[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 42: NON, JE NE REGRETTE RIEN. ------------------------------------- *Arthur* “Kalt und grau.“ - Arthur hatte das Gefühl, gerade etwas Wichtiges zum Greifen nahe zu haben. Hitze im Irak. Eiseskälte in Toms Träumen, beim Job. Jetzt, während er um die Realität kämpfte. Offenbar fuhr Tom dieses Wetter hoch, um alle Teilhaber vor seiner persönlichen Hölle zu schützen - und damit auch sich selbst – und vor sich selbst? Es war das genaue Gegenteil zu Ramadi. Daher unterband es die Möglichkeit, dass plötzlich Archie hier auftauchen könnte. So wie er seine Träume nur in Städten aufbaute, nur in geschlossenen Räumen, geradlinigen, unkreativen, nicht verspielten Räumen. Niemals in der Natur, auch wenn diese hervorragende Räume für Labyrinthe bot. Nie improvisiert, frei, wild. Die Gefahr, dass Enya ihm dort Gesellschaft leisten wollte, war ihm zu groß. Sicher auch ein Grund, weshalb sie zuletzt in jenem Park aufgetaucht war. Enya. Ihr hatte Tom ein Versprechen gegeben, niemals ihm. Sie hatte eine krasse Wende in seinem Leben verursacht. Mehrmals. Jetzt kämpfte er darum, dass die letzte ihn nicht in die Hölle katapultierte. Ob er sie brauchen würde? Er drehte sich ganz zu Eames, stand nun direkt vor ihm. Seine Arme hatten sich wie von selbst um seinen Oberkörper geschlungen. Er suchte den Blick des anderen, versuchte auszuloten, was in ihm vorging. Aber das war schwer. Wobei das Wetter, der Schneesturm vermutlich deutlich genug war. „Du willst wissen, was passiert ist“, stellte er in den Raum. „Du hast dich übernommen, auch wenn du das vermutlich anders sehen würdest. Und ich habe dich nicht ausreichend vor dir selbst geschützt. Ich war selbstsüchtig gewesen. Ich wollte genießen, dass wir uns endlich wieder nahe waren, anstatt mit dir zu streiten und das fragile something zu gefährden. Jetzt bin ich hier, um dich zurückzuholen. Du hast deinen Job gemeistert. Nur jetzt scheinst du nicht zu wissen, wie es weitergehen soll.“ Er blickte auf Toms Lippen, überwand die Distanz jedoch nicht, auch wenn er es zu gerne wollte. Wenn Eames der ganzen Situation misstraute und das Gefühl bekommen würde, dass er ihn manipulierte oder anlog, dann wäre das fatal. Solange jener sich nicht ganz erinnern konnte, könnte es mehr zerstören, als dass es heilend wäre. *Eames* Der Wind peitschte ihnen grausam um die Ohren, aber der Schnee wurde weniger. Über ihnen eine dunkel grüngraue Kuppel aus Gewitterwolken, die sich wanden und ineinander wühlte wie ein Schlangennest. Tiefes Grollen aus der Ferne. Die Kälte und der Wind machten ihm nichts aus, auch wenn es heftig an seiner Kleidung riss. Sie standen auf einer Eisscholle, die von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war. Das Eis unter ihnen schien sich sehr langsam und schwerfällig zu bewegen und knirschte dabei. Außerhalb der ca 20x20 Meter großen Eisfläche erstreckte sich ein unendliches, schwarzes Meer, rings um sie herum. Er war schrecklich durcheinander. Eine Stimme in seinem Hinterkopf tobte und schrie ihn an, er solle aufwachen; aber er konnte nichts tun, sein Verstand war wie gelähmt. Auch dieser Ort schien ihm ein wahres Rätsel. Ob er sich im Limbo befand? Vielleicht war die Inception missglückt... Cobb würde seine Familie nie wiedersehen. Arthur und er waren gestorben und tief gefallen... ‚Du hast dich übernommen...‘ ‚... ich wollte genießen, dass wir uns endlich wieder nahe waren...‘ Nichts ergab einen Sinn. Außer die Erwähnung dieses somethings... die Gefühle, die daran verknüpft waren, fühlten sich echt an. Etwas, woran er sich festhalten konnte in dem bodenlosen Käfig seines Geistes. »Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll«, bestätigte er und suchte hilflos etwas in diesen tief schwarzen Augen vor sich, die ihn wehmütig ansahen. Er packte ihn an den Oberarmen, langsam und bedächtig. »Wir träumen, Arthur.« Als hätte ihn gerade eine Erkenntnis überfallen. »Wir sind gefangen, wir müssen uns umbringen, dann kommen wir hier raus. Wo ist deine Waffe?« Er hatte keine und konnte ums Verrecken nicht den Ort in seinem Verstand erreichen, der ihm geholfen hätte sich eine zu erträumen. *Arthur* Arthur versuchte sich durch die Umgebung nicht einschüchtern zu lassen. Es hatte etwas Bedrohliches, genauso wie es die Unruhe seines Gegenübers wiederspiegelte. Er spürte, dass sie sich dem entscheidenden Wendepunkt näherten. Umso aufmerksamer wurde er. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Je mehr er sprach, desto mehr Verwirrung schien in Eames Augen lesbar zu sein. Die Stirn des anderen hatte sich zusammengezogen, er rang mit sich, versuchte sich zu erinnern. Doch der Schutzmechanismus schien weiterhin die Oberhand zu behalten. Die Ohnmacht hielt ihn davon zurück, wieder zu sich zu kommen. Vielleicht sollte er doch deutlicher werden. Aber dafür musste er erst wissen, ob Tom ihm vertraute, ob er ihm traute. Als er something sagte, änderte sich etwas Toms Blick. Eine Gewissheit, eine Sicherheit? Vielleicht. Arthur lächelte fast ein wenig traurig, als Eames sich zu erklären versuchte. Hatte er ihm nicht gesagt, dass er nach Mombasa mitkommen wollte? War das nicht der Weg, wie er weitergehen würde? Ihr gemeinsamer Weg? Oder war das nur ein Wunschdenken gewesen, ein Traum, der bei ihrer verkorksten Geschichte ohnehin nie funktionieren würde? Aber diese Gedanken gehörten jetzt nicht hierher. Er spürte die warmen Hände an seiner eisigen Haut, wie sie seine Oberarme umfassten, ihn festhielten. Arthur wehrte sich nicht, erwiderte den Blick. Endlich kam eine Erkenntnis! Er nickte zunächst leicht, zumindest bevor Eames fortfuhr. Dann schlich sich ein anderes Gefühl in seine Augen, die sich weiteten. Vehement schüttelte er den Kopf. „Nein, nein, nein, nein! Wage es ja nicht, auch nur daran zu denken!“, sagte er bestimmt und blickte Tom an. Er hatte die Hände gehoben, sie ihm auf die Brust gelegt, um ihn wegstoßen zu können, falls jener versuchen sollte, ihn nach einer Waffe zu durchsuchen. „Ja, wir träumen“, bestätigte er nun noch einmal. Sein Atem ging hektisch, sein Herz schlug schnell. „Aber du auf eine andere Art als ich!“ Arthur hatte keine wirkliche Ahnung, was geschehen könnte, wenn Tom sich in seinem eigenen Traum, in einem komatösen Zustand selbst umbrachte. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass jener damit sein Todesurteil besiegelte, war mehr als groß. Arthur versuchte sich seine Panik nicht anmerken zu lassen, die bei dem Gedanken mit einem Mal nach oben kroch. „Ich träume, um dich hier treffen zu können, um dich zurückzuholen, dir den Weg zu weisen.“ Das hoffte er zumindest. „Aber deine Träume, funktionieren anders. Hör mir gut zu, Thomas Eames!“ Seine Worte waren nachdrücklich, sein Blick ernst, streng. „Dein Körper streikt, er hat dich in ein Koma geworfen, um sich selbst zu schützen. Du hast den Job beendet, dann bist du zusammengebrochen. Zu wenig Schlaf, zu viel Alkohol, zu viele Tabletten wegen deiner Rippen – und dann das Somnacin, der Druck, der Stress, den die Italiener auf dich ausüben.“ Er rang nach Worten. „Wenn du dich umbringst, bist du tot. Yusuf sagt, dass deine Ohnmacht so stark ist, dass es dich das Leben kosten könnte.“ Eben noch war er fast wütend auf Tom, dass er diesen Gedanken dachte. Nun konnte Arthur nicht mehr verhindern, dass die Emotionen, die bei diesen Worten in seinem Inneren mitschwangen, auch in seinen Augen zu lesen war. „Ich verstehe nicht, warum du nicht aufwachen willst“, versuchte er wieder sicherer zu klingen. „Du hast endlich die Möglichkeit, dich aus der Scheiße mit den Italienern zu ziehen. Dann wollten wir nach Mombasa. Du musst doch einfach nur aufwachen und wieder bei mir sein, verdammt noch mal!“ Seine Stimme brach leicht. Scheiß Emotionen. Er räusperte sich, sammelte sich einen Moment. „Du musst einfach nur aufwachen, hörst du – aber nicht, indem du dich erschießt! Das wäre dein Todesurteil.“ Und meines… Er suchte in den Augen des anderen nach der Antwort auf die Frage, ob Tom nun besser verstand und ihm auch glaubte. Seine Finger hatten sich in das Hemd verkrallt. Sein Blick glitt von den Augen zu den Lippen. Vielleicht sollte er ihn doch so daran erinnern, was gewesen war, warum es so wichtig war, dass er zu ihm zurückkam. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Sicher waren die zwei Stunden bald vorbei. Er zog Tom zu sich, küsste ihn sanft und voll Verzweiflung. Es wurde ihm mit einem Mal wieder wärmer, von innen heraus. *Eames* Die Erkenntnis, dass er sich in einem komatösen Zustand befinden sollte, traf ihn hart. Die kleinen Zahnrädchen hinter seiner Stirn schienen verhakt und eingerostet zu sein; das Denken fiel ihm schwer, aber er kämpfte jeden Funken neue Erkenntnis bei sich zu behalten. Schon ein Wimpernschlag schien Wissen auslöschen zu können. Sein Atem stockte immer wieder, während er Arthur zuhörte und weiter festhielt. Er machte jedoch keine Anstalten an dessen Waffe zu gelangen, auch wenn sein erster Impuls ihm dazu geraten hatte. Mombasa – seine Heimat. Er erinnerte sich an die Dachterrasse; er saß auf seinem hölzernen Liegestuhl mit einem Cocktail in der Hand. Arthur und eine junge Frau, die ihm sehr ähnlich sah, lehnten am Geländer. Vergangenheit? Zukunft? Er spürte eine tiefe Unruhe, die Angst über die Gewissheit, dass er die Kontrolle verloren hatte. Er wusste nicht mehr, was wirklich passiert war und was nicht. Einfach Aufwachen – konnte doch nicht so schwer sein. Wieso reichte es nicht es einfach nur zu wollen? Der Kuss kam überraschen, auch wenn so viel Vertrautes darin steckte. Eine trübe Erinnerung, die irgendwo an seinem Hirn zu kratzen schien. Da war etwas, ‚ something, das er beschützen musste. Er hielt Arthur fest und erwiderte den Kuss. Es fühlte sich an, als wäre es das einzige an dem er festhalten konnte; ein realer Moment. Der Boden unter ihnen stöhnte bedrohlich und bewegte sich. Lautes Knarzen war zu hören. Unter der dicken Eisschicht bewegte sich etwas. Riesige schwarze Seeschlangen mit verwachsenen Leibern. Alptraumhafte Seeungeheuer, dessen Ursprung er schemenhaft den Jugendbüchern zuordnen konnte, die er im Internat gelesen hatte. Er schlang seine Arme eng um Arthur und drückte ihn mit aller Kraft an sich, als befürchtete er ihn und sämtliche Erinnerungen daran zu verlieren, wenn er losließe. Er ließ nicht einmal los, als ein schwerer Stoß durch die Eisplatte ging und sie beide ins Wanken brachte. Weiteres lautes Knacken, als der Grund unter ihnen aufbrach und sie in schwarze, nasse und eisigkalte Finsternis stürzen ließ. *Arthur* Das Mienenspiel des anderen verriet ihm, wie sehr Tom versuchte, sich zu erinnern und zu begreifen, was geschehen war. Er versuchte es, krampfhaft. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Druck an seinen Armen, der Griff des anderen wurde nicht lockerer. Arthur war erleichtert, dass Tom auf ihn hörte, nicht versuchte durch einen Kick aufzuwachen. Wenn man ohnehin in der Dunkelheit gegangen war, wäre noch mehr Dunkelheit fatal, oder? Nicht, wenn Monster einen heimsuchten. Monster der Vergangenheit. Dass er Tom von sich aus küsste, war vermutlich überraschend. Nicht nur, weil es wirklich meistens Tom war, der ihn in einen Kuss entführte, sondern auch, weil sich Tom offenbar nicht bewusst war, dass sie versuchten, ein something aufzubauen. Das wurde ihm aber klar, als jener einen Moment brauchte, bevor er den Kuss erwiderte. Irgendwie schmerzte diese Erkenntnis. Doch schließlich erwiderte er den Kuss umso intensiver. Arthur spürte, wie Toms Arme sich um seinen Körper schlangen, ihn festhielten, so fest, als habe er Angst, ihn zu verlieren. Arthur spürte diese Angst, er spürte sie sehr deutlich tief in sich. Denn es war der Spiegel seiner Angst. Die Angst, dass das hier ihr letzter Kuss sein könnte. Seine Augen brannten. Es war nicht die Umarmung, die ihm die Tränen in die Augen trieb. Das Eis unter ihnen geriet mehr und mehr in Aufruhr. Was kommen würde, wenn es brach, war ungewiss. Die Aussicht beängstigend. Arthurs Arme waren nach oben geglitten, seine Hände in den Nacken des anderen. Sanft kraulten seine Finger durch das Haar, das er so gerne berührte. Der Stoß gegen das Eis unterbrach den Kuss, als sie drohten zu stürzen. Doch Tom hielt ihn noch immer fest, schmerzhaft fest. Auch er selbst klammerte sich an ihn, hatte nach wie vor Angst, wenn er ihn losließe, würde er ihn verlieren - für immer. Arthur hörte das knarzende Geräusch einer alten Platte, die aufgelegt wurde und gleich zu spielen beginnen würde. In diesem Moment brach unter ihnen der Boden weg. Arthur japste nach Luft, bevor sie in das kalte Nass eintauchten. Er zog sich noch näher an Tom, vergrub sein Gesicht in dessen Halsbeuge. Unter Wasser hörte sich alles dumpf an, es schien fast, als würde die Zeit still stehen für einen Moment. Eingefroren, kalt, ungewiss, unheimlich. Nur die unvergleichliche Stimme von Edith Piaf erfüllte den Raum. Sie schien nicht hierher zu passen, nicht in diese Dunkelheit und Kälte. Sie mussten hier weg. Arthur schloss einen Moment die Augen, stellte sich seine Wohnung vor, sein Wohnzimmer. Er musste Tom nach Hause holen. Dringend. Und es blieb ihm nicht viel Zeit. Tom selbst schien nur in Dunkelheit stürzen zu können. Dann musste er es eben selbst in die Hand nehmen. In einem surrealen Moment verschwand das Wasser um sie, verschwand der Druck, die Kälte, die Nässe. Sie standen in seinem Wohnzimmer. Die Musik erfüllte weiter den Raum, aber nur er konnte sie hören. Er löste sein Gesicht aus der Halsbeuge und suchte Thomas‘ Blick. Dann begann er zu singen, setzte in den Gesang ein, leise, zögernd erst, dann sicherer. ... Non, rien de rien NON, JE NE REGRETTE RIEN. Ni le bien qu'on m'a fait Ni le mal tout ça m'est bien égal Non, Rien de rien NON, JE NE REGRETTE RIEN. Car ma vie, car mes joies Aujourd'hui, ça commence avec toi! Vielleicht half das, wie ein pawlowscher Reflex? Zumal es in gewisser Weise ausdrückte, wie er empfand. Mal hatte vor gefühlt einer Ewigkeit dieses Lied gewählt. Sie hatten es danach nie geändert. Während er sang begann sich bereits seine Wohnung zu zerstören. Gleich wäre er weg. Und im Moment konnte er nicht sagen, was danach geschehen würde. Vielleicht würde er ihn nie wiedersehen, nie wieder lebend. „Ich l...“ Arthur sog tief Luft ein, richtete sich ruckartig auf. „Alles in Ordnung?“, hörte er Yusuf neben sich. Er blickte ihn irritiert an, ordnete sich, schluckte. Dann sah er zu Tom, der neben ihm lag. Regungslos, starr. „Er kämpft“, hörte er sich sagen, dumpf tonlos. Er bemühte sich abgeklärt zu klingen. „Aber ich weiß nicht, ob er es schafft. Die Dunkelheit in seiner Seele ist erschreckend. Wir müssen weiter abwarten.“ Er löste den Zugang, fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. Die Angst in seinem Inneren war nicht gewichen. Eher im Gegenteil. Er hatte es nicht einmal geschafft, ihm zu sagen, dass er ihn liebte. Arthur stand auf und verließ den Raum. Er war aufgewühlt und sollte dringend zur Ruhe kommen. Seine Emotionen halfen niemandem. Draußen zündete er sich eine Zigarette an. Seine Finger zitterten, er konnte nicht still stehen, ging auf und ab. Ob er zu ihm durchgedrungen war? Ob es reichen würde? Vielleicht sollte er noch einmal hineingehen? Ihn noch einmal in diesem Zustand besuchen? Arthur kaute an seinen Fingernägeln. ‚Geduld!‘, mahnte er sich. ‚Er ist stark und wird es schaffen.‘ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)