[Volatile] - Inception von -Amber- (‚What if I fall?‘ ‚Oh, Darling! What if you fly?‘) ================================================================================ Kapitel 22: Spiel mir das Lied vom Tod -------------------------------------- *Eames* Nach einem Frühstück beim Mexikaner und einem Besuch bei Yusuf, kehrte Eames endlich wieder zurück zu Arthurs Wohnung. Zugegebenermaßen hatte er es etwas herausgezögert, da er Arthur nicht noch am Morgen begegnen wollte. Nicht nach ihrer schrecklichen Verabschiedung. Wenn er jetzt betrunken und stinkend bei ihm auftaucht, hatten sie sicherlich kein gutes Gespräch. Er duschte ausgiebig, machte sich nicht die Mühe, sich großartig anzuziehen (Shorts und Shirt) und wollte dann einfach nur auf der Couch liegen und schlafen für die nächsten sechs Stunden. Auf der Suche nach einer Decke, schlenderte er in Arthurs Schlafzimmer. Kurz überlegte er sich in das große, gemütliche Bett zu legen und dort den Schlaf der Gerechten zu schlafen. Aber das war zu früh. Irgendwo mussten sie ja wieder anknüpfen und er wusste, dass es Arthur sauer machen würde, wenn er einfach so in seinen heiligen Kissen lag. Es stresste ihn ja schon, dass er in seiner Wohnung war. Er warf noch einen Blick auf die Uhr im Arbeitszimmer, die noch immer seine Uhrzeit anzeigte. Immerhin das. Er schnappte sich „seine“ Decke aus Arthurs Bett und eins von Arthurs gemütlichen, großen Kissen, um sich damit auf der Couch auszustrecken. Mit den Restpromille im Blut vergaß er jedoch sich einen Wecker zu stellen... dumm gelaufen. *Arthur* Als Arthur seine Wohnung betrat merkte er schon daran, dass das Sicherheitsschloss nicht geschlossen war, dass Eames da gewesen sein musste oder noch da war. Es war früher Abend, aber es war bereits dunkel draußen. Auch in der Wohnung brannte kein Licht, erst im Wohnzimmer die kleine Lampe neben dem Sofa - das Sofa, auf dem Eames lag und schlief, halbnackt offenbar, denn ein Bein schaute unter der Decke hervor. Na da fühlte sich wohl jemand wohl! Nett! So sah also „um den Job kümmern" bei ihm aus… Arthur spürte Unmut aufkommen. Nun, vermutlich hatte Eames die Nacht durchgemacht, verständlich, dass er müde war. Und doch ärgerte es ihn irgendwie. Zumindest bis er einen Moment stutze und die Decke wirklich wahrnahm. Er spürte Nervosität in sich aufsteigen. Hatte er die Sachen wieder aufgeräumt? Oder hatte er das heute Morgen gar vergessen? Er wusste es nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen. Nun, offenbar hatte sich der andere bedient und sich zurückgeholt, was ihm gehörte – bis auf das Kissen, das farblich ja gar nicht dazu passte. Aber so etwas fiel Eames sicher nicht auf. Einen Moment blieb er unschlüssig stehen, was er machen sollte. Ein wenig Ruhe würde eigentlich noch gut tun. Letztlich hatten sie aber wenig Zeit. Er ging zu seiner Anlage hinüber, legte eine CD ein: Ennio Morricone „Spiel mir das Lied vom Tod“ Dann ging er in sein Arbeitszimmer und begann seine Sachen zu sortieren. Lange würde Eames sicher nicht mehr schlafen. Und vielleicht fand er dann ja den Weg zu ihm. *Eames* Ein schriller Klang holte ihn aus der tiefen Schwärze zurück. Das Licht brannte im Wohnzimmer, aber draußen schien es bereits dunkel zu sein. Er richtete sich auf, sein Rücken schmerzte und seine Rippen gaben auch Laut... er würde sich noch freiwillig die Kugel geben, wenn das so weiter ging. Das Lied vom Tod – na herzlichen Dank. Er achtete nicht sonderlich auf sich, aber im Innersten war Eames ehrlich davon überzeugt, unzerstörbar zu sein. Also keine große Sache. Bevor er wieder gemein wurde, schluckte er schnell eine Tablette, diesmal mit Wasser. Arthur war nicht in der Küche. Das bedeutete dann wohl, dass er bereits (oder wieder) am Arbeiten war. Er zog sich eine Hose an und schlich durch das dimmrig beleuchtete Schlafzimmer. Ihm war schlecht vom langen Schlafen, aber wahrscheinlich würde sein Körper es ihm später danken, dass er sich diese Auszeit genommen hatte. Er musste schnell regenerieren. »Hello stranger«, begrüßte er ihn und blieb (wie die letzten Male) erst einmal in der Tür stehen. Mit der Schulter an den Türrahmen gelehnt und die Hände in den Hosentaschen versunken. Noch einmal huschte sein Blick zur Uhr herüber, als wollte er sich vergewissern, dass sie noch nicht geschiedene Leute waren. Sie stand noch immer bei Mombasa. »Wie war dein Ausflug?«, fragte er schließlich vorsichtig, dann räusperte er sich. Seine Stimme war noch immer rau und belegt vom Schlaf und dem ganzen Whiskey. (https://youtu.be/Y4Y9TO3X5WM) *Arthur* Vermutlich könnte Eames gerade sagen, was er wollte, Arthur würde es in den falschen Hals bekommen. Das wurde ihm bereits bei der Begrüßung bewusst. Fremder? War er das? Oder hatte das nur mit seiner Musikauswahl zu tun? Er blickte kurz hinüber zur Tür und war überrascht, dass Eames sich nicht zu trauen schien, hereinzukommen. Immerhin schien ihm bewusst zu sein, dass er von seinem Verhalten nicht begeistert war. Und: immerhin hatte er eine Hose angezogen. Noch schlimmer wurde es bei dem Wort ‚Ausflug‘. Er atmete tief ein. Als ob er mit dem Kindergarten im Zoo gewesen wäre...! Und dann war da noch diese Stimme, die auf ähnliche Weise gestern in seinen Nacken geraunt hatte. Arthur schwieg einen Moment, wog sein Verhalten ab. Einfach nur arbeiten, einfach nur an den Job denken… Professionalität wahren! „Komm rein“, sagte er dann mürrisch. Er zog einen Hocker unter dem Schreibtisch hervor und deutete Eames, sich zu setzen. Dann drehte er das MacBook, auf dem die Fotos hochgeladen waren. „Seine Schwester scheint sich aus dem normalen Leben zurückgezogen zu haben“, begann er die Informationen mit Eames zu teilen, während er ihm die Bilder zeigte. „Aber ich bin unschlüssig wieso.“ Er begann die Geschichte darzulegen, sofern er sie kannte. „Entweder sie ist psychisch instabil wegen des Todes ihrer Eltern - oder weil sie weiß, dass ihr Bruder ein Mörder ist“, schloss er schließlich und blickte Eames nun musternd an. „Und bei dir? Was hat dir Foster verraten?“ *Eames* Jeder Vollidiot hätte verstanden, dass Arthur noch immer sauer auf ihn war. Ein kleines, sadistischen Teufelchen saß auf Eames Schulter und ermunterte ihn dazu, ihn noch ein wenig zu provozieren. Einfach nur um zu zusehen, wie er an die Decke ging. Nicht jetzt, ermahnte er sich jedoch. Frieden... einfach nur Frieden für heute Abend. Wie schwer konnte das schon sein?! Er setzte sich zu ihm und schaute sich die Bilder an. Er pfiff beeindruckt wegen des schicken Anwesens, aber auch wegen Arthurs penibler Kleinarbeit. Er kam jedoch nicht ganz umhin, immer wieder Arthurs Profil zu betrachten, während er ihm ein paar Sachen zeigte und erzählte. Die angestrengten Kiefer, der gestraffte Hals... er war wirklich wütend und Eames war irgendwie schockiert, dass ihn bei so einem Anblick kaum ein schlechtes Gewissen befiel. Er schob es mal auf die Tabletten. Morgen konnte er sich immer noch schlecht fühlen. »Ein Killer mit verstörter Schwester, hm?«, kommentierte er und sah nachdenklich auf den Bildschirm vor sich. »Darüber würde ich nachher gern mehr hören. Bei mir und Foster war es... wir hatten eine Menge Spaß«, begann er nun über seine Arbeit zu sprechen. »Aber ich will dich nicht mit langweiligen Details über sein Leben nerven. Wichtig ist: ich bin mir ziemlich sicher, dass er den Chip nicht hat. Dass Marx ihn hat, ist noch unwahrscheinlicher, da Jobs ihn noch weniger kennt und vertraut, als Foster. Er trägt ihn also entweder selbst mit sich herum oder hat ihn irgendwo versteckt.« Womit wir wieder beim Aktenkoffer wären. Die Theorie wurde immer einleuchtender. »Ich habe einen Blick in seine Chatverläufe werfen können; ein paar Sachen könnten vielleicht auf Traumlevel nützlich werden. Und ich habe einen Sender an seinen Handyakku anbringen können. Und ihn um 200 Dollar erleichtert. Eigenartig, dass so ein Prolet, nicht mehr dabei hat, tz!« * Arthur* Arthurs Laune hob sich kein bisschen, während Eames ihm von Spaß, Details über sein Leben und 200$ erzählte. Er sah die beiden quasi vor sich, wie sie sich in der Kneipe betranken und Eames - nachdem er ihm das Handy entwendet und manipuliert hatte - noch die Dreistigkeit besaß, ihm den letzten Knopf abzunehmen. Als ob das nicht ein ungeheures Risiko bedeuten könnte, wenn dieser Foster Eames so deutlich auf dem Schirm hatte!! Etwas ungläubig blickte er ihn einen Moment an, als Eames endete. Nun, immerhin wussten sie nun, dass es ein Versteck geben musste. Die Wanze würde er später anzapfen. Vielleicht erhielten sie darüber noch mehr Informationen. „Klingt ja total toll“, sagte er schließlich langgezogen, sarkastisch. „Easy going - sozusagen.“ Er blickte wieder auf den Bildschirm. Sein Tag kam ihm gerade wie verschwendete Zeit vor. „Der Vater hatte eine Firma für Export und Import. Ich vermute der Sohn sollte die Firma übernehmen“, begann er seinen Bericht fortzusetzen. Irgendwie musste er sich ja ablenken. „Die Firma ist ein Jahr nach dem Tod lukrativ verkauft worden. Jobs hat dann internationale BWL studiert. Mir fehlt der Grund, warum er seine Eltern hätte umbringen sollen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich denke der Tag in Philadelphia war für die Katz. Ich bräuchte länger, um ein Szenario in der Richtung zu kreieren. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir haben.“ Er deutete auf die Pinnwand. *Eames* Der ganze Sarkasmus war schon fast unterhaltsam, aber er hütete sich allzu sehr auf den Zug aufzuspringen. Noch einen Streit überlebte ihr zerbrechliches Verhältnis heute Abend vielleicht nicht. »Hmm«, machte er nachdenklich, als Arthur weiteres berichtete. Ja, warum sollte dieser stronzo seine Eltern ermorden? Vielleicht wollte er unter keinen Umständen in die Fußstapfen seines Vaters treten und sah keinen anderen Ausweg? Sein Blick blieb am Bildschirm heften, seine Stirn lag in nachdenklichen Falten. »Vielleicht ist es zu wenig, um ein ganzes Szenario zu erschaffen. Aber wir wollen hier keine Inception starten. Jobs ist ein über die Maße strukturierter Mann«, begann er und setzte sich etwas gemütlicher auf den Hocker - so gemütlich es eben ging. Er merkte, wie sein Geist wacher wurde und die Schmerztabletten zu wirken begannen. Auch der kleine Teufel auf seiner Schulter beruhigte sich und forderte nur noch leise nach Provokation. Arbeitsmodus eingeschaltet. »Laut Foster ist er gruselig genau, flexibel und kaum aus der Ruhe zu bringen. Wir müssen ihn aus seiner Comfort-Zone locken. Vielleicht reichen dazu ein oder zwei prekäre Informationen. Wie heißt die Schwester?« *Arthur* Offenbar schien Eames wieder seinen Verstand eingeschaltet zu haben. Und offenbar war es ihm wichtig, dass sie zusammenarbeiten würden, denn er ging auf Arthurs Sticheleien nicht ein. Schade eigentlich - so bekam er keinen Grund, ihn vor die Tür zu setzen. Andererseits konnte es ihm aber ja auch nur recht sein, dass sie sich auf den Job konzentrierten. Half ja nix! Als Eames seine Gedanken aussprach, nickte Arthur nachdenklich. Für ein Szenario war es zu wenig, nicht aber um jemanden zu irritieren. Schließlich war ein Vorwurf des Mordes grundsätzlich etwas, was jemanden aus der Ruhe bringen konnte. „Sie heißt Giulia.“ Er klickte zu einem Bild, das sie aus der Ferne zeigte. Darauf sitzt sie auf der Terrasse und streichelt einen Hund auf ihrem Schoß, während sie in die Ferne starrt. „Vielleicht sollten wir aus dem Einbrecher jemanden machen, der ihn des Mordes überführen will. Zumindest dann, wenn er sonst nichts unternimmt, um die Festplatte in Sicherheit zu bringen“, griff er Eames‘ Gedanken auf. „Oder Foster erhält auf Traumebeneinen Anruf, dass seine Schwester gefangen gehalten werde und eine entsprechende Summe gefordert wird. Dann muss er auf seine Codes zugreifen. Man könnte da auch andeuten, dass man Informationen habe, die den Unfall beträfen.“ Arthur hatte sich zurückgelehnt und blickte Eames nachdenklich an. „Meinst du, er hat auch persönliche Daten auf dem Chip?“ *Eames* Armes Ding – dachte er, als er Giulia im Rollstuhl betrachtete und schalt sich eine Sekunde später selbst für die Heuchelei. An schweren Schicksalen hatte er bereits zu viel gesehen, um dabei noch irgendetwas zu empfinden. Er nickte. Erstaunlich, dass der Plan bereits weitesgehend stand. Ein bisschen Improvisation für den Ernstfall wollte er sich nicht nehmen lassen, aber je mehr feststand, umso besser für die Durchführung. Erst recht, wenn Arthur involviert war. »Persönliche Daten? Zum Beispiel?«, er lächelte irritiert. Interessierte Arthur sich etwas wirklich für diesen Kerl und seine ach so bemitleidenswerte Schwester? Vielleicht dachte er dabei an Enya, aber selbst das wirkte irgendwie unrealistisch auf Eames. »Nun ja, undenkbar ist es nicht«, gestand er zu. »Aber was willst du mit den Daten?« *Arthur* Keine klare Aussage zu bekommen, für welche Variante Eames war, irritierte Arthur einen Moment. Aber vermutlich würde sich dieser ohnehin nicht komplett entscheiden, vermutlich musste er seinen Kopf für diese Entscheidungen hinhalten. Nun, letztlich hatten sie Arbeitshypothesen und damit könnten sie erstmal weitermachen. Eames‘ Irritation konnte Arthur zunächst nicht verstehen. Als jener fragte, was er mit den Daten wolle, runzelte er kurz die Stirn. Dann musste er schmunzeln. „Heiraten“, antwortete er dann lapidar und rief das Foto von Emanuel Jobs auf, das er von Eames bekommen hatte. „Ist ja ne gute Partie, sieht gut aus, hat viel Kohle und du hast ja selbst festgestellt, dass unsere Neigung zur Ordnung sicher gut harmoniert.“ Er nickte nachdenklich. „Blöd nur, dass er vielleicht ein Mörder ist. Und bald keinen Job mehr hat.“ Arthur verdrehte die Augen, beugte sich vor und klickte wieder durch die Bilder des Tages. Dann erklärte er seinen Gedankengang: „Wenn er persönliche Daten zur Erbschaft oder sonst irgendwelche Sachen bezüglich seiner Schwester oder so drauf hat, wäre das Szenario, in dem die Schwester in den Fokus rückt, sicher noch besser geeignet.“ Er sah Eames einen Moment an, dann blickte er irritiert wieder zu den Bildern. Erneut klickte er sich durch die Fotos aus dem Haus. „Mir ist grad aufgefallen, dass im ganzen Haus kein einziges Familienfoto hängt“, murmelte er. „Hängt oder stellt man von Verstorbenen nicht etwas auf? Eine Erinnerung? Ein Foto? Irgendetwas?“ *Eames* Heiraten – sicher. Er lächelte zynisch und sah zu wie Arthur seine Ausführungen zu Ende brachte. Ein kleines, fieses Ziehen im Hinterkopf erinnerte ihn daran, wieso er eigentlich nie, niemals, Beziehungen einging. Für solche Albernheiten war er viel zu eifersüchtig. »Klar, ganz toller Plan. Behalten wir im Hinterkopf«, kommentierte er tonlos, nachdem Arthur seine Idee bezüglich des Schwestern-Szenarios beendet hatte und tippte sich dabei sinnbildlich gegen die Schläfe. „Hängt oder stellt man von Verstorbenen nicht etwas auf? Eine Erinnerung? Ein Foto? Irgendetwas?“ Wo Arthur es so erwähnte... Eames war wirklich kein Familienmensch und misste dementsprechend ein paar Erfahrungen. Aber was sein Point Man da äußerte klang logisch. »Anscheinend vermisst dort niemand Mommy und Daddy«, äußerte er nachdenklich. »Welche Art von Behinderung hat sie? Wäre sie in der Lage dazu Bilder aufzustellen, wenn sie wollte? Oder kommt das von ihrem Bruder?« Er griff nach der Maus und klickte selbst ein bisschen durch die Fotos. Suchte nach mehr Bildern mit Giulia. So langsam kam er auch auf den Zweig, dass das Verhältnis zu seiner Schwester extrem wichtig für eine gelungene Extraktion werden könnte. »Gibt es Daten darüber, wie oft er in Philadelphia ist?« *Arthur* Arthur musste nun doch schmunzeln, widmete sich dann aber den Bildern. Offenbar schienen die Eltern in diesem Haus nicht präsent zu sein. „Ich weiß es nicht“, erklärte er und überließ Eames etwas zögernd die Maus. „Ich war nicht nahe an ihr dran. Sie wirkt einfach nur völlig teilnahmslos. Vielleicht findet man Krankenhausakten oder irgendwas... Ich werde da noch versuchen, mehr herauszufinden.“ Er griff zu seinem Notizbuch und machte sich einen Vermerk. Dann blickte er wieder auf. „Laut dem Kalender ist er nie dort. Zumindest scheint es kein Termin zu sein, den er im Handy einträgt, obwohl er private Termine wie Zahnarzt etc. durchaus dort aufnimmt.“ Er blickte zur Pinnwand. „Ich werde noch mal schauen, aber ich glaube er hat manche Tage gesperrt für Termine, ohne klare Auskunft, wieso. Am Sonntag ist das auch der Fall. Ich könnte mir vorstellen, dass das die Fahrten nach Hause sind.“ Er blätterte in seinem Buch, in dem er neben den Notizen auch seine Zeichnungen machte. „Offenbar war er vor zwei Monaten zuletzt in New York. Ich werd dann mal überprüfen, ob die Termine hier immer auch mit blockierten zusammenfallen.“ Er streckte sich leicht. Vom Autofahren bekam er oft so verspannte Schultern. Und er brauchte was zu trinken. Bei dem Gedanken meldete sich auch sein Magen. Viel hatte er noch nicht zu sich genommen. Aber so richtig Hunger hatte er seit gestern eh nicht. *Eames* »Very well«, entgegnete er auf Arthurs Vorhaben. Irgendwie bewirkte das Gestrecke des Anderen auch, dass Eames in Pausen-Laune kam. Ausgetauscht hatten sie sich ja jetzt. Nun galt es weiter zu recherchieren, bevor der Plan endgültig stand. Er ließ die Maus los und betrachtete Arthur einen kurzen Moment nachdenklich. Versuchte abzuschätzen, ob er es wagen konnte, etwas zu sagen, ohne sich die Finger zu verbrennen. »Wo wir das jetzt geklärt haben...«, begann er und befeuchtete seine Unterlippe, wartete kurz ab. »... Dinner? Ich koche und du kümmerst dich um bessere Musik? Enio Morricone gehört nicht gerade zu meinem Entspannungsprogramm.« *Arthur* Für Krankenhausakten und Medikamente-Verordnungen müsste er Jesse anhauen, weswegen er zum Handy griff, um diesem eine Nachricht zu schreiben. Wenn die Schwester das Trauma durchlitten hatte, dass nicht nur ihre Eltern gestorben waren, sondern auch der Bruder der Mörder eben dieser war, dann konnte das schon zu massiven Störungen führen. Aber Passivität? War man da nicht wütend oder aufgebracht? War man nicht sehr, sehr wütend, wenn man auch nur das Gefühl hatte, dass jemand am Tod eines geliebten Menschen Schuld trug? Er starrte einen Moment sein iPhone an, ohne sich zu rühren. Er hatte damals auch lange geschwiegen, fast ein ganzes Jahr. Die Wut brach erst viel später aus, als er mehr begriffen hatte, als er mehr hinterfragen konnte. Der Unfall der Familie Jobs war nun auch schon einige Jahre her und die Geschwister waren damals wesentlich älter gewesen, als er es gewesen war. Irgendwas war komisch an der ganzen Geschichte. Irgendwas…. Er schrieb die Nachricht an Jesse zu Ende. Sicher könnte das mehr Klarheit schaffen. Nach dem Absenden fiel sein Blick auf eine andere Nachricht. Er hatte seiner Mutter noch nicht geantwortet, ob er am 20. März. zu ihnen kommen würde. Für ihn war dieses Thema noch immer schwierig. Eames‘ Worte drangen zu ihm durch. „Ich koche und du kümmerst dich um bessere Musik? Ennio Morricone gehört nicht gerade zu meinem Entspannungsprogramm.“ Entspannungsprogramm? Aus den Gedanken gerissen blickte er Eames fragend an. Eames wollte für ihn kochen, wollte, dass sie sich entspannten? War das seine Art, sich zu entschuldigen? Und wenn ja, wollte er diese Entschuldigung annehmen? Er wusste es nicht. Dass jener wirklich ein schlechtes Gewissen hatte, war nicht vorstellbar. Aber zumindest schien er seine Wut wahrzunehmen. Der Abstand heute hatte ihm gut getan, von dieser ein wenig abzubauen. Vielleicht hatte er auf die Worte des anderen überreagiert. Eigentlich wusste er ja, dass Eames sprach, ohne wirklich nachzudenken, wie das bei anderen ankommen könnte. Aber das war auch genau das, wovor er Angst hatte. Jener hatte es geschafft, Dinge von ihm in Erfahrung zu bringen, die er niemandem anvertraute und mit denen er selbst nur bedingt umgehen konnte. War es da zu viel verlangt, ein gewisses Maß an Sensibilität zu verlangen? Bei Eames vermutlich schon. Das würde sich nie ändern. Und gleichzeitig waren da diese Gefühle, die dieser Idiot unbegreiflicher Weise in ihm auslöste. Leider wanderten seine Gedanken viel zu oft zu der Situation in der Küche. Und leider lösten genau diese Gedanken immer wieder diese seltsamen Gefühle in ihm aus. Arthur rieb sich über das Gesicht, atmete tief ein und merkte, dass sein Schweigen begann unangenehm zu werden. „Ich habe keinen besonders großen Hunger“, sagte er schließlich. „Und ich weiß auch nicht genau, ob ich etwas im Haus habe, mit dem du wirklich etwas Gutes kochen kannst. Aber diverse Telefonnummern von Lieferservices liegen draußen in der Kommode.“ Er stand auf und klappte das MacBook zu. Ein wenig Pause von der Arbeit war nicht verkehrt. Er fühlte sich erschöpft. „Ich kümmere mich um Musik und gehe dann noch duschen.“ Damit ließ er seinen Worten Taten folgen und ging ins Wohnzimmer zu seiner Anlage. Sein Blick glitt über die Reihen an CDs, die sich angesammelt hatten. Eigentlich bräuchte er ein neues Regal, aber er hatte keinen Platz dafür. Daher lagen vor den geordneten Reihen noch Stapel mit neuer erworbenen CDs. Entspannung… Hm. Er entschied sich für leichten Jazz. Nils Landgren und Joe Sample „Creole Love Call“ – ob es eine CD gab, auf der das Wort ‚Love‘ und alles, was dazu gehörte, nicht existierte? Er würde sie „Eames‘ CD“ taufen. Vielleicht sollte er sich selbst mal eine zusammenstellen. „Poison“ von Alice Cooper wäre passend, irgendwie… Mist, wieder ein Liebeslied. Er legte die CD ein und während er ins Schlafzimmer ging, begann der erste Song. „Get out of my life, woman You don't love me no more…“ Er mochte die CD, sie bereitete ihm eigentlich immer gute Laune, daher hörte er sie gern beim Arbeiten. Mit ein paar Klamotten, die bequemer waren, ging er ins Bad. Schon als er die Tür aufmachte, nahm ihn der Geruch nach Eames‘ Duschgel ein. Der würde hier vermutlich lange hängenbleiben, auch wenn Eames schon wieder in der Weltgeschichte unterwegs sein würde. Immerhin hatte er das Duschgel diesmal zu gemacht. Es war seltsamer den je, ihn so nah bei sich zu haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)