[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 40: Like a stone ------------------------ Koma 「 Ramadi / NYC 」 ________________________________________ *Eames* Die Luft war heiß und so trocken, dass es einem die Lippen bersten ließ. Er trug die blassen Tarnmuster der Royal Army und Hämatome auf Wangen und Kieferknochen. Sein Haar war an den Seiten kurz geschoren und sein Gesicht von roten Flecken durchzogen; Spuren der Marter und Dehydrierung. Der Sand schlug ihnen um die Ohren, getragen von gewaltigen Winden, Vorboten eines Sturms. ~ »Das Koma dient als Schutzreaktion; den Selbstheilungsprozess zu beschleunigen.« Yusuf verschränkte die Finger ineinander und betrachtete Eames nachdenklich. »Sein Gehirn ist allerdings aktiv. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass er träumt.« ~ Ein Soldat kniete im Dreck, winselnd. Seine Hände auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht blutüberströmt. Hinter ihm türmten sich beige Trümmerberge. Ramadi lag in Schutt und Asche. ~ »Ich will ehrlich zu dir sein, Arthur.« Blickkontakt fiel ihm offenbar schwer in diesem Moment. Er zog die Lippen ein und kaute wenige Sekunden nachdenklich auf ihnen herum, als wollte er etwas hinauszögern. »Die Werte sind nicht schlecht, aber eine Ohnmacht diesen Ausmaßes ist ungewöhnlich für seinen Zustand. Vielleicht steckt etwas dahinter, das Hassim und ich übersehen.« Seine Schultern zogen sich langsam nach oben und sanken wieder. Er war ein gefasster Mann, so leicht konnte ihn nichts erschüttern. Dennoch war an ihm an den Mundwinkeln deutlich anzuerkennen, wie angespannt er war. »Wir tun alles was wir können. Aber vielleicht stirbt er in den nächsten Stunden, oder Tagen.« ~ Dumpfe Schüsse erklangen in weiter Ferne. Eine Explosion. Das Rasseln und Surren von Motoren und Kampfjets. Rauchschwaden erhoben sich und verdunkelten den Horizont, wie in Zeitlupe. Der Schutt knirschte unter seinen Stiefeln. Eames bewegte sich auf den Soldaten zu, sein Gesicht war eine steinerne Maske des Grauens. In seiner Hand hielt er eine SIG Sauer P226 auf dessen Lauf, schlecht und stümperhaft, eingeritzt stand: „eat, shit, die“. ~ »Wir versuchen es.«, beschloss er. »Wahrscheinlich ist das die einzige Chance, die wir haben. Du musst dir nur über eine Sache im Klaren sein...« Erneutes Zögern. »Wir wissen nicht was sich dort abspielt«, er deutete auf Eames Kopf. »Vielleicht ist es einfach nur weißes Rauschen. Vielleicht ein Durchleben seiner Kindheit... vielleicht die Hölle auf Erden. Viele Komapatienten sprechen von Alpträumen...« ~ »Bitte...«, wimmerte der Soldat. Er war jung, maximal 22. Sein Gesicht war makellos, seine Nase gerade und die Augen blassblau wie der Himmel. »... ich will nicht sterben.« Männer in langen weißen Gewändern standen in einer Reihe an der zertrümmerten Hauswand, etwa zwei Meter von ihnen entfernt. Ihre Blicke wogen schwer, es gab kein Entrinnen. Sie zwangen ihn zu handeln. Eames hob die Waffe, der Lauf berührte die Stirn des Jünglings. Es knallte; Eames betätigte den Abzug. Der Junge fiel nach vorn, direkt aufs Gesicht. In seinem Nacken klaffte ein apfelgroßes Loch aus dem Blut und Knochensplitter quoll. Seine Augen waren rot und gläsern, als er Arthur bemerkte. Das Szenario stand still, die Farbe floss heraus, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Die tote Junge gurgelte und zuckte. ~ »Zehn Minuten. Dann holen wir dich zurück.« Yusuf hatte Arthur auf einer Liege neben dem Krankenbett seines Freundes platziert. Der P.A.S.I.V. stand zwischen Ihnen auf einem provisorischen Nachttisch. »Sei vorsichtig; ich gebe dir ein Signal, wenn die Zeit abgelaufen ist.« ~ Die Männer in den Roben wandten ihre Gesichter gleichzeitig dem Eindringling zu. Ihre Augen waren nichts als schwarze, hohle Löcher. Ihre Münder schmale, verzerrte Schlitze. »Und du dachtest ich hätte dich schlecht behandelt, hm?« Eames in rauer Flüsterstimme. Sein Blick schien matt, sein Gesicht jünger, aber nicht sonderlich. Hitze drückte, grauenhafte Hitze. Sand und Rauch und Korditgeruch. And on I read Until the day was gone And I sat in regret Of all the things I've done For all that I've blessed And all that I've wronged In dreams until my death I will wander on (https://youtu.be/4zdoXgGnKdc) *Arthur* Noch nie war es Arthur so schwer gefallen, die Fassade der Ruhe aufrecht zu erhalten, wie in dem Moment, in dem Yusuf ihm offenbarte, wie es um Tom stand. Seine Kiefer pressten sich aufeinander, seine Faust ballte sich. Doch er blieb ansonsten reglos, emotionslos - zumindest nach Außen. Innen sah es gänzlich anders aus. An sich ging es Tom gut, aber da war etwas, was ihn nicht zurückkehren ließ? Etwas, dass ihn unter Umständen töten würde? Er folgte Yusufs Geste zu Toms Kopf mit seinen Augen. Dass der Araber selbst mit sich kämpfte, dass er besorgt war, unruhig, ängstlich, machte es Arthur nicht leichter, die Contenance zu wahren. Aber es half niemandem, wenn er jetzt zweifeln, verzweifeln würde. „Worauf warten wir dann noch?“, sagte er knapp, gepresst. Eilig richteten sie alles her. Wenn es die einzige Chance war, dann mussten sie sie nutzen - Nein, dann musste ER sie nutzen! ‚Und wenn ich dir in die Hölle folgen muss, um dich zu mir zurück zu holen. Ich würde es tun.‘ Er zuckte zusammen. Yusufs letzte Worte schienen in dem Schuss widerzuhallen. Arthur starrte auf den in sich zusammensackenden Körper, der so unvermittelt Zentrum seiner Wahrnehmung geworden war und nun vor seinen Augen starb. Die Hitze umschloss ihn, nahm ihm schier die Luft zum Atmen. Es war grell, die Sonne schien hoch zu stehen, dennoch wirkte alles farblos. Auch wegen des Sandes in der Luft kniff Arthur die Augen zusammen. Arthur hob den Blick, sah Tom an, sein Magen verkrampfte. Er sah den unfassbaren Schmerz, dem sich jener gerade aussetzte. Und es schmerzte ihn fast ebenso. Es war schwierig, die ganze Situation wirklich zu erfassen. Klar war, dass es Toms Unterbewusstsein war. Und es war klar, dass das hier auf Erinnerungen basierte. Grausamen Erinnerungen. Vermutlich den Erinnerungen, vor denen Eames seit Jahren davonlief. Arthur verstand es. Er wäre vermutlich auch gerannt. Eine Bewegung in den Augenwinkeln ließ ihn den Blick wieder abwenden. Die weiß Gewandeten wirkten mehr als bedrohlich. Arthur spürte, dass er Waffen am Körper trug. Irgendwie beruhigte ihn das. Er zog eine Waffe, langsam vorsichtig. Es war seine Clock 17, sein Unterbewusstsein. ‚Und du dachtest ich hätte dich schlecht behandelt, hm?‘ Arthur blickte zu Tom. „Das habe ich so nie gesagt“, antwortete er ruhig. „Schlecht behandelt hast du mich in diesem Sinne nie. Du lässt mich nur nie wirklich Teil deines Lebens sein.“ Er dachte an die Situation auf dem Sofa, als er nach London gefragt hat, an das Gesicht des anderen, das mit einem Mal so verschlossen gewesen war. Er hatte Angst bekommen. Im Grunde unbegründet. Tom hatte es so formuliert, dass der Gedanke, nein die Mahnung ‚es wäre nicht gut‘ ihm beeinflusst hatte. Im Nachhinein ärgerte er sich sehr darüber, dass er sich hatte manipulieren lassen. „Du traust mir nie zu, dass ich mit dir und deiner Vergangenheit umgehen kann. Das ist das, was mich verletzt.“ Arthurs Augen, die eben noch einen warmen Ausdruck gehabt hatten, wurden kühl. Dass es diese Vergangenheit war, die Eames gerade zwischen Leben und Tod balancieren ließ, war ihm gerade mehr als klar geworden. Umso mehr kotzte es ihn an, dass Tom ihn noch immer schonen wollte. Eames »Vergangenheit..?« Er schien nicht wirklich zu verstehen, was Arthur ihm sagen wollte. Seine Gefühlswelt war roh; sein Verstand rang um Klarheit. Ein leichtes Beben erschütterte die zertrümmerte Kleinstadt und ein Grollen dröhnte vom Himmel, wie weit entfernter Donner. Mehr gewandete Gestalten schlichen sich aus halb eingestürzten Gebäuden und näherten sich dem Szenario. Araber mit Turban, junge und alte Männer. Sie kamen auf die beiden zu. In ihren Augen blitzte etwas, das man gemeinhin als Mordlust bezeichnen könnte. In den Händen trugen sie simple, stumpfe Waffen. »Was ist passiert... was tust du hier?« Die Zeit schien zu einem flexiblen Instrument geworden zu sein. Dehnbar, komprimierbar. Der Junge am Boden regte sich. Das Loch in seinem Nacken schloss sich wieder, dann richtete er sich auf und öffnete die Augen, um mit demselben Blick wie zuvor zu Eames hinauf zu sehen. Ein erbärmliches Wimmern entkam ihm. »Verzeih mir Archie, du oder ich...« Er konnte kaum sprechen, etwas drückte ihm die Kehle zu. Dann hob er wieder die Waffe und schoss dem Jungen ein zweites Mal in den Kopf. *Arthur* Offenbar war Eames nicht bewusst, dass das hier eine Erinnerung war. Offenbar war es für ihn das Jetzt. Das Zeitgefühl schien in seinem komatösen Zustand nicht zu funktionieren – oder zumindest nicht die Reflexion der Zeit. Vermutlich spielte es auch keine Rolle, denn Arthur war sich sicher, dass er das hier schon so viele Male durchlebt hatte, dass der Zeitpunkt hierfür irrelevant wurde. Es ging auch letztlich nicht darum. Es ging darum, was Tom hier immer und immer wieder durchlebte. Arthur nutzte die kurze Störung durch das Beben, um sich etwas umzusehen. Dass es sich hier um einen Kriegsschauplatz handelte, war klar. Wichtiger war, dass die beiden englischen Soldaten allein waren. Tom sah aus, als sei er gefoltert worden. Ob er ein Gefangener gewesen war? Wo war der Rest der Truppe? Ob diese für die Erschütterungen, den Kriegslärm zuständig waren? Hier war jedenfalls niemand sichtbar. Sie waren scheinbar einzig von Arabern umgeben, vermutlich Irakern – die anfangs gesichtslosen Gestalten nahmen wieder mehr Form an. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern ließ Arthur trotz der Hitze frösteln. Sie schienen Blut sehen zu wollen – von wem auch immer. Toms Worte ließen ihn wieder zu diesem blicken. Was er hier tat? Was passiert war? Ein Indiz mehr dafür, dass sich Tom seiner Situation nicht wirklich bewusst war. Zumindest schien seine Anwesenheit etwas Alarmierendes zu haben. Darauf ließ sich aufbauen. Bevor er etwas sagen konnte, glitt sein Blick zu dem Jungen auf dem Boden. Als habe jemand den Rewind-Knopf gedrückt, erwachte dieser wieder zum Leben. Arthur schluckte ob der Situation. Das Wimmern, der Gesichtsausdruck des Kindes – er wäre damals vermutlich ähnlich alt gewesen, wenn er Tom damals schon gekannt hätte. Aber noch mehr berührte ihn der Ton in Toms Stimme, diese Verzweiflung, diese Qual. Tom schickte sich offenbar immer wieder durch die gleiche Hölle, durch seinen vielleicht schlimmsten Moment. Offenbar war er nicht fähig, dieser Situation zu entfliehen. Offenbar holte sie ihn immer wieder ein. Es war nicht wirklich vergleichbar. Aber vermutlich war es ähnlich der Explosion, die er immer und immer wieder durchlebt hatte, um herauszufinden, wer seine Schwester ermordet hatte. Nur das hier war so viel schlimmer. Er hatte am Tod seiner Schwester nicht bewusst Schuld auf sich geladen. Der Schuss ließ ihn zusammenzucken. Sein Blick hatte sich nicht abgewandt, er sah in Toms Gesicht, in die Augen des anderen, die er so liebte. Der Ausdruck darin schien sein Herz zerquetschen zu wollen. „Ich habe dir vor kurzem erst gesagt, dass ich dir in die Hölle folgen würde, wenn du dich selbst aufgeben würdest. Und das tust du gerade. Ich habe dir gesagt, dass ich kommen und dich zurückholen würde. Deswegen bin ich hier.“ Zugegebenermaßen war es nicht ganz die gleiche Situation, die er damals gemeint hatte. Aber im Grunde passte es doch in gewisser Weise. Er trat einen Schritt näher an Tom heran. „Denn das hier ist doch deine persönliche Hölle, nicht wahr?“ Er hatte eine ausladende Geste gemacht, auf alles um sie herum gedeutet. „Ich frage mich nur, warum du sie dir jetzt antust? Jetzt, kurz bevor alles gut sein könnte. Warum bist DU hier, Tom? Warum bist du hier gefangen und riskierst damit dein Leben, anstatt bei mir zu sein?“ Er zögerte einen Moment. „Warum erlaubst du dir nicht, glücklich zu sein? Kannst du dir nicht vergeben?“ *Eames* Noch mehr Verwirrung schlich sich in das gequälte Gesicht. Offenbar klingelte es bei „persönlicher Hölle“. Auch Arthur, dessen Anwesenheit ihm abwechselnd klar und schleierhaft erschien, ergab langsam aber stetig einen Sinn. Je mehr er Arthur Aufmerksamkeit schenkte, desto mehr geriet dieser auch in den Mittelpunkt der grässlichen Männer. Sie knurrten düstere Flüche, zusammenhangloses Zeug, was sich nach Arabisch rückwärts anhörte. »Bin ich tot?«, fragte er, denn es fühlte sich tatsächlich wie die Hölle an. Bilder von Emmanuel Jobs und Henry Foster zuckten wie Blitze durch seinen Verstand. Archies Glieder zuckte unkontrolliert, aber die Wunde in seinem Nacken blieb. Immer näher rückten die Gestalten. Wieder hob Eames die Waffe und schoss einem der Männer in den Kopf, der von hinten mit erhobener Keule auf Arthur zugerannt kam. »Wir müssen hier verschwinden!« Aber es war zu spät. Der Himmel bröckelte, wie ein altes Ölgemälde. Weitere Männer drängelten sich um Arthur und Eames, kreisten sie ein und binnen einer Sekunde brach das Chaos los. Eames erschoss zwei weitere, doch die irakische Armee war nicht aufzuhalten; die Männer schlugen mit ihren Brechstangen, Metallrohren und Knüppeln auf sie ein. Mit letzter Kraft schlug sich Eames in Arthurs Richtung, streckte die Hand nach ihm aus, während die Schläge auf sie einregneten. Der ohnehin instabile Traum, brach tosend in sich zusammen. *Arthur* Arthurs Blick brach von Tom weg, als die Gestalten begannen ihn mehr und mehr als Eindringling wahrzunehmen. Tom hatte sicher eines sehr gut drauf: sein Unterbewusstsein zu schützen. Wie lange es wohl noch gut ging? Vermutlich immer weniger, je mehr er wieder sich dessen bewusst wurde, in welcher Situation er sich befand. „Tot nicht“, gab er als Antwort. „Noch nicht.“ Er spürte eine Bewegung hinter sich, drehte sich. Eames war schneller. Der Araber sackte zu Boden, blieb liegen, doch nun schien noch mehr Bewegung in die anderen zu kommen. Gleichzeitig begann sich dieser Traum aufzulösen. Nur, wohin würde es dann gehen? Katapultierte Eames ihn am Ende raus? Irgendwie hätte es Arthur klar sein müssen, dass das so passiert. Immer wenn es mal ans Eingemachte ging, wich Tom aus. Bekam er eigentlich jemals eine Antwort auf die gefühlt Milliarden Fragen, die er seit ihrer ersten Begegnung hatte? Immerhin war es ein „WIR“, das Tom benutzte, als er feststellte, dass sie hier verschwinden mussten. Arthur blieb nicht wirklich Zeit, darüber nachzudenken. Er wich einem weiteren Angreifer aus, erschoss zwei, drei sich nähernde Männer. Sogar Kinder schienen unter den Angreifern zu sein, wie Arthur feststellte, als er einem Jungen eine Kugel zwischen die Augen setzte. Die Hölle! Er drehte sich, um dem Anblick zu entkommen, schoss weitere Kugeln mehr oder weniger gezielt ab, bevor ihm klar wurde, dass die Übermacht zu groß war. Er blickte zu Tom, der sich auf ihn zubewegte, die Hand nach ihm ausstreckte. Er schoss auf einen der Männer, der sich auf ihn gerade stürzen wollte. Es war seine letzte Kugel gewesen. Dann ergriff er die Hand. Sie zogen sich aneinander, fielen gemeinsam in einen scheinbar schwerelosen schwarzen Raum. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)