte unter den dicken Fingern verbarg. Er wusste, dass Arthur Recht hatte, auch wenn der Halbständer in seiner Hose etwas ganz anderes vorschrieb. Er hielt noch immer das Handy in der Hand, als telefonierten sie noch. Als wartete er darauf, dass Jesse seine Aussage korrigieren würde. Aber nichts dergleichen passierte. Er fuhr sich durchs Gesicht während sich ein unzufriedenes Grummeln von irgendeinem Ort tief in seiner Kehle loslöste. »Klar doch.«, knurrte er und sah endlich wieder zu ihm auf. Er wusste, dass Arthur es ernst meinte. Er würde ihn wirklich nicht mitnehmen, wenn er nicht zufrieden war. Ein weiteres Seufzen folgte und ein frustrierter Griff nach seinem Weinglas. »Weißt du, my love, ein Blowjob dauert höchstens zwei Minuten, wenn man es richtig macht. Wir müssen nichts überstürzen, aber... « Leider schienen Eames' Argumente an Arthurs zu zerplatzen, wie Seifenblasen. Also gab der Forger nach; natürlich auch in dem Wissen, dass es zu ihrem Besten war. Der Rest des Fischs landete im Müll, nur der Wein erreichte das Wohn-, beziehungsweise Arbeitszimmer. Während Arthur den P.A.S.I.V. aufbaute, nippte Eames hin und wieder am Flaschenhals. Nebenher schüttelte er ein paar Kissen auf, damit sie gemütlich saßen während sie ihre Nachtschicht auf Traumebene einlegten. »Es gibt so viele Ebenen auf denen du mich wahnsinnig machst, weißt du das eigentlich?«, fragte er, während Arthur ihm die Armbeuge desinfizierte, um ihm den Zugang zu legen. Dennoch würde er nicht tauschen wollen. Nichts und niemanden in der Welt für das, was er hier hatte. Arthur War das sein Ernst?! Ging es ihm hier nur um die unmittelbare Befriedigung seiner Triebe, seinem Verlangen nach einem Orgasmus? Welche Rolle spielte er dann überhaupt in dem Akt? Der, der die Erektion beschleunigte? Der ihn zu eben jenem Höhepunkt schneller trieb? War das die ihm zugedachte Rolle? - wenn das überhaupt auf ihn zutraf, dass Tom bei ihm schneller auf Touren kam. Vermutlich konnte er nicht einmal das von sich behaupten. In Arthur regte sich ein ungerechter Widerwille. Unabhängig davon, dass ihm der Gedanke, Tom einen Blowjob zu gönnen ihm in dieser Situation vollkommen absurd vorkam (der Frage, ob er es sich nie vorstellen könnte, war eine andere): Es war ihm ohnehin nach der Geschichte mit dieser Italienerin schwergefallen, sich hierauf wieder einzulassen. Im Grunde hatte er gar keinen Gedanken daran verschwendet, vor dem Job noch einmal nicht als Point Man dem Forger gegenüber zu treten. Doch vermutlich hatte ihn eine dämliche Sentimentalität (oder Ängste?) dazu verleitet, doch noch einmal Nähe zuzulassen, die er während eines Jobs eigentlich so gar nicht mochte. Und nun? Nun stand er da, degradiert auf die Funktion, dem werten Herrn noch ein wenig beim Entspannen zu helfen. Na, herzlichen Dank auch! Sein Mund hatte sich etwas unwillig zusammengezogen, sein Blick war vermutlich ziemlich unterkühlt, während er einen Moment Eames ansah und überlegte, drauf überhaupt zu antworten. Er ließ es bleiben und machte sich lieber daran, den Tisch aufzuräumen. Und sei dies nicht genug, durfte er sich kurz darauf auch noch anhören, dass ER es war, der Tom wahnsinnig machte. Herrlich! Na, das war ja hier wie Weihnachten - eine Nettigkeit folgte der nächsten, ein Geschenk dem anderen. "Nun, dann haben wir ja wenigstens eine einzige Gemeinsamkeit", antwortete er trocken und legte den Zugang mit geübter Bewegung und ruhiger Hand. "Vielleicht sollten wir auf der Traumebene auskosten, uns gegenseitig wahnsinnig zu machen." Etwas ruppiger streckte er seinen Arm hin, trotzig möchte man meinen. Im Grunde wusste er ja, dass Eames nur die Wahrheit sprach. Allerdings änderte das nichts daran, dass er es doch irgendwo leid war, sich ständig Vorwürfe dafür anhören zu müssen, dass er es ernst nahm, Tom aus seiner beschissenen Lage zu helfen. Er zwang sich tief durchzuatmen und Tom schließlich mit etwas weniger Genervtheit im Blick anzusehen. "Ich denke wir sollten 15 Minuten reingehen. Ich zeige dir alles. Du solltest nur aufpassen, dass du hinter mir bleibst. Sonst katapultierst du uns früher aus dem Traum." Sie standen auf einer staubigen Schotterpiste, einer nicht befestigten Straße, die sich den Berg hinauf geschlängelt hatte. Unterwegs hierher kam man an einem verlassenen, eingefallenen und von der Natur bereits vollkommen zurückeroberten Haus vorbei. Ein Ziegengehege folgte, dann war man auf der kleinen Ebene, auf man vermutlich in den 90er Jahren eine Fabrikhalle errichtet hatte. Die Tanks und die Weinberge drumherum ließen erahnen, dass es sich um ein ehemaliges Weingut handelte, deren Geschäftssitz vermutlich näher an eine der großen Städte gelegt worden war. Die Hallen waren leer, am Verwaltungsgebäude bröckelte der Putz, die Fenster waren eingeschmissen. Die Hitze schien zu drücken, die Sonne stand hoch. Arthur blickte nach oben, ließ die Sonne rapide weiterwandern. Er war zuletzt mittags dort gewesen. Allerdings würden sie morgen in den Abendstunden hier unterwegs sein. Nun senkte sich die Sonne gen Horizont und ein lachsfarbenes Orange tauchte die Gegend in ein romantisch anmutendes, sanftes Licht. Italien war wirklich schön - ihr Auftrag weniger. "Ich habe das Gebäude mit kleineren Sprengsätzen versehen", begann Arthur zu erklären. "Die Detonationen wird man kaum merken und gehen vermutlich in den Geräuschen unter, die die Eskalation zwischen Jobs und Lombardo verursachen wird. Im Grunde reichen sie auch nur dazu, die Behälter mit Salzsäure zu sprengen, die ich an den tragenden Stützpfeilern angebracht habe. Wenn ich die Sprengungen vorgenommen habe, bleiben noch 5 Minuten, bis die Grundmauern einstürzen werden und hoffentlich alles unter sich begraben haben. Ansonsten habe ich noch ein paar andere 'Überraschungen' eingebaut, die uns hoffentlich einen Heimvorteil bringen werden." Sie waren zum Nebeneingang des Gebäudes gelaufen und Arthur blickte Tom an. "Ich habe einen Koffer mit Geld auf einem Tisch im Inneren deponiert. Ich hoffe, er reicht aus, dass sich die beiden Parteien ihrem eigenen Massaker verpflichtet fühlen." Eames "Nun, dann haben wir ja wenigstens eine einzige Gemeinsamkeit" Er musste einsehen, dass er vermutlich wieder irgendetwas gesagt hatte, dass Arthur sauer aufstoßen ließ. War ja nicht so, als freute er sich über die Tatsache, dass sie einen Haufen korrupter Mafiosi in die Luft sprengen würden – aber im Gegensatz zu seinem Point Man hatte er gelernt seinen Stress auf etwas andere Art und Weise zu bewältigen. Ein wenig hatte er auch gehofft (und ein Teil von ihm hoffte noch immer), dass Arthur sich auf lang oder kurz von ihm anstecken lassen würde... Sei's drum. Eames entschied sich gegen dieses Spielchen. Stumm nickend befolgte er Arthurs Anweisungen, ließ es sich jedoch nicht nehmen ihm einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe zu verpassen, ehe er den Knopf drückte. »Hübsches Fleckchen.«, kommentierte er und wirkte etwas verträumt, als sein Blick über die Weinberge glitt. Die Sonne neigte sich dabei in unnatürlicher Geschwindigkeit dem Horizont entgegen. Das erinnerte ihn daran, dass er irgendwo noch eine Flasche Wein zu erledigen hatte... Mit den Händen lässig in den Hosentaschen versunken trottete er hinter Arthur her, auf das verlassene Fabrikgelände und hinein die düsteren, verlassenen Gewölbe. Durch die zerstörten Fenster drang das orange Licht des Sonnenuntergangs in die Haupthalle und traf auf den Koffer, wie ein Spot auf einer Bühne. Die rostigen Träger ragten über ihre Köpfe und schienen sich in einem Geflecht als verbogenen Metallstangen an der Decke zu verlieren. Der Schutt knirschte unter ihren Sohlen. »Das wird so nicht funktionieren.«, der Gedanke verließ seinen Mund bevor er ihn wirklich erfassen konnte. Nun musste er damit arbeiten... »Wenn Lombardo dieses Gebäude sieht und dann diesen Koffer...«, er presste die Lippen aufeinander und sah sich mit kritischem Blick weiter, während er kleine, bedächtige Schritte machte. Als er sich wieder zu Arthur umdrehte, lag etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen, aber etwas an seiner Mimik war verschlossen. Als wäre sein wahres Ich gerade wo anders. »Das stinkt förmlich nach einer Falle. Versteh mich nicht falsch!«, er hob die Hände in Abwehr. »Dein Konzept ist gut. Ich bin mir sicher, dass hier niemand lebend rauskommt – aber diese Jungs sind Kriminelle. Die riechen den Braten.«, er wusste es, weil er in der Lage war zu denken wie sie. Und er maßte sich an es besser zu wissen, als Arthur. »Wenn das funktionieren soll, muss ich mit reingehen.« Er ging plötzlich auf die Mitte des Raumes zu und deutete auf den Koffer. »Ist der Auslöser hier?«, fragte er halbgrinsend und sah über seine Schulter zurück zu Arthur. »Geht der Laden hier hoch, wenn man ihn öffnet?« Arthur Das Gefühl, das ihn im Inneren des Gebäudes beschlich, war ein seltsames. Er hatte sich den ganzen Komplex zu eigen gemacht, hatte alles erkundet, sich jeden Fleck angesehen, es präpariert und für ihren Zweck hergerichtet. Eigentlich sollte es sich so anfühlen, als habe er mit dem Gebäude ein stilles Abkommen - doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, ihm nicht trauen zu können. Irgendwie hatte er die Befürchtung, das Gebäude könnte ihnen noch in den Rücken fallen, sie verraten. Dass all diese Gefühle letztlich bloßer Blödsinn war, war für Arthur so klar, wie Kurvendiskussionen. Er gab wenig auf solcherlei Gefühle. Schließlich wusste er stets, was er tat. Er hatte Berechnungen angestellt, alles mehrfach gedanklich durchgespielt und erneut berechnet. Im Grunde war er sich sicher, dass all das, was er sich in seinem Kopf zusammengebastelt hatte, stimmte und funktionieren würde. Oder ‚könnte‘? »Das wird so nicht funktionieren.« Arthur knurrte innerlich, als er den Kommentar hörte. Seine Zungenspitze glitt über die vordere Zahnreihe, gereizt. Eigentlich wollte er genau das nicht hören - und dessen war sich Eames vermutlich bewusst, denn er hob bei seinen weiteren Ausführungen zu seinen Vorarbeiten beschwichtigend die Hände, was Arthur wiederum seine Hände in die Hosentasche stecken und weiterhin schweigen ließ. Ihm war leider unbegreiflich klar, dass Tom recht hatte. (Was für ein blödes Gefühl!) Der Grund für seinen Unmut war weniger der Fakt, dass Eames so etwas leider wesentlich besser einschätzen konnte als er. Das war im Grunde unumstößliche Wahrheit, die er neidlos anerkennen sollte. Vermutlich war es auch genau das, was sie zusammen so unschlagbar machte, wenn sie miteinander arbeiteten. Der Grund für seinen Unmut lag eher bei seinem Ego, das nach wie vor Schwierigkeiten hatte, sich von Eames Kritik anzuhören, auch wenn jener recht hatte. Tokyo wirkte an dieser Stelle noch immer nach. Tokyo – der Fall, bei dem er von Tom im Vorfeld ordentlich Kritik hatte einfahren müssen, was er hatte ertragen können. Doch hinterher hatte sich herausgestellt, dass er nur manipuliert worden war, um dessen Zielen nicht im Weg zu stehen. Tokyo… Irgendwann würden sie diesen Mist hinter sich lassen müssen. Es machte ihn wahnsinnig. Warum hatte ihn Tom eigentlich vorhin noch an die Schläfe geküsst, obwohl er ihn so wahnsinnig machte? Oder hatte er seine Worte wieder nur eindimensional gesehen? Konnte ‚Wahnsinn‘ nicht auch etwas Positives haben? – Seine Gedanken drifteten schon wieder in eine Richtung, die hier gerade nichts zu suchen hatte. Arthur war stehen geblieben, blickte Tom an, der sich nun seinerseits die Gegebenheiten zu eigen machte, und wartete, auf welche Schlüsse jener kommen würde. Letztlich war doch genau dieses Gespräch der Grund, warum er mit Tom vorab diesen Ort hier aufsuchen hatte wollen. Arthur war völlig klar: Betrachtete man einen Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven - und sie hatten von jeher einen ganz unterschiedlichen Blick auf alles (da waren sie wieder, die wenigen Gemeinsamkeiten) - dann sah man mehr und alles differenzierter. Sein Blick folgte dem Toms zu dem Koffer hinüber. In der großen Halle war zunächst alles safe, erst auf den Wegen nach draußen oder in andere Bereiche des Gebäudes würden sie aufpassen müssen. Dennoch spürte er sein Herz heftiger gegen die Brust schlagen, als Tom hinüber zu dem Koffer ging. Oder war nicht vorhin schon sein Herzschlag beschleunigt gewesen, als Tom erklärt hatte, dass er mit hineingehen musste? Machte ihn das so nervös? ‚Wahnsinnig‘ nervös? "Nein", sagte er und folgte Tom zügig hinüber zu dem altern Schreibtisch, den er aus dem ehemaligen Büro gezogen hatte. "Nein, das habe ich bewusst nicht so gemacht. Deswegen wollte ich ja auch, dass wir uns das hier gemeinsam noch einmal ansehen." Er streckte sich, nahm noch mehr Haltung an, falls das möglich war. Er sollte bei dem Job bleiben, bei nichts anderem. Es war einfach nur ein Job, den sie absolvieren mussten. Weiter nichts. Er hätte sich auf der Terrasse nicht dazu hinreißen lassen, diese Nähe zuzulassen. "Ich habe bereits damit gerechnet, dass du mit Jobs oder Lombardo hineingehen willst." Oder befürchtet? "Ich löse die Sprengungen erst aus, wenn du mir das ok dazu gibst; wenn also klar ist, dass du wieder rauskommen kannst. Ich habe einen Laptop extern, über den ich die Detonation steuern kann." Sicher würde er auch vor Ort irgendwo sein, um einzugreifen. Aber vor allem würde er dafür sorgen, dass nur Eames aus dem Gebäude lebend herauskommen würde. "Sobald sicher ist, dass du in fünf Minuten draußen sein kannst, löse ich die Sprengung aus. Wir sollten über einen Knopf im Ohr verbunden sein." Er nickte zu dem Koffer hin. "Der hat keinen Mechanismus. Dafür habe ich alle Fluchtwege nach militärischen Standards so präpariert, dass sie dir ein Entkommen ermöglichen. Ich gehe davon aus, dass du dich damit auskennen wirst – Jobs‘ und Lombardos Männer jedoch nicht." Er sah wieder Tom an. „Erzähl mir, wie sich Lombardo und Jobs verhalten werden. Wer wird zuerst vor Ort sein? Wird die andere Partei dann überhaupt reinkommen?“ Ja, die Psychologie dieser Menschen war für ihn immer schwierig zu durchschauen. Eames Seine Fingerspitzen strichen über die metallerne Oberfläche des Koffers, ehe er die beiden Schnappschlösser nahezu synchron mit den Daumen betätigte. Im Innern befand sich was er vermutet hatte: sauber aufeinander gestapelte, druckfrische 500 Euroscheine. Schade, dass sie die ganze Gang nicht im Traum ermorden konnten. So wäre es sicherlich einfacher Ihnen das Falschgeld zu verkaufen. "... Ich habe einen Laptop extern, über den ich die Detonation steuern kann." Er nickte langsam, den Blick noch immer fest auf die Kohle gerichtet. »Ja, um den Knopf im Ohr kommen wir wohl nicht drum herum.«, murmelte er mit bitterem Geschmack im Mund. Leider waren die Mafiosi von Natur aus schrecklich skeptisch. Da musste man immer mit einer Leibesvisitation rechnen. Er hatte also fünf Minuten... das würde ein hartes Stück werden. Unauffällig schnell verschwinden und die ganzen Arschlöcher ihrem Schicksal überlassen. „Erzähl mir, wie sich Lombardo und Jobs verhalten werden. Wer wird zuerst vor Ort sein? Wird die andere Partei dann überhaupt reinkommen?“ Er ließ den Koffer wieder zuklappen und sah sich im Raum um. Seine Stirn furchte sich, während er sich konzentrierte, aber da war dieses gewisse Glänzen in seinen Augen. Diese Aufgabe war genau nach seinem Geschmack. Mit dem Zeigefinger tippte er sich gegen die Lippen, während er ein paar Schritte weiter in die Halle hinein tat. »Der Koffer darf nicht dort stehen.« Er schritt schnell auf den hinteren Teil der Halle zu, welcher durch sein leicht nach hinten abfallendes Dach und die moosbewachsenen Deckenfenster leicht grünlich schimmerte war. »Wir verstecken ihn in diesem Bereich. Und wir brauchen dringend mehr Kulisse. So etwas wie ein Büro oder einen abgetrennten Bereich. Einer der beiden muss sich hier wohler fühlen, als der andere.« Er sah sich um, sein Blick wanderte auch an den oberen Trägern entlang. Nicht ein einziger Sprengsatz war zu erkennen – da hatte sein Point Man mal wieder brilliert. »Was ist mit den hinteren Räumen? Sind die betretbar? Es muss etwas sein, wo sich die „wichtigen“ Leute allein unterhalten können.« Er ruckelte an einer der angerosteten Tür herum, die sich an der hinteren Wand befand. »Lombardo wird zuerst da sein. Durch die Informationen von Violas Handy können wir ein wenig Druck ausüben, um ganz sicher zu gehen. Er glaubt, dass dieser Schuppen hier seine Falle für Jobs wird.«, ein kleines, abfälliges Lachen entkam ihm. Als spielten sie nur ein bisschen Räuber und Gendarm. »Jobs erwartet Lombardo hier vorzufinden. Er wird mit der Absicht kommen Lombardo umzulegen. Solange Lombardo lebt, bin ich sicher. Wenn er ihn hat, wird er mich als nächstes kalt machen wollen. Beide glauben sie kriegen ihre Rache und einen Riesenhaufen Geld, wenn sie hier auftauchen. Sie werden schwer bewaffnet sein und äußerst vorsichtig..«, er sah fast so aus, als philosophierte er, wie er langsam auf und ab lief und die Umgebung austarierte. »Ich werde offen reingehen. Unbewaffnet. Ich provoziere eine schnelle Eskalation und dann...« Er spazierte zu einem der Seitenwände zu, an einem großen Haufen Steinbrocken vorbei, der wahrscheinlich einen ganz guten Feuerschutz bot. Die Mauer schien marode hinter einem der Träger; gut genug, um einigermaßen gut daran hochklettern zu können. Eine Fensterreihe war in etwa zweieinhalb Meter Höhe eingelassen. Er stemmte die Hände die Hüften und sah skeptisch nach oben. Dabei musste er leider sofort an seinen gebrochenen Finger denken. »Ich könnte versuchen dort heraus zu klettern. Aber wenn ich Pech habe schießen mir die Bastarde in den Rücken.« Er drehte sich zu Arthur um, dessen Haltung so hochprofessionell war, dass er das große Bedürfnis verspürte ihm den Stock aus dem Hintern zu ziehen. »Hast eine bessere Idee? Ein geheimer Ausgang vielleicht? Einen Teleporter oder ein Dimensionsloch?« Arthur Dachte Eames schon über ihre Möglichkeiten nach? Wie dieser Plan funktionieren konnte? Oder über das Geld, das im Grunde genommen wertlos war? Arthur beobachtete ihn, während jener in den Geldkoffer blickte. Erst seine Frage nach dem Vorgehen der anderen holte den Forger aus der Starre. Endlich kam Leben in ihn, endlich schien er sich auch den Raum, die Örtlichkeit zu eigen machen zu wollen. Der Blick, den der Forger hatte gefiel dem Pointman. Niemand anderes sollte jetzt da sein, außer dem Forger und dem Pointman. Nichts anderes war jetzt wichtig. Er folgte Toms Gedanken, sein Blick ruhte auf jenem, der sich umsah und laut begann nachzudenken. Er folgte ihm in den hinteren Bereich, nickte zu seinen Gedanken. Sie waren logisch, auch wenn er es gerne anders hätte. Es wurde so komplizierter zu entkommen. »Was ist mit den hinteren Räumen? Sind die betretbar? Es muss etwas sein, wo sich die „wichtigen“ Leute allein unterhalten können.« „Halt!“, rief er aus. Irritiert blickte er zu Tom, der an einer der Türen ruckelte. Da behielt man ihn im Auge und dennoch schaffte er es, an die falsche Tür zu kommen. „Wenn du die Tür in den unteren Lagerraum öffnest, beginnt eine Countdown von zwei Minuten, bevor die Decke runterkommt und den Rückweg versperrt.“ Das war in etwa die Zeit, die man bräuchte, um runterzugehen und dann für immer dort zu bleiben „Es gibt ein Büro dort vorne...“, fügte er an und deutete auf eine andere Tür. „Den Schreibtisch hatte ich daraus entwendet. Es hat tatsächlich den Charme eines ‚Ich bin was besseres als ihr‘.“ Etwas feineres Mobiliar, eine Maßanfertigung, die nicht rausgenommen worden war, massives Holz. Dort hatte er nichts installiert. Der Raum im Raum wäre ohnehin eine tötliche Falle, wenn das Gebäude einstürzte. Deshalb hatte er gehofft, dass Eames sich nicht darin würde aufhalten müssen. Ein rauskommen war wenn nicht durch die Tür nur durch ein Glasfenster möglich. Sie gingen hinüber und warfen einen Blick hinein. Eames nickte, dann dachte er offenbar weiter nach, während Arthur gedanklich eine Liste anfertigte, was sie morgen alles im Gebäudes ändern müssten. Gott, sie hätten viel zu wenig Zeit! Warum hatten diese Idioten den Termin nach vorne verschoben!?! Lombardo also zuerst - klang plausibel, wenn Jesse es forcierte. Als Eames auflachte, hob Arthur den Blick. Der Gedanke, niemals zum Ziel von Tom werden zu wollen, war vermutlich absurd - dennoch drängte er sich ihm auf. Zusammen mit dem Gedanken, dass jenem das hier in gewisser Weise Spaß machte. Die Übelkeit, die ihn seit zwei Tagen quasi nichts hatte essen lassen, war das Gegenteil davon. Als er allein in ihrem Haus gewesen war, während Tom bei Jobs war, war es ihm schwer gefallen, nicht darüber nachzudenken, was sie hier eigentlich wirklich taten. Doch das Gespräch im Auto, als sie in München angekommen waren, ließ ihn diese Bedenken beiseite schieben. Er sollte sich nur vor Augen halten, dass es um Tom ging, um seine Freiheit, die jener so dringend brauchte. Mehr war nicht wichtig. Die vergessen geglaubten Alpträume, die ihn seit ein paar Nächten wieder heimsuchten und in denen Tom ein fürs andere Mal starb, waren ein anderes Thema. ...mit der Absicht kommen Lombardo umzulegen. Solange Lombardo lebt, bin ich sicher. Wenn er ihn hat, wird er mich als nächstes kalt machen wollen. ... Arthur lehnte sich an die Kante des Schreibtisches und zwang sich seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Er durfte sich der Schwärze nicht hingeben, die er glaubte in sich zu spüren, wie sie sich wabernd ausbreitete, heimtückisch wie Nebel in einem Sumpf voll Verdammnis. Are we the hunters, or are we the prey? Unbewaffnet...schnelle Eskalation Während sich Tom seine Möglichkeiten zu entkommen anblickte, sackte er etwas in sich zusammen. Dieser ganze Plan hier war ... Fuck! Wenn Tom hier lebend rauskommen soll, würden sie eine große Portion Glück brauchen. Arthur war niemand, der sich auf sein Glück verließ. Er hatte nie eines. Er biss sich auf die Unterlippe, blickte auf den breiten Rücken, den Tom ihm zuwandte, während er zum unerreichbaren Fenster hinaufblickte. Schnell sammelte er sich wieder, streckte sich, rief sich zur Räson. Er hob fast etwas trotzig den Kopf. Tom darf seine Zweifel, seine Sorgen, seine Ängste unter gar keinen Umständen sehen, nicht eine Sekunde!! Er musste gelassen bleiben, stark, selbstsicher - so wie immer. Er war der Pointman. Hast du eine bessere Idee? Ein geheimer Ausgang vielleicht? Einen Teleporter oder ein Dimensionsloch? Arthur lächelte amüsiert und hob erstaunt eine Augenbraue. „Jetzt dachte ich, darum müsste ich mich nicht kümmern...“, antwortete er gelassen. „Im Verschwinden bist du doch normalerweise einfach spitze.“ Okay, das hätte er sich vielleicht sparen können. Er stieß sich vom Schreibtisch ab und trat auf eine weitere Tür zu. „Mit Teleporter oder Dimensionsloch kann ich nicht helfen, aber mit einem Fluchtweg, der dir gewiss helfen kann.“ Tatsächlich hatte er diesen Weg für Eames so präpariert, dass er jeglichen Verfolgern das Leben zur Hölle machen könnte. Stolperdrähte, manipulierte Glühbirnen Geräte, die man leicht zum Einsturz bringen konnte, automatisierte Waffen, etc. Die anderen Ausgänge konnte er schließen, wenn alle drin waren. „Allerdings brauchen wir vermutlich noch einen Moment der Ablenkung. Eine Irritation, die dafür sorgt, dass du unbemerkt zur Tür kommst.“ Dieser Gedanke war ihm eben erst gekommen. „Vielleicht Polizeisirene?“ Er schüttelte jedoch sogleich wieder den Kopf. „Nein, dann haben sie einen gemeinsamen Feind und verbünden sich gar.“ Sie brauchten eher etwas, vor dem beide Parteien Respekt hatten. „Am besten wäre vermutlich Berretta, aber den schaffen wir hier nicht so schnell ran.“ Eames „Im Verschwinden bist du doch normalerweise einfach spitze.“ Natürlich war er immer noch sauer. Wäre ja mal ganz was neues, wenn Arthur zu Abwechslung nicht nachtragend wäre. Eames beschloss jedoch die Sache mit Humor zu nehmen und lachte sogar ein wenig über den Nicht-Witz, während Arthur auf die nächste Tür zuging. Wo sich die Fallen befanden lernte er schnell. Da hatte er eine Art fotografisches Gedächtnis. Außerdem würde er bis morgen sicherlich nicht vergessen wie akribisch Arthur ihm jedes Detail seines tödlichen Fluchttunnels erklärte. »Exzellent.«, verkündete er und klopfte seinem Point Man auf die Schulter, als sie sich wieder in die Haupthalle bewegten. Kaum zu glauben, dass Arthur im wahren Leben so eine Todesfalle konzipiert hatte mit der Absicht wirklich jemanden umzubringen. Nicht jemanden, sondern mehrere Dutzend, je nachdem wie viele der Gefolgschaften schlussendlich auftauchten. Alles, um ihm den Arsch zu retten – na wenn das kein Liebesbeweis war! »Nein, wir kriegen Beretta spontan sicherlich nicht hier her.«, stimmte er Arthur zu, als sie über ein Ablenkungsmanöver nachdachten. »Aber vielleicht können wir einen Anruf inszenieren. Wir haben Lombardo's und Job's Nummer. Jesse kann uns sicherlich etwas zusammenbasteln, was zumindest so klingt wie Beretta, oder einer seiner Assisstenten.« Er tippte sich wieder mit dem Zeigefinger auf der Unterlippe herum, während er den Gedanken angestrengt weiter verfolgte. »Der Anruf wird eine Art „Todeskuss“ von Beretta. Beretta glaubt, dass Lombardo und Jobs sich heimlich hinter seinem Rücken treffen, um sich gegen ihn zu verbünden. Im selben Moment schicken wir eine gefakte Nachricht an Jobs mit ähnlichem Inhalt. Das wird sie hoffentlich kurz aus dem Konzept bringen, auch wenn es natürlich alles an den Haaren herbeigezogen ist. Ich brauche nur zwei bis drei Sekunden, um zu verschwinden; zumindest die sollten bei so einem spärlichen Ablenkungsmanöver rausspringen.« Er drehte sich zu Arthur um und schien ganz zufrieden mit seiner Idee. »Und wenn das nicht funktioniert improvisiere ich.«, er klatschte in die Hände und rieb sie lang und ausgiebig, während er sich alles noch einmal genau ansah; die Umgebung in sich aufnahm. »Was soll schon schiefgehen.«, murmelte er, eher zu sich selbst, als zu Arthur und ganz unterschwellig, kaum wahrzunehmen, konnte man einen leisen Zweifel aus seiner Stimme heraushören. Arthur Arthur ging noch einmal durch, ob er Eames wirklich alles gezeigt hatte. Nicht, dass er etwas vergaß, das ihm das Genick brechen würde - womöglich im wahrsten Sinne des Wortes. Die Hand auf seiner Schulter rüttelte ihn aus den Gedanken und er folgte Eames Überlegungen hinsichtlich des Ablenkungsmanövers. Ob Jesse was basteln konnte? "Muss es eine Sprachnachricht sein? Es könnte ja auch einfach nur scheinbar von Jobs kommen. Wobei wir sicher gehen müssen, dass sie es lesen." Das waren viele 'Wenns', die in seinem Kopf da noch übrigblieben. Viel zu viele für seinen Geschmack. Diese ganze Aktion war heikel. Aber sie war auch notwendig. Unausweichlich. Für Tom. Sie durften nicht versagen. Er durfte nicht versagen. »Und wenn das nicht funktioniert improvisiere ich.« Wenn es nicht funktionierte, würde Arthur persönlich auch erscheinen. Er würde Tom gewiss nicht in dieser Todesfalle seinem Schicksal überlassen. Dafür war er nicht hier. Niemals. »Was soll schon schiefgehen.« Alles?! - war sein erster Gedanke. Im Grunde konnte alles schief gehen. Angefangen davon, dass Jobs und Lombardo sich schon auf der Straße hierher begegnen und sich in die Haare kriegen könnten. Oder dass sie doch begriffen, dass sie nur manipuliert wurden. Oder... Doch wem nutzten all diese Zweifel, die ihn innerlich schon länger zerfraßen? Niemandem. Arthurs Augen betrachteten den Staub auf dem Boden, schon eine geraume Weile. Er kannte Tom gut, er kannte ihn sehr gut. Er spürte die Anspannung, er hörte das etwas zu lange Händereiben, bemerkte die hektischen Bewegungen, während er sich umsah. Er hörte den schweren Atem, hörte die aufgesetzte Heiterkeit, wenn er lachte, wenn er sprach. Eigentlich hatte er ihn schon immer gut durchschauen können, er hatte nur seinem eigenen Gefühl nie vertraut. Oder: er hatte es nicht wahrhaben wollen, wenn Eames eben nicht sicher war, selbstsicher und unzerstörbar. Er hatte immer Schwierigkeiten damit, ihm das zuzugestehen. Und noch mehr hatte er Schwierigkeiten damit, richtig darauf zu reagieren. Langsam atmete Arthur aus und wandte ihm den Kopf zu. Seitdem sie den Fluchtweg verlassen hatten, hatte er den Blickkontakt gemieden, er hatte ihn sich für diesen Moment aufheben wollen. Ihre Augen trafen sich. Ich bin da, sollte sein Blick sagen. Ich helfe dir hierbei - egal was kommt. Er wusste nur noch nicht, wie er das schaffen konnte. Aber er würde alles in seiner Macht Stehende dafür tun. I could die for you What you wanna do Oh this life I choose Er hob die Hand und legte sie Tom an die Schulter, auf die Halsbeuge, drückte leicht zu, um ihn nicht entkommen zu lassen. Er könnte ein pathetisches "Wir schaffen das!" loslassen, oder ein "Natürlich wird nichts schiefgehen." Aber dann wäre er ein Heuchler. Er hasste Heuchler. Sein Daumen strich über die Haut am Kragen, strich über die Haut am Hals, die ersten Bartstoppeln. Hatte er Sorgen? Nicht allein. Es war ein befremdlich angenehmer Gedanke, zu wissen, dass sie die gleichen Sorgen teilten, auch wenn sie sie nicht kommunizierten. Sie wussten von ihnen. Sie nahmen sie wahr. Reichte das nicht? "Lass uns uns draußen noch umsehen. Ich weiß nicht, ob ich den besten Ort gewählt habe, an dem ich mich positioniere", sagte er und es klang seltsam leise, ohne deswegen zerbrechlich zu klingen. Eames Für Eames fühlte sich dieser Moment in der heruntergekommenen Lagerhalle, unter den rostigen Stahlträgern und den bröckeligen Putz wie ein Abschied an. Er war sich sicher, dass Arthur ihn liebte und alles tat, damit das hier gut ausging. Aber eine kleine, finstere Stimme irgendwo tief hinten in seinen Gedanken, flüsterte, dass dieser Point Man vermutlich gar nicht sehr lange traurig sein würde, wenn das hier schief ginge. Er fühlte sich wie ein schwerer Stein, der sich an Arthurs Fußknöchel gekettet hatte und ihn allmählich mit nach unten zog. Und der blanke Egoismus hinderte ihn daran loszulassen. Also verabschiedete Eames sich im Stillen von seinem weißen Ritter, indem er sich in dessen Berührung schmiegte und ihm eins seiner Siegerlächeln schenkte. Denn so sollte er ihn in Erinnerung behalten und nicht wie den selbstsüchtigen Widerling, der er war. Sie entschieden sich dafür, dass eine geschriebene Nachricht an Jobs, Lombardo und ihre engsten Vertrauten reichen würde, wenn sie ihm richtigen Moment kam und verließen dann die Halle, um sich draußen umzusehen. Das alte Weingut bot eine Menge Möglichkeiten für Arthur sich zu verstecken. Eine Tatsache, die die Mafiosi ebenfalls skeptisch stimmen würde, erklärte Eames. Allerdings rechneten die nicht mit einer Ein-Mann-Armee, sondern wenn dann mit mehreren Personen. Und letztere waren dann doch etwas schwieriger auf dem Gelände zu verstecken. Wenn sie also nicht akribisch patroullierten, würden sie den Späher nicht entdecken. Die Stelle, die Arthur sich zur Überwachung ausgesucht hatte, konnte Eames nicht mehr verbessern. Von dort aus konnte Arthur einen Teil der Halle durch ein Fenster observieren und bei Bedarf sogar schießen. Die nötigen Präzisionswaffen hatten sie von Concetta erhalten. Der Nachteil würde sein, dass er nicht erkennen würde, ob Eames den geheimen Fluchttunnel erreicht hatte. Aber Eames versicherte Arthur, dass er es anhand der Reaktionen der Mafiosi erkennen würde. »Die Zeit ist bald um.«, sagte er, nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir sollten wohl ins Bett gehen, damit wir morgen so früh wie möglich losfahren können, nicht wahr?«, fragte er etwas verschmitzt. Sonst war es Arthur, der nur allzu gern an die Notwendigkeit von Schlaf und pünktlichem Zubettgehen erinnerte. Einmal wollte er auch der Streber sein. Arthur Arthur wurde das Gefühl nicht los, wieder nicht richtig reagiert zu haben. Aber er konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, Zuversicht auszustrahlen, oder? Egal was kam, sie würden das gemeinsam durchstehen. An all die Szenarien, die ihn erst in seinen Träumen heimsuchten, durfte er hier nicht denken. Er hatte diese Momente, in denen er Tom hatte sterben gesehen, so oft erlebt, dass er nicht wusste, was geschehen würde, wenn es wirklich so wäre. Zudem diese Gedanken dumm waren. Es war niemandem damit geholfen. Er wollte nicht daran denken, auch wenn es ihm schwerfiel. Es würde ihm nur davon abhalten, konzentriert zu bleiben. Die Distanz, die mit einem Mal zwischen ihnen herrschte, war seltsamerweise die, die er sich nach dem Betreten der Traumebene eigentlich gewünscht hatte. Aber jetzt, wo sie da war, schnürte sie ihm schier die Kehle zu. Hätte er doch einen zuversichtlichen Spruch aufsagen sollen? Einen, der genauso falsch war, wie das Lächeln, das ihm Tom vorhin geschenkt hatte? So war er nicht. Er nickte mechanisch zu Toms Feststellung, dass die Zeit bald um sein würde, dass sie schlafen sollten. Falsch, das alles war alles so falsch gerade. Doch er wusste nichts zu erwidern. Als sie aufwachten, ging Arthur eine Zigarette rauchen. Sie besprachen Belangloses, Selbstverständliches. Tom telefonierte noch mit Jesse, klärte diesen zu ihrem Plan auf. Arthur erwischte sich bei dem Gedanken, dass er sich wünschte, Jesse hätte tatsächlich erst morgen angerufen. Dann würden sie jetzt noch auf der Terrasse sitzen, sich diesen Abend einfach lieben. Und er könnte neben Tom liegen, in seinen Armen einschlafen und wirklich mal schlafen. So aber kam eine größtenteils schlaflose, unruhige Nacht auf ihn zu. Träume von jenen Szenarien, in denen Tom früher stets aufgetaucht war, um auf irgendeine Art und Weise zu sterben, mischten sich mit Szenen aus Tokyo, einem Kasino, etwas Undefinierbarem, das ihm schreckliche Angst machte. Als er am Morgen Schweißgebadet und wie gerädert erwachte, war noch Zeit, bis sein Wecker geläutet hätte. Er ging duschen, versuchte seine Ruhe wiederherzustellen. Dann zog er sich an, kochte Kaffee. Ja, er brauchte Distanz für diesen Job. Sonst würde er durchdrehen, würde Tom nehmen und mit ihm nach Mombasa fliegen, dort untertauchen und ihm eintrichtern, nie, NIE wieder nach Italien oder New York zu kommen. Doch er wusste, dass Eames sich ohnehin nicht daranhalten würde. Dann lieber jetzt das hier hinter sie bringen. Gleichzeitig wusste er, dass es eben eigentlich kein Job war. Das hier war etwas gänzlich anderes. Er war ins Dream-Sharing eingestiegen, um eigentlich genau das hier niemals tun zu müssen. Er hatte es gut gefunden, Geld zu verdienen, ohne dass jemand körperlich zu Schaden kommen würde. Das war der entscheidende Faktor gewesen, weshalb er damals eingestiegen war. Dass er hier einen Massenmord plante, hatte er selbst von sich nie vermutet. Aber er tat es. Und es würde gut gehen. Es musste gutgehen. Sie waren gegen Mittag vor Ort. Den Vormittag hatten sie damit verbracht, letzte Dinge zu regeln, zu durchdenken, distanziert, fokussiert, nebeneinanderher. Im Lagerhaus machten sie sich daran, alles so herzurichten, wie sie es auf Traumebene besprochen hatten. Arthur ging den Fluchtweg noch einmal durch, prüfte die Waffen, die dort zurechtgelegt waren. Dann war alles fertig. Nun hieß es nur noch zu warten. Eames Die Lagerhalle in der wirklichen Welt wies rein äußerlich keinerlei Unterschiede zu ihrer Traumversion auf. Trotzdem strahlte sie in Eames' Augen auch etwas furchteinflößendes aus; etwas endgültiges, das er nicht wahrgenommen hatte, als er das erste mal durch diese Hallen geschritten war. Am selben Ort wo er stand würden in ein paar Stunden Männer sterben. Durch seinen und Arthurs vereinten Aufwand. Und wozu? Einzig und allein damit er sich frei in Italien und den USA bewegen konnte, ohne Angst davor zu haben von irgendeinem Mafiosi erschossen zu werden. Wenn er es nun durchdachte, fühlte es sich falsch an so viele Menschenleben zu zerstören, damit er – der Herr des Chaos – Ruhe und Freiheit genießen konnte. Andererseits... die unfaire Behandlung, die ihm widerfahren war, ließ ihm wahrscheinlich keine Wahl. Entweder er, oder die. Und er wusste, dass es nicht nur ihm lieber war, wenn es die waren, die diesen Ort nicht mehr verlassen würden... Arthur wirkte distanziert, abgeklärt. Eames wusste, dass er nicht viel geschlafen hatte, die Schatten unter seinen Augen verrieten ihn. Eames fühlte sich wie ein Esel in Anbetracht der Tatsache, dass er die ganze Nacht seelenruhig durchgeschlafen hatte. Nachdem ihm klar geworden war, dass Arthur keine Ablenkung in Form von Zärtlichkeiten dulden würde, hatte er den Weiswein erledigt und war in dem Augenblick weg gewesen, als sein Kopf das Kissen berührt hatte. Sie arbeiteten konzentriert, sprachen nur das nötigste. Eames rauchte eine Zigarette, während sie die Technik prüften. »One, two, one, two.«, während er einen Finger auf sein Ohr drückte, auch wenn das dank der ausgeklügelten Ohrknöpfe nicht nötig sein würde. Er ging ein paar Schritte und entfernte sich weiter von Arthur, während er mit einer roboterartigen Stimme weiter im militärischen Sprech in das Mikrophon hinein murmelte. »Juliet, Foxtrott, Yankee, India.« Er wartete kurz auf Rückmeldung, dann führte er weiter: »India, Lima, Uniform - Ok, ich denke es funktioniert. Auf Position.« Er vermied es Arthur noch einmal zu berühren, geschweige denn ihn noch einmal anzusehen. Das würde ihm gerade nicht gut tun. Das würde womöglich alles schwieriger machen. Nur eins noch, richtete er an, ihn ehe er sich zu seiner Position begab: »Wünsch uns Glück, darling.« Eine Staubwolke wehte zu ihnen hoch, und legte sich auf die Blätter der umliegenden Olivenbäume nieder. Was auch immer den Staub aufgewirbelt hatte, bewegte sich aus Richtung der Straße auf sie zu. Kaum hatten sie sich positioniert, fuhren fünf schwarze, auf Hochglanz pollierte SUV's vor und parkten direkt vor der Halle. Get it before It goes to waste Lick on my knife And honour the taste Eames begrüßte Lombardo, der aus dem Wagen stieg. Er trug schwarze Golfhandschuhe aus Leder und einen Brustholster, den er durch kein Jakett verbarg. Mit seinem schwarzem Hemd bot er einen absurden Kontrast zu Eames hellblauen Streifen. Der Rest der Gesellschaft war in kurzärmlige Hemden oder Anzüge gekleidet, je nach Rang. Alle 14 waren bewaffnet. Fünf der Jungs sogar mit guten alten Tommy Guns – Lombardo hatte offenbar einen nostalgischen Fabel für klassische Verbrechen; das Bot Eames Stoff für ihr erstes Gesprächsthema. Lombardo war erstaunlich gut gelaunt. Sie rauchten Zigarre, während sich die Gefolgschaft ausgiebig im Innern der Halle und in der Umgebung umsah. Lombardo ließ Sessel und Stühle aus den Büros in die Haupthalle tragen, damit sie reden konnten. Und dann tauchte Jobs auf und das Prozedere schien sich auf ulkige Weise zu wiederholen. Beide Parteien schienen vorsichtig, aber offenbar bereit zu sprechen – als wäre eine Versöhnung tatsächlich eine Option. Taking my time Running in place Leaving the house Was a mistake Arthur Die Sonne brannte ihm durchs Hemd auf die Haut, doch da sie sich dem Horizont entgegenbewegte, war es auszuhalten. Dennoch herrschte eine drückende Hitze um ihn herum. Kein Wunder, wenn man auf einem Wellblechdach lag, verborgen hinter einem Silo. Kein Schatten, kein Lüftchen, einfach nur stehende Hitze. Arthur war froh, dass er sein Jackett gar nicht mitgenommen hatte. Seine Sonnenbrille halt, in dem gleißenden Licht genug zu sehen, unter den Nasenpolstern bildeten sich Schweißperlen. Er würde nachher ausgiebig duschen. Arthur blickte durch das Fernrohr in die Lagerhalle, in der nichts und niemand war. Tom wartete bei ihrem Auto vor der Halle, von seinem Blickwinkel aus nicht zu sehen. Die Sonne stand hinter ihm, er würde nicht gesehen werden, wenn man aus der Halle hier hinaufsehen würde. An sich ein guter Ort, wenn man nicht wegmusste. Er brauchte etwas, um hier herunter zu kommen, und er hoffte, dass es nicht Zeit war, die er brauchen würde, um Tom den Arsch zu retten. Zudem spiegelte die Sonne teilweise in den Fenstern, so dass er an manche Stellen einen getrübten Blick hatte. Arthur drehte den Kopf, als er das Geräusch sich nähernder Autos hörte. Die Staubfahne bestätigte die Wahrnehmung. Irritiert wechselte er den Fokus seiner Augen von der Ferne auf die Nähe, als er bemerkte, dass ihn eine grün-gelbliche Eidechse anstarrte, züngelte, als wollte sie ihn fragen, was er hier zu suchen hätte. Wie Eames vorausgehsehen hatte, war Lombardo der erste vor Ort. Er schickte seine Leute voraus, die sich auf dem Gelände umsahen, während er selbst mit Tom überfreundlich auf Italienisch anfing, die Räumlichkeiten innen zu inspizieren. Arthur war froh, dass Lombardo selbst gekommen war, um Jobs den Arsch aufzureißen – wie jener vermutete. So mussten sie nicht noch im Anschluss zu seinem Anwesen, um ihm einen privaten Besuch abzustatten. Dafür hatten sie definitiv keine Zeit mehr gehabt, Vorkehrungen zu treffen. Es wäre ein einziges Improvisationstheater geworden, etwas, dass Arthur hasste. Mit einem Schmunzeln und einem leichten Kopfschütteln, beobachtete Arthur, wie Lombardo tatsächlich begann, sich den Ort zu eigen zu machen. Er rückte die Möbel, bereitete ein gemütliches „Sit in“ vor. Offenbar glaubte hier jemand an eine friedliche Lösung. Und offenbar lebte die italienische Mafia noch immer ihr Klischee. Das Gespräch, das Arthur aufgrund mangelnder italienisch Kenntnisse nicht verstand, klang friedlich, aber lauernd. Lombardos Bodyguards schienen genug gesehen zu haben und erstatteten ihm Bericht. Arthur zählte in der Halle 9, außen mussten also noch weiter fünf Männer sein. Ein Blick auf sein Handy verriet, dass alles still war. Von hinten würde sich hier dem Dach niemand nähern. Hinter der Halle hatten Ginsterbüsche und Lorbeer die Macht übernommen, ein Durchkommen nicht ohne Kratzer und Lärm. Erneut hörte er sich nähernde Wagen. Jobs uns seine Leute. Erneut fünf Wagen. Der Vorplatz wurde langsam eng. Ähnliches Aufgebot an Männern. Seltsam, wie konform die Gegner hier gingen. Er bereute es, nicht zu verstehen, um was es ging. Ihm war nur klar, dass Jobs hier definitiv weniger versöhnlich auftrat, als Lombardo. Sicher würden sie nicht lange auf eine Eskalation warten müssen. Es war auch eine verworrene Situation. Während Lombardo davon ausging, dass sich Jobs Berrettas Gunst zurückholen wollte, um hier unten sich ein größeres Gebiet zu eigen zu machen, ging Jobs davon aus, dass Berretta Lombardo und damit Eames angeheuert hatte, ihn zu Fall zu bringen. Dass es im Grunde gänzlich anders gelaufen war und Tom allein aus der Not heraus den Stein komplett ins rollen gebracht hatte, war vermutlich keinem so wirklich bewusst. Arthur streckte sich etwas, nahm das Gewehr in Anschlag und blickte durch das Zielfernrohr. Er war die Ruhe selbst. Und er würde jeden treffen, der es wagen sollte, in Richtung Tom zu schießen. »Wünsch uns Glück, darling.«, hallte noch in ihm wieder. „Das und noch mehr…“, war seine Antwort in Gedanken gewesen. Emmanuel Jobs Die Fahrt zog sich. In Gedanken ging er die vergangenen Wochen immer wieder durch. Die Schmach, die er erlitten hatte. Diese Degradierung. Er war so gut im Geschäft gewesen – auch mit Berretta. Wieso war ihm dieser Mann in den Rücken gefallen. Warum hatte er ihm diesen Eames auf den Hals gehetzt? Wie hatte er es wagen können, ihm so in den Rücken zu fallen?! Die Wut war nicht weniger geworden. Nicht direkt auf Berretta. Er verstand ihn. Vermutlich hätte er es nicht anders gemacht. Die Wut galt vor allem Lombardo. Diese Scheißer von der Insel waren seiner Familie von jeher ein Dorn im Auge. Es gab viele Fehden zwischen ihnen. Nun hatte er den Bogen überspannt. Nun galt es zu handeln, bevor sein Erbe und das Ansehen seiner Familie weiter beschmutzt wurde. Niemand hinterging die Familie ungestraft, niemand. Lombardo war schon längst fällig. Das Land, durch das sie fuhren, hatte ohnehin einst seine Familie unter Kontrolle gehabt. Heute würde der Tag werden, an dem Lombardo Dreck fressen würde. Und Thomas Eames, dieser Bastard, der die Frechheit besessen hatte, ihn auf diese Weise Lombardo zu Fraß vorzuwerfen. Er war erstaunt gewesen, als jener zu ihm gekommen war und ihn darüber aufgeklärt hatte, wie er an den Code gekommen war. Er hatte es nicht begreifen wollen. Mittlerweile war diese Information gesackt und nur ein Gedanke war übriggeblieben: er wollte diesen Arsch persönlich. So in seine Privatsphäre einzudringen war ihm immer unbegreiflicher und machte ihn rasend. „Thomas Eames, gehört mir“, knurrte er gewiss zum 100. Mal an diesem Tag, als sie in die Schotterpiste einbogen, die zu dem Weingut führte, die tatsächlich einmal einem Vettern gehört hatte. Nun galt es, Lombardo den Arsch aufzureißen und das Geld an sich zu nehmen, das einmal ihm gehört hatte. Er würde es verwenden, um sich etwas Neues aufzubauen. Die Fühler hatte er schon ausgestreckt. Es gab neue Geschäfte, denen er sich widmen würde. Sie stiegen aus, seine Männer blickten ihn an. „Bewahrt Ruhe und wartet auf Anweisung. Lombardo gehört mir, Eames gehört mir. Ansonsten darf es keine Überlebende geben, verstanden?“ Sie nickten. Sie sollten sich beeilen. Laut Eames würde Berretta erst morgen hier eintreffen, um Lombardo das Geld zu übergeben. Dass er dieses Treffen vorab aushandeln hatte können, war ihm wichtig gewesen. Er wollte den Vorteil nutzen, den er hatte. Den Vorteil, dass dieser Brite glaubte, er sei ihm wohlgesonnen. Sicher, er traute ihm nicht wirklich. Und ja, er wollte ihn tot sehen. Aber vorher würde jener noch dafür Sorgen, dass er Berretta an den Eiern bekam, um hier seine Zuständigkeit zu erweitern. Seine Männer bildeten eine Traube hinter ihm. Das Anwesen wirkte überschaubar, nichts Außergewöhnliches. Er war als Kind einmal hier gewesen und kannte sich aus. Er hatte definitiv Heimvorteil. Sie betraten die Halle, die Gespräche verstummten, Lombardos Männer strafften sich. Jobs Augen hatten die Männer gescannt, nur Thomas Eames widmete er keinen Blick. Das hob er sich auf. Habt nur Angst, ihr Arschlöcher! Habt es zurecht! Ein Lächeln legte sich auf seine Züge, er ließ die Halswirbel knacken und näherte sich dem deutlich kleineren, untersetzten Mann. Gott, er würde ihm nachher ins Gesicht spucken! „Emanuel“, begrüßte Lombardo ihn mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Vorsicht. Hab nur Respekt vor mir, du kleiner Scheißer! Er erwiderte nichts, schüttelte nur seine Hand, Lombardo fuhr fort. „Wir sollten reden. Ich fürchte, hier sind einige Missverständnisse aufzuklären…“ Jobs lachte trocken. Missverständnisse? „Was gibt es da misszuverstehen, wenn du mir den Kerl auf den Hals hetzt, um mir mit vertraulichen Informationen, das Genick zu brechen?“, stellte er in den Raum. „Was hat dir Berretta versprochen? Hm?“ Lombardos Blick wurde kühler, das aufgesetzte Lächeln verschwand. Sie standen in der Sitzgruppe, doch keiner setzte sich. Eames Das war forsch, dachte Eames. Jobs war offenbar nicht gewillt die Sache subtil anzugehen, sondern legte gleich los. So etwas hatte er von einem Psychopathen wie ihm nicht erwartet. Vor allem nicht, da Arthur und er ihn bereits von „innen“ gesehen hatten und seine Reaktion eigentlich besser hätten vorhersehen sollen – er hätte seine Reaktion besser vorher sehen sollen. Er war der Menschenkenner, der verdammte Forger. Nun stand er da und spürte einen steinharten Kloß in seinem Hals. Er hatte sich Jobs als Doppelagent verkauft. Ein Opfer, das zwischen die Zahnräder der Größeren geraten war und nun versuchte die Sache zu Jobs' Gunsten zu drehen, um ihre vermeidlich gemeinsame Rache an Lombardo zu bekommen. Jobs erwartete also ein Gemetzel, während Lombardo wohl noch glaubte, dass es reichte dem Ex-CEO von Moneygram Angst zu machen, um seine Stellung in New York und Italien nicht zu verlieren. Wobei sich Eames auch nicht vorstellen konnte, dass er Jobs so einfach hätte davon kommen lassen, wo dieser doch angeblich schon seine eigenen Männer in den U.S.A. abschlachtete. Lombardos verwirrt-verärgerter Blick huschte augenblicklich zu Eames, welcher die größte Mühe hatte nicht dumm aus der Wäsche zu gucken. Dann erwiderte er: »Die interessantere Frage ist wohl: was hat Beretta dir versprochen?« Eames spürte, dass sie jetzt schnell handeln mussten. Die Geschichten, die er beiden Gauern aufgetischt hatte, würde bröckeln und zwar bald. Er konnte nicht weg, er stand mitten im Raum, umringt von Lombardos Männern, er musste Stellung beziehen, um eine Chance zu haben. Fluchs gesellte er sich zu den beiden; auf seinem Gesicht eine Art betretenes, oder peinlich berührtes Grinsen. Als wäre der Guss der Kindergeburtstagstorte aus Versehen Vanille statt Schokolade geworden; so ein Missgeschick, aber auch. Dabei legte er je eine Hand auf die Schultern der beiden Parteichefs. Vor allem Jobs drückte er mit dem Daumen gegen die empfindliche Stelle zwischen Schlüsselbein und Nackenmuskulatur. Gerade da, wo er an dem Lederholster vorbeikam. »Jungs, jungs..entspannt euch.« Doch es war bereits zu spät. Eames wusste, dass er aufgeflogen war, in dem Augenblick in dem er Lombardo in die Augen sah. Er kannte dieses wutentbrannte Funkel leider zu gut. Gerade in der Sekunde, als Lombardo Luft holte, um sich zu echauffieren, packte Eames ihn und drehte ihm einen Arm auf den Rücken. Mit der anderen Hand, überstreckte er Lombardos Kopf nach hinten, umdiesen komplett bewegungsunfähig zumachen; wenn auch nur vorübergehend. »Erledige ihn Jobs!«, brüllte Eames. Natürlich hatten Lombardos Männer die Waffen sofort erhoben und richteten die Läufe nun auf ihren sich windenden und fluchenden Chef, den der Forger natürlich als Schutzschild benutzte. »Leg ihn um! Wir haben ihn Jobs! Jetzt kriegt der Bastard was er verdient!« »Hör nicht auf ihn Emanuel!«, schrie Lombardo dagegen, konnte sich aber kaum artikulieren. »Er ist ein Betrüger! Er versucht uns beide zu überlisten!« Das war eine viel größere Katastrophe, als sie je hätten vorhersehen können. Er hatte es Arthur gesagt; was auch immer er tun musste, er wollte sich für keine Seite entscheiden. Dieses Spiel war ihm zu gefährlich erschienen. Nun konnte er nur darauf hoffen, dass Jobs auf seinen Zug aufspringen und ihm zumindest die Chance geben würde, ihm die Kohle wieder zubeschaffen, bevor er plante ihn umzulegen. Arthur Es war erstaunlich, wie Jobs, den er als jemanden kennengelernt hatte, der pedantisch kalkuliert, hier als Alphatier auftrat. Wie jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte? Eher wie jemand, dem man so sehr in die Suppe gespuckt hatte, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Und Arthur ahnte, woher das kam. Die Aggressivität war anders als die stille, bedrohliche Aura des Italieners vor ihm, der dem Amerikaner in diesem Fall nicht wirklich etwas an Autorität entgegenzusetzen hatte. Arthur war sich bewusst, dass das so gar nicht lief, wie Eames sich das erhofft hatte, wie sie es sich beide erhofft hatten. Er würde früher für Ablenkung sorgen müssen, als geplant. Ob Eames in diesem Modus überhaupt eine SMS bemerken würde? Jobs war ein Narzisst und ein Kontrollmensch. Vielleicht war es doch nicht so klug gewesen, ihn damit zu konfrontieren, dass sie in sein Unterbewusstsein eingedrungen waren. Er kannte selbst das Gefühl, nein die Angst, die man hatte, WAS jemand in seinen Träumen sehen könnte, wovon niemand etwas wissen durfte. Arthur war trainiert und hatte das normalerweise im Griff. Dennoch hatte es Tom vor kurzem erst geschafft, etwas von ihm aufzudecken, was er sicher verwahrt geglaubt hatte. Angesichts von Jobs Vergangenheit und dem Fragezeichen, was es mit dem Unfall seiner Eltern und seiner Schwester auf sich hat, konnte sich Arthur vorstellen, dass diese Offenbarung ihn das Gefühl von Kontrollverlust bekommen ließ. Diese Unwägbarkeit hinsichtlich dessen, was Eames alles gesehen haben könnte, machte Jobs jetzt unberechenbar. Zudem kam hinzu, dass er vielleicht begriffen hatte, dass sie durch die Manipulation des Insulins in gewisser Weise auch seinen Tod in Kauf genommen hatten. Arthur wurde immer bewusster, dass es vielleicht gar nicht Lombardo war, oder das Geld, auf das Jobs hier hoffte – es war Thomas Eames, den er tot sehen wollte. Er drehte sein Gewehr etwas, hatte nun Lombardo im Visier, dem Eames soeben die Hand auf die Schulter gelegt hatte. Glaubte er noch an eine friedliche Lösung? Doch im nächsten Moment belehrte er ihn eines Besseren: er lieferte Lombardo aus, schlug sich auf Jobs Seite. Arthur wurde flau im Magen. War es nicht das, was er in jedem Fall hatte vermeiden wollen? Arthur schluckte, seine Rädchen drehten sich. Eames‘ Verzweiflungstat machte die Situation nicht unbedingt besser. Lombardos Worte schienen Jobs zum Nachdenken zu bringen. Eben hätte er den Italo-Amerikaner noch gut treffen können, nun standen ihm andere im Weg. Mist! Wenn etwas schief ging und Jobs alles komplett durchschauen würde, würde er vermutlich auch Lombardo durchlöchern, um an Tom heranzukommen. Ihm musste irgendetwas einfallen, um die Situation zu verändern… irgendwas, bevor allen klar war, dass sie auf einen großen Betrug hereingefallen waren, bevor alles in sich zusammensinken würde, einstürzen wie ein Kartenhaus. Ob er bereits auslösen sollte? Erst einmal für Ablenkung sorgen… „Ich lenke sie ab“, sagte er leise, wissend, dass Tom ihn hören würde, dann schoss er auf einen von Jobs Männern, der so stand, dass auch einer von Lombardos Leuten der Schütze gewesen sein könnte. Vielleicht würde es so eskalieren, wenn sie gegenseitig glaubten, dass einer nicht die Nerven behalten konnte. Der Mann, den er traf, sackte stöhnend zusammen, einen Moment herrschte ungläubige Stille. Im Grunde war es Blödsinn gewesen – niemand hatte einen Schuss gehört und Schalldämpfer hatten die Herren dort nuten sicher nicht verwendet. Doch Arthur hatte irgendetwas tun müssen. Leider blickte Jobs nun doch genau in seine Richtung. Gespenstische Stille herrschte, wirklich gespenstisch, denn nicht einmal Vögel oder Zikaden waren zu hören. Es schien, als würde die Welt die Luftanhalten. Das Grollen, das mit einem Mal den Raum zu erfüllen schien, war unfassbar. Das Beben das folgte, das alles in Bewegung setzte, sich automatisch im Magen festkrampfte, löste Urängste aus. Die Lagerhalle ächzte, stöhnte, Steine bröckelten aus der Mauer, Staub rieselte hinab, ein Glas zersprang. Arthur klammerte sich an das Dach, hob den Kopf und blickte in Richtung Ätna, der so nah war, sichtbar von überall her und gerade über sich eine enorme Aschewolke aufsteigen ließ. Der Berg der Berge schien in Bewegung gekommen zu sein, der höchste Vulkan Europas. Arthurs Wegwerfhandy piepte, irritiert blickte er darauf – der Countdown war gestartet. Durch das Erdbeben war offenbar der Countdown ausgelöst worden. Eames hatte nur noch fünf Minuten. „Tom!“, sagte er. „Das Erdbeben hat die Zündung in Gang gesetzt. Du hast fünf Minuten um rauszukommen!“ Erneut bebte der Boden, die Verbindung schien einen Moment unterbrochen zu sein. Seltsam, wie das Schicksal spielte. Toms Leben – wie ein Tanz um den Vulkan: entweder er würde ihm nun das Genick brechen oder er würde ihm den Arsch retten. Lombardo Fragte Lombardo ihn gerade tatsächlich, was Berretta ihm versprochen habe? Wieso um alles in der Welt sollte Berretta IHM etwas versprechen?! Er hatte ihm den Stuhl angesägt und ohne ihm eine Chance gelassen, den ganzen schließlich weggerissen. Sicher, er würde ihn brauchen, wenn er hier erst einmal aufgeräumt hatte. Aber im Moment war er noch nicht wieder stark genug, um sich an ihm zu rächen. Irritiert blickte er den kleinen untersetzten Italiener an, als er mit einem Mal eine Hand auf seiner Schulter spürte. Eine Hand, die einem Mann gehörte, den er nicht zu nahe an sich heranlassen sollte. Ein Mann, der in sein Unterbewusstsein eingedrungen war, um ihn aufs übelste zu bestehlen. Ein Mann ohne Skrupel, der zu ihm gekommen war, um für ihn zu arbeiten. Kein Wort hatte er ihm geglaubt – zurecht. Seine Augen funkelten ihn an, ein dunkles Lächeln hatte sich auf seine Lippen gesetzt. Nein, er würde diesem Mann nicht mehr vertrauen… In diesem Moment begriff er, dass hier an der Situation noch mehr faul war, als nur Lombardos Frage. Seine Augen blickten in das wässrige Blau des Briten, suchend, ob er eine Antwort erhalten würde auf eine Frage, die er noch nicht gestellt hatte. Doch er bekam keine. Stattdessen sah er dabei zu, wie dieser Lombardo überwältigte. Seine Männer nahmen Haltung an, richteten ihre Waffen auf Lombardos Männer. War das sein Plan gewesen? Dass sie sich gegenseitig abschlachteten? Er musste seine Leute warnen, er musste Lombardo warnen! Unwillkürlich griff er nach seinen zwei Waffen, zog sie, richtete sie auf Jobs. Oder auf diesen Eames? Er ist ein Betrüger! Ja, so war es wohl. Und sie waren ihm alle auf den Leim gegangen. Doch nun würde es für eben diesen kein Entkommen mehr geben. Sicher, da war noch das Geld, das Berretta angeblich bringen würde – aber er glaubte nicht mehr daran. Nein, das hier alles war ein Puppentheater, eine Performance, die jemand inszenierte. Nur Thomas Eames? Er erinnerte sich noch gut an die Gesichter im Spa-Bereich, die an diesem unsäglichen Tag die Massage übernommen hatten. Er würde sie sein Leben lang nicht vergessen! Als Luigi zu Boden sackte, drehte sich Jobs irritiert um. Er hatte keinen Schuss gehört, sah nur den Mann zu Boden gehen, mit schreckensgeweiteten Augen. „Bleibt ruhig!“, sagte er unmittelbar. Während sich drei andere seiner Männer in Richtung des vermeintlichen Schützen drehten, blickte er durch das zersprungene Fenster hinüber zum Dach des Nebengebäudes. Die Sonne blendete – der perfekte Ort für einen Scharfschützen. Mit einem Grinsen, das wohl eher der Grimasse eines Wahnsinnigen glich, drehte sich Jobs Eames zu. Er würde diesen Mann nicht einfach nur sterben lassen. Er würde ihn quälen, ihn und seine Komplizen. „Hast du einen deiner…“ Weiter kam er nicht, als mit einem Mal der Boden bebte. Ein Schuss löste sich, Jobs hechtete hinter einen der Sessel. Er kannte Erdbeben, hatte sie oft genug gespürt. Dieses war jedoch heftiger als die, die öfters an der Tagesordnung standen. Um ihn herum herrschte Chaos. Er hörte ein paar Männer etwas rufen, erneut ein Schuss. Chaos brach aus, noch mehr Schüsse fielen. „Hört auf zu schießen!“, schrie er, doch offenbar verselbstständigte es sich jetzt. Mit einem Mal wurde ihm eines bewusst: das war für jemanden wie Thomas Eames gewiss der perfekte Moment, um unterzutauchen, oder? Wie ein wildes Tier bäumte sich Jobs hinter dem Sessel auf, drehte sich, zielte an die Stelle, an der eben noch Eames und Lombardo gestanden hatten, und schoss. Dieser dreckige Betrüger durfte nicht entkommen!!! Niemals. Nur leider stand dieser Kerl nicht mehr da, wo er ihn eben noch gesehen hatte. Jobs ging erneut in Deckung und blickte sich um. Wohin ist dieser Scheißkerl gegangen?! Eames Trotz des gebrochenen Fingers klammerte er sich an Lombardo so fest er konnte. Wenn er ihn verlöre, würden seine Männer ihn in wenigen Sekunden durchlöchern wie ein Nudelsieb und darauf konnte er wohl verzichten. Arthurs Ablenkungsmanöver brachte leider nicht den gewünschten Erfolg; eher im Gegenteil. Er sah Jobs Haifischgrinsen und erschauderte. Jetzt wusste dieses Aas, dass Eames nicht allein war. Das war schlecht. Alles an dieser Scheißsituation war schlecht. Es lief überhaupt nicht wie geplant und er fürchtete, dass sie beide draufgingen, wenn er nicht schnell eine Entscheidung traf. Der Ätna nahm ihm die Qual der Wahl jedoch wohlwollend ab, indem er für eine bebende, grollende Ablenkung sorgte. Lombardos Männer begannen auf Jobs zu schießen, Jobs‘ Männer erwiderten. Der Italiener in seinen Armen zappelte und als Eames einen Augenblick nicht richtig aufpasste, hatte er einen Ellbogen in den Rippen. Er ließ keuchend los und blickte Sekunden später in Lombardos Pistolenlauf. Das Blut in seinen Ohren rauschte laut, weshalb er nur zur Hälfte das Brüllen und Schimpfen der gegeneinander Kämpfenden Handlanger verstehen konnte. Er sah Arthurs Gesicht vor seinem inneren Auge; dachte an die letzte Botschaft, die er ihm per Funk gesendet hatte, kurz bevor die Mafiosi eingetroffen waren; dachte an das Eames-Haus, Mombasa und Enya. Er hatte doch nur noch eine Chance gewollt alles richtig zu stellen. Dann traf eine Kugel Lombardos Schläfe er klappte zur Seite weg. Die Zunge hing ihm aus dem Hals, wie bei einem Esel und die Augen waren nach hinten gerollt. Er zuckte noch ein wenig, aber ließ bereitwillig die Waffe los, die Eames nun an sich nahm. So schnell er konnte, huschte er hinter eine der Säulen und hockte sich dort ab, um seine Kugeln zu zählen. Er hatte 8 Schuss. In der Halle und im Eingang standen noch 16 Männer, inklusive Jobs, der hinter einem Sessel abgetaucht war. Er atmete tief ein und aus und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Das Beben und Arthurs Funkpruch war zwischen 40 und 60 Sekunden her. »Jobs kennt deine Location. Schieß auf alles was sich bewegt.«, richtete er an Arthur und fügte in Gedanken hinzu: lass nicht zu, dass sie dich kriegen. Nach weiteren tiefen Atemzügen entsicherte er die Waffe und legte los. Jobs hatte es offenbar beinahe geschafft die Situation zu deeskalieren, aber nun da Lombardo tot war, schienen seine Gefolgsleute außer sich zu sein. Jobs Männer schienen den Rücktritt wählen zu wollen; das musste er unter allen Umständen verhindern. Er sprintete zu der Grube, wo er den Koffer versteckt hatte. »Emanuel!«, rief er und machte sich mit wild fuchtelnden Armen bemerkbar. Als Schüsse fielen, ging er wieder in Deckung. »Hier ist deine Kohle du Wichser!«, er wedelte mit dem Koffer. Ein Kerl mit schrecklich krummer Nase versuchte sich seitlich anzuschleichen – Eames Kugel traf ihn ins Auge. Er schrie und kippte nach hinten. Die allgemeine Aufruhe war groß, aber angesichts des Geldes schienen sich alle etwas mehr zusammenzureißen. »Macht ihn fertig! Er ist allein! Schießt! Er hat den Boss gekillt!«, rief jemand auf Italienisch; Eames konnte den Ursprung der Stimme nicht ausmachen. Schien auch nicht wichtig. Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Sein Blick streifte das schmale Fenster, 2,5 Meter über ihm. Fliegen wäre praktisch... Er sah nicht mehr zu der Gruppe, die sich ihm näherte – die Gruppe von Männern, die ihn tot sehen wollten – sondern rannte los. Den Koffer klemmte er sich dabei mit beiden Händen in den Nacken, um wenigstens seinen Kopf vor Schüssen zu bewahren. Er spürte, dass ihn ein paar Kugeln trafen, aber durch das Adrenalin konnte er weiterlaufen. Rauskommen – einfach nur rauskommen. Er hielt ein letztes mal Inne nachdem er die Tür passiert hatte, um in keine der Fallen zu treten und huschte dann durch den schmalen Gang bis er eine weitere Tür erreichte. Hinter ihm hörte er bereits das geschmeidige Klicken, der Trittfalle. Eine kleine Explosion sprengte den Kopf des ersten Verfolgers. Das war der Moment in dem Eames nach draußen kam und den Koffer fallen ließ. Seine Lungen füllten sich mit frischer doch staubiger Luft, weshalb er zunächst in heftiges Husten verfiel, als er sich hinter der Halle einen kleinen, zugewucherten Abhang hinauf kämpfte. »Spren-…«, röchelte er; hustete, würgte. Seine Atemwege schienen sich zu zuziehen, so tief hatte er den Staub inhaliert. »Spreng-… sprengung!« Emmanuel Jobs Es fiel Emmanuel wie Schuppen von den Augen, dass er soeben Lombardo erschossen hatte, während er im ersten Moment nur darüber nachgedacht hatte, wo dieser Scheiß Betrüger hingekommen war. Das Bild, das sich in dem Bruchteil von Sekunden auf seine Netzhaut gebrannt hatte, wurde klarer, während er sich hinter den Sessel kauerte und das Chaos um ihn herum sich weiter zu entfachen schien. Er hatte ihn erwischt, genau an der Schläfe – während jener Thomas Eames vor seinem Lauf gehabt hatte. Alle Probleme wären in dem Moment gelöst gewesen, in dem Lombardo abgedrückt hätte. Alles andere hätte sich gegeben. So aber musste er zusehen, dass er den Mistkerl noch bekam. Seine Rufe, die seine Leute zurückpfeifen sollten, brachten nicht den gewünschten Erfolg. Viel zu erbost waren Lombardos Männer, die letztlich auch um ihr eigenes Leben bangten und dieses genauso verteidigten, wie sie sich rächen wollten. In seinem Hirn ratterte es. Er rief die Bilder von der Halle auf, wo sich Thomas Eames verzogen haben könnte. Wie kam er an den Briten ran? Als er Eames Stimme hörte, zögerte er nicht, stand auf und schoss unmittelbar in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Er sah den Koffer, sah den Briten, der offenbar glaubte, sich damit noch irgendwie einen Vorteil verschaffen zu können. Wo hatte er den denn rausgezogen? Woher wusste er, wo der Koffer war? Jobs Misstrauen war so tief, dass er jegliche Handlung des Briten in Frage stellte. Zumindest sorgte der Koffer für eine gewisse Aufmerksamkeit, die die zerrütteten Parteien nun wieder teilten. Alle fokussierten sich darauf. Nun, wäre ja auch praktisch, hier nicht nur lebend herauszukommen, sondern auch mit einem Haufen Geld. Ob es Eames Ziel war, sie auf seine Fährte zu setzen? Tiefes Misstrauen rührte sich erneut. Sollten doch lieber die anderen wie die Idioten dem Betrüger hinterherrennen. Er hatte andere Pläne. Er blickte sich um, sah die Seitentür, die mit einem Tisch verstellt war. Zugegebenermaßen eine gute Idee, wenn hier drinnen das Chaos ausbrach, so zu verhindern, dass Männer verschwanden. Allerdings war der Tisch damit auch ein guter Tritt zu dem Fenster, das seitlich neben der Tür ziemlich erhöht und dessen Fensterscheiben durch das Erdbeben geborsten waren. Zeit, sich vom Acker zu machen. Emanuel Jobs stand auf, richtete die Waffe auf Lombardos restliche Männer und schoss, gab damit seinen Leuten Rückendeckung. „Verfolgt den Bastard!“, schrie er und schoss sein Magazin leer, um seinen Leuten den Weg frei zu machen. Dann ging er wieder in Deckung und wechselte das Magazin. Viele waren nicht mehr übrig, mindestens drei seiner Leute hatten durch die Tür dem Briten folgen können. Nun galt es, etwas Glück zu haben. Er atmete tief durch, lauschte, von woher Geräusche kamen und stand auf, zielte, schoss, zielte, schoss. Dann war es still. Es lagen viele auf dem Boden, eine Tür weiter hinten am anderen Ende der Lagerhalle war offen. Er selbst spurtete los, sprang behände auf den Tisch, zog sich zum Fenster hinauf, darüber hinweg und fiel tief. Er rollte sich auf dem Gestrüpp ab, das neben der Halle zu wuchern begonnen hatte. Ein heftiger Schmerz durchzog seine linke Schulter, auf der er sich abgefangen hatte. Der Aufprall hatte ihm die Luft aus den Lungen getrieben. Einen Moment blieb er auf dem Rücken liegen, verschnaufte, dann schlug er die Augen auf. Keine Sekunde zu früh, denn nun sah er, wie die Halle neben ihm schier in Zeitlupe und immer schneller einzustürzen begann. Mit schreckensgeweiteten Augen blickte er nach oben und reagierte keine Sekunde zu früh, als er sich zur Seite rollte, und krachend neben ihm Teile des Daches aufschlugen. Eines musste man Eames und seinen Helfern lassen. Sie hatten sich gründlich darauf vorbereitet, ihn, Lombardo und ihre Männer ins Grab zu bringen. Aber nicht mit ihm. Emanuel stand auf, schwankte leicht. Auch das Knie hatte etwas abbekommen. Aber er musste zusehen, dass er in Deckung kam. Im Moment glaubten seine Feinde vermutlich, dass er begraben, einfach tot war. Diesen Vorteil musste er für sich nutzen. Einer der Gefolgsleute von Thomas Eames lauerte auf dem Dach gegenüber. Ob er sich den schnappen sollte? Er ging hinter einer Mauer in Deckung, überlegte krampfhaft, wie er weiter vorgehen sollte, blickte sich um. Dann setze er sich in Bewegung. Die Mauer zog sich um den Hof, zumindest bis zu jenem Hügel, der weiter in die Weinberge führte. Bis dort hinten konnte er in Deckung bleiben. Als ein Schuss fiel, hielt er inne, lauschte gebannt. Arthur »Jobs …e Location. … sich bewegt.« Arthur verfluchte die Technik, die in diesem Moment so gar nicht funktionierte. Doch nachfragen würde er nicht. Was könnte Eames gemeint haben? Nun, er ahnte, dass Jobs seine Position kannte. Ob er ihn darauf hinweisen wollte? Arthur zog sich zurück. Egal was nun passierte. Hier oben würde er die schlechteste Möglichkeit haben, weiter etwas auszurichten. Arthur ließ sich den vorgesehenen Weg vom Dach hinunter, schulterte das Gewehr und zog seine Clock. Dann umrundete er das Gebäude. Im Chaos, das in dem Gebäude ausgebrochen war, hatte er Tom nur noch zum Koffer sich bewegen gesehen. Ob er wirklich dieses Scheiß Geld retten wollte? Darauf war doch wirklich geschissen, wenn er nur dafür leben herauskam! »Hier ist deine Kohle du Wichser!«, hörte er nun wieder deutlich in seinem Ohr, während er den von der Straße aus gesehen vordersten Ausgang beobachtete, indem er sich hinter einen der Wagen kauerte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jobs Männer eher aus der Halle herauskamen, ließ ihn einen von Lombardos Wagen wählen. Jetzt noch hinzugehen und diesen zu verriegeln, war absurd. Die Gefahr, dass jemand herauskommen und ihn direkt abknallen würde, war zu groß. Es dauerte nicht lange, als die Tür tatsächlich aufflog und zwei von Italiener herauskamen. Arthur beobachtete sie, wie sie zu den Autos liefen, zum Kofferraum, um weitere Waffen zu holen. In diesem Moment hörte er Eames in seinem Ohr. Die Geräusche, die er zuletzt wahrgenommen hatte, das Keuchen, die Schüsse, Aufstöhnen und dergleichen mehr, hatten ihn dazu gezwungen, wegzuhören, um sich nicht seiner Angst hinzugeben, die ihn sonst nicht mehr klar denken lassen würde. Nun aber hörte er das Röcheln ganz deutlich, das die Sprengung forderte. Er zog sein Handy aus der Jackentasche, aktivierte den Zünder direkt und ein Signalton erklärte ihm, dass die Sprengung erfolgt war. Es würde nur Sekunden dauern, bis das Gebäude einstürzte. Und genau so war es. Er steckte das Handy zurück in die Jackentasche, als auch schon das Stahl- und Beton-Konstrukt in sich zusammensackte und alles darunter begrub, was nicht rechtzeitig herausgekommen war. Arthur verfluchte innerlich die Tatsache, dass er aus egal welcher Sicht, nie alles überblicken konnte. Aber zunächst sollte er sich den zweien widmen, die sich hinter den Autos in Sicherheit gebracht hatten, und nun erst recht motiviert ihre Waffen durchluden. Er spähte seitlich am Auto vorbei, als er im Augenwinkel eine andere Bewegung wahrnahm – Jobs, der sich hinter eine Mauer hechtete. Also war der auch entkommen. Die Zeit wurde knapper. Die Geräusche, die Tom von sich gab, verhießen nichts Gutes. Er war mitgenommen, angeschlagen, vielleicht getroffen. Hier vorne waren noch zwei wutgeladene und Jobs hatte endgültig nichts mehr zu verlieren. Arthur ging aus der Deckung und schoss den ersten Mann nieder mit einem gezielten Kopfschuss. Der zweite zog durch, schoss, doch Arthur war schneller, schoss einen Moment früher und war bereits wieder hinter einem anderen Auto in Deckung gegangen, als er den zweiten Körper zu Boden gehen hörte. Dass er nicht schnell genug war, um den lauten Schuss zu verhindern, der so unnatürlich laut in den Bergen zurückzuschallen schien, war nicht gut. Er überlegte, ob er Tom fragen sollte, wo jener sich befand. Aber wenn er ihn zum Sprechen brachte, dann würde Jobs es vielleicht hören können. Sollte er ihn warnen? Vielleicht musste er einfach nur schnell sein. Arthur spurtete los. Er musste einen Bogen um die Nebengebäude machen, um zu verhindern, dass Jobs ihn sah. Er hatte zumindest den Vorteil, dass jener nicht wusste, wo er sich genau befand und wer er war. Emanuel Jobs Nach dem Schuss folgte kein Geräusch mehr. Es war seltsam still, nichts schien sich zu regen. Er streckte sich, späte über die Mauer. Von hier aus sah er die Rückseite der ehemaligen Halle. Der Schuss war von der Vorderseite gekommen, würde er sagen. Dort, wo die Autos standen. Ob einer seiner Leute den anderen Komplizen erwischt hat? Der hat sicher einen Schalldämpfer benutzt. Oder gab es noch mehr Komplizen? Warum waren sie dann aber nicht gestürmt? Viele Leute wären ihren Männern sicher eh aufgefallen. Doch nur einer? Er blickte sich weiter um. Nichts rührte sich. Der Koffer lag auf dem kleinen Platz, von Eames keine Spur - oder? Wohin würde er gehen, wenn er an dessen Stelle wesen wäre. Er ging vermutlich davon aus, dass sein Komplize noch auf dem Dach war. Wenn er wäre, würde er sich in den Weinberg verziehen. Dort konnte man gut in Deckung gehen. Ob er ihm den Weg abschnitt, wenn er in einem Bogen auch dorthin ginge? Jobs lief los, sein Bein schmerzte, so dass er weniger schnell vorankam, als ihm lieb war. Aber sein ziel ließ ihn den Schmerz vergessen. Heute ging es nur noch um eines – diesen Bastard endgültig auszulöschen! Hörte er da jemanden sprechen? Fluchen? Jobs blickte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Und tatsächlich – sein Plan war aufgegangen, da war er. Jobs beobachtete, wie Eames hinter einer Brombeerhecke sein Bein untersuchte. Leise schlich er sich näher heran. Dieser Wichser würde ihm nicht mehr entkommen! Die Waffe im Anschlag näherte er sich dem Mann, dem er seinen Untergang zu verdanken hatte. „Dein Plan war gut“, sagte er, als er auf ihn zutrat, „aber nicht gut…“ Zu mehr kam er nicht, als eine Kugel ihn traf und er in die Knie sackte. Noch bevor sein Kopf auf dem Boden aufschlug, war er tot. Dass der Schütze die wenigen Meter überwand, um seinen Tod endgültig festzustellen, bevor er sich zu Tom drehte, bekam er nicht mehr mit. Auch nicht das „Alles in Ordnung?“, das er den Briten fragte. Eames Im Gestrüpp herrschte eine seltsame Ruhe. Auch wenn das laute Krachen der in sich zusammenfallenden Halle und die Schüsse nicht verebbten. Die Schlacht hörte sich wie abgedämpft an; als wäre sie viel weiter entfernt, als sie eigentlich war. Als er die Augen schloss fühlte es sich an, wie eine alte Erinnerung. Er blutete und ganz langsam stellte sich ein gewisser Schmerz ein. Aber das war nichts von Bedeutung. Nicht solange er nicht sicher war, dass es Arthur gut ginge. Solange er seinen Anweisungen gefolgt war, dürfte nichts passiert sein, immerhin hatte sich noch keiner der Mafiosi auf den Weg zu dem kleinen Häuschen gemacht auf dem sein Point Man in Deckung gegangen war. Kurz hielt er inne, setzte sich in eine kleine Kuhle, seine Wade zu untersuchen, in der ein kreisrundes Loch klaffte. Schade, um den Anzug, dachte noch, als sein Gedanken von einer Stimme unterbrochen wurde, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: „Dein Plan war gut“ Eames starrte den Mann mit einer Mischung als Abscheu und Überraschung an. Wie um alles in der Welt - ? Er wollte gerade die Arme heben, sein Mund öffnete sich, um ein paar verteidigende Worte zu sagen; vielleicht seine letzten; als ein Schuss fiel. Jobs brach ungelenk in sich zusammen, wie ein Puppe dessen Fäden durchgeschnitten wurden. Dann sah er auf zu Arthur, der mit rauchender Waffe in einer staubigen Wolke stand, wie ein Sheriff. Seine Stirn glänzte schweißnass und sein Blick war für Eames unerträglich... Dieses Bild brannte sich bei Eames ein, ob er wollte oder nicht. Das war nicht mehr sein Schüler. Diesem Kerl war er nicht überlegen. Auch wenn er es eigentlich schon lange gewusst hatte, wurde ihm diese Tatsache in genau diesem Moment erst so richtig bewusst. „Alles in Ordnung?“ »Ich lebe.«, er grinste, was eher wie eine schmerzverzerrte Grimasse aussah. Er hatte vergleichsweise wenig abbekommen. Ein Schuss in die Wade und vermutlich ein Streifschuss an der Seite. Aber nichts dramatisches, so viel stand fest. »…sind alle anderen erledigt?«, fragte er rau und Arthur musste diese Frage nicht einmal beantworten. Eames wusste, dass der andere sich bereits darum gekümmert hatte. Ein beklemmendes Gefühl beschlich ihn; wie eine kalte Hand im Nacken. Er stemmte sich hoch und sah auf ihr Werk herab. Blut, Trümmer und Staub. Ramadi. »Lass uns schnell von hier verschwinden.« Arthur „Bereit?“, hatte ihn Eames an diesem Morgen gefragt, als sie ins Auto gestiegen waren. „Natürlich!“, hatte er geantwortet und gedacht, dass Eames genau in seinem Element wäre. - Hätte er gewusst, was sie erwartete, wäre seine Antwort anders ausgefallen. Als Arthur sich zu Eames umgedreht und ihn dasitzen gesehen hatte - Blut an den Händen, von dem er nicht direkt sagen konnte, aus welchen der Verletzungen es stammte, die Haare stumpf von Staub, ein Riss im Hemd und dem Schweiß auf der Stirn – war es ihm schwergefallen, die Fassung zu bewahren. Seitdem war es nicht einfacher geworden. Dann diese Worte, die unbedarft klingen sollten, aber wie ein Zerrbild wirkten, sah man ihm ins Gesicht. Das Schlimmste war aber der Blick gewesen, die Augen, so dunkel, grau, fast leblos. Sein Herz hatte sich schmerzhaft zusammengezogen und sein einziger Gedanke war gewesen: bring ihn hier schnell weg! Reden konnte er nicht. Er hatte auf die Frage nach den anderen nur genickt. Er wusste, dass Eames durch die Hölle gegangen war. Er hatte ihm kaum dabei helfen können. Er hatte nur ansatzweise unterstützen können, das hier lebend zu überstehen. Zumindest das schien geglückt zu sein. Er hatte ihm geholfen, sich aufzurichten. Offenbar waren die Verletzungen nicht so schlimm, dass Tom sich nicht mehr rühren konnte. Er hatte ihn gestützt, ihn zum Auto gebracht. Diesen unsäglichen Koffer hatten sie noch mitgenommen. Er hatte Tom ins Auto gesetzt. Er hatte funktioniert, einfach funktioniert. Dann waren sie losgefahren ohne sich noch einmal umzublicken. Arthur hatte nicht einmal in den Rückspiegel gesehen. Eigentlich müsste er glücklich sein. Glücklich, dass alles geklappt hatte. Nein, eher, dass sie noch lebten. Aber so recht wollte diese Zufriedenheit, die Freude sich nicht einstellen. Der Preis dafür war hoch gewesen. Das war ihnen beiden mehr als bewusst. Die Schreie derer, die verschüttet worden waren, gellten in Arthur nach. Bilder der Männer, die leblos zusammengesackt waren. Die Fahrt durch die Berglandschaft Siziliens war gespenstisch still gewesen. Die Sonne senkte sich gen Horizont. Hinter ihnen der Ätna, überall Feuerwehr- und Polizeisirenen, die Menschen zu Hilfe kamen, die durch das Erdbeben in Schwierigkeiten geraten waren. Zwischen all den Autos fuhren sie, die zurückfuhren zu jenem Haus, in dem sie ihren teuflischen Plan ausgearbeitet hatten. Arthur bemühte sich, nicht das Denken anzufangen. Er musste noch weiter funktionieren. In München hatte er Eames klar gemacht, dass er für diese Aktion stark genug war. Einen Moment der Schwäche hatte er bereits zugelassen, mehr sollten nicht folgen. Als er Eames ins Auto gesetzt hatte, hatte er ihm einen Moment über die Wange gestrichen, aus einem Impuls heraus. So als müsste er sich wirklich vergewissern, dass er lebte. Mehr sollte er ihm nicht anvertrauen, wenn er wollte, dass Eames begriff, dass er kein Kind mehr war, nicht mehr jener Student, den er beschützen musste. Er hatte Tom vorgeworfen, er würde ihm nicht vertrauen, ihm nichts zutrauen. Heute hatte er ihm hoffentlich endlich das Gegenteil bewiesen. Die Kugel in der Wade hatte keine Arterie erwischt, sie war leicht zu entfernen gewesen. Arthurs Hände waren ruhig, als er das Loch nähte. Eames hätte ihn nicht davon abhalten können, sich dessen Verletzungen anzunehmen, das hatte er ihm deutlich gemacht. Er betrachtete sein Werk. Eine neue Narbe auf dem Körper, der viele Geschichten erzählen konnte. Der Streifschuss hatte rasch aufgehört zu bluten. Er spürte den Blick des anderen auf seinem Gesicht, während er einen Verband anlegte. Er sah nicht auf, tat so, als bemerke er es nicht. Er schaffte es nicht, ihn anzusehen. „Das hätten wir“, sagte er halblaut, eher zu sich als zu Tom. „Ich würde dann duschen gehen.“ Er fühlte sich furchtbar schmutzig. Seine Hände waren nur wenig blutig, dennoch hatte er das dringende Bedürfnis, dieses Blut schnellstmöglich loszuwerden. „Kann ich noch etwas für dich tun?“ Eames „Kann ich noch etwas für dich tun?“ Eames hatte ein paar Pillen eingeschmissen und fühlte wie es dumpf und warm hinter seiner Stirn wurde. Wie die wohltuende Umarmung, die er sich von Arthur gewünscht hätte. Stattdessen bekam er in Tätscheln seiner Wange im Auto und stoisches Verbinden seiner Wunden. Dennoch breitete sich ein Lächeln auf Eames Zügen aus, als Arthur ihm diese Frage stellte. Ein ehrliches und sehr ruhiges Lächeln. »Mir geht’s gut. Geh endlich duschen.«, antwortete er leise und berührte Arthurs Unterarm mit der geschienten Hand. Arthurs Augen waren schwarz wie die Nacht und matt wie der Tod. Es beunruhigte Eames ihn so zusehen. Leider war ihm schmerzlich bewusst, dass er mit so etwas gerechnet hatte. Arthur war stark, das hatte er bewiesen. Er war auch in der Lage furchtbare Dinge zu tun. So wie er selbst. Und dennoch schien es etwas zwischen ihnen verändert zu haben. Wenn sie an diesem lauen Abend wirklich einen Sieg davongetragen hätten, dann würden sie jetzt saufen und knutschen und vermutlich nicht einmal ins Bett kommen, bevor sie über einander herfielen. So legte sich nur ein dunkler Vorhang über sie, dessen Gewicht Eames förmlich auf seinen Schultern spüren konnte. Eames verbrachte ein paar Minuten auf der Terrasse, wo er in die Richtung blickte, wo der Ätna stand. Er konnte ihn nicht sehne, aber allein die Gewissheit, dass er da war erfüllte ihn mit einer Art Ehrfurcht. Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich jetzt nicht mehr, dachte er. Das gleiche galt wohl für Arthur. Da er bereits frisch war, zog er sich nur noch aus und legte sich ins Bett. Er brauchte keine weitere Betäubung mehr. Sein Kopf war schwer und er schlief ein in dem Augenblick, als sein Kopf das Kissen berührte. Das letzte was er von Arthur mitbekam, war sein schlanker, kühler Körper, der sich in einer ungreifbaren Dunkelheit angenehm an ihn drängte. Er hatte kein Gefühl von Innigkeit, aber immerhin war er zuhause. Vielleicht die schönste Erinnerung an Italien. Arthur Als Arthur das Bad betrat, blickte er nicht in den Spiegel. Mechanisch entkleidete er sich, trat in die Dusche, regulierte das Wasser. Dann ließ er das Wasser über sein Gesicht laufen, stellte sich unter den warmen Wasserstrahl. Er war unfähig einen Gedanken zu fassen, irgendetwas sinnvolles zu denken. Nichts, da war einfach nichts - und das untrügliche Gefühl, dass gerade etwas ganz schief lief. Das hier war nicht das, was er brauchte, was er wollte, was ihm guttat. Er... Ja, was wollte er denn? Ein Danke? Anerkennung? Nein, das auch nicht. Wofür auch?! Als er die Hände hob, waren sie noch immer voll von Blut. Er griff zum Duschgel, begann sie zu säubern. Seine Bewegungen wurden immer hektischer als er merkte, dass sich das Blut nicht so leicht abwaschen ließ. Er merkte, wie ihn das beunruhigte, wie er immer mehr das Gefühl bekam, dass er dieses Blut nie wieder loswerden würde. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und mit einem Mal war das Nichts gefüllt mit all den Gefühlen, die er den ganzen Tag verdrängt hatte, mit all der Angst, die er um Tom gehabt hatte, mit der Panik, als er gesehen hatte, dass Jobs drauf und dran war, schneller zu sein als er. Fast, ja fast hätte er es nicht geschafft. Und dann? Was wäre dann gewesen?! Arthur stützte sich an die Duschwand, versuchte wieder ruhiger zu atmen. Mir geht’s gut...Mir geht’s gut...Mir geht’s gut - Es ging ihm gut! Er hatte ihn heil aus der Scheiße gezogen. Alles war gut! Nichts, was nicht verheilen konnte. Alles war gut - und nichts. Sie sollten sich jetzt nahe sein, oder? Sie sollten ihren Sieg feiern, oder? Sollten Sie sich nicht voll Verzweiflung lieben? Sollten Sie sich nicht näher sein als jemals zuvor...? Oder? - Allein, es fühlte sich nicht so an. Eine Berührung am Arm, eine Berührung an der Wange. Zu mehr waren sie, war er nicht fähig? Oder gab es dieses Mehr gar nicht? Wo war ihr Strandkorb? Wo war die Leidenschaft? Brauchte Eames ihn jetzt nicht mehr? Hatte er jetzt halt den Job erfüllt? Nein, er wollte diesen Gedanken nicht zulassen. Er wollte in diese Beziehung vertrauen, wollte glauben, dass da mehr war. Die Erkenntnis, dass er sich gerade nichts mehr wünschte, sich nach nichts mehr sehnte, als von Thomas einfach gehalten und geliebt zu werden, war erschreckend aber so klar, dass es schmerzte. Das war das, was ihm gut täte. Das erste Mal vermutlich so richtig. Ob Eames ihm gleich diese Nähe geben würde? Wenn er den Staub, den Schweiß los war? Arthur beeilte sich, er würde sich diese Nähe nehmen, wenn Tom sie ihm nicht geben würde. Er würde sie sich holen, überprüfen, ob ihr something auch noch nach dem Massaker existierte. Durfte nicht auch einmal er der Egoist sein? Als er aus dem Bad durch den Flur ins Wohnzimmer trat, sah er, dass er länger gebraucht hatte, als gedacht. War er sooo lange in der anfänglichen Starre verharrt? Eames war nicht da, auch auf der Terrasse nicht, nicht in der Küche. Als er die Schlafzimmertür öffnete, verkrampfte sich etwas in seinem Magen. Er war zu spät. Eames war müde gewesen, klar. Seiner müde? Eames hatte Medikamente genommen. Er muss sich ausruhen. Er ist angeschossen worden. Arthur hätte sich beeilen müssen... Als er sich ins Bett legte, waren weitere drei Stunden vergangen. Er hatte Ariadne zugearbeitet, damit diese weiterkam. Zumindest hatte die Steuerprüfung bisher nichts von sich hören lassen. Zumindest verliefen die Planungen für ihr Projekt im Soll. Zumindest hier sah er klar. Arthur betrachtete Eames Gesicht im Halbdunkel des Mondlichts. Dann kuschelte er sich an ihn, spürte wie sich dessen Körper an seinen schmiegte. Vielleicht sollte er sich zumindest das einfach nehmen, ein bisschen Ruhe, ein bisschen Schlaf, ein bisschen das Gefühl von Wärme, von Nähe. Wenigstens der Anschein davon. Als Arthur aufwachte, hatte er nicht viel geschlafen, aber zumindest traumfrei und ruhig. Gleichzeitig war ihm eines klarer denn je: er musste hier weg. Er brauchte Abstand von dem Ort, ihrer Tat, ihrem something - damit dieses nicht überschattet wurde, damit es bestehen blieb. Hier würde sich nichts ändern an der seltsamen Stimmung zwischen ihnen. Diese unerträgliche Distanz würde ihn nur rasend machen, würde ihn dazu bringen, wieder alles in Frage zu stellen. Sein Flug nach LA ging eigentlich erst am nächsten Tag. Er würde die 24h nicht hier verbringen. Er konnte es nicht. Zügig packte er zusammen, dann setzte er sich hin und schrieb mit seiner gedrungenem, kleinen, sehr ebenmäßigen Schrift einen Brief. -,-,-,-,- „Die Umbuchung ist erfolgt. Ihr Flieger geht in drei Stunden.“ Die Dame hinter dem Schalter lächelte ihn zuvorkommend an, Arthur bedankte sich, steckte den falschen Reisepass ins Jackett, nahm den Laptop auf und begab sich auf den Weg zur Sicherheitsschleuse. Es herrschte reges Treiben mittags im Flughafengebäude des Fiumicino/Rom. Erstmal brauchte er Kaffee. Dear Eames, Es war schon der zweite Espresso, als sein Flug aufgerufen wurde und er den Laptop zuklappte. Es war gelogen, als ich sagte, dass du mir nie vertrauen würdest. Ich weiß, dass es anders ist, dass du mich nur beschützen willst. Ich weiß, dass du mir vertraust. Du hast mir dein Leben anvertraut - auf verschiedene Art und Weise. Danke dafür. Manchmal weiß ich nicht, womit ich es verdiene, dass du stets an mir festhältst. Vor dem Gate herrschte nervöses Warten. Noch hatte der CheckIn nicht begonnen. Ich bin nur unschlüssig, was diese Geschichte mit Jobs und Lombardo mit unserem something gemacht hat. Ich dachte in New York, dass ich nach Jobs nie wieder als Pointman für dich arbeiten möchte. Aber im Moment denke ich: Lieber das, als dass du dich gar nicht meldest. Arthur zog an der Zigarette und schloss einen Moment die Augen. Ihn schwindelte, alles drehte sich um ihn, er lehnte sich an die Wand. Der Schlafentzug hatte sich nicht mit den paar Stunden revidieren lassen. Ich hoffe dennoch, dass du irgendwann zu mir kommst, auch wenn ich dir nicht bei deinem Scheiß helfen muss. Ich hoffe, dass du einfach so kommst. Für mich, einfach nur für mich. Die Tür steht dir offen - hast ja ohnehin meinen Schlüssel. Freue mich über Nachricht von dir, wo auch immer du bist. Genieß die Freiheit! Sincerely yours Arthur Arthur las den Brief, den er nicht liegengelassen hatte noch einmal durch, dann warf er ihn in den Müll, ging zur Stewardess und reichte ihr die Boarding Card. Im Flugzeug schrieb er Cobb eine Nachricht, wann er in LA landen wird, bevor er das Handy wieder abschaltete. Eames hatte sich nicht gemeldet. Er blickte aus dem Fenster. Er hatte sich nicht getraut, den Brief liegen zu lassen. Stattdessen hatte er einen Zettel aufs Kissen gelegt. Eames, leider nötigen mich manche Ereignisse im Büro dazu, bereits jetzt abzureisen. Ich wünschte, es wäre anders und wir hätten etwas mehr Zeit gemeinsam. Freue mich über Nachricht von dir! Arthur Der Druck, mit dem er in den Sitz gepresst wurde, als das Flugzeug beschleunigte, ließ ihn zittern. Es fühlte sich alles falsch an. Die beiden Erdplatten, die sie sinnbildlich waren, schienen zwar nicht mehr weiter auseinander zu driften, doch sie bewegten sich auch nur minimal aufeinander zu. Er vermisste ihn bereits jetzt. Aber er hatte keine Ahnung, wie er ihm das hätte sagen können. Die Gedanken, dass Eames ihn jetzt nicht mehr brauchte und er alleine dastand mit dem Chaos in sich, machte ihm Angst. Er steckte die Kopfhörer ein, schaltete die Musik ein und schloss die Augen. Give me a touch 'Cause I've been missing it Dom Es war gerade halb elf und am Flughafen in LA war Stoßzeit. Dom wechselte bereits zum dritten Mal den Platz, wo er Arthur in Empfang nehmen wollte. Der Flug aus Amsterdam hatte Verspätung und so langsam wurden die ganzen Familienangehörigen und Reisegruppenleiter nervös, die sich rund um ihn herum versammelt hatten. Eigentlich hatte er noch Phillipa von der Schule abholen wollen, da diese dabei erwischt worden war, wie sie ihre Federmappe nach ihrer Lehrerin geschmissen hatte. Der Grund dafür war Dom bislang unbekannt, aber er hatte da bereits so eine Ahnung. Die kleine schlug in einem Ausmaß nach seiner verstorbenen Frau, dass es fast gruselig war. Derselbe wissende Blick, derselbe Schalk im Nacken und natürliche derselbe Stolz, der französischen Frauen in die Wiege gelegt wird. Vermutlich war es eine Bagatelle, die Phillipa zu so einer Tat getrieben hatte, aber Dom war sich bereits sicher, dass sie an diesem Abend noch auf der Couch sitzen und das Thema fast wie zwei Erwachsene ausdiskutieren würden. Und die Chancen standen nicht allzu schlecht, dass Phillipa die Diskussion (zumindest partiell) gewann. Irgendein Totschlagargument schüttelte sie doch immer aus ihren kleinen Ärmeln. Auch in diesem Punkt war sie Mal’s Tochter. Nichtsdestotrotz musste die Kleine erst einmal in der Betreuungsgruppe bleiben, bis das Kindermädchen sie gegen 16 Uhr abholen würde. Solange hatte er sich den Tag exklusiv für Arthur freiboxen können, nachdem dieser sich spontan einen Tag früher angekündigt hatte. Als er seinen alten Freund im Gedränge endlich entdeckte, schloss er ihn in die Arme, bevor sie auch nur ein Wort wechselten. Das Gefühl von Arthurs reisetauglicher Businesskleidung unter seinen Fingern bescherte ihm einen Schub nostalgischer Erinnerungen an ihre wilden Jahre im Dream-Sharing-Geschäft. Sie hatten so einigen Halunken die Wurst vom Brot geklaut. Er griff nach Arthurs Koffer und geleitete ihn lächelnd aus der überfüllten Halle. Draußen stiegen sie in das nächstbeste Taxi. Erst als sie beide auf der Rückbank saßen und Dom dem Fahrer eine Anweisung gegeben hatte, sah er Arthur das erste Mal richtig ins Gesicht. Er sah abgekämpft und müde aus, was durchaus am Flug liegen könnte. Er kannte Arthurs Talent die Anstrengung unter einer reglosen Maske zu verbergen, aber Augenringe und die typische, scharfe Linie seiner angespannten Kiefermuskulatur logen nicht. Sie hatten einfach zu oft und zu viel Zeit miteinander verbracht. Dennoch war Dom keiner der Menschen, der unangenehme Dinge allzu offensiv auf den Tisch brachte oder gar jemanden mit irgendetwas bedrängte. Vielleicht einer der Gründe, wieso es zwischen ihnen immer so gut funktioniert hatte; Arthur schwieg und Dom brach kein Schweigen. Stattdessen respektierte er ihn so wie er war, immer und bedingungslos. Und nicht selten hatte sich diese Taktik als die richtige erwiesen, um Arthur am Ende mehr als ein Arbeitskollege zu sein. »Erzähl, wie war Europa? Geschäftlich oder privat?« Arthur Der Aufenthalt in Amsterdam war kurzweilig gewesen. Er hatte die Zeit genutzt, sich über das schwere Erdbeben auf Sizilien und die neuen Aktivitäten des Ätna zu informieren. Die Nachbeben, die er auch in der Nacht noch wahrgenommen hatte, waren ebenfalls nicht zu verachten gewesen. Auch von einer eingestürzten Lagerhalle mit mehreren Toten war die Rede. Je mehr Abstand er von diesem Ort bekam, desto klarer sah er, welch unverschämtes Glück sie gehabt hatten, wie heftig das eigentlich war, was sie da getan hatten, wie erleichtert er war, dass es gut vorbeigegangen ist, wie sehr er sich wünschte, Eames nach Jobs Tod nicht gefragt zu haben, ob alles in Ordnung sei, sondern ihn in den Arm genommen zu haben, um ihm zu sagen, wie froh er war, dass er lebte. Hätte das etwas geändert? Schwer zu sagen. Vielleicht. Er hätte das nie geschafft. Erst jetzt, jetzt langsam begann er sich wieder zu entspannen, langsam aber stetig. Er hätte es nicht geschafft, wenn er dortgeblieben wäre. Als er die warme Umarmung seines besten Freundes spürte, verkrampfte er sich im ersten Moment, wie immer, wenn man ihn umarmte. Dann jedoch entspannte er sich darin, erwiderte sie innig, sog den ihm so bekannten Geruch ein und atmete langsam wieder aus. Es war wie ein Nachhause kommen. Mal und Dom waren für ihn immer mehr ein zu Hause als seine eigene Familie. Sie waren es, die ihn immer wieder aufgefangen hatten, die ihn so annahmen, wie er war, die ihn wahrnahmen und sich sorgten. Das Vertrauen, das er in sie hatte, war unzerstörbar gewesen. Durch Mals Tod war ein Teil seiner Seele mit ihr gestorben. Nichtsdestotrotz hielt er an der Freundschaft an Dom fest, wissend, dass sie ein unschlagbares Team waren, dass er jenem wichtig war, dass sie einander immer unterstützen würden, auch wenn Arthur die Schuld, die Dominick zu bereitwillig auf seine Schultern geladen hatte, auch sah, so hatte er doch stets versucht, ihm Halt zu geben. Wesentlich gelöster als in dem Moment, als er in Rom den Flughafen betreten hatte, verließ er nun in L.A. wieder als Arthur Darling das Gebäude und überließ Dom bereitwillig seinen Koffer. Eine gewohnte Bewegung zu seinem Totem versicherte ihm, dass er in der Realität war. Daneben spürte er das Schlüsselkästchen, das er nicht in seinen Koffer hatte stecken wollen. Er würde diesen Schlüssel nicht freiwillig wieder zurückgeben. Nein, er wollte daran glauben, dass sie ein something hatten, das zwar kompliziert war, aber bestand. Ihm war nur schleierhaft, was das für die Zukunft bedeutete. Er blickte auf, als er Doms musternden Blick sah, versuchte ein Lächeln. Er konnte ihm nicht verheimlichen, dass er müde war, dass er eine anstrengende Zeit hinter sich gebracht hatte. »Erzähl, wie war Europa? Geschäftlich oder privat?« Arthur schluckte, blickte einen Moment auf seine Hände, nach vorne durch die Frontscheibe, auf die Rosenkranzkette des mexikanischen Taxifahrers, die am Rückspiegel hing. Dom kannte die Nachricht, die Eames ihm zugedacht hatte. "Es war beides", erklärte er dann. Er sah vor seinem inneren Auge, wie Lombardo in sich zusammensackte, wie das Chaos ausgebrochen war. "Ich musste einem gemeinsamen Freund helfen, ein paar Dinge gerade zu rücken." Er sah die Halle, die bebend einstürzte, hörte die Schreie derer, die nicht rechtzeitig hinauskommen konnten. "Aber jetzt ist das vorbei. Ging schneller als erwartet." Jobs, der mit einem unglaublichen Hass in den Augen auf Eames hinabgeblickt hatte - der Schuss - das Ende - die Kälte. Arthur lächelte Dom an, blickte ihm nun wieder in die Augen. "Aber das ist nicht wichtig. Wie geht es dir? Du siehst unverschämt gut aus. Wie geht es Phillipa und James? Wie ist das Leben als Vollzeit-Daddy?" Er grinste leicht. Dom Leider machte Arthurs Wortwahl es so offensichtlich über wen sie sprachen, dass Dom schlecht ahnungslos tun konnte. Außerdem spukte noch immer das schlechte Gewissen in ihm, dass er die Nachricht auf ihrem geheimen Board nicht rechtzeitig gesehen und weitergeleitet hatte. Das war wirklich schlecht gewesen. Dom war erleichtert, dass Arthur nicht über Eames reden wollte und stattdessen schnell eine Gegenfrage stellte. Vermutlich würden sie heute ohnehin noch über ihn sprechen… Er lächelte und sah einen Augenblick bescheiden auf seine gefalteten Hände im Schoß. »Oh, ich bin kein Vollzeit-Daddy. Ich arbeite seit ein paar Wochen am Los Angeles Institute of Architecture and Design. Stephen hat mich vermittelt.«, er wirkte nicht gänzlich zufrieden, aber das war bei Dominick ohnehin ein seltener Zustand. »Phillipa und James geht es bestens. Sie entwickeln sich prächtig. Erschreck dich nur nicht, wenn du Phillipa siehst. Sie schlägt sehr nach ihrer Mutter, nicht nur charakterlich.« Sie fuhren ungefähr eine Stunde bis in eine klassische, amerikanische Vorstadt, mit Haus an Haus an Haus gereiht. In der Gegend schien der gehobene Mittelstand zu regieren; die Rasen waren gestutzt und hier und da, schmückten bunte Eier und Osterhasen die Vorgärten. Aber es gab keine Security oder hohe Mauern. So gut schienen die Leute hier dann doch nicht zu verdienen. Dom zahlte, stieg aus und ließ sich Arthurs Koffer von dem Taxifahrer reichen. »Ja, ich weiß, es ist schrecklich hier.«, ließ er halbamüsiert, halb gequält fallen, als er bemerkte, dass Arthur sich umsah. »Aber die Kinder lieben es. Siehst du das Windspiel?« An einem Querbalken der Terrasse hing ein leise bimmelndes Windspiel mit kleinen Kreiseln und fragilen, blauen Schmetterlingen. »Hat James gebastelt. Für „Papa und Mama“.« Drinnen war es so sauber, dass Dom unmöglich allein dafür zuständig sein konnte. Dazu sagte er jedoch nichts. Stattdessen führte er Arthur nach oben ins Gästezimmer. Auf der modernen, grauen Couch lag ein flauschiges, weißes Lammfell und an der Wand gegenüber hing ein Schwarzweißbild von Dom, Mal und Arthur vor rund neun Jahren, wie sie in einer Reihe, Arm in Arm, vor einem riesigen Aquarium standen. Sie waren alle sehr jung und schrecklich gekleidet für heutige Verhältnisse. Die einzige Person, die ein vernünftiges Gesicht machte war Mal, aber es schien ohnehin unmöglich zu sein, ein hässliches Bild von ihr schießen. »Mach es dir hier gemütlich. Du kannst alles benutzen. Ich arbeite hin und wieder hier, aber eher selten.« Auf dem Schreibtisch und den Kommoden standen komplizierte Architekturmodelle aus Holz und Kunststoff, in verschiedenen Maßstäben und mit unterschiedlichem Grad an Details. »Ich denke du hattest einen anstrengenden Flug. Entspann dich erst einmal und dann komm zu mir nach unten, wenn du bereit bist. Es gibt etwas, das ich dir zeigen möchte.« Dann drückte er Arthurs Schulter und sah ihm ehrlich und direkt in die Augen. »Ich bin froh, dass du da bist.«, sagte er ruhig und ging nach unten. Arthur Arthur begriff erst hinterher, dass Dom genau wusste, von wem er sprach. Vermutlich wollte ein Teil von ihm auch mit jemandem darüber reden, auch wenn Dom bei solchen Themen nicht seine erste Wahl war. Aber ging es danach, gab es mittlerweile einfach keine erste Wahl mehr. Sein Unterbewusstsein hatte wohl Eames ins Spiel gebracht. Aber er wusste auch, dass Dom ihn nicht ‚ausquetschen‘ würde. Im Grunde könnte er ihm das alles anvertrauen, aber es war bisher nie Thema zwischen ihnen gewesen. Von daher war er froh, dass die Ablenkung geglückt war und Dom mit den Neuigkeiten zu seinem Job herausrückte. Arthur hob überrascht die Augenbrauen, nickte dann aber mit anerkennenden Mine. „Klingt gut“, sagte er ehrlich. Cobb war ein brillanter Architekt, der an der Uni gewiss viel vermitteln konnte. Sicher, das war nichts, was diesen auf Dauer ausfüllte und glücklich machte, aber zumindest brachte es Geld und Lehre war auch eine Möglichkeit neue Leute kennenzulernen, neue Ideen zu entwickeln. Zudem hatte die Universität weltweit einen guten Ruf. Sie plauderten noch etwas, bis das Taxi schließlich hielt. Nach dem Fisher-Job hatten sie sich nicht mehr gesehen. Auch wenn er die Adresse freilich kannte, so war er noch nie hier gewesen. Sein Blick folgte der Straße hinunter. Die sorgfältig aufgereihten Briefkästen säumten dem Gehweg, der teilweise dunkler war an den Stellen, an denen vor kurzem die Vorgärten bewässert worden waren. Die Bäume auf der Straßenseite grenzten den Gehweg ab. Ein Nachbar schnitt seine Buxbäume, beobachtend, ob einer aus der Reihe tanzte. Als Dom zu ihm blickte, hob er die Hand zum Gruß. Das alles erinnerte ihn so deutlich an seine Jugend, - nur dass seine Siedlung schäbiger gewesen war - so dass er auf Doms Kommentar nur nicken konnte. Ja, für Kinder war das toll hier - solange man Freunde hatte und nicht der Außenseiter war. Bei Phillipa und James hatte er keine Bedenken. Er folgte seinem Deut zu jenem Windspiel, dann sah er Dom musternd an. Er wusste, wie sehr jener gelitten hatte, vermutlich immer noch litt. Er wirkte gefasst, schien mit der Situation im Reinen zu sein. Wie es wohl in ihm aussah? Das Haus war innen akkurat und stilvoll eingerichtet, man spürte das Nachwirken von Mal, vermutlich auch ihre Mutter. Es war gemütlich und Arthur fühlte sich sogleich wohl. Und doch hatte man das Gefühl, als würde etwas fehlen. Wie in einer Sammlung von Obskuritäten, aber eine Lücke ließ den Betrachter wissen, dass ein Sammlerstück fehlte. Ein Teil der Seele dieses Hauses fehlte. Oder kam nur ihm es so vor? Weil er nicht Mals Lachen vernahm, nicht auch von ihr in Empfang genommen worden war? Wortlos folgte er Dom nach oben. Offenbar plante er, dass Arthur länger bleiben würde. (oder musste?) Es war seltsam, das Zimmer zu betreten, obwohl es das nicht sein musste. Er war bereits so oft in Dom und Mals Appartement und auch später in ihrem Haus gewesen. Aber wie schon vorhin unten fühlte es sich komisch an. Arthur hatte eine kurzen Blick streifen lassen, sah Dom nun dankbar lächelnd an und nickte auf seine Worte. Als jener ihn an den Schultern nahm, wurde sein Lächeln sanfter. „Ich freue mich auch, dass ich hier bin“, entgegnete er ehrlich, hielt seinem Freund einen Moment mit der rechten Hand am Oberarm, sanft drückend. „Ich brauch nicht lange.“ Arthur packte seinen Koffer aus, hängte seine Hemden, Anzüge, ein weiteres Sakko auf. Lange hatte er nichts mehr Frisches, er würde sehen müssen, wie lange er bleiben musste und wo die nächste Wäscherei war. Die Waffen, die er zurückgebracht hatte, lagerte er ganz oben im nun leeren Koffer, das Zahlenschloss geschlossen. Niemals durfte die Kinder die Möglichkeit haben, daran zu kommen. Schließlich sah er sich unschlüssig um. Im Grunde sollte er gleich runter gehen. Es war ein verdammt langer Tag für ihn gewesen und er war noch nicht zu Ende. Das Sofa lockte, kurz ausstrecken, die Augen schließen, durchatmen. Doch Arthur ahnte, dass es nur dazu führen würde, dass es ihn drehte, dass Bilder aufgewühlt wurden, Gefühle. Nicht hier. Nicht jetzt. Er sah zu dem Foto, runzelte die Stirn, trat näher. Ein Lächeln legte sich auf seine Züge. Er konnte sich noch gut daran erinnern. Sie waren in Prag gewesen. Es hatte zu viel des guten Bieres gegeben. An diesem Abend hatten sie eine absurde Diskussion über das Leben als Fisch gehabt; Es war eine Zeit, als Dom und Mal sich noch nicht lange kannten. Er hatte Sorge gehabt, dass er das junge Paar störte. Mal hatte ihm nie das Gefühl gegeben, nicht willkommen zu sein. Arthur betrachtete sein eigenes Spiegelbild auf dem Glas des Bildes, das erste Mal bewusst seit dem Massaker. Er sah blass aus, grau, farbloser als ohnehin schon. Damals war er hübscher gewesen, jünger, unbedarfter. Es war die Zeit vor Eames gewesen. Mal hatte ihn auch in ihrer jungen Beziehung nicht entgleiten lassen, ihn nie einfach gehen lassen. Ab dem Moment, in dem sie beschlossen hatte, dass die beide beste Freunde sein mussten, war sie bei ihm gewesen. Er hatte sich anfangs gewehrt, war irritiert gewesen, hatte Angst gehabt, dass sie ihn durchschauen konnte, sein Innerstes sah. Irgendwann hatte er nicht mehr gezaudert, sich der Umarmung ergeben, hatte sich fallen lassen und sie hatte ihn aufgefangen, ihm Halt gegeben. Immer. Mal war für ihn wie eine warme Decke nach einem langen Winterspaziergang gewesen, wie ein Tee, der anfangs zu heiß nur mit Vorsicht behandelt wird, der ihm später wohlig von Innen heraus gewärmt hatte, der ihm davor bewahrt hatte, krank zu werden, zu erfrieren. Sie hatte ihn angesehen und er hörte noch heute ihre schöne Stimme flüstern: You with the sad eyes Don't be discouraged (...) And the darkness inside you Can make you feel so small But I see your true colors Shining through I see your true colors And that's why I love you (...) You call me up Because you know I'll be there Sie hatte ihn verstanden, nahm ihn wie er war, genau wie es seine Schwester getan hatte. Beide waren nun tot. Es schmerzte noch immer, beide Verluste. Für beide Verluste gab auch er sich Schuld. Mit einem traurigen Lächeln strich er über das Bild. Eine schöne Erinnerung. Und jetzt? Wie ein unverbesserlicher Idiot war er nun wieder drauf und dran, jemanden an sich heranzulassen. Mit jemandem, der ihn schon einmal fallen gelassen hat. Allerdings war es doch gänzlich anders. Er war es nicht, der sich auffangen ließ, er fing auch nur bedingt auf. Nur so wenig es Tom überhaupt zuließ. Im Grunde waren die Bedingungen gänzlich andere, unwägbarer, unspezifischer, sexuell und dennoch distanziert in manchen Bereichen. Eigentlich dürfte er es nicht miteinander vergleichen. Und doch... auch Tom hatte ihn aufgefangen, in gewisser Weise... er... Da war auch die selbe immanente Angst, erneut nur Schmerz zu haben. Jobs Hass, seine Panik, dass er es nicht schaffte, die dennoch vollkommen ruhige Hand, die Jobs ohne zu zögern hingerichtet hatte. Wie es Eames jetzt wohl ging? Arthur schaltete sein Handy ein, wartete, keine Nachricht, nicht von Eames. Er würde sich bald bei ihm melden müssen. Je länger er wartete, desto schwieriger würde es sein. Ob er ihm jetzt eine kurze sms schicken sollte? Dass er gut angekommen war? Nein, später war auch noch Zeit... außerdem war er neugierig, was Dom ihm zeigen wollte. Arthur ging die Treppe hinunter, blickte sich im Wohnzimmer um, erblickte ihn auf der Terrasse. „Ich wäre dann soweit“, sprach er ihn an. Dom Das Wetter ließ bereits zu, dass man es sich auf der Terrasse gemütlich machen konnte. Er hatte sich in seinem opulenten Bambuskorbsessel niedergelassen um seinen alltäglichen Nachmittags-Cappuccino zu schlürfen, als Arthur zu ihm stieß. »Dann folge mir.« Er führte Arthur ins Wohnzimmer, dass mit seiner Einrichtung sowohl einen hochmodernen Touch, durch die extraordinäre Technik, als auch stark durch die Vintage-Möblierung dominiert wurde. Dadurch, dass sich scheinbar alle Wege des Hauses in diesem großen, gut durchleuchteten Raum trafen, fühlte es sich wie das Herz des Hauses an, indem die kleine Familie die meiste Zeit zusammen verbrachte. Ein paar Holzspielsachen lagen auf dem Boden. Auch ein Ball und eine wunderschöne Werkbank im Kinderformat. Es war jedoch in einem Rahmen des Ordentlichen, dass man Dom kaum glauben würde, dass er selbst dafür verantwortlich war. Er war nicht unsauber, aber ein mittelschwerer Chaot – er hatte das vor Mal gern mit seinem Genie begründet, was natürlich nie gefruchtet hatte. Er deutete auf einen Platz auf dem Ledersofa. Er selbst machte Arthur auch ein Heißgetränk fertig. Dann ging er zu einem der großen Bücherregale und griff sich die zwei kleine Pakete, die in braunem Packpapier eingehüllt waren und mit einer rauen Schnur verknotet waren. »Alles Gute nachträglich.«, sagte er freudig, als er die Geschenke an Arthur überreichte und setzte sich ihm erwartungsvoll gegenüber in einen Sessel. Das erste Paket, dass Arthur öffnete enthielt ein Buch. Saitos Biografie, mit einem großen, protzigen Selbstportrait vorne drauf, wie er nachdenklich in die Ferne blickte. Dom konnte die Fassade jedoch nicht lange aufrechterhalten. Es war leider zu offensichtlich, dass dieses Geschenk fake war. »Entschuldigung.«, er grinste. »Eigentlich hat Saito es mir geschenkt, aber es ist wirklich furchtbar. Ich bin mehrmals darüber eingeschlafen. Ich hatte gehofft es an dich loszuwerden. Aber wenn du es nicht willst, lass es ruhig hier. Ich habe in der Garage eine Kommode stehen, die ganz schön wackelt, ich denke das Buch hat genau die richtige Höhe, um das Problem zu lösen.« Das nächste Päckchen enthielt dann das eigentliche Geschenk. Eine Krawatte, wofür Dom sich abermals rechtfertigte. Immerhin habe er ja niemandem mehr, der ihm sagte, was er für Arthur besorgen sollte. Neben Mal hatte Eames auch immer ganz gute Ratschläge bezüglich Geschenken gegeben, aber Dom hütete sich noch dessen Namen zu erwähnen. Die Krawatte war schmal, schlicht, dunkelblau. Auf der Rückseite, auch wenn es niemand sah, wenn er sie trug, war eine kleine Schachfigur eingestickt. Remember? You’re awake. Er räusperte sich, um einen etwas ernsteren Ton anzuschlagen. »Da ist noch etwas. Es ist ein Brief, den ich vor einem Monat gefunden habe. Er lag zwischen Mal's Zeichnungen. Ich bin ihre Ordner durchgegangen, als ich den Dachboden aufgeräumt habe. Er ist für dich.« Etwas zögerlich schob er das grobe, gefaltete Papier zu Arthur rüber.Er hatte ihn gelesen. Er wusste nicht was er dazu sagen sollte. Das würde allein sein Point Man zu beurteilen wissen. Arthur Erstaunt hob Arthur die Augenbrauen, als Dom mit den zwei Gegenständen zu ihm trat. Ja, vielleicht hatte er den Wunsch des anderen, dass er so schnell wie möglich kommen möge, insgeheim mit der Hoffnung verbunden, dass Dom wieder zurück ins Dream Sharing Geschäft kehrte. Das wurde ihm in diesem Moment klar. Er blickte seinen Freund einen Moment fragend an, dann stellte er seinen Cappuccino, den ihm Dom gemacht hatte, während er sich auf dem Sofa niedergelassen hatte, auf den Couchtisch ab und ergriff die beiden Päckchen sichtlich überrascht. Mit Geburtstagsgeschenken hatte er jedenfalls nicht gerechnet. „Danke“, sagte er und wog einen Moment ab, was er zuerst öffnen wollte. Er entschied sich für das Buch, das er als solches sogleich an der Form und des Gewichts erkannte. Was jedoch zum Vorschein kam, ließ ihn seine Augenbrauen heben. Eine Biographie von Saito? Er hörte Doms Erklärung und musste lachen. „Nein,…nein!“, wehrte er ab. „Ich lese es und danach darfst du es vermutlich für deine Kommode verwenden.“ Er grinste breit und schüttelte leicht den Kopf. Die Schwere seines Herzens wich. Es war gut, dass er hierhergekommen war. Mit dem zweiten Päckchen machte Dom ihm tatsächlich eine Freude, auch wenn solche Geschenke als unpersönlich und aus der Not heraus geboren galten. Er freute sich ehrlich darüber, weil es eben nicht unpersönlich war. Er blickte auf die Würfel, der ihn auch an Tokyo erinnerte. Er sah Dom an und lächelte. „Ich danke dir…“ Er wollte eigentlich noch mehr sagen, doch der Gesichtsausdruck des Extractors ließ ihn verstummen. Sein Gefühl, dass es sich um etwas Bedeutendes, Ungewöhnliches, Schweres handelte, hatte ihn nicht getrügt. Arthur schluckte, als er das Papier betrachtete. Etwas von Mal? Für ihn? Oder etwas gänzlich anderes? Vielleicht war es in seinem jetzigen Zustand doch nicht gut gewesen, hierher zu kommen. Aber um das zu wissen, musste er erst einmal nachsehen, was Dom ihm da hinübergeschoben hatte. Er streckte sich erneut nach vorne, legte Buch und Krawatte beiseite und nahm das Stück Papier, das er öffnete und begann zu lesen. Mal Arthur hielt einen knittrigen Brief in der Hand, der stark danach aussah, als hätte man ihn einmal zerknüllt und dann lange und intensiv versucht ihn wieder glatt zu streichen. Er schien mit Tinte oder zumindest einem Füller geschrieben worden zu sein und viele der großen Buchstaben enthielten unnötige Schnörkel und Schlenker – wo Mal waltete war immer Kunst. Ein paar dunkelrote Ringe deuteten auf das Abstellen eines Weinglases hin. Dear Arthur, ich bin nicht der Mensch der einen Brief einem persönlichen Gespräch vorzieht, nichtsdestotrotz kann ich so meine Gedanken sortieren. Das ist wichtig. Ich weiß viele Dinge, die ich dir nicht sagen kann. Manche würden dich verletzten, andere würden dein Bild von verschiedenen Menschen zerstören. Und ich will dich beschützen. Du bist mein bester Freund und ich weiß Dinge von dir, die ich mit ins Grab nehmen werde. Du kannst mir vertrauen, das weißt du. Deswegen musst du mir jetzt einfach glauben. Der Fall in Tokio war ein Erfolg, auch wenn etwas schrecklich schiefgelaufen ist. Durch Zufall habe ich darüber etwas erfahren, dass meine Sicht auf eine bestimmte Person gravierend verändert hat. Dieser Mensch von dem ich rede ist nichts als ein elender Lügner. Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird; glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr. Alles was er getan hat, ist sich selbst zu bereichern auf Kosten anderer. Und auf Kosten Unschuldiger. Und zumindest letzteres kann ich ihm nicht verzeihen, wie die Tatsache, dass er jeden von uns angelogen hat. Ich vermute sogar, dass es nicht das erste und nicht das letzte Mal für ihn gewesen sein wird. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du vorsichtig bei ihm sein sollst. Ich weiß, dass er dich will und er hat viele Mittel und Wege sich das zu nehmen, was er begehrt. Ich muss dich nicht daran erinnern, dass Betrügen seine Berufung ist. Auch wenn jeder von uns durch das Dream-Sharing Erfahrung darin gemacht hat Menschen auszunutzen und zu betrügen, spielt Eames dieses Spiel auch mit seinen sogenannten „Freunden“. Ich will nicht klingen, wie deine Mutter und dir eine Rede über Moral und Vertrauen und Freundschaft halten. Dennoch bitte ich dich mir diesen einen Wunsch zu erfüllen. Wenn du möchtest reden wir darüber, was ich herausgefunden habe. Es ist ein wohlbehütetes Geheimnis, aber wenn es bei jemandem an der richtigen Adresse ist, dann bei dir. In Liebe, Mal ~ Arthur Bereits von Außen merkte man, dass Mal gehadert hatte, diesen Brief überhaupt zu schreiben, geschweige denn, ihn ihm auszuhändigen. Ein seltsames Gefühl drückte in seinem Magen, ließ ihn zögern, diesen Brief zu öffnen. Vermutlich - so dachte er später darüber - weil er ahnte, womit dieser Brief zusammenhing - oder eher: mit wem. Die Einleitung bestätigte diesen ersten Eindruck und Mal schrieb hier die Wahrheit. Er wusste, dass sie nicht scheute, Dinge anzusprechen und auch direkt zu werden. Umso schwerer wog die Bedeutung dieses Schriftstücks. Wann diese Worte geschrieben worden waren, machte dann der zweite Absatz klar: im Anschluss an Tokio, als er wütend über Eames‘ Betragen abgereist war, ohne im Team den Auftrag zu beenden. Es fiel Arthur nicht schwer, diese Wut nachzuempfinden, sie war nie verschwunden, war nun weiter nach hinten gerutscht, verdrängt worden. In den letzten Wochen hatte er oft an sie gedacht und ihm war klar, dass er mit Eames darüber noch würde reden müssen. Doch während er weiterlas veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Stirn zog sich zusammen, sein Mund schloss sich, sein Kiefer presste sich knirschend zusammen. ...ein elender Lügner...Thomas Eames... nichts davon ist wahr... sich selbst zu bereichern...jeden von uns angelogen...nicht das letzte Mal...dass er dich will... Mittel und Wege, sich das zu nehmen, was er begehrt... Betrügen seine Berufung... Als er geendet hatte, blickte er nicht auf. Er las den Brief erneut. Etwas hatte Arthur bei den Eingeweiden gepackt und schien nun genüsslich darin herumzuwühlen und sie zu zerquetschen. Seine Gedanken überschlugen sich. Die vergangenen Wochen, ja Monate strichen an ihm vorüber, alles was er mit Eames erlebt hatte. Er hatte stets das Gefühl, ja die Angst gehabt, nur benutzt zu werden. Und nun? Eames hatte ihn bekommen, nicht nur seinen Körper. Er hatte sich auf ihn eingelassen, in dem Gefühl, dass er doch vertrauen konnte. Oder war es nur eine dämliche Hoffnung geboren aus Einsamkeit gewesen? Ob jener nun über ihn und seine Naivität lachte? Ihm wurde schlecht, merkte, dass seine Hand seltsam zitterte, weshalb er sie auf seinem Oberschenkel ablegte. Alles schien mit einem Mal in Frage gestellt. Es kam ihm vor, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Alles, wirklich alles! konnte man so oder so sehen. Er hatte oft gehadert, hatte allem ein Ende setzen wollen. Jedesmal waren es diese Momente gewesen, in denen Eames ihm Dinge gesagt hatte, die ihn umgestimmt hatten. ...Ich bin ein grässlicher Mensch... - als jener ihn im Hotel so Scheiße abserviert hatte und sie am Sofa zueinander gefunden hatten. Dazu diese Geste, was er tun würde, wenn er ihn nicht mehr hätte. ... Gib mir noch eine Chance... - im Flugzeug, nachdem er einfach untergetaucht war - angeblich um ihn zu schützen. ... Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Arthur... Ich hätte dir das nicht antun dürfen. Wirst du mir verzeihen?... - bevor sie sich mach dem Abendessen versöhnt hatten. ... Ich liebe dich. ... - als er wütend war und wirklich am überlegen war, dass er alles beenden sollte. Er hatte sich immer wieder um den Finger wickeln lassen, hatte immer wieder die Hoffnung gehabt, dass sie beide wirklich ein something hatten. Basierte all das auf einer Lüge? Einem Geflecht aus Lügen? War er mal wieder einfach nur benutzt worden, Eames‘ Dreck zu beseitigen? War das alles nur Theater gewesen? Hatte er ihm nur gesagt, was er hören wollte? Hatte er einfach nur ausgenutzt, dass er ihm die Tür nicht rechtzeitig vor der Nase zugeschlagen hatte? War er wirklich so ein unverbesserlicher Idiot? Ein naiver Narr, der sich mit einfachstem Blendwerk hatte einlullen lassen? Der seine Scheiß albernen Gefühle nicht unter Kontrolle hatte? Zudem: War es nicht so gewesen, dass jener auf Abstand zu ihm gegangen war, in dem Moment, in dem der Job erledigt gewesen war, als Eames ihn nicht mehr brauchte? Als er selbst jenen dafür aber umso mehr gebraucht hätte? Doch da war dieses Haus, dieser Schlüssel, dieser Strandkorb... Arthur zwang sich durchzuatmen und blickte nun Dom an. Er musste rational bleiben. Emotional war er dummerweise in letzter Zeit zu oft gewesen. Er räusperte sich, blickte noch einmal auf den Text. „Nun, ich habe Eames nie wirklich verziehen, was er damals abgezogen hat, auch wenn ich bis heute nicht weiß, was genau geschehen ist. Er hatte mich aus dem Traum geschossen. Was danach passiert ist, weiß ich nicht. Wie du weißt, bin ich auf Abstand gegangen.“ Er blickte wieder zu Dom. Auch zu Dom hatte er länger keinen Kontakt gehabt, nur Mal hatte ihn immer wieder angerufen. Damals war er ins Militär gewechselt. Ein grauenhafter Fehler, wie sich später herausstellte. Er schloss kurz die Augen, schob den Gedanken weg. Er passte nicht hierher. Mal hatte ihm den Brief nie gegeben. Warum? Was war dafür der Grund? War etwas geschehen, das sie ihre Meinung hatte ändern lassen? Oder hatte ihr gereicht, dass er Eames ignoriert hatte? „Wie...“, fragte er, „wie hast du Tokio und Eames damals wahrgenommen? Wie hast du die Situation in Erinnerung? Weißt du, was sie meint, wenn sie schreibt: Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. ?“ Dass Eames auf sein eigenes Wohl aus war, wusste jeder. Er machte nichts, ohne einen Nutzen davon zu haben. Und wehe, es wurde unnötig gefährlich: als sie in Fishers erster Traumebene festgestellt hatten, dass dieser eine Armee auf sie losließ, wäre es jenem am liebsten gewesen, sie hätten den Job direkt beendet, dann hätte er vorgeschlagen, die Zeit auszusitzen. Aber wie hatte Dom Tokio empfunden? Was wusste jener über die Hintergründe? Dom Er ließ ihm Zeit. Nahm langsam noch ein paar Schlucke aus seiner Tasse, beobachtete Arthurs Reaktion und schwieg. Er kannte den Inhalt und stand ihm kritisch gegenüber. Allerdings unterschätzte er nicht das Band, das zwischen seiner toten Frau und ihrem besten Freund bestanden hatte. Er wusste, dass Mal viel gesehen und gespürt hatte und mit Sicherheit viel mehr über Eames und Arthur gewusst hatte, als er je herausfinden würde. Mit so einer Frage hatte er bereits gerechnet und er hatte sich seine Antwort wohl weislich überlegt: »Über die Aktion in Tokio weiß ich nur so viel, wie Eames mich wissen lassen wollte.«, erklärte er. Auch ihm war eine Spur von Frust anzusehen, was das Thema betraf. »Das einzige Gespräch, was ich je mit ihm darüber geführt habe, war… kurz. Er sagte, er hätte keine Wahl gehabt, aber ich sollte mir keine Sorgen machen, da der Coup ja geglückt sei.« Ohne, dass er es merkte überkam ihm ein schweres Seufzen, als er darüber nachdachte. »Er sagte, er hätte das richtige getan. Er hätte jemanden beschützt; er hätte nie zugelassen, dass dem Team etwas passiert.« Er faltete die Hände ineinander und sah Arthur ernst an. »Weißt du, ich habe keine Ahnung, was in dem Kopf von Thomas Eames vorgeht. Wir könnten so was wie Freunde sein – Tatsache ist, dass wir in all den Jahren einander immer ausgeholfen haben, wenn Not am Mann war. Ich vertraue ihm, soweit es geht. Aber Mal..«, er zog langsam die Schultern nach oben. Die Stirn war vor Anstrengung verzogen. ».. Du kanntest sie. Wahrscheinlich besser, als ich. Sie hatte einfach eine andere Sicht auf die Dinge. Du weißt, dass die beiden nie warm geworden sind. Vielleicht hat sie einfach dieses ganze blöde Gelaber von ihm zu ernst genommen und hatte Angst dich an ihn zu verlieren? Ich meine…«, er betrachtete den Brief eingängig. »Es muss doch einen Grund gehabt haben, wieso sie ihn nie abgeschickt hat, oder?« Arthur Ja, das sah Eames ähnlich. Er verriet von sich und seinen Dingen nur so viel, wie er bereit war zu sagen. Egal um was es ging. Darin waren sie sich ähnlich, und doch auch völlig verschieden. Arthur redete generell nicht über sich. In der Arbeit jedoch war er offen, sofern es den Job betraf. Gab er doch etwas von sich preis, dann entsprach es der Wahrheit. Eames plauderte viel, doch was er sagte musste nicht zwangsläufig der Wahrheit entsprechen. Fragte man ihn etwas Persönliches, wich er aus, täuschte an und lenkte ab. In der Arbeit verriet er niemals alles, was durch seinen Kopf ging, sondern bestenfalls das, von dem er glaubte, der andere wollte es hören. Und immer die gleiche Leier: er wollte nur jemanden beschützen. Arthur war es leid, das zu hören. Eames‘ Beschützerinstinkt trieb ihn zur Weißglut, denn darin verbarg sich für den Betroffenen Unmündigkeit. In München hatte er ihm genau das gesagt. Wollte er wirklich jemanden beschützen, sollte er vermeiden, jemanden in eine gefährliche Situation zu bringen. Doch sein Lebensstil ermöglichte vermutlich nichts anderes. Gleichzeitig war es total egoistisch, auch wenn es so schien, als sei es das nicht. Es stellte ihn als einzige Möglichkeit dar, der Held, der er nicht war. Dass Dom das auch nicht glücklich machte, merkte er und Arthur nickte nachdenklich. Betrügen...Lügner Die Anschuldigungen wogen schwer und hätte er den Brief damals bekommen, wäre er ohne Umschweife zu Mal gegangen und hätte mehr Informationen verlangt, um sich seine Empfindungen bestätigen zu lassen und Thomas Eames ein für alle mal aus seinem Leben zu tilgen. Damals hätte er das ohne Umschweife als wahr unterschrieben. Und jetzt? Als Dom weitersprach, sah er auf. Er wusste, dass in Doms Augen Eames der beste Forger war. Arthur sah das auch so. Die Verlässlichkeit und die Ehrlichkeit waren nur das, was er oft nicht sah. Die Einstellung, ihm nur so weit zu vertrauen, wie es ging, bewunderte er fast. Er hatte ihm lange gar nicht vertraut. Nun versuchte er es. Einfach war es nicht. Das merkte er in diesem Moment sehr. Als Dom zur Autorin dieser Zweifel kam, hob Arthur etwas erstaunt die Augenbrauen, dann blickte er wieder auf die Zeilen. Ja, sie hatte eine andere Sicht auf die Dinge gehabt. Ihm war es nicht vergönnt, sie in allen Bereichen zu durchschauen. Dass auch sie aber eine ordentliche Portion Beschützerinstinkt gehabt hatte, wusste Arthur auch. „Darüber habe ich auch schon nachgedacht“, murmelte Arthur. Er hatte ihr damals nach der Nacht in jener Billard-Kneipe erzählt, dass Eames und er sich annäherten. Sie hatte ihn und Eames beim Karaoke gesehen und gehört. Sie wusste, dass er überlegte, Eames näher an sich heran zu lassen, trotz ihrer Warnung. Sie hatte ihm zugestanden, dass er mehr lächelte, seitdem Eames und er trainierten. War sie wirklich eifersüchtig gewesen? Hatte sie wirklich geglaubt, dass Eames ihn ihr wegnehmen könnte? Nein, das glaubte er nicht. „Ich denke, dass sie sich entweder damit zufrieden gegeben hat, dass ich Eames ohnehin aus meinem Leben verbannt hatte, oder dass sie neue, andere Informationen bekommen hat.“ Tokio war ein Wendepunkt ihres Teams gewesen. Er hatte mit Dom noch einiges gemacht, mit wechselnden Architekten und seltener mit Mal. Einen Forger hatten sie selten gebraucht. Arthur hatte sein Haus in New York hergerichtet, hatte andere Jobs angenommen, hatte fürs Militär gearbeitet. Dann waren die Kinder gekommen, Dom und Mal zogen sich immer mehr zurück. Arthur hatte versucht, ein adäquates, von seiner Familie mehr akzeptiertes Leben zu leben, bis Dom angerufen hatte, um ihm zu erzählen, was passiert war. Er hatte Mal damals zu sehr aus den Augen verloren, für eine Lebenslüge. Im Nachhinein betrachtet, war das ein riesiger Fehler gewesen, vielleicht der größte seines Lebens. Größer als der, sich doch auf Eames eingelassen zu haben? Das würde sich noch herausstellen. „Ich habe Eames beim Fisher-Fall unterschiedlich wahrgenommen. Teilweise als strukturierter und zielstrebiger als sonst, im Traum zunächst zurückhaltend, dann einsatzwillig. Aber er war brillant was das Täuschen betraf, er hat uns letztlich das Quäntchen geliefert, was zum Erfolg geführt hat. Ich gebe dir also recht, wenn du sagst, dass man sich bis zu einem bestimmten Grad auf ihn verlassen kann.“ Und darüber hinaus? Kann man ihm auch trauen, wenn man ihm sein Herz anvertraute? Arthur wusste es nicht. Er wusste gerade gar nichts mehr. „Ich muss darüber schlafen“, stellte er in den Raum, wobei ihm aufging, dass er ja letztlich zu gar keiner Aussage verpflichtet war. Es war eine weitergereichte Warnung. Sie würde ihn dazu bringen, mehr zu hinterfragen. Und zu diesem mehr gehörte auch das something, das sie vermeintlich hatten. Eames war jemand, dem er vertraute wie kaum einem anderen. Und dem er gleichzeitig misstraute wie kaum einem anderen. Hinter seinen Augen tobte Müdigkeit, er spürte wie sie jeden Winkel einzunehmen drohte. Dringend musste er mal wieder durchschlafen, allein, er wusste, dass es ihm nicht so bald gelingen würde. Er sah zu Dom. „Danke, dass du mir den Brief gegeben hast.“ Er hielt ihn nach wie vor in der Hand, würde ihn verwahren und irgendwann zur Sprache bringen. Rational betrachtet konnte nur einer all die Fragen beantworten, die sich ihm jetzt stellten: Eames selbst - falls er ihn jemals dazu bekam. Danach würde sich zeigen, was die Zukunft brachte. Wenn sich herausstellte, dass er nur des Aufräumens wegen nach Italien hatte mitkommen müssen, würde er ohnehin kein Wort mehr mit Eames wechseln. Dann erübrigte sich auch der Brief. Dom Langsam nickend betrachtete Dom das Gesicht seines alten Freundes. Er hätte diesen Brief nie überreicht, wenn er ihn nicht als bedeutungsvoll empfinden würde. Es lag nun an Arthur zu entscheiden, wie wichtig er war. Tote werden häufig idealisiert, dachte er. Er hatte genug Beerdigungen besucht, um all die Lügen zu kennen: „Er war ein liebender Vater“, „Sie war eine sanfte Seele“, „Er hätte nie einer Fliege was zuleide getan“, und das ganze bestandslose Geschwätz. Auch Mal war nicht unfehlbar gewesen, auch wenn er das manchmal gern glaubte. Wenn sie einmal wütend auf jemanden war, konnten ihre Emotionen bis hin zu kaltem, aller Logik widersprechendem Hass schwenken. Und man konnte über jemanden, der nicht anwesend war so viel urteilen wie man wollte; zu was für einem Schluss konnten sie schon kommen, wenn sich Eames nicht einmal verteidigen konnte? »Du wirst wissen, was das Richtige ist. Ich wünschte nur, ich hätte mehr Informationen für dich.« Ein wenig packte ihn das schlechte Gewissen, dass er ihm überhaupt den Brief gezeigt hatte. Andererseits hatte diese Botschaft aus dem Jenseits etwas derart Greifendes… er hätte sich womöglich noch schuldiger gefühlt, wenn er es für sich behalten hätte. »Wie dem auch sei. Mach es dir ruhig gemütlich und bleib so lange du willst. Ich werde gleich James und Phillipa abholen. Ich glaube du würdest Pizza gerade auch mehr begrüßen, als zu warten, bis ich irgendetwas in der Küche zustande kriege, oder?«, fragte er, schon wieder halb lächelnd. Irgendwie war er müde, aber nicht körperlich. Er spürte, dass Arthur etwas belastete, bei dem er ihm nicht helfen konnte. Oder eher: etwas, bei dem Arthur nicht zuließ sich helfen zulassen. Er stand auf und räumte die Tassen ab. Dabei hielt er in der Bewegung noch einmal inne. Auch wenn er Arthur nicht direkt ansah, war seine Stimme ehrlich und bestimmt, wenn auch leiser: »Du weißt hoffentlich, dass du nicht alles allein durchstehen musst.« Es war wie ein Versprechen, dass er nie formuliert hatte. Arthur und er kannten sich lange. So lange, wie er Mal gekannt hatte und darüber hinaus. Nach diesem Verlust hatte er ab und zu vergessen, dass nicht nur er seine Frau, sondern Arthur auch seine beste Freundin verloren hatte. Er hatte da noch eine Art Rechnung zu begleichen, fand er. Arthur „Pizza klingt sehr gut!“, bestätigte er mit einem Schmunzeln um die Lippen. Gleichzeitig fiel ihm auf, dass er nun ja doch ein paar Tage in Italien gewesen war und nicht ein einziges Mal Pizza gegessen hatte. Vielleicht hätte er doch einen Tag noch dranhängen sollen, ein wenig entspannen, die Sonne Italiens genießen, ohne seine Gedanken bei einem Job zu haben. Eames bei sich zu haben, ohne dass zwischen ihnen eine Aufgabe stand, ein Job, eine Katastrophe. Vielleicht wüsste er dann jetzt besser, was er über den Brief denken sollte. Vielleicht wüsste er dann mit Bestimmtheit zu sagen, ob Eames ihn nur benutzte und ihm etwas vorspielte, oder ob er ihm wirklich vertrauen konnte, ihm und ihrem something. »Du weißt hoffentlich, dass du nicht alles allein durchstehen musst.« Arthur blickte überrascht ob der Worte auf. Er spürte, wie sein Herz einen Moment schneller schlug. War es so offensichtlich, dass es ihm nur bedingt gut ging? Dom und er waren gute Freunde, aber alles, was persönlicher wurde, hatte er immer mit Mal besprochen. Selbst sie hatte er, was seine Gefühle für Eames betraf, nur bedingt in sein Herz schauen lassen. Zum einen vermutlich, weil sie es ohnehin wusste, zum anderen, weil er wusste, wie sie zu dem Forger stand. Auch der Brief zeugte davon, dass ihr Unmut über jenen oft einen anderen Blick nicht zugelassen hat. Arthur nickte. „Ich weiß“, sagte er gedämpft. ‘Lass uns heute Abend noch einmal reden…‘, fügte er in Gedanken hinzu. Vielleicht sollte er sich Dom wirklich ein wenig öffnen. Vielleicht würde er dann klarer sehen. Arthur war zur Seite gerutscht, lag nun auf dem Sofa und starrte die Decke an. Es war absolut still im Haus, draußen spielten irgendwo Kinder, ein Hund bellte, das monotone Klacken und Rauschen eines Rasensprengers war zu vernehmen, ein leichter Luftzug strich über seine Haut. Vermutlich war die Terrassentür noch offen. Arthur hatte den Brief noch einmal gelesen, nachdem Dom gegangen war, um die Kinder zu holen. Er hatte sein iPhone in der Hand, haderte mit sich, ob er nicht denjenigen anrufen sollte, über den dieser Brief ging. Einfach, um zu wissen, wie es ihm ging. Schließlich war jener angeschossen worden. Eine weitere Narbe auf dem Körper, der einiges erlebt hatte, der mehr Geschichten zu erzählen hatte, als Arthur vermutlich jemals erfahren würde. Arthur atmete tief durch. Im Flugzeug hatte er viel darüber nachgedacht, dass er Eames vertrauen wollte, dass er darauf vertrauen wollte, dass dieser Schlüssel wirklich etwas bedeutete. Jetzt fragte er sich, ob das überhaupt wirklich der Schlüssel zu seiner Wohnung in Mombasa war. Von allen Menschen auf dieser gottlosen Scheißwelt bist du der einzige, der mich wirklich interessiert. Das muss ausreichen. Alles andere ist doch egal, oder? Reichte das? Die Saat des Misstrauens war wieder gepflanzt. Er strich sich mit den Händen über das Gesicht, versuchte die sich immer mehr einschleichende Müdigkeit wegzustreichen. Er stand auf, ging in die Küche und bediente sich an der Kaffeemaschine, machte sich einen Espresso. Es war seine zweite Tasse Espresso, die er trank, als er die Kinderstimmen sich dem Haus nähern hörte. Wenn Arthur den gestrigen Tag mitzählte, dann hatte er in den vergangenen 36Stunden neun Tassen davon getrunken. Jeweils mit zwei Löffeln Zucker. Das ergab zusammengenommen eine Vollkatastrophe für seine Gesundheit. Wenn er zurück in New York war, würde es leichter werden, wieder in die Spur zu kommen. Jetzt jedenfalls drehte er sich um und fing gerade noch rechtzeitig Phillipa auf, die mit einem freudigen „Arthur!“ auf ihn zugesprungen kam und ihn innig umarmte. Arthur sank in die Knie und hielt sie, die ihrer Mutter wirklich erschreckend ähnlich war, nicht nur äußerlich. Sie plapperte sogleich los und Arthur hatte schier Schwierigkeiten ihr zu folgen, während James ans Sofa gelehnt mit sich haderte, wie er mit ihm umzugehen hatte. Arthur lächelte ihm zu, ließ ihm die Zeit und schließlich stand der junge Mann, der seinem Vater ähnlich sah, neben ihm und plapperte im selben Tempo auf ihn ein. Sie ließen sich die Pizza schmecken. Arthurs Appetit war zurückgekehrt und er ließ es sich schmecken. Schließlich wurde Arthur durch eine Unzahl von Spielen geführt und wurde dazu verdammt, ihnen vorzulesen, als es Zeit war, ins Bett zu gehen. James schlief schon während der ersten Seiten ein. „Papa ist sauer auf mich, weil ich das blöde Federmäppchen geworfen habe“, sagte Phillipa unvermittelt und Arthur sah sie fragend an. „Mrs Collister hat mich aber so geärgert. Sie hat überhaupt nicht begriffen, dass ich…“ Aus dem Mädchen sprudelte es heraus und sie erklärte, dass ihre Aufgabe gewesen war, den Text eines Liedes als Bild wiederzugeben. „Mary had a little lamb“ – Arthur erinnerte sich dunkel an die Melodie, während Phillipa ihm erklärte, dass sie das Lamm und Mary von oben gemalt habe, aus der Perspektive der Lehrerin. Arthur lächelte, während Phillipa sich darüber echauffierte, was für eine Kunstbanausin ihre Klassenlehrerin sei. Ja, Mal und auch ihre Tochter betrachteten die Welt oft aus einer anderen, unerwarteten Perspektive. Ob es immer die beste Perspektive war, sei einmal dahingestellt. Aber auch das galt es zu beachten, wenn er sich entschied, wieviel Gewicht er diesem Brief geben wollte. „Schlaf gut“, sagte er leise und küsste Phillipa auf die Stirn, bevor er sich aus dem Zimmer schlich. Dom war bereits auf der Terrasse und hatte eine Flasche Rotwein geöffnet. Dankbar nahm Arthur ein Glas entgegen und setzte sich zu ihm auf die Terrasse. Er trank einen Schluck, atmete tief durch und spürte, dass er zwar noch immer müde, aber wesentlich entspannter war. Das Schweigen zwischen ihnen war nicht unangenehm, eher ein gemeinsames Ausschnaufen von einem langen Tag. Vermutlich war Arthurs deutlich länger gewesen, doch im Moment spürte er davon wenig. „Eames kam vor etwa drei Monaten zu mir nach NewYork“, fing er schließlich an. „Er brauchte Hilfe bei einer Extraktion, bei der es um viel Geld ging. Geld, das er brauchte, um sich ein paar Typen vom Hals zu schaffen. Du weißt ja, wie das so bei ihm ist.“ Arthur lächelte matt und blickte in das schöne dunkel Rot hinein, das er in seinem Glas leicht im Kreis herumschwenkte. „Er hat viel dafür getan, mein Vertrauen zurückzugewinnen. Zeitweilig dachte ich sogar, dass ich Tokio vielleicht einfach vergessen könnte. Ich dachte, wir würden uns wieder annähern und könnten wieder so miteinander umgehen, wie vor Tokio. Ich fürchte aber, dass das nur möglich ist, wenn Tokio noch einmal auf den Tisch kommt. Ich fürchte, dass ich sonst nie das Gefühl loswerde, dass er das alles nur tut, um mich bei Laune zu halten. Gleichzeitig habe ich Angst, dass es aber auch alles zerstören könnte.“ Er atmete tief ein. „Ich habe lange gedacht, dass ein Leben ohne Thomas Eames ein besseres ist. Ich habe es versucht. So ganz ist es mir nie geglückt.“ Er warf Dom einen unsicheren Blick zu, mit einem noch unsichereren Lächeln. Dann trank er einen Schluck Wein. Sein Handy vibrierte und er zog es heraus. Ariadne schrieb ihm. Er steckte das Handy wieder weg, zusammen mit dem Gefühl von Enttäuschung, dass sich Eames noch immer nicht gemeldet hatte. Dom Es war einer der Abende, den Dom müde aber glücklich abschloss. Mal war vielleicht nicht mehr da, aber ein Teil von ihr lebte in Phillipa und James weiter. Etwas woran er sich festhalten konnte und das ihm die Kraft gab weiterzumachen. Und dann war da Arthur. Auch ein Überbleibsel dieser Frau, auch wenn es sich mittlerweile zum Glück nicht mehr nur danach anfühlte. Dom wartete friedlich schweigend, bis Arthur begann zu erzählen. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, dass das Thema doch noch auf den Tisch kam. Aber nun da es da war, konnten er wohl auch nicht mehr schweigen. Irgendwo tief in seinem Innern wusste er, dass diese ganze Sache mehr war, als nur ein freundschaftliches Ding. Aber deutlich zur Sprache bringen, wollte Dom es dann doch nicht. Vielleicht war es ihm ein Stück weit unangenehm oder vielleicht dachte er, dass es Arthur unangenehm sein würde… »Tokio war ein totaler Reinfall. Da gebe ich dir Recht.« Eames konnte man einfach nicht mehr und nicht weniger zutrauen, als das. Leider kann man Menschen nicht verändern, sondern nur sich selbst. Er seufzte und nahm einen Schluck aus seinem großen, bauchigen Glas. Er haderte etwas mit sich, dann sprach er endlich drauf los: »Seid Mal tot ist, sehe ich viele Dinge aus einer anderen Perspektive. Ich spüre, wie vergänglich alles ist und wie wertvoll die wenigen Momente sind, in denen es uns wirklich gut geht. Schau dir die Kinder an... sie werden so schnell groß. Wie im Zeitraffer.« Ihm viel es merklich schwer frei zu reden, aber er musste zumindest das loswerden, was wichtig war. Für Arthur und auch für sich selbst. »Ich weiß nicht, was Eames will, aber du solltest tun was dich glücklich macht. Versuch nichts bereuen zu müssen. Nimm das Gute und das Schlechte, denn irgendwann wird alles vorbei sein. Und dann wirst du womöglich jedem Streit hinterher weinen. Oder dir wünschen, dass er dich noch einmal mit einem Auftrag nervt, oder sich in der Hotel Lounge benimmt, wie eine offene Hose.« Er sah zu Arthur rüber, aber irgendwie auch nichts. Irgendwie sah er auch ins Dunkel hinter ihm, als stünde da noch jemand, dessen Anwesenheit er sich herbeisehnte. Dann lächelte er und füllte Arthurs Glas einmal richtig auf. »Tut mir leid. Mal wäre sicher etwas Besseres eingefallen. Aber ich habe gute Rotwein, der hilft auch.« Arthur Was ihn glücklich macht. Arthur grinste aufgrund der Ausführungen zu Eames. Bilder vom Inder, von diversen Bars blitzten auf. Was ihn glücklich machte. Was machte ihn glücklich? Hm. Er wusste darauf im ersten Moment keine Antwort. Gab es Glück für ihn überhaupt? Er hatte nie das Gefühl, dazu überhaupt berechtigt zu sein. Wann war er zuletzt glücklich? Er dachte an diesen Moment bei Neapel, als sie vom Strandkorb über das Meer im Bett gelandet waren. Da war ihm bewusst, dass er glücklich gewesen ist. Es war ein Ort und eine Situation jenseits von dem gewesen, was ihrer beider Leben eigentlich ausmachte, ihr persönliches Eames-Haus, jenseits der Realität. Gab es dieses Glück auch in der Realität? Schwer vorstellbar irgendwie. Dafür müsste er sich Zeit nehmen, dafür müsste Eames ihn auch jenseits von Jobs haben wollen. Was machte ihn glücklich? Wann hatte ihn vor Neapel etwas glücklich gemacht? Er konnte leichter sagen, was ihn nicht glücklich machte. Er sah zu, wie Dom sein Weinglas füllte. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Das ist schon in Ordnung so“, sagte er und grinste leicht. Mal ist ohnehin hier, dachte er und nahm sich vor, morgen ihr Grab zu besuchen, bevor er zurück nach New York flog. “Ich vermisse die Zeit vor Tokio“, sagte er unvermittelt und bereute es sogleich. Dom vermisste Mal sicher auch ohne dass er Holzklotz ihn ständig daran erinnerte. „Unsere gemeinsame Zeit natürlich, aber auch wie wir gearbeitet haben“, fügte er an und trank einen tiefen Schluck. Ja, diese Arbeit damals hatte ihn auch glücklich gemacht. Erst danach hatte die große schwarze Leere von ihm Besitz ergriffen und lächelte ihn seitdem gelegentlich milde und mitleidig an. Mal Ohne dafür auch nur einen Grund zu nennen, war Dom am nächsten Tag zuhause geblieben, als Arthur losgefahren war, um Mals Grab zu besuchen. Er wünschte seinem Freund alles Gute, da er auch nicht genau wusste, ob sie sich noch sehen würde und begleitete ihn bis zum Taxi. Es war eine friedliche Stille zwischen ihnen, in der beide wenig aber genug sagten. Genau wie am Abend zuvor. Dom wusste, dass er Arthur keine Lösung für sein Problem geliefert hatte, aber das war auch nie der Anspruch gewesen. Wichtig war, dass sie beide noch da waren. Auch, dass Mal noch da war, auf die eine oder andere Art und Weise. Und dass Eames nicht da war. Gewiss war Dom nämlich nur eins: im persönlichen Umgang mit Eames war es manchmal schwer das Gute gegen das Schlechte aufzuwiegen. Der Tag war klar und schön und die Blumen und Gewächse auf dem Waldfriedhof lächelte Arthur entgegen, als er den flachen Hügel bis zu Mals Baum bestieg. Mal hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Augen geschlossen, während sie neben Arthur herlief. Sie schien die ersten Sonnenstrahlen des Jahres auf ihrer Haut zu genießen. Ihr Haar glänzte wie frisch gepellte Kastanien. »Du solltest nicht immer so tun, als verdienst du dein Glück nicht.« Dieses Gespräch hatten sie vor vielen Jahren im botanischen Garten der Universität geführt, an der sie sich kennengelernt hatten. Ihre Augen öffneten sich langsam, aber nur bis zu einem friedlich-müdem Ausdruck. Eine Kommilitonin hatte Arthur Avancen gemacht und Mal hatte ein paar erfolglose Versuche unternommen, um die beiden irgendwie einander näher zu bringen, auch wenn sie sich bis dato noch nicht allzu gut kannten. Es war der Tag nachdem Mal sich zum ersten mal bei Arthur eingenistet hatte und Abends nach dem Lernen und der ersten Flasche Billigwein einfach nicht mehr nachhause gegangen war. Sie trug noch immer die eingerissene Kordhose und das knittrige, viel zu große, weiße Shirt, dass fast ihre ganze linke Schulter entblößte, aber keinen Träger, der auf einen BH hingedeutet hätte. Die selben Klamotten in denen sie neben Arthur auf der Couch eingeschlafen war. »Dir könnte die Welt gehören, Arthur. Also nimm sie dir.« Sie gähnte und viel ab und zu etwas zurück, machte sich aber keine Mühe Arthurs Tempo zu halten, sondern nahm mit gelassener Selbstverständlichkeit hin, dass ihr Freund auf sie wartete. »Ich hab versucht zu helfen, aber meine Zauberformeln reichen nicht aus. Du bist zu.. verkapselt!« Dabei legte sie eine Hand an seinen Hinterkopf. »Lass doch mal jemanden da reingucken. Außer mich, meine ich.« Arthur Arthur schnaubte. Nicht schon wieder eine von Mals Moralpredigten. Nun, es war weniger die Moral, als sein Leben, das sie mit Randbemerkungen versah, und es war schwer für ihn, ihr dafür Gehör zu schenken. Da war immer dieser innere Kritiker, der bereitwillig ihre Ratschläge mit Zynismus versah, dieses schreckliche Über-Ich (zumindest sagte ihm das Mal), das ihn immer sich selbst in Frage stellen ließ. Und auch jetzt fiel ihm nichts anderes ein, als sie für naiv und einfältig zu halten, wenn sie ihm offenbarte, die Welt könne ihm gehören. Er steckte seine Hände tief in die Hosentaschen und zog die Schultern hoch, als könnten so ihre Worte von ihm abperlen. Er sollte es besser wissen. Mal brannte sich in ihn, durchdrang mühelos seine Eisschicht, seinen Panzer, den er über so viele Jahre dachte, stabil gebaut zu haben, um all den Schrecken, den ihm sein Leben brachte, nicht mehr an sich heran zu lassen. Manchmal war er fast sauer auf sie, wenn sie immer wieder dahineinstieß, wo es ihm wehtat. Es war anstrengend. Doch die Umarmung, die er dafür empfing und die Wärme ließen diesen Groll so mühelos verschwinden, wie es kein anderer Mensch bei ihm schaffte. Mal war zurückgefallen und Arthur atmete tief durch. Er dachte an Kimberly, die Studentin, die ihn mit ihren viel zu langen Wimpern, als dass sie echt sein konnten, anblinzelte, als würde es magisch auf ihn wirken. Sie redete einfach zu viel, ständig, ununterbrochen und… es kam nur Dampf dabei heraus. Die Hand an seinem Hinterkopf holte ihn aus den Gedanken. Er duckte sich drunter weg, strich sich seine Haare wieder glatt. „Da gibt es nicht viel zu sehen“, knurrte er. Doch ein leichtes Grinsen konnte er nicht verhindern. „Sie ist mir einfach viel zu anstrengend“, verteidigte er sich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie überhaupt ehrliches Interesse daran hat, hier hineinschauen zu wollen.“ Er deutete auf seinen Kopf und sah Mal an, die stehen geblieben war, um einen Moment einfach diesen Ort zu genießen. Sie würden zu spät in die Vorlesung kommen. Da war er sich sicher. Doch wenn Mal den Raum betrat, schienen die Dozenten keinen bösen Blick werfen zu können, geschwiege denn eine Ermahnung auszusprechen. Allein ihn wurmte es, da er sich die ersten Inhalte mühsam aus den stümperhaften Aufzeichnungen der anderen zusammenreimen musste. „Ich weiß nicht, ob sie mich glücklicher machen könnte.“ Er zog entschuldigend die Schultern hoch. Mal Sie sah freundlich amüsiert dabei zu, wie Arthur sich das Haar wieder zurecht strich. »Du gibst ihr keine Chance, das ist doch das Problem.«, erwiderte sie ohne Vorwurf. Es war ja auch nur eine Tatsache. Sie wurde noch etwas langsamer, als sie sich eine Zigarette aus ihrem Jutebeutel angelte und diese anzündete. Verbot hin oder her. »Glaub mir, sie ist ein liebevolles Mädchen. Und schlau.« Immer wieder stellte sie heiter fest, dass sie wahrscheinlich die erste und einzige Person war, die mit Arthur über Liebesangelegenheiten sprach. Sonst ließ sich einfach jeder von seiner stock-steifen Art und dem Eispanzer abschrecken. Er hatte wirklich gute Abwehrmechanismen, das hatte sie in der ersten Sekunde ihrer Bekanntschaft völlig neidlos festgestellt. Aber sie hatte so ihre Methoden – Gedankenlesen zum Beispiel. Ein immenser Vorteil für sie beide. »Sie macht dich glücklich, wenn du sie lässt… zur Not nur für eine Nacht, aber was soll‘s!«, sie kicherte und legte ihm einen Arm um die Hüften, um ihm sanft in die Seite zu kneifen. Körperkontakt war für sie etwas Essentielles und völlig Natürliches. »Ansonsten musst du doch einmal von der anderen Uferseite naschen. Vielleicht hilft dir das. Wie sollst du sonst die Uni überstehen? Ab und zu muss jeder mal loslassen.« Arthur War das so? Gab er ihr keine Chance? Leider kam ihm die Antwort sehr deutlich: Ja, das war so. Sie hatte nichts, was ihn ansprach, um ehrliches Interesse an ihr zu haben. Arthur streckte sich. Die Nacht steckte ihm in den Gliedern. Er hatte sich nicht getraut, sich zu bewegen, um Mal nicht aufzuwecken. So hatte er neben ihr halb sitzend, halb liegend geschlafen. Arthur hob die Augenbraue, als er die Zigarette sah. Er hatte gerade selbst Lust darauf, sich eine Zigarette anzuzünden. Allerdings hielt er sich bereitwillig an Regeln. Ja, Kim war auch schlau. (Noch wusste er nicht, dass sie einmal in einer der zehn besten Architekturbüros New Yorks arbeiten würde.) Dennoch fehlte etwas. Der erste Moment war entscheidend. War er ein Romantiker?! Oh man! Außerdem schien sie keine Herausforderung zu sein, sie war so furchtbar durschaubar und… so leicht zu beeinflussen. Außerdem waren ihre Anspielungen platt. Nein, er ließ ihr wirklich keine Chance. Etwas erstaunt blickte er zur Seite, als er ihren Kommentar hinsichtlich des „glücklich Machens“ hörte. Schlug sie ihm gerade wirklich vor, eine Frau, die offenbar ernsthaftes Interesse an ihm hatte, für eine Nacht zu benutzen? Sollte ihn das wirklich glücklich machen, bedeutungsloser, berechnender Sex? Mal nahm sich auch, was sie wollte. Sie war wählerisch und strotzte vor Selbstbewusstsein, was das betraf. Lag ihm wirklich die Welt zu Füßen? Konnte er das genauso? Sich nehmen, was man begehrte ohne Verbindlichkeiten? So ganz könnte er es sicher nicht. Aber ein wenig mehr vielleicht schon. Sein Erstaunen und seine Gedanken, die dem Vorschlag folgten, sorgten dafür, dass er ihre „Attacke“ auf seine gerade Haltung zu spät bemerkte und in der Hüfte einknickte, als sie ihn in die Seite kniff. Grrrr! Doch er musste lachen, ein befreiendes Lachen, das ihn ein wenig mehr Leichtigkeit spüren ließ – bis zum folgenden Kommentar. Sein Blick wurde ungläubig und seine Maske der Unnahbarkeit brach für den Moment in sich zusammen - sofern er diese bei Mal aufrecht halten konnte. Von der anderen Uferseite – er schluckte. „Ich denke… ich meine…“ Seine Stirn zog sich zusammen. „Ich glaube nicht, dass ich…“ Er brach ab, schwieg, blickte sie einfach nur an, etwas trotzig, etwas abwehrend. Ihm lag ein „Wie kommst du darauf?“ oder eher ein „Woher weißt du das?“ auf den Lippen, doch er brachte es nicht heraus. Schließlich wandte er den Blick ab und sah den Weg entlang. War ja nicht so, dass er nie Sex hatte. Frauen waren nur so schrecklich anstrengend und wollten ständig eine Vergewisserung, dass man an sie dachte. „Vielleicht sollte ich mich doch von Kim für eine Nacht glücklich machen lassen. Etwas loslassen täte mir vielleicht doch ganz gut und würde mir weitere Kommentare ersparen.“ Im Grunde sollte er sich wirklich einmal wieder Sex gönnen. Seine letzte Freundin war schon länger her. Mal wusste das offenbar mal wieder bevor es ihm klar war. Er wusste ja, dass sie ihn las wie ein offenes Buch. Dennoch gruselte ihn etwas, dass sie offenbar sogar bemerkte, dass er dem Doktorand im Tutorium zum Grundkurs „Statik und Baukonstruktion“ auf den Arsch blickte. Er senkte den Kopf. Würde ihn das glücklich machen? Genauso wenig vermutlich wie Kimberly zu daten, um sie flach zu legen. Wobei? Es wäre halt nur kurzzeitiges Glück. War er jemand, der Momente des Glücks sammelte? Ihm stellte sich eher die Frage: Was würde ihn dauerhaft, langfristiger glücklich machen? Arthur seufzte und biss sich auf die Unterlippe, bevor er ein „Wir müssen in die Vorlesung.“ grummelte. Mal Das nervöse, peinlich berührte Gestammel nahm sie kommentarlos hin. Sie lächelte etwas, aber darin lag nichts Schmähendes. Nur Wärme und ein kleiner Schalk, der leise flüsterte „natürlich wusste ich es“. Seine Überlegungen bezüglich Kimberly nickte sie geduldig ab und hakte sich dann bei Arthur ein. „Wir müssen in die Vorlesung.“ »Naturellement!«, trällerte sie und warf ihre halbaufgerauchte Zigarette achtlos auf den Gehweg. Tatsächlich legte sie Arthur zu Liebe sogar ein wenig an Tempo zu. Sie wusste ja, dass es ihn wahnsinnig machte, wenn sie auch nur eine Minute zu spät kamen. Im Gegensatz dazu liebte sie es. Ein wenig provozieren, aber nicht zu unangenehm dabei werden; sie tänzelte häufig auf diesem schmalen Grad. Außerdem liebte sie stets das Gefühl alle Zeit der Welt zu haben. Little did she know. »Ich fände es gut, wenn du dich mal entspannen würdest.«, griff sie das Thema noch einmal auf, kurz bevor sie das pompöse Gebäude betraten, in dem es merkwürdig ruhig geworden war. »Sei einfach ehrlich zu Kimberly und vor allem zu dir selbst, dann kann dir nichts passieren.« Dann ließ sie ihn los und verschwand. Das Grab war eingebettet in einen Kranz aus wilden Frühblühern. Die wunderschöne, erhabene, aber dezente Steinplatte war gepflegt und gut sichtbar. Genau so wie sie es gewollt hatte. „Hier liegt Mallorie Cobb Die Welt hat ihre schönste Farbe verloren“   Arthur Es war das erste Mal seit der Beerdigung, dass er das Grab von Mal besuchte. Bald würde ein Jahr vergangen sein. Er hatte sich neben ihren Grabstein gesetzt, die Atmosphäre des Ortes auf sich wirken lassen. Es war erstaunlich, wie sehr er sie bei sich spürte, wie tief er in ihren Arm genommen wurde. Er hätte nicht gedacht, dass er weinen würde. Mehr hatte er damit gerechnet, berührt zu sein oder einen tiefen inneren Frieden zu verspüren. Seine Tränen hatten ihn überrascht, ihn überwältigt. Aber er schämte sich ihrer nicht. Es waren stumme Tränen, die er das letzte Mal nicht fähig gewesen war, zu weinen. Es war einfach alles ein wenig viel gewesen in den letzten Tagen, in den letzten Wochen. Eames war auf eine Art in sein Leben getreten, wie er es lange nicht mehr für möglich gehalten hatte. Er hatte sich überwunden, ihm wieder Raum zu lassen, was dazu geführt hat, dass all seine vergangengeglaubte Sehnsucht durchgebrochen war. Er hatte ihn in sich aufgenommen und war bereit, ihm zu vertrauen, obwohl die Vergangenheit noch immer ihre Schatten warf. Er wollte ihm vertrauen, war für ihn zum Mörder geworden. Es hatte ein Brief von Mal gereicht, das alles wieder in Frage zu stellen. ‚Du solltest tun, was dich glücklich macht.‘ ‚Du solltest nicht immer so tun, als verdienst du dein Glück nicht.‘ Was machte ihn glücklich? Bei der Erinnerung an damals, an ihr Gespräch im botanischen Garten, war Kimberly wieder aufgetaucht. Damals hatte er jemanden gewollt, der nicht durchschaubar war, der intelligent war, an dem er wachsen musste, der ihn beschäftigte, der ihm nicht gleichgültig war, bei dem die erste Begegnung etwas Magisches hatte. Traf nicht genau das auf Eames zu? Wieso war er dann nicht gänzlich glücklich? Damals war ihm nicht bewusst gewesen, wie wichtig ihm Vertrauen war. Vertrauen und Ehrlichkeit. ‚Sei einfach ehrlich zu Kimberly und vor allem zu dir selbst, dann kann dir nichts passieren.‘ Ehrlich zu sich sein... Damals hatte er tatsächlich etwas mit Kimberly angefangen. Sie waren ausgegangen, sie hatten Zeit miteinander verbracht, fürs Studium gearbeitet, waren ins Kino, zum Essen gegangen, hatten Sex gehabt. Doch er war nicht ehrlich zu Kimberly gewesen, auch nicht zu sich selbst. Als er begann, beim Sex an den Doktorand zu denken, hatte er ihr die Wahrheit gesagt. Kimberly hatte ihn für seine Ehrlichkeit verflucht. Und jetzt? War er immer ehrlich? Er verlangt es von Eames. Im Gegenzug konnte er ihm gegenüber nur teilweise ehrlich sein. Das Misstrauen war immer da. Seit Tokyo hing ein Damoklesschwert über ihrer Verbindung. Doch in der Zeit, die sie jüngst miteinander verbracht hatten, war so viel geschehen. Juliet, Foxtrott, Yankee, India. India, Lima, Uniform - JFYI:ILU - Just for your information: I love you! War das nicht die Ehrlichkeit, die er immer gewollt hatte? Er war außer Standes gewesen, in dieser Situation etwas darauf zu erwidern. Jetzt bereute er es. Er war in der vergangenen Nacht lange wach gelegen und hatte Gedanken hin und her geschoben. Seine Erkenntnis war: er vermisste Eames. Er vermisste ihn, seinen Körper neben sich, das Atmen, dem er lauschen konnte, während er nicht schlief, seine Wärme und Ruhe. Arthur zog sein Handy aus der Tasche, schrieb eine Nachricht an Tom. ‚I miss you! A.‘ Es war das Ehrlichste, was er hatte schreiben können. Mit weichen Knien durchschritt er den Friedhof und machte sich auf den Weg nach New York. If I stay with you, if I'm choosing wrong I don't care at all If I'm loosing now, but I'm winning late That's all I want ————//————- Die Luft in seiner Wohnung roch nach abgestandener Abwesenheit. Mattes Licht fiel durch die geschlossenen Vorhänge. Es war beklemmend still. Er war nur eine gute Woche weggewesen, doch es fühlte sich an, als sei es ewig her, dass sie von hier aufgebrochen waren. Arthur meinte das Aftershave seines Bruders zu riechen. Er ging herum und öffnete die Fenster, ließ den Lärm der Straßen herein. Das Bild, wie jener seine Wohnung betrat, ging ihm nicht aus dem Kopf. Er begann mit der Post, dann fuhr er mit der Arbeit fort. Ablenkung war gut. Vielleicht kam dann irgendwann eine Nachricht. ————//————- Arthur holte sein Handy aus der Innentasche seines Anzugs, eine Bewegung, die er in den zurückliegenden Tagen, fast schon Wochen so oft gemacht hatte, dass er sie gar nicht mehr bewusst wahrnahm. Er hoffte stets auf eine Nachricht von Eames, aber der blieb in seiner Deckung. Allerdings war es nicht so sehr die Stille der vergangenen Wochen, die ihn zermürbte. Es war eher der Keim, der zu wachsen begonnen hatte, eine vage, aber aufdringliche Angst. Eames war in der Versenkung verschwunden und ihre gemeinsamen Wochen hatten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen, weil Arthur einfach unsicher war, ob das alles nur aus der Abhängigkeit entstanden war, in der sich Eames befunden hatte. Und dann dieser Brief. Arthur schlief kaum noch, immer wieder wachte er auf, saß auf seinem Bett in seiner Wohnung oder im Büro. Er blickte aus dem immer gleichen Fenster auf die nächtliche Straße, den dunklen Park. Die Saat ging auf, er spürte es, und er konnte nichts dagegen machen. War es ein Fehler gewesen, einfach zu gehen? Warum meldete er sich nicht? War ihr something doch ein nothing, weil er ihn nicht mehr brauchte, wenn er kein Pointman für ihn war? Hatte Mal mit all dem recht, was sie geschrieben hatte? War alles nur eine große Lüge? Diese Fragen schürten etwas, das Arthur leider nur zu gut kannte: Misstrauen. Er begann Eames wieder zu misstrauen. Auch wenn er das eigentlich nicht wollte. „Arthur? Arthur? Wo bist du gerade schon wieder?“ Er schreckte hoch. Er hatte für einen Augenblick nicht aufgepasst, hatte aus dem Fenster gesehen und überlegt, ob er sein Misstrauen nicht einfach im Hudson versenken konnte, auf dass es dort rasch versank. Aber zu den Eigenschaften des Misstrauens gehörte eine gewisse Widerstandsfähigkeit und nun blickte Ariadne ihn fragend an, so dass nichts von dem Chaos in ihm verschwand. „Was ist denn verdammt nochmal los mit dir, Arthur?“, fragte ihn Ariadne und blickte ihn ernst an. „Wird das zum Problem?“ Arthur war klar, dass sie eine zufriedenstelle Antwort haben wollte. Er schwieg. „Rede mit mir!“ Er hörte sich aus ihr sprechen. Aber Arthur war nicht nach Reden, genau wie in den Tagen zuvor. Und vermutlich auch in den Tagen danach. Er hatte die Stille zu schätzen gelernt, das Schweigen, das ihn umgab, wenn er in seiner Wohnung stand und hinaus auf die Bäume des Central Parks blickte. Er hatte Tage damit verbracht, dem Schweigen zuzuhören, es zu beobachten, wie es ihm gegenüber saß, milde lächelnd. Mit einem Hauch von Mitleid im Blick. ‚Ich will nicht hier sein‘, dachte er, ohne zu wissen, wo er sonst sein wollte. Vielleicht in Mombasa. „Es ist alles in Ordnung“, sagte er und blickte sie lächelnd an. „Ich hatte nur wenig Schlaf. Mehr ist es nicht. Dafür habe ich eine gute Idee. Schau her...“ Er sollte sich konzentrieren. Das hier war wichtig. Das ewige Misstrauen. Das ewige Tokyo. Er hatte nichts von Eames gehört. Jener hatte auf die Nachricht vom Friedhof nicht geantwortet. Er rauchte eine der vielen Zigarette dieser Tage, als eine Nachricht eintraf, allerdings von Dom. Woher kennst du Dmitrij Teteruk? Ich soll dir schöne Grüße sagen. Dom Arthur erstarrte. Tokyo war ein Schock gewesen. Alles war ein Schock gewesen, damals. Und das war es bis heute. So viel falsche Wahrheiten. Und so viele echte Lügen. Eames, der ihn aus dem Traum geschubst hatte, ihn auf Traumebene getötet hatte und danach verschwand. Cobb, der ihm erklärte, dass er schon wieder auftauchen würde, dass er sich freuen solle, dass der Job gut vorübergegangen war, obwohl Arthur seinen Posten verlassen hatte. Mal, die sich in Schweigen hüllte. Er war ohnehin nicht gut für dich, Arthur. Er ist ein Jäger und Sammler. Sei froh, dass er weg ist. - das meinte er zumindest in ihrem Blick zu lesen. Jetzt wusste er von dem Brief, der alles verschlimmerte. Eames - ein Lügner? Ein Betrüger? Alles für den Job. Alles für den Kunden. Da blieb nicht viel übrig. Stets hatte Arthur seither seine Gefühle verdrängt, sie verleugnet. Er hatte sich in Arbeit gestürzt, hatte sich abgelenkt. So weit war er gegangen, dass er sich ein neues Team suchen wollte. Doch das war sein Untergang gewesen. Er war dadurch an seine Grenzen gekommen, hatte Dinge erlebt, die er noch mehr vergessen wollte als all den Schmerz, den ihm Thomas Eames bereitet hatte. Da endet die Geschichte. Punkt. Und bis jetzt hatte Dmitrij Teteruk keine Rolle mehr gespielt. Bis jetzt. Arthur antwortete nicht auf die Nachricht. Er hatte das tiefe Bedürfnis, mit jemandem zu reden, und das war nicht Dom. Er wählte mit zitternder Hand eine Nummer, atmete tief durch, bevor er auf Grün drückte. Irritiert blickte er auf sein iPhone, als dieses ihm mitteilte, dass die Nummer nicht vergeben war. Ein neuer Versuch mit dem gleichen Ergebnis. Sicher, er hätte es sich denken können, dass Eames sein Handy mal wieder vernichtete, doch es war ihm nicht gekommen. Das Ausmaß dessen wurde ihm bewusst. Seine Nachricht hatte nie ankommen können. Ihm wurde schlecht. Er knabberte an den Fingernägeln, während er darüber nachdachte, ob es wirklich etwas brachte, in Mombasa anzurufen. Er hatte Angst, dass auch diese Nachricht nicht ankäme. Die Kneipe, in der er Botschaften hinterlassen konnte, wirkte nicht zuverlässig. Und ob Eames überhaupt dort war? „Können wir weitermachen?“ Ariadne sah ihn fragend an. Er zögerte kurz. „Klar!“, sagte er leichthin, während in ihm ein unbekannter Sturm tobte. Scheiße. Eames Parenthesis 「 New York 」 ________________________________________ One broken wing Soaring and suffering Arm in a sling I don't owe you anything Er sah auf sein Gesicht herab, das sich im Beifahrerfenster der parkenden Corvette spiegelte. Eine Strähne hatte sich gelöst und hing auf seiner Stirn, wie eine offene Klammer. Mit einer langsamen, fast schon trägen Geste strich er sich das Haar glatt nach hinten. Sein Ausdruck war kühl, sein Herz fühlte sich schwer an. I'm a bad absentee You know when I want to leave So close up your knees And I'll close your parenthesis Er hatte gerade eine Menge Geld in einem Casino „gewonnen“, gleich die Straße runter, nur einen Block von Arthurs Wohnung entfernt. Der Bündel Scheine in seiner Tasche fühlte sich schmutzig an. Er gab ihn einer jungen Obdachlosen, die mit einem Welpen auf dem Schoß vor einem Gemischtwarenladen saß. Die Frau war außer sich, sie jubelte und dankte Gott und er nickte ihr lächelnd zu, ehe er mit wiegenden Schritten weiter ging. Dabei floss die gespielte Freude wieder aus seinem Gesicht und hinterließ eine steife Maske. Diese Aufgabe war eine der schwersten. In dieser Stadt zu sein und ihn nicht sehen zu können. Oder auch; hier zu sein und sich genauso schmutzig fühlen, wie der Bündel Scheine, dem er sich gerade entledigt hatte. Wie ein Haufen Dreck und tief verletzt in seinem Stolz. Und trotz allem war ihm sehr bewusst, dass er niemand anderen für dieses Dilemma verantwortlich machen konnte, als sich selbst. Eine hübsche kleine Firma hatten sie sich da aufgebaut, dachte er. „Fontaine & Moore Architects“ Ariadnes Wangen sahen aus wie reife Äpfel auf dem Bild, das er auf der Homepage gesehen hatte. Er klingelte, wohl wissend, dass Arthur nicht da sein würde und betrat das Gebäude, als ein Summton die Tür freigab. Die Hand mit dem geschienten Finger hatte er in sein Jackett geschoben, als er durch die Glastür schritt. »Lange nicht gesehen!«, grüßte er sie und reichte ihr die unverletzte Hand. Sein Gesicht war leicht kalkig, aber ansonsten sah man ihm den Jetlag und die zahlreichen, schlaflosen Nächte wahrscheinlich nicht an. »Du siehst gut aus, beeindruckendes Büro.«, schmeichelte er weiter und betrachtete sie, sowohl als auch die Räumlichkeiten, mit väterlicher Anerkennung. »Ist Arthur hier?«, er wusste, wie die Antwort lautete. Er hatte nicht umsonst Jesse konsultiert, um ihn zu beobachten. »Und wenn nicht, hättest du eine Minute?« I'm a bad amputee With no phantom memory So close up your knees And I'll close your parenthesis Ariadne „Vergiss nicht, dass das Modell nachher kommt!“, hörte sie noch Arthurs Stimme, bevor die Tür hinter diesem zuging. Ihr genervtes „Natürlich nicht!“ hatte er vermutlich nicht mehr gehört. Dass jener begann ihre Kompetenz, an wichtige Dinge zu denken, anzuzweifeln, war auch eines der Symptome, die ihr sagten, dass Arthur ziemlich unter Stress stand. In gewisser Weise war sie auch gestresst, schließlich hatte der Bau begonnen und jeder verdammte Handgriff musste vorbereitet und kontrolliert werden, wenn sie den Zeitplan einhalten wollten. Arthur war pedantisch und instruierte die Baufirmen akribisch, um dumme Fehler zu vermeiden. Dass er kein Vertrauen in die Kompetenzen der Leute am Bau hatte, war ja gut. Zu oft zeigte sich, dass so mancher nicht von 12 bis Mittag denken konnte. Aber sobald er ihr das auch indirekt unterstellte, wurde sie wütend. Es kam nicht oft vor, doch seit einigen Tagen immer häufiger. Arthur wirkte noch gestresster - wenn das denn möglich war - und Ariadne glaubte nicht, dass es nur der Baustress war, der ihm so zu schaffen machte. Er kam schon in seltsamer Stimmung von seinem Tripp zurück und wirkte so oft mit seinen Gedanken abwesend, dass sie besorgt war. Angeblich war er nur bei Dom gewesen, doch das glaubte sie nicht. Ariadne hatte mit jenem telefoniert und er wirkte gefestigt, könnte also kein Grund für Arthurs Zerstreuung sein. Auch sicher nicht die Steuerprüfung, die nichts ergeben hatte. Gleichzeitig lieferte jener aber brillante Arbeit ab, hatte ihnen nun sogar diese riesige Chance an Land gezogen. Irgendwas musste noch dahinterstecken, doch der Stockfisch schwieg beharrlich und lächelte sie an. Sie hatte ihm schon angedroht, irgendwann einmal ihren Absatz in diesem Lächeln zu versenken, doch der Panzer um Mr. Rührmichnichtan war ziemlich dick. Ariadne schnaubte, widmete sich lieber ihrer Präsentation, die sie für den den Architekten Kongress „New Yorks Architektur im Wandel“ vorbereitete. Arthur hatte Beziehungen zu einer Ex-Freundin spielen lassen, die ihnen die Möglichkeit geboten hatte, dort ihren Umbau vorzustellen. Alle namhaften Baufirmen, Geschäftsmänner und Architektenbüros etc. würden anwesend sein, sogar der Bürgermeister und andere Prominente aus New York. Arthur hatte die Idee gehabt, einen Grafikdesigner zu beauftragen, einen animierten Film zu erstellen, den man zeigen konnte. Sie hatten eine Firma beauftragt und zu sich ins Büro geladen, um Ihnen auf Basis ihrer Zeichnungen einen Einblick zu geben. Auf Traumebene haben sie die beiden Grafiker ohne ihr Wissen durch ihr Projekt geführt. Das Ergebnis war ein unfassbar guter Film, der eine perfekte Werbung für ihr Vorzeigeprojekt werden würde. Arthurs Idee, ihr Esprit - die perfekte Mischung. Ja, Ariadne war stolz auf ihre Arbeit, auf ihr Büro. Fontaine & Moore Architects Doch die Sorge, dass sich Arthur übernahm, weil er mit seinem Kopf woanders war, schwelte in ihrem Bewusstsein. Ihr erstes Baby durfte nicht dadurch gefährdet sein. Dessen war sich Arthur aber auch bewusst, daher war sie aufmerksam, aber drängte ihn nicht, ihr endlich zu sagen, was ihn beschäftigte. Es hing ihre gesamte Reputation davon ab. Sie waren ein geniales Team - er der Perfektionist mit Beziehungen, sie die Kreative mit Durchsetzungskraft. Sie blickte erstaunt auf die Uhr, als es klingelte. Die Lieferung war erst in einer Stunde zu erwarten gewesen. Sie betätigte den Türöffner und stand auf, um den großen Tisch gänzlich frei zu räumen. Als die Tür ging, drehte sie sich um. So schnell waren die hier oben? Ihre Überraschung blieb ihr ins Gesicht geschrieben, als sie sah, wer hereinkam. „Oh,... der Forger“, sagte sie im ersten Moment. Mr. Universe himself. Das größte Ego der Menschheitsgeschichte. Das lebende Chaos, der Egozentriker. Bedeutete das Ärger? Ariadne runzelte die Stirn, während sie beobachtete, wie Thomas Eames sich umsah. Die Schmeicheleien beeindruckten sie wenig, nickte sie nur ab, lösten eher noch mehr Skepsis aus. Was wollte er hier? Hatte er einen Termin mit Arthur? Ariadne kehrte zu ihrem Laptop zurück, speicherte und klappte den Bildschirm zu. »Ist Arthur hier? Und wenn nicht, hättest du eine Minute?« „Du hättest Arthur anrufen können. Dann wüsstest du, dass er nicht da ist sondern bei seiner Ex-Freundin“, entgegnete sie und ließ die zweite Frage zunächst unbeantwortet. Seit Eames sie in die Eishölle mitgenommen hatte, misstraute sie ihm. Wobei das Misstrauen eigentlich schon in der 1. Traumebene geschürt worden war, als dessen erster Impulsgewesen war, einfach auszuharren. Angesichts der Tatsache, dass ihm damit egal war, dass Dominicks Chance auf Rehabilitation so verwehrt geblieben wäre, stand sie ihm noch kritischer gegenüber. Letztlich hatte er den Job gut gemacht. Doch alles in allem blieb das Bild eines undurchsichtigen und selbstsüchtigen Mannes, mit dem man besser nichts zu tun hatte. Ariadne verschränkte die Arme vor der Brust und zögert, bevor sie fragte: „Um was geht es denn?“ Eames Die Begrüßung war bereits eigenartig, fast so als hätte Ariadne vergessen, wie er hieße. So etwas war ihm tatsächlich noch nie passiert (wenn er es nicht von vorn herein darauf angelegt hatte vergessen zu werden); noch ein kleiner Stich für sein Ego. Er behielt jedoch Haltung und führte die Scharade fort. Sogar, als Ariadne erwähnte, dass Arthur sich gerade bei seiner Ex-Freundin aufhielt ---- Er spürte einen Stich, aber vom Stadium des angeschossenen Hirschs, glitt er gleich hinüber in das Stadium "Stier sieht Rot". Wagte er es wirklich? Von dem innerlichen Kampf drang jedoch nichts nach außen, lediglich ein milde überraschtes »Ist das so?« Ex-Freundin….. dieses Wort wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es blockierte seine Gedanken. „Um was geht es denn?“ »Warte kurz… Ex-Freundin?«, er grinste. Blood Bastard »Diese kleine;.. etwas länger her, oder?«, er machte wage Bewegungen, möglichst unverbindlich. »Arthur hat mir von ihr erzählt, wie hieß sie noch gleich?« Sein eigentliches Anliegen war mit einem Schlag in den Hintergrund gerückt. Nun musste er erst einmal etwas anderes klären. Ariadne Bereits als sie das Wort „Ex-Freundin“ verwendet hatte, bereute sie es. Sie hatte mal wieder schneller geredet als gedacht. Ging es Eames überhaupt etwas an? Die Spannung zwischen Arthur und Eames während ihres Jobs mit Fisher war auch ihr nicht entgangen. Es kam ihr ein wenig vor, als könnten die beiden nicht ohne einander, noch weniger miteinander. Hoffentlich ärgerte sich Arthur nicht, dass ihr das herausgerutscht war. Sie war nur immer noch überrascht, dass Kimberly Peck tatsächlich einmal mit Arthur zusammen war. Sie war eine Koryphäe hier in New York. Die Überraschung, die das „Ist das so!“ mit sich brachte, entging Ariadne nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, reckte das Kinn ein wenig. Ihr Ablenkungsmanöver, was Eames denn hier wolle, lenkte jenen aber offenbar nicht vom Thema ab. Einen Moment musterte sie Eames, als dieser genauer nachfragte. Was waren wohl seine Hintergedanken? Oder war ihr Misstrauen unangebracht? Arthur hatte ihr damals erzählt, dass sie sich schon lange kannten. Es konnte durchaus sein, dass Eames von dieser Ex-Freundin wusste. „Kimberly, Kimberly Peck. Ja, ist lange her. Er kennt sie noch vom Studium“, sagte sie kleinlaut und strich sich das Haar hinters Ohr, das sogleich wieder nach vorne fiel. „Dank ihr können wir unser Projekt beim Architekten-Kongress präsentieren.“ Sie redete schon wieder zu viel. „Wie auch immer… Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Was willst du, Eames?“ Eames Kimberly Peck. Diesen Namen würde er so schnell nicht mehr vergessen. Nur dank ihr konnten sie also ihr Projekt beim Architekten-Kongress vorstellen? Eames wollte sich gar nicht vorstellen, ob Arthur für so einen Gefallen käuflich sei. Sicherlich sollte man so etwas nicht von diesem ach so feinen Edelmann erwarten. Er hatte immerhin Anstand und gute Erziehung! Etwas, das Eames gänzlich zu fehlen schien und dennoch schweiften seine Gedanken ab an Arthurs Gesicht – wie sich seine Nasenflügel blähten und seine Lippen zurückzogen wenn sie Sex hatten. Und er fragte sich unweigerlich, ob er für Kimberly dasselbe Gesicht machte. »Natürlich, davon hat er erzählt.«, nickte er ab und tippte sich gegen die Stirn, wie das liebenswerte Dummerchen vom Lande. Er wusste, dass dieses Spiel hier nur ein einziges Mal funktionieren würde. Ariadne würde Arthur von seinem Besuch erzählen. Dann würde Mister Darling Miss Fontaine verklicken, wie wenig man auf Mister Eames geben konnte. So wie sie die Stirn in Falten legte, traute sie ihm schon jetzt kaum einen Meter weit. Wenn er Informationen wollte, dann musste er das letzte Vertrauen missbrauchen, das sie in ihn noch hatte; eine weitere Chance würde es nicht geben. »Ach weißt du, ich war grad in der Gegend und wollte ein bisschen über das letzte Spiel der Mets plaudern.«, scherzte er. Es war nicht leicht an sie heran zu kommen. An irgendjemanden erinnerte ihn dieser Blick… dieses Sondieren. Diese natürliche Skepsis ihm gegenüber, wo ihm doch sonst jeder spontan vertraute. Er musste also mit gänzlich anderen Methoden arbeiten, um an sie heran zu kommen. »Mal ehrlich, Ariadne…«, er seufzte und sackte etwas in sich zusammen. Dann holte er die Hand aus seinem Jackett um den noch immer geschienten Finger zu präsentieren. »Ich hab mir wehgetan und mir geht es gerade nicht allzu gut. Wenn du mich so ansiehst fühle ich mich wie auf der Anklagebank.« Ihm fiel spontan ein, an wen sie ihn erinnerte. Ihr Blick war dem von Mallorie Cobb gar nicht unähnlich. Mit dem feinen Unterschied, dass sie wie eine abgespeckte Version von ihr wirkte. Gerade war sein eigentliches Vorhaben zu einem etwas größeren Projekt geworden. Eigentlich wollte er Arthur nur eine Handynummer hinterlassen, ehe er noch ein wenig auf Abstand ging, um die Sachen zu verarbeiten. Nun brauchte er Informationen. Loslassen war schwerer, als er gedacht hatte und er fühlte sich noch erbärmlicher, als vorher. »Können wir nur einen Kaffee trinken und kurz reden, wie zwei normale Menschen? In deinem Büro?« Ariadne Seine Reaktion ließ den Schluss zu, dass Eames und Arthur wirklich enger befreundet waren, als das ihre ständigen Sticheleien sichtbar machten. Dennoch war Ariadne bewusst, dass Eames der Forger war, und inwieweit er das seinen Freunden oder - in ihrem Fall - seinen Bekannten gegenüber auch war, konnte sie nicht einschätzen. Daher blieb das Misstrauen, ließ sie zweifelnd die Augenbrauen zusammenziehen, als der andere mit Baseball ankam. Sie erinnerte sich gut an das Gefühlvor nunmehr einem Dreiviertel Jahr, nicht zu wissen woran sie bei dem mysteriösen ‚Thomas Eames’ war, ob er sie überhaupt ernst nahm. Der gutaussehende, smarte, immer lächelnde Mann mit den lässigen Sprüchen und dem Schalk in den Augen behandelte sie eher von oben herab, stets leicht amüsiert, so als mache er sich immer ein wenig lustig über sie. Dazu Sprüche, die sie Lächeln ließen, die amüsant waren, die schmeichelhaft schienen, sie aber vermutlich nur aus der Reserve locken sollten. Insgesamt löste er bei ihr eher Alarmglocken aus, als echte Sympathie, auch wenn er ihr durchaus sympathisch war. Diese Sympathie rührte eher aus der Faszination hinsichtlich seiner Fähigkeit, auf Traumebene diverse Charaktere einnehmen zu können. Noch bevor sie etwas erwidern konnte, änderte sich etwas in Eames‘ Körperhaltung, so als hätte er keine Kraft mehr, seine Fassade des lässigen Gentlemans aufrecht zu erhalten. Die Ehrlichkeit, die er ankündigte, ließ sie hinter die Fassade blicken, hinter das breite Kreuz, das offenbar angeknackst war. Was würde sie darum geben, wäre das bei Arthur so einfach! Wenn der ein wenig mehr zugänglich wäre, könnte sie besser sehen, was jenen belastete. Ihr Blick glitt zu der Hand, an der ein Finger geschient war. Die zum jetzigen Gesamteindruck passenden Worte folgten und Ariadne hatte einen Moment, in dem sie sich etwas weniger Ehrlichkeit (und Vorwurf) wünschte. Sie lächelte entschuldigend, senkte ertappt den Blick. War sie ungerecht mit ihrer Ablehnung? Ihre Arme öffneten sich, sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Können wir nur einen Kaffee trinken und kurz reden, wie zwei normale Menschen? In deinem Büro?« Sie lachte leicht, vermutlich verlegen, aber so ganz passte das nicht. Die Alarmanlage blieb angeschaltet. „Du solltest doch lieber mit Arthur reden“, seufzte sie und nickte ihm zu, ihr in ihr Büro zu folgen. Sie ging voraus durch den kurzen Flur in ihr Büro, das durch diverse Kleinigkeiten an ihre Heimat Frankreich erinnerte. Sie blieb in der Tür stehen und ließ ihn eintreten. „Als Leidensgenossen könntet ihr euch vermutlich besser in eurem furchtbaren (sie zog das Wort theatralisch in die Länge) Leid trösten. Zumindest scheint es ihm genauso wenig gut zu gehen, auch wenn er glaubt, ich sehe es nicht in seinen Augen, wenn er mechanisch lächelt.“ Nun war sie es, die seufzte. „Cappuccino? Kaffee? Espresso? Zucker? Milch?“ Sie sah Eames fragend an, während der sich in ihrem Büro umsah, dann holte sie für sie beide die Getränke in der kleinen Küchenzeile. Während die Kaffeemaschine schnaufend ausspuckte, was sie ihr abverlangte, schüttelte sie lächelnd den Kopf. Zwei arme Hunde, die geprügelt wirkten. Sie wollte gern beiden helfen. Beide konnten nicht unterschiedlicher sein. Der eine, der ihr nahe zu sein schien, schaffte es nicht aus sich raus, der andere, der ihr eigentlich ferner war, kam auf sie zu, um mit ihr zu reden. Seltsame Wege, die das Leben da beschritt... oder? Eames hatte sich an den Besprechungstisch gesetzt und sie setzte sich zu ihm, sodass sie sich näher sein konnten. Ein Zeichen des Friedensangebots, das sie ihm machte. Sie zog den Löffel aus dem Milchschaum, schleckte ihn ab, rührte etwas um, strich mit dem Löffel am Rand entlang. Dann sah sie ihn fragend an. „Ein Gespräch zwischen zwei normalen Menschen... Wo drückt der Schuh?“ Eames Er ließ sich von Ariadne einen Cappuccino machen und nahm Platz. Das Büro, allem eingeschlossen was er bisher davon gesehen hatte, wirkte überaus professionell. Es war fast eine Spur zu dick aufgetragen, so sehr sprotzte es vor Eleganz. Als wollten sie der Welt beweisen, dass sie zwei ernstzunehmende Erwachsene waren, die einen Fuß in der Tür des ganz großen Business hatten. Den unnötig abfälligen Gedanken versteckte er hinter einem dankbaren Lächeln. Die Hand mit dem angeknacksten Finger lag nur offen auf dem Tisch, während die andere auf dem Oberschenkel seiner übereinandergeschlagenen Beine lag. Er wirkte ein wenig verletzlich, dessen war er sich mehr als bewusst. »Ich fühle mich wirklich etwas albern, dass ich mit dir darüber spreche, aber ich kenne sonst kaum jemanden in New York mit dem ich ein ernstes Gespräch führen könnte.«, sein Lächeln war etwas beschämt, aber überaus charmant. Er versteckte sich scheinbar hinter seiner Tasse, als er den ersten Schluck nahm. ».. Ich habe das Gefühl wir haben eine gewisse Ebene, verstehst du? Das habe ich bei dem Fisher-Fall bereits gemerkt. Arthur rede viel von dir, weißt du..«, noch ein wenig Sahne in den Kaffee. Er hatte das wirklich nicht gewollt. Eigentlich war er gekommen, um einen Brief zu überreichen, einen netten Eindruck zu machen und dann schnell wieder zu verschwinden. Aber nun hatte sich das Blatt gewendet und er musste improvisieren. »Es geht um einen Freund… Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll – er wirkt abwesend und in sich gekehrt. Und ich habe das Gefühl, dass ihn etwas wirklich belastet. Ich komme aber nicht an ihn heran, ich kann tun was ich will. Und ich habe ein wirklich gutes Gespür für Menschen, du verstehst.«, um die Lüge nicht allzu unrealistisch zu gestalten. »Ich wollte eigentlich mit Arthur darüber reden… vielleicht werde ich das auch, wenn ich ihn erwische. Aber vielleicht hast du einen Rat? Ich meine… du bist jung und kreativ. Manchmal sitze ich zu tief in der Suppenschüssel, um noch über den Tellerrand zu schauen.« Ariadne Mit jedem Wort des anderen entspannte sich Ariadne. Sie fand es niedlich, wie er sich ihr gegenüber eingestand, einmal nicht einen Menschen lesen zu können. Sie wusste, wie gut er das eigentlich konnte, bewunderte ihn dafür. Bei ihm hatte es Methode, bei ihr war es nur Instinkt, wenn sie spürte, dass etwas nicht richtig war. Ein wohlwollendes Lächeln lag auf ihren Lippen, als Eames von ihrer ‚Verbindung‘ sprach. Hatten sie eine Ebene? Zumindest darin, Menschen durchschauen zu können, zu merken, wenn etwas nicht stimmte. Sie spürten vermutlich beide gut in ihre Mitmenschen hinein. Bei Dom war es ihr sehr schnell klar, dass sein Trauma tief saß. Und auch bei Arthur wusste sie, dass da etwas tief verborgen war. Etwas Schönes genauso wie etwas Schreckliches. Auch wenn Eames später noch anfügte, dass er auch mit Arthur sprechen wolle, war sie sich sicher, dass sie der bessere und emphatischere Ansprechpartner war. Definitiv! Sie trank ihren Café au lait und hörte ihm zu, nickte gelegentlich, lächelte selbst etwas schüchtern, als er erwähnte, dass Arthur oft von ihr spräche, und warf ein„Wir sind ein gutes Team.“ ein. Als Eames schließlich auf das Problem zu sprechen kam, über das er mit ihr reden wollte, sah sie ihn an und während er sprach tauchte vor ihrem inneren Auge das Bild von nur einer Person auf: Arthur. Es war nicht viel, was Thomas über den Freund sagte: Er wirkt abwesend und in sich gekehrt. Und ich habe das Gefühl, dass ihn etwas wirklich belastet. Dennoch musste sie unwillkürlich an Arthur denken. Sie lächelte müde, trank einen Schluck. Sie hatte bei ihrem Kollegen und Freund genau dieses Gefühl: Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen soll. Ich komme nicht an ihn heran, ich kann tun was ich will. - genau das dachte sie tagtäglich. Sie atmete tief durch. „Einen Tipp willst du von mir?“, fragte sie resignierend. „Starrt er aus dem Fenster und wirkt, als käme er von sehr weit weg, quasi einmal um die halbe Erde, wenn er dich wieder ansieht? Stürzt er sich in Arbeit, um nicht nachdenken zu müssen? Schläft er kaum und wenn nur schlecht? Wechselt seine Stimmung manchmal von mürrisch zu euphorisch, zu genervt, zu schweigen umbinnen weniger Minuten? Isst er kaum etwas und wirkt wie ein Schatten seiner selbst? Erfindet er Vorwände, um nicht unter Menschen gehen zu müssen? Schläft er lieber in seinem Büro, als dass er nach Hause geht? Zieht er alle fünf Minuten sein Handy aus der Jackentasche, in der Hoffnung, jemand Bestimmtes hat ihm geschrieben? Überprüft er immer wieder, ob dieser seltsame Schlüssel, den er bei sich trägt, noch da ist? Lächelt er dich an und sagt, dass alles in Ordnung sei, obwohl seine Augen trüb und schwarz sind? Und wenn du ihn so siehst: hast du dann das Gefühl, ihn umarmen zu wollen und ihm zu sagen, dass alles wieder gut wird, auch wenn du keine Ahnung hast, um was es geht?“ Sie sah ihn fragend an, fuhr aber fort, noch bevor Eames hätte antworten können. „Ich habe genau die gleiche Situation - mit Arthur. Leider habe auch ich keine Lösung gefunden. Er ist so schrecklich stur und viel zu stolz, um sich einzugestehen, dass er ein Problem hat. Er lächelt alles weg, lenkt stets von sich auf anderes, wenn ich ihn frage, wie es ihm geht. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er unglücklich verliebt ist. Aber das kann es nicht sein. Erst dachte ich, es hängt mit Dom zusammen, weil er zuletzt vor seiner Rückkehr bei ihm gewesen war. Aber das war es auch nicht. Dann dachte ich, es sei sein Bruder, der versucht, ihm das Leben schwer zu machen. Aber da hat sich die Situation wieder beruhigt, seit das Finanzamt nichts gefunden hat. Also muss noch etwas sein. Arthur ist etwas über eine Woche weg gewesen. Irgendwas war in der Zeit. Oder jemand. Neulich hat ihm jemand geschrieben. Danach war er ziemlich nervös. Er hat versucht, zu telefonieren, aber niemanden erreicht. Mir ist das nur klar geworden, weil er ungewohnt nervös war, fast ängstlich, aber das ist nur ein Gefühl. Du kennst ja seine stoische Maske. Im Grunde tappe ich im Dunkeln.“ Sie seufzte und sah Eames an. „Ich fürchte also, dass du bei mir doch falsch bist. Ich habe kein Rezept, kein Mittel, keinen Tipp, obwohl ich viel versucht habe. Ob Arthur dir helfen kann? Keine Ahnung. Vielleicht hilft es ihm, mit dir zu reden, um sich selbst zu helfen. Dein Freund und er können ja eine Selbsthilfegruppe gründen.“ Sie lachte leicht. „Treffen der stoischen Dauerleider - oder so.“ sie grinste, wurde dann wieder ernst. „Mein Tipp: finde den, der für den Zustand deines Freundes zuständig ist, und tritt ihm kräftig in den Arsch! Oder: wenn das Leiden berechtigt ist. Tritt deinem Freund in den Hintern. Wenn Arthur so weiter macht, werde ich genau das tun.“ Eames Er wusste nicht viel von Jesse. Eigentlich kaum mehr, als dass Arthur nicht allzu fit ausgesehen hatte, als er an einem der Morgen Bagels gekauft hatte. Aber offenbar hatte er mit seiner Beschreibung bei Ariadne auf einen Nerv getroffen und sie erzählte drauf los. Alles was er nie hatte wissen wollen, bemerkte er. Er war wütend, dass er scheinbar nicht zur Wut berechtigt war. Und traurig, dass seinen Tränen scheinbar nichts wert gewesen waren im Vergleich zu Arthurs Leid. Dieses ganze Spiel war verworren. Er war wütend aus so schrecklich dummen Gründen. Er konnte nicht verstehen wieso Arthur ihn in Italien hatte sitzen lassen. Mit diesem lächerlichen Brief. Ganz allein mit diesem Rattenschwanz, der auf eine ihrer Handlungen in Italien gefolgt war. Allein war nie ein Problem gewesen. Aber wieso ausgerechnet, als er endlich bereit gewesen war die Mauern einzureißen und Arthur hereinzulassen? Etwas zu zulassen. Difficult not to feel a little bit disappointed and passed over Er hatte nur einen einzigen friedlichen Moment gewollt. Einen Tag zusammen in Italien. Jetzt fühlte er sich… indifferent. Er war dem Wahnsinn seit Italien jeden Tag einen Zentimeter nähergekommen. Wer war nun verantwortlich zu machen, für dieses Dilemma? Dem Chaos trotzend, das in ihm vor sich ging, nickte er verständnisvoll, als Ariadne weiter berichtete. Auch, als sie ihren Tipp abgab. „Mein Tipp: finde den, der für den Zustand deines Freundes zuständig ist, und tritt ihm kräftig in den Arsch!“ »Ein guter Rat.«, antwortete er schmunzelnd. Erst mal keine schlechte Idee, die sie da hatte. Aber so sehr er wütend auf sich selbst war, so wütend war er auch noch auf Arthur. Nachdem sie geendet hatte, war er etwas nachdenklich seinen Sitz gesunken. „… wenn Arthur so weiter macht, werde ich genau das tun.“ »Oh ja, tu das.«, ermunterte er sie heiter. »Ich bezweifle, dass man ihm anders helfen kann.« Zu wissen, dass Ariadne sich um Arthur sorgte, fühlte sich an wie saures Aufstoßen. Sie würde ohnehin nicht zu ihm durchdringen; niemand tat das - niemand außer mir - da war sich Eames fast sicher. Und dennoch war er nun teilweise erleichtert. Der sich windende, paradoxe Teil von ihm, der kein gänzliches Arschloch war, war sogar überaus erleichtert darüber, dass es da noch jemanden gab, der sich um ihn kümmerte (auch wenn es sicherlich niemanden gab, der sich besser um Arthur Darling kümmern konnte, als Thomas Eames selbst). »Danke. Du hast mir sehr geholfen; mehr als du vielleicht glaubst.«, seufzte er und leerte seine Tasse nun zügiger. Unvermittelt schnell stand er auf. Nein, er war nicht bereit, jetzt schon den Schritt zu tun. Arthur hätte anrufen können. Er hatte die Nummer in Mombasa, unabhängig von einem Handy. Eames traute keinem Mobilgerät länger als die Dauer eines Jobs; auch das war ein altbekannter Fakt. Here I am expecting just a little bit too much From the wounded but I see through it all and see you »Mir fällt gerade ein, ich muss dringend noch einkaufen. Mein Flug nach Kenia geht in vier Stunden und ich wollte noch bei Yusuf vorbeischauen. Komm her, Kleines.« Er griff nach der Hand der leicht verwirrt wirkenden Ariadne und zog sie auf die Beine in eine innige Umarmung. Sie fühlte sich gut an, klein und herzlich, auch wenn sie sich offenbar vor Überraschung nicht gut auf die plötzliche Intimität einlassen konnte. »Grüß Arthur von mir, wenn du ihn siehst.« Es bedurfte nur eines kurzen Ablenkungsmanövers, um Ariadne noch einmal zurück ins Büro zuschicken. Nur ein: „Oh, ich glaube ich habe meine Brieftasche bei dir liegen lassen, könntest du noch einmal nachsehen?“, wodurch Eames genug Zeit hatte einen Zettel unter Arturs Bürotür hindurch zuschieben: 0212 5567785 Ruf diese Nummer an, es ist wichtig. Wir sehen uns, Eames Den Brief, der ebenfalls in seiner Innentasche ruhte, behielt er erst einmal für sich. Die Information, dass Arthur gerade bei seiner Ex-Freundin herumschwänzelte, hatte ihm genug Grund gegeben diesen erst einmal für sich zu behalten. Sie wechselten noch ein paar flache Sätze, dann drehte er Ariadne den Rücken zu und verließ das Büro ein letztes Mal als „netter Kerl“. Bei ihrer nächsten Begegnung würde sie ihm nicht mehr vertrauen. Wahrscheinlich nie wieder. Er kannte diesen Gedanken und das Gefühl, was damit einherkam sehr gut, aber dieses Mal brachte es ihm eine perverse Genugtuung. Er vermisste Arthur, aber noch mehr war er verletzt und wütend und darüber war ihm eine mittelmäßige Architektin kein Verlust. oh well, oh well apparently nothing apparently nothing at all -----///------ Arthur Arthur betrat den Fahrstuhl, diesmal war er zu müde, um die Treppen zu laufen. Er war allein darin, lehnte sich an die Wand, sein Kopf berührte das kühle Glas des Spiegels, seine Augen schlossen sich, er lehnte sich an eine breite Schulter, fühlte einen Moment in eine Ruhe bringende Umarmung hinein. „Wie hast du das geschafft?“, hatte seine Schwester ihn gefragt und ihn völlig perplex angesehen. „Ich wusste ja, dass nur du es schaffen würdest!“, hatte seine Mutter angefügt, ihm scheu über den Arm gestrichen, ihn leicht gedrückt. War das ihre Geste einer Entschuldigung? War das ihre Art ihm zu sagen, dass sie ihm dankbar war? Arthur fühlte sich leer, ausgelaugt, kraftlos. Die letzten sechs Stunden waren die Hölle gewesen. Seine Mutter hatte ihn angerufen, dass es seinem Vater nicht gut ginge. Er habe sich beim Heimwerken verletzt, jetzt habe sich die Verletzung entzündet. Sein Vater habe glasige Augen, hatte sie am Telefon gesagt. Fakt war, dass er kurz vor der Blutvergiftung gestanden hatte und bereits glühte. Arthur hatte das Meeting mit Kimberly unterbrochen, war nach Hause gefahren, dann hatte der Kampf begonnen. Er hatte seinem Vater keine andere Wahl gelassen, als ihn ins Krankenhaus zu bringen. Was folgte waren eineinhalb Stunden Beschimpfungen, Beleidigungen, Verachtung, Hass. All das, was er schon so oft gehört hatte - und noch mehr. Er hatte die Schimpftiraden an sich abperlen lassen, ihn ungerührt höflich behandelt. Er hatte all seine Geduld aufgebracht, hatte auf Durchzug geschaltet. Nun lag sein Vater im Bett, friedlich schlafend. Arthurs Blick hatte auf ihm geruht, bevor er gegangen war, und ein Teil in ihm flüsterte ihm auch jetzt noch zu, dass er ihn einfach hätte sterben lassen sollen, dass er diesem Mann nichts, aber auch gar nichts schulde. Das Klingeln des Fahrstuhls riss ihn von Eames‘ Schulter weg, ließ ihn die Augen öffnen. Die Türen öffneten sich. „Ted hat Dienst, sonst hätte ich ihn angerufen“, war die Aussage seiner Mutter gewesen. Arthur hatte den Blick gewendet und sie angesehen. Ted. Und gestern? Und vorgestern? Wo war das Mustersöhnchen da gewesen? Arthur wusste, warum sie ihn angerufen hatte und nicht Ted. Er hatte die Krankenhausrechnung bereits Anzahlen dürfen. Außerdem fuhr sein Bruder ganz gut mit seiner Einstellung, der alte Herr wisse schon, was er tue. Arthur hatte gelächelt. „Ist ja alles gut gegangen“, stellte er in den leeren Raum und es hallte daraus zurück: “Du willst mich ja nur umbringen! Du Mörder! Ich hasse dich!“ Warum tat er sich all das immer wieder an? Es war dieser Moment, in dem er sich vorgenommen hatte, nicht mehr falsch zu lächeln, sich nicht mehr benutzen zu lassen, loszulassen von dem, was nie existiert hatte. Er hatte genug. „Ich möchte nie wieder von euch angerufen werden“, hatte er zum Abschied gesagt und sich nicht in eine dieser aufgezwungenen Umarmung ziehen lassen. „Ich möchte, dass ihr mich nie wieder anruft, wenn ihr dabei kein ehrliches Interesse an mir habt. Hast du verstanden, Mutter?“ Sie hatte ihn nicht ansehen können, hatte nur genickt. Dann war er gegangen mit der Absicht, nie wieder zu kommen. Als er das Büro betrat, fing er einen Geruch ein, irgendetwas, das Erinnerungen weckte. Oder war es schon im Lift gewesen? Irritiert ging er durch den Flur auf sein Büro zu, öffnete die Tür und erblickte einen Brief. Zögernd hob er ihn auf, stellte seine Tasche ab, öffnete ihn. Sein Herz beschleunigte, sein Atem ging schneller, sein Kiefer mahlte aufeinander. Aus seinem Innersten drängte sich ganz ungewohnt ein Schrei nach oben, der sich ganz dringend entladen musste. „Aaaargh! Scheiße! Du blöder Mistkerl! Du elendiges Arschloch!“ Mit einer schwungvollen Bewegung räumte er den Tisch ab, schwer atmend blickte er auf das Chaos am Boden, das Chaos in sich. Er hatte das sehr dringende Bedürfnis, etwas zu zerstören! Doch er setzte sich und legte seinen Kopf auf die Tischplatte, schloss die Augen, um begreifen zu können, um durchzuatmen, um sich zu beruhigen. Eames war hier gewesen! Hier in ihrem Büro - und er hatte nicht auf ihn gewartet. Hier in New York - und er hatte ihn nicht sehen wollen. Hier in seiner Nähe - und er hat ihm nicht seine neue Telefonnummer gegeben. Die Nummer auf dem Zettel war es gewiss nicht. Arthur hatte das Gefühl, ein unfassbarer Schmerz zerreiße ihn. Und doch war da auch eine Stimme: Du bist selbst schuld! So konnte es nicht weitergehen. Er verlor die Kontrolle. Er kannte sich selbst nicht mehr. Nichts fühlte sich richtig an. Dieser Mensch, von dem ich rede, ist nichts als ein elender Lügner. „Wann war er da?“, fragte er, als er Ariadnes Schritte hörte, und sich abrupt wieder aufrichtete. Er blickte auf die Uhr, es war bereits Abend. „Und hat er gesagt, wo er wohnt? Was er macht? Wo er zu finden ist? Irgendeine Nachricht für mich?“ Ariadne Ariadne hörte Schritte im Flur. Arthur. Sie traute sich nicht, ihm entgegen zu gehen. Das alles heute war so seltsam gewesen. Eames Auftauchen, seine Bitte um Gehör, seine plötzliche Nähe. Die unerwartete Umarmung hatte sie verwirrt. Waren sie sich so nahe? Oder war das sein Dank? Aber so richtig wusste sie gar nicht, ob sie ihm wirklich hatte helfen können. »Danke. Du hast mir sehr geholfen; mehr als du vielleicht glaubst.« Etwas hatte sich in Eames‘ Gesichtsausdruck geändert. Dann diese Ablenkung mit dem Geldbeutel. Irgendwie nagte das an ihr und die vergangenen Stunden waren weit weniger produktiv, als ihr lieb gewesen wäre. Etwas übersah sie - oder wollte sie nicht wahrhaben. Das mulmige Gefühl, das sie auf seinen Wunsch hin weggeschoben hatte, war präsenter denn je. Arthurs Aufschrei ließ sie zusammenzucken, dann die Flüche, das Poltern. Sofort sprang sie auf und lief hinüber. Als sie durch die Tür blickte und Arthur sah, da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie, die sich gedanklich dafür gelobt hatte, ein Gespür für Menschen zu haben! Sie, die dachte, sie würde sich nie täuschen lassen! Sie, die es hätte besser wissen müssen! Sie war eingelullt, umgarnt, getäuscht worden. Der Forger hatte zugeschlagen. Sie war auf ihn hereingefallen. Seltsamerweise war das gar nicht das, was sie störte. Vielmehr irritierte sie, dass sie endlich begriff, was los war - zumindest im Ansatz. Sie begriff, dass es nie um einen Freund gegangen war. Sie begriff, dass es immer nur um Arthur gegangen war. Um Arthur und Eames selbst. Ab dem Moment, in dem sie so unüberlegt von seiner Ex-Freundin gesprochen hatte, hatte sich etwas verändert. Jetzt sah sie das ganz klar! Jetzt schon... Sie war so blöd gewesen, auf ihn hereinzufallen. Sie war so dumm, so naiv gewesen, so verdammt dämlich!!!!! Ariadne schluckte, als sie Arthurs Blick sah. Da war nichts Aufgeräumtes mehr. Darin war nur noch Chaos zu sehen, Chaos und Schmerz und und Wut und Enttäuschung und Sehnsucht und Hilflosigkeit. Das Lächeln war fort, weg. Was sie sah, erschreckte sie. Sie trat ein und blickte zur Uhr. „Wenn zumindest das gestimmt hat, dann sitzt er bereits im Flieger nach Kenia“, sagte sie leise und sah hilflos dabei zu, wie Arthur in sich zusammensackte und die Stirn auf dem Tisch ablegte. „Ich soll dir schöne Grüße ausrichten.“ Er lachte trocken auf. Sie setzte sich zu ihm. Es wurde eine lange Beichte. Arthur hörte ihr zu, die Augen geschlossen habend, regungslos, um Fassung kämpfend. „Es tut mir so leid, dass ich auf ihn hereingefallen bin. Es tut mir leid, dass ich so viel geredet habe - über Dinge, die ihn nichts angehen... Er hat mich komplett eingelullt. Ich komme mir so dumm vor. Wenn ich ihn jemals wieder zu Gesicht bekomme, dann...“ Sie verstummte, als sie das zweite Mal an diesem Tag eine unerwartete Umarmung erhielt. Diese erwiderte sie dankbar und innig. Arthur fühlte sich seltsam kalt an, kalt und zittrig. Entkräftet. „Lass das“, hörte sie ihn sagen. „Du kannst nichts dafür. Die Situation ist verworren und ich bin an seinem Verhalten nicht unschuldig. Im Gegenteil. Mach dir keine Vorwürfe. Mach ihm keine Vorwürfe.“ Es folgte ein sehr offenes Gespräch. Nie hatte sie sich Arthur so nahe gefühlt, auch wenn sie ahnte, dass sie noch immer nur an der Oberfläche kratzte. Im Grunde war ihre Einschätzung richtig gewesen. Arthur und Eames. Eames und Arthur. Ein seltsames Bild, aber kein hässliches. Nein, gar nicht. Hätte sie es auch nur geahnt, sie hätte etwas anderes zu Eames gesagt. Nein, sie hätte ihm in den Arsch getreten. Oder Arthur - bevor Eames so weit sinken musste. Sie nahm es sich für die Zukunft vor. „Ich brauch nen Tag frei.“ Sie nickte schweigend. Das konnte sie gut verstehen, alles konnte sie nun besser verstehen. „Nur einen?“ Arthur Sein erster Gedanke war gewesen, dass Eames ein feiges Arschloch sei, dass er es nicht einmal schaffte, ihm gegenüber zu treten, dass er nicht Mann genug war, ihm ins Gesicht zu sehen. Warum verhielt er sich so?! Warum kam er nicht zu ihm? Warum hatte er ihn nicht sehen wollen? War alles nur eine Lüge? War alles nichts? Galt der Schlüssel nichts? Hatte jener keine Sehnsucht nach ihm? Fühlte er nichts? Seine immerwährende Begleiter der letzten Tage des Schweigens bäumten sich auf und prasselten auf ihn hernieder. You see a man free who thinks he has to buy a key To a door but he can't 'cause he's poor and he can't Fall down anymore 'cause he's already on the floor And his heart is broken and all and this is his scar Doch während Ariadne berichtete, formte sich mit der Zeit auf diese Fragen eine sehr klare Antwort. Eine, mit der er erst einmal zurechtkommen musste. Eine klare Erkenntnis, die er schon in Italien hätte haben müssen. In dem Moment, in dem die Halle eingestürzt war, zusammen mit Jobs. In diesem Moment hatte begonnen, was ihn jetzt zu Boden drückte. Zugleich hatte Arthur eine unwiderrufliche Erkenntnis: er brauchte Eames mehr denn je, seine Stimme, seine Wärme. Er brauchte ihn trotz ihrer Differenzen und ihrem Unvermögen, aufeinander zuzugehen. Er brauchte ihn trotz der Stimme, die das Wort Lügner wieder und wieder wiederholte. Er brauchte Eames, und das Wichtigste: Eames brauchte ihn. Doch sie waren mal wieder weiter auseinander denn je. Um das zu ändern, mussten einige Dinge geschehen. Er sah es so deutlich vor sich. Zuerst musste er aus seinem See voll Selbstmitleid raus. Wer war eigentlich hier der Egoist? Sie beide. Sie waren beide sture, stolze Einsiedler. Aber es gab eigentlich jetzt kein allein mehr, nicht mehr gänzlich. Nicht, wenn sie ihr something wirklich wollten. Ariadnes Schilderung hatte ihm klar gemach, dass Eames an ihm festhielt, dass nur das Ego gelitten hatte, zurecht gelitten hatte. Wie seines. Es musste sich etwas ändern. Und ab heute würde sich etwas ändern. Ab heute ließ er einen Brocken Ballast hinter sich, der ihn schon viel zu lange blockierte, der zu lange ihm im Weg stand. Zeit sich wirklich um sich zu kümmern. Zeit sich frei zu machen. Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekanntgemacht, hob er sich plötzlich, wie an seiner eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal ihn herabgestürzt hatte, empor. Er atmete durch. I wanna be a lot of things, so much pent up inside of me I wanna be stronger, too long I've sat here undecidedly Planning strategy, half of me know it's all just a fallacy Failing miserably, drastically and then I crash dramatically Into a wall I've hit a hundred times before Arthur fuhr nach Hause. In dieser Nacht schlief er erstaunlich gut und ruhig. Das Wissen darum, dass es Eames zumindest körperlich gut ging, beruhigte ihn, nahm ihm ein Stück Last. Der Rest ergab sich, wenn sie sich wiedersahen. Wenn sie sich in die Augen sahen, ohne Groll. Wenn sie über Italien, über Tokio reden und sich zuhören könnten. Doch erst musste er sich wieder aufrichten, wenn sich etwas ändern sollte. Dann konnte er Thomas wieder gegenübertreten. ‘Wir sehen uns.‘ Is there a way for me to grow? I walk to you, rain falls from you Can you wash me, can you drown me, please? Er war lange nicht mehr trainieren gewesen, er gönnte es sich. Er war lange nicht mehr in seiner Wohnung gewesen, ohne zu arbeiten. Er hatte lange keine Musik gehört, gelesen, sich entspannt. Er holte es nach, schaffte es, den Kopf frei zu bekommen. Er musste sich sortieren und die Prioritäten ändern. Dann rief er die Nummer an, die Eames ihm gegeben hatte. Er erreichte niemanden, nur einen anonymen Anrufbeantworter. Er hinterließ eine Nachricht, seinen Namen, die Nummer eines Prepaid-Handys. Er blickte auf die Uhr, Mombasa. Der Kongress war in fünf Tagen. Genug, um hin und zurück zu kommen. Doch: Arthur wusste, wenn er nach Mombasa flog, würde er nicht mehr so bald zurückkehren. Ariadne würde es auch alleine schaffen, sie würde ihm den Rücken freihalten. Aber angesichts der Situation, dass er seine Beziehungen hatte spielen lassen, war es ungünstig. Noch war er nicht ganz an dem Punkt, für Eames alles stehen und liegen zu lassen. - Doch, diesmal vielleicht schon. Er würde es entscheiden, wenn er in Kenia angerufen hatte, wenn Eames zurückrief. Er buchte einen Flug für den nächsten Tag, druckte das Ticket aus und pinnte es an seine Wand. Er war lange nicht mehr essen gewesen. Sein Ziel an diesem Abend war klar: La Esquina Ihr Abend damals war eine schöne Erinnerung, auch wenn die Vorboten des Komas ihn hätten warmen müssen. Ob Eames in den letzten Tagen da gewesen war? Er betrat den Keller und blickte sich nach Candela um. Er sah sie nicht. Ein Kellner wies ihn auf einen Platz und er fragte ihn nach der Mexikanerin. Er zuckte mit den Schultern. „Ist heute früher gegangen.“ Arthur sah ihm an, dass er mehr wusste, als er sagen wollte, und dass er nervös war. In diesem Moment klingelte das Handy. „Hallo Arthur! Hier ist Candela. Hast du Zeit? Es ist etwas passiert.“ Sie hatten sich getroffen, sie hatte ihm erzählt, was passiert war. Als er am nächsten Morgen seinen Flug stornierte, fragte er sich, ob es ein schlechtes Omen gewesen war - wie damals vor dem Koma. Die Situation war schwierig, aber nicht unlösbar. Er könnte ihr helfen, könnte mit ihren Methoden herausfinden, wo sich die Kunstgegenstände von Candelas Familie befanden. Aber nicht allein. Dafür brauchte er ein Team. Arthur Vier Tage waren vergangen, seit er die aufgelöste Candela in ihrer Wohnung aufgesucht und mit zu sich genommen hatte, damit sie wirklich ungestört reden konnten. Seitdem recherchierte er und trug Informationen zusammen, um sich ein klares Bild von der Situation zu machen. Offenbar war ihr Ex-Freund, von dem Eames sie einst befreit hatte, nun Mitglied in einer Bande von Kunstdieben, die in Mexiko nur „Los espíritus“ genannt wurden – die Geister. Um sich zu beweisen (das glaubte zumindest Arthur), hat er sein Wissen um Candelas Familie genutzt, und der Bande Zugang zu einigen Kunstgegenständen verschafft. Darunter zwei Gemälde, aber auch Grabschmuck der Azteken, Keramiken und andere Kulturgegenstände waren darunter. Candelas Vater arbeitete als Kunsthistoriker im „Museo de Antropología e Historia“ in Merida auf Yucatan. Natürlich steht nun er im Verdacht, gemeinsame Sache mit den Dieben gemacht zu haben, und befindet sich in Untersuchungshaft. Bei Arthurs Recherchen stellten sich die ‚Geister‘ immer deutlicher als eine skrupellose Gruppe von Auftrags-Dieben und Bankräubern heraus, die durchaus auch über Leichen gingen und auch Unschuldige erschoss. Sie waren auf Motorrädern unterwegs, waren schnell und gut organisiert und hinterließen keine Spuren. Sprengsätze mit Säure und Öl, die sie nach ihrem Diebstahl in den Geldtransportern zündeten, zerstörten beispielsweise jegliche Fingerabdrücke oder andere Spuren. Daher weiß niemand, wer hinter der Bande steckt. Fakt war außerdem, dass die örtliche Polizei zum Großteil zwischen den Kartellen aufgeteilt war, und offenbar wenig Interesse bestand, der Bande, die auch schon in Kalifornien zugeschlagen hatte, auf die Spur zu kommen. Die anderen, die noch ihre Ehre aufrechthielten, waren letztlich machtlos. Von dieser Seite konnten sie keine Hilfe erwarten. Candela ahnt, dass ihr Ex seine Finger im Spiel hat, da er ihre Familie vor kurzen einen angeblichen „Höflichkeitsbesuch“ abgestattet hatte. Im Grunde konnte sie sich nicht sicher sein. Arthur recherchierte gründlich und ausdauernd, um alle Informationen heranzutragen, die ihnen wichtig sein konnten. Dass er gewillt war, Candelas Vater zu helfen, stand außer Frage. Allein das „Wie?“ war noch nicht geklärt. Er brauchte ein Team, ein funktionierendes, damit sie einer perfektionistischen Bande wie dieser das Handwerk legen konnten. Er brauchte sein Team von früher. Der Kongress war an diesem Abend und Dom hatte sich angekündigt, ebenfalls zu kommen. Zwei Stunden bevor jener ins Flugzeug stieg, schickte ihm Arthur unangekündigt alle Dateien, die er gesammelt hatte. Er würde den Flug über Zeit haben, zu lesen. Und das würde er, da war sich Arthur sicher – so wie früher auch. An jenem Abend neulich hatten sie über die frühere Jobs gesprochen. Das Leuchten in Doms Augen war nicht zu übersehen gewesen und hatte Arthur sehr beruhigt. Dom, eine gute Freundin braucht dringend Hilfe. Eine Extraction bei ihrem Ex-Freund könnte uns helfen, auf die Spur der Diebe zu kommen. Ich könnte mir vorstellen, dass es keine große Sache ist. Vermutlich springt dabei mehr heraus, als es augenscheinlich ist. Ich habe Verbindungen zu einem der Kartelle in Cancun gefunden. Freue mich, wenn wir uns später sehen! Arthur Eine Skizze, wie es ablaufen könnte, hatte er beigefügt. Stichpunkte, an welchen Schrauben sie drehen konnten. Tatsächlich hatte er schon begonnen über mögliche Labyrinthe nachzudenken, mögliche Traumebenen. Wobei der Exfreund sicher kein großes Hindernis darstellen würde. Schwieriger würde es dann werden, wirklich wieder an das Diebesgut heran zu kommen. Die Arbeit an dem Fall machte Arthur Spaß. Ariadnes und sein Projekt litt darunter nicht. Sie waren gut vorbereitet und Arthur hatte ohnehin das Gefühl, wesentlich mehr Energie zu haben, als noch vor ein paar Tagen. Sie würden auf dem Kongress gut sein, verdammt gut – da war er sich sicher. Wenn er den hinter sich gebracht hatte, dann kam Candela dran. Nur die Frage nach dem Team war noch nicht entschieden. Von Candela wusste Arthur, dass Eames etwas Wichtiges zu tun habe. Deswegen hatte er sie an ihn verwiesen. Doch Arthur spürte deutlich, dass Candela Angst hatte, Angst vor ihrem Ex – noch immer. Und er merkte außerdem, dass es ihr nur recht wäre, wenn Eames mit dabei wäre, auch wenn jener ihrem Ex sicher nicht über den Weg laufen sollte. Sie kannten sich, das würde den Einsatz des Fogers erschweren. Nichts desto trotz würde er helfen können. Das wusste er. Allein schon, weil er sich im Milieu der Kartelle besser auskannte, als Dom oder er selbst. Daher griff er zum Hörer und rief in Mombasa an. Es war dort bereits Nachmittag. Im Hintergrund hörte er den typischen Lärm einer Kneipe, Gläserrücken, Stimmengewirr, Lautstärke, ein Fernseher lief, vermutlich Fußball, jemand schrie eine Bestellung in Richtung Küche. „I’m Arthur. I have a message for Eames“, schrie er mehr als dass er sprach, nachdem am anderen Ende der Leitung bereits zweimal nachgefragt worden war, wer da dran sei. „Please tell him: Candela needs him. And Arthur, too. He has to check his emails.“ Auch ihm hatte er seine Zusammenstellung auf eine Plattform gelegt. Nun blieb abzuwarten, was geschehen würde. Jetzt würde er erst einmal losfahren, um Dom vom Flughafen abzuholen. Dom Als alteingesessenes Extractor (und einer der ersten und besten überhaupt), fühlte es sich merkwürdig an, wenn der Point Man anrief und einen Fall hatte. Das war nicht die klassische Art. Dennoch fühlte Dom dieses sonderliche Kribbeln im Nacken, wenn er daran dachte bald wieder in seiner alten Profession tätig zu sein. Er war lange genug einfach nur Daddy und Dozent gewesen; hatte sich lange genug in seiner Einfamilienhaus-Siedlung mit den perfekten Vorgärten versteckt. »Wird das jetzt wieder zur Gewohnheit?«, war die erste Frage, die er Arthur stellte, nachdem sie sich zur Begrüßung umarmt hatten. Es hatte eine Zeit gegeben, wo Dom jedes Muttermal in Arthurs Gesicht im Schlaf hätte aufsagen können, da sie sich quasi permanent gesehen hatten. Mittlerweile war diese Erinnerung bleicher geworden, aber er wusste, dass ein Teil dieser alten Vertrautheit noch in ihnen steckte. Mal hatte einiges mit sich genommen, als sie gestorben war, aber sie hatte auch einen Platz freigemacht. Und Dom hatte das Gefühl, dass sie dabei waren die Lücke zu füllen. Sie brainstormten in einem geschützten Raum, in Doms Traum in einem Cafee in Tokyo. Wieso ausgerechnet Japans Hauptstadt? »Trotz unschöner Ereignisse, hatten wir hier doch letztendlich eine verdammt gute Zeit, oder?« Dom ließ sich erklären was Arthur wusste, machte sich ein Bild von Candela, ihrem Vater und besagtem Ex-Freund, um den es letztendlich ging. »Wenn er sich in Yucatan aufhält, dann sollten wir nicht allzu lange zögern. Wir brauchen mehr Informationen über sein persönliches Umfeld, das kriegen wir nur, wenn wir vor Ort sind.« Sie mussten ein Szenario erschaffen in dem sich der Kerl wohlfühlte und wie es schien hatten sie nicht allzu viel Zeit. Dom wusste aus persönlicher Erfahrung, dass wertvolle Gegenstände unter Umständen schnell den Besitzer wechselten, bis sie an ihrem endgültigen Bestimmungsort angekommen waren. »Ich habe noch eine Frage.«, seine Finger strichen nachdenklich über sein Kinn und sein Blick war ins Unbestimmte gerichtet. Letztendlich wählte er seine Worte mit Bedacht, als er die letzte Frage stellte. Er hatte ihr Gespräch auf der Terrasse in Los Angeles nicht vergessen. »Brauchen wir einen Forger?« Oder auch: Muss Eames unbedingt dabei sein? Willst du ihn dabei haben? Und was passiert, wenn er kommt? Arthur Ja, sie hatten hier in Tokio eine verdammt gute Zeit gehabt. Gerade die Zeit direkt vor dem Job war so intensiv und schön gewesen, dass der Absturz umso heftiger gewesen war. Ein K.O. mit einem Schlag, mitten in den Magen, ins Herz. Arthur Empfand Doms Erinnerung an Tokyo vertraut und schmerzhaft. In diesem Café hatten sie sich am Morgen nach dem Billardspiel getroffen. Eames hatte ihn wie zufällig am Nacken berührt, ihm über die Schulter gestrichen. Er hatte so getan, als sei der vergangene Abend nie geschehen, als gäbe es keine tiefere Verbindung zwischen ihnen. Seit ein paar Tagen wusste er, was er Eames damit angetan hatte, wie sich jener gefühlt haben muss, wieder und wieder und wieder. Er war ein Arschloch gewesen, war es zum Teil immer noch. Lernen durch Schmerz... Er war seit damals nie wieder in Japan. Vielleicht sollte er das dringend einmal nachholen, am besten nicht allein. Wenn Eames und er dieses Kapitel in ihrem Leben endgültig abschließen wollten, dann müssten sie gemeinsam nach Tokio gehen - und zwar nicht auf Traumebene. Erinnerungen sind nur Grundierungen, die nachträglich ausgeschmückt und veränderte werden können. Arthur war vollkommen klar, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten. Würde Candelas Vater erst einmal der Prozess eingeleitet, wäre es vorbei. Die Mühlen zermahlten einen kleinen Fisch, der als Opfergabe dargereicht worden ist, ziemlich schnell. „Mateo Sánchez lässt sich gerade bei seiner Mutter durchfüttern. Er postet auf Twitter ihr Essen. Außerdem weiß ich, in welcher Kneipe er abhängt und dass er eine Schwäche für Wetten hat“, ergänzte er zu Candelas Ex. „alles andere klärt sich vor Ort. Ich habe für Ariadne und mich einen Flug für morgen Mittag gebucht“, erklärte er, zufrieden mit der Reaktion Doms. “Wegen mir gerne..“, hatte er bei der Begrüßung auf die Frage geantwortet, ob es wieder zur Gewohnheit werden würde. Verdammt, er vermisste es. Es war ihm leichtgefallen, die nächsten Schritte auf der Baustelle nach einer Besprechung der Bauaufsicht wirklich zu überlassen. Sicher würde es nicht ganz so rund laufen, wie wenn er vor Ort alles überprüfte, aber in Zeiten der modernen Medien musste er nicht mehr vor Ort sein. Und Ariadne war echt glücklich, als er ihr die Option unterbreitet hatte, mit nach Mexiko zu kommen. „Wir sehen uns um und bereiten ein Szenario vor. Ich habe einen wirklich brillanten Hacker an der Hand und würde ihn mit ins Team holen. Das macht vieles leichter. Ist das in Ordnung für dich?“ Arthur wusste schon, bevor Dom sprach, was jener noch geklärt haben wollte. »Brauchen wir einen Forger?« Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen. „Einen Forger brauchen wir vermutlich nicht“, antwortete er direkt. „Sánchez kennt ihn, was eher gefährlich als hilfreich sein könnte.“ Er streckte sich leicht. Ja, das konnte sehr gefährlich für Eames werden, was Arthur gar nicht schmeckte. „Aber Eames brauchen wir dennoch. Ich habe schon versucht ihn zu kontaktieren, aber er muss wohl beschäftigt sein. Vielleicht schafft er es gar nicht. Ich habe noch keine Rückmeldung. Allerdings würde es Candela gut tun. Sie hat Angst vor ihrem Ex und Eames ist der Rücken, der ihr Zuversicht gibt.“ Soweit zu Candela. „Alles andere wird sich klären und kein Problem darstellen. Ich werde das klären.“ Er sah Dom fest ins Gesicht mit einem Mach dir keine Sorgen, wir sind erwachsene Menschen- Ausdruck, der Dom gewiss nur bis zu einem gewissen Punkt beruhigte. Doch Arthur hatte definitiv vor, ein paar Sachen zu klären. Arthur wollte nicht mehr jemand sein, der davonlief. Er wusste, dass er eine große Ladung Frust und Enttäuschung würde abfangen müssen. Vielleicht auch die Erkenntnis, dass es kein something mehr gab, vielleicht auch das Wissen, dass es dieses nie gegeben hatte. (Wobei er das nicht mehr wirklich glaubte.) Er würde sehen, was geschah, und er würde damit umgehen können. Dessen war er sich sicher. Doch jetzt stand erst einmal der Kongress an. Dmitrij Teteruk Als wäre Manhatten nicht auch so schon der überfüllteste Ort der Welt, schienen sich die Menschen nahezu zu stapeln, wenn ein Event im Javits Center stattfand. So auch während des „New Yorks Architektur im Wandel“-Kongresses, der seit einem halben Jahr groß angekündigt worden war. Kein Event das Dmitrij aus reinem Interesse am Thema besuchen würde. Sicherlich war „Architektur“ im weitesten Sinne mehr in sein Sichtfeld gerückt; immerhin hatte sich in der Traumindustrie ein neuer Geschäftszweig für ihn eröffnet. Aber welche süßen, neuen Projekte von den achso-engagierten, jungen Durchstarter-Architekten gerade boomten tangierte ihn dann doch eher peripher; wenn überhaupt. Und doch war er vor Ort, hatte sich ein schickes Hotelzimmer am Central Park gebucht und flanierte nun in seinen schwarzen Krokodillederschuhen über die 11th Avenue in Richtung des Javits Centers. Er musste nicht anstehen; er kannte da jemanden. New York war nicht seine Home-base aber eine seiner Spielwiesen geworden. Um ihn herum tümmelten sich Journalisten und das „Who is who“ der New Yorker Architektur-Elite; Peter Pennoyer, Annabelle Selldorf, Steven Harris; wichtige Persönlichkeiten, die Dmitrij allesamt einen Scheiß interessierten. Er trank einen Martini mit Esther Sperber von Studio ST Architecture; erkannte den frischgebackenen Chief des New Yorker Police Departments Jerry Monahan am Pissoir und fühlte sich alles in allem recht wohl. Es waren sogar ehemalige Klienten dabei; schutzbedürftige, reiche Saftsäcke. Als er sich heimisch gemacht hatte; das Gebiet ausgelotet hatte und sein Gesicht ausreichend in die Kameras gehalten hatte, die auf die Personen gerichtet war mit denen er anstieß; machte er sich endlich auf, um sein wahres Ziel für den heutigen Tag zu verfolgen. Die Newcomer-Halle war sicherlich nicht die beliebteste. Wie in nahezu jeder Profession wurden auch Neulinge unter den Architekten erst einmal belächelt; gab es doch große, lebende Halbgötter, die mit ihren magischen Händen schier unmögliches vollbrachten. Für diese Messe jedoch brauchte es bereits einiges an Können oder zumindest fantastische Connections (häufig sogar beides), um überhaupt dabei sein zu dürfen. Man würde sich also keineswegs mit halbgaren Konzepten herumärgern müssen. Der Stand von „Fontaine & Moore Architects“ lag nahe des Raucherausgangs, was für einen guten Fluss an Laufkundschaft sorgte. Gerade unterhielt sich eine adrette Reporterin mit einer jungen Architektin, die Dmitrij als Kimberly Peck erkannte. Er hatte schließlich auch seine Hausaufgaben gemacht. Daneben, ebenfalls halb in das Gespräch involviert stand der Grund seines Auftrittes. Er wirkte älter, als damals; irgendwie reifer. Zu ihrer Zeit bei der Navy hatte er den vermeidlichen Jungspund nur schwerlich ernst nehmen können. Zumindest solange bis er sich bewiesen hatte. Danach waren sie ein wirklich exzellentes Team geworden. Sogar mehr als Arthur zu diesem Zeitpunkt begriffen hatte. Er rückte sich die Brille tiefer ins Gesicht und trat dann näher an den Stand heran. Seine Hände waren in seinen Hosentaschen versunken, was seiner disziplinierten Haltung etwas Absurdes verlieh. Er hatte den gewissen elitären Habitus nicht verloren. Das war wahrscheinlich einer der Hauptgründe wieso ihm seine Männer damals so bedingungslos gefolgt waren: er wusste was er tat, er war in der Lage alles zu ertragen, er war der strengste Boss den sie je gesehen hatte und wirkte trotz dessen, als hätte er die Freiheit jedem Klischee zu widersprechen. »Ein interessantes Stück. Was ist das?«, er deutete auf eins der Modelle. Seine Stimme war schwer zu überhören, dazu musste er nicht einmal laut sein. Arthur Der Kongress war purer Stress. Stress, der sich auszahlen würde. Arthur war sich sicher, dass er in der Stimmung, in der er vor ein paar Tagen gewesen war, das hier nicht schadlos überstanden hätte. Nun aber spürte er eine schier endlose Energie, die ihn durch die Präsentation, die Gespräche und Fragen trug, ohne dass sein Lächeln aufgesetzt sein musste. Es lief, und als er mit Kimberly, Ariadne, Dom und einem Glas Sekt anstieß, war er sehr zufrieden mit ihnen. Arthur blickte auf die Uhr, in einer Stunde wäre der Spuk bereits wieder vorbei. Danach würden sie feiern gehen. Sie hatten viele Visitenkarten verteilt, viele aussichtsreiche Gespräche mit Kollegen vom Fach und der Baubranche allgemein geführt. Auch von der Presse kam Rückmeldung zu dem Film, dessen Kosten nicht unerheblich gewesen waren, der sich aber auszahlen würde. Die Publicity, die sie hier abgriffen, würde hilfreich sein für die Folgeaufträge. Dass Kim ihn so sehr unterstützte, obwohl er sie damals so ausgenutzt hatte, wunderte ihn noch immer. Als er sie darauf angesprochen hatte, ihr gesagt hatte, dass er damit gerechnet hatte, die Tür vor Seenadel zugeschlagen zu bekommen, hatte sie mit einem Schmunzeln geantwortet: ‚Ich hatte ja auch profitiert. Ich war mit dem hübschesten und klügsten Studenten zusammen. Es standen viele bereit, mich zu trösten. Und ich konnte mir zumindest einbilden, dass ich die einzige Frau gewesen bin, die du je an deinen schönen Körper rangelassen hast.‘ Er hatte das etwas perplex so stehen gelassen. Dass gerade letzteres nicht ganz richtig war, musste sie nicht wissen, schließlich hatte er mit einem Outing mit ihr Schluss gemacht. Nun stand sie neben ihm, unfassbar attraktiv und selbstbewusst, und legte sich für ihn ins Zeug. Arthur lächelte die Reporterin an, warf hin und wieder einen Kommentar ein. Sie spielten gut zusammen, auch Ariadne kam gut mit ihr zurecht. Arthurs Lächeln erstarb abrupt, als er eine Stimme vernahm, die ihm durch Mark und Bein ging. Arthur spürte, wie sich sein Innerstes verkrampfte, er schloss die Augen und besann sich, ruhig zu bleiben. Atme, Arthur, atme. Er hätte ahnen, nein wissen müssen, dass die Grüße, die Dom ihm hatte ausrichten sollen, ein Vorbote gewesen war, ein schlechtes Omen, wie Nebelschwaden, die ihre sich windenden Finger gierig nach einem Opfer ausstrecken. Als er die Augen öffnete, sah er, dass Kimberly ihn fragend anblickte. Seine Hände entkrampften sich. Aber sein Innerstes nicht. „Entschuldigen Sie bitte“, sagte er zur Reporterin, nickte Kim kurz zu. Er erzwang sich ein Lächeln, als er sich umdrehte und Dmitrij Teteruk zuwandte. Es war erstaunlich, welch Aura der Macht diesen Mann noch immer umgab, auch wenn er keine Uniform trug. Sie hatten sich seit vier Jahren nicht gesehen und Arthur wäre es recht gewesen, diesen Mann nie wieder in seinem Leben sehen zu müssen. Dmitrij Teteruk war in seinen Augen ein Soziopath, der skrupellos über Leichen ging, um sich zu bereichern. Leider hatte er das damals viel zu spät erkannt, hatte zu lange geglaubt, etwas Gutes zu tun, als er für dessen Seal-Team Übungs- und Einsatzszenarien konstruiert hatte, um die Männer auf ihre Einsätze vorzubereiten. Leider hatte er zu spät gemerkt, dass ihm niemand glauben würde, dass niemand diesen Menschen durchschauen konnte, außer ihm selbst. Leider war ihm viel zu spät bewusst geworden, dass er von diesem Mann nur ausgenutzt worden war, dass er ihn benutzt hatte in vielerlei Hinsicht. Er hatte ihn umgarnt, bis er seine Schwächen kannte, ihn verwoben in sein Netz aus Verbrechen, ihn und seine Fähigkeiten an sich gebunden, ihn bewegungsunfähig gemacht und missbraucht, geistig, körperlich. Arthur hatte sich in einem enormen Kraftakt von seinen Fesseln gelöst. Er hatte anschließend lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Drei Monate hatte er bei Mal gewohnt, schweigend, verarbeitend, hoffend, diesem Menschen nie wieder begegnen zu müssen, fürchtend diesem Mann wieder zu begegnen. Jetzt stand er vor ihm. „Mr. Teteruk“, begrüßte er ihn und reichte ihm die Hand. Sie standen sich gegenüber, ihr Händedruck war fest, genau wie ihr Blick. Er wusste, dass jener kurz nach seinem Ausscheiden beim Militär in höchsten Ehren für die Verdienste auch dem Militär den Rücken gekehrt hat. Er wusste, dass jener einen Secret Service leitete, der in den höchsten Kreisen agierte. Er hatte einen Namen, galt als einer der besten. Arthur hatte ihn im Auge behalten, seine Feinde musste man beobachten. „Das ist das Modell zu einem Stadthaus in lower Manhattan, das meine Partnerin und ich gerade renovieren lassen“, sagte er knapp, entließ die Hand und wandte sich dem Modell zu, bevor die seltsame Stille zwischen ihnen jemandem auffallen würde. Sicher hätte er Smalltalk führen können. Doch im Grunde hatte er keine Lust dazu. Er wollte nichts von ihm wissen. Er wollte nicht einmal mit ihm sprechen. Dennoch rang er sich ein „Sind Sie geschäftlich hier?“ ab. Dmitrij Teteruk Nach all den Jahren noch immer dieselbe – oder zumindest eine vergleichbare – Reaktion in Arthur auszulösen bereitete Teteruk eine milde Befriedigung. Das würde ein leichtes Spiel werden. Er ließ ihn zu sich kommen, wartete in Ruhe wie die Spinne im Netz. Der Handschlag war fest; als müsste Mister Moore dringend beweisen, dass er in dieser Konstellation keineswegs unterlegen war. Das war gut; ein Beweis für Teteruk, dass Arthur Kraft aufbringen musste, um ihm geraden Blickes entgegenzutreten. »Nicht rein geschäftlich.«, antwortete er und ließ seinen Blick nicht mehr von Arthur ab, der sich bestimmt dem Modell vor ihnen zugewandt hatte. »Ich suche einen Architekten.« Teteruk gehörte zu den Russen, die so gut assimiliert waren, dass ihr Akzept kaum eine Rolle spielte. Nur wenn er, wie gerade, in eine Art Plauderton verfiel, konnte man die schroffen, kehligen Töne und das rollende „r“ heraushören. »Ich habe gehört, dass ein Extractor hier in New York aktiv sein soll. Wissen Sie etwas darüber, Mister Moore?«, fragte er anschließend ganz ungeniert, als wären sie zwei alte Freunde, die über solcherlei Dinge eben sprachen. Im Grunde war es ja auch ein essentieller Teil ihrer Vergangenheit, wenn auch etwas überschattet durch unvorteilhafte Ereignisse. Arthur Der Akzent, diese Stimme - Bilder tauchten auf, Bilder eines schwitzenden Körpers über seinem, Erinnerungen an geflüsterte Worte in einer Sprache, die er nicht verstand. Bilder, die er vergessen gehofft hatte. Arthur wurde schlecht. Er spürte den bohrenden Blick auf sich, fühlte sich unwohl, auch wenn man ihm das nicht ansah - zumindest hoffte er das. Nicht rein geschäftlich? Auch privat? Die Verkrampfung in sich wand sich schmerzhaft in wager Vorahnung. Das war alles kein Zufall. »Ich suche einen Architekten.« Arthur verzog keine Miene, als er sich ihm wieder zuwandte und Teteruk ansah. Es war, wie er vermutet hatte. Dieses Gespräch galt von Anfang an einem anderen Thema. Ihm wurde übel, doch seine antrainierte Fassade hielt. Sie musste halten. Genau für solche Begegnungen war sie bestimmt. „Nun, da sollten Sie ja hier auf dem Kongress gewiss fündig werden“, entgegnete er leichthin und machte eine ausladende Geste, die andeuten sollte: aber nicht an diesem Stand. Teteruk schien unbeeindruckt, musterte ihn mit diesem Blick eines Jägers, dessen Beute nicht entkommen konnte. »Ich habe gehört, dass ein Extractor hier in New York aktiv sein soll. Wissen Sie etwas darüber, Mister Moore?« Arthurs Stirn runzelte sich, so als begreife er nicht, was jener sagte. Er blickte ihn fragend an. Er war bei den Seals nur Architekt gewesen, niemals hat er wissentlich preisgegeben, dass er in einem Team mit einem Extractor und einem Forger gearbeitet hatte. Dass das Militär eigene Traumdiebe hatte, war ihm bewusst, aber eine solche Sicherheitsstufe hatte er nie gehabt. Offiziell wusste er also nichts davon. Gleichzeitig ratterte es in seinem Kopf. Meinte er Dom? Der war hier lange nicht in NY tätig gewesen. Meinte er Eames und den Jobs-Fall? Er zwang sich gelassen zu sein, überkreuzte locker seine Arme vor der Brust. „Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, Mr. Teteruk“, antwortete er, während er an die Aufzeichnung dachte, die ihm sein Bruder in Bildern unter die Nase gerieben hatte. Er und Eames, die in den Fahrstuhl steigen, aber nicht herauskommen. Sein Bruder war ein Idiot, Teteruk leider nicht. In den heutigen Zeiten war es schwer, seine Spuren zu verwischen bei allem, was digital ist, auch wenn Jesse sicher alles versucht hatte. Das war vor acht Jahren so viel einfacher. Arthur spürte das beruhigende Gefühl seiner Clock an seiner Seite und überlegte, ob er seine Waffe ziehen sollte. Ein gezielter Schuss in die Kniescheibe gefolgt von einem Schlag gegen den Kehlkopf. Teteruk würde nur noch röcheln und zwischen einigen schmerzvollen Atemzügen würde er ihm sagen, was er von ihm hielt, wie sehr er ihn hasste für das, was er ihm angetan hatte. Vielleicht hätte er dann noch den Moment, ihm einen Kopfschuss zu verpassen, bevor Ariadne oder Dom ihn von ihm wegzerren würden, oder die Security ihn über den Haufen schoss. Er spürte, wie seine rechte Hand unbemerkt unter sein Jackett glitt, wie sie seine Waffe suchte und sein Daumen sich auf die Sicherung legte. Dmitrij Teteruk Die Unschuld vom Lande konnte Arthur gut verkaufen. Teteruk war ihm damals sogar fast auf den Leim gegangen. Er hatte sich in der Gegenwart des konsultierten Architekten eine Sekunde zu lange in Sicherheit gewägt. Er hatte Arthur dafür bestraft, dass er diese Dreistigkeit besessen hatte. Ein weiteres Mal würde er nicht so leichtsinnig sein. Sein geschulter Blick bemerkte die unauffälligen Bewegungen, die Arthur mit seiner Hand machte und in seinem Kopf lief bereits das Standart-Konterprogramm ab, dass sie (unter anderem auch zusammen) bereits hunderte, wenn nicht tausende Male auf Traumebene durchgegangen waren. Zusammen, mit den Seals, im Einsatz. Aber die Chance, dass Arthur in aller Öffentlichkeit auf ihn schoss schätzte er dann doch unter 1% ein; deswegen hatte er ja auch den Kongress gewählt, um ihn anzusprechen. Ein kühles Lächeln, das sich nicht auf seine Augen ausbreitete, umspielte seine Lippen, als er einen Schritt näher an Arthur herantrat. Er drang tief und dominant in seinen persönlichen Sicherheitsabstand ein. Seine Habichtaugen waren hoch aufmerksam auf ihn gerichtet. »Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Und ich bin begeistert von Ihrer Entwicklung, so viel sollten Sie wissen. Aber versuchen Sie bitte nicht mich für dumm zu verkaufen.«, antwortete er mit gesenkter Stimme, aber in unbestechlich freundlichem Tonfall. Von außen erschien er immer noch so, als würde er nur mit Arthur plaudern. »Also; kennen Sie einen Extractor hier? Und ich meine nicht ihren netten Freund dort drüben, der Ihnen meine freundlichen Grüße überstellt hat. Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass unser Mister Cobb seit ungefähr einem Jahr nicht mehr aktiv im Einsatz war.« Er winkte besagtem Extractor, wie ein Kumpel vom Segelclub, als dieser auf die merkwürdige Konstellation zwischen den beiden aufmerksam würde. Dann wandte er sich wieder Arthur zu. »Nehmen Sie das.«, er reichte ihm eine Visitenkarte von seiner Firma. Auf der Rückseite stand eine E-Mailadresse und eine Mobiltelefonnummer. »Ich würde mich freuen Sie in naher Zukunft auf einen Kaffee einladen zu dürfen. Ich habe da ein Angebot für Sie, das Sie schwerlich abschlagen können.« Arthur Arthur sah, wie Teteruk ihn weiter unbeirrt anblickte. Er sah, wie seine Augen glänzten, während er ihn mit seinem Blick zu durchdringen schien. Er sah die Aura der Macht, die diesen Mann umgab. Aber er sah noch etwas, etwas, das ihm den Atem stocken ließ. In diesem Blick, der ihm noch lange nachgehen würde, der ihn einige Zeit verfolgen würde, lagen Herablassung, Kälte, Amüsement – und Wissen, das Arthur nicht hatte. Er hatte versucht, ihn zu irritieren. Aber Teteruk war zu erfahren, um sich aus der Ruhe bringen zu lassen, er war solche Gespräche gewohnt. Es waren nichts anderes als Duelle, nur ohne Waffen. Und der ehemalige Chef einer Elite-Soldaten-Einheit hatte noch keines dieser Duelle verloren. Arthur spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken herunterjagte, als dieser Mann auf ihn zutrat, an ihn herantrat. Er spürte den unbändigen Drang, auf Abstand zu gehen, aber er riss sich zusammen, hielt seine Fassade, hielt den Attacken stand. »Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Und ich bin begeistert von Ihrer Entwicklung, so viel sollten Sie wissen. « Er wollte ihn nur verunsichern, ihn brechen. Ihm wurde übel. Doch als wollte Dmitrij Teteruk das Messer noch einmal umdrehen, das er gerade in Arthurs Eingeweide gerammt hatte, drehte er sich in diesem Augenblick zu Dom um. Und lächelte. Arthur schluckte, als Teteruk Dom zuwinkte. Da war es: Wissen. Wissen um Dinge, die niemand wissen konnte, wenn er nicht selbst in der Branche unterwegs war. Wissen, das Macht bedeutete. Wissen, das sich gegen alle um ihn herum richten könnte. Arthurs Gedanken überschlugen sich. Kannte er dann Eames (noch) nicht? Er hatte ihn gesehen, auf Traumebene. Er hatte ein Gesicht, aber keinen Namen dazu. - Oder? Hatte er Teteruk unterschätzt? Hatte er wirklich geglaubt, jemand wie dieser Mann würde sich mit einem Friedensvertrag zufriedengeben? Teteruk lächelte und man merkte, wieviel Berechnung darin lag, wie sehr er versuchte, ihn zu verunsichern, ihn damit für sich einzunehmen. Arthur beobachtete, wie der Ex-Seal sich in Rage redete. Seine Finger lagen noch immer auf seiner Clock, er ließ sein Gegenüber keine Sekunde aus den Augen. Immer noch spielte ein Teil von ihm mit dem Gedanken, dieses Gespräch einfach mit mehreren Schüssen zu beenden. Später sollte er sich ärgern, dass er es nicht getan hatte. Arthur hörte das Gemurmel der Stimmen um sich, das Klirren von Gläsern, vor dem Fenster den Verkehr auf der Straße rauschen, das Hupen eines Lastwagens Ariadnes Lachen. Kimberly, die etwas sagte. Seine Hand lockerte sich wieder, glitt unter dem Jackett hervor. Er konnte nicht all die, die hier für ihre Sache arbeiteten, in etwas hineinziehen, wofür sie nichts konnten. »Nehmen Sie das. - Ich würde mich freuen, Sie in naher Zukunft auf einen Kaffee einladen zu dürfen. Ich habe da ein Angebot für Sie, das Sie schwerlich abschlagen können.« Arthur starrte die Karte an. Las die Worte, ohne ihren Sinn zu erfassen. Ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte? Er war sich sicher, dass er jedes Angebot, das ihm der andere jemals stellen würde, abschlagen würde! Ich weiß, was Sie nach ihrem Rauswurf getrieben haben, Mister Moore. Was wusste er?! Er bluffte! Arthur zögerte, griff schließlich nach der Karte und musste sich stark zusammenreißen, dass seine Hand nicht zitterte. Er schwieg. Zu allem. Er hatte diesem Mann nichts zu sagen. Teteruk nickte ihm mit einem kalten Lächeln zu, trat nun zurück und verschwand in die Menge, die ihm hier viel zu viel Sicherheit geboten hatte. Kein Zufall. Mit zitternder Hand starrte Arthur auf die Karte, er schwitzte, seine Augen waren glasig. Er machte zwei Schritte nach vorne, er wollte Teteruk doch folgen, ihm sagen, dass er niemals für ihn arbeiten würde, dass er ihm bei ihrer nächsten Begegnung eine Kugel in den Kopf jagen würde, ihm den Kaffee ins Gesicht schütten würde... Er hörte, wie jemand seinen Namen sagte. Die Stimme schien immer lauter zu werden. Etwas hielt ihn am Arm, besser gesagt, jemand. Er machte einen Schritt, er schwankte leicht. Die Stimme lenkte ihn ab. Es war Ariadnes Stimme, die ihn endgültig zurückholte aus seinen eigenen Schatten, zurück in die Halle. Und es war seine eigene Stimme, die etwas zittere, als er sie ansah und nachfragte, was sie soeben gesagt habe. Teteruks kaltes Lächeln brannte noch immer auf seinem Gesicht. Dom Er hatte den Mann zu spät bemerkt, der sich Arthur genäherte hatte. Zu lecker war der Sekt und zu heiter die Stimmung mit Ariadne und Kimberly gewesen. Er sah etwas in Arthurs Gesicht entgleiten, dass ihm Angst machte, auch wenn er es nicht definieren konnte. Irgendetwas war da, auch wenn es sorgfältig verpackt und im tiefsten Innern versteckt worden war. Das Winken des merkwürdigen Typen - - Teteruk - erwiderte er irritiert und machte dann Ariadne auf das Geschehen aufmerksam. Der Kerl hatte ihn vor einigen Tagen angesprochen, kurz bevor Arthur nach LA gekommen war, es wirkte wie reiner Zufall. Er sagte er kenne ihn aus Arthurs Navy-Zeit; sagte er wäre ein Bekannter, ein Freund. »Wer ist dieser Kerl?«, murmelte er, halb zu ihr, halb zu sich selbst. Kaum war der Typ mit der straffen Haltung in der Menge verschwunden eilte Ariadne bereits auf ihren Freund und Arbeitskollegen zu und hinterließ Dom etwas ratlos. Ariadne und er hatten ihn aus einer Art Schockstarre herausgeholt. Natürlich erhielten sie nicht die Antworten, die sie gern hätten. Arthur war ein Buch mit sieben Siegeln und Meister im Vortäuschen, es hatte keinen Zweck, obwohl beide spürten, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. »Ich habe ihn noch nie so erlebt. Glaubst du er ist bereit einen Job anzunehmen?«, fragte er Ariadne in einer ruhigen Minute und bemerkte sogleich die Ironie an der Frage. Sie hatten bereits fast fertig abgebaut; sie waren einer der letzten Stände in der Halle, da der Andrang auch gegen Ende nicht abgerissen war. Damals war er derjenige gewesen, der Probleme gehabt hatte (und vermutlich war ein Zwischenfall mit Mal noch immer nicht komplett auszuschließen). Nun musste er anscheinend Arthur dasselbe Vertrauen entgegenbringen, wie er damals verlangt hatte. Arthur Es war spät, als sie seine Wohnung betraten. Sie hatten Ariadne bei ihr zu Hause abgesetzt, nachdem sie noch essen waren, noch gefeiert hatten. Arthur hatte Dom einen Whiskey eingeschenkt, sie hatten sich noch auf den Balkon gesetzt, sich über New York unterhalten, den Kongress, ihr Projekt, Mexiko. Zum Glück hatte jener aufgehört Fragen zu stellen, deren Antwort er nicht aussprechen wollte, zum Teil nicht konnte. Sie waren zu Bett gegangen, doch Arthur war mehr als klar, dass er in dieser Nacht keine Ruhe finden würde. Schon beim Betreten der Wohnung fühlte es sich seltsam an. Die Aussage von Teteruk, er wisse alles von ihm, ließ ihn das Gefühl haben, ständig beobachtet zu werden. Dass dieses Gefühl auch in seiner eigenen Wohnung bestand, beunruhigte ihn nur noch mehr. Es biss sich fest, hartnäckig, ausdauernd. Wie ein Raubtier, das versuchte, das Genick zu fassen zu bekommen. Mit einem Mal fühlt er sich gefangen an einem Ort, der eigentlich sein Lebensmittelpunkt war , fühlte sich beobachtet an seinem Ort des Rückzugs. Gleichzeitig schalt er sich einen irrationalen Idioten, der an Paranoia litt. Teteruk wisse alles?! Vermutlich nur ein Bluff - oder aber auch nicht. Was könnte er schon wissen? Was hatte er schon groß getan seit damals? Er hatte offiziell versucht ein normales Leben zu führen, ein Leben, wie es seinen Eltern gefiel. Er hatte augenscheinlich für verschiedene Architekten gearbeitet. Er hatte ganz regulär Geld verdient. - aber eben auch gelegentlich weniger als Architekt als vielmehr als Pointman Dom zur Seite gestanden. Sie waren enorm gewachsen, waren besser als vor Tokio, vor dem Militär. Er hatte unter Teteruk auch viel gelernt, er hatte sich dort perfektioniert. Dom und er hatten sich im Anschluss sehr gut eingespielt, mit wechselnden Architekten, mit verschiedenen Chemikern, mit verschiedenen Forgern. Nicht dauernd, aber immer wieder. Der Kern war konstant und brillant. Aber offiziell war er einfach nur ein freischaffender Architekt. Doch Teteruk wusste über Dom Bescheid, auch wenn er ihm das mit keiner Silbe bestätigt hatte. Was wusste er noch? Die zweite Frage war: Was hatte Teteruk gewollt? Er hatte ihn nach einem weiteren Extractor gefragt. Gab es noch einen Extractor außer Eames, den jener gemeint haben könnte? Könnte es noch einen geben? Er würde Dom bei Gelegenheit fragen. Oder bedeutete das, dass Teteruk doch schon Eames auf dem Schirm hatte? Oder stand das Wissen um einen weiteren Extractor eigentlich gar nicht wirklich im Vordergrund? War es nur Täuschung? War das Wesentliche eigentlich nur gewesen, ihm einen Job anzubieten? Wie kam er darauf, dass er diesen annehmen würde? Fragen über Fragen - nein, er würde in dieser Nacht keine Ruhe finden. Er hatte nur eine sichere Antwort: Dmitrij Teteruk ist ein Meister der Berechnung und Manipulation. Im Grunde wusste er nichts mit Bestimmtheit, außer dass dieser Mann unfassbar gefährlich war. Teteruk lachte sich vermutlich gerade ins Fäustchen, dass er ihn so hart getroffen hatte. Jener hat ihn gewiss durchschaut. Ab dem Moment, in dem er Dom angelächelt hatte, wie ein Bauernopfer in einer größeren Schlacht. War das eine Drohung gewesen? War die Frage nach dem Extractor nicht nur Täuschung, sondern auch Drohung gewesen? Arthur wollte nichts zu Dom sagen oder zu Ariadne. Das alles zu erklären war zu kompliziert und noch zu unspezifisch. Aber er musste sie warnen, sobald er weiß, was dahintersteckt, sobald er ahnt, was Teteruk vorhatte. Was will Teteruk? Was sollte dieses Angebot sein? Und diese Formulierung: er könne es schwerlich ausschlagen. Eine ungewöhnliche Formulierung. Oder sah er Gespenster? Er hatte schmerzlich lernen müssen, dass man jemanden wie Dmitrij Teteruk niemals unterschätzen sollte. Er hatte gesehen, mit welcher Leichtigkeit jener über den Tod von 50Zivilisten entscheidet, nur weil das Dorf dieser Menschen auf einem Gebiet seltener Erden liegt, deren Wert in die Milliarden geht. Er hatte es gesehen, wie dieses Dorf dem Erdboden gleich gemacht worden ist, unter dem Vorwand, ein Taliban-Führer halte sich dort auf. Er hatte das Lächeln auf den Lippen dieses Mannes gesehen, zufrieden damit, einem der größten Technik-Zulieferer nun ein Grundstück verkaufen zu können, dessen Wert in keiner Weise den Hunderttausenden Dollars entsprach, die offiziell geflossen waren. Arthur hatte mit all dem sich seine Freiheit zurückgekauft. Er hatte Dokumente vervielfältigt, in Sicherheit gebracht und benutzt, um sich aus dem Netz der Spinne zu befreien. Er hatte Ängste ausgestanden, die er vergleichbar niemals vorher noch hinterher empfunden hatte. Erst neulich, als er auf Sizilien unter einer Dusche gestanden hatte, war eine gleichwertige Angst durchgebrochen und hatte ihm das Atmen schwer gemacht. Der Gedanke, dass Teteruk ihm einen Job anbot, zusammen mit dem Wissen, dass jener gewohnt war, alles zu bekommen, was er wollte, erschreckte ihn zutiefst. Von welcher Seite kam der Angriff? Wo würde er ihn treffen wollen? Was hatte er gegen ihn in der Hand? Denn Teteruk durfte so klar sein wie ihm, dass er nicht freiwillig für diesen arbeiten würde. Dom? Ariadne? Eames? Arthur stand auf dem Balkon, rauchte, blickte über den nächtlichen Central Park. Dom war bereits schlafen gegangen. Arthur genoss die angenehm kühle Luft, die nachts die Hitze des Asphalts ablöste. Der Sommer nahte und schickte Vorboten. Er blickte auf sein Handy, las seine Mails. Nichts. Nichts von demjenigen, dessen Stimme er gerade gerne hören wollte. Der Wunsch, Eames einfach anrufen zu können, mit ihm reden zu können, war mit einem Mal so immanent, dass es schier zu körperlichem Schmerz wurde. Du bist jeden Tag bei mir. - hatte er ihm hier auf dem Balkon einmal gesagt. Arthur schloss die Augen, spürte die Umarmung von hinten nach, den Kuss auf den Nacken, der damals wider seinem Erwarten nicht Abneigung und Protest, sondern ein Wohlbehagen ausgelöst hatte. Arthur lehnte sich an, genoss den Moment, die Erinnerung an diesen Moment von Geborgenheit. Der Flieger ging mit etwas Verspätung nach Mexiko Stadt, dann stiegen sie um nach Mérida. Ariadne neben ihm wirkte zufrieden und glücklich. Dom würde über L.A. nachkommen. Ihr Flieger war zum einen schon voll gewesen, zum anderen musste er noch die familiäre Situation klären. Ariadne plapperte für ihn mit, schwärmte schier euphorisch von ihrem gelungen Auftritts am vergangenen Tag. Arthur spürte den musternden Blick, mit dem sie ihn dennoch hin und wieder bedachte. Arthur selbst war seltsam ruhig. Irgendwie war er froh, aus New York rauszukommen. Er brauchte etwas Abstand zu diesem Mann, dessen Absichten ihm noch zu wenig klar waren. Arthur war froh, in dem eher unkontrollierbaren Mexiko für ein paar Tage in einem in diesem Fall willkommenen Chaos untertauchen zu können. Er hatte seine Unruhe in der Verlegungen es Nacht genutzt, um sich weiter Candela und ihrem Vater zu widmen. Er hatte Jesse angerufen und ihn gebeten, ein Auge auf Candelas Ex zu haben. Und er hatte ihn gebeten, ihm bei Gelegenheit zu helfen, seine Wohnung sicherer zu machen. Er wollte eine Liste, was er alles tun konnte. Als Jesse vorsichtig nachfragte, antwortete er ehrlich, dass er das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Arthur wollte ausschließen, dass Teteruk irgendwelche Möglichkeiten hatte, ihm diesen Ort zu nehmen. Zudem hatte er das Hotel gebucht, einen Waffenhändler kontaktiert, einen Leihwagen gebucht, etc. - stets noch mehr darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Die neuesten und wichtigsten Infos stellte er für Eames auf ihrem Portal ein, damit auch dieser darauf zugreifen konnte. Candela war schon seit ein paar Tagen vor Ort, um ihrer Mutter und ihren Geschwistern zur Seite zu stehen. Arthur hatte ihr angekündigt, mit ihr Kontakt aufzunehmen, sobald er sich einen ersten Überblick verschafft hatte. Sobald Dom da war, musste sie hinzukommen, um für Fragen ansprechbar zu sein, aber erst dann. Ihre Familie war aus einem Vorort von Mérida und Arthur wollte vermeiden, zu viele Bezugspunkte für andere zu hinterlassen, um niemanden weiter in Gefahr zu bringen. Noch ahnte ihr Ex vermutlich nicht, dass er zum Ziel wurde, und das sollte auch so bleiben. Arthur hatte sie im Hotel „Residencial“ unweit des Zentrums Méridas zunächst untergebracht. Sollte sich der Aktionsraum tatsächlich nach Cancun verlagern, hatte er eine Strandvilla für sie angemietet. Das Hotel stellte sich als ein wunderschön renoviertes Haus aus der Kolonialzeit heraus. Der Standard war gehobener, es gab eine ausgezeichnete Küche, einen Pool- und Wellnessbereich, viel Komfort für ihre erste Anlaufstelle, so wie er es von früher gewohnt war. Sicher, er verdiente an diesem Job zunächst nichts. Aber sollten sie an diesem Kunsthändler-Ring tatsächlich rankommen, dann war da ein Fass, aus dem sie definitiv schöpfen würden - ohne Skrupel. Arthur und Ariadne waren zunächst die ersten Tage unterwegs, um sich ein Bild von der Stadt zu machen, von den vielen kleinen Details, die es in einen Traum einzuarbeiten galt: das Straßenbild, die Mangobäume, die die Straßen säumten, die Gärten, in die man sehen konnte und in denen Hühner sich unter Wellblech versuchten vor der Mittagshitze zu schützen, der Straßenlärm, die alten VW Käfer, umgebaut in allerlei Gefährte, Pick ups und natürlich die vielen Chicken-busses - alte amerikanische Schulbusse, die angemalt in allen möglichen Farben und verziert mit verschiedensten Motiven das beste Transportmittel darstellte, um günstig die weiten Strecken des riesigen Landes zurückzulegen. Schienen gab es kaum. Die Straßenstände, die alles anboten und es kaum möglich machten, zügig durch die Straßen zu laufen. Angeblich wurde einmal versucht, diese Stände zu verbieten, allerdings wurde davon wieder Abstand genommen, weil die Ladendiebstähle sich häuften und die Diebe schneller entkommen konnten. Nun gab es die Verkaufstände wieder mit all den ‚Markenprodukten‘ für lau. Filme, die erst jetzt im Kino anliefen, CDs, die einem ‚vorgespielt’ wurden, wobei man auf der Rückseite deutlich sah, dass auf diese eben nur ein Lied aufgespielt worden ist. Arthur schmunzelte über diese Welt, die so fern von New York war - zumindest dem, dem er beiwohnte. Er genoss das ungezwungene, das belebte Treiben, tatsächlich auch das Essen. Sein Lächeln kehrte zurück, auch wenn die Nervosität in ihm immer wieder durchbrach. Nervös aus zwei Gründen: Teteruks Worte, ein mögliches Wiedersehen mit Eames Außerdem besuchten sie das Museo de Antropología e Historia, aus dem die Kunstwerke entwendet worden waren, und besorgten sich Abbildungen von diesen. Schließlich nahmen sie Kontakt zu Candelas Onkel auf, einem Künstler, der ihnen ein Atelier vermittelte. Das Gebäude lag abseits der Straßen und bot ihnen viele Möglichkeiten. Es war ideal für ihren Zweck. Arthurs Brocken Spanisch hat gereicht, um dem Inhaber zu erklären, dass sie Architekten seien, die hier Impressionen sammeln würden und das Atelier nutzen wollten, um Modelle von Gebäuden mit interessantem architektonischen Stil nachbauen zu wollen. Das Atelier war in einem Bungalow mit bodentiefen Fenstern, einem schönen Garten und es gab noch zwei weitere Räume, die sie nutzen konnten. Sie richteten in einem dieser Räume den PASIV-Koffer ein, begannen im Atelier erste Zeichnungen von Orten zu machen, erste Gedanken auszutauschen. Sie brauchten vertraute Orte von Candelas Ex, die sie für das Team vorbereiten konnten. Zudem einen Tagesablauf von ihm, eine Möglichkeit, ihm für wenige Minuten von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Recht schnell wurde klar, dass ein Bordell, das dieser regelmäßig besuchte, dafür ganz gut taugen würde. Allerdings blieb abzuwarten, in welcher Hand dieses sich befand. ‚Los espíritus‘ waren einem Kartell verpflichtet, so wie es aussah. Vermutlich war das Bordell also auch diesem verpflichtet. Damit würden sie sich in die Höhle des Löwen begeben. Arthur arbeitete so gut er konnte, zeichnete die Kunstgegenstände nach, konstruierte Räume, versuchte alle Informationen zu Manolo Vincenzo zusammen zu tragen. Dom würde am nächsten Tag eintreffen, dann würde er jenem das übergeben. Er war da viel besser als er. Die Arbeit lenkte ab - dennoch gab es Momente, in denen die Sehnsucht durchbrach, sich einfach mal wieder anlehnen zu können. Das Gefühl, das er sich auf seinem Balkon gegönnt hätte, war so gut gewesen, dass der Wunsch nach mehr, spürbar war. Besonders in Momenten, in denen er alleine war. „Soll ich dich nicht ins Hotel bringen?“, fragte er nach, doch Ariadne schüttelte den Kopf. „Es ist nicht weit. Ich nehm ein Taxi.“ Er nickte, verdrängte das schlechte Gewissen. Eigentlich war er dankbar darum, als er sich wenig später auf den Sessel setzte, um sich an den PASIV anzuschließen. Ab morgen wäre Dom da. Danach ging es nicht mehr. Ariadne schien ihn auch kaum aus den Augen zu lassen. Jetzt war die einzige Möglichkeit einfach nochmal Kraft zu tanken nach dem Schock, den ihm Teteruk verpasst hatte. Arthur stellte 5Minuten ein, mehr konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, dann schloss er die Augen. Er wollte nur einen kurzen Moment, einen friedlichen. Arthur blickte auf das architektonisch so schöne Haus, das er auch heute nicht betreten würde. Das würde er nicht ohne den echten tun. Aber auch im Garten unter den hohen Bäumen konnte er Eames begegnen, der ihm in diesem Moment mit einem Lächeln auf den Lippen entgegentrat. Arthur spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. Sehnsucht schmerzte. Eames Der Garten des Charles Eames Haus war gesprenkelt von warmen Sonnenstrahlen. Die hohen Bäume, die wie ein großer, dichter Zaun rund um das abfallende Grundstück standen, ließen um diese Uhrzeit des Tages nicht mehr das ganze Licht herein. Eames trug khakifarbene Bermunda Shorts und ein ausgeblichenes, dunkelgrünes Hemd. Er legte den Schlauch beiseite mit dem er gerade die Blumen gewässert hatte. Die Luft war erfüllt von Partikeln und aufgestäubtem Wasser und ein leises Tröpfeln drang durch die sonst so stille Kulisse. Offenbar hatte er auch ein paar Spritzer abbekommen. »Du bist spät, my love.« Er legte beide Hände um Arthurs Wangen, wobei seine Fingerspitzen bereits in dessen Haaransatz versanken, um ihm einen innigen Kuss auf die Lippen zu drücken. Er roch nach frischgemähtem Rasen und Sommerregen. »Was hat dich aufgehalten?« Arthur Das Licht, die Ruhe, der Geruch, die Wärme – Arthur wurde eingesogen in diesen, ihren Ort, einem Ort, den er so noch nie in seinem Leben gehabt hatte. Er war so überwältigt davon, dass er nicht fähig war, sich zu rühren, sondern nur beobachtete, wie Eames zu ihm kam. War er spät? Hätte er früher hierherkommen sollen? Vielleicht müssen? Die Worte waren eine Feststellung, keine Anklage. Dennoch spürte er, dass in ihm etwas seiner Projektion zustimmte: er war spät hierhergekommen. Arthur schmiegte sich an die Hände, legte den Kopf etwas seitlich und schloss die Augen und genoss den Kuss, der ihn noch tiefer in diese Situation zog, ihn entspannen und langsam loslassen ließ. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als sich Tom von ihm löste und er die Augen öffnete. Erst jetzt löste er sich aus der anfänglichen Starre, hob die Hände. Die linke legte er auf der Brust ab, mit der rechten strich er sanft über die Wange nach hinten, strich sacht mit dem Daumen über das Ohr und ließ seine Hand schließlich im Haar des anderen versinken, das ein wenig länger geworden zu sein schien, sich aber noch immer so weich anfühlte, wie er es in Erinnerung hatte. „Das übliche“, antwortete er leise. „Das Gefühl, jedem verpflichtet zu sein, und dabei zu vergessen, was mir und uns guttun würde.“ Er lächelte traurig und streckte sich, um die Lippen des anderen noch einmal zu erhaschen. „Entschuldige, dass ich nicht schon eher gekommen bin. Aber jetzt bin ich endlich da. Ich bin endlich hier bei dir…“ Er atmete tief durch, erleichtert, befreit. Dann umarmte er Tom und legte seinen Kopf auf dessen Schulter ab, schloss die Augen und sog den ihm so vertrauten Geruch ein, der einen Hauch von Garten inne hatte. Es fühlte sich wie ein nach Hause kommen an, zu einem Zuhause, das er noch nie gehabt hatte. Es fühlte sich berauschend an. „Halt mich einfach ein wenig fest, ja?“, flüsterte er und vergrub das Gesicht in der Halsbeuge. „Einfach nur ein wenig festhalten…“ Eames Er nickte langsam, als wäre Arthurs Antwort, das Selbstverständlichste was man sagen konnte. Er nahm ihn fest in die Arme und wiegte ihn sanft. Seine Hände strichen beruhigend und wohlwollend über den straffen Rücken, der so ungewöhnlich haltlos in seiner Umarmung eingeknickt war. »Sieht dir ähnlich.«, murmelte er nach einer kurzen Weile des Wiegens und Haltens. Eine leise Melodie drang vom Wald her, wie ein beruhigendes Mantra. Die erste Strophe von Nantes (Beirut) immer und immer wieder, sehr langsam und kaum verständlich. »“Pflicht“ ist dein Lieblingswort, oder?«, er schmunzelte. »Wundert es dich eigentlich noch? Dass ich nicht verstehe, dass du mich genauso sehr liebst, wie ich dich?«, kein Vorwurf, eine einfache Frage mit ruhiger, vibrierender Stimme. Sein Blick war etwas müde auf den Hintereingang des Hauses gerichtet. Die Tür stand auf, aber Eames‘ Projektion würde das Haus nicht betreten. Drinnen war es ungewöhnlich dunkel trotz der vielen großen Fenster. »Komm einfach nachhause, love. Wir könnten alles haben, wenn du einfach nachhause kommst.« Arthur Die Umarmung trug ihn, die Wärme umhüllte ihn, die Musik ließ ihn vergessen - es war eine Wohltat, einfach nur gehalten zu werden, wie er es sich schon so lange wünschte. Er hörte aus Eames‘ Antwort keine Anklage, keinen Vorwurf, kein Unverständnis oder spürte gar ein mitleidiges Lächeln. Er wurde einfach genommen, wie er war. Er wusste selbst, dass eines der größten Probleme seiner selbst war, loszulassen und sich nicht allem verpflichtet zu fühlen. Er wusste das und er was bereits einen Schritt gegangen, sich von seinen scheinbaren Pflichten zu lösen: er hatte seiner Familie und der Bürde, die damit einherging, den Rücken gekehrt. Das war ein Schritt von vielen. Es fühlte sich befreiend und beängstigend an. Und er wünschte er könnte mit Eames darüber reden, dem echten. Und dieser würde ihn genauso in den Arm nehmen und halten... Ihm war bewusst, dass diese unverbindliche Nähe, die er hier erhielt, nicht real war. Er genoss es, gönnte es sich. Ein Teil von ihm schrie danach, genau das hier immer zu wollen, immer hierher zu kommen, in diese perfekte und so unkomplizierte Welt. Es schrie so laut, dass es ihn schier erschreckte. Schließlich hatte er Dom dafür kritisiert, sah mit Besorgnis all diese Traum-Junkies, die bei Yusuf ein und aus gingen. Vielleicht war es genau das, was seinen Verstand aufrecht hielt, der ihm sagte, dass er sich selbst gerade betrog. Er konnte die Vernunft nur unterdrücken, nicht abschalten. Konnte sich hierin nicht ganz verlieren, aber genießen für den Moment. Es war ein ambivalentes Gefühl. Dieser Eames hier war nur eine Projektion seines eigenen Unterbewusstseins, eine wunderbare. Er war das, was er sich wünschte, wonach er sich sehnte, sich erhoffte irgendwann zu haben, wenn sie all ihre Gräben einmal überwunden hätten. Er seufzte, als er hörte, dass „Pflicht“ sein Lieblingswort zu sein schien. Hier sprach sein Unterbewusstsein, sein schlechtes Gewissen. „Da hast du wohl recht.“ Er würde das gerne leugnen, hatte genau in diesem Moment den innigen Wunsch, es möge nicht so sein. Doch dass es so war, war wahr. Es gehörte nun einmal zu ihm. Er musste lernen, es weniger werden zu lassen, aber das ging nicht allein. Die Frage, die nun folgte, war irritierend auf zweierlei Art. Arthur spürte, dass er sich wieder verkrampfte, Haltung begann anzunehmen. Er öffnete die Augen, tauchte aber nicht aus dem Schutz der Halsbeuge auf. Zum einen war da die Frage an sich. Wunderte er sich noch darüber? - Ja. Er war doch für ihn sogar zum Mörder geworden! War das kein Liebesbeweis gewesen? Er hatte ihm doch gesagt, dass er ihm nicht gleichgültig war. Sie hatten Sex miteinander. Reichte das nicht? Sollte es ihn nicht wundern? Vermutlich. So, wie er sich Eames gegenüber verhielt, dürfte es ihn nicht wundern. Er stellte alles andere über sein persönliches Glück - und damit auch über sie beide, über Eames. Er erwartete stets alles von jenem, aber gab er alles für ihr something? Dass er ihn so immer und immer wieder verletzte, wurde ihm seit Eames Besuch bei Ariadne Stück für Stück bewusster. Wenn er jetzt darüber nachdachte: Bedeutete das nicht im Umkehrschluss, dass Tom genauso unsicher war, was ihr something betraf, wie er es war? Er schluckte, denn dadurch bekam seine Flucht weg aus Italien, weg von seinen Gefühlen und Ängsten, einen noch einmal unangenehmeren Beigeschmack. Dachte Eames nun, dass er auch bei ihm nur seine Pflicht erfüllt hatte? Dass er ihm geholfen hatte, aus Pflichtgefühl, nicht weil er ihm wirklich hatte helfen wollen, dass er jene Freiheit zurückerhielt, für die er ihn immer bewunderte, auf die er so oft neidisch war? Dass er ihn gleichzeitig einfach in Sicherheit hatte wissen wollen? Tokio war für ihn ein Bruch gewesen, weil er es so empfunden hatte, dass Tom ihn hintergangen hatte. Was aber, wenn jener einfach aufgegeben hatte zu hoffen, er könne etwas für ihn empfinden? Oder sich gar damit abgefunden hatte, dass er seine Gefühle nie erwidern würde? Misstraute Tom deswegen jetzt Arthurs Gefühlen? Er musste dringend einiges wiedergutmachen - sofern er nicht bereits alles kaputt gemacht hatte. Er musste verinnerlichen, an ihr something zu glauben - trotz Mals Brief. Er musste Eames zeigen, was er ihm bedeutete, sich (mal wieder) entschuldigen. Und wenn er sich entschuldigt hatte, müssten sie Tokio klären, damit er endlich wirklich loslassen konnte. Unsicherheit war sein steter Begleiter - schon immer gewesen, vor allem was Eames betraf. Sorry that I can't believe that anybody ever really Starts to fall in love with me Aber im Grunde ahnte er, dass das bei Tom, was sie betraf, nicht anders war. Er hatte es nur nie wahrhaben wollen. Zum anderen irritierte ihn die Frage, weil da dieses große Wort war - „lieben“. Arthur sah sich als Gefühlslegastheniker, unfähig Emotionen spontan zu zeigen, unfähig sich unmittelbar in jemanden hineinzuversetzen. Immer wenn er sich vornahm, Gefühle zu zeigen, war der Moment wieder vorbei. Er begriff oft viel zu spät, warum jemand gekränkt war. Ihm war noch immer unangenehm, dass Ariadne seinen Wutausbruch mitbekommen hatte und auch das Zittern nach der Begegnung mit Teteruk spüren hatte können. Arthur hatte früh lernen dürfen, dass Gefühle Schwäche bedeuteten, dass sie ihn angreifbar machten. Es war immer so viel leichter, Gleichgültigkeit auszustrahlen, keine Regung zu zeigen. Gefühle und damit Schwächen zuzulassen, fiel ihm schwer. Er hatte so hart gekämpft, kein Schwächling zu sein, in der Schule, zu Hause, an der Uni, vor Eames.... Etwas, wie Ich liebe dich zu sagen, gab ihm das Gefühl, komplett entblößt zu sein, sich lächerlich und verletzbar zu machen. Es löste Unbehagen, ja Angst aus. Er hatte diese Worte schon benutzt, ja. Aber es war immer gelogen gewesen. Er hatte diese Worte noch nie mit Wahrhaftigkeit gefüllt, denn er wusste, wenn er es täte, dann wäre derjenige, dem diese Worte galten, sein größter Schwachpunkt. Er war schon einmal kurz davor gewesen, Eames zu sagen, dass er etwas für ihn empfand. Doch dann hatte jener ihn hintergangen, bevor er es getan hatte. Er war froh gewesen, es nicht getan zu haben, um nicht als noch größerer Idiot da zu stehen. Hätte es etwas geändert, wenn er es doch an dem Abend nach dem Billardspiel, oder nach der Karaoke-Session einen Schritt auf Tom zugegangen wäre? Und wenn er es nicht schaffte, ehrlich zu seinen Gefühlen zu stehen: Würde Tom das wieder tun, dieses Zurücklassen, dieses Alleinelassen? Machte er das nicht gerade auch in gewisser Weise? Weil er sich so sehr von ihm distanzierte, weil er ihn nicht sehen und sprechen wollte. Weil er ihm nach Jobs' Tod nicht hatte sagen können, wie groß seine Angst gewesen war? Ihn nicht umarmt hatte? Beruhte das wieder auf Missdeutung? Misstrauen? Missverständnissen? Es gab viele Erklärungen dafür, dass die Situation gerade so war, wie sie war. Welche die richtige war, würde er erst wissen, wenn sie sich wiedersahen und noch miteinander reden konnten. Sie waren beide nicht unschuldig daran, der größerer Trampel war aber diesmal er gewesen. Seit Arthur in Italien losgeflogen ist, hatte er Angst, dass Eames ihn nur ausgenutzt haben könnte und kein Interesse mehr an ihm hatte, weil er ihn nicht mehr brauchte. Vielleicht war es aber auch genau andersherum? Seit dem Gespräch mit Ariadne über Toms Besuch, hoffte er darauf, dass jener nur sauer auf ihn war, weil er gegangen war. Erst in diesem Moment hatte er begriffen, in dieser Wut hatte er gemerkt, dass er nur sich selbst gesehen hatte, sich nicht in Tom hineinversetzt hatte. Wunderte er sich? Dass Tom nicht glauben konnte, dass er ihn genauso liebte, wie jener ihn? Nein. Er benahm sich so oft wie eine gottverdammte Diva und erwartete stets, dass Eames ihm hinterherrannte. Sein Unterbewusstsein wusste so viel mehr als er. „Nein“, sagte er leise. „Nein, denn ich habe noch nie etwas für dich gemacht, dass dir gezeigt hätte, dass es wirklich so ist, dass ich mich in dein Herz verliebt habe. Ich habe es dir nie wirklich gezeigt. Ich habe dir nie gesagt, dass ich dich liebe.“ Sein Hals war eng, er schluckte ohne Aussicht auf Erfolg, den Klos loszuwerden. Er schloss die Augen wieder, atmete schwer. Würde er das jemals können? Oder war er zu hart zu sich selbst? Verlangte Liebe immer diese drei Worte? Verlangte Liebe immer große Gesten? Überhaupt etwas in diese Richtung wäre gut. »Komm einfach nach Hause, love. Wir könnten alles haben, wenn du einfach nach Hause kommst.« Er biss sich auf die Unterlippe, hielt die Luft an. Er spürte sein Herz heftig schlagen. War das so? Das hier war ein Wunschtraum. Konnte das hier ‚alles‘ jemals Wirklichkeit werden? Nie in diesem Maße, aber vielleicht ansatzweise. Musste er wirklich nur nach Hause kommen? Aber wo... Seine Hand war hinab zu seinem Totem gewandert, irritiert zog er es aus seiner Tasche, in der sich dieses immer befand, wenn er auf Traumebene agierte. Doch es war nicht sein Würfel. Es war ein Schlüssel. Ein einfacher Buntbartschlüssel aus Metall dessen silberne Farbe an einigen Stellen bereits matt und angelaufen schien. An der Reite hing ein Schlüsselring, der durch einen matten und teilweise abgewetzten Kenianischen Shilling gefädelt worden war. Er war etwas anders geformt, schien in seiner Form unbekannt. Arthur hatte ihn in der letzten Zeit so oft betrachtet, dass er sofort sah, was anders war. Doch er ahnte, dass dieser Schlüssel zu diesem Haus hier passte. In a house In the mountains There's a way to fall asleep And I know when I find it I will let this go Er dachte an die Flugtickets, die Verfallen an seiner Pinnwand hingen. Die Pflicht, die ihn davon abgehalten hatte, einfach in den Flieger zu steigen. Arthur löste sich nun und blickte Tom an. „Ich habe mich schon auf den Weg gemacht“, sagte er und seine Stimme war wieder fester geworden. „Der Weg ist nicht so einfach. Ich sehe ihn nicht deutlich, aber er ist da. Vermutlich wird er mich hin und wieder zum Stolpern bringen. Aber ich habe ihn begonnen. Früher oder später werde ich zu Hause ankommen. Wirst du auf mich warten? Und können wird dann endlich Tokio hinter uns lassen?“ Ariadne Es war nur ein Gefühl, eine kleine Nervosität, die sie kannte, die Erinnerungen wachrüttelte. Sie kannte diesen ausweichenden Blick von Dom. Als Ariadne den Raum mit dem PASIV-Koffer betrat, sah sie, dass ihr Gefühl sie nicht getäuscht hatte. Sie betrachtete das lächelnde Gesicht, den friedlich daliegenden Arthur. Sie las die Instrumente und begann sich anzuschließen. Sie ahnte, wem sie da begegnete. Beziehungsprobleme waren nicht einfach zu lösen, besonders bei so ungleichen Persönlichkeiten wie Arthur und Eames es waren. Aber sich eine Beziehung zu erträumen, war keine Lösung. Dass Arthur nicht begeistert sein würde, wusste sie. Aber das war ihr egal. Es könnte ihr nichts passieren und es würde Arthur hoffentlich die Augen öffnen - im wahrsten Sinne des Wortes. Was hatte Dom sie gefragt? »Glaubst du er ist bereit einen Job anzunehmen?« - es war blanke Ironie, das von jenem gehört zu haben. Umso berechtigter schien es, Arthurs Traum betreten zu dürfen. Arthur musste bereit sein. Eames So wie Arthur es sich gewünscht hatte, hielt er ihn, streichelte ihn fortwährend, langsam, aber bestimmt. Erst als Arthur sich etwas von ihm löste und bestimmt in die Augen blickte, hörte der zärtliche Strom auf. Eames‘ Projektion erwiderte den Blick müde, aber zuversichtlich. „Und können wir dann endlich Tokio hinter uns lassen?“ Nur diese eine Frage brachte die Mimik etwas ins Wanken. Tokio war so etwas wie der Dreh und Angelpunkt ihres Vertrauens – der Urfehler, der behoben werden musste, um überhaupt den nächsten Schritt aufeinander zu tun zu können. Und es war für Eames durchaus kein Leichtes dieses Thema aufzuarbeiten; vor allem schien es ein Mammut-Projekt, es so verständlich zu machen, dass Arthur ihm glauben würde. Vor allem nach all dem, was zwischen ihnen passiert war. Die Melodie aus dem Wald war verebbt und plötzlich war auch Eames‘ Blick nicht mehr auf Arthur gerichtet. Auch nicht auf den Hintereingang des Eames-Hauses. Irgendetwas hatte sich verändert; als würde ein Wetterumschwung bevorstehen. »Hast du ihr von uns erzählt?«, seine Stimme klang hoffnungsvoll, als er zu Ariadne herüber blickte. Sie war denselben Weg wie Arthur, um das Haus herum, in den Garten gekommen und wirkte ähnlich ungläubig, wie Eames. Nun gab es kein zurück mehr. Sie war bemerkt worden; nicht ganz das, was sie sich dabei gedacht hatte, kurz in Arthurs Traum hinein zu schnüffeln, um nach dem Rechten zu sehen. Ihren erbärmlichen Versuch sich noch mit einem Sprung hinter die Hauskante zu retten, brach sie sofort ab, als Arthur sich zu ihr umdrehte. Arthur Arthur musterte das Gesicht seiner Projektion von Eames und las sich selbst darin. Tokio In ihm kamen die immer gleichen gemischte Gefühle auf. Zum einen der Wunsch, das Bedürfnis nach Wissen, nach Begreifen - zum anderen die Angst vor Zerstörung. Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird: glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr. Mals Brief wog schwer. Dennoch spürte er, dass der Wunsch, die Dinge auf den Tisch zu bringen, sie abzuschließen und vergessen zu können, da war. Wenn er denn vergessen konnte. Aber zunächst müssten sie sich überhaupt wieder annähern, überhaupt wieder miteinander reden. Zunächst musste er... Er zog die Stirn zusammen, als er die inneren Alarmglocken läuten hörte. Jemand hatte seinen Traum betreten. Er spürte, die Waffe, die mit einem Mal an seiner Seite wog. Eames blickte an ihm vorbei. »Hast du ihr von uns erzählt?« Er drehte irritiert den Blick, wich etwas von Tom zurück und sah Ariadne an. Fast war er erleichtert, dass es nur sie war. Gleichzeitig schalt er sich einen Idioten, dass er sich so angreifbar gemacht hatte in einem Land, in dem es unsicher, gefährlich sein konnte. Er nickte leicht. „Das habe ich“, sagte er seiner Projektion von Eames. Ob er das auch dem echten sagen konnte, dass Ariadne über ihr something bescheid wusste? Er atmete tief durch. Dass sie sich entschuldigte, ließ ihn wissen, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Das nahm er, um den Teil in ihm klein zu halten, der sich darüber beschwerte, dass sie seine Zweisamkeit mit Tom gestört hatte. Dieser Teil schrie laut in ihm, war wütend. Dich er wollte nicht riskieren, dass seine Abwehrmechanismen sich einschalteten. „Ja, ist es“, antwortete er ihr und drehte sich ihr zu, löste sich dadurch etwas von Tom, wobei er den Körperkontakt nicht gänzlich abreißen ließ, auch wenn es ihm schwer fiel nicht gänzlich auf Abstand zu gehen. „Ich habe nur etwas Kraft tanken müssen.“ Irgendwie seltsam, dass er das Gefühl hatte, sich rechtfertigen zu müssen. Er wich ihrem Blick aus, biss sich auf die Unterlippe. „Er hat sich noch immer nicht gemeldet.“ich wollte nur sehen, ob alles in Ordnung bei dir ist.« Wieder so eine unangenehme, intime Situation, wie damals mit Dom. Ariadne Wie der echte, schien Eames‘ Projektion einen gewissen Stolz dabei zu verspüren, dass Arthur endlich jemandem davon erzählt hatte. Sein Blick haftete an seinem Gesicht und er konnte nicht aufhören selig zu lächeln. Dass Eames etwas für Arthur wollte hatte er nie zum Geheimnis gemacht – auch wenn die meisten ihn dabei nicht ernst genommen hatten. Andersherum herrschte tiefster, sibirischer Winter. Ariadne biss sich auf die Unterlippe und verbarg ihre Augen einen kurzen Augenblick unter der flachen Hand. »Ich hätte nicht kommen dürfe, Arthur.« Erst als sie ausgesprochen hatte, realisierte sie, dass Arthur bereits etwas gesagt hatte und dass er nicht sauer zu sein schien. Jedenfalls nicht oberflächlich sichtbar. Sie hatte lernen müssen, dass sie allerhöchstens an der Außenhülle kratzte. So leicht kam man nicht an den Eisprinzen heran. Dann erinnerte sie sich daran wie offen und verletzlich er gewesen war, nachdem Eames in New York bei ihr gewesen war. Wie dumm sie gewesen war; wie viel Schaden sie damit bereits angerichtet hatte. Und nun war sie hier hereingeplatzt und nahm Arthur einen kurzen Augenblick Frieden vor dem Job. Wie konnte es sein, dass Dom, der sich als Arthurs enger Freund bezeichnete, nicht an ihrer Stelle für Arthur sorgte. Wie kam es, dass er offenbar nicht einmal den Hauch einer Ahnung hatte, was bei Arthur vor sich ging und die Dreistigkeit besaß sie zu fragen, ob Arthur bereit für einen neuen Job war? »Das… tut mir leid. Dass er sich nicht gemeldet hat. Das hast du nicht verdient.«, brachte sie nach kurzem Überlegen hervor. Eames löste sich von Arthur und als würde er den beiden dadurch etwas Privatsphäre bieten, drehte er sich um, hob flötend den Schlauch vom Boden auf und goss weiter die Blumen und Bäume. Eine Reihe frisch eingepflanzter Apfelbäume säumte den Weg zum Wald in nördlicher Richtung. »Bist du überhaupt sicher, dass er kommen wird?« Klar war: sie brauchten keinen Forger. Natürlich war es für Candela angenehmer, wenn ein Freund anwesend war. Vor allem der, der sie bereits einmal vor dem Arschloch beschützt hatte, dem sie in den nächsten Tagen zu Leibe rückten. Aber ob das reichte, um ihn auf den Plan zu rufen? Wenn er es nicht einmal schaffte sich kurz bei Arthur zu melden? »Wir können die Extraction auch ohne ihn durchführen.«, mittlerweile hatte sie etwas mehr an Haltung gewonnen, da sie glaubte einen Weg gefunden zu haben, Arthur etwas Mut zu machen. »Candela wird sich damit abfinden. Wir können das auch ohne ihn durchziehen und danach könnt ihr euch alle Zeit der Welt nehmen für… alles. Für das hier.«, sie sah sich um und es bedurfte keiner Erklärung. Sie wusste, dass sie ein Heiligtum betreten hatte. Arthur Irritiert blickte er Eames an, als er dessen Lächeln gewahr wurde. Würde jenen das so glücklich machen, wenn er von ihrer Beziehung (sofern es eine war) anderen erzählen würde? Ihm kam der Gesichtsausdruck in den Sinn, den jener gehabt hatte, als er bei Candela im Restaurant zunächst die Hand des anderen losgelassen hatte. Es war nur ein kurzer trüber Blick gewesen, der ihm jedoch Zeichen genug sein könnte. Im Grunde wusste er ganz genau, wie glücklich es den anderen machen würde. Aber allein die Vorstellung, vor anderen zu zeigen, dass sie something miteinander hatten, sorgte für ein Unwohlsein, dessen Herkunft er nicht benennen konnte. Er war nun mal nicht der Typ Mensch, der ständig Körperkontakt und küssen und berühren und so Zeug wollte und brauchte. Reichte es nicht, selbst zu wissen, dass man zueinander gehörte? Mussten das alle wissen? Wobei er momentan froh wäre, wenn er überhaupt einmal... Er seufzte, blickte seinem Tom kurz nach und sah dann wieder zu Ariadne, deren Demut auffallend war, auch in dem, was sie sagte. „Ich fürchte, da muss ich dir widersprechen“, sagte er und hob abwehrend die Hände. „Ich fürchte, ich hab das verdient. Es war längst überfällig.“ Es war heilsam, dass er das Gefühl hatte, zu leiden. Er sah dadurch deutlicher, woran er und sie gerade einmal mehr scheiterten. Nichts desto trotz ändert es nichts daran, dass es schmerzte. Daher war er dankbar für ihre Worte. Es entspannte ihn - zumindest bis die folgenden Worte kamen. »Bist du überhaupt sicher, dass er kommen wird?« Arthur schluckte, spürte wie mit einem Mal alles still war: das Rauschen der Bäume war verstummt, das Vogelgezwitscher, sogar das Plätschern und Rauschen des Wassers, das nach wie vor von Eames unter den Pflanzen verteilt wurde. Das Licht war gelblich, wirkte bedrohlich wie kurz vor einem Gewitter. Man sah, wie sich schwarze Wolkentürme am Horizont zusammenzogen. Arthur spürte, wie sich seine Hand verkrampfte. Er versuchte gelassen auszusehen, ganz gelang es ihm nicht. Schon gar nicht, als Ariadne weitersprach. „Arthur needs him, too.“ - hatte er ausrichten lassen. Ein Donnergrollen durchbrach die Stille. Er atmete langsam aus, suchte sich zu sammeln. „Wenn er nicht kommt“, sagte er schließlich leise, „weiß ich gar nicht, ob es noch ein ‚Wir‘ gibt.“ Es war ihm mehr rausgerutscht, als dass er das wirklich hatte sagen wollen. Er strich sich übers Gesucht, atmete noch einmal tief. Er musste ruhig bleiben, wenn sie nicht gleich nass werden wollten. Arthur sah in den Himmel, als könne er die Wolkenmassen so besänftigen. „Ich hatte das Flugticket schon bezahlt, als Candela angerufen hat. Eigentlich wäre ich jetzt nicht hier. Ich hatte gedanklich auch den Kongress gestrichen.“ Er schnaubte ungläubig, schüttelte den Kopf über sich selbst. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen, zog die Schultern etwas hoch und blickte zu Eames. Seine Hand schloss sich fest um den Schlüssel, so fest, dass es schmerzte. Doch er merkte das nicht. „Ich sollte nicht in Mexiko sein.“ Ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen, während er beobachtete, wie Tom die Blüten ihrer Apfelbäume betrachtete. „Allerdings hat er Candela auch zu mir geschickt.“ Er sah wieder zu Ariadne. „Sobald wir fertig sind, werde ich nicht mit dir nach New York zurückkehren. Ich sollte ihm endlich einmal zeigen, dass er mir wirklich wichtig ist.“ Erneut grollte Donner, doch es schien sich zu entfernen. „Das hier“, er zog eine, die freie Hand aus den Hosentaschen und machte eine ausladende Geste, „ist nicht real. Es ist ein Konstrukt von something dem wir uns nicht trauen einen Namen zu geben. Es ist fragil. Wir haben noch nicht einmal geschafft, dieses Haus jemals gemeinsam zu betreten.“ Er biss sich auf die Unterlippe, zögerte, wollte noch etwas sagen, doch er brachte es nicht über die Lippen, hörte es nur in sich widerhallen. ‚Und ich weiß nicht, ob wir es jemals schaffen werden.‘ Er wollte darauf vertrauen, dass wenn er sich auf den Weg machte, er auch ankommen würde. Doch er hatte Angst, dass das vielleicht nie sein würde. Und was dann wäre, mochte er sich nicht ausmalen. Ariadne Und das nächste Fettnäpfchen. Ariadne beobachtete mit Schrecken, wie stark sich Arthurs Traum von dessen Gefühlswelt beeinflussen ließ. Eigentlich hätte sie so etwas erwarten sollen – alles was nicht nach außen drang musste sich ja irgendwo im Innern abspielen. Sie erschauderte ob des Donners und des bedrohlichen, graugrünen Himmels. Stürme machten ihr Angst. Innere, wie Äußere. „Ich sollte nicht in Mexiko sein.“, in der Tat, dachte sie. Etwas kraftlos war sie mit einer Schulter an die Hauswand gesunken. Das Glas war bereits abgekühlt, trotz der sanften Strahlen der Nachmittagssonne, die zuvor darauf geschienen hatten. Mit leicht gesenktem Kopf sah sie Arthur zu, wie er mit sich kämpfte. Er würde nicht wieder mit nach New York kommen; die Erkenntnis war nicht leicht zu verarbeiten; andererseits hatte sie nun endlich Gewissheit. Sie hatte ein winziges Loch in die harte Außenschale gebohrt. Der innere Kampf war jedoch noch nicht vorbei und Ariadne spürte den Schmerz deutlich und schwer in ihrer Magengrube. Mit ähnlich gequältem Ausdruck kam sie auf Arthur zu und griff nach seiner geballten Faust, streichelte dabei seinen Handrücken sanft mit dem Daumen. »Also ich kann euch da drin sehen.«, sagte sie leise, aber selbstbewusst. Erst danach suchte sie vorsichtig seinen Blick. »Ich habe vorhin reingesehen und ich kann mir sehr gut vorstellen, wie ihr zusammen neben diesem riesigen Bücherregal unter dieser zweifelhaft schönen Deckenlampe sitzt.«, sie versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. »Wie Eames mit offenem Bademantel und Whiskey in irgendeinem… Börsen-Magazin blättert und du in einen Roman von Oscar Wilde vertieft bist.« Sie wusste nicht, ob es richtig war, was sie sagte. Sie wusste nicht mal, ob Arthur gerade überhaupt irgendetwas hören wollte. »Murphy’s Law: „Alles was passieren kann, wird passieren“.«, sprach sie einen etwas wirren Gedanken laut aus und hatte umgehend eine Vision von Arthur vor dem Schreibtisch, wie er in liebevoll, fantastischer Arbeit dieses Haus auf dem Zeichenbrett kreierte. Irgendwo in den bergigen Wäldern von Wyoming würde es stehen und es wäre sicherlich nicht immer von Leben erfüllt, aber von Zeit zu Zeit würden Arthur und Eames dort sicherlich sehr glücklich sein. Arthur Die Hand, die nach seiner Faust griff, ließ ihn sich verkrampfen. Doch er entzog sich ihrer nicht. Er blickte hinab auf den streichelnden Daumen und wurde sich erst jetzt gewahr, dass der Schlüssel darin sich in seine Hand bohrte. Langsam entspannte er die Hand, spürte den Schmerz, den der Schlüssel verursachte, spürte, dass es brannte, er blutete. »Also ich kann euch da drin sehen.« Arthur hob den Blick, suchte Ariadnes, die nun begann ein Szenario zu schildern dessen Ausführung so tief in ihm etwas berührte, dass er stark an sich halten musste, um nicht noch emotionaler zu werden. Er blickte sie an, spürte den Klos im Hals, spürte das leichte Brennen in den Augen. Gott, seit wann war er so nah am Wasser gebaut!? Erstaunt stellte er fest, dass es ihm doch eigentlich unangenehm sein müsste, doch seltsamerweise war es das nicht. Das war nicht so, weil er in ihren Augen seinen eigenen Schmerz sehen konnte und sich verstanden fühlte. Da war kein Spott, kein Auslachen, keine Missbilligung oder gar die Verachtung, die ihm sein Vater gern in schwachen Momenten entgegenbrachte. Dafür begann sie ein Bild zu zeichnen und er sah dieses Bild von ihnen beiden, sah so deutlich dieses Wohnzimmer vor sich - wieso hatte er Zweifel? Wo es doch genau das ist, was er sich seit acht Jahren, seit ihrer ersten Begegnung so sehr wünschte, sich so oft erträumt hatte, sich so sehr danach gesehnt hatte. Und gerade jetzt war doch genau diese Zukunft erreichbar geworden. Er musste nur endlich zugreifen - sich entschuldigen und zugreifen. »Murphy’s Law: „Alles was passieren kann, wird passieren“.« Seine Hand hatte sich geöffnet, es sah so aus, als habe der Schlüssel sich in seine Haut gegraben. Der Schmerz war jedoch weg und auch die Haut schien sich zu erholen. Arthur schluckte, war noch immer etwas verloren in der Erkenntnis, dass er endlich das Leben in Angriff nehmen sollte, das er sich schon lange gewünscht hat. Und insgeheim hoffte er nun fast, dass Eames nicht nach Mexiko kommen würde, sondern dass er zu ihm nach Mombasa kommen wird, um ihm zu sagen, wie sehr er ihr something und dieses Haus hier wirklich wollte. Arthur spürte, wie er Ariadne in eine Umarmung zog, um sie nicht ansehen zu müssen, und damit sie ihn nicht weiter ansah, ihn so schwach sah. Er merkte, wie er sich an ihr festhielt, wie er einige Momente einfach durchatmete, bis er sich wieder gesammelt hatte. „Wenn das Haus betretbar ist, bist du die erste, die unser Gast sein wird.“ Als er sich löste bemerkte er, dass sich das Licht geändert hatte. Die Sonne stand am Horizont, blutrot und wunderschön. Das rötliche, teils lachsfarbene Licht spielte im Garten, reflektierte im Glas. Doch um diesen Garten herum begann sich der Traum bereits aufzulösen. Eames kam zu ihnen. „Ich gehe jetzt“, sagte Arthur, trat auf ihn zu, um ihn zu küssen. „Und komme zurück zu dir.“ Er lächelte, blickte noch einmal in den Sonnenuntergang. Oder war es der Sonnenaufgang? Arthur „Jesse, ich habe da einen Mann, über den ich zu wenig weiß.“ „Und über den du alles wissen möchtest“, fügte Jesse an und Arthur bildete sich ein zu hören, wie jener sich aufrecht hinsetzte. Schon mal ein Pluspunkt. Arthur wettete, dass Jesse mitmachen würde. Nicht, weil er sonderlich an seinem Fall interessiert war. Solche Dinge bedeuteten ihm vermutlich nicht viel. Was ihn dagegen lebhaft motivierte, war es, unbekannte Daten in den Tiefen seiner Tastatur aufzustöbern, und je geschickter diese Daten vergraben waren, desto mehr elektrisierte ihn die Kunst, sie nach oben zu holen. Manolo Vincenzo war nicht derjenige, der den Hacker herausforderte. „Ich hoffe, es ist schwierig“, sagte Jesse und legte die Hände hörbar auf die Tastatur. Nun war Arthur wirklich sicher, dass der Mexikaner Jesse gelangweilt hatte. Eben hatten sie alles über diesen ausgetauscht. Leider war er von den Geistern nur über Wegwerfhandys kontaktiert worden, die seitdem auch nicht wieder eingeschaltet worden sind. Allerdings hatten sie die Verbindung zu einer Fabrik nahe Cancuns herausgearbeitet. Viele Ecken, über die Geld geflossen ist. Nun galt es herauszufinden, was es mit der Firma auf sich hatte. Darum würde er sich morgen kümmern. Im Moment war Ariadne unterwegs, um Dom vom Flughafen abzuholen. Danach würden sie alle Informationen durchgehen und einen Plan fassen, um die Extraktion bei Manolo durchzuführen. „Du findest Fotos und den Namen auf einer Plattform, zu der ich dir gleich einen Link schicke. Bis wann kann ich mit Informationen rechnen?“ Er hörte die Tastatur, das Klicken einer Maus und dann ein überraschtes Pfeifen. „Schwerer Hund“, murmelte Jesse mit einem Hauch von diebischer Freude in der Stimme. „Gib mir fünf Tage…“ Arthur überblickte die Pinnwand, die er vorbereitet hatte. Eine Tafel war frei, auf der sich im Laufe des Tages ein Plan herauskristallisieren würde. Er war mit seiner Vorarbeit zufrieden, die Feinheiten wurden von anderen noch gefüllt. Zunächst war wichtig, dass sie Manolo knackten und dann auf die Spur der Kunstgegenstände kamen. Nach dem Telefonat mit Jesse hatte er nach jener Firma gesucht, die unter Umständen eine Spur war. Offenbar handelte es sich um eine Firma für Verpackungsmaterial. Irgendwas war daran seltsam. Wie genau die Extraktion ablaufen würde, würde Dom bestimmen. Er konnte sich vorstellen, dass sie Manolo bei seiner Mutter zu Hause überraschen und ihn auf den Weg in das Bordell schicken. Sie mussten ihm Angst machen, mussten Hinweise auf die Kunstgegenstände im Traum hinterlassen, die ihn dazu veranlassen würden, Informationen herauszurücken. So als sei jemand drittes auf seiner Spur und er konnte seinen Kopf nur aus der Schlinge ziehen, wenn er redet. Aber bei diesen Dingen, war er definitiv nicht der beste. Diese Pläne schmiedeten andere. Er war nur dafür verantwortlich, das Setting und den Ablauf zu perfektionieren. Der Rest ergab sich später. Arthur trank einen Schluck Wasser, lockerte ein wenig die Krawatte. Das Jackett hatte er über eine Stuhllehne gelegt. Im Grunde war es viel zu heiß für seine Klamotten. Anders fühlte er sich aber nicht wohl. Er atmete tief durch, genoss die Stille. Sein Blick blieb an einem Namen auf der Pinnwand hängen - ‚Eames‘. Ob er kommen würde? Ein Teil von ihm hoffte, dass es nicht so wäre. Er wollte ihn in Mombasa treffen, wo er vielleicht darum herumkommen würde, ihm explizit zu sagen, wie wichtig er ihm war. Vielleicht würde dort ausreichen, dass er gekommen war. Ein anderer Teil von ihm hoffte auf Tom hier in Mexiko, als Unterstützung, als Team-Mitglied. Ein anderer Teil hatte Angst davor, dass ein Treffen hier nur im Streit enden würde, dass alles zerstört werden würde, dass sie es nicht schafften, das Steuer herumzureißen, bevor der Karren gegen die Wand fuhr. Ariadne und er waren am vergangenen Abend gemeinsam ins Hotel zurückgekehrt, hatten sich an der Bar noch etwas zu trinken gegönnt. Es war seltsam, dass nun jemand wirklich über so vieles Bescheid wusste, was ihn und Eames betraf. Mal hatte auf ihre ganz eigene Art gewusst, was zwischen ihnen bestand, und auch wenn sie nie direkt darüber geredet hatten, sie sich nie direkt eingemischt hatte, so war ihr warnender Blick immer da gewesen. Der Brief spiegelte das nur zu deutlich wieder. Dom ahnte gewiss, dass zwischen ihm und Tom etwas Spezielles war, in welcher Richtung auch immer. Doch er hatte nie nachgefragt, selbst zuletzt in Los Angeles nicht. Manchmal war sich Arthur nicht sicher, ob das aus Höflichkeit geschah, weil er wusste, dass Arthur darüber nicht gerne sprach, oder weil es doch auch in gewisser Weise Desinteresse war. Diesen Gedanken hatte er seit Neapel, als ihm bewusst wurde, dass Dom nicht jede Verantwortung zu tragen bereit war, die ihm persönlich nichts brachte. Sie hatten ein gutes Verhältnis, privat und hinsichtlich des Dream-Sharings. Aber das lag auch daran, dass Arthur immer alles für ihn getan hatte. Konnte er aber sagen, dass Dominik immer alles für ihn getan hatte? Er wusste es nicht. Im Moment könnte er noch nicht einmal mit Gewissheit behaupten, dass er es tun würde. Etwas war hier in ein Ungleichgewicht gekommen. Wohin es sich bewegen würde, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen. Noch war der Punkt noch nie gekommen, an dem er Dom als Freund wirklich gebraucht hat. Noch war das, was er durchaus als Freundschaft bezeichnen würde, noch nicht von ihm in Anspruch genommen und damit auf eine Bewährungsprobe gestellt worden. Er hatte keinen Zweifel, dass er Dom immer vertrauen konnte, dass er ihn immer um Hilfe bitten konnte. Aber wie weit diese Hilfe gehen würde, das wusste er noch nicht abzuschätzen. Früher hätte er keine Zweifel gehabt. Er hoffte, dass sich auch dieser leise Zweifel wieder geben würden. Stimmen im Garten ließen ihn aus den Gedanken hochschrecken. Er hörte Ariadnes Lachen, Dominicks Stimme. Ihre Besprechung konnte beginnen. Dom Die Hitze war unerträglich, weswegen Dom für alle als erstes eine Siesta anordnete, ehe sie mit der eigentlich Begrüßungs- und Besprechungsrunde anfangen würden. Selbst Arthur hatte er nur halbherzig auf die Schulter geklopft, als sie sich unter dem gewölbten Dach der Eingangshalle getroffen hatten. Danach war er postwendend für zwei bis zweieinhalb Stunden mit seinen Koffern auf seinem Zimmer verschwunden. Erst als sich die Temperaturen wieder etwas beruhigt hatten, war er frisch geduscht im Seminarraum erschienen, den Arthur für die Zeit ihres Aufenthaltes gebucht hatte. Ein schönes Zimmer: geräumig, altmodisch mediterran eingerichtet, rustikaler Fließenboden, der die Hitze des Tages dankend wieder abgab. Er trug einen hellen Leinen-Anzug und hatte ein paar mehr Knöpfe seines Hemdes geöffnet, als üblich für ihn war. Die beiden Koffer, die er mit sich trug beinhalteten die übliche Standartausrüstung, unter anderem einen PASIV. Ein paar Minuten später kam eine junge Hotelangestellte und servierte frischen Kaffee aus der Region. Candela saß etwas abseits von der Runde und nippte an ihrer Tasse. Sie sah übermüdet aus, trotz vorangegangener Siesta. Für sie schien das alles wohl noch am meisten Stress zu bedeuten. War sie doch die einzige, die keine Vorstellung davon hatte, was in den nächsten Tagen und Wochen passieren würde. Noch immer leicht unterkühlt, grüßte Dom Arthur mit einem knappen nicken. Auch er sah nicht besonders ausgeschlafen aus, da konnte es schon mal vorkommen, dass er etwas in sich gekehrt war. Ariadne hatte sich kurz mit der Mexikanerin unterhalten, verstummte jedoch, als ihr Blick Arthur traf. Ihr Mund zeigte ein aufmunterndes Lächeln, aber ihr Blick konnte das unangenehme Gefühl nicht verbergen. Die komische Frage, die im Raum stand. Über Eames wurde kein Wort verloren. Es schien für alle logisch, dass sie mit der Besprechung nicht auf ihn warten würden. Dom hatte Arthur gebeten eine kurze Zusammenfassung davon zugeben, was sie bisher wussten und im selben Zug seine Pinnwand zu erklären. Danach bat er Candela noch einmal Details zu Manolo zu ergänzen. »Sag uns einfach alles was du von ihm weißt und konzentriere dich dabei auf seine Hoffnungen und Ängste.« Die meisten Informationen hatten sie bereits, aber es war interessant den Mann noch einmal direkt vor Augen geführt zu bekommen, wenn auch etwas verfärbt. Eine gewisse Spinnenphobie Monolo‘s war noch ein schönes, kleines Detail was Dom mit aufnahm – solche Kleinigkeiten konnten hin und wieder über den Erfolg oder Misserfolg einer Extraction entscheiden. »Ich möchte, dass ihr beide euch die Bordelle in der Umgebung genau anschaut.«, dabei deutete er auf Ariadne und Arthur. Die beiden würden die Designs der Labyrinthe auf den beiden angesetzten Traumebenen übernehmen. Candela würde als Tourist und letzter Jackpot mitkommen; der genaue Plan diesbezüglich stand jedoch auch noch nicht fest. »Wer kümmert sich um die Fabrik in Cancun?«, wandte er an Arthur. Arthur Seine Schuhspitze malte Formen in den Staub, an der Zigarette wurde unruhig gezogen, bevor Arthur diese neben der ersten im Aschenbecher auf der Terrasse des Hotels ausdrückte. Er war genervt im Konferenzraum zurückgeblieben, nachdem Dom erst einmal angeordnet hatte, die größte Hitze noch vergehen zu lassen. Dom hatte müde ausgesehen, das erklärte das vielleicht. Allerdings wirkte in diesem Zusammenhang der PASIV-Koffer, den er mit sich aufs Zimmer nahm, seltsam und hinterließ einen herben Beigeschmack. Arthur wollte anfangen. Er war vorbereitet und wollte arbeiten, trotz der Hitze, die im Zimmer dank halb funktionierender Klimaanlage noch einigermaßen erträglich war. Er wollte anfangen, um möglichst bald aufhören zu können. Er wollte den Fall so schnell wie möglich abschließen. Von seinem Unmut ließ er sich nichts anmerken, nahm dafür Candela in Empfang, die kurz nach seiner dritten Zigarette eintraf und sich freute ihn zu sehen. Er ließ eine Umarmung zu und hielt sie einen Moment, weil er das Gefühl hatte, dass sie das brauchen könnte. Sie wirkte blass, trotz des dunklen Teints, wirkte dünner, was ihm auffiel, weil ihre so wohlproportionierten weiblichen Rundungen sie in seinen Augen so hübsch machten. Zusammen mit dem strahlenden Lächeln, das er an diesem Tag gänzlich vermisste. Es war gut, dass er hier war. Eames wäre wichtiger. Sie sprachen über Manolo, von dem sie das Bild eines einfältigen Narren zeichnete, der aufgrund mangelnder Bereitschaft, sich beim Arbeiten anzustrengen, hofft, durch illegale Machenschaften auch ohne großen Aufwand ans dicke Geld zu kommen. Candela deutete an, dass ähnliche Machenschaften und seine Selbstüberschätzung ihn verändert hatten. So sehr, dass aus dem einst liebenswerten Chaoten ein Schläger geworden ist, der auch die Hand gegen sie erhoben hatte, nachdem sie ihm angedroht hatte, ihn zu verlassen, wenn er nicht endlich wieder sein Leben in den Griff bekomme. Er hörte ihr zu, las zwischen den Zeilen, denn auch sie nahm Eames nicht in den Mund. Ariadne stieß schließlich zu ihnen, so dass Arthur noch einmal über seine Pinnwand huschen konnte. Als Dom dann wieder auf den Plan rückte, konnte Arthur endlich beginnen und die Fakten zusammentragen, die wichtig waren. Die Distanz, die Dom ihm gegenüber zeigte, wunderte ihn ein wenig, andererseits war das hier auch nicht ein privater Besuch sondern ein Job. Und Arthur hatte schon immer geschätzt, dass Dom eine klare Linie der Professionalität fuhr, die so manch anderem Teammitglied abging. Insofern nahm er das hin, straffte selbst die Haltung und konzentrierte sich auf das Wesentliche, nämlich die Extraction bei Manolo so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Das Lächeln, das Ariadne ihm schenkte, brachte den Gedanken an eben jenes Teammitglied weiter nach vorne, an das er hier lieber nicht denken wollte, dessen Namen er dennoch nicht von der Pinnwand verbannt hatte, schließlich gehörte er zur Vorgeschichte. Er hatte nicht gewagt, Candela nach ihm zu fragen. Und doch spürte er etwas wie eine Unsicherheit bei allen, was das betraf. Keiner schien seinen Namen in den Mund nehmen zu wollen. Wollten sie ihn schonen? Aber warum? Hatte Ariadne etwas erzählt? Oder was war der Grund? Er hatte gar kein Problem damit, wenn er nicht käme! Ganz im Gegenteil, es wäre alles viel einfacher für ihn. Oder wussten sie mehr als er? Hatten sie Kontakt zu ihm? Unmut regte sich in seinem Magen. Unmut darüber, dass man ihn so seltsam mit Samthandschuhen anfasste. Als ob ihn Tom irgendwie aus der Bahn werfen könnte! Dass Eames noch kommen würde, daran glaubte er nicht mehr. Ein Teil in ihm, war darüber erleichtert, ein anderer Teil ließ natürlich aber auch seine Sorge wachsen: um Eames selbst, aber auch um ihr something. Doch beide Teile hatten gerade hier nichts verloren. Jetzt war wichtig, endlich richtig anzufangen. So etwas nannte man Professionalität - sein zweiter Vorname! Als er begann, spürte er wie er sich entspannte. Endlich ging es los. Die vergangene Nacht hatte er damit verbracht, einen Zeitplan zu optimieren, um möglichst schnell erfolgreich sein zu können. Er wusste, dass solche Pläne von zu vielen Faktoren abhängen konnten, so dass jeder Plan jederzeit überdacht und abgepasst werden musste. Doch wenn man ohnehin nicht schlafen konnte, musste man das beste daraus machen. Und je präsenter das Timing war, desto effektiver konnte man auf Unvorhergesehenes eingehen. Arthur war zufrieden mit ihrer Vorarbeit, Ariadne hatte bei den Labyrinthen Informationen beigesteuert, Candela hatte das Bild von Manolo vervollständigt, was Arthur sogleich in die Pinnwand aufgenommen hatte. Nun galt es, dass der Extractor den Zeitpunkt festlegte, den Ort, den Ablauf mit ihm abstimmte. Auf die örtlichen Gegebenheiten würde er dann vorbereiten, sobald die Location und der Zeitpunkt feststanden. „Ich werde morgen zu jener Fabrik fahren. Die Erkundung kostet uns wegen der langen Fahrt ca. sechs Stunden, so dass ich schon sehr früh losfahren möchte“, erklärte er. „Ariadne kann dir in dieser Zeit, die Labyrinthe zeigen.“ Er blickte sie kurz an und sie nickte. „Was die Bordelle betrifft: ich werde Ariadne gewiss nicht in ein mexikanisches Bordell mitnehmen, in dem die Kartelle ihr Geld waschen, Drogen verticken und Menschen verschwinden lassen.“ An diesem Punkt hatte er gehofft, dass Eames doch noch kommen würde. Mit ihm solche Etablissements zu besuchen, war immer ein nettes Abenteuer gewesen. Auch wenn er meist die Nacht noch brauchte, um seine Eifersucht wieder unter Kontrolle zu bringen (meist indem er sich eingeredet hatte, dass genau das der Grund war, weshalb er sich nie auf ihn einlassen durfte). „Ich kenne jemanden, der dort arbeitet“, warf Candela ein, unsicher, ob sie überhaupt reden durfte. „Im ‚Pleasure Principle‘ arbeitet eine Schulfreundin von mir, ‚Cereza‘.“ Das waren gute Neuigkeiten. „Und Manolo war auch oft in einem ‚Club‘, der Coyote’s heißt.“ Eames Die vergangene Woche in Kenia hatte etwas Heilendes für Eames gehabt. Er hatte einen speziellen Menschen wiedergetroffen, der ihm Kraft gegeben hatte – auch wenn sie nicht viel mehr getan hatte, als zuzuhören und Schnaps zu kaufen. Die furchtbare Zeit in Italien (vor allem die Zeit nach Arthurs Abgang) war etwas übergossen worden und erschien ihm aktuell nur noch wie ein gräulicher Schatten. Immer noch unangenehm präsent, aber längst nicht mehr so zerstörerisch, wie vorher. In dieser Hinsicht konnte Alkohol doch wahre Wunder bewirken. Er hatte sich vor ein paar Tagen ein neues Handy angeschafft und stand seitdem mit Dom in Kontakt. Diesen hatte er gebeten nichts über seine Ankunft auszuplaudern; er wusste ja selbst nicht genau wann er ankäme und wollte damit weder Candela noch irgendjemand anderen (Arthur) belasten. Dom verstand nicht ganz, aber hinterfragte auch nicht. Er wusste ja, dass da etwas zwischen seinem Forger und seinem Point Man war, aber weigerte sich dem irgendeinen Namen zu geben. Irgendwann gegen Nachmittag kam er am Residencial an und fragte sich beim Hotelpersonal durch. Es war eher Zufall, dass er auf Anhieb den richtigen Raum fand, in dem gerade die Besprechungen für die anstehende Extraction stattfinden sollte. Ein Job, der ihn per se nicht einmal etwas anging; schließlich war er eigentlich nur für Candela da. Einen Extractor gab es bereits im Team und einen Forger brauchten sie offensichtlich nicht. Sonst hätte Dom sicherlich etwas gesagt. Sein erster Blick traf Candela. Sie stand auf, stürmte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Sie umarmten sich lang und fest und niemand sagte etwas. Dom lehnte rücklinks an einem der Tische, neben einer der Pinnwände und mied Arthurs Blick; er mied jeden Blick. Ariadne war spürbar besorgt. Sie wollte wütend sein, hatte aber das unangenehme Gefühl nicht das Vorrecht darauf zu haben auf Eames sauer zu sein. Candela sagte leise etwas auf Spanisch zu Eames. Er nickte und entließ sie dann aus seinem allumfassenden Griff. Er räusperte sich, hob seine Umhängetasche wieder auf, die bei der heftigen Umarmung zu Boden gegangen war und setzte sich neben Candela in die letzte Reihe. Zum ersten Mal traf sein Blick Arthur, der vorne stand und offenbar etwas Sinnvolles beigetragen hatte, bevor er hereingeplatzt war. Die Zärtlichkeit und das Mitgefühl, das seine Mimik noch dominiert hatten, als er Candela im Arm gehalten hatte, waren aus seinem Gesicht gewichen, als er Arthur ansah. Nun trug er eine kühle Maske aus verletztem Stolz. »Lass dich nicht stören, darling.«, wandte er recht provokant an ihn. Er lehnte sich zurück und überschlug die Beine. Die Spannung war von allen Seiten deutlich spürbar. Ariadne wagte es nicht auch nur einen Mucks zu machen. Candela schien die einzige zu sein, die erleichterter war als zuvor. Schließlich war Eames für sie der einzige Mensch, der für sie am Ende immer alles hatte gut werden lassen. Arthur Durch Candelas Information über ihre Freundin, kristallisierte sich in der Festlegung des Ortes, wo die Extraction möglich wäre, immer mehr das Bordell heraus. Über eben jene Freundin war es unter Umständen möglich, genauere Infos zum Etablissement genauso wie zu Manolo zu erhalten. „Laut Jesse ist er immer an den gleichen Abenden dort: mittwochs, freitags und samstags“, las Arthur aus seinem Notizbuch für diesen Job vor und sah dann zu Cobb. „Dann werde ich morgen den Touristen mimen, der etwas Ablenkung sucht, und mit Candelas Freundin Kontakt...“ Arthur brach im Satz ab, als die Tür aufging. Im Nachhinein betrachtet, war es ein skurriler Moment, ein Auftritt, wie er Eames generell entsprach, den er selbst gerne mochte. Nur im Moment schien es Arthur den Boden unter den Füßen wegzureißen. Während er normalerweise gelassen damit umgehen konnte, hatte Arthur jetzt eher das Gefühl, dass ihm gerade jemand eine Faust in den Magen gerammt hätte. Er zwang sich, den Mund zu schließen, beobachtete, wie Candela freudestrahlend auf Tom zuflog, wie sie sich umarmten und so vertraut miteinander waren, dass er das Gefühl hatte, eigentlich ohnehin schon aufgeben zu können. Schließlich wusste er von sich, dass er nie so sein könnte, Tom aber genau so eine Begrüßung durchaus verdient hätte. Der Anblick dieser beiden ihm so lieben Menschen verursachte tiefen Schmerz und Übelkeit. Sein Magen verkrampft sich; In ihm schrie etwas danach, genau diese Umarmung auch zu wollen, so wie er es sich im Traum gegönnt hatte. Genau dieser Teil von ihm redete auch auf ihn ein, forderte ihn auf, er möge Eames begrüßen, zu ihm gehen, vor den anderen auf ihn zugehen. Allerdings - eine Umarmung vor all den anderen? Was, wenn Tom ihn zurückweisen würde? Vor all den anderen? Sie arbeiteten hier gerade. Das war kein Kaffeeklatsch alter Bekannter, die sich heiter begrüßten. Aber selbst wenn Eames ihn nicht bloß stellen würde: hatte er eine solche Umarmung verdient? Und überhaupt... Der Moment war ohnehin schon vorbei, der Kokon, der um Candela und Eames entstanden war, duldete ohnehin keine Eindringlinge. Er gönnte es ihr, aus ganzem Herzen, denn nun trug sie wieder das Lächeln, das er vorhin noch vermisst hatte. Warum war er..., warum war das alles was mit Tom zu tun hatte nur immer so beschissen verkorkst?! Er fühlte sich seltsam hilflos. Und Hilflosigkeit führte bei ihm stets dazu, Haltung anzunehmen und alles mit Stolz und einem Hauch von Arroganz zu ertragen, was es zu ertragen galt. Sein Blick glitt zu Ariadne, um nicht mehr zusehen zu müssen, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich zweierlei - etwas wie Mitgefühl ihm Gegenübers, aber auch Wut... auf Eames? Oder Dom? Jäh wendete sich sein Blick zu Dom, der seinem auswich. Das Puzzle vollendete sich mit der Erkenntnis, dass dieser sich vorhin nur aus einem Grund seltsam verhalten hatte: er hatte Bescheid gewusst, hatte Kontakt gehabt und deshalb das Meeting hinausgezögert. Und viel schlimmer noch: er hatte ihm nichts gesagt! Arthur spürt eine brennende Wut in sich aufkochen. Eine unbändige, zerstörerische Wut, auf Dom, auf Eames. Was war das für ein Spiel, das hier gespielt wurde?! Wollten sie sich auf seine Kosten amüsieren? Seine Kiefer pressten sich aufeinander und er blickte nun doch wieder zu Tom, vermutlich aus dem Gefühl heraus, selbst auch angesehen zu werden. Der Gesichtsausdruck des anderen war der Schlüssel zu all den Empfindungen, die er eigentlich weggesperrt hatte, die ihn aus Italien getrieben hatten, die ihn in eine Tiefe gestürzt hatten, die er zuletzt eigentlich hatte abwenden wollen. Abwenden, indem er auf Tom zuging. Doch nun war da nur noch Trotz zu spürten, Trotz und Stolz. War er ihm wirklich nur Mittel zum Zweck gewesen in Italien? Unbedeutend ansonsten? Egal? Ließ er ihn lieber an sich selbst zugrunde gehen, als dass er sich bei ihm meldete? »Lass dich nicht stören, darling.« „Gewiss nicht“, entgegnete er milde lächelnd ohne nachzudenken, drehte sich zur Pinnwand, um fortzufahren. Er suchte nach Worten - doch da war nichts, gar nichts. In seinem sonst so geordneten Kopf befand sich gar nichts mehr, Leere, ein weißes Nichts. Darunter lag alles in Scherben. Es war, als habe Tom mit dem Öffnen der Tür alles umgestoßen, was einmal ein Gedanke in ihm gewesen war. Arthur zögerte, schwieg, spürte sein Herz scheinbar überall in seinem Körper schlagen: in seiner Brust, im Hals, im Kopf, in den etwas weichen Knien. „Jedenfalls müssen wir ...“, setzte er an und schwieg wieder. Er hatte wirklich keine Ahnung, wovon sie zuvor gesprochen hatten. Seine Gedanken überschlugen sich in dem Vakuum seines Kopfes zusammen mit dem seltsamen Gefühl, dass ihm niemand zu Hilfe kommen würde. „Ich denke, Ceresa wird dich morgen Abend gewiss in Empfang nehmen können“, sprang nun Candela ein und Arthur warf ihr einen dankbaren Blick zu, atmete kurz durch. Ihr Lächeln war zurück, seines gestorben. „Ich rufe sie nachher an.“ Arthur nickte, blickte wieder zur Wand, sammelte sich. Ein neuer Punkt, ein neuer Inhalt musste her... „Was wir noch nicht genau wissen“, sagte er nun und blickte in die Runde, „ist, wie wir an die Kunstgegenstände rankommen. Alles steht und fällt mit den Informationen, die wir über Manolo erhalten werden. Unser Hacker ist darauf angesetzt, im Darkweb die Augen offen zu halten , ob sie angeboten werden. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass das Kartell um Carlos Gobbelin die Finger im Spiel hat.“ Arthur deutete auf das Gesicht eines Mannes. „Gobbelin ist Hotelier an der Küste von Cancun bis hinunter nach Playa del Carmen, ein angesehener, reicher Mann mit vielen Beziehungen und...“ Arthur hatte noch immer nicht das Gefühl, gänzlich wieder in der Spur zu sein. Er spürte Eames‘ Blick auf sich und es machte ihn rasend. Er streckte sich, versuchte lockerer zu stehen. „Wir, also Jesse... konnte einzelne Fäden mit ihm in Verbindung bringen. Ähm... Ihm gehört auch die Fabrik. Zudem ist er ganz offiziell als Kunstsammler bekannt. Er hat sogar schon Exponate aus seiner privaten Sammlung für Ausstellungen an die USA verliehen. Wenn er wirklich hinter all dem steckt, wird es schwierig bis unmöglich an ihn ran zu kommen. Unklar ist auch, inwiefern die Geister ihm wirklich unterstellt sind, oder ob er sie nur angeheuert hat. Eventuell könnte jemand von uns versuchen als Sammler Kontakt aufzunehmen, einen Termin auszumachen. Er hat ein großes Anwesen südlich von Cancun, in der Nähe des Strandhauses, das ich für uns gebucht habe. Allerdings bleibt diesbezüglich ohnehin abzuwarten, was die Extraction an Erkenntnissen bringen wird.“ Er nickte leicht, überlegte, was er noch hatte sagen wollen. Die Leere nahm kaum mehr Gestalt an. „Die Fabrik, zu der ich morgen fahre und über die Manolo seine Bezahlung erhält, gehört zumindest auch ihm“, fügte er noch etwas zerstreut an, ohne zu merken, dass er das bereits gesagt hatte. Eames Es war ein absurdes Schauspiel. Eames sah dabei zu, wie sich Arthur verkrampfte und sein Pflichtprogramm abspielte. Alles so wie es soll – schöne Scheiße. Er spürte, wie seine Kiefer spannten. Wie ein innerliches Beben durch seine Knochen ging; durch seine Beine, seine Schultern und Arme und seine Brust. Er konnte kaum atmen, als er ihn da vorne reden sah. Es war, als müsste er seinen Körper bändigen nicht wie ein Vulkan zu explodieren. So if you go And leave recklessly We can only be me We can only be me That's something I Through the tons of my life Never wanted to be Er hatte nicht damit gerechnet, dass es ihn so aus der Bahn werfen würde. Irgendwo hatte er doch gute Absichten gehabt, als er hergekommen war, oder etwa nicht? Er zweifelte mal wieder an seinem gesunden Menschenverstand. So viel ging ihm durch den Kopf und nichts. You're missing us now You're missing us now Dom nickte nur, etwas abwesend. Sagte nichts mehr. Stattdessen kaute er auf der Innenseite seiner Wangen herum. Eames schenkte ihm nur den Hauch eines Blickes. Seine Aufmerksamkeit galt ganz Arthur. But if you're getting even You're getting even Trying to get even Ariadne war die Hilfslosigkeit auf der Stirn geschrieben. Sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und konnte es nicht lassen hin und wieder aus dem Augenwinkel zu Eames nach hinten zu sehen. Niemand schien dem Vortrag Gehör zu schenken, außer vielleicht Candela. Es war schier erstaunlich wie gut sie alle anderen den Elefanten ignorierten, der mitten im Raum stand. I can forgive And we can forget Even after all this Love and other nonsense we've made Es war bereits eine halbe Minute Stille im Raum, nachdem Arthur geendet hatte, als Eames sich räusperte. Er hatte aus der tiefen Hosentasche seiner graublauen Anzughose einen Zettel hervorgeholt, der Arthur wohl bekannt sein dürfte. »„Eames, leider nötigen mich manche Ereignisse im Büro dazu, bereits jetzt abzureisen. Ich wünschte, es wäre anders und wir hätten etwas mehr Zeit gemeinsam. Freue mich über Nachricht von dir! Arthur.“«, es war ein monotones, raues Ein- und Ausatmen von Worten. Nun merkte auch Candela, dass etwas nicht stimmte. Ihr Blick haftete verwirrt auf Eames, als könnte sie zwischen den tiefen Falten auf seiner Stirn eine Antwort finde. Aber sein Gesicht war eine verschlossene Maske. It's the worst part of the best of me, best of me Love, I'm trying so hard to be free »Oh, Arthur.«, seufzte er. »Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Dom war noch immer in einer Art Schockstarre, aber allmählich taute er auf. Er suchte Arthurs Blick und wirkte sogar recht besorgt, aber nicht gänzlich frei von Schuldbewusstsein. Bevor er jedoch seine Stimme wiedergefunden hatte, sprang Ariadne nun wütend auf und riss dabei ihren Stuhl um. Es schepperte laut, als er auf dem Boden aufkam. »Was fällt dir ein, du widerliches - !!!« Ihr Zwergenaufstaund verursachte bei Eames jedoch nur ein herablassendes Lächeln. Er konnte es ihr nicht übelnehmen, sie wusste es nicht besser, das arme Ding. Diese Reaktion verursachte jedoch nur noch mehr Wut und Entrüstung bei der jungen Architektin. Ihre Schultern zitterten und ihr Atem war hektisches Zischen. »... verlogenes -!!!« Worst of the best of me, best of me Love, I'm trying so hard to be free Lonely but free And out of love Arthur Da war sie. Die Stille. Die Stille, die sich bei einer alten, zerstörten Lagerhalle in seinem Genick festgebissen hatte, vor der er geflohen war, ohne zu begreifen, dass sie dadurch nur fester zugepackt hatte, sich nur noch mehr verbissen hatte, während er in der Leere seines Lebens versucht hatte, Halt zu finden, ohne es zu können, weil er diesen Halt in Italien zurückgelassen hatte. Diese Stille war erbarmungslos, aggressiv, scheinbar unüberwindbar. Doch da irrte er sich. Sie hätte durchbrochen werden können, sie hätte durchbrochen werden müssen. Er hatte nur viel zu spät begriffen, wie das möglich gewesen wäre. Es wäre ganz leicht gewesen, wenn er nur die Augen aufgemacht hätte. Nun brachte sie ihn ins Wanken. Während er hoffte, dass endlich jemand was sagte - während er nicht begriff, warum keiner etwas sagte, sah er, wie Eames einen Zettel herauszog. Die Stille packte ihn, beutelte ihn, setzte zum Genickbruch an. Die Stille ließ die Worte in diesem Raum groß werden, wiederhallen und auf ihn einprügeln. Arthur lehnte sich gegen den Tisch, der seitlich vor ihm stand, um nicht fallen zu können. »Oh Arthur. - Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Die Ohrfeige saß und schmerzte. Das Gefühl von Demütigung kannte er nur zu gut. Es war der gleiche Tonfall, die gleiche Strategie, die gleiche Stille, die er schon oft in seinem Leben im Kreise seiner Familie hatte ertragen dürfen. Jetzt auch in dieser Familie. Unbändige Wut stieg in ihm auf, paarte sich mit seinem Stolz, seiner Arroganz. Sie überrannte ihn, mühelos, und ließ seine Fassade der Ungerührtheit bröckeln, ließ seine Hand sich zitternd zur Faust ballen. Blinde Wut war das, die bisher nur zwei Wege kannte: ihn zum Gehen zu bringen, oder sich zu entladen bei demjenigen, der sie verursachte. Er war sein Leben lang gegangen. Und auch jetzt schien ihm die Option, einfach zu gehen, diesem Raum, diesen Menschen, Tom für immer den Rücken zu kehrten, eine sinnvolle Option. Einfach gehen, nie wieder zurückkehren und nie wieder diese Demütigung ertragen müssen. Allerdings wusste er aus Erfahrung, dass die Stille wieder mitkommen würde, ihn nie loslassen würde, ihm nur noch mehr Schmerz zufügen würde. Schmerz, der ihn diesmal brechen würde. Zudem war diese Familie hier - egal wie ungerecht sie sich gerade verhielt - nunmehr seine einzige. Sie war ihm wichtig. Sie war alles, was er hatte. Und alles, was er wollte. Die Zeit des Davonlaufens war vorbei. Ansonsten könnte er sich auch gleich eine Kugel verpassen. »Was fällt dir ein, du widerliches - !!! ... verlogenes -!!!« Arthur erwachte aus der anfänglichen Starre, überwand die paar Meter durch den Raum, schlängelte sich durch die Tische und legte seine Hand auf die Schulter der bebenden Ariadne, die ihn Funken sprühend ansah. Er schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich weiß nicht, ob ich das wirklich verdiene“, griff er ihre Worte auf, beendete den Satz allerdings nicht. Er wusste nicht, wie er fortfahren sollte. ‚Vielleicht habe ich das wirklich?‘ Sein Blick glitt zu Dom, den er eben völlig ignoriert hatte. Auch ihm galt die Wut, die er nur mit Mühe kontrollieren konnte. “Wird das zum Problem?“ „Ich kläre das.“ Seine schwarzen Augen richteten sich wieder auf Eames, der im Schutz seiner Selbstgefälligkeit dasaß und wartete, was geschah. Als er dessen Brief in seinem Büro gefunden hatte, hatte er endlich begriffen. Arthur hatte in diesem Moment begriffen,wie es Eames gegangen sein musste, als er einfach weg gewesen war und seinen Brief gefunden hatte. Ein Scheiß-Gefühl, das Arthur aus Tokio doch eigentlich selbst gut genug kannte. »Oh Arthur. - Mein Abgänge waren sicherlich nicht die schönsten, aber das – nach all dem – puh.« Das „Aber“, die Rechtfertigung, stand sofort bereit. Doch es gab im Grunde kein Aber. Es war falsch von ihm gewesen, einfach zu verschwinden und Eames mit den Geistern seiner Vergangenheit allein zu lassen. Er hatte sich unter der Dusche auch allein gefühlt. Benutzt und allein. Doch er hätte die Situation besser einschätzen können. »nach all dem« Er hätte vertrauen müssen, in ihre Gefühle, die im Strandkorb so deutlich gewesen waren. Hätte er vertraut, wäre ihm bewusst geworden, dass Eames ihn nicht von sich stieß, sondern um Hilfe geschrien hatte. Das Lächeln bevor er unter die Dusche gegangen war, hatte alles gesagt. Wie hatte er so blind sein können?! »nach all dem« Eames war nicht abweisend gewesen, sondern überfordert. Die einstürzende Halle, die Schüsse, Pistolenläufe, die auf ihn zielten, der Hass Lombardos wie Jobs - Ramadi. Eames war wieder im Krieg gewesen. Er war nicht fähig zu der Umarmung gewesen, genauso wenig wie Arthur. Doch Arthurs Hürde wäre kleiner gewesen, wenn er nicht nur an sich gedacht hätte, wenn er nicht Angst vor seinen Gefühlen bekommen hätte. Dennoch hätte er die Hürde nehmen müssen. My world was on fire and noone could save me but you. »nach all dem« Dieses ‚dem’ war nicht nur ihre Beziehung, es war auch das Massengrab gewesen. Er hatte versagt, weil er immer noch nicht vertrauen konnte, weil er nur seine eigene Befindlichkeit gesehen hat. Weil er immer nur sich sah. War er eigentlich besser als seine Familie? Sein Vater? Mitnichten. Stattdessen war er abgehauen, wie es Eames doch sonst immer tat, sei es wie in Tokio, wo er wirklich komplett weg war, oder sei es, indem er einfach einschläft - wie bei ihrem Gespräch über Archie, wie nach dem Tod von Jobs. Er hätte ihn in den Arm nehmen sollen, um selbst getragen zu werden - auch wenn es nicht einfach war. Arthur hatte in dem Moment, als Tom ihn nicht hatte sehen wollen, eine Ahnung davon bekommen, wie es Eames gegangen war. Er hatte sich vorgenommen, nie wieder so unaufmerksam zu sein. Gerade hatte er die Möglichkeit dazu. Egal, wie sehr er gerade gedemütigt worden war, wie sehr ihm schlecht vor Schmerz war, weil er das Gefühl hatte, nach einigen Ohrfeigen sein Herz herausgerissen zu bekommen. Vielleicht sollte er die verletzenden Worte, das verletzende Verhalten des anderen nicht nehmen, um seine Mauern zu bauen, sondern seine Mauer nutzen, um die Worte und das Verhalten einfach abprallen und verschwinden lassen. Eames war sauer, zum großen Teil gerechtfertigterweise. Das entschuldigte nicht alles, doch sie kamen nicht weiter, wenn sie beide auf ihren verdammten, beschissenen Stolz beharrten. Es führte nur zu mehr Streit, zu noch mehr Schmerz und endete doch nur wieder in Stille und Sehnsucht. Heute würde Arthur einfach mal seinen Stolz zur Seite schieben. Ein anderes Mal würde er das dafür von Tom verlangen können. „Könnte ich dich bitte kurz nebenan sprechen? Unter vier Augen, Tom?“ Seine Stimme klang seltsam. Ungewohnt fragil. Doch es war ihm gerade egal, dass man darin hören konnte, dass er verzweifelt war. Er deutete zur Tür, ging darauf zu, öffnete sie und wartete, dass jener sich erhob und seiner Bitte, seiner Geste nachkam. Er senkte den Blick nicht, als Tom an ihm vorbei in den Nebenraum ging. Sie mussten diese Situation klären, sonst würde alles in die Luft gehen. Er sah, wie Dom und Ariadne sich fragende Blicke zuwarfen, bevor er hinter Eames durch die Tür trat. Jener hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt, wirkte abweisend, sein stolzes Kinn nach oben genommen, ein herablassendes Lächeln auf den Lippen, der Blick schien herausfordernd. Arthur kam sich ein wenig so vor wie Don Quijote, der gleich auf Rosinante versuchen würde, Windmühlen zum Einsturz zu bringen. Er lockerte seine Krawatte, die sich so eng anfühlte, gab Tom etwas Zeit, sich zu positionieren. Ohne Umschweife trat er dann aber auf ihn zu, an ihn heran. Er packte ihn am Kragen, spürte, wie sich seine Wut kampflustig aufbäumte und ihm zuflüsterte, sie weitermachen zu lassen. Er blickte in diese Ocean eyes, deren Ausdruck er nur schwer deuten konnte. Arthurs Augen brannten, zu gerne hätte er jetzt ausgeholt, all seinen Frust an Tom ausgelassen, wissend, dass er den kürzeren ziehen würde. Ob Tom dann glücklich wäre? Wenn er ihm als Punshing-ball diente wie im Traum, im Hinterhof des Four Seasons? Er bildete sich ein, dass Tom etwas zurückwich, überrascht zu sein schien, während in Arthur noch etwas ganz anderes aufschrie, etwas Unerwartetes, etwas sehr Lebendiges. Etwas, das er viel zu lange unterdrückt hatte und das sich jetzt nach oben kämpfte und die Wut zur Seite stieß. Sein Knie, sein Oberschenkel drängte zwischen Toms Beine, seine Hände entkrampften sich, eine glitt über die Brust hinauf zur Schulter in den Nacken, wo seine Finger überprüften, ob sich dessen Haar noch immer so weich anfühlte. Dann küsste er ihn und in diesem Kuss lag nichts Unschuldiges, es war pures Verlangen. Er wollte daran glauben, dass ihr something nach wie vor existierte, er wollte vertrauen. Hiermit hoffte er zu zeigen, dass das von seiner Seite her wirklich so war. Er wollte Tom nicht entkommen lassen, denn auch so könnte man sein Verhalten interpretieren: Hoffte Tom, dass er beendete, was begonnen hatte, damit er frei sein konnte? So leicht ließ er ihn nicht entkommen. Seine freie Hand öffnete seine Krawatte weiter, zog sie erst sich, dann Eames über den Kopf. Erst dann löste er den Kuss. Er hielt Eames an seiner eigenen Krawatte fest, zog ihn zu sich, ließ ihn nicht entkommen und blickte ihm tief in die Augen. Es war ihm egal, dass seine Augen etwas schwammen, er schämte sich seiner Gefühle gerade nicht. „Ich weiß, dass ich nicht einfach hätte gehen sollen. Es tut mir leid“, sagte er dann mit ungewohnt belegter Stimme. Warmer Atem rann über seine Lippen. Sein Herz schlug schnell. „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich enttäuscht habe. Entschuldige bitte meine Ignoranz. Ich habe damit einen großen Fehler gemacht. Ich habe dich völlig verkannt.“ Er hatte sich noch nie für sein Fehlverhalten entschuldigt. Dabei wäre es so oft nötig gewesen. „Ich könnte dir Gründe nennen, aber die würden nichts daran ändern, was ich getan habe, dass ich mich falsch verhalten habe.“ Er schluckte, suchte in den Augen des anderen nach Halt, einer Reaktion, die jedoch nicht sichtbar war. „Ich kann mir so oft vornehmen, gelassener mit allem umzugehen, weniger verkopft sondern mitfühlender zu sein, aber es gelingt mir leider nicht - noch nicht. Ich versuche mich zu bessern.“ Er wollte das, sie beide, ihn. Er wollte auf dem Weg sein, auch wenn der Weg gerade über eine wackelige Brücke ging, die über einer bodenlosen Schlucht am seidenen Faden hing. Er biss sich auf die Unterlippe, widerstand dem Drang, die Augen zu senken und Toms Blick auszuweichen. Nicht davonlaufen! Ich leide, du leidest. Dennoch sind wir hier. Alles andere ist doch egal, oder? Ja, Arthur hatte gelitten: an seiner Ignoranz, seinem Unvermögen, für Tom da zu sein, zu spüren, wenn er ihn brauchte, wenn jener nicht mit sich selbst zurecht kam. Er hatte alles nur auf sich bezogen, hatte nur das Schlimmste erwartet und nicht gemerkt, dass er damit Eames auf eine Art verletzt hatte, die anderen Menschen Grund genug war, für immer auf Abstand zu gehen. Dennoch war jener hier. Er hoffte darauf, dass es nicht zu spät war. Er hoffte es inständig. Er konnte Tom nicht mehr ruhig ansehen. Seine Hülle war zerstört durch diesen Brief, der rezitiert worden war, durch die Kraft, die er hierfür aufbringen musste, der Kampf gegen die Windmühlen. Er spürte, wie sich bei dem Gedanken, dass Tom ihn gleich von sich stoßen könnte, sich etwas in ihm verkrampfte. Oder sollte er jetzt lieber nicht zeigen, dass er Angst hatte? „Wir können das gerne später in Ruhe klären, wie Erwachsene: nackt und im Bett. Aber jetzt ist keine Zeit dafür, jetzt gehen wir da rüber und machen unseren Job! Candela braucht uns. Nein, sie braucht dich, ihren Retter in der Not. Mach ihr keine Angst.“ Seine Stimme klang etwas zittrig und nicht so selbstbewusst, wie er gewollt hätte. Er blickte den anderen an, wartete auf eine Reaktion, ein kurzes Nicken - irgendwas. Es befreite genauso wie es schmerzte, all das loszuwerden, was ihn aufgefressen hatte, seit er in Rom in den Flieger gestiegen war. Doch nun schlich sich Unsicherheit ein. Er hatte sich ausgeliefert, sich vor Tom ausgezogen. Würde der seidenen Faden durchtrennt werden? Würde er in die Schlucht, die bodenlose Tiefe stürzen? Arthur löste sich zögernd von diesem Körper. Gott, er hatte ihn vermisst, nicht nur körperlich, im Grunde auch diese Sticheleien, seine Art, die Dinge zu betrachten, die Art, wie er ihn ansah, alles. Weil er ihm zeigte, wo seine Schwächen lagen. Weil er ihn zum wachsen aufforderte, herausforderte. Und natürlich könnte man das auch anders sehen. Natürlich könnte seine gekränkte Eitelkeit darauf beharren, gerade unter der Gürtellinie getroffen worden zu sein. Aber wenn sie so weitermachten, weiter nur ihren Stolz hochhielten, dann würde es kein something mehr geben. Das durfte nicht geschehen. Das wollte er nicht geschehen lassen. Tom hatte schon oft genug klein beigegeben, war ihm schon oft genug hinterhergelaufen. Jetzt war er an der Reihe zu kämpfen. Es war längst überfällig. Arthur spürte, wie weich seine Knie geworden waren, wie sehr sein Herz schlug - das war nicht nur wegen des Kusses, es war vor allem, weil er vor der Reaktion Angst hatte. Gab es dieses something noch? Oder würde sich Tom wieder in seine Freiheit entlassen? Er sollte vielleicht zur Tür, zu den anderen zurückkehren und Eames den Raum lassen, sich zu entscheiden. Und so löste er sich wieder von ihm. Aber dann blieb er stehen. Nein, er würde jetzt nicht weglaufen. Nun war es an Tom zu entscheiden, wie es weiterging, ob es weiterging. Er würde nicht davonlaufen, egal was geschah. Eames Als sie einander gegenüberstanden – nur sie beide, Mann gegen Mann – legte sich eine eisige Schlinge um Eames Herz. Auch er wünschte sich, dass Arthur zuschlug, als er ihn abrupt am Kragen packte. Er wollte, dass der Vulkan ausbrach und er endlich alles loslassen konnte. Damit das Leiden ein Ende hatte, gleich auf welche Weise, denn das alles war ihm in den vergangenen Wochen ein Stück weit egal geworden. Es hatte egaler werden müssen, da er sonst mit dem sinkenden Schiff untergegangen wäre. Der Kuss traf ihn an seiner verwundbarsten Stelle. Die Sehnsucht und die nicht zu leugnende Reue Arthurs brachen wie ein Taifun über ihn herein und löschten den Brand. Für einen Moment war er wie erstarrt. Er spürte, wie seine Muskeln instinktiv spannten und er sich aus der Fessel aus Krawatten und Arthurs Spinnengriff befreien wollte. Doch dieses Bedürfnis hielt nicht lange an und machte einer Welle aus Erleichterung und Erregung Platz. Sie würden das klären, Arthur hatte es versprochen. Und nun war sich Eames zumindest sicher, dass das was er erhofft hatte, noch immer da war. Er brauchte einen Atemzug oder zwei, nachdem Arthur sich von ihm gelöst hatte. Sein Blick musste dem eines geängstigten Tiers im Käfig ähneln. In diesem Moment war alles ganz roh und heruntergebrochen, aber zum Glück auch klar. Er griff nach Arthurs Arm und zog ihn ein weiteres Mal zu sich. Diesmal war es an ihm seine Leidenschaft deutlich zu machen. Er küsste ihn, dann vergrub er sein Gesicht an Arthurs Halsbeuge und küsste auch diese gierig, während er den lang vermissten Geruch tief in sich einsaugte. Eine seiner Hände vergriff sich dabei fest in Arthurs Hintern und es erschien wie das Schwerste Kunststück auf der Welt sich aus diesem Konglomerat wieder zu lösen. Möglich machte dies wohl das schlechte Gewissen, dass Leute auf Arthur warteten.. wenn es nur nach Eames gegangen wäre, hätten sie gleich mit ihrer Versöhnung anfangen können. Klärende Gespräche könnte man danach immer noch führen. »Gib mir deinen Zimmerschlüssel, ich warte dort auf dich.« Er würde den Teufel tun mit Arthur zurück in das Besprechungszimmer zu gehen. Was er jetzt brauchte war eine Zigarette, eine kalte Dusche und ein Whiskey, als Grundlage um eine vernünftige Diskussion führen zu können. Arthur In seinem Traum am vergangenen Abend, als er sich der Versuchung hingegeben hatte, eine perfekte Welt zu betreten, in der all ihre Probleme und Differenzen nicht existent waren, oder zumindest lösbar und überwindbar, da war alles so einfach gewesen, so unkompliziert, so warm und sicher. Er wusste, dass Eames ihm keine Vorwürfe machen würde, dass er ihn nicht von sich stoßen würde, ihm nicht vor Augen führen würde, dass er es sich gerade womöglich viel zu leicht machte. Es war seine Projektion gewesen von einem Eames, der ihn immer verstehen würde, der ihm alle Verfehlungen verzeihen konnte. Nun aber stand der echte Eames vor ihm, dessen Blick ihm Angst machte. Er hatte ihn in die Ecke gedrängt, hatte angegriffen, hatte ihn mit seiner Krawatte eingefangen. Er kannte ihn gut genug, dass er wusste, dass ihn das hier alles auch in die Flucht schlagen könnte, ihn das Weite suchen lassen könnte. Aber dann wüsste er in der Ferne wenigstens, dass er ihn noch immer wollte, dass er sie beide wollte. Und wenn Tom fliehen würde, dann bliebe ihm vielleicht wenigstens seine Projektion, um nicht den Verstand zu verlieren. Oder würde er dadurch seinen Verstand erst recht verlieren? Arthur merkte erst, dass er die Luft angehalten hatte, als er Toms Hand an seinem Arm spürte, als er sich von Tom an diesen gezogen fühlte und sich in einem Kuss und einer Umarmung wiederfand, die in ihm ein Feuerwerk auslösten. Er hatte das Steuer herumreißen können, hatte die Schlucht überquert und spürte dasselbe Verlangen in diesem Kuss, das auch er empfand. Das Verlangen nach Sex, nach Nähe, nach einer Versöhnung, nach ihrem something. Der Brocken, der von seinem Herzen fiel, wog schwer, das Glücksgefühl, das durchbrach wirkte euphorisierend. Er erwiderte die Umarmung, drängte sich gegen den anderen, schmiegte, nein presste sich gegen ihn. Die Umarmung umhüllte ihn, trug ihn, tat ihm unheimlich gut. One day someone is going to hug you so tight, that all of your broken pieces fit back together. Das hatte Mal einmal zu ihm gesagt, nun kam es ihm wieder in den Sinn und es ließ ihn lächeln, während er Eames so weiche Haut unterhalb des Ohrs küsste, und das Gefühl hatte, in ihn hineinkriechen zu wollen. »Gib mir deinen Zimmerschlüssel, ich warte dort auf dich.« Er öffnete die Augen, wurde durch die Worte, die so rau gegen seine Haut gesprochen worden waren, zurück in die Realität katapultiert. Er löste sich etwas, sah Tom seitlich an und nickte leicht. Seine Hand glitt in seine Hemdtasche und er überreichte sie ihm. „Ich beeile mich…“, murmelte er und auch seine Stimme klang anders. Dann löste er sich, zögernd, langsam. Es fiel ihm schwer, diesen Körper wieder loszulassen, jetzt, wo er ihn gerade eben erst wieder zurückbekommen hatte. Er erhaschte noch einmal die Lippen, um den Moment hinauszuzögern, in dem er sich von ihm gänzlich löste, rückwärtsging ihn ansah. Dann drehte er sich schließlich um und kehrte zu den anderen zurück. Erst dort merkte er, dass er seine Krawatte nicht mehr umhatte. Und er sah, wie Ariadne versuchte sich das Grinsen zu verkneifen. Das Lächeln, das auf seinen Lippen lag, war den anderen wohl Erklärung genug, während er begann, den Faden wieder aufzugreifen, den er vorhin verloren hatte. Sie besprachen, dass am nächsten Tag die Fabrik und das Bordell im Fokus standen. Alles andere würde danach besprochen werden. Es war Ariadne, die darauf drängte, fertig zu werden und Dom davon überzeugte, mit ihr essen zu gehen. Arthur bahnte ein Treffen mit Candelas Freundin an, verabschiedete sich schließlich von ihr mit einer Umarmung. „Wir werden deinen Vater da rausholen“, versicherte er und er war selbst erstaunt von seiner eigenen Sicherheit. Ja, Candela hatte ihren Retter gebraucht. Er ihn aber auch. Der Weg zurück zum Zimmer war seltsam. Eine Mischung aus Vorfreude auf etwas, was in der Luft lag, von dem man wusste, dass es eintreten würde, und Aufregung deswegen, weil man noch nicht genau wusste, wie der Weg dorthin verlaufen würde. Arthur wusste, worüber sie sprechen mussten, was sie klären mussten. Zum Beispiel, wie absurd seine Ängste waren, warum er nichts gesagt hatte, sondern einfach gegangen war. Warum er mit diesen lieblosen Worten gegangen war. Warum er ihn mit seinen Geistern allein gelassen hatte. Warum er nicht mit ihm gesprochen hatte, bevor er weggegangen war. Gleichzeitig wollte er Tom klarmachen, wie es ihm gegangen war, was ihn vertrieben hatte. Er wollte ihm klar machen, dass er ihn vermisst hatte, dass er Angst um ihn gehabt hatte, dass es ihm wehgetan hatte, dass er sich nicht gemeldet hatte. Er klopfte an die Tür, sein Herz schlug, seine Hände waren unruhig, er wusste nicht, wie er sie halten sollte. Er hörte die Schritte im inneren, schloss einen Moment die Augen, atmete tief durch. Er hatte tausend Gesprächsbeginne im Kopf, tausend Fragen, Phrasen, Sätze – und keinen. Die Tür wurde geöffnet, er blickte in das Gesicht des Mannes, dem er übel zugesetzt hatte, der ihm übel zugesetzt hatte, den er so vermisst hatte, der ihn nun ansah, während er einen Moment nicht fähig war, das Zimmer zu betreten. Der Wind eines heraufziehenden Gewitters rüttelte ans Fenster, als wollte er um Einlass bitten. Doch das hier war eine geschlossene Gesellschaft. Er hatte Angst vor der Frage, die Tom stellen würde. Warum hast du nicht mit mir gesprochen, bevor du gegangen bist? Es war die Frage, die ihn zu ersticken drohte, die ihn quälte und die er nicht wirklich beantworten konnte. Aus Angst vor der Antwort. Und aus Angst vor der Wahrheit, die er nicht zu offenbaren bereit war. Doch die Wahrheit musste jetzt, wo er ihn sah, warten. Er betrat das Zimmer, stieß die Tür hinter sich zu. Mit zwei schnellen Schritten war er bei Eames, nahm seine Hände, ein Whiskeyglas hielten, nahm seinen Blick, der flatterte, nahm seine Schultern, die leicht zu zittern schienen. Für einen kurzen Augenblick standen sie da und blickten sich an. (Der Wind rüttelte erneut, doch er musste draußen bleiben.) Arthur spürte, dass nicht Eames zitterte, sondern dass er zitterte, als Tom ihm langsam über die Haare fuhr, über sein Gesicht und den Hals entlang. Seine Finger brannten auf seiner Haut, seine Hände suchten nach ihm, fanden ihn, umschlossen ihn, zogen ihn an sich. Er spürte sein Herz schlagen, hart und schnell, als Tom sich an ihn presste, als wollte er eins sein mit ihm, mit dem er immer eins gewesen war. Ein Kissen landete in der Ecke, eine Decke rutschte zu Boden, ihre Körper folgten bereitwillig. Er nahm sich, was ihm gehörte, Tom nahm sich, was ihm gehörte. Und die ganze Zeit waren Toms Augen geöffnet, und seine Blicke drängen in Arthur und ließen sein Innerstes explodieren. Es standen noch so viele Antworten aus. Aber in diesem Moment gab es keine Fragen mehr. 'Cause I wanna touch you, baby And I wanna feel you, too I wanna see the sunrise and your sins Just me and you Light it up, on the run Let's make love, tonight Make it up, fall in love, try But you'll never be alone I'll be with you from dusk till dawn I'll be with you from dusk till dawn Baby, I'm right here Eames Das letzte, weit entfernte Grollen des Gewitters drang durch das halb geöffnete Fenster, aber der Himmel schien sich zum frühen Abend hin noch einmal zu erhellen. Only you can bring the color in You alone breathe hope into Our world Von Eames‘ Schultern war eine Tonne Last abgefallen. Er konnte das erste Mal seit Wochen wirklich atmen. Und das tat er ausgiebig mit der Nase in Arthur aus der Form geratenem Haar. Dessen Kopf lag noch immer auf seinem Arm gebettet, während sie so nah aneinander geschmiegt lagen, wie es ihnen möglich war. Noch immer rollten Wellen von Glückseligkeit seinen Nacken herab, als willkommene Nachwehen seines Höhepunktes (der zugegebenermaßen nicht allzu lange auf sich hatte warten lassen). »I love you.«, hatte er gewispern, immer wieder, und hatte Küsse auf ihn regnen lassen an jeder Stelle, die er zufassen gekriegt hatte. Seine Lippen fühlten sich geschunden an, aber es war ein guter Schmerz. Nun kehrte etwas von der eindrücklichen Kühle zwischen ihnen zurück, die er die letzten Wochen ertragen hatte. Die Erkenntnis, dass sie ihr Wiedersehen nun genug zelebriert hatten und endlich klären mussten, was zwischen ihnen passiert war. Schade eigentlich, dass sie den unschönen Teil nicht vorher abgehakt hatten, vielleicht wäre der Versöhnungssex dann sogar noch intensiver gewesen. Andererseits war Eames tatsächlich ganz erleichtert, dass das Zurückkehren so viel leichter gewesen war, als er gedacht hätte. Er war nicht so abhängig von Sicherheit wie Arthur, aber er hatte sie wohl in diesem Fall gebraucht. Seine Brust ging noch immer kräftig auf und ab, als er sich eine Zigarette anzündete und an die angenehm kühle Steinwand lehnte, die vom Kopfende des Bettes zu einer viel zu hohen Decke ragte. Er bot auch Arthur einen Glimmstängel an. »Erzählst du mir jetzt was so wichtig in New York war? Oder wollen wir die Ausreden überspringen und kommen gleich zu unseren eigentlich Beziehungsprobleme?«, sein Ton war noch immer provokant, aber längst nicht mehr aggressiv. Er behielt sogar den Körperkontakt bei. Sitzengelassen zu werden war eine eindrückliche Erfahrung für ihn. In der Regel war er derjenige, der sich zuerst aus dem Staub machte, um genau so etwas zu vermeiden. Aber nun war der Schaden getan. Arthur Arthur badete in dem See der Liebe, in den Eames ihn trug, genoss die Liebkosungen, die bei ihm anlandeten, und sonnte sich in ihren Glücksgefühlen, die ihre Nähe mit sich brachte. Er fühlte sich wieder komplett, ganz, gehalten. Und er erinnerte sich daran, dass er dieses Gefühl bereits bei ihrem ersten Mal gehabt hatte. Er hatte es aufbewahren wollen, hatte das Wissen darum, von Tom wirklich geliebt zu werden, verinnerlichen wollen, um in Momenten des Zweifels Gewissheit zu haben. In Italien war ihm das nicht gelungen. Dieser Fehler durfte ihm nicht noch einmal passieren. Und weil er unfähig war, die Worte des anderen, die auf ihn hinabregneten, ihn umspülten und davontrugen, mit der gleichen Intensität zu erwidern, versuchte er das dadurch zu kompensieren, dass er ihn ansah, ihn seinerseits liebkoste und nicht einen Moment von ihm abließ. Er wollte ihm sagen, dass er ihn auch liebte, aber... wirkte es in diesem Moment nicht platt? Und dann war der Moment vorbei und sie lagen aneinander geschmiegt und rangen nach Atem. Ob er es jemals schaffen würde? Arthur nahm sich auch eine Zigarette. Der Moment war gekommen, in dem sie reden mussten, weil es so vieles gab, was sie klären mussten, was er erklären musste. Er fürchtete sich davor, aber egal was kommen würde, es war nötig. Sie waren beide nackt, hatten sich beide gerade ihrer Liebe zueinander versichert und begegneten sich auf einer Ebene. Arthur wusste, dass sie alles schaffen konnten. »Erzählst du mir jetzt was so wichtig in New York war? Oder wollen wir die Ausreden überspringen und kommen gleich zu unseren eigentlich Beziehungsproblemen?« Ein interessanter Einstieg, ein Lächeln huschte über seine Lippen. Es passte zu Tom und es war gut so, auch wenn ihn der Tonfall unter anderen Umständen zur Weißglut trieb. Er durfte nur nicht an den Brief denken, die Situation, in der er ihn vorgelesen hatte. Es war der nötige Arschtritt gewesen, aber es hätte auch anders gehen können. Der Schmerz, der damit einherging, brannte noch immer, war gut zur Seite geschoben, verdrängt. Auch das musste zeitnah nochmal ausgepackt werden. Sonst würde es sich irgendwann gegen sie richten. Arthur zog an der Zigarette und dachte nach, womit er anfangen sollte. Er lag seitlich, blickte über Eames hinweg zum Fenster. Ein Bein lag über einem des anderen. Er würde den Körperkontakt nicht unterbrechen. Was war ihr Problem? Oder war es nur seines? Nein. Sie waren beide keine Beziehungsmenschen, jeder aus unterschiedlichen Gründen. Vielleicht hatten sie deshalb eine Chance. Arthur dachte an Eames‘ Verschwinden nach dem Koma, an ihre Reise nach Italien, den Schlüssel, die Lagerhalle, an die Nacht, in der er beschlossen hatte, gehen zu müssen. Was war der Ausgangspunkt? Wo lag das Problem? „Du weißt, wie unser eigentliches Beziehungsproblem heißt“, sagte er schließlich in das Halbdunkel des Zimmers. „Es heißt Tokio, vielleicht auch Ramadi, London und gewiss auch Familie Darling. Aber vor allem heißt es Tokio.“ In der Ferne zuckte ein letzter Blitz und erhellte den Horizont. „Ich möchte gerne mit dir nach Tokio zurück. Irgendwann, so bald wie möglich. Nicht in einem Traum, nicht verbal, sondern wirklich. Und dann müssen wir das klären, was damals schief gelaufen ist.“ Er küsste die Seite des anderen, die erreichbar für ihn war, nachdem jener sich aufgesetzt hatte, während er liegen geblieben war. Wie sollte er weitermachen? Sollte er ihm zu erklären versuchen, warum er weggegangen war? Weil er diese riesige Angst gespürt hatte? Angst und eine Distanz, die er falsch verstanden hatte? Vermutlich. Aber den Einstieg zu finden, war nicht einfach. „Um ehrlich zu sein und keine Ausreden zu benutzen“, sagte er dann, „bin ich zunächst gar nicht nach New York zurück, sondern nach L.A.. Ich habe Dom aufgesucht und Mals Grab. Er hatte mich doch angerufen, als wir bei Neapel waren, dass er mich zeitnah sehen wolle, weil er etwas besprechen müsse.“ Er biss sich auf die Unterlippe, er spürte, dass er sich einem der vielen unangenehmen Punkte näherte. Der Brief - Tokio. „Dass es in der Arbeit Probleme gab, stimmt aber dennoch. Aber auch das war nicht der Grund, warum ich gegangen bin.“ Nein, das war immer noch keine Antwort darauf, was in Italien schiefgelaufen war. Er seufzte und zog erneut an seiner Zigarette, streckte sich über Eames zum Nachttisch, um die Asche in das Wasserglas dort fallen zu lassen. „Im Grunde bin ich gegangen, weil... weil ich nicht begriffen habe, dass die Distanz, die nach Jobs Tod mit einem Mal zwischen uns stand, nichts damit zu tun hatte, dass der Job erledigt war.“ Er schwieg einen Moment. Die Angst vor einem zweiten Tokio hatte ihm jeden klaren Gedanken geraubt. Wäre sie nicht gewesen, hätte er sehen können, dass Tom ihn nicht benutzt hatte, um ihn dann fallen zu lassen. Gleichzeitig war da diese verdrängte Angst um Eames gewesen, die ihn kaum noch Luft hatte kriegen lassen, als er sich ihrer gewahr wurde. „Ich hatte jegliches Gefühl verdrängt, um an diesem unsäglichen Tag zu funktionieren. Als es darauf ankam, hab ich nicht geschafft, aus mir rauszukommen.“ und im Grunde hatte er erwartet, dass Tom das einfach konnte, ihn auffangen. Dass er immer funktionierte und locker flockig vor sich hin lächelte. Er hatte ihn verkannt und ihn nicht aufgefangen, als es wichtig gewesen wäre, als Tom einfach mal nicht mehr konnte und ihn gebraucht hätte. Die Zigarette hatte er vergessen, blickte in eine Ferne, an jenen Ort, an dem er im richtigen Moment Tom in seinen Arm hätte nehmen und ihm sagen müssen, wie erleichtert er war, dass ihm nichts geschehen war. Er blickte nach oben zu Tom, rutschte etwas hinauf, drehte sich. Er zog einen letzten Zug von der Zigarette, ließ sie dann mit einem leisen Zischen einfach ins Wasserglas fallen. Dann strich er Tom über die Schläfe, das Haar nach hinten, zog ihn in eine Umarmung und küsste ihn auf die Schläfe. „Der Gedanke, Dir könnte etwas zustoßen, lähmt mich. Der Moment, in dem ich dachte, ich sei zu spät, Jobs sei schneller, war der schlimmste in meinem Leben.“ Er hatte letztlich immer noch nicht erklärt, warum er gegangen war, oder es bestenfalls angedeutet. Aber immerhin hatte er nachgeholt, was er versäumt hatte und wofür er sich die letzten Tage so große Vorwürfe gemacht hatte. Eames „Es heißt Tokio, vielleicht auch Ramadi, London und…“ Es gefiel ihm gar nicht, dass es wieder mal an ihm hängen sollte. Sicher, Arthur machte ein Eingeständnis; sicherlich hing es auch an Familie Darling; well thanks – aber der Knotenpunkt war doch noch immer das eine, verfluchte…. „Aber vor allem heißt es Tokio.“ War Tokio nicht eher ein Synonym für fehlendes Vertrauen? Eames knirschte mit den Zähnen, aber rauchte still seine Zigarette weiter, während Arthur weitersprach. Er erzählte von seinem Besuch in LA bei Dom und Mal’s Grab. Alte Geschichten flimmerten im Zeitraffer vor seinem inneren Auge vorüber. Mallorie… mit Sicherheit war auch sie Teil des Problems – ein Blinder hätte gesehen, dass sie ganz und gar nicht einverstanden damit gewesen war, wie sehr Eames sich für Arthur interessierte. Er hatte sich nie von Misses Head-in-the-clouds beeindrucken lassen. Sie hatte binnen einer Sekunde ein Urteil über ihn gefällt und daran war nichts mehr zu rütteln gewesen. Sie hatte sich immer für so schlau gehalten… They call me faker, but it takes one to know one, dear Endlich kam Arthur zu dem Vorfall in Italien. Den Grund seines Verschwindens. Die emotionale Kälte zwischen Ihnen; und bedauerlicherweise konnte Eames in gut verstehen. Er wollte wütend auf ihn sein, dass er ihn mit all dem und dem was gefolgt war einfach allein gelassen hatte, aber er konnte den Drang solch einer Situation zu entfliehen leider sehr gut nachvollziehen. Auch kannte er die alles verschlingende Starre, die zwischen Männern herrschte, die gerade ein Trauma erlitten hatten. Er drückte seine Zigarette aus und entließ den Rest des Qualmes durch seine Nase. Seinen Kopf hatte er an die kühle Wand gelehnt, während sein Daumen rastlos über Arthurs nackte Schulter, streichelte. »Es tut mir leid, dass ich dir das alles angetan habe.«, erklärte er schließlich. Er schloss einen kurzen Augenblick die Augen, atmete tief ein und aus. Seine nächsten Worte mussten weise gewählt werden. »Ich gehe mit dir nach Tokio, wenn du willst. Aber ich glaube nicht, dass das irgendetwas ändern wird. Das eigentliche Problem ist doch, dass du mir nicht vertraust –«, er lachte ein wenig, trocken. »und so ganz verübeln kann ich’s dir nicht.« Er angelte sich eine neue Zigarette aus der offenen Packung auf dem Nachttisch und steckte sie sich an. »Aber wenn wir das hier auf die Kette kriegen wollen, dann musst du mir vertrauen. Sonst enden wir wie Jack Twist und Ennis Del Mal; mit zwei bis drei traurigen Ficks pro Jahr auf dem Brokeback Mountain.« Arthur Die Entschuldigung tat unerwartet gut. Er hatte es gern getan, Tom zu helfen. Zum Teil aus reinem Eigennutz, etwas weniger Angst um ihn haben zu müssen. Zum Teil, weil er es konnte, solche Todesfallen zu konstruieren. Nichtsdestotrotz war es eine heftige Geschichte gewesen und Arthur war überfordert gewesen, als er danach nur auf Kälte gestoßen war, auch wenn er jetzt ahnte, woher das kam. Dass Tom ihn zusicherte, mit ihm nach Tokio zu gehen, erleichterte ihn. Es ging ihm vielleicht auch gar nicht so sehr darum, dort wirklich hinzukommen. Er merkte gerade, dass ihm der Wille des anderen fast reichte, dass er zufrieden war. »Das eigentliche Problem ist doch, dass du mir nicht vertraust – und so ganz verübeln kann ich’s dir nicht.« Auch das half Arthur. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Er war neben Eames zum Sitzen gekommen, lehnte sich ebenfalls an die Wand und überlegte, was er darauf sagen sollte - oder eher wie er sagen sollte, was ihm durch den Kopf ging. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fuhr Tom fort. Jack und Ennis, Brokeback Mountain. Arthur griff nach der Zigarette, die sich Tom angezündet hatte und zog daran. „Dom hat mir in LA einen Brief überreicht, einen Brief von Mal, den sie nach Tokio an mich geschrieben hat“, sagte er dann und biss sich auf die Unterlippe. Ihre Arme berührten sich, das Gewitter hatte die Wärme in den Raum gedrängt, eine wirkliche Abkühlung hatte nicht stattgefunden. „Darin schrieb sie: Egal was Thomas Eames dir über den Fall in Tokio erzählt hat oder erzählen wird; glaube ihm kein Wort. Er hat eine Geschichte gesponnen, die ihn wie einen Helden aussehen lässt. Aber nichts davon ist wahr.“ Seine Finger spielten mit der Ecke eines Kissens, das neben ihm lag. „Mal hat diesen Brief nie abgeschickt, was seinen Grund haben wird. “ Er zog an der Zigarette, die er Tom nicht zurückgeben hat. „Wenn ich dir nicht vertrauen würde, wäre ich nicht hier, mit dir. Ich vertraue dir - mehr als ihr, wie ich festgestellt habe. Ich will das, dir vertrauen. Dennoch meldet sich immer wieder eine kleine Stimme, die mich an Tokio erinnert. Ich will endlich einen Schlussstrich ziehen können. Endgültig.“ Er sah Tom an, er hatte vorhin die Anspannung gespürt, als er Tom von seinem Besuch bei Dom erzählt hatte. „An ihrem Grab habe ich mich erinnert, dass sie auch gesagt hat, dass ich tun soll, was mich glücklich macht. Und deswegen bin ich hier, bei dir.“ Er schluckte, fühlte sich unwohl, zog nervös an der Zigarette, wusste nicht so recht, was er mit seinen Händen anfangen sollte. „Ich möchte kein Brokeback Mountain erleben“, fuhr er dann leiser fort. Ihn hatte der Film damals sehr berührt. Er kam ins Kino, kurz nach Tokio. „Wie möchtest du denn enden?“, fragte er dann und sah Tom flüchtig an. Vielleicht wäre es kein Schaden, einfach mal darüber zu sprechen, welche Erwartungen, Wünsche, Träume sie hatten. Davon ausgehend könnte man doch viel leichter sehen, wie sie das erreichen konnten, oder? Eames Der Gedanke an Mal und diesen Brief, den Arthur zitierte, machte ihn abermals wütend. Sicher, man musste ihr wohl anrechnen, dass sie einen widerlichen Brief verfasst, aber die Courage besessen hatte ihn nicht abzuschicken. Dennoch fiel ihr Wort nun ins Gewicht in dieser Diskussion, auch wenn sie scheinbar nie vorgehabt hatte diesen Brief an Arthur weiterzugeben. Vielleicht; so dachte er noch gutmütig; hatte sie sich nach diesem Vorfall nur etwas von der Seele schreiben wollen. Eames hätte sie bis zu diesem Punkt verstanden. Sie hatte damals mehr gesehen, als der Rest des Teams; alles dank ihres merkwürdigen Talents immer zu den unpassendsten Momenten aufzutauchen. Das gab ihr jedoch noch lange nicht das Recht über ihn und seine Taten zu urteilen, ohne zumindest ein einziges Mal nachgefragt zu haben, wie seine Version der Geschichte war. Aber so etwas kannte man ja von Mallorie. Wenn man ohnehin alles wusste, musste man ja nicht nachfragen. „Wie möchtest du denn enden?“ Nun konnte er sich zumindest vorerst von dem Gedanken an Mal ablenken. Er wusste, wie viel sie Arthur bedeutet hatte, daher hütete er sich schlechte Worte über sie zu verlieren. Aber es würde so oder so zu einer konkreten Aussprache kommen, wo Eames ihm seine Wahrheit erklären würde. Und wenn Mal dabei nicht gut wegkam, dann würde es so sein – Tote sind nicht automatisch Heilige. Sein Blick war auf das offene Fenster gerichtet, wo der Himmel allmählich sein gruseliges, grünliches Licht verlor. Das Gewitter war vorüber. Er griff wieder nach der Zigarette, die Arthur ihm entwendet hatte, als wäre es das Mikrophon, durch das sie an diesem Abend zueinander sprachen. Es fühlte sich gut an etwas in der Hand und im Mund zu haben – etwas zu tun zu haben, während man über so tiefgründige Themen sprach. »Ich? Ich will frei sein.«, begann er. Dann lehnte er seinen Kopf an den von Arthur, der mittlerweile auf gleicher Höhe war. »Mit dir zusammen und frei sein. Ich will, dass du mit mir nach Mombasa kommst und wir uns auf meiner Dachterrasse die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.«, der Gedanke ließ ihn grinsen. Eine weitere Zigarette landete im Aschenbecher. »Nichts hält uns, außer wir beide, verstehst du?« Er wusste, dass das Träumereien waren, aber vielleicht musste er sie einmal laut aussprechen, um endlich damit abzuschließen. Vielleicht war es an der Zeit einen echten Kompromiss zu finden und nicht weiter zu versuchen heimlich sein eigenen egoistischen Ziele durchzusetzen. Arthur Es waren kleine Reaktionen, die Arthur auf die Offenbarung des Briefes hin wahrnahm, eine Hand, die sich verkrampfte, die verhärteten Gesichtszüge. Er wusste von dem eher ambivalenten Verhältnis zwischen Mal und Tom, natürlich wusste er davon. Wovon er nichts spürte, war eine Reaktion auf das, was er mehr oder weniger zwischen den Zeilen gesagt hatte. Seine Umarmung und das Geständnis, dass er Angst gehabt hatte, hatten keine körperliche Reaktion, keine Erwiderung bewirkt. Da war keine Reaktion darauf, dass er Tom indirekt erklärt hatte, dass jener ihn (wenn man sie sah zugegebenermaßen absurderweise) glücklich machte, dass er in seiner Gegenwart glücklich sein konnte. Auch nichts darauf, dass er ihm wirklich vertrauen wollte. Keine Erleichterung, kein dankbarer Blick, keine Berührung, gar nichts... Machte ihn der Geist Mallories so wütend? Oder galten seine Worte nichts? Wäre das auch die Reaktion darauf, wenn er ihm sagte, dass er ihn liebte? Nichts? Arthur schluckte, widerstand dem Drang, wieder auf Abstand zu gehen, und wartete auf die Antwort auf seine vielleicht alles entscheidende Frage. »Ich will frei sein.« Das Unwohlsein nahm zu, sein Herz schlug gegen seine Brust. Der Kopf des anderen an seinem ließ ihn etwas erstarren, den Drang erhöhen, mehr Abstand zwischen sie zu bekommen. Er hatte es hören wollen, er durfte sich nicht beschweren, aber ihm war klar, dass Freiheit und eine Beziehung (mit ihm?) schwer vereinbar waren. Wie stellte sich Eames das vor? »Mit dir zusammen und frei sein... Arthur blickte auf seine Hände, die nun seltsamerweise zur Ruhe kamen. Das Bild von ihnen zusammen in Mombasa kannte er, kannte er aus seinen Gedankenspielen, die stets damit geendet hatten, dass sein Flugticket verfallen war. »Nichts hält uns, außer wir beide, verstehst du?« Arthur schluckte, nickte leicht, Kopf an Kopf. Ja, er verstand das. Etwas in ihm nickte sogar sehr heftig. Bonnie und Clyde - frei, unabhängig, vereint bis in den Tod. Leben, lieben, lachen. Weiterziehen, wenn man es wollte; verharren, wo es schön war. Nichts und niemandem verpflichtet. Eine schöne und für Arthur gleichzeitig erschreckende Vorstellung. Ja, er verstand. Er sollte sich in Eames‘ Leben integrieren, darin verschmelzen, alles aufgeben, sich für ihn aufgeben. Für Tom da sein, immer, auf Abruf. (Bis er genug von ihm hatte? Von der Langeweile, die mit ihm einherging? Von seinem Unvermögen, wirklich nichts zu tun?) Ja, er verstand, dass keine Gegenfrage kam, was er sich wünschte. Kein „Und was möchtest du?“. Ja, er verstand, dass er hier gerade in dem Gedankenspiel nur die Rolle desjenigen spielte, der für diese Beziehung alles tun musste. Arthur wusste nicht, was er erwidern sollte. Er hatte das Gefühl, keine Zugeständnisse mehr machen zu wollen. Sein Stolz meldete sich gerade vehement zurück. Oder bekam er Eames‘ Aussage, sein Verhalten wie so oft in den falschen Hals? Er hatte gefragt. Warum konnte er gerade nicht mit der Antwort umgehen? Ihm lag ein „Wie willst du das schaffen?“ und ein „Willst du auch ein Pony dazu?“ auf den Lippen. Aber das bis zu einem gewissen Grad umzusetzen lag ja auch an ihm. ,Ich kann euch darin sehen...‘, hatte Ariadne gesagt. In ihrem Haus, das vermutlich immer imaginär bleiben wird. Oder ‚würde‘, solange niemand bereit wäre, Abstriche von seinem bisherigen Leben zu machen. Eames schien nicht bereit zu sein. Er war es gedanklich eigentlich schon vor ihrem Gespräch, vor Candela gewesen. Noch einmal schlucken? Noch einmal weiter den Schritt auf den anderen zugehen? Vielleicht interpretierte er zu viel hinein, in die scheinbare Gleichgültigkeit was seine Gedanken, Wünsche und Träume betraf. Er atmete durch, versuchte sich zu entspannen. Die Pause wurde lang. „Whenever I‘m alone with you it feels like I‘m home again, it feels like I‘m hole again“, sagte er leise, bevor er den Kopf leicht drehte, um vielleicht doch eine Reaktion zu bekommen. „Ariadne weiß bereits, dass ich erstmal nicht mit ihr nach New York zurückkehre“, sagte er dann. „Ich möchte nach Hause kommen, zu dir, und meinen Schlüssel benutzen. Das erste Mal in meinem Leben wirklich nach Hause kommen und willkommen sein.“ Nun hatte er doch ein Zugeständnis gemacht, doch davon gesprochen, was er sich wünschte. Ob er es bereuen würde? Wäre die Reaktion wieder eher gleichgültig? War das selbstverständlich für Tom, wie so viele Dinge, die als selbstverständlich hingenommen werden - was ihn so oft auf die Palme brachte? „Allerdings musst du die Flugtickets kaufen. Ich habe irgendwie kein Glück damit“, lenkte er ab und wandte den Blick ab, streckte sich zu dem Bettlaken, das als Decke diente, um sich etwas zuzudecken. Ihre Verbindung, ihre Berührung riss damit ab. Doch er hatte das Gefühl, dass ihm kalt wurde, nackt zu sein fühlte sich gerade ‚verletzbar‘ an. Dass sein Vorhaben, nach Mombasa mitzukommen, nichts Endgültiges war, war ihnen beiden vermutlich klar. Oder? Arthur war niemand, der auf Dauer mit einem sonnengebräunten Bauch glücklich sein konnte. Doch er wusste auch, dass es nun an ihm war, auf Thomas zuzugehen, um zu sehen, ob es ein Wir wirklich geben konnte, ein Wir, das dann hoffentlich nicht nur darin bestand, dass er sich alleine Tom unterordnete, ohne selbst auch gesehen zu werden. Allerdings war es wirklich an der Zeit, jenem zu zeigen, wie wichtig er für ihn war. Eames sollte nicht mehr dafür kämpfen müssen, von ihm gesehen zu werden. Er sollte generell (auch) im Scheinwerferlicht stehen. Eames „Whenever I’m alone with you it feels like I’m home again, it feels like I’m hole again“ Er konnte nicht anders, als zu lächeln und selbst langsam zu nicken – er dachte dasselbe. Dass Arthur mitkommen würde bedeutete ihm die Welt. Die Flugtickets zu kaufen war das Mindeste, was er dafür tun würde. Im Eames‘ Bauch kribbelte es angenehm. Die leichte Kühle, die sich langsam im Raum ausbreitete machte ihm nichts aus. Auch die Nacktheit störte ihn nicht im Geringsten. »Es könnte sein, dass du mich zum ersten Mal sprachlos gemacht hast, darling.«, erklärte er leise und ließ sanfte Küsse auf Arthurs Schläfe nieder. Dabei schlang er seine Arme um den eingepackten Körper und zog ihn wieder näher zu sich. Es kam ihm nicht in den Sinn ihre Intimität bereits zu kappen. Nicht nach all der Einsamkeit. Was in Italien passiert war, würde erst einmal ruhen, dachte er. Etwas anderes zwischen ihnen schien gerade viel drängender. »Mal hat mich nie gemocht. Sie war der Meinung sie wüsste über mich Bescheid, tz...«, eine gewisse Abschätzigkeit konnte er nicht unterdrücken. »Aber was auch immer sie glaubte über mich zu wissen… sie lag falsch. Sie kennt mich nicht. Vor allem nicht so wie du. Wir sind alles was wir brauchen.« Bis zu einem gewissen Maße war ihm sehr bewusst wie egoistisch er klang. Aber hatte er dazu im Augenblick nicht alles Recht? Er küsste ihn auf die Stirn, versenkte dabei seine Nase in Arthurs duftenden Haaransatz und hielt ihn so fest er konnte. »Ich weiß, dass du dasselbe denkst.« Arthur Das Nicken, das ihm zeigte, dass Tom verstand, und das Lächeln, das mit einem Glanz in den Augen einherging und das den ganzen Mann neben sich zu erfüllen schien, beruhigten Arthur sehr. Es war seine Art, Eames zu sagen, dass er ihn liebte. Ob es eine andere gab, wusste er nicht. In diesem Moment spielte das aber auch keine Rolle, denn die Botschaft war angekommen und hatte Tom sprachlos gemacht. Die Umarmung, die Küsse, die an seiner Schläfe, seiner Stirn folgten, die wiedergewonnene Nähe ließen ihn die Augen schließen, sich wieder entspannen und den Moment genießen. Offenbar hatte er die richtigen Worte gefunden, die zu Tom durchgedrungen waren. Überschätzte er Tom vielleicht auch hinsichtlich dessen, wie gut er mit echten Empfindungen umgehen konnte? Genauso wenig wie er? Er hatte sich in den Armen leicht gedreht, seinen Kopf an der Schulter des anderen abgelegt, sein Gesicht in der Halsbeuge versenkt. Tief atmete er ein, während sein Herzschlag sich beruhigte. Sein Daumen strich fahrig über die Seite des anderen. ...that all of your broken pieces fit back together. Es war seltsam zu spüren, wie abhängig er von dieser Umarmung war. Vielleicht weil er sonst niemandem gestattete, ihn so fest zu halten, weil er von niemand anderem gehalten werden wollte. Als Eames weitersprach und auf Mal zurückkam, öffnete er wieder seine Augen. Also war es doch der Brief, der den anderen so sehr beschäftigte, dass er vorhin mit einem Mal so fern und distanziert wirkte. Was jener über Mal sagte, wusste er. Auch wenn er anders dazu stand, verteidigte er sie nicht. Sie hatte stets dazu geneigt, Menschen schnell zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. Allerdings war ihre Treffsicherheit erstaunlich gewesen, ihr Gespür für Menschen bemerkenswert. Dass auch sie, ähnlich wie Tom, manipulativ war, war ihm auch bewusst. Unter Umständen rührte ihrer beider Abneigung einander gegenüber auch daher. Konkurrenten ihrer Position und hinsichtlich Arthur, in gewisser weise. Beim Schreiben dieses unsäglichen Briefes schien sie sehr zerrüttet gewesen zu sein. Oder war sie unschlüssig gewesen? Was war ihre Intention? Er würde es vielleicht in Tokio erfahren, vielleicht auch nie. Er hatte den Brief zitiert, um Eames zu zeigen, dass sein Vertrauen größer war, als alles andere, dass er an sie beide und Toms Aufrichtigkeit glaubte. Und er hatte ehrlich sein wollen, hatte vermeiden wollen, dass dieser Brief erst in Tokio oder der Verarbeitung dieser Episode in ihrem verkorksten Leben auftauchte und mehr kaputt machte, als reparabel wäre. Jetzt bereute er es, darauf gekommen zu sein. So wie er sich in gewisser Weise über Dom geärgert hatte, dass jener ihm diesen Brief überhaupt ausgehändigt hatte. Was hatte jener damit bezwecken wollen? Hätte der Brief ankommen sollen, dann wäre er das. Wieso jetzt? Ob jener wusste, dass sie beide mittlerweile zusammen waren? Vielleicht wegen der Botschaft von Tom, die er übermittelt hatte - (absichtlich?) zu spät? Ob er ihrer beider Verbindung nicht für gut hieß und deshalb bewusst versuchte, einen Keil hinein zu treiben? Hatte er ihn auch deshalb nicht auf Toms Eintreffen hier vorbereitet? Welches Spiel spielte er gerade mit ihm? »Wir sind alles was wir brauchen. - Ich weiß, dass du dasselbe denkst.« Er schob Dom in Gedanken zur Seite, fühlte in die Worte hinein. „Ist das so?“, schmunzelte er in die Halsbeuge küsste diese. Stimmte es, dass nur er Eames wirklich kannte? Er war so oft unsicher, was dessen verhalten betraf, kam so oft erst zu spät darauf, was wirklich hinter dessen Worten, Gesten, Taten stand. Aber vielleicht war er wirklich einer der wenigen Menschen, der hinter die Kulissen blicken durfte. Stimmte es, dass sie sich allein genügten? Wie sollte er wissen, ob das stimmte, wenn er sich zu selten fragte, was er wirklich wollte? Er hatte seiner Familie den Rücken gekehrt, pausierte hinsichtlich seiner Arbeit, hatte nicht vor, so bald nach New York zurückzukehren. Er wollte diesen Worten eine Chance geben. Gleichzeitig war ihm aber auch klar, dass sie zusammen zu lange auf einem Fleck ein Pulverfass waren. Er wusste auch, dass er auch mehr brauchte als nur in den Tag hineinzuleben. Allerdings war ihm doch erst gerade eben oder auch bei seinem Zusammenbruch im Büro klar geworden, dass er Eames wirklich brauchte. Er wollte sich seiner gewiss sein, wissen, dass er an seiner Seite war, wenn auch nicht physisch. Und selbst wenn er irgendwann ohne ihn zurück nach New York und seiner Arbeit kehrte, dann würde er das Wissen darum haben, dass er sich Tom und dessen Liebe zu sich sicher sein konnte, dass er auf ihr something vertrauen konnte. Die ganze letzte Zeit in New York wäre viel einfacher gewesen, wenn er sich all dem hier sicher hätte sein können. Diese Sicherheit gewann er gerade mit jedem Kuss auf die Stirn, mit dieser innigen Umarmung, der Zärtlichkeit, die er gerne zuließ. Er hatte die Sehnsucht gespürt, die Tom gehabt hatte, und wusste, dass es die selbe war, wie er sie auch gespürt hatte. Er musste sich das nur endlich verinnerlichen. Arthur drehte sich, entwand sich vorsichtig der Umarmung und richtete sich etwas auf, schlug ein Bein über die des anderen, um schließlich auf Toms Oberschenkeln zum Sitzen zu kommen. Er lächelte, während er auf Tom hinabsah. Einen Moment blickte er auf die Lippen des anderen, hatte das drängende Bedürfnis, ihn zu küssen, um diese Worte zu unterschreiben. Doch als Tom ihm schon entgegenkam, legte er ihm den Finger auf die Lippen. „Schschsch!“ Es gab noch etwas, was er geklärt haben wollte, eine Sache, die auf ihm lastete. Und nun, da er gehalten wurde, da sie sich nahe waren und dasselbe über ihr something dachten, musste er es noch einmal aufgreifen. Sein Finger glitt von den Lippen über das Kinn hinab in Richtung Brust, wo er die Konturen der Tätowierungen nachzeichnete. Seine Augen folgten der Bewegung. „Dafür, dass du angeblich sprachlos bist, redest du ganz schön viel wirres Zeug“, sagte er und biss sich auf die Lippe, um nicht zu schmunzeln. Dann wurde er aber wieder ernst. „Und du warst vorhin ein riesiges Arschloch dafür, dass du jetzt solche Reden schwingst“, stellte er fest, ohne wirkliche Anklage in der Stimme. „Dear Tom“, sagte er dann, „Es war gelogen, als ich dir in München vorwarf, dass du mir nie vertrauen würdest. Ich weiß, dass es anders ist, dass du mich nur beschützen willst. Ich weiß, dass du mir vertraust. Du hast mir dein Leben anvertraut - auf verschiedene Art und Weise. Danke dafür. Manchmal weiß ich nicht, womit ich es verdiene, dass du stets an mir festhältst.“ Er verstummte. Den ganzen Brief wollte er nicht zitieren. „Das war eigentlich das, was ich dir hatte schreiben wollen. Das und noch etwas mehr... Ich habe kalte Füße bekommen. Genauso wie es mich überfordert hat, zu spüren, wie große Angst ich um dich hatte. Ich kann so etwas nicht besonders gut.“ Er blickte von seinem Finger auf und Tom an. Dass Tom ihn vorhin so bloßgestellt hatte, hatte ihn verletzt. Sicher genauso wie jenen der unsägliche Zettel, den er selbst hinterlassen hatte. Die Wut, die er gespürt hatte, war sehr präsent. „Dass du das vorhin vorgelesen hast, ... Hab ich das wirklich verdient?“ Er schluckte, sein Kiefer presste aufeinander. Vielleicht hätte er es doch nicht noch einmal auf den Tisch bringen sollen. „Wie auch immer“, murmelte er, strich Tom über das Schlüsselbein, blickte auf die Lippen des anderen. „Ich gebe dir recht, dass wir einander brauchen. Ich möchte dich nicht mehr vermissen.“ War es nicht langsam an der Zeit, die nächste Runde einzuläuten? Seine Hand glitt die Halsbeuge hinauf, in das Haar des anderen. Eames Dieses ambivalente Spiel zwischen Wahnsinn, Wut und Lust war eins der tausend Dinge, die er so sehr an Arthur liebte. Es war eine Berg- und Talfahrt und das Hoch war in der Tat wirklich hoch – während der Absturz ihm noch immer in den Knochen steckte. „Dafür, dass du angeblich sprachlos bist, redest du ganz schön viel wirres Zeug.“ Seine Hände vergriffen sich in Arthurs Hüften und drückten ihn fest und drängten zu sich, auch wenn ihm der Kuss verwehrt blieb. Er starrte gierig in die schwarzen Augen über ihm, während sich ein selbstsicheres Lächeln auf seine Lippen schlich. Die Ernsthaftigkeit in Arthurs Fortführungen minderte seine Stimmung nicht. Oh ja, er war ein furchtbares Arschloch gewesen, als er vor allen Leuten Arthurs Brief zitiert hatte und er schämte sich nicht einmal dafür. Er lächelte sogar fortwährend, auch wenn sich eine gewisse Kälte einschlich. Dieser leck-mich-Blick, den er über die Jahre perfektioniert hatte. „… Hab ich das wirklich verdient?“ Noch bevor er antworten konnte – und es brannte ihm auf der Zunge – fuhr Arthur fort mit sanften Berührungen und Zugeständnissen. Endlich konnte Eames die Distanz zwischen ihnen schließen und die zart geschwungenen Lippen küssen, die er so sehr liebte. Wieder schlangen sich seine Arme, um den unverschämt schönen Körper, um ihn eng an sich zu drücken, als dürfte kein Blatt zwischen ihnen Platz haben. »Natürlich hast du das verdient.«, raunte er, als er seinen Kuss unterbrach und biss ihm neckisch auf die Unterlippe, ehe er fortfuhr. »Wer hat sich denn all die Jahre beschwert, dass ich nach jedem Treffen einfach abgehauen bin?«, wieder biss er ihn, diesmal in den Hals, nicht weit entfernt von seinem scharfkantigen Schlüsselbein. »Du wusstest genau, wie es sich anfühlt und hast es trotzdem gemacht - ich würde sagen, dass macht dich zu dem Miserableren von uns beiden.« Seine Hände wanderten Arthurs Körper gierig auf und ab und landeten schließlich wieder an Arthurs Hintern – dieser kleine, freche Arsch. »Wenn du eine Entschuldigung willst, dann bück dich für mich.« Arthur Die Hände an seiner Hüfte, der Kuss, der ihm verriet, dass nicht nur er für eine nächste Runde zu haben wäre, fühlten sich gut an. Seine eine Hand war gänzlich im Haar versunken, während die andere auf der Schulter ruhte. »Natürlich hast du das verdient.« Seine Finger krallten sich in die Schulter, als jener ihn in die Unterlippe biss. Er hatte mit nichts anderem gerechnet, als mit diesem Blick eben. Genauso, wie er keine andere Antwort auf seine rhetorische Frage erwartet hatte. Er wusste es ja selbst. Aber er wollte es los sein, wollte es nicht schweigend wegpacken, so dass es irgendwann wieder auf den Tisch überdimensioniert gepackt wird. (Ob das allerdings nicht doch irgendwann passieren könnte, war auch jetzt nicht ausgeschlossen...) Denn eine Entschuldigung, etwas wie Reue zu erwarten - von Thomas Eames? Eher fror die Hölle zu. »Wer hat sich denn all die Jahre beschwert, dass ich nach jedem Treffen einfach abgehauen bin?« Arthur reckte den Hals, spürte die Zähne in der empfindlichen Haut, er keuchte, biss sich auf die Lippen, um nicht lauter zu werden. Seine Fingernägel hinterließen rote Striemen, während sie den Rücken des anderen hinab und hinauf wanderten. Letztlich war es dieser Blick gewesen, der ihm sagte, dass jener wusste, wie Scheiße das von ihm war. Es war Toms Abwehrmechanismus, wenn Arthur recht hatte. Er kannte diesen Blick so gut, hatte ihn oft genug provoziert. In diesem Moment verwandelte genau das seine Wut in Energie, die Herausforderung, die darin mitschwang, anzunehmen. »Du wusstest genau, wie es sich anfühlt und hast es trotzdem gemacht - ich würde sagen, das macht dich zu dem Miserableren von uns beiden.« Eames drehte sich gerne die Welt zurecht, wie er es brauchte. Arthur lachte dumpf, amüsiert, spürte die Hände an seinem Hintern, denen er sich neckend einen Moment entgegendrückte, bevor er die Hüfte kippte und sich so tiefer in den Schoß des anderen gegen dessen wachsende Erregung ziehen ließ. Mit schwarzen Augen blickte er in die blauen, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen. »Wenn du eine Entschuldigung willst, dann bück dich für mich.« Die im Haar des anderen versunkene Hand verkrallte sich darin, zog dessen Kopf in Stück nach hinten, weg von ihm. „Oh Tom“, wisperte er honigsüß und streckte sich leicht zum Ohr des anderen, strich mit der Nasenspitze daran entlang, ohne den Griff im Haar zu lockern. Dann hielt er inne, schien nach den Worten zu suchen, die schon längst bereit lagen. „Eine Entschuldigung? Aus deinem Mund? Gibt es das denn überhaupt? Das klingt zu schön, um wahr zu sein, sehr verlockend...“ Er biss sich auf die Unterlippe, schien nachzudenken. Ein leises Zischen entwich seinen Lippen. „Aber die Antwort ist dennoch: Ich bücke mich für niemanden, Arschloch!“ Er biss ihn ins Ohrläppchen, löste sich dann abrupt, richtete sich auf und schubste ihn zurück ins Laken. Die Zeit der Entschuldigungen war vorüber. Gefühlt hatte er sich in letzter Zeit ohnehin ständig nur entschuldigt. Vielleicht wäre es auch für ihn mal an der Zeit, etwas mehr Arschloch zu sein? Er entwand sich der Hände des anderen, rutschte etwas seitlich hinab, ergriff die Erektion ohne Scheu mit festem Griff. „Der Gedanke daran, ich könnte mich für dich bücken, scheint dich ja mächtig an zu machen“, raunte er mit amüsiertem Lächeln. Seine Finger massierten, während seiner freie Hand die Innenseite eines Oberschenkels nach oben glitt. „Vielleicht wäre ja dein schöner Hintern eine passende Entschuldigung...“ Eames Diese dominante Art an Arthur war nichts Neues für Eames – Sex war bei ihnen meistens mit Kampf verbunden. Und dennoch schien sich etwas verändert zu haben; irgendetwas in seinem Blick, das Eames ernsthaft das Gefühl vermittelte, es mit einem Raubtier zu tun zu haben. Anscheinend hatte er da etwas getriggert. „Der Gedanke daran, ich könnte mich für dich bücken, scheint dich ja mächtig an zu machen“ Er keuchte, hilflos auf dem Rücken liegend, wie ein angeschossenes Rind und sah gierig dabei zu, wie sich Arthurs Schulterblätter unter seiner makellosen, glänzenden Haut bewegten. Er wüsste nicht, wann ihn jemals etwas so erregt hätte. Vielleicht wäre ja dein schöner Hintern eine passende Entschuldigung…“ Eames grinste leidvoll, während er dabei zusah, wie Arthur ihn neckte. Immer nur Millimeter von den wirklich wohltuenden Stellen entfernt – das Aas. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste er, dass sie in dieser Nacht kein Auge mehr zumachen würden. »Aber sei nicht zu zärtlich, darling.«, raunte er und überließ sich zufrieden. Es erschien fast wie eine Ausnahme, dass sie beide noch da waren, als die Sonne in Mexico wieder aufging. Candela hatte das Zimmer unter ihnen und dank der offenen Fenster konnte man sie leise singen hören, während sie offenbar ihren morgendlichen Erledigungen nachging. „No tengo armas para enfrentarte Pongo mis manos, manos al aire Solo me imparta amarte En cuerpo y alma como era ayer“ Ganz ohne Knutschen entließ Eames ihn nicht, aber das Pflichtbewusstsein in Arthur siegte natürlich. Immerhin ging es noch immer um Candela. Nachdem Eames offiziell seine Hilfe angeboten hatte, entschied die Gruppe, dass es das Beste sei sich für die Aufklärungsarbeit in den Bordellen aufzuteilen. Außerdem hatte Ariadne offenkundig nicht vorgehabt auch nur eine Sekunde länger als nötig in Eames‘ Nähe zu verbringen. Sie ignorierte ihn nicht, aber die Eiseskälte war für jeden deutlich spürbar. Also besuchten Candela und Ariadne besagte Freundin, die ihm „Pleasure Principle“ arbeitete, während sich Arthur und Eames das weitaus verschlagenere „Coyote’s“ ansahen. Klein und billig war der Laden mit seinen bunten Neonröhren und Plastikblumen im Eingangsbereich und Eames fühlte ein Kribbeln an der Oberlippe, wie Herpes, als er den schmierigen, roten Teppich vor dem Laden bemerkte. Sie standen auf der anderen Straßenseite; Eames rauchte. »Was hälst du von asozialen Republikanern, die einen drauf machen wollen?«, die Rollen mussten sie schon mit Leben füllen, zumindest war das Eames‘ Art damit zu arbeiten. Er schlug einen räudigen Südstaatenakzent an: »Wir wollen es ein paar „Camilas“ und „Valentinas“ mal so richtig zeigen, um uns davon abzulenken, wie viel Scheiße wir in unserem langweiligen Büro-job fressen müssen.«, er sah zu Arthur. »Und wenn sie uns den Laden nicht freiwillig zeigen, lenke ich sie ab und du gehst allein los.«, wäre nicht einmal das erste Mal, dass sie es auf diese Weise schafften. »Pass nur auf, dass du dir dabei nichts einfängst.« Arthur I waited for so long Outside myself You see I was pretending To be someone else I was longing to see Who I wanted to be I waited for so long Outside myself You see I was pretending To be someone else I was longing to see Who I wanted to be Arthur hatte oft Momente in seinem Leben gehabt, in denen er das Gefühl gehabt hatte, keine Luft mehr zu bekommen, in seinen eigenen vier Wänden gefangen zu sein, in seiner so perfekten Wohnung, seinem geregelten Leben, in seiner Familie, seinem Eispalast. Er hatte Momente gehabt, in denen er Angst hatte, genau in dieser Welt zu versinken, sich selbst zu verlieren, zu erfrieren. But it was too cold In my world, my world Es war die Angst, zu lange gewartet zu haben, dem Menschen zu begegnen, der ihn dort herausholt. So wie es Enya getan hatte, so wie Mal es immer wieder geschafft hatte. Dabei war dieser Mensch so lange da gewesen, schon so lange. Aber er war zu schwach gewesen, zu begreifen, nicht stark genug, sich einzugestehen, dass dieser Mann derjenige war, der ihn wirklich er selbst werden ließ. Lieber hatte er sich etwas vorgelogen, so lange. And I've been making up my world I've been painting it with gold Not strong enough to see you Und beinahe hätte er diese Eiswelt dem vorgezogen, was er haben konnte. Beinahe wäre er zurückgefallen, in jene konstruierte Welt, um weiter zu warten, um ohne Ende zu warten, um zu erfrieren. I've been waiting on my own I've been waiting for too long Not strong enough to be with you Er hatte geschafft, zu begreifen, bevor es zu spät gewesen war, bevor er zu lang gewartet hätte. Als er an diesem Morgen aufwachte, das Atmen des anderen in seinem Ohr, seine Arme um seinen Körper, als habe jener Angst, er könne wieder gehen, da fühlte sich Arthur stärker und lebendiger denn je. Das Wissen um Tom in seinem Rücken und an seiner Seite gab ihm eine ungeheure Energie. Die Nacht war sehr kurz gewesen, sie war intensiv gewesen, unbeschreiblich. Aber er war nicht müde. Er hatte ein klares Ziel vor Augen, seine Reise nach Hause. Candelas Stimme zeigte ihm, dass nicht jeder hier so glücklich war. Er wollte sich schon erheben, seinem schlechten Gewissen ihr gegenüber folgend, als Tom ihn entschieden zurückhielt. Noch ein wenig genießen, bevor die Pflicht rief. Nur ein wenig. „Bald müssen wir nur aufstehen, wenn wir das wollen“, hörte er sich sagen und war erstaunt darüber, dass der Gedanke ihm besser gefiel, als er geglaubt hätte. „Es ist völliger Humbuck, wenn wir eines nach dem anderen machen. Wir teilen uns geschickter auf“, erklärte Dom zum Beginn ihres Meetings. Er hatte an der Pinnwand herumgedokterte, was Arthur aufstieß. Aber er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken. Wobei in ihm schon die Frage auftauchte, warum jener das nicht gestern schon geäußert hatte, sondern jetzt das Ruder an sich riss, nach dem Eklat mit Eames . Traute er ihm nicht zu, die Aufgaben sinnvoll zu verteilen? Zugegebenermaßen war er gestern etwas… nun ja… neben sich. Aber heute Morgen hatte er so klargesehen, wie Dom, dass sein Zeitmanagement überholungsbedürftig war, weil sich die Situation geändert hatte. Es war immer nicht einfach für ihn, Aufgaben umzuverteilen, wenn er in Gedanken schon mit sich geklärt hatte, dass er eine Aufgabe übernahm. „Candela, du nimmst Ariadne mit und ihr besucht deine Freundin“, er blickte mit einem fast ein wenig herausfordernden Blick zu Arthur. „Da wird ihr schon nichts passieren.“ Hm, gestern klang es noch so, als sollte er mit ihr abends in ein Bordell gehen. Andere Voraussetzungen… „Arthur und Eames, ihr schaut euch dieses ‚Coyote’s‘ an, was das für ein Laden ist und ob er von Interesse für uns ist.“ Arthur meinte ein kurzes Zögern zu spüren, so als ob Cobb überlegte, noch etwas hinzuzufügen. Etwas wie ein „Wenn ihr das schafft, ohne euch zu zerfleischen.“? Oder eher ein „Je mehr wir wissen oder ausschließen können, desto besser.“? „Ich selbst fahre zu der Fabrik und sehe mich da um. Wir treffen uns heute Abend wieder hier und besprechen, wie es weiter geht. Ich möchte die Extraktion so bald wie möglich durchführen. Schließlich ist das nur eine Vorstufe und der wichtige Teil sollte nicht noch länger hinausgezögert werden.“ Wieso „noch länger“? Wer kam denn erst gestern hinzu? Arthur merkte, dass er jedes Wort des anderen auf die Goldwaage legte. Er schalt sich einen verbohrten Idioten und nahm sich vor, Dom so bald wie möglich deswegen anzusprechen. Solange er das Gefühl hatte, dass der Brief bewusst jetzt ihn erreicht hatte, würde das ihr Verhältnis unbewusst belasten. Er hatte noch nie Probleme damit gehabt, Dinge direkt anzusprechen, meistens jedenfalls. „Warum hast du mich aufgehalten, ihm meine Verachtung zu zeigen? Ich hätte ihm am liebsten die Fresse eingeschlagen, mit diesem selbstgefälligen Lächeln! Er hat sich wie ein Schwein verhalten., dich gedemütigt, dich bloßgestellt. Dabei hat er doch keine Ahnung...“ Arthur hob die Hand und gebot ihrer Wut Einhalt, indem er ihr übers Haar strich, was sie ziemlich überraschte. „Stimmt genau, Ariadne. Wie ein Schwein, aber wie ein Schwein in tiefer Verzweiflung. Und man schlägt kein Schwein in tiefer Verzweiflung.“ “Nicht ganz falsch“, gab Ariadne nach einiger Überlegung zu. „Ist er wieder zur Besinnung gekommen? Ich meine: wie konnte er wieder zu sich kommen?“ Arthur lächelte. „Ich hab versucht ihm zu zeigen, dass seine Verzweiflung nicht auf realen Fakten basiert. Es ist alles wieder gut.“ Ariadne nickte zufrieden. „Ihr zwei seid wirklich kompliziert.“ Arthur nickte lächelnd. Und irgendwie waren sie das auch nicht. Irgendwo tief in ihm, kaum hörbar und gut weggesteckt, versuchte ihn eine Stimme zu warnen: es war das Wissen darum, dass jede Art von Betrug von Eames‘ Seite aus, ihn endgültig brechen würde. Aber diese Stimme war nicht präsent, drang nicht durch, spielte keine Rolle. Er sah sie nun als Team, als Einheit - auch wenn sie für manchen Beobachter unvereinbar aussehen mochten. „Ich werde dennoch noch eine ganze Weile sauer auf ihn sein.“ Er grinste leicht. „Das ist dein gutes Recht.“ Arthur zündete sich eine der letzten von Eames‘ zerkrümelten Zigaretten an. Er würde ihm bald eine neue Schachtel kaufen müssen, damit er ihm auch weiterhin hin und wieder eine klauen konnte. Er mochte die Marke nicht, zu herb, aber schließlich: einer gestohlenen Zigarette sieht man nicht ins Kraut. »Was hältst du von asozialen Republikanern, die einen drauf machen wollen? « Arthur inhalierte tief, dachte einen Moment nach, lauschte den folgenden Worten, lächelte leicht bei der Beschreibung ihrer Rollen, bevor er den Rauch wieder entließ. Toms „Southern Drawl“ war erstaunlich. Er könnte das bei Weitem nicht so gut. Aber ihm und seiner hellen Haut nahm man vermutlich ohnehin nicht den Redneck ab. Das wäre aber ohnehin völlig egal, solange die Typen da drinnen merkten, dass sie Geld hatten und bereit waren für billigen Scheiß viel zu viel zu blechen. »Pass nur auf, dass du dir dabei nichts einfängst.« Arthur hob eine Augenbraue, blickte Tom abschätzig an. Tatsächlich hatte er nach Toms Verschwinden nach dem Koma einen AIDS-Test durchgeführt, der negativ ausgefallen war. Er war da lieber vorsichtig... „Ohnehin nicht ohne Gummi“, entgegnete er und presste die Zähne beim Sprechen aufeinander, um jenes Genuschel aus Texas nachzuahmen. „Ich lass mir doch nicht von diesen Mex-Schlampen ein Kind andrehen. Die warten doch nur auf Junggesellen wie mich, um ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu kommen. Dabei haben wir von den Bohnenfressern ohnehin schon genug bei uns.“ War das genug asozial und Republikaner und Südstaat? Sein Handy klingelte, es war Dom. „Irgendetwas an der Firma stimmt nicht“, begann dieser sogleich. Arthur hatte auf laut geschaltet. „Wer bewacht eine Fabrik, die Plastikflaschen herstellt, mit M16-Sturmgewehren?“ Arthur nickte. „Klingt nach einer Spur“, entgegnete er. „Wir brauchen nur noch eine Versicherung durch Manolo, dass Carlos Gobbelin unser Mann ist. Wir sehen uns später, gehen jetzt ins Bordell.“ Im Erdgeschoss des ‚Coyote‘s‘ war ein großer Barbereich untergebracht, eine kleine Tanzfläche und zahlreiche Sofaecken, in denen die Mädchen ihre Freier umgarnten. In der Luft lag ein ranziger Geruch, wie ihn nur die richtige Mischung aus Geilheit und Scham erzeugen konnte. Arthur blickte einer Dame entgegen, der First Lady, wie sie jedes Bordell hatte, die sie mit einer einladenden Handbewegung in Empfang nahm. Die First Lady war für den Empfang der Gäste da und verteilte die Ressourcen, nahm sich speziellen Wünschen an und war selbst nur für besondere Stammgäste und Verehrer nahbar. „Zwei so reizende Herren, die sich amüsieren wollen?“, begrüßte sie sie und Arthur legte ein einnehmendes Lächeln auf. Er hatte sich extra etwas legerer angezogen, fühlte sich etwas unsicher, wie es seine Rolle vielleicht auch brauchte. Ein kleiner Naivling war doch gar nicht verkehrt, oder? „Yes ma’am“, antwortete er höflich, den Akzent bei weitem nicht so gekonnt, wie Eames, aber er hoffte, dass das dennoch nicht auffiel. „Das haben wir uns verdient…“ Während sie sie zu ihren Plätzen geleitete, sah er sich scheu um. Hinter dem Tresen stand ein Alphatier, das gerade eine der Mädchen anschnauzte. Er schien seine Mitarbeiter so zu behandeln, wie er als Barkeeper die Eiswürfel behandelte. Er schüttelt sie alle durch und heraus kommt etwas, das keinem schmeckt. Er trug eine Jeans und Lederjacke und kaute vulgär und nervös Kaugummi. Er stand breitbeinig, mit einem haifischartigen Grinsen im Gesicht, als hätte er Blut gerochen und wollte zubeißen. Etwas erinnerte ihn an den früheren Eames. Eames Es klang vielleicht wie ein großer Schwindel, aber Eames war früher häufig in Bordellen unterwegs gewesen, ohne den eigentlichen Service der Etablissements zu nutzen. Es war nämlich eben jener Scham, der das Stillschweigen über Dinge versicherte, die dort im Verborgenen passierten. Niemand sagte gern bei der Polizei über eine Straftat aus, wenn man im selben Zuge zugeben musste, dass man ein Freudenhaus besucht hatte. Die USA waren dazu seiner Erfahrung nach am besten geeignet – ein Volk, das in Punkto Scheinheiligkeit seines Gleichen sucht. Das Umfeld und die Umgangsart waren ihm also nicht fremd, ebenso wenig wie das schlechte Parfum, die grausige Musik und die billigen Cocktails. Wahrscheinlich war das „Pleasure Principle“ eine andere Hausnummer; dieser Laden hatte tatsächlich einen ganz guten Ruf – das „Coyote’s“ hingegen war genau sein Milieu. Auch ihm war der aufgeblasene Hahn aufgefallen, der in diesem Laden zweifelsohne etwas zu sagen hatte. Es wäre jedoch klug ihn zu zweit zu bedrängen, dachte er. »Ich werde dieses Schätzchen da drüben mal nach Manolo befragen – du kannst dich in der Zeit amüsieren.«, er zwinkerte seinem Point Man zu, dann schlenderte er zu dem großen Dicken herüber. Und als hätte sie auf das Stichwort „amüsieren“ gewartet, tauchte eine große, schlanke Brünette im knappen Rock vor Arthur auf. Sie war schön, für die Verhältnisse des Ladens und hatte außerordentlich weiße Zähne. »Du erinnerst mich an jemanden.«, sprach sie mit gebrochenem Englisch. »An den Mann meiner Träume.« Arthur Die Inception verlief gut, reibungslos. Sie erhielten die Informationen, die sie brauchten. Manollo war ein wirklich mikriger Fisch und ein schwacher Geist. Es war ein Spaziergang durch ein einfältigen Geist, der sich leicht manipulieren ließ, ein Hauch von Größenwahn gepaart mit minderwertigem Selbstbewusstsein und Geltungsdrang. Dass Gobellin hinter allem steckte, war nun bestätigt. Dass die Fabrik der Ort war, an dem die Kunstgegenstände gelagert waren, war mehr als deutlich. Manolo war sogar dort gewesen und hatte sie ihnen gezeigt. Die Sorge davor, dass die Geister auf den Plan gerufen wurden, ließ sie vorsichtig agieren, intrigant. Eine Konfrontation mit einer Gruppe Auftragsmörder und Berufsverbrechern war definitiv nichts, was sie provozieren sollten. Sie mussten viel eher dafür sorgen, dass Gobbelin etwas zu verlieren hatte, wenn er nicht dafür sorgte, dass Candelas Vater wieder frei kam. Gleichzeitig sollte er aber auch nicht so angegangen werden, dass das Wort Vergeltung eine Rolle spielen würde. Jesse war eine große Hilfe. Jesse, mit dessen Hilfe Dom einen Weg fand, an Gobellin ranzukommen, ohne dass sie Candelas Familie weiter in Gefahr brachten. Ein Weg, wie sie an Beweise kommen konnten, mit denen Candelas Vater entlastet war. Es war ein gutes Stück Arbeit, bei der Eames erstaunlich professionell in den Spielhöllen Cancuns den entscheidenden Beitrag leistete. Gleich nach der Extraction Manolos hatten sie Merida den Rücken gekehrt und waren in die so saubere Parallelwelt Cancuns eingetaucht , wo sich ein Hotelkomplex an den nächsten reihte. Ein anderes Mexiko als das in Merida. Ein Mexiko der Touristen, Partys und des leicht verdienten Geldes, wenn man wusste, wie man es anstellte. Arthur hatte ein Strandhaus gemietet, wo sie die letzten Fakten zusammentrugen. Diese hatten sie Candela übergeben. Eames schien sich sehr wohl zu fühlen, genoss den Luxus ihres Hauses. Arthur mischte sich nicht ein. Die gute Laune des Forgers freute ihn, auch wenn noch immer so viele Dinge einfach nur zur Seite geschoben, nie geklärt worden waren. Ob sie in Mombasa über ein paar Dinge sprechen würden? Zum Beispiel, wie sie sich ihr ‚something‘ jeweils vorstellten…? Es war ihr letzter gemeinsamer Abend. Der letzte Abend in dieser Runde. Dom würde am nächsten Tag nach Los Angeles zurückkehren, Ariadne nach New York fliegen. Eames und er würden warten, ob Candelas Vater wirklich entlassen wurde. Dann würden sie wohl in Richtung Mombasa aufbrechen. Sie hatten nicht mehr darüber geredet, ob sie fuhren. Selbst Eames‘ vermied seine Traumereien a là ‚Wenn wir in Mombasa sind...‘. Aber für Arthur musste auch nicht mehr darüber gesprochen werden. Arthur hatte nicht vor, diesen Plan zu ändern. Er freute sich darauf, so richtig. Arthur griff zu der Flasche Bier, die er eben aus dem Kühlschrank genommen hatte. Ariadne und Eames diskutierten gerade über die richtige Mischung von „Sex on the beach“ an der Bar und Arthur war sich ziemlich sicher, dass Ariadne noch etwas brauchte, um die Doppeldeutigkeit der Worte zu durchschauen, die Tom wählte. Dom stand draußen auf der Terrasse, die zum Meer hin lag und lauschte vermutlich der Brandung, die sacht an den Strand schlug. Der Pointman trat durch die Glastür nach draußen und stellte sich neben den Extraktor, der soeben sein Handy wegsteckte. „Alles gut mit den Kindern?“, fragte er ins Blaue hinein und blickte seinerseits aufs Meer, trrank einen Schluck aus der Flasche. Eine sanfte Priese warmer Luft trug den Geruch nach Meer zu ihnen. Arthur verdrängte den Gedanken an die vergangene Nacht, in der er mit Eames unten am Strand gewesen war. Es gab da noch etwas zu klären. Etwas, was ihn beschäftigte. Eames Der Fall war wie freies Schweben für Eames. Sie brauchten ihn nicht wirklich, trotzdem konnte er einen adäquaten Beitrag leisten und nebenbei noch Qualitätszeit mit Candela und Arthur verbringen – eigentlich ideal. Sicherlich würde er sich unterfordert fühle, wenn es dauerhaft so liefe, aber angesichts der vergangenen Ereignisse tat es ihm gut den Kopf abzuschalten. Ausgelassene Gespräche, Drinks und eine Menge Sex; das hatte er wirklich verdient. Seit dem Jobs-Fall war Arthur noch einmal so viel mehr für ihn geworden. Er machte ihn schwach und gleichzeitig stärker. Früher war er ein übermütiger, verknallter Idiot gewesen; heute fühlte er sich regelrecht verschmolzen – ein sehr viel reiferes, bedeutungsvolleres Gefühl; und es fühlte sich die meiste Zeit außerordentlich gut an. Auch wenn er immer wieder das leise Raunen in seinen hintersten Gedanken vernahm, das ihn ermahnte wieder nach seiner Freiheit zu suchen, nach seiner Unabhängigkeit. Sein altes Einsamer-Wolf-Credo. Eigentlich sollte er die Sonne in diesem System sein. Nichtsdestotrotz war er von einer tiefen Ruhe erfasst, die sich alsbald auch auf sein Verhältnis zu Ariadne niederschlug. Er entschuldigte sich; reumütig zu klingen war nicht schwer für ihn. Und sie vergab ihm – wenn auch unter Vorbehalt. Und in erster Linie Arthur zu Liebe. Sollte ihm recht sein. Es reichte um ein angenehmes Klima zwischen ihnen zu schaffen, das zu seiner allgemein guten Laune nur beitrug. Nur eine Sache war nicht gänzlich in Ordnung. Es nieselte im Paradies. Und obwohl beide Parteien ihre Professionalität mit beinaher Perfektion aufrecht erhielten, konnte Eames am langen Stock fühlen, dass etwas zwischen Dom und Arthur nicht stimmte. Auch wenn er sich selbst dabei ein wenig anwiderte machte es ihn stolz, dass es unter Umständen etwas mit ihm zu tun haben könnte. Es gab keinen Grund jemals wirklich eifersüchtig auf Dom zu sein, aber der Gedanke in Arthurs Vertrauensrangordnung an dessen Stelle vorzurücken, brachte ihm eigentümliche Befriedigung. Er verfolgte Arthur aus dem Augenwinkel, sein Gesicht hatte eine sanfte Bräune angenommen. Sein Blick war jedoch von dieser strengen Art, die Eames nur zu gut kannte. Und die Farbe seiner Augen war nah an echtem Schwarz – ein gefährlicher Ton. Dom saß draußen auf dem Balkon und steckte sein Handy weg, als Arthur gerade zu ihm nach draußen trat – Dom - er rieb sich mit dem Daumen übers Kinn. Den Blick auf die idyllische Aussicht gerichtet. Meer, Stand, wehende Laken. Mal hätte es geliebt. »Sie sind versorgt.«, antwortete er seufzend, als fiele es ihm schwer diesen Fakt als positiv zu empfinden. Er hatte da jemanden, der sich wunderbar um Phillipa und James kümmerte; ein jemand den er vermutlich längst auf ein Date eingeladen hätte, würde er sich wegen ihres immensen Altersunterschiedes (und natürlich auch wegen Mal) nicht schrecklich schuldig fühlen. Aber es gab keinen Grund so etwas mit Arthur zu besprechen. Diese vermeidliche Nähe, die nach Mals Tod zwischen ihnen entstanden war, verwirrte ihn manchmal. Er fragte sich, ob da noch mehr zwischen ihnen war, oder ob der Verlust dieses einen wertvollen Menschen wirklich das einzige war, was sie all die Jahre zusammengeschweißt hatte. Und nun stand er da; mit einem Blick, der etwas ankündigte, das Dom nicht ganz greifen konnte. Er war allzu privaten, zu tiefgreifenden Gesprächen bislang gut ausgewichen; das wurde ihm in diesem Moment schlagartig klar – Mal war diejenige gewesen, die Arthurs Kummer aufgefangen hatte, sofern er das überhaupt beurteilen durfte. Seine Kiefermuskeln spannten, doch es gab wohl keine Chance dem Kommenden auszuweichen. Also deutete er auf den hölzernen Liegestuhl neben seinem. »Setz dich doch.« Arthur Arthur zog einen Stuhl heran, drehte ihn so, dass er den Strand, aber auch Dom im Blick hatte. Dann setze er sich,trank einen Schluck, wälzte Worte und Fragen hin und her. Er sprach selten mit Dom über persönliche Dinge, ihr Gespräch neulich in LA war gewissermaßen eine seltene Ausnahme gewesen und im Rückblick wusste Arthur nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, ob dieses Gespräch wirklich ehrlich gewesen war, ehrlich und nicht berechnend. Das zu klären galt es in gewisser Weise, das und der Fakt, dass er das Gefühl hatte, dass sein Funktionieren das einzige war, das bei jenem momentan zählte, und dass versucht wird, jeden Störfaktor, der das verhindern könnte, zu eliminieren. Dabei sollte Dom doch egal sein, was er tat. Als Pointman hatte er ihn doch nur wegen seiner Familie gebraucht. Plante er zurück zu kommen? Plante er, dass sie wieder als Team auftraten? Oder war es ein Besitzdenken, das jenen beeinflusste? Arthur wusste nicht mehr, wo sie standen und was jener wollte. Er sah nur, dass es jenem offenbar egal war, was mit ihm und Eames war, ja es fühlte sich gewissermaßen auch so an, als wäre es jenem lieber, wenn sie nichts miteinander hatten. Nicht, weil es ihm wirklich um Arthurs Wohlbefinden ging, sondern aus der Motivation heraus, selbst dann anders dazustehen. „Mir kommt es komisch vor“, begann er unumwunden, „dass du mich zu meiden scheinst. Und ich weiß das nicht richtig einzuschätzen.“ Arthur war bei solchen Dingen niemand, der lange um den heißen Brei herumredete. Es dauert meist, bis er klärende Gespräche führte, wenn er es überhaupt tat. Aber wenn er an dem Punkt war, dann wurde er direkt. „Du hast mich in L.A. gefragt, ob Thomas Eames und meine Beziehung zu ihm ein Problem werden würden. Ist sie das für dich? Stört sie dich?“ Er blickte Dom an. „Weißt du, ich frage mich schon die ganze Zeit, warum du mir diesen Brief, der nie abgeschickt worden ist, gegeben hast. Was hast du damit bezweckt? Sollte er das Misstrauen in mir wieder schüren? Oder hast du dich wirklich nur verpflichtet gefühlt, ihn mir zu geben, weil ich als Empfänger draufstand?“ Ja, dieser Brief hätte bewirken können, dass er jetzt nicht hier wäre, dass er womöglich jeglichen Kontakt zu Eames abgebrochen hätte. „Und ich frage mich auch, warum du mir nicht gesagt hast, dass du mit Eames im Vorfeld Kontakt hattest. Warum hast du ihn auf mich losgelassen, ohne mich vorzuwarnen? Was hast du dir davon versprochen? Sicher hat er dich gebeten, mir nichts zu sagen. Da bin ich mir sicher!“ Er schnaubte. Das passte zu Eames. „Dass du es wirklich nicht getan hast, kann nur zwei Dinge bedeuten. Entweder fühlst du dich ihm gegenüber mehr verpflichtet als mir - was mich erstaunen würde - oder aber du hast es so gewollt. Aber mit welchem Ziel?“ Er hatte nicht vor, diese Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Aber solange diese Dinge nicht geklärt waren, würde immer etwas zwischen ihnen stehen, das eine Distanz aufbauen und vergrößern wird. Dom Es war diese Sache, das hätte er kommen sehen müssen – hatte er vermutlich sogar, bloß war ihm nicht klar gewesen, wie gut er eigentlich darin war, Dinge zu verdrängen, die er nicht sehen wollte. Sein Blick war streng in die Ferne gerichtet, als Arthur sprach. Erst als er sicher war, dass vorerst nichts mehr kommen würde, senkte er den Blick. Ein tonloses Seufzen entkam ihm. »Mal hat mich gebeten dir den Brief nicht zu geben. Kurz bevor du ankamst habe ich sie besucht.«, er lächelte dieses traurige, hilflose Lächeln, das allein für diese eine Art von Schmerz bestimmt war: Erinnerungen an Mal. »Sie hatte Recht gehabt. Es war eine dumme Idee gewesen.«, auch er nahm einen Schluck; es war ihr letzter Tag in Mexiko, also genehmigte auch er sich eine Flasche Bier. Es war bereits die zweite. »Ich bin einverstanden mit dir und Eames.«, zum ersten Mal baute er Blickkontakt auf. »Ich verstehe es nicht, um ganz ehrlich zu sein, aber das ist auch nicht meine Aufgabe, nicht wahr?«, er lächelte angehalten. »Um ehrlich zu sein, habe ich versucht zu helfen – auf meine Art. Sicher, Mal hat immer die richtigen Worte gefunden, Mal war perfekt gewesen – oder?«, die Frustration war nicht zu leugnen. »Ich kann das nicht erfüllen, Arthur. Ich bin nicht wie sie; ich bin- ...«, abgestumpft? Emotional verkümmert? Zu rational? »Und deswegen habe ich versucht ihr zu widersprechen – ich wollte es anders machen als sie. Aber ich hätte mir nicht anmaßen dürfen, zu wissen was gut für euch ist. Es tut mir leid.« Arthur Seine Augen ruhten auf dem Gesicht des anderen, ließen ihn nicht aus den Augen, um zu sehen, wie Dom reagierte. Er wollte sehen, wie ehrlich die Antwort war. Eine gewisse Erleichterung schlich sich ein, dass er keinen Ärger oder gar Wut bei Dom sehen konnte, weil er ihn so direkt anging. Arthur war immer ehrlich zu Dom gewesen. Dom aber nicht immer zu ihm. Dass Dom bei Mal gewesen war, ließ ihn leicht nicken. Dom hatte nicht mit ihm kommen wollen, als er sie für sich besucht hatte. Er hatte ihm seinen Freiraum gelassen, den er selbst zuvor auch für sich gebraucht hatte. Die Traurigkeit in seinem Lächeln, in seinem Blick fühlte sich ehrlich an. Als sich ihre Blicke trafen, wusste er, dass Dom wirklich nichts direkt gegen ihr something hatte. Arthur lächelte sanft, als Dom erklärte, dass er nicht verstand, was sie da hatten, und er nickte zur Bestätigung. Die Erklärung, die er nun bekam, war erstaunlich. Er hatte versucht ihm zu helfen? Arthur verstand nicht gleich, was er meinte. Das Gefühl, dass jener ihn mit scheinbarer Reue abspeisen wollte, rührte sich vehement. Dom hatte ihm helfen? Bei was? Dabei, sie auseinander zu bringen? Oder… hatte er ihn einfach nur anstoßen wollen, sich genau zu überlegen, ob er Tom wirklich wollte? Letztlich war es ja auch genau so gewesen: seine Zweifel, sein Misstrauen hatten aufgeschrieen und sich bestätigt gesehen, doch je länger er über den Brief nachgedacht hatte, desto bewusster war ihm geworden, dass Tokyo kein Hindernis mehr sein würde. Sie hatten da noch Klärungsbedarf, vielleicht, aber dass er das nicht mehr als so wichtig erachtete, wie er das noch vor Kurzem getan hatte, war der Verdienst dieses Briefes gewesen. Es war die Vorarbeit dafür gewesen, dass er nach Eames Arschloch-Auftritt überhaupt noch fähig gewesen war, auf jenen zuzugehen. Früher hätte er seinen Koffer gepackt und wäre gegangen, hätte alles, was er noch besaß, hinter sich gelassen und sich in dem Glauben gebadet, dass seine Freunde sich gegen ihn gerichtet hatten. Nun aber hatten sie seit längerem wieder einen Job gut über die Bühne gebracht, und die Stimmung war gut. Arthur nickte, als Dom sich entschuldigte. „Ich verstehe auch nicht immer, was da zwischen uns ist – und letztlich war, seit wir uns das erste Mal getroffen haben…“, sagte er ehrlich, dachte einen Moment nach. „Und nein! Mal war nicht perfekt. Auch sie hatte ihre Fehler, wie jeder andere auch. Sie hat es auch nicht immer geschafft, ihren Standpunkt zu verlassen, um andere Perspektiven einzunehmen.“ Letztlich hatte auch das in gewisser Weise zu ihrem Tod geführt, oder? „Danke für deinen Versuch von Hilfe, in der Tat hat der Brief tatsächlich geholfen, klarer zu sehen.“ Er biss sich auf die Unterlippe, trank einen Schluck Bier. Musik drang von Innen zu ihnen hinaus, Reaggae Töne. … And treat you right. I wanna love you. Every day and every night… Arthur schmunzelte. So ganz war er noch nicht glücklich. Aber sie befanden sich auf einem Weg. „Ich weiß nicht, wohin das alles führt. Vermutlich zu einer Berg- und Talfahrt. Aber das ist mir bewusst. Was uns gut tut? Keine Ahnung. Es wird sich zeigen.“ Er sah Dom an. „Wie sollst du wissen, was uns gut tut, wenn wir es selbst nicht wissen? Versuch nicht wie Mal zu sein. Sei wie du. Du bist mir wichtig, umso schwieriger ist es für mich, wenn ich das Gefühl habe, dass du mich ins offene Messer rennen lässt oder nicht ehrlich zu mir bist, wenn es mich betrifft.“ Seine Entscheidung, all das anzusprechen, war die richtige gewesen. Ansonsten hätte sich seit Neapel immer mehr aufgestaut, was irgendwann zu Problemen führen würde. Dom „Mal war nicht perfekt.“ Es war eigentümlich befreiend diese Worte aus Arthurs Mund zu hören. Sein neues Umfeld wusste nichts von Mal. Die Kinder waren zu jung, um zu verstehen und Stephen war ihr Vater – wer hätte ihn je die Bestätigung geben können, dass Mal nicht ausschließlich der makellose Engel gewesen war, den scheinbar alle in ihr sehen wollten? Er hatte sie gekannt; er hatte ein verdammtes, ganzes Leben mit ihr verbracht. Er wusste, dass sie zuweilen schrecklich manipulativ, jähzornig, hinterlistig und vieles abscheuliches mehr sein konnte – und dennoch glich es einem Verbrechen schlecht von ihr zu reden oder gar zu denken. „… umso schwieriger ist es für mich, wenn du mich ins offene Messer rennen lässt…“ Nun, auch damit hätte er rechnen müssen. Er nickte langsam. Was blieb ihm übrig als sich der Sache zu schlucken? Er erwiderte eine Weile lang nichts. Sein müder Blick hing an dem rotorangenen Horizont der sich vor ihnen über dem Meer erstreckte. »Ich will zurück, Arthur. Extractions sind mein Metier, ich kann nicht einfach aufhören damit.«, kam es schließlich von seiner Seite. Nachdenklich. »Und ich will dich an meiner Seite. Als Point Man, aber vor allem als Freund. Gibst du mir die Chance es richtig zu machen?« Nur wenige Momente später erklang Eames’ eindrücklicher Akzent direkt hinter ihnen: »Gentlemen, ich darf Sie höflich bitten hereinzukommen!« Er lehnte im Türrahmen, sein Hemd war bis zur Hälfte aufgeknüpft und die Krawatte hing ihm lose über die Schultern. Von drinnen klang heilsam ausgelassenes Lachen und mehr Reaggae. »Ariadne weint, aber es ist nichts Schlimmes, versprochen – anscheinend ist sie nicht in der Lage vernünftig Zitronen zu schneiden und gleichzeitig mit den Geschichten aus meiner Zeit beim schwulen Ballett fertig zu werden – jedenfalls – wir haben Salz, Zitronen und vier Flaschen Tequila; also vamos!« Arthur Das anfängliche Schweigen seines Gegenübers wertete Arthur nicht als negatives Zeichen. Vielmehr erschien es ihm eher so, als würde Dom über etwas nachdenken, was wichtig war und seinen Raum und seine Zeit brauchte, um sich zu manifestieren. Arthurs Blick glitt zum Meer, zu der Kulisse, die sich ihnen bot, die diesen Ort zu einem Idyll machte, fernab von all dem Stress und der Gefahr, die ihr Leben oft bedeuteten. Als Dom seinen Wunsch verbalisierte, die Bitte an ihn, sein Pointman zu sein, sein Freund, sah Arthur Dom wieder an. Er freute sich über diese Worte. Sehr. Nicht nur, weil er es auch vermisste, mehr in diesem Metier unterwegs zu sein, sondern auch, weil Dom ihn nun anders positionierte. Dom hatte ihn so oft als selbstverständlich erachtet, als jemand, der da war, wenn er sagte, dass er da sein sollte. Er hatte Entscheidungen getroffen, ohne ihn um sein Einverständnis zu fragen, Vieles entschieden, wozu er eigentlich keine Berechtigung hatte. Arthur war bereitwillig gefolgt. Es hatte ihn nicht gestört. Im Gegenteil: es gab Situationen, in denen er froh gewesen war, gehen zu können, ja regelrecht auf einen Anruf gewartet hatte. Aber jetzt war es anders. Doms Worte teilten ihm mit, dass er ihn nicht als selbstverständlich erachtete, dass er ihn als wertvoll sah, ihn als Freund wirklich haben wollte. Vielleicht war das der Punkt, ab dem sie sich endlich wirklich auf Augenhöhe begegneten. Er nickte nach einer kurzen Pause. „Ich bin gerne der Pointman neben dir und der Freund an deiner Seite“, erklärte er. Bisher war er der Pointman hinter Dom, während jener im Fokus stand. „Wer sollte es auch sonst sein? Es gibt keinen besseren Pointman.“ Er grinste einen Moment, wurde dann aber wieder ernst. „Allerdings gibt es nun noch jemanden, der an meiner Seite steht und dem ich mich ‚verpflichtet‘ fühle. Ein 24/7 kannst du nicht mehr von mir erwarten. Ich werde ihn nicht mehr hintenanstellen. Aber ich denke, da werden wir uns schon einig. Alles, was ihn und unser something betrifft, hat auch er zu entscheid….“ Er unterbrach, als er Eames‘ Worte hörte und drehte sich diesem zu. Das hereinplatzen in Situationen, sein Auftreten, seine Wortwahl und dieser Akzent… Arthur seufzte leicht. „Sofern er das ernsthaft kann“, murmelte er und grinste dann. Sie waren aufgestanden, der Aufforderung gefolgt. Bevor Eames Dom nach Innen folgen konnte, hielt Arthur ihn am Arm zurück. Einen Moment sahen sie sich nur an. Nein, er verstand manchmal auch nicht, warum das zwischen ihnen war, was da war. Aber er wusste, dass es da war und nicht zu verleugnen war. Und er wusste, dass es ihn durchaus glücklich machte. Arthur überwand die kurze Distanz und küsste Tom. Das erste Mal vor den anderen. ‚I can see clearly now, the rain is gone,…‘, hörte man aus den Lautsprechern. Eames Dieser Kuss bedeutete, dass er gewonnen hatte. Es war egal, ob Dom wirklich hinsah oder nicht, aber Arthur war entspannt und komfortabel in Eames‘ Nähe, obwohl sie nicht allein waren. Und das war wirklich alles was er je gewollt hatte. Keiner sprach dieses etwas an, es war einfach da und das war in Ordnung; sie waren in Ordnung wie sie waren. Candela kam später dazu und verpasste Arthur im Laufe des Abends einen besonders intensiven Kuss auf die Wange, als sie bemerkte, dass Eames’ Hand auf dessen Oberschenkel ruhte. Ariadne lauschte gespannt, als Eames von alten Kamellen erzählte, von einem merkwürdigen Zwischenfall zwischen Dom, ihm und ein paar Kleinkriminellen. Eine Geschichte, die Dom nur äußerst ungern über sich ergehen ließ, da sie damit endete, wie sie beide ohne Hosen und ohne Portmonnaie dastanden. Aber nach dem zehnen Shot durften auch gern mal solche Geschichten ausgepackt werden, bevor sie sich wieder mit dem Ernst des Lebens beschäftigen mussten. »… und ich sagte noch zu ihm „Dom, das hätte alles sehr viel schlimmer enden können“ -« »… - „stell dir vor sie hätten auch die Autoschlüssel genommen“ – schon Ok, Arthur kennt die Geschichte, nicht wahr? Die Autoschlüssel waren auch weg.«, endete Cobb, wodurch Ariadne und Eames in schallendes Gelächter ausbrachen. Auch Candela amüsierte sich köstlich und schenkte noch einmal Tequila nach, bevor sich die Kleingruppe allmählich auflöste. Es gab einen rührenden Abschied, trotz der allgemein verkaterten Stille zwischen ihnen und Arthur und Eames blieben noch ein paar Tage im Strandhaus zurück. Candelas Vater wurde freigelassen, genau wie zu erwarten gewesen war. Keine Stunde später waren Arthur und Emes auf dem Weg zum Flughafen, um einen Maschine nach New York zu erwischen. Ein kurzer Zwischenstop in Arthurs rückeroberten Domäne bevor sie endlich den Urlaub bekamen, dem sie beide so lange hinterhergejagt waren. »Du wirst keine Sonnencreme mehr brauchen, wenn wir unten ankommen, darling.« Zwanglos legte er einen Arm um Arthurs Hüfte; sie standen vor einer großen, spiegelnden Fassade, während sie auf ihr Gepäck warteten. Eames‘ war schrecklich eitel und betrachtete sich gern im Spiegel, aber wenn Arthur neben ihm stand und er sie beide zur Gänze ansehen konnte, haftete sein Blick ausschließlich an seiner bezaubernden Begleitung und dessen neuem, dunkleren Teint. Arthur Sie beide als Reflexion. Das hatte etwas Unwirkliches. Etwas von Paradiesvogel und Krähe, etwas von Licht und Schatten. Das Abbild von ihnen sah deswegen nicht schlecht aus, gar nicht. Es war eine andere Perspektive, eine Sicht auf sie beide von außen. Arthur hatte das Gefühl, dass sein Selbstbild von ihnen deutlich schlechter ausfiel, als ihr Fremdbild. Aber er hatte tatsächlich deutlich an Farbe gewonnen, sah nicht mehr so blass aus, so fahl und ungesund. Mit der Bräune war Lebensenergie gekommen, Kraft, Ruhe. Die Nächte, in denen er Tom neben sich spürte, waren erholsam, wenn sie auch nicht selten kurz waren, oder unterbrochen von dem schier unstillbaren Verlangen, das sie nach einander verspürten. Er aß mehr, trank mehr Alkohol als sonst. Das Gefühl, dass er an Gewicht zulegte, störte ihn etwas. Aber es war in Ordnung. Eames hingegen sah gut aus wie immer. Und doch wirkte auch er verändert. Ruhiger, gesünder, zufrieden. Und doch bemerkte Arthur manche Momente, in denen Tom mit sich zu ringen schien, in denen er aufbrach. Aber er kam zurück zu ihm. Und er ließ ihm den Raum dafür. Genauso wie er selbst gelegentlich merkte, dass ihm die viele Nähe zu viel war. Ständig und oft berührt werden, fühlte sich seltsam an. Und gelegentlich fuhr er Stacheln aus, um wieder etwas mehr Raum zum Atmen zu haben. „Das wage ich zu bezweifeln“, seufzte er mit etwas Verzögerung, und drehte sich von ihrem Spiegelbild weg zum Original. „Ich werde auch rot, selbst wenn ich braun bin.“ ~.~.~.~.~ Sie würden eine Nacht in New York bleiben. Der Flug würde erst am nächsten Tag im Laufe des Nachmittags gegen Arthur nutzte die Zeit in seiner Wohnung, um seinen Koffer anders zu packen, die Post durchzusehen und die Wäsche zu waschen. Kurz kam ihm die Karte Teteruks in die Finger. Er betrachtete sie, überlegte, ob er sie abheften sollte oder wegschmeißen. Er entschied sich für ersteres. „Lass uns was essen gehen“, sagte er schließlich. Arthur wusste nicht, weshalb er hierher gekommen war, ausgerechnet in dieses Pub. „Wollen wir?“ „Gut“, sagte Eames und hielt ihm die Tür auf. Arthur trat die Stufen hinunter, fahler Biergeruch kam ihm entgegen, das Klappern der Krüge, Stimmengewirr, Musik. Sie setzten sich beide an den Tisch, so wie damals, als sie 8Jahre jünger gewesen waren, wo sie sich das erste Mal begegnet waren und Arthur noch gar nicht richtig wusste, was ein Flirt eigentlich war. Und wie es sich anfühlte, im Dämmerlicht zu Beatles-Musik. Und jetzt saßen sie hier und weder Eames noch Arthur hatten das Bedürfnis, etwas zu sagen. Sie saßen da, ihre Knie berührten sich, ein Bier stand vor ihnen, während sie auf das Essen warteten. Arthur spürte die Wärme des anderen an seinem Knie. Er fragte sich, ob es das war. Das Leben. Arthur spürte, wie alle Schwere ihn verließ, wie alle Sorgen sich verflüchtigten. Italien, Mexiko, Tokio, ... waren weit weg, Teteruk nur ein Schatten, der sich im Nebel auflöste. Und seine Familie ein Geist, den er verdrängte. ~.~.~.~.~ Arthur lehnte einen Augenblick seinen Kopf an Eames‘ Schulter, während sie auf den Hudson blickten. Sie hatten Yusuf besucht und mit ihm gefrühstückt, waren früher aus der U-Bahn gestiegen, am Hudson entlang in Richtung seiner Wohnung gelaufen. Nun saßen sie auf einer Bank und blickten auf das Wasser. In zwei Stunden mussten sie in Richtung Flughafen aufbrechen. Da war Straßenlärm, die Schritte der Passanten auf dem Trottoir. Die Rufe eines Händlers vor seinem Stand auf der Straße, das Hupen von Autos, das Klingeln der Fahrräder, das Fluchen eines Kneipenbesitzers, der einen streunenden Hund verscheuchte. Das Dröhnen des New York mer Verkehrs mit seinen Taxis, die monotone Stimme aus einem Fernseher, das Zwitschern eines Kanarienvogels. Und nichts drang zu ihnen. Sie spürten nur das Licht, die Helligkeit, den warmen Druck ihrer Hände und das nicht zu übertreffende Gefühl, dass alles gut war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)