SPACE 2064 - 01 von ulimann644 (Die Grauen Falken) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Dunkelheit lag über der trostlosen Landschaft des unbewohnten Planeten, als Captain Shane Autumn Vansen zu sich kam und aus dem Fenster blickte. Ein seltsames Klingeln drang an ihren Ohren, doch das konnte durchaus Einbildung sein, nach der Gewaltlandung, des Transporter-Cockpits. Oder besser gesagt, nach der Beinahe-Bruchlandung, denn die Landung auf Planet 2063-Y war nicht viel mehr, als ein kontrollierter Absturz gewesen. Sie hatte offensichtlich bei dem harten Aufschlag das Bewusstsein verloren. Wie lange, das konnte sie nicht sagen. Der Helm auf ihrem Kopf hatte aber wohl Schlimmeres verhindert. Nachdem die Frau den Puls ihrer Kameradin, Vanessa Damphousse, kontrolliert hatte, atmete sie erleichtert auf und warf einen prüfenden Blick auf die Instrumente. Tot, dachte Vansen mürrisch. Das werden Phousse und ich auch bald sein, wenn keine Hilfe kommt, denn wir haben, außer durch das was die Notrationen in den Wandfächern dieser Kanzel hergeben, weder Wasser noch etwas zu Essen. An die Möglichkeit, dass sie vorher von Chigs gefangen werden konnten, wollte sie im Moment nicht denken. Das konnte sie immer noch wenn es soweit war. Das Wichtigste für sie war im Moment, dass Vanessa wieder zu sich kam. Alles Weitere würde sich dann schon finden. Das muss es einfach. Mit einem unterdrückten Stöhnen, weil bei der ersten Bewegung die sie machte ein scharfer Schmerz durch ihren Rücken jagte, schälte sie sich aus dem Pilotensitz, in dem sie schräg nach oben, und leicht zur rechten Seite, hing. Der Schmerz machte Vansen bewusst, dass der Aufprall, an den sie sich kaum erinnern konnte, härter gewesen sein musste als sie bisher angenommen hatte. Möglicherweise hatte sie sogar eine Gehirnerschütterung davongetragen, und wer konnte wissen, was noch alles? Shane Vansen verbiss sich den Schmerz. Gegenwärtig galten ihre Gedanken Vanessa, die immer noch bewusstlos in ihrem Sitz hing. Sie konnte nur hoffen, dass die Kameradin keine inneren Verletzungen davongetragen hatte. Dieser Gedanke spornte sie an. Während sich Shane zur Seite drehte und die Arme aus den Gurten zog dachte sie daran, wie sie und Vanessa in diese wenig ermutigende Situation geraten waren. Alles hatte gestern, am 29. November - Vansen vermutete zumindest, dass nicht mehr als ein Tag vergangen war seit der Notlandung – damit begonnen, dass Commodore Ross, der Kommandant des Trägerschlachtschiffs SARATOGA, sie und die übrigen WILDCARDS auf eine Rettungsmission geschickt hatte. Überraschend war ein Botschafter der Chigs im Sektor aufgetaucht und hatte behauptet, man wolle Verhandlungen über einen Friedensvertrag zwischen Menschen und Chigs führen. Nachdem er an Bord des Trägers gekommen war hatte er sich dazu bereit erklärt, die überlebenden Gefangenen des Überfalls auf die terranischen Kolonien Vesta und Tellus, im Jahr 2063, freizulassen. Auf Geheiß des Botschafters hin waren sie einem Sanitäts-Kommando der SARATOGA, bestehend aus einem ISSCV/APC-Truppentransporter und fünf SA-43 HAMMERHEAD Jagdmaschinen, übergeben worden, und kurze Zeit später erfolgte die Freigabe durch den Botschafter der Chigs, sie zur SARATOGA zu überführen. Doch während des Rücktransports zur SARATOGA war es an Bord des Trägers zu einem schweren Zwischenfall gekommen. Allan Wayne, der verantwortliche Direktor von AEROTECH, der auf explizitem Wunsch des Chig-Gesandten an den Verhandlungen teilnahm, hatte den Botschafter der Chigs verbal angegriffen und seine gesamte Spezies unverblümt als gemeine Mörder bezeichnet. Der Gesandte der Außerirdischen hatte daraufhin die Schutzscheibe seines abgeteilten Bereichs des Verhandlungsraums, der ihn vor der für ihn giftigen, irdischen Atmosphäre schützen sollte, durchbrochen und war auf Wayne losgegangen. Eine Klinge aus dem Uniformärmel seines rechten Unterarms ausfahrend hatte der Chig den noch immer tobenden Wayne abgestochen. Als Lieutenant-Colonel McQueen, der CAG des Bordgeschwaders, dazwischen gehen wollte, hatte ein Sprengsatz, der sich im Schutzanzug des Außerirdischen befunden hatte, gezündet. Dabei war McQueen schwer verwundet worden. Der Rest der Menschen im Raum, und der Außerirdische selbst, waren bei der Explosion getötet worden. Dabei hatte ein Sender im Schutzanzug des Chig gleichzeitig ein Signal ausgestrahlt, dass die Chigs dazu veranlasst hatte, zu einem Vergeltungsschlag gegen die Rettungseinheit vorzugehen. Der Rettungstransporter war von Jägern der Chigs, auf halbem Weg zwischen den Chig-Einheiten und der SARATOGA, manövrierunfähig geschossen und die Geleitjäger vernichtet worden. Woraufhin Ross sie und ihre Staffel, mit einem schwerbewaffneten Truppentransporter, in Marsch gesetzt hatte um die, hilflos an Bord des beschädigten Rettungstransporters im Raum treibenden, Siedler zu retten. Unter dem Geleit der 59. Staffel. Nachdem sie unangefochten den in der Nähe des Planeten 2063-Y treibenden Rettungstransporter erreicht hatten, war es ihren beiden Kameraden Cooper Hawkes und Nathan West gelungen, die Energieversorgung des Rettungstransporters wieder herzustellen, und sie hatten sich, mit beiden Transportern auf den Rückweg gemacht. Dabei waren sie von einer zweiten Welle Chig-Jäger angegriffen worden, wobei der letzte Feindjäger, vor seiner Vernichtung, die Stelle des Truppentransporters getroffen hatte, an der die Auslösevorrichtung für das Cockpit lag. Das System hatte kurzgeschlossen und die Kanzel des Transporters abgesprengt. Nathan West hatte sie retten wollen, doch sie selbst hatte den Kameraden daran gehindert, indem sie ihm befahl die Siedler, unter denen sich auch Kylen Celina, Wests Freundin, befunden hatte, unbeschadet zur SARATOGA zu bringen. Dabei waren ihre letzten Worte, über Funk, an Nathan West gewesen: Immer treu, mein Freund. Semper Fidelis... „Na, das war doch eine richtig gute Idee“, fluchte die Frau und streifte die Erinnerung an diese Vorkommnisse ab. Jetzt galt es, sich erst einmal um Vanessa zu kümmern. Die Luft in der Kanzel war zwar stickig aber noch gut atembar. Es bestand also vorerst keine Veranlassung dazu die Raumanzüge aus den hinteren Wandfächern zu holen. Shane nahm ihren Helm ab und warf ihn achtlos nach hinten. Danach löste sie den Helm vom Kopf ihrer Freundin und legte ihn ebenfalls zur Seite. Mit einem Griff zur Halsschlagader der Kameradin überzeugte sie sich davon, dass sie immer noch lebte. Erleichtert atmete Vansen aus als sie den Puls deutlich fühlte. Vorsichtig lockerte sie Vanessas Kleidung am Hals und bewegte langsam ihren Kopf. Fast hätte sie geschrien als die Kameradin übergangslos zu sich kam und die Augen aufschlug. Die verwirrten Blicke von Damphousse irrten umher bevor sie sich auf ihre Augen konzentrierten und ruhiger wurden. „Phousse, du bist wach!“, stieß Vansen erleichtert aus. „Wie fühlst du dich?“ „Beschissen“, erwiderte Vanessa schwach und stöhnte leise auf. „Mein Kopf fühlt sich ein paar Nummern zu groß an.“ Vansen nickte aufatmend. „Kann ich mir vorstellen.“ „Was ist denn passiert? Wo sind wir?“ Vansen deutete durch das Kanzelfenster nach draußen. „Der letzte Treffer dieses miserablen Chig-Jägers hat die Absprengautomatik der Pilotenkanzel ausgelöst. Bei dem mörderischen Ruck hast du dir den Kopf angeschlagen und wurdest ohnmächtig. Der Planet hat die Kanzel eingefangen, doch ich konnte sie, mit Ach und Krach, hier landen.“ Damphousse verzog missmutig das Gesicht. „Toll, und was machen wir jetzt?“ „Ich denk´ mir was aus“, gab Vansen mürrisch zurück. „Das wird schon. Zumindest sind die Siedler jetzt in Sicherheit. Das hoffe ich wenigstens.“ Vanessa Damphousse verlagerte im Sitz ihr Gewicht auf die andere Seite und lächelte schwach. „Weißt du was, Shane? Ich hatte Nathan immer für leicht verrückt gehalten, weil er so unerschütterlich daran geglaubt hat, dass seine Freundin Kylen noch lebt. Ein paarmal war ich drauf und dran mit ihm zu reden und ihm zu sagen, wie lächerlich das ist. Ich bin froh, dass ich es nicht getan habe.“ „Kann ich verstehen“, erwiderte Vansen. „Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten. Doch das zeigt uns, dass selbst das schier Unmögliche nicht ausgeschlossen werden kann, und dass man die Hoffnung auf Rettung nicht verlieren darf, solange man nicht tot ist.“ Damphousse nickte und machte eine vage Geste. „Du spielst damit auf unsere momentane Situation an, schätze ich.“ „Worauf du dich verlassen kannst“, gab Vansen trocken zurück. „So wie es aussieht ist diese Kiste an einem Hang gelandet und bei der Landung umgestürzt. Die Geräte haben sich nach der Landung abgeschaltet. Ich habe sie noch nicht kontrolliert. Vielleicht haben wir Glück und können ein automatisches Notsignal absetzen.“ Vanessa nickte. „Ich helfe dir dabei. Das kriegen wir hin.“ „Du sagst es.“ Gemeinsam machten sich die beiden Frauen daran, die Verkleidung des Funksegmentes an den Kontrollkonsolen zu entfernen, und Vanessa, die von der Materie mehr verstand als Vansen, warf einen Blick ins Innere. Nach ein paar Minuten ächzte sie: „Sieht nicht gerade gut aus. Da ist Einiges zu Bruch gegangen, aber ich denke, wir können das reparieren. Was für eine Bruchlandung hast du denn gebaut?“ „Beweis du erst mal, dass du es mit einer solchen Mühle besser kannst“, knurrte Vansen. „Danach darfst du meckern, aber nicht vorher.“ Vanessa sah in den Augen von Vansen, dass sie ihre Worte nicht ernst gemeint hatte und grinste verlegen. „Komm, wir müssen diesen Energieverteiler ausbauen. Der hat eine ganze Menge abbekommen, wie es aussieht. Während ich den repariere kümmerst du dich am besten um das Notstrom-Aggregat. Aber schalte es noch nicht ein.“ Vansen machte eine zustimmende Geste. „Ich warte auf dein Okay.“ „Gut, fangen wir an.“ * * * Einige Stunden lang arbeiteten die beiden Frauen intensiv, bevor Vanessa Damphousse ächzend bekannt gab: „Ich schätze, das Ding funktioniert wieder. Ich baue den Verteiler jetzt wieder ein.“ „Perfekt, ich bin mit dem Notstrom-Aggregat auch gleich soweit“, erwiderte Vansen. „Dann helfe ich dir.“ Vanessa sah kurz zu der Kameradin, die hinter den Sitzen der beiden Piloten eine der Bodenklappen geöffnet hatte und seit Stunden dort rumorte. Dann sah sie zum Seitenfenster der Kanzel hinaus in die verwaschen grünliche Nebellandschaft und murrte: „Ich wüsste zu gerne, wie es hier bei Tageslicht aussieht.“ „Ich schätze das ist das Tageslicht“, entgegnete Vansen mit amüsiertem Tonfall. „Zumindest hat sich draußen kaum etwas geändert, seit es hell geworden ist. Was vielleicht gar nicht so schlecht für uns ist.“ Vanessa Damphousse unterbrach ihre Tätigkeit und sah über die Schulter zu Vansen. „Wie meinst du das?“ Shane Vansen wand sich etwas bevor sie erklärte: „Na, ja, als du bewusstlos warst, und ich diese Mühle hier hinunter gebracht habe, da habe ich anhand der letzten Navigationsdaten etwas herumgerechnet. Wir kommen an einer unangenehmen Tatsache nicht vorbei, nämlich dass der Stützpunkt der Chigs, von dem aus sie die Siedler zu uns geschickt haben, in Empfangsreichweite unseres Senders liegt.“ Damphousse verzog missmutig das Gesicht. „Mit anderen Worten, sobald wir den Sender aktivieren werden die Chigs hier auftauchen, um nachzusehen was los ist. Meinst du das damit, Shane?“ Vansen warf der aus New York stammenden Kameradin einen vielsagenden Blick zu. „Wir können ohnehin nicht ewig hier drin bleiben, weil irgendwann die Luft zu Neige geht.“ „Na, toll. Also werden wir in die Raumanzüge steigen müssen, und in diese grüne Suppe hinaus. Keine besonders angenehme Vorstellung.“ „Ich komme jetzt zu dir und helfe dir beim Einbau des Verteilers“, lenkte Vansen ab und kletterte zu der Kameradin nach vorne. „Sag mir einfach was ich tun soll.“ Vanessa deutete auf eine Gruppe von Kabeln. „Bieg´ die einfach etwas zur Seite, damit ich mit dem Verteiler wieder an die Platine komme.“ Vansen folgte der Anweisung, berührte mit dem kleinen Finger der linken Hand eine freiliegende Phase und bekam prompt einen heftigen Schlag. „Scheiße, Vanessa, den Ausstieg werde ich gar nicht mehr mitbekommen weil du mich bereits vorher umbringst!“ „Tut mir leid, die Phase habe ich übersehen. Berühr´ sie bloß nicht.“ Wütend schob sich Vansen eine Strähne ihrer nussbraunen Haare hinter das Ohr, sah Vanessa an und schnappte: „Ach was! Die Warnung kommt reichlich spät, findest du nicht?“ „Entschuldige“, murmelte Damphousse leise und machte sich wieder daran den Verteiler an die richtige Stelle zu bugsieren. Nach einer Weile hatte sie es geschafft und arretierte ihn. Danach zog sie ihre Hände vorsichtig zurück und sank seufzend gegen den Co-Piloten-Sitz. „Das hätten wir. Du kannst die Kabel jetzt loslassen. Diese freiliegende Phase verbinde ich gleich noch. Dann sollten wir in der Lage sein, den Sender zu aktivieren.“ Ebenso vorsichtig, wie Vanessa, ließ Vansen die Kabel los und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Aber zuerst werden wir uns über die Notrationen her machen, denn im Raumanzug zu essen funktioniert bekanntlich nicht. Danach legen wir die Anzüge an und machen uns fertig für den Ausstieg, denn sobald das Ding läuft werden die Chigs aufmerksam werden. Dann will ich möglichst schnell hier weg.“ „Nicht zu weit“, warf Vanessa ein. Die Helmsender haben, unter den hiesigen Verhältnissen eine angenommene, maximale Reichweite von zweitausend Metern.“ „Dann sollten wir einen Abstand von tausendfünfhundert Metern nicht überschreiten“, bestimmte Vansen. „Wenn unsere Leute den Sender orten, dann werden sie ganz in der Nähe dieses Wracks niedergehen. Und dann außer Reichweite zu sein wäre blöd.“ „Das gilt aber auch für die Chigs“, gab Vanessa Damphousse zu bedenken. „Wir sollten uns für den Fall besser einen guten Unterschlupf suchen.“ Vansen nickte. „Das werden wir, Vanessa. Wie geht es dir?“ „Mir ist etwas schwindelig“, gab die in New York geborene Frau zurück. „Vermutlich verursacht durch eine leichte Gehirnerschütterung.“ Vansens Miene drückte Besorgnis aus. „Dann ruh´ dich etwas aus, bevor du diese Phase anschließt.“ „Nein, es geht schon“, widersprach Vanessa und bewegte sich zu ihrer Kameradin hinüber. Vorsichtig verband sie die freiliegende Phase mit der richtigen Kontaktstelle uns sah dann zu Vansen. „Wir sind bereit.“ „Okay, dann hole ich jetzt die Rationen.“ Während sich Damphousse in den Sitz quälte, denn ihre Kopfschmerzen waren schlimmer als sie es Vansen gegenüber zugegeben hatte, hörte sie ihre Kameradin im hinteren Teil des Cockpits herumhantieren. Sie hatte es geschafft bevor die Kameradin zu ihr zurückkehrte und lächelte beruhigend, als diese ihr die Ration reichte. Shane Vansen reagierte wie erhofft und erleichtert atmete Damphousse auf. Das Letzte, das sie in der jetzigen Lage gebrauchen konnten, war, dass sich Vansen Sorgen um sie machte, statt mit allen Sinnen bei der Sache zu sein. Denn falls tatsächlich Chigs auf der Oberfläche dieses Planeten auftauchten, dann würde die Kameradin vermutlich den Löwenanteil der Arbeit leisten müssen, sie vor einer Gefangennahme zu bewahren. Sich mit einem Blick zur Seite davon überzeugend, dass Vansen dasselbe tat, kaute Vanessa Damphousse auf einem der Konzentrat-Riegel herum. Sie verspürte zwar keinen sonderlichen Appetit, doch darauf kam es nicht an. Wenn sie sich erst einmal im geschlossenen System ihres Raumanzuges befand, dann würde vorerst keine Gelegenheit mehr sein, ihrem Körper die notwendige Energie zum Durchhalten zuzuführen. Dabei dachte sie mit einem unguten Gefühl daran, dass sie diese Nahrung irgendwann auch verdaut haben würde. Den bewussten Beutel, im Innern der Druckanzüge, hatte sie von Beginn an gehasst, und üblicherweise benutzt sie ihn nur, wenn gar nichts mehr ging. Die dunkelhäutige Frau bemerkte erst, dass sie finster vor sich hin starrte, als Vansen sie ansprach: „Was hast du, Vanessa?“ „Ich musste eben an diese verdammten Fäkalienbeutel der Raumanzüge denken.“ Vansen nickte verstehend und verbiss sich dabei ein Grinsen. Sie wusste um den Reinlichkeitsfimmel der Kameradin. „Ja, dafür sollten sich unsere Wissenschaftler wirklich mal etwas Neues einfallen lassen.“ Die beiden Frauen schlangen, mehr oder weniger begeistert, ihre Konzentrat-Riegel hinunter und spülten mit Wasser aus den silbernen Beuteln der Notrationen nach, wobei Damphousse andeutete: „Apropos etwas Neues einfallen lassen...“ „Hör mal auf zu jammern“, konterte Vansen bewusst grob. Sie wusste, dass Vanessa ihre Worte schon nicht falsch verstehen würde. Sie dienten nun seit über achtzehn Monaten in derselben Staffel, doch Vansen schien es manchmal so, als sei es bereits eine Ewigkeit her, dass sie sich, auf der Fahrt nach Loxley, Alabama, zu ihrem Ausbildungsstandort, kennengelernt hatten. Damals hatten sie beide noch nicht geahnt, dass sie sich nur Monate später in einem interstellaren Krieg gegen Außerirdische wiederfinden würden. An diesem Punkt ihrer Überlegungen fragte sich Vansen, was wohl aus ihren Kameraden geworden sein mochte. Hatten sie die Rückkehr zur SARATOGA geschafft? Ein unterdrücktes Seufzen von Damphousse lenkte Vansen ab. Damphousse hatte sich mittlerweile in ihren Raumanzug hinein gearbeitet und begann damit die Verschlüsse zu überprüfen. Dabei meinte sie: „Auch auf die Gefahr hin, nochmal eins auf´s Dach zu bekommen, aber ich fürchte, jetzt beginnt der eigentliche Spaß erst.“ Vansen grinste schief. „Genieß´ das Gejammer nochmal richtig, denn sobald wir aussteigen herrscht Funkstille, klar?“ „Dachte ich mir“, murrte die Kameradin. Sie wartete bis Shane Vansen ebenfalls soweit war, dass sie nur noch den Helm schließen musste. Mit einem verzweifelten Lächeln sagte sie aufmunternd: „Wünsch uns Glück, Shane.“ Vansen nickte. „Du uns auch, Vanessa.“ Nachdem beide Frauen ihren Helm geschlossen hatten, gab Vansen der Kameradin mit ihrer Rechten das Signal, den Sender zu aktivieren. Vanessa Damphousse aktivierte den Sender, kontrollierte die Displays und hielt den Daumen ihrer behandschuhten Rechten nach oben, bevor sie gemeinsam zum hinteren Schott gingen. Vansen öffnete es, stieg aus, und half der Kameradin beim Verlassen des Wracks. Draußen angekommen deutete sie auf eine kleine Hügelkette und Vanessa machte eine zustimmende Geste. Dann begaben sie sich auf den Weg – weg vom Wrack. Kapitel 1: Niemandsland ----------------------- Auf dem Trägerschlachtschiff GRS BISMARCK stand Carina Lerach, im Halbdunkel des Kommandozentrums, beugte sich leicht über das Geländer, das den Bereich des Kartentisch von den Kontrollkonsolen des Trägers trennte, und warf einen Blick über die Schulter von Oberleutnant Julian Körner, dem Navigator des Trägers. Etwas, das ihr in Fleisch und Blut übergegangen war, seitdem dieser Träger und seine zwei Geleitschiffe, der Schlachtkreuzer BLÜCHER und das Kanonenboot ARCONA, hinter die feindlichen Linien verschlagen wurde. Während der Schlacht bei Ixion. In ein paar Stunden, so wusste sie, würde Oberst Gernot Kiesewetter, der sehr erfahrene Kommandant dieses Trägers, der ihr als Flaggschiff diente, sie ablösen, und während ihrer Abwesenheit stellvertretend den Verband leiten. Die Rangabzeichen, goldenes Eichenlaub mit einem ebenfalls goldenen Stern, funkelten auf den rot umrandeten Schulterstücken von Lerachs nachtblauer Uniformjacke. Niemand auf der BISMARCK hatte Carina Lerach, während sie Dienst tat, jemals in Hemdsärmeln gesehen. Selbst im größten Durcheinander einer Raumschlacht erweckte sie stets den Eindruck, eben erst ihre Garderobe gerichtet zu haben. Eine Konstante auf diesem Trägerschlachtschiff. So, wie ihre unerschütterliche Ruhe im Gefecht. Einen Moment lang sah die Siebenundvierzigjährige grübelnd auf die Anzeigen und fragte den jungen Mann an den Navigationskontrollen, mit klarer Stimme: „Sind Sie sicher, dass wir Kurs auf Planet 2063-Y halten? Immerhin sind unsere Instrumente, während der letzten Schlacht, ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden.“ „Ich bin mir sicher, General“, gab Körner zurück, ohne seinen Blick vom Monitor abzuwenden. „Wenn die lateralen Sensoren wieder arbeiten, dann wissen wir es genau.“ Ein leichtes Schmunzeln überflog die geschwungenen Lippen der Frau bei dem versteckten Hinweis des Oberleutnants, dass er ihr heute nicht mehr sagen konnte, als in den letzten fünf Tagen. Sie richtete sich auf, straffte ihren schlanken Körper, und schritt zum Kommandeur der Jagdgeschwader, der drei Schritt hinter ihr stand. Kaum kleiner gewachsen, als der 1,84 Meter große, kräftige Mann sah sie in seine blauen Augen und meinte, beinahe amüsiert. „Der Oberleutnant hat Recht. Wenn man in den Kessel sieht kocht das Wasser nie.“ Oberstleutnant Frank von Wedel grinste offen, so wie es Carina Lerach von ihm gewohnt war. Sie selbst hatte ihn für die BISMARCK angefordert, als sie das Kommando über diesen Träger und seine Geleitschiffe, am 17. September 2061, übernahm. Schnell hatte sich herausgestellt, dass sie sich sehr gut mit dem schwarzhaarigen Mann verstand. Auf dienstlicher, wie auf menschlicher Ebene. Über Letzteres war sie erfreut, denn sie mochte keine dieser rein dienstlichen Beziehungen zu Personen, die sie im Grunde nicht mochte. Gerade in Bezug auf den Geschwader-Kommandeur wäre das ungünstig gewesen, da sie mit ihm, im täglichen Dienstalltag, sehr eng zusammenarbeitete. Als Carina Lerach sich mit der Rechten durch das schulterlange, braune Haar strich und den Oberstleutnant fragend musterte, erwiderte der Geschwader-Kommandeur: „Ich verstehe was Sie umtreibt, General. Auch ich fühle mich nicht besonders wohl dabei, dass unsere drei Schiffe hier im Helios-System herumschleichen, das von den verdammten Chigs kontrolliert wird.“ „Mir auch nicht“, gab die Frau leise zurück. „Aber ich bin überzeugt davon, dass dies der sicherste Weg zurück zu unseren Truppen ist. Nach meinen letzten Informationen wollte die 15. Flotte, unter dem Oberkommando von General Granville Weirick, wieder nach Demios zurückkehren, sobald die Kämpfe bei Ixion beendet sind. Da von Ixion seit Tagen kein Signal mehr eingegangen ist, bedeutet das entweder, dass Ixion in unsere Hände gefallen ist und nun Funkstille hält, oder aber, dass Weirick aufgeben hat und sich zurückziehen musste. In beiden Fällen werden wir bei Demios auf Schiffe unserer Verbündeten treffen.“ „Falls die Amis nicht komplett vernichtet worden sind“, gab der Oberstleutnant zu bedenken und erkannte den Unmut, wegen dieser Äußerung, in den grün-braunen Augen seiner Vorgesetzten. Beschwichtigend fügte er hinzu. „Aber von diesem schlimmsten, vorstellbaren Szenario gehe ich nicht aus, General.“ Etwas verstimmt gab Carina Lerach mit gedämpfter Stimme zurück: „Das will ich hoffen, Oberstleutnant. So etwas dürfen sie gerne denken, aber halten Sie sich bitte zurück es laut auszusprechen. Fatalismus ist in unserer Lage das Letzte, was wir brauchen.“ „Verstanden, General.“ Die Augen der Frau begannen zu funkeln, doch sie erwiderte nichts auf den etwas übertrieben zackigen Tonfall des Mannes. Stattdessen wechselte sie das Thema und erklärte dem Oberstleutnant: „Sobald die Entfernung zu 2063-Y unter einhunderttausend Kilometern liegt, werden Sie eine Staffel in die Nähe des Planeten entsenden, die sicherstellen soll, dass uns nicht irgendwelche Feindverbände im Planetenschatten auflauern. Sollte sich der Planet und dessen Umgebung als feindfrei erweisen, so werden hingegen wir uns, für die notwendigen Reparaturen an Bord, in den Planetenschatten begeben und dort verbleiben, bis unsere Systeme wieder zufriedenstellend funktionieren. Ich wünsche, dass Sie die Grauen Falken mit dieser Aufgabe betrauen.“ „Ich werde Hauptmann Oberleitner informieren“, bestätigte Frank von Wedel. „Sie rechnen also mit Schwierigkeiten.“ Die Befehlshaberin des deutschen Verbandes nickte knapp. „Ja, ich traue dem momentanen Frieden nicht. Wenn ich ein Kommandeur der Chigs wäre, dann würde ich dieses Sternensystem nicht unbeobachtet lassen.“ Dabei beließ es Carina Lerach und warf dem Oberstleutnant einen vielsagenden Blick zu, der ihn dazu veranlasste, sich in Bewegung zu setzen, um die Führerin der 47. Staffel aufzusuchen. Mit raumgreifenden Schritten eilte er durch die schmalen Gänge des Trägers. Platz war auf diesem Träger ein Luxus, obwohl er mit einer Länge von 525,6 Metern, einer Breite von 245,1 Metern und einer lichten Höhe von 185,4 Metern alles andere als klein zu bezeichnen war. Dennoch wurde jeder noch so kleine Raum in diesem Träger effektiv genutzt und war bis zum Bersten mit moderner Technik angefüllt, die nur einem Zweck diente. Den Feind zu vernichten und gleichzeitig das Leben der Besatzung zu schützen. An Luxus oder Bequemlichkeit war da nicht an erster Stelle gedacht worden. Eine Tatsache, an der sich nichts durch den Einbau der neuen Überlichtaggregate – vor rund sechs Monaten – geändert hatte. Im Gegenteil. Zwar waren die terranischen Raumschiffe, seit dem Einbau dieser Maschinen, nicht mehr allein von natürlich entstehenden Wurmlöchern abhängig, um von einem Sternensystem zum anderen zu reisen, doch der freie Raum an Bord hatte sich dadurch noch einmal verkleinert. Frank von Wedel wusste, dass AEROTECH diese Aggregate, mit denen die terranischen Raumschiffe Überlichtkapazität bekommen hatten, nur deshalb hatte entwickeln können, weil terranische Pioniere, nach der Schlacht bei Jupiter, das Wrack eines Chig-Trägers geborgen hatten. In der Folgezeit hatten die Ingenieure von AEROTECH rund um die Uhr gearbeitet, um die Überlichttechnik der Aliens zu verstehen und für die terranischen Kriegsschiffe zu modifizieren. Hätten sie keinen Erfolg gehabt, so wäre die terranische Offensive namens Operation ROUNDHAMMER nie möglich gewesen. An der nächsten Gangkreuzung wich der Oberstleutnant einer Gruppe von Raumlandesoldaten aus und setzte anschließend seinen Weg fort. Vor dem Schlafraum der 47. Staffel verharrte er kurz vor der Tür, klopfte zweimal und öffnete sie. Von Wedel hatte es in früheren Jahren gehasst, wenn Vorgesetzte ohne irgendeine Ankündigung hereinplatzten, und so hatte er sich dieses Klopfen angewöhnt, bevor er das Quartier von untergebenen betrat. Noch bevor der Oberstleutnant ganz in den Raum eingetreten war hatte einer der anwesenden Piloten Achtung! gebrüllt. Vier Männer und drei Frauen im Raum nahmen Haltung an. „Rühren!“, befahl der Schwarzhaarige schnell und blickte sich um. Melanie Oberleitner, die eben erst ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt aus dem oberen Etagenbett, zu seiner Rechten, gewuchtet hatte, richtete schnell ihre oliv-grüne Flieger-Kombi und straffte sich. Ein Schmunzeln unterdrückend kam Frank von Wedel gleich auf den Punkt: „Hauptmann, Sie und der Rest der Staffel bereitet sich auf eine Fernpatrouille vor. In zwanzig Minuten erwarte ich Sie im Briefingraum der Staffel. Essen Sie vorher etwas, denn dieser Einsatz könnte etwas länger dauern. Die Einzelheiten gibt es beim Briefing.“ „Verstanden, Herr Oberstleutnant!“, bestätigte die blonde Frau mit ihrer gewohnt etwas rauchigen Stimme, verzichtete dabei jedoch auf den Salut. Bereits vor einigen Jahren war man beim Militär zu der Überzeugung gelangt, dass ein Salutieren bei den beengten Verhältnissen auf Raumschiffen nicht gesundheitsförderlich war. Darum wurde dies an Bord von Raumschiffen nur noch zu besonderen Anlässen getan. Stattdessen beließ sie es bei einem feinen Lächeln. Sie und Frank von Wedel standen sich kameradschaftlich sehr nahe, seit ihr Vater, zu Beginn des Krieges gegen die Außerirdischen, abgeschossen worden war. Er war, so wie sie, Militärpilot, und ihr großes Vorbild gewesen – und das in jeder Hinsicht. Frank von Wedel wusste dies. Damals hatte er sich ganz besonders um Melanie Oberleitner gekümmert. Sie war, neben der Tatsache eine hervorragende Jagdpilotin zu sein auch ein sehr liebenswerter Mensch. Nach Außen oft sehr hart wirkend, war diese junge Frau im Grunde ihres Herzens deutlich anders. Dessen war sich Frank von Wedel sicher. Seit damals, kurz nach dem Tod ihres Vaters. Sie hatten lange Gespräche miteinander geführt, bei denen der Oberstleutnant den Eindruck gewann, dass Melanie Oberleitner in ihm so eine Art großen Bruder sah. Zu seiner Erleichterung war die Pilotin nicht am Tod ihres Vaters zerbrochen. Im Gegenteil nach einer Phase tiefer Trauer, war sie damit fertig geworden und Frank von Wedel war sich sicher, dass sie daran gewachsen war. Der Oberstleutnant wandte sich an alle Piloten. „Bis in zwanzig Minuten dann, Siebenundvierziger.“ Damit verließ der Schwarzhaarige den Schlafraum der Grauen Falken, die Stirn in Falten gelegt, und machte sich auf den Weg zum Briefingraum. Er wollte die Raumkarten dieses Gebiets vor der Besprechung nochmal genau studieren. * * * Sechzehn Minuten später machten sich Melanie Oberleitner und ihr Kamerad, Hagen Gronau, als letzte der Grauen Falken, von der Offiziersmesse aus auf den Weg zum Briefingraum der Staffel. Unterwegs sah der dunkelblonde Oberleutnant fragend zu seiner Kameradin, die mit ihren 1,78 Metern Körpergröße gerade mal zwei Zentimeter kleiner gewachsen war, als er selbst. „Was denkst du? Wofür braucht der Graf, in dieser von Gott verlassenen Ecke des Universums, eine Fernpatrouille?“ Ein amüsierter Zug lag auf dem Gesicht der Frau, als Hagen Gronau den Titel ihres Vorgesetzten erwähnte. Gleich darauf erwiderte sie: „Der schickt dich nur wieder hinaus, weil du ihm den letzten Nerv stiehlst. Das Blöde daran ist, dass wir Anderen mit müssen.“ Eine düstere Miene aufsetzend ging Hagen auf den gutmütigen Spott der Blondine ein. „Danke auch. Habe ich etwa schon wieder Gotteslästerung begangen, oder warum nimmst du den Geschwader-Kommandeur so schnell in Schutz?“ Der warnende Blick seiner Kameradin sagte dem Oberleutnant, dass er eben dabei gewesen war, eine Grenze zu überschreiten, die sie bereits vor einem Jahr gezogen hatte. Zwischen ihm und Melanie - und das von ihr. Ihre nächsten Worte fielen dem entsprechend unwillig aus. „Hör zu, Hagen, das Thema ist seit mehr als einem Jahr durch. Der CAG ist lediglich ein guter Kamerad für mich, und das war es auch schon. So, wie du auch.“ Hagen Gronau schluckte den schlecht versteckten Hinweis darauf, dass sie ihm vor einem Jahr einen Korb gegeben hatte, als er ihr gestand, mehr als nur Freundschaft für sie zu empfinden. Er hatte das akzeptiert, aber es nagte immer noch gelegentlich an ihm. Entschuldigend die Hände hebend erwiderte der Pilot, der knapp zwei Jahre jünger war, als Melanie Oberleitner: „War nur Spaß, okay? Ich hab´s ja kapiert.“ „Wer´s glaubt...“, murrte die Frau spöttisch und zwinkerte ihrem Begleiter dabei zu, um ihren Worten die Spitze zu nehmen. Spontan das Thema wechselnd meinte sie dann: „Ich werde froh sein, wenn wir endlich nicht mehr in Chig-Territorium herum schleichen. Hoffentlich sind die Amis wirklich bei Demios. Wäre nämlich ziemlich unangenehm dort stattdessen auf eine überlegene Flotte der Chigs zu stoßen.“ „Ja, so etwas kann einem echt den ganzen Tag versauen“, grinste Gronau, der die vorangegangenen Worte seiner Kameradin bereits vergessen hatte. „Aber du weißt ja, wie es heißt: Viel Feind – viel Ehr´.“ Auf seinen Ton eingehend gab Melanie Oberleitner, auf den Tonfall des Kameraden eingehend zurück: „Du bist zu vergnügungssüchtig, Hagen. Langsam hege ich ernsthaft den Verdacht, dass du deine Worte, zu Beginn des Krieges, ernst gemeint hast.“ Hagen Gronau erinnerte sich an seine betont humorvollen Worte, als er damals behauptet hatte, er würde die achtzig Abschüsse des Manfred von Richthofen einstellen, bevor der Krieg vorbei sei. Nun, immerhin hatte er bereits die Hälfte davon. „Du liegst immer noch drei Abschüsse vor mir“, erinnerte Hagen Gronau die Kameradin. „Also wer von uns Beiden ist vergnügungssüchtig?“ Melanie Oberleitner winkte ab und betrat vor Gronau den Briefingraum, in dem der Rest der Grauen Falken bereits Platz genommen hatte. Während Melanie auf ihren Sessel zu steuerte überflog sie die Mienen ihrer Kameraden. In der hinteren Reihe hatten sich Fredrick Reimers, Lars Ulrich und Melissa Kilic niedergelassen. Davor saßen Jörn Harbeck und Leonie Benning, zwischen denen noch zwei Plätze frei waren. Die von Hagen und ihr. Es gehörte, seit dem Beginn des Krieges, zu ihrem Ritual, genau in derselben Anordnung zu sitzen, und nur die totale Vernichtung des Trägers hätte die Mitglieder der 47. Staffel dazu bewegen können, dieses Ritual abzuändern. Wobei es in dem Fall vermutlich ohnehin egal gewesen wäre. Melanie Oberleitner hob kurz grüßend die rechte Hand. Beim Hinsetzen überlegte sie, dass das Verhalten von ihr und ihren Kameraden schon als etwas verschroben bezeichnet werden konnte. Doch immerhin hatte sich die 47. Staffel, innerhalb der letzten achtzehn Monate, einen beinahe legendären Ruf erworben, und da konnte man sich die ein oder andere Verschrobenheit sicherlich leisten. Vorne, am Smart-Board, auf dem der Raumsektor um die momentane Position der BISMARCK herum wiedergegeben wurde, wartete Oberstleutnant Frank von Wedel bis Ruhe eingekehrt war, bevor er sich auf die Kante des seitlich stehenden Schreibtisches setzte und mit gewohnter Sachlichkeit das Briefing begann. „Siebenundvierziger – es geht für Sie in das naheliegende Sternensystem, in dem der Planet 2063-Y liegt. Wir haben das System mit den Langstrecken-Scannern abgetastet und nicht das Geringste festgestellt. Doch Sie wissen, dass unserem Einsatzverband, im Ortungsschatten des Planeten, eine ganze Feindflotte auflauern könnte. Ihre Aufgabe wird es sein, diese für unsere Scanner blinden Bereiche aufzuklären und sicherzustellen, dass wir beim Anflug auf dieses System keine unliebsamen Überraschungen erleben werden.“ Melanie Gerlach nutzte die kleine Pause, die der Oberstleutnant einlegte, um zu fragen: „Welches Interesse haben wir an diesem System, oder besser gesagt: Welches Interesse haben wir an dem Planeten, Oberstleutnant?“ Frank von Wedel lächelte dünn. Er kannte den Hauptmann mittlerweile gut genug, um mit einer entsprechenden Frage gerechnet zu haben. „Sollte sich der Sektor als feindfrei erweisen, so wird Brigadegeneral Lerach unseren Einsatzverband in den Ortungsschutz des Planeten zurückziehen. Dort werden wir dann die Zeit nutzen um die dringendsten Reparaturen am Träger und an den Begleitschiffen durchzuführen.“ „Wie lange wird das minimal dauern, Herr Oberstleutnant?“, warf die dunkelhaarige, etwas beleibte, Melissa Kilic, Rufname: Buntfalke, ein. Wie immer, wenn Frank von Wedel keine exakten Daten zur Verfügung hatte, kratzte er sich am Hinterkopf. „Das steht nicht genau fest. Als Minimum würde ich aber etwa drei Tage veranschlagen, rechnen Sie aber eher mit einer Woche. In diesem Falle wird die Hälfte des Geschwaders permanent auf Patrouille sein, innerhalb der Systemgrenzen.“ Ein unterdrücktes Aufstöhnen ging durch die Reihen der Grauen Falken, denn nichts war so langweilig, wie der Patrouillendienst innerhalb eines fest vorgegebenen Raumsektors. Außer, es kam zum Feindkontakt, doch das war auch nicht gerade das, was sich die Piloten momentan wünschten. Frank von Wedel unterdrückte ein Schmunzeln bei dieser Reaktion der anwesenden Männer und Frauen. Er selbst hätte an ihrer Stelle vermutlich nicht anders reagiert. Doch er war nicht an ihrer Stelle, und deshalb erinnerte er eindringlich: „Sie wissen, dass auch diese Einsätze dazu gehören, also keine Klagen und kein Jammern, bitte. Kommen wir lieber zu den Einzelheiten: Hauptmann Gerlach, Sie werden mit Ihrer Staffel direkten Kurs auf 2063-Y nehmen und ihn dann weitläufig umfliegen. Seien Sie dabei auf der Hut und ziehen Sie sich umgehend zurück, falls sie dort auf überlegene Feindverbände stoßen sollten. Halten Sie während des Einsatzes weitgehend Funkstille, außer es ergeben sich Umstände, die ein anderweitiges Vorgehen erforderlich machen. Sollte sich der Sektor als feindfrei erweisen so werden Sie umgehend zur BISMARCK zurückkehren und Bericht erstatten. Bei Feindkontakt brechen Sie die Funkstille und alarmieren den Verband. Falls Sie keine weiteren Fragen haben bemannen Sie jetzt ihre Jagdmaschinen und machen sich auf den Weg.“ Es blieb für Sekunden still und Frank von Wedel machte eine auffordernde Geste in Richtung der sieben Anwesenden. „Dann weggetreten und gute Jagd.“ Die vier Männer und drei Frauen erhoben sich und verließen geordnet den Briefingraum, in Richtung des nebenan liegenden Hangar-Bereichs, in denen die Cockpits ihrer Jagdmaschinen darauf warteten, in die darunter befindlichen Jäger, vom Typ SA-43 eingekoppelt zu werden. Bei ihrem Eintreffen herrschte die übliche Betriebsamkeit, wie sie bei jedem anstehenden Einsatz einer Jagdstaffel herrschte. Letzte Checks der Instrumente und Bordsysteme wurden von einem Teil der Hangar-Crew vorgenommen. Andere Mitglieder dieser Crew warteten mit den Flughelmen und diversen anderen Ausrüstungsgegenständen auf die Piloten der 47. Staffel. Behände kletterte Melanie Oberleitner ins Cockpit das zu ihrer Jagdmaschine gehörte und rückte ihren Körper im Sitz zurecht, so wie sie es vor jedem Start tat. Eine junge Frau zu ihrer Rechten setzte ihr den Helm auf, während ein Mann zu ihrer Linken die Gurte des Sitzes um ihre Schultern legte. Sie dankte den beiden Crewmitgliedern, ohne sie wirklich zu sehen. Mit einem schnellen Blick zu ihren Kameraden stellte sie fest, dass bei ihnen ebenfalls die letzten Vorbereitungen zum Start beendet wurden. Im nächsten Moment konzentrierte sie sich bereits wieder auf ihre Instrumente, die sie stets in derselben Reihenfolge kontrollierte. Gott bewahre, dass sie dieses Ritual einmal vergessen, oder schlimmer, die Reihenfolge abändern sollte. Das wäre undenkbar gewesen. Draußen auf dem von Licht überfluteten Deck des Hangars ertönte das akustische Warnsignal und gleich darauf kam die Aufforderung an das Technische Personal zum Räumen des Decks. Die Hangarcrew beeilte sich, dieser Aufforderung Folge zu leisten, während zusätzlich die roten Warnsignale aufflammten. Hinter dem letzten Mann senkte sich das Schott herab und isolierte die Piloten. Mit einer fast automatisierten Bewegung aktivierte Melanie Oberleitner das Funksystem und nahm Kontakt mit dem Hangarleiter, auf der Brücke, auf, während sich die Cockpit-Kanzel automatisch schloss. Auf einem anderen Kanal kamen die Klarmeldungen ihrer Kameraden herein. „BISMARCK, hier Silberfalke. Sauerstoffkontrollen – Okay. Bordcomputer – Okay. Waffenhauptschalter sind gesichert. Automatische Navigationssysteme – Okay. Staffel ist bereit zum Start.“ Die Antwort kam prompt: „Hangarleiter an Staffelführer. Starterlaubnis erteilt.“ „Roger, Graue Falken fertig zum Einkoppeln!“ Aus der Kanzel heraus warf Melanie Oberleitner einen schnellen Blick zu den Scheiben des Hangardecks, hinter denen sie den CAG stehen sah. Wie vor jedem Start lächelte sie ihm zu und hob zuversichtlich ihren Daumen. Ebenfalls wie jedesmal gab Frank von Wedel dieses Zeichen zurück. Auch das gehörte zu dem Ritual vor jedem Start der Staffel, wenn der CAG nicht selbst in einem der Jäger saß. Melanie Oberleitner spürte den unverkennbaren Ruck, als sich die Klammern unter dem Cockpit lösten. Nacheinander versanken die Cockpits der 47. Staffel im Boden des Hangardecks. Unterwegs packten die Klammern zu, die das Cockpit weiter hinunter bis zum Jäger führten und sich erst dann lösten und wieder anhoben, wenn die Verriegelung der Cockpits einrastete und der Automatik Status Grün übermittelte. Der Herzschlag der blonden Frau beschleunigte sich, wie jedesmal, als sie das leichte Vibrieren spürte, mit denen sich die Systeme des Cockpits mit denen des Jägers verbanden. Das Alles geschah innerhalb einer Sekunde. Der Sauerstoff wurde mir Turbopumpen aus dem Hangar gesaugt und vor dem Jäger des Hauptmanns öffnete sich das gewaltige Schott des Hangars. In schneller Reihenfolge wurden die Jäger, mit Hilfe der elektromagnetischen Katapulte: EMALS, in den Weltraum katapultiert. Erst dort durften die bordeigenen Antriebe der Jäger aktiviert werden, um eine Beschädigung der Hangars zu vermeiden. Melanie Oberleitner atmete tief durch und beschleunigte ihren Jäger – wissend, dass sich ihre Kameraden recht und links hinter ihr formierten. Wegen der befohlenen Funkstille verzichtete sie darauf, wie sonst üblich, Kontakt zu ihren Kameraden aufzunehmen. Stattdessen ließ sie ihren Blick erneut über die Instrumente schweifen. Am automatischen Kalender blieb ihr Blick hängen. Er zeigte den 02. Dezember 2064 an. Dann lehnte sie sich im Sitz zurück und ließ ihren Gedanken freien Lauf, während sie auf das kalte Glitzern der Myriaden Sterne hinaus sah. Wie immer, wenn sie durch die Unendlichkeit des Weltalls flog überkam sie eine besondere Stimmung. In der letzten Zeit stärker, als früher. Vielleicht lag das daran, dass ihre letzte intime Beziehung bereits über drei Jahre zurück lag. Unglaublich, aber leider wahr. In Momenten, wie diesen, in denen sie ganz bei sich war, spürte sie, dass ihr etwas fehlte. Während des Dienstes konnte sie dieses Gefühl verdrängen, doch sobald sie zur Ruhe kam drängte sich dieses Gefühl machtvoll in ihr Herz und in ihre Gedanken, ohne dass sie es verhindern konnte. Vielleicht kriege ich jetzt endgültig einen Rappel, dachte sie frustriert. Als ob ich diese Probleme momentan zusätzlich gebrauchen könnte. Vielleicht ist es ja besser, sich um Niemanden sorgen zu müssen, außer um sich selbst und um seine Kameraden. Melanie wusste, dass dies nicht die Wahrheit war, und spöttisch grinsend musste sie an einen Ausspruch ihres Vaters denken, als sie noch zur Schule gegangen war. Die Wahrheit offenbart sich einem Menschen nur aus einer friedlichen Stimmung, und aus der absoluten Ruhe heraus. „Na, klasse“, murmelte die Frau leise zu sich selbst. „Der Einzige Typ, der es hier Draußen mit einer durchgeknallten Jagdpilotin aushalten würde, wäre ein ebensolcher, durchgeknallter Jagdpilot. Aber mit einem meiner Kameraden zu schlafen ist keine Option, das steht mal fest. Also, woher nehmen, und nicht stehlen, Melanie, altes Mädchen?“ Sie horchte kurz ihren Worten nach und dachte aufstöhnend: Oh Gott, jetzt fange ich schon an mit mir selbst zu reden. Ich krieg wirklich einen Vogel. Die junge Frau konnte jedoch nicht verhindern, dass sich ihre Gedanken an dieses Thema festklammerten. Ihre letzte, länger andauernde Beziehung hatte sie zu Schulzeiten geführt. Ab dem Zeitpunkt ihrer militärischen Ausbildung hatte sich ihr Liebesleben auf kurze, flüchtige Beziehungen belaufen. Das entsprach im Grunde rein gar nicht ihrem Wesen, doch zu mehr war in den letzten Jahren keine Zeit gewesen. Oder besser gesagt, zu mehr hatte sich in den letzten Jahren nicht der richtige Partner gefunden. Sie lenkte sich ab indem sie die Navigationskarte auf ihrem MFD einblendete. Die taktische Abbildung auf dem Multi-Funktions-Display studierend überlegte sie, wo sie einen Kampfverband stationieren würde, wenn sie ein Chig wäre. Zwei Möglichkeiten boten sich an. Die abgewandte Seite des Planeten 2063-Y selbst, oder aber auf der anderen Seite der Sonne, entweder hinter dem äußeren Gasplaneten, oder der Sonne selbst. Letzteres schien ihr wahrscheinlicher. Sie nahm sich vor, diese Sektoren besonders im Auge zu behalten, während sie wieder auf sah. Sich im Sitz langsam entspannend versuchte sie, an das zu denken, was vor ihr und ihren Kameraden lag, während sie auf Autopilot schaltete. Was würde sie in dem Sternensystem erwarten? Melanie Oberleitner begann darüber zu sinnieren, dass das, was man keinem Piloten während der Ausbildung vermitteln konnte, die grenzenlose Langeweile war, die während eines Einsatzes wie diesem weitgehend herrschte. Selbst die hoch kniffligen und komplizierten Einsätze bestanden meistens zu 2 Prozent aus Aufregung, und zu 98 Prozent aus Eintönigkeit. Dabei war die Schwierigkeit, dass man trotzdem zu 100 Prozent auf dem Kiwief sein musste, um nicht vom Feind überrascht zu werden. Ein Schmunzeln überkam Melanie bei dem Wort Kiwief, dessen Wurzeln im französischen Qui vive lagen. Sie mochte solche angestaubten Begriffe und benutzte sie auch im täglichen Gebrauch dann und wann. Die blonde Frau seufzte und tröstete sich mit dem Gedanken daran, dass es ihren Kameraden nicht anders erging, als ihr selbst. Außerdem nahm selbst der langweiligste Einsatz irgendwann sein Ende. Das dieser Einsatz alles Andere werden würde, als langweilig, dass ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht. * * * Zehn Stunden später hatte sich die 47. Staffel so weit dem Planet 2063-Y genähert, dass die Piloten und Pilotinnen mit der Umkreisung beginnen konnten. Endliche etwas Abwechselung, nach den zermürbend ereignislosen Stunden. Hagen Gronau, der sich wie üblich an der rechten Flanke seiner Staffelführerin hielt, richtete seine Aufmerksamkeit nun verstärkt auf sein MFD. Denn dort würde sich zuerst eine drohende Gefahr abzeichnen. Schräg links vor ihm wackelte der Jäger von Melanie mit den Flügeln – das Zeichen, die Formation auseinander zu ziehen. Die Flügelpiloten gaben das Zeichen nach hinten weiter und begannen damit, die Abstände zu einander zu vergrößern. Dieses Manöver hatten sie einige Dutzend Male schon durchgeführt und dementsprechend zügig und reibungslos klappte es nun. Eine Minute später war vor Hagen die Jagdmaschine seiner Staffelführerin nur noch als kleiner, blitzender Punkt, im Licht der fernen Sonne des Systems, zu erkennen. Die anderen Maschinen konnte er optisch nicht mehr ausmachen, doch sie zeichnet sich weiterhin auf dem MFD ab. Währenddessen blieb das Head-Up-Display auf der Frontscheibe leer. Keinerlei Feindkontakt zeichnete sich dort ab, was Hagen nicht beruhigte, denn hinter dem Planet konnte sich eine Flotte verstecken, und sie würden sie erst entdecken, wenn sie den Planet weit genug umrundet hatten. Also war weiterhin Vorsicht geboten. Was Hagen Gronau im Moment am meisten störte war dabei nicht der Gedanke daran, eventuell auf überlegene Feindkräfte stoßen zu können, sondern viel eher die Ungewissheit, ob es hier Chig-Verbände gab, oder nicht. Zustände von Ungewissheit machten ihn stets nervös, egal ob nun im Kampf, oder aber privat. Wird Zeit, dass etwas Bewegung in die Sache kommt. Bloß kein Moos ansetzen. Der Pilot wurde abgelenkt, als ein piependes, akustisches Signal seine Kanzel erfüllte. Hastig justierte Hagen Gronau die Einstellung der Scanner und noch bevor er damit fertig war knackste es im Funkempfänger. Einen Moment später drang ein schwaches, automatisches Funksignal an seine Ohren. Der Pilot triangulierte das Signal, stellte seinen Bordsender auf die geringste Reichweite ein und brach ohne weiter zu zögern die Funkstille. „Silberfalke, hier Graufalke. Ich empfange ein automatisches Notsignal. Es kommt von der Oberfläche des Planeten. Der Kennung nach, ein Militärtransporter.“ Die Antwort kam umgehend: „Verstanden Graufalke. Kannst du die ungefähre Position ermitteln.“ „Das Signal ist nur sehr schwach, doch es sieht so aus, als käme es aus der Nähe der südlichen Polregion des Planeten.“ Bevor eine Antwort von Melanie eintraf, krachte die Stimme von Leonie Benning aus dem Empfänger: „Hier Gerfalke. Feindkontakt auf 327 zu 079. Drei Chig-Jäger kommen aus dem Planetenschatten. Niedriger Orbit. Vielleicht haben die dasselbe Signal aufgefangen.“ „Verstanden, Leo“, kam die ruhige Erwiderung von Melanie Oberleitner. „Formiere dich, mit Jörn, als Rückendeckung an unserer hinteren Flanke. Der Rest schließt auf, aber zackig, denn wenn die Chigs unseren Anflug zu früh bemerken und Verstärkung rufen, dann haben wir ein Problem. Funkstille bis Feindkontakt!“ Wegen des letzten Befehls bestätigte Hagen nicht, sondern formierte sich wieder näher an der Maschine seiner Staffelkameradin. Mit maximaler Beschleunigung stießen die Jagdmaschinen vom Typ SA-43 HAMMERHEAD auf den Planeten hinunter, dessen milchig grüne Oberfläche bereits die Hälfte des Sichtfeldes einnahm. Kaum eine Minute später klang das akustische Warnsignal des Freund-Feind Scanners auf und das Head-Up-Display von Hagen Gronaus Jäger zeigte die typischen Silhouetten von drei Standard-Chig-Jägern an. Weitere Informationen wurden auf dem HUD eingeblendet und informierten den Pilot darüber, dass die drei Feindmaschinen in wenigen Sekunden in Schussweite sein würden. Noch hatten sie ihren Kurs nicht geändert. Hagen vermutete, dass sich die atmosphärischen Störungen der oberen Atmosphäre bereits auf die Scanner der drei Chig-Jäger auswirkten, denn sie befanden sich bereits innerhalb von deren äußerer Grenze. Hagen betätigte den Hauptwaffenschalter und sah, wie sich Melanie hinter der Führungsmaschine positionierte und Melissa Kilic dessen linken Flügelpiloten aufs Korn nahm. Er selbst visierte den verbleibenden Jäger der Chigs an. Als Melanie das Feuer eröffnete drückte er ebenfalls auf den Feuerknopf am Steuerhorn seines Jägers. Nur wenige Augenblicke später explodierte die Führungsmaschine der Chigs, gefolgt von zwei weiteren Explosionen. Das war fast schon zu leicht, durchzuckte es Hagen, als sein Jäger nah an einem der davon wirbelnden Trümmer, der vernichteten Feindschiffe, vorbei raste. Im nächsten Moment bereute er diesen Gedanken, als eine vertraute Stimme aus den Empfängern des Funkgeräts drang. Sie gehörte dem CAG, an Bord der BISMARCK. „Graue Falken, hier Goldener Stern. Unsere Tiefenscanner haben, außerhalb Ihrer Scanner-Reichweite, ein anfliegendes Trägerschiff der Chigs geortet. Wenn es Kurs und Geschwindigkeit beibehält, dann wird es den Planeten erreichen, wenn unser Flottenverband eintrifft. Anflug aus 345 zu 089. Ziehen Sie sich in den Ortungsschatten von Planet 2063-Y zurück und halten Sie die Stellung, bis unser Verband da ist. Da wir den Planet zwischen uns und dem anfliegenden Feindschiff halten wollen könnte es aber knapp werden, Ende.“ Es war Melanie Oberleitner, die auf den Anruf antwortete: „Verstanden, Goldener Stern. Wir haben von 2063-Y das automatisches Notsignal eines unserer Truppentransporter empfangen. Schicken Sie einen Rettungstransporter mit einem Aufklärungs-Team, das feststellt, ob es möglicherweise Überlebende gibt. Ende und Aus. Frank von Wedel bestätigte knapp. In demselben Moment dachte Hagen Gronau, in seiner Maschine, an das Sprichwort nach dem man vorsichtig mit seinen Wünschen sein soll, weil sie sich möglicherweise erfüllten. Unterwegs hatte er sich etwas Abwechselung gewünscht, und nun sah es ganz so aus, als würde es davon hier bald reichlich geben. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich Melanie erneut über Funk meldete. „Graue Falken, hier Silberfalke. Funkstille aufgehoben, denn wie ihr gehört habt wird es hier ohnehin bald bunt und lustig. Wir ziehen uns bis dicht an den Rand der Atmosphäre zurück und halten den Planet zwischen uns und dem anfliegenden Trägerschiff der Chigs. Jörn, du schnappst dir Fredrick und Melissa. Ihr drei werdet zur Oberfläche des Planeten hinunter stoßen und die Stelle überfliegen, von der das Notsignal kommt. Aber seid auf der Hut, denn ich halte es für möglich, dass es eine Falle der Chigs sein könnte. Stellt nach Möglichkeit fest, ob es wirklich Überlebende gibt. Falls ja, dann ermittelt ihr deren Position und du machst mir umgehend Meldung, verstanden? Jörn Harbeck bestätigte, und wenige Sekunden später scherten drei Jäger aus der Formation aus um in der dichten Atmosphäre des Planeten zu verschwinden. Über die rechte Schulter hinweg sah Hagen Gronau den Kameraden, durch das Panzerglas der Kanzel hinterher und murmelte: „Viel Glück, Leute.“ * * * Geschwächt hob Shane Vansen ihren Oberkörper an und peilte über dem Grad eines großen Felsens herum auf die Ebene hinunter, Auf der vor wenigen Augenblicken ein längliches, schwarzes Transportraumschiff gelandet war. Sie hatte diesen Typ von Landeschiff bereits einmal gesehen. Damals auf Tellus, nachdem sich Nathan unerlaubt von der Truppe entfernt hatte, um auf eigene Faust dort nach dem Verbleib seiner Freundin, Kylen Celina, zu ermitteln. Es war unschwer zu erraten, dass die Chigs das Notsignal empfangen hatten und nun hofften, einen oder mehrere Gefangene machen zu können. Shane Vansen hatte zwar seit Tagen weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich genommen, doch in einem Teil ihres Verstandes rührte sich immer noch der Wille, sich nicht kampflos zu ergeben. Doch konnte sie das überhaupt? Die elenden Chigs mussten sich nur Zeit genug lassen, dann würden sie die bewusstlosen Körper von ihr und Vanessa einfach aufsammeln können. In den letzten zwölf Stunden war Vanessa immer wieder bewusstlos gewesen. Sie würde ihr also keine Hilfe sein. Vansen fürchtete um das Leben der Freundin. Der Blick der Pilotin trübte sich zwischenzeitlich, und zunächst glaubte sie, einer Sinnestäuschung zu erliegen. Doch dann klärte sich ihr Blick und ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Gepanzerte Gestalten, die sie unschwer als Chigs identifizieren konnte, näherten sich langsam ihrer Position. Die Form der Helme war typisch für die Aliens. Shane Vansen stieß die Freundin heftig an, doch sie rührte sich nicht. „Na toll!“, fluchte die Pilotin erbittert. „Wenn die uns entdecken kann ich mich ganz allein mit denen herumschlagen!“ Doch noch war es nicht soweit. Der Weg, den die Chigs zum Wrack einschlugen führte nicht unmittelbar an ihrer jetzigen Position vorbei. Darum zog sich Shane Vansen vorerst hinter den Felsen zurück. Für einen Moment glaubte sie ihren eigenen Herzschlag hören zu können. Die Zeit schien sich ins Unendliche zu dehnen. Vielleicht drei Minuten vergingen, die Vansen vorkamen, wie eine Ewigkeit, bevor sie den Kopf wieder aus der Deckung schob. Zu allem Unglück sah genau in diesem Moment einer der Chigs, der sich vielleicht fünfzig Meter von ihr entfernt befand, geradewegs in ihre Richtung. Im nächsten Moment hob er seine Waffe und ein Plasmaschuss schlug dicht neben ihrem Kopf in den Felsen ein. „Na, dann!“, keuchte die Frau und erwiderte das Waffenfeuer aus ihrer M-70 Pistole, der Standard-Faustwaffe der Marines. Dank des Griffstücks aus dem sehr leichten, wasserkonditionierten PA-66, einem Polyamid vom Nylon-Typ, mit geringem Gewicht und ausgezeichneter Rückstoßdämpfung, lag die Hälfte ihrer Schüsse, selbst auf diese Distanz, im Ziel. Der anvisierte Chig ging zu Boden. Sie traf einen zweiten, bevor des gegnerische Waffenfeuer so heftig wurde, dass sie sich in Deckung zurückziehen musste. Um sie herum blitzte es grell auf, und innerlich schloss Vansen mit dem Leben ab. Doch dann horchte sie auf. Die Außenmikrophone des Helms hatten ein Geräusch an ihr Ohr weitergeleitet, das sie aufhorchen ließ. Zunächst wollte sie es auf ihre überreizten Nerven schieben, doch dann wurde das Geräusch klarer vernehmlich. Aus dem blass-grünen Himmel heraus jagten zwei Raketen, mit flammenden Antrieben hinunter, scheinbar direkt auf sie zu. Verzweifelt rollte sich Vansen dichter an den Felsen heran und schloss, in Erwartung eines fürchterlichen Schlages, nach dem nichts mehr sein würde, die Augen. Fürchterlicher Donner brüllte auf und selbst durch die geschlossenen Augenlider drang das Licht der Explosionen. Doch wie durch ein Wunder lebte sie noch. Fassungslos ob dieser Tatsache öffnete Vansen ihre Augen, gerade früh genug um die drei Jäger vom Typ SA-43 zu erkennen. Alle drei Maschinen eröffneten nun auch aus ihren Bordgeschützen das Feuer über ihre Stellung hinweg. Vansen konnte sich ausmalen, wo die Geschosse einschlugen. Im nächsten Moment waren die drei Maschinen über sie hinweg georgelt, und Shane Vansen wagte einen Blick um die Felskante herum. Von den sich nähernden Chigs war nichts mehr zu erkennen. Im nächsten Moment blitzte es dort auf, wo das Transportschiff der Chigs gelandet war. Das Donnergrollen einer weiteren Explosion folgte kurz darauf. „Ja!“, rief die Frau heiser aus. Im nächsten Moment aktivierte sie den Funksektor an ihrem Anzug und ließ den Frequenzpeiler laufen. Nach einem kurzen Piepton sprach sie, alle Kraft die sie noch besaß zusammennehmend, in ihr Mikrofon: „Hier spricht Captain Shane Vansen, von der SARATOGA. Ich und meine Kameradin brauchen dringend Hilfe. Bitte kommen, Ende.“ Es blieb still in ihrem Empfänger. Vansen wollte die Meldung schon wiederholen, als es in ihrem Helmempfänger knackste und eine kräftige, männliche Stimme, in hart akzentuiertem Englisch, antwortete: „Hier Oberleutnant Fredrick Reimers, von der BISMARCK. Haben verstanden. Halten Sie noch etwas aus, wir schicken so schnell es geht Hilfe. Ende und Aus.“ Einen Moment später jagten die drei Jagdmaschinen dicht über ihre Stellung hinweg und die Führungsmaschine wackelte mit den Flügeln. Im nächsten Augenblick verschwanden sie aus ihrem Blickfeld. Der kurze Funkkontakt verlieh Shane Vansen ungeahnte neue Kraft. Sie schleppte sich zu Vanessa Damphousse und rüttelte sie heftig an der Schulter. Als die Kameradin nicht darauf reagierte, aktivierte sie den Funksektor an ihrem Raumanzug und schrie aufrüttelnd in ihr Mikro: „Lass mich jetzt nicht allein zurück, Vanessa! Komm schon, mach hier nicht auf Leiche, hast du verstanden?!“ „Ich bin nicht taub“, kam endlich eine leise Antwort, mit wankender Stimme. „Was schreist du denn hier herum, ich dachte wir halten Funkstille.“ „Ein paar Deutsche treiben sich im System herum. Ich habe deren Kokarden an ihren Jägern erkannt“, versetzte Vansen erleichtert. „Halt noch etwas durch, Vanessa, die haben versprochen uns Hilfe zu schicken.“ Ein schwaches Seufzen erklang. „Das wurde auch Zeit.“ Kapitel 2: Neuanfang -------------------- In dem Truppentransporter, der zum Trägerschlachtschiff SARATOGA unterwegs war, hing Lieutenant-Colonel James Anthony Doraner seinen Gedanken nach. Vor drei Tagen hatte ihn überraschend der Befehl zur Versetzung auf die SARATOGA erreicht, und nun befand er sich auf dem Weg zu seinem neuen Kommando. Der Fünfunddreißig Jahre alte Mann fuhr sich nachdenklich, mit der Rechten, über den blonden Vollbart und sah abwesend zum gegenüber liegenden Fenster des Transport-Moduls hinaus, ohne dabei wirklich etwas wahrzunehmen. Er hatte den Mann, dessen Kommando er an Bord der SARATOGA übernehmen würde, im letzten Jahr kennengelernt. Damals war Lieutenant-Colonel McQueen für eine Weile als Taktischer Berater an Bord der COLIN POWELL gewesen. Jenem Träger, auf dem er selbst zuletzt gedient hatte. Bei Friedensverhandlungen mit einem Botschafter der Chigs, vor einer halben Woche, war es zu einem schweren Zwischenfall gekommen, an Bord der SARATOGA. Eine von dem Botschafter mit auf den Träger geschmuggelte Bombe war während der Verhandlung explodiert. Dabei waren mehrere hochrangige Militärs getötet, und McQueen, der CAG der SARATOGA schwer verletzt worden. McQueen hatte dadurch ein Bein verloren. Dabei war bisher immer noch nicht geklärt, welche Rolle der Vertreter von AEROTECH dabei gespielt hatte, und ob die Bombe absichtlich oder versehentlich detoniert war. Anhand der ersten Aussagen von McQueen hatte sich da nur ein vages Bild ergeben. James Doraner wusste um den ausgezeichneten Ruf, den sich McQueen als Taktiker, wie auch als Pilot, erworben hatte. Er war es gewesen, der den gefährlichsten Jäger der Chigs, nach einem harten Zweikampf, abgeschossen hatte. Durch seine Expertise war ein militärisches Desaster bei Ixion und Demios verhindert worden. Doraner war klar, dass er in sehr große Fußstapfen treten würde. Irgendetwas lenkte den blonden Mann ab, ohne dass er zunächst sagen konnte was es gewesen war. Erst nach einem Moment bemerkte er die fragenden Blicke des weiblichen First-Lieutenants, ihm gegenüber. Die zierliche Frau konnte nicht verleugnen asiatischer Abstammung zu sein, auch wenn Doraner schnell an den Rangabzeichen auf ihrer Uniform und am Star-Spangled-Banner, auf dem Ärmel, erkannte, dass sie, so wie er selbst, dem amerikanischen Militär angehörte. Neugierig hob Doraner die Augenbrauen und erkundigte sich mit gedämpfter Stimme bei der Asiatin: „Haben Sie eine Frage, Lieutenant...“ „Michelle Low, Sir“, gab die junge Frau schnell Auskunft, als sie das Zögern ihres Gegenübers bemerkte. „Nun, Sir, ich hörte von dem Zwischenfall auf der SARATOGA, und dass Colonel McQueen dabei schwer verletzt wurde. Ich habe mich gefragt, ob Sie seinen Platz einnehmen werden.“ Die durchscheinend blauen Augen des Lieutenant-Colonels musterten die Asiatin aufmerksam, während er verbindlich lächelnd antwortete: „Ich übernehme an Bord der SARATOGA die Funktion des CAG, wenn das die Frage war, Lieutenant. Aber um das klarzustellen: Es ist dann mein Platz, nicht der Platz eines anderen Offiziers, dem ich nur den Sessel warm halte.“ In den dunklen Mandelaugen der jungen Frau spiegelte sich Verlegenheit wieder, als sie erwiderte: „So hatte ich das nicht gemeint, Sir.“ Das schwache Schmunzeln des Stabsoffiziers vertiefte sich bei den Worten der Frau, und schnell stellte er klar: „Ich meinerseits hatte Ihre Worte auch nicht so aufgefasst. Nur die Ruhe, Lieutenant. Darf ich nun fragen, welche Funktion Sie an Bord der SARATOGA erfüllen werden?“ Michelle Low lächelte erleichtert, bei den letzten Worten des Lieutenant-Colonels. Sie deutete eine Verbeugung an und antwortete: „Ich werde unter Ihrem Kommando stehen, Sir, denn ich bin Jagdpilotin. Meine bisherige Staffel war die 34. Staffel, die Sundown Raiders, die vorgestern erst von der TICONDEROGA zur SARATOGA verlegt worden ist. Ich selbst habe zeitgleich, während meines Urlaubs, der sehr abrupt zu Ende ging, von meiner Rückversetzung zu den Wildcards erfahren.“ James Doraner wurde bei den letzten Worten der jungen Pilotin aufmerksam. „Wann waren Sie bei der 58. Staffel stationiert?“ „Zu Beginn des Krieges. Ich habe mit den Wildcards an der Schlacht bei Jupiter teilgenommen, bevor ich im Anschluss zur 34. Staffel versetzt wurde, Sir.“ Doraner nickte und anerkennend stellte er fest: „Dann sind sie vermutlich Trägerin des Montgomery Star.“ Die Asiatin nickte und erklärte bescheiden: „Ich war zufällig dabei, Sir. Ohne meine Kameraden, von denen ein paar viel mehr geleistet haben, während dieser Schlacht, wäre der Erfolg fragwürdig gewesen.“ Beinahe jungenhaft grinsend gab der Blonde zurück: „Es gibt ein altes Sprichwort, dass da heißt: Bescheidenheit ist eine Zier – doch weiter kommt man ohne ihr. Das sollten Sie vielleicht hin und wieder beherzigen, Lieutenant. Doraner nickte bedeutungsvoll, bis ihn das verwunderte Gesicht der Frau zu einem Lachen reizte. Erst in diesem Moment zeichnete sich auf der Miene der Frau die Erkenntnis ab, dass seine letzten Worte nicht ganz ernst gemeint gewesen waren. Dann veränderte sich seine Stimme etwas und er meinte: „Entschuldigen Sie meine schlechten Manieren, Lieutenant, denn ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist James Anthony Doraner. Bisher war ich auf der COLIN POWELL stationiert.“ Doraner beugte sich etwas vor und reichte der Frau die Hand. Michelle Low ergriff sie und gab den Händedruck des Mannes erstaunlich fest zurück. Er lehnte sich gleich darauf wieder zurück und fragte: „Ich vermute, sie freuen sich schon sehr auf das Wiedersehen mit ihren Kameraden, Lieutenant?“ Die Augen der jungen Frau leuchteten auf, als sie bestätigte: „Ja, Sir. Seit der Verleihung des MS und der anschließenden Siegesfeier habe ich keinen meiner ehemaligen Kameraden wiedergesehen. Ich hörte zwischenzeitlich nur von dem hervorragenden Namen, den sich die Staffel durch ihre Leistungen erworben hat. Wieder Teil dieser Staffel zu werden stimmt mich sehr glücklich.“ Erst jetzt fiel Doraner die merkwürdige Ruhe auf, die seit einiger Zeit im Innern des Transporters herrschte, und neugierig hob der Mann seinen Blick. Prüfend sah er in die Runde, und die übrigen zehn anwesenden Männer und Frauen, hauptsächlich Techniker im Rang von Unteroffizieren und Mannschaften, heuchelten Unschuld. Mit ernster Miene, wobei er Low schnell zu zwinkerte, räusperte Doraner sich und sagte vernehmlich: „Meine Damen und Herren, wenn Sie, an Bord der SARATOGA ihren Vorgesetzten auch so aufmerksam zuhören, dann werden Sie es weit bringen.“ Sich mit unbewegter Miene über die Verlegenheit der Anwesenden amüsierend wandte er sich wieder Michelle Low zu, die ein feines Grinsen zeigte. Leise, dass nur sie ihn verstehen konnte, fragte er sie: „Zu viel, Lieutenant?“ Das Grinsen der Frau bekam eine amüsierte Note. „Nicht im Geringsten, Sir.“ James Doraner ließ seine Augen lachen, während er sich auf der Bank des Transporter-Moduls etwas bequemer zurecht setzte. Er und Low wurden abgelenkt, als sich das Verbindungsschott zur Pilotenkanzel öffnete und der Co-Pilot seinen Kopf herausstreckte. In Richtung des Lieutenant-Colonels blickend sagte er rau: „Sir, wir haben eben den Kurs geändert. Der Transporter hält nun Kurs auf einen Rendezvous-Punkt, der uns eben von der SARATOGA übermittelt wurde. Der Träger hat Demios verlassen und hält Kurs auf Planet 2063-Y. Der seit Wochen vermisste deutsche Träger BISMARCK kreuzt in der Nähe und hat von dort aus Kontakt aufgenommen. Ein Chig-Träger ist dort aufgetaucht und hält Kurs auf ihn.“ Übergangslos ernst werdend nickte Doraner und erwiderte: „Danke, Lieutenant. Hat die SARATOGA sonst noch Informationen übermittelt?“ „Ja, Sir. Ich wurde angewiesen, Sie davon zu unterrichten, dass Sie nach der Landung auf dem Träger umgehend das Lagezentrum aufsuchen sollen.“ James Doraner dankte abwesend und registrierte nur unterbewusst, wie der Co-Pilot wieder im Cockpit verschwand. Als er wieder zu Michelle Low sah, meinte er nachdenklich: „Sieht nach unruhigen Zeiten aus, wie mir scheint, Lieutenant. Also rechnen Sie besser damit, sich schnell an Bord einzurichten, bevor es wieder richtig los geht.“ * * * In der Offiziersmesse der SARATOGA saßen sich Nathan West und Cooper Hawkes, beim Abendessen, an einem der Tische gegenüber. Beide stocherten in ihrem Essen herum und sahen, von Zeit zu Zeit, zu einer der Sichtluken hinaus. Es war erst drei Tage her, dass sie drei ihrer Kameraden, in der Nähe des Planeten 2063-Y verloren hatten. Vanessa und Shane waren mit dem abgesprengten Cockpit des von ihnen geflogenen Transporters auf die Oberfläche des Planeten abgestürzt. Ihren Kameraden Paul Wang hatten sie an Bord eines treibenden Transporter-Moduls zurücklassen müssen. Er hatte sich zugunsten der Rettung von Zivilisten, die achtzehn Monate in Gefangenschaft der Chigs gewesen waren, unter ihnen Kylen Celina, geopfert. Mit gemischten Gefühlen aß Nathan West lustlos einen Bissen von seinem Hackbraten. Noch immer rumorte es in der Magengegend des hageren First-Lieutenants, wenn er daran dachte, dass er das Leben seiner Freundin mit dem Tod eines Kameraden getauscht hatte, der längst zu einer Art Bruder für ihn geworden war. Betrübt sah er zu Cooper, für den die Verluste nicht weniger tragisch gewesen waren. In McQueen, der schwer verletzt zur Erde unterwegs war, hatte Hawkes eine Art Vater gesehen, eine Person in seinem kurzen Leben, die er als In-Vitro nie kennengelernt hatte. Shane Vansen war für Cooper halb Schwester, halb Mutter gewesen. Unabhängig dessen, dass sie biologisch ebenso alt war, wie Cooper Hawkes selbst. Unmittelbar nach dem verlustreichen Einsatz bei 2063-Y waren sie beide wie paralysiert gewesen. Körperlich und geistig. Commodore Glen van Ross hatte sie beide dazu genötigt den Bordpsychologen aufzusuchen. Obwohl West dieser Maßnahme eher kritisch gegenüber gestanden hatte, musste er anerkennen, dass er sich mittlerweile etwas besser dadurch fühlte. Es hatte gut getan mit einer unbeteiligten Person darüber zu reden. Seitdem fiel es ihm und Hawkes auch leichter miteinander über die Geschehnisse zu sprechen. Etwas, zu dem sie unmittelbar nach dem fatalen Einsatz nicht in der Lage gewesen waren. West fuhr aus seinen Gedanken auf, als Hawkes ihn unverhofft ansprach: „Michelle Low soll heute auf der SARATOGA ankommen. Ich freue mich, sie wiederzusehen.“ Nathan West sah zu dem Freund auf und nickte, schwach lächelnd. „Ich bin neugierig, zu erfahren, wie sie sich, als Offizier, entwickelt hat. Erinnerst du dich noch daran, wie sie bei der Siegesfeier, nach der Schlacht bei Jupiter, aus sich herausging und einen Toast ausgebracht hat.“ Der In-Vitro nickte ernst. „Ja. Dabei wirkte sie, während der Übungsmission auf dem Mars, noch so schüchtern. Damals dachte ich, dass mich alle im Team hassen. Doch Pags und auch Low waren von Beginn an nie gegen mich.“ Nathan West tauchte in die Erinnerung ein. „Anders als ich, der dir damals am liebsten den Kopf abgerissen hätte.“ Hawkes nickte grimmig. „Ja, damals warst du ein richtiger Stinkstiefel.“ Nathan West schüttelte ironisch den Kopf. „Du hast es nötig. Du warst damals auch nicht gerade der nette Junge von Nebenan, mein Freund. Und dann waren da natürlich auch noch deine Alleingänge.“ „Das sagt gerade der Richtige“, beschwerte sich Hawkes. „Hinter wem mussten Vansen und ich den her um ihm den Arsch zu retten, damals auf Tellus?“ Die Freunde sahen sich betreten an und verstummten. Beide hatten sie es in den letzten Tagen bewusst vermieden die Namen ihrer vermissten Freunde auszusprechen. Sie wurden abgelenkt, als eine junge Frau, im Rang eines Second-Lieutenant an den Tisch trat, und sie beide ansprach. „Lieutenant Hawkes, Lieutenant West. Der Commodore schickt mich. Er wünscht Sie beide umgehend zu sprechen. Ich soll sie zu seinem Quartier bringen.“ Verwundert sahen sich die beiden Männer an und erhoben sich gleichzeitig. Während sie die Messe verließen erkundigte sich West bei der schwarzhaarigen Frau: „Hat der Commodore Ihnen verraten, worum es geht?“ „Nein, tut mir leid, Sir.“ Cooper Hawkes warf seinem Freund einen bezeichnenden Blick zu und grummelte: „Das hätte mich auch gewundert.“ „Wir werden es wohl in Kürze erfahren“, beruhigte West den Kameraden. Sie schwiegen, bis sie vor dem Quartier ankamen. Die junge Frau klopfte fest gegen die Tür, die im Gegensatz zu denen der Standardquartiere, aus Holz bestand, und öffnete sie, als von Drinnen ein vernehmliches Herein aufklang. Commodore Ross sah zu den beiden Männern, die in sein Quartier eintraten und wandte sich dann an die Frau, die am Eingang stehen geblieben war: „Sie können wegtreten, Lieutenant Scott.“ Die junge Frau bestätigte und schloss die Tür von draußen, während sich die beiden Piloten nebeneinander vor dem Schreibtisch des Flaggoffiziers aufbauten. Der dunkelhäutige Commodore der US NAVY sah sinnend auf die Flaggen der USA und der Teilstreitkraft, der er selbst angehörte, die beidseitig der Tür standen, bevor er seine dunklen Augen prüfend auf die beiden angetretenen Piloten richtete. Die Linien im schmalen Gesicht des Flaggoffiziers, das kaum das wahre Alter des Mannes verriet, zeugten von einem harten und entbehrungsreichen Leben. Er wirkte wie Mitte Vierzig, doch er hatte bereits vor mehr als zwei Jahren seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. „Stehen Sie bequem“, forderte der Commodore die beiden Lieutenants auf. Er selbst erhob sich aus seinem Sessel, umrundete den Schreibtisch und setzte sich auf die Tischkante. Dabei fuhr er fort: „Ich habe Sie beide hierher kommen lassen, weil Sie gegenwärtig die beiden besten und erfahrensten Piloten an Bord der SARATOGA sind. Ich habe vor, den Wildcards neue Piloten zuzuweisen, doch das ist nicht das Problem. Was ich brauche, ist ein neuer Staffelführer, der von mir in den Rang eines Captain befördert wird. Wer von Ihnen beiden könnte das wohl sein?“ Hawkes und West wechselten einen kurzen Blick bevor sie gleichzeitig sagten: „Er!“ Glen van Ross kniff die Augenlider zusammen und setzte eine grimmige Miene auf. „Also schön, meine Herren. Dann entscheide ich das. Lieutenant West: Sie werden, mit sofortiger Wirkung als Staffelführer der Wildcards fungieren.“ „Aye, Sir!“ Sich rasch an den In-Vitro wendend erklärte Ross: „Damit komme ich dann zu Ihnen, Mister Hawkes. Sie können sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Sie werde ich ebenfalls zum Captain befördern. Im Zuge Ihres neuen Ranges übernehmen Sie, nach der offiziellen Beförderung, die 34. Staffel. Den kürzlich zur SARATOGA verlegten Sundown Raiders fehlt seit dem letzten Einsatz ein Staffelführer. Diese Aufgabe werden Sie also ab morgen übernehmen, Captain Hawkes.“ Für einen langen Moment waren beide Piloten sprachlos und es dauerte eine Weile, bis Hawkes bestätigte: „Aye, Sir!“ Ross ließ den beiden jungen Männern keine Zeit zum nachdenken. „Da ist noch etwas, weswegen ich Sie beide sprechen wollte, meine Herren. Vor einer halben Stunde erreichte die SARATOGA ein Funkspruch von der vernichtet geglaubten BISMARCK. Sie kreuzt vor Planet 2063-Yankee. Einer der Piloten der BISMARCK hatte das Glück, einen schwachen Notruf vom Planeten zu empfangen. Es stellte sich heraus, dass er von den beiden vermissten Pilotinnen, Vansen und Damphousse, abgeschickt wurde. Beide leben und werden schnellstmöglich von den Deutschen geborgen.“ Ross beobachtete die Wandlung, die sich mit den beiden jungen Männern vor seinen Augen vollzog. Ihm war nicht entgangen, dass die beiden Piloten, nach ihrem letzten Einsatz, wie paralysiert, beinahe apathisch gewesen waren. Beide umarmten sich spontan und lachten sich an, bevor ihnen bewusst wurde, dass so etwas, im Quartier des Trägerkommandanten nicht schicklich war. Ross kam einer Entschuldigung der beiden jungen Männer zuvor, indem er sagte: „Ich verstehe Ihre Gefühle nur zu gut, meine Herren. Den Zeitpunkt Ihrer offiziellen Beförderung habe ich auf morgen Früh 07:00 Uhr, im Großen Briefingraum, festgelegt. Eine Stunde später werden wir mit der BISMARCK zusammentreffen. Vorab als Information, nur für Sie Beide: Ein Träger der Chigs hält auf die Position der BISMARCK zu.“ Ross ließ seine Worte wirken, bevor er weitersprach. „Die BISMARCK wartet im Ortungsschatten von 2063-Yankee auf den Feind. Wir stoßen dazu und werden den feindlichen Träger in die Zange nehmen, sobald wir das System, gegen 08:00 erreichen. Unterwegs werden wir einen Truppentransporter aufnehmen, der unter Anderem den neuen CAG für die SARATOGA, und einige Ersatzpiloten an Bord hat. Darunter Lieutenant Michelle Low, die Ihnen beiden bekannt sein dürfte. Sie wurde zu den Wildcards zurück versetzt, und ich könnte mir vorstellen, dass Sie Ihre ehemalige und neue Kameradin gerne empfangen würden. Wir werden den Transporter gegen 06:20 an Bord nehmen.“ Es war Nathan West der zuerst seine Freude und Überraschung überwand und erwiderte: „Danke, Sir. Aber was ist, wenn Shane… ich meine, wenn Captain Vansen wieder dienstfähig ist?“ Auf die Lippen des Commodore stahl sich ein flüchtiges Lächeln, was bei einem Mann wie Ross einem Gefühlsausbruch gleichkam. „Ich werde für künftige Einsätze einige der besten Piloten in Führungspositionen brauchen. Captain Vansen wird, sobald sie wieder einsatzfähig ist, die Position des Staffelführers der 59. Staffel übernehmen. Der bisherige wurde beim letzten Einsatz von den Chigs abgeschossen. Mir ist bewusst, wie lange Sie gemeinsam, Seite an Seite, gekämpft haben, doch es wird nun Zeit, dass Sie, als erfahrene Offiziere, größere Aufgaben übernehmen. Und jetzt: Treten Sie weg und ruhen Sie sich aus, denn schon bald werden Sie wieder mitten im Schlamassel stecken.“ Die beiden Piloten nahmen Haltung an, bevor sie Kehrt machten und das Quartier des Commodore verließen. Draußen sahen sich die Freunde an und West erklärte: „Vansen und Damphousse leben. Das ist endlich mal eine gute Nachricht.“ Hawkes grinste schief. „Ja, aber von Paul haben wir nichts gehört.“ West nickte ernst. „Ich habe gesehen, wie das Modul, in dem er zuletzt festgesessen hat, von Chig-Jägern in Stücke geschossen wurde, Coop. Machen wir uns nichts vor, Paul hat nicht so viel Glück gehabt, wie Shane und Vanessa.“ Der In-Vitro nickte mit deprimierter Miene. Dann sah er zu West und erkundigte sich: „Wie ist es, kommst du morgen Früh mit um Low zu begrüßen, wenn die SARATOGA den Transporter erreicht hat?“ „Ja klar, wo denkst du denn hin?“ Sie machten sich auf den Weg zu ihrem Quartier, dass sie immer noch allein bewohnten, seit ihrem letzten Einsatz. Schließlich meinte West voller Tatendrang: „Wir könnten schon mal eine der Kojen vorbereiten, für Michelle. Wird verdammt Zeit, das endlich wieder Leben in die Bude kommt.“ „Ach, bin ich dir vielleicht zu langweilig?“, schnappte Hawkes. „Dann ist mein Fortgang ja vielleicht gar nicht so schlecht?“ West schlug dem Freund kameradschaftlich auf die Schulter und grinste: „Du weißt ganz genau, was ich gemeint habe.“ Die Miene des In-Vitro hellte sich schnell wieder auf. „Ja, aber ein Scherz wird ja noch erlaubt sein.“ West seufzte schwach. „Die waren schon mal besser. Also, was ist? Hilfst du mir, das Quartier auf Vordermann zu bringen?“ Hawkes nickte und erklärte dabei: „Ich freue mich darauf, Low - und bald auch Vansen und Phousse – wiederzusehen.“ Nathan West sah den Freund von der Seite an und sinnierte dabei: „Staffelführer Hawkes und Staffelführer West, wer hätte das gedacht?“ * * * Am nächsten Morgen herrschte, bereits fünf Minuten vor dem Rendezvous mit dem Truppentransporter, reger Betrieb auf dem oberen Steuerbord-Hangardeck. Neben einigen Unteroffizieren der Technischen Abteilungen, die ihre neuen Kollegen in Empfang nehmen sollten, wartete, außer Hawkes und West ein weiterer Offizier auf den Transporter. West, der erkannte, dass es sich bei der Afroamerikanerin um First-Lieutenant Tamika Price handelte, sprach sie an. „Guten Morgen, Lieutenant. Auf wen warten Sie, wenn ich fragen darf?“ Die hagere Frau, mit den ausdrucksstarken, beinahe schwarzen, Augen sah zu Nathan West und erklärte lächelnd: „Der Commodore schickt mich um unseren neuen CAG in Empfang zu nehmen. Ich soll ihn zum Lagezentrum geleiten.“ Hawkes, der hellhörig wurde, warf ein: „Wissen Sie etwas über ihn?“ „Leider nein“, erwiderte Price bedauernd. „Alles was mir der Commodore verraten hat ist, dass er James Anthony Doraner heißt, und dass sein Rang der eines Lieutenant-Commanders ist.“ Nachdenklich sah West von Price zu Hawkes und schnippte mit den Fingern. „Den Namen habe ich schon gehört. McQueen erwähnte ihn mal, kurz nachdem er als Taktischer Berater auf der COLIN POWELL gewesen war. An mehr erinnere ich mich aber nicht.“ „Na, toll“, grollte Hawkes. „Langsam habe ich die Schnauze voll, von dieser ewigen Geheimniskrämerei. Warum werden wir immer auf den letzten Drücker informiert?“ „Die paar Minuten werden Sie nun auch noch überstehen“, schmunzelte Tamika Price. „Der Commodore scheint große Stücke auf ihn zu halten.“ Für einen Moment blieb es still zwischen den drei Offizieren, bevor die Frau mutmaßte: „Sie Zwei warten bestimmt auf Lieutenant Michelle Low?“ West nickte. „Ja, sie begann ihre Ausbildung bei den Marines gemeinsam mit uns und gehörte, zu Beginn des Krieges, kurzzeitig zu den Wildcards. Nach der Schlacht bei Jupiter wurde sie leider zu einer anderen Einheit versetzt.“ „Dann haben wir also bald noch einen Monty an Bord der SARATOGA“, erwiderte Price leichthin. Erst als sie in die verwunderten Mienen der beiden Männer blickte, wurde ihr klar, dass die beiden mit dem Begriff Monty offensichtlich nichts anfangen konnten. „Entschuldigung, aber ich dachte, Sie beide wüssten längst, dass jeder Pilot, der nach der Schlacht bei Jupiter mit dem Montgomery-Star ausgezeichnet wurde, bei der Truppe die verniedlichende Bezeichnung Monty trägt.“ Die beiden Männer sahen sich an und West grinste: „Dann sind wir beide auch Montys, Coop.“ „Montys der Extraklasse!“, lachte der In-Vitro verzweifelt. „Vielleicht sollten wir, zusammen mit Low, den ersten, offiziellen Monty-Club gründen.“ „Schluss mit dem Unsinn“, verlangte West, durch eine der Sichtluken deutend. „Der Transporter befindet sich im Anflug auf die Landeplattform. Lasst uns lieber zum unteren Hangardeck gehen, bevor wir Low und den neuen CAG am Ende noch verpassen.“ Hawkes und Price schlossen sich dem hageren Jagdpiloten an, als er forsch an ihnen vorbei ging und die stählernen Treppen hinunter eilte. Als sie unten ankamen wurde das Landedeck bereits heruntergefahren und das Deckschott schloss sich über dem Transporter. West beobachtete aufmerksam die Anzeigen neben dem Schott. Kaum war der Druckausgleich erfolgt, da öffnete er das Innenschott und schritt auf die Plattform hinaus. Fast in demselben Augenblick öffnete sich das Schott des Militärtransporters und Menschen in grünen Uniformen strömten heraus. Allen voran ein blonder Mann, dessen Rangabzeichen ihn als Lieutenant-Colonel auswiesen. Ihm dichtauf, fast ganz durch ihn verdeckt, folgte eine zierliche Frau, die West und Hawkes gleichzeitig identifizierten. „Low, hier sind wir!“, rief Cooper Hawkes ihr entgegen, während es West bei einem Heben seiner rechten Hand beließ. Das Gesicht von Michelle Low begann zu leuchten, als sie die Kameraden erkannte. Als sie kurz zu ihrem Begleiter sah, schmunzelte Doraner: „Wir sehen uns später, Lieutenant Low. Den Commodore lässt man nicht warten.“ Damit schritt der Stabsoffizier zu Price, die ihn erwartungsvoll ansah. Er ahnte, dass sie seinetwegen gekommen war. Tamika Price wandte sich prompt an ihn. „Sir, Commodore Ross schickt mich. Ich soll Sie umgehend zum Lagezentrum geleiten. Ihr Gepäck kam bereits gestern an und befindet sich in Ihrem Quartier.“ „Dann gehen Sie voran“, erwiderte Doraner launig, warf Low und ihren beiden Kameraden einen kurzen Blick zu und folgte dann der jungen Frau. Beim durchschreiten der engen Gänge des Trägers registrierte Doraner die Geschäftigkeit und jene fast unmerklichen Anzeichen von Hektik, die ihm sagte, dass ein Kampf bevorstand. Lieutenant Price führte Doraner tiefer ins Schiff, und hätte er nicht seit Jahren auf einem Träger derselben Baureihe gedient, er hätte sich hoffnungslos verirrt. So wusste er genau, wo er sich befand, und er wäre auch ohne Price in der Lage gewesen, sich an Bord des Trägers zurecht zu finden. Zwei Minuten später hielten sie vor dem Schott des Lagezentrums und Price wandte sich mit förmlichem Tonfall an Doraner. „Sie werden erwartet, Sir.“ „Danke, Lieutenant Price.“ James Doraner lächelte verbindlich, bevor er sich von der Frau abwandte und das Schott öffnete. Rasch trat er ein und schritt zu dem breiten Tisch, im Zentrum des großen Raumes, hinter dem Commodore Ross stand; mit undurchdringlicher Miene und die Hände auf den Rücken gelegt. Ross warf einen letzten Blick zur Sichtluke hinaus, bevor er sich dem Neuankömmling zu wandte. Er nahm die knappe Meldung des blonden Mannes entgegen und deutete auf einen der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. „Bitte setzen Sie sich, Lieutenant-Colonel. Ich bin froh, dass der Transporter bereits in Reichweite war.“ „Danke, Sir.“ Ross wartete, bis sich der Lieutenant-Colonel gesetzt hatte, bevor er sich in seinem Sessel vor beugte, die Hände auf die Tischplatte legte und sagte: „Wir werden nicht viel Zeit haben, bevor es zum Kampf kommen wird. Darum in Kürze: Der deutsche Träger BISMARCK hat einen Richtstrahl-Funkspruch nach Demios geschickt und um Hilfe ersucht. Wohl in der nicht unberechtigten Annahme, dass wir den Planet genommen haben. In dem Spruch wird berichtet, dass ein Träger der Chigs dort aufgetaucht ist, was Ihnen vermutlich bereits bekannt ist. Was Ihnen nicht bekannt ist: Wir konnten keine Antwort auf den Spruch der Deutschen geben, weil die Chigs, im Gegensatz zu dem ausgehenden Spruch der BISMARCK, einen eingehenden Spruch unsererseits auffangen und abhören könnten. Brigadegeneral Lerach weiß also nicht, dass wir unterwegs sind. Dem zufolge wird Lerach höchstwahrscheinlich eine defensive Taktik verfolgen und versuchen, die BISMARCK und ihre Geleitschiffe, so lange es geht im Ortungsschatten des Planeten 2063-Y zu halten, um im letzten Moment daraus hervor zu preschen, sobald der Chig-Träger in ihre Feuerreichweite kommt. Das zu erwartende Gefecht wird sich also dicht über dem Planeten abspielen.“ James Doraner machte ein nachdenkliches Gesicht. „Nach meinen bisherigen Erfahrungen operieren die Träger der Chigs stets im Verband zu zweit oder zu dritt. Ich befürchte, dass der geortete Chig-Träger nur die Spitze des Eisbergs sein könnte, Sir.“ Ross presste die Lippen zusammen. „Der Gedanke kam mir auch schon, und er gefällt mir ganz und gar nicht, Lieutenant-Colonel. In diesem Fall müssen wir auf die Feuerkraft unserer Kanonenboote und besonders die unserer beiden Schlachtkreuzer, der PERSHING und der SCHWARTZKOPF, vertrauen. Wenn unser Jagdgeschwader die feindlichen Jäger soweit abdrängen kann, dass die Schiffe nahe genug an die Träger heran kommen, dann haben wir eine Chance, sollte sich Ihre Befürchtung bewahrheiten.“ Doraner wusste um die Feuerkraft der beiden 900-Megawatt-Lasergeschütze, die als Hauptbewaffnung gegen feindliche Großkampfschiffe auf jedem dieser 384 Meter langen Schlachtkreuzer der LONDON-KLASSE installiert waren. Dabei handelte es sich um Neukonstruktionen, die erst zur Mitte dieses Jahres Serienreife erlangt hatten. Vielleicht würden sie nun erstmalig im Kampfeinsatz zeigen können, wozu sie in der Lage waren. Der Lieutenant-Colonel sah seinem Vorgesetzten in die Augen, als er sich bei ihm erkundigte: „Wie ist der Einsatzstatus des Bordgeschwaders, Sir. Während der letzten Kämpfe gab es sicherlich Verluste.“ „Das ist richtig“, bestätigte Ross. „Momentan sind gerade einmal einhundertvierundvierzig, von einhundertzweiundneunzig Jägern einsatzbereit. Ich habe die Größe der Staffeln, nach den Kämpfen bei Ixion, erweitert und auf acht Maschinen pro Staffel angehoben. Damit stehen Ihnen insgesamt achtzehn Staffeln zur Verfügung, Lieutenant-Colonel. Inklusive der Sundown Raiders. Zwei weitere Staffeln stelle ich gerade aus dem Rest unserer mehr oder minder angeschlagenen Jäger zusammen. Piloten haben wir dafür. Doch einsatzbereit sind diese Staffeln noch nicht.“ „Wie viele Jäger und Bomber werden die Chigs wohl gegen uns einsetzen, Sir?“ Glen van Ross musterte den neuen CAG verdrießlich und erwiderte rau: „Wir müssen uns mit dem herumschlagen, was da ist. Egal wie viel. Außerdem werden die Jagdverbände der BISMARCK kräftig mitmischen. Ich denke, unsere Chancen stehen nicht schlecht.“ Doraner nickte zustimmend. Mit verändertem Tonfall erklärte Ross: „Da wäre noch etwas zu erledigen, bevor wir in die Schlacht ziehen, Lieutenant-Colonel. „Ich habe vor, zwei meiner erfahrensten Piloten, vor der Besprechung im Großen Briefingraum, zu befördern. Ich werde die Beförderungen vornehmen und ich möchte Sie bitten, mir dabei zur Hand zu gehen. Ihre erste offizielle Handlung als CAG sozusagen. Danach werden Sie die Einsatzbesprechung abhalten und den einzelnen Staffeln ihre Aufgaben zuweisen. Da die Piloten der Wildcards und der Sundown Raiders aktuell ziemlich zusammengewürfelt sind, halten Sie diese beiden Staffeln als Flankenschutz bei unserem Verband.“ „Verstanden Sir“, gab Doraner zurück. „Welche der verbleibenden Staffeln verfügen über die erfahrensten Piloten?“ „Die Vikings und die Killer Bees.“ Doraner machte sich eine Gedankennotiz und erwiderte dann: „Danke, Commodore. Dann werde ich diese beiden Staffeln dazu einsetzen, den Kampf gegen die feindlichen Jagdverbände anzuführen. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich mich einer dieser beiden Staffeln anschließen, um den Jägereinsatz anzuführen.“ „Abgelehnt!“, gab Ross ohne zu zögern zurück und ignorierte den unausgesprochenen Widerspruch des Lieutenant-Colonels. „Sie werden zwar dort draußen sein, aber Sie werden sich den Wildcards anschließen. Ich kann es mir nicht leisten, Sie eventuell durch einen dummen Zufall sofort wieder zu verlieren. Das würde die Moral der Truppe massiv untergraben. Ich hoffe, Sie verstehen das, Lieutenant-Colonel Doraner.“ „Natürlich Sir“, schnarrte Doraner, mit einem Tonfall, der ebenso gut zu einem Fahren Sie zur Hölle gepasst hätte. Ross, dem dieser Tonfall nicht entging, lächelte grimmig. „Ich weiß, dass Ihnen dieser letzte Befehl nicht gefällt, Lieutenant-Colonel. Aber ich weigere mich, das Schicksal herauszufordern. Ich brauche Sie länger, als nur für einen Tag.“ Commodore Ross machte Anstalten sich zu erheben und gab Doraner dabei die Gelegenheit, vor ihm aufzustehen. „Das wäre soweit Alles, Mister Doraner. Ach und noch eins. Willkommen an Bord der SARATOGA.“ Ross reichte dem CAG, über den Schreibtisch hinweg, die Hand, und Doraner gab den festen Händedruck seines Vorgesetzten zurück. „Danke, Sir. Wir sehen uns dann um Null-Siebenhundert.“ Ross nickte knapp. „Wegtreten, Lieutenant-Colonel.“ Der Commodore beobachtete den neuen CAG der SARATOGA aufmerksam, als er ging, und er stellte dabei unwillkürlich Vergleiche an, zwischen ihm und seinem Vorgänger Tyrus Cassius McQueen. So unterschiedlich beide Männer auch sein mochten, eines hatten sie gemeinsam: Beide hatten Hummeln im Hintern, wenn es um einen wichtigen Einsatz ging. Bei dieser Feststellung umspielte ein flüchtiges Lächeln die Lippen des sonst zumeist ernsten Kommandeurs des Trägerverbandes. Kapitel 3: Hinterhalt --------------------- Um Punkt 07:00 Uhr Bordzeit war der Große Briefingraum der SARATOGA gefüllt mit den Piloten des Bordgeschwaders und den Marines der Bodentruppen. Zwar stand nicht fest, ob Letztere benötigt werden würden, doch da damit zumindest zu rechnen war, waren auch sie hierher befohlen worden, um in die Planung des bevorstehenden Kampfeinsatzes mit eingewiesen zu werden. Auf der Bühne, vor den Sitzreihen, hatten sich am Rednerpult, neben Commodore Ross und dem neuen CAG Nathan West und Cooper Hawkes aufgebaut. Letzterer fühlte sich, wie immer bei solchen Anlässen ziemlich unwohl. Der In-Vitro mochte solche Massenaufgebote nicht. Umso weniger, wenn er dabei im Zentrum des Interesses stand. Nachdem unter den Anwesenden Ruhe eingekehrt war, trat der Commodore ans Rednerpult und räusperte sich leise, bevor er mit tragender Stimme in das Mikrophon sprach: „Guten Morgen, Ladies und Gentlemen. Ich habe Sie hierher befohlen, damit Sie mit der Planung des kommenden Kampfeinsatzes vertraut gemacht werden. Doch vorher möchte ich Ihnen den neuen Commander-Air-Group vorstellen, der das Briefing durchführen wird. Bei ihm handelt es sich um Lieutenant-Colonel James Anthony Doraner. Bis vor kurzem hat der Lieutenant-Colonel die Fliegenden Verbände des Trägerschlachtschiffs COLIN POWELL befehligt. Bevor der CAG mit seinem Briefing beginnt ist es mir jedoch eine besondere Freude, zwei Offiziere aus Ihrer Mitte, aufgrund ihrer wiederholt überragenden Leistungen, jeweils in den Rang eines Captains befördern zu dürfen. Im Zuge dieser Beförderung, wird Captain Nathan West die Funktion des Staffelführers der Wildcards übernehmen und Captain Cooper Hawkes die Funktion des Staffelführers der Sundown Raiders. Diese beiden Staffeln werden beim kommenden Einsatz den Flankenschutz unserer Kampfgruppe übernehmen, unter dem Befehl des neuen CAG.“ Damit wandte sich Ross zu den beiden Piloten neben sich. „Lieutenants, bitte treten Sie einen Schritt vor. Ich befördere Sie hiermit in den Rang eines Captain der Marines, mit allen sich daraus ergebenden Pflichten und Privilegien.“ Der Commodore, der Doraner vor diesem Treffen die Rangabzeichen für einen der beiden Piloten gegeben hatte, nickte dem Blonden, der auf der anderen Seite der beiden Piloten Aufstellung genommen hatte, dabei zu. Während Ross die alten Rangabzeichen am Kragen von Nathan Wests Uniform entfernte, um die eines Captain anzubringen, tat es ihm Doraner bei Hawkes nach. Als Ross und Doraner die Rangabzeichen angebracht hatten, trat der Commodore zurück zum Rednerpult und befahl: „Bitte erheben Sie sich. Auf die frisch Beförderten ein dreifaches Hipp-Hipp…!!“ Die Antwort war ein, aus über zweihundert Kehlen, ohrenbetäubendes: „Hurra!“ „Hipp-Hipp!“ „Hurra!“ „Hipp-Hipp!“ „Hurra!“ Ross ließ seinen Blick kurz über die Männer und Frauen schweifen, bevor er zufrieden die Anweisung gab: „Bitte nehmen Sie wieder Platz.“ Der Flaggoffizier gab West und Hawkes nacheinander die Hand und forderte sie auf, ebenfalls nun bei ihren Kameraden, in der ersten Reihe, wo ihnen zwei Sitze freigehalten worden waren, Platz zu nehmen. Danach wandte er sich Doraner zu. „Bitte übernehmen Sie nun, Lieutenant-Colonel.“ „Danke, Commodore.“ Glen van Ross verließ unauffällig den Briefingraum, während sich Doraner nun zum Rednerpult begab. Er verharrte einen Moment lang und sagte dann mit sonorer Stimme: „Bevor ich zur eigentlichen Einsatzbesprechung komme, möchte ich einige persönliche Worte an Sie alle richten. Ich lernte meinen Vorgänger, Lieutenant-Colonel McQueen, im letzten Jahr auf der COLIN POWELL kennen, als er dort für eine Zeitlang stationiert war. Ich habe ihn dort als fähigen Taktiker und Strategen kennengelernt. Wem von Ihnen momentan das Wort Ersetzen durch den Sinn geht, dem möchte ich sagen, dass ich meinen Vorgänger nicht ersetzen kann, noch ihn ersetzen will. Ich kann ihm nur nachfolgen, und das werde ich tun. Mit aller Kraft, die ich habe.“ Doraner machte eine kleine Pause und sah in die angespannten Gesichter der Männer und Frauen. Viele von ihnen gerade mal zwanzig Jahre alt. Dann hob er, mit leicht verändertem Tonfall wieder an: „Kommen wir zum verdammten Krieg zurück. Die SARATOGA befindet sich momentan weniger, als eine Stunde von Planet 2063-Y entfernt. Dort kreuzt der deutsche Träger BISMARCK.“ Ein Raunen ging durch die Reihen und Doraner wartete einen Augenblick, bis es verklungen war. „Der Träger galt als vermisst. Wir erhielten gestern Abend von ihm die Nachricht, dass ein Trägerschiff der Chigs auf den Planet zuhält. Der Grund dafür ist ein automatisches Notrufsignal, dass vom abgesprengten Cockpit eines unserer Transporter abgegeben wurde, nachdem es dort, vor einigen Tagen, notlanden musste. Wie wir inzwischen durch den Funkspruch von der BISMARCK erfuhren, haben die beiden Pilotinnen des Transporters überlebt. Die Deutschen werden sie retten, so schnell es geht.“ Unglaube, Freude und Überraschung lag auf den Gesichter der meisten Anwesenden, denn Vansen und Damphousse, das wussten die meisten der anwesenden Männer und Frauen, wurden seit Tagen vermisst und kaum einer hatte noch die Hoffnung gehabt, dass sie leben. Diesmal dauerte es etwas länger, bis sich das Gemurmel legte. Doraner räusperte sich vernehmlich und als wieder Stille eingekehrt war, erklärte er: „Der Kontakt mit der BISMARCK verlief bisher einseitig, da wir den Chigs nicht auf ihre Aliennasen binden wollen, dass wir unterwegs sind, um ihnen einen überraschenden und heißen Empfang zu bereiten. An dieser Stelle kommen Sie ins Spiel, meine Damen und Herren. Die Marines der Bodentruppen halten sich, in der Nähe der ihnen zugewiesenen Transporter, in Bereitschaft. Ob es zu einem Bodeneinsatz kommt ist noch unklar. Klar ist hingegen, dass die verbleibenden Staffeln dieses Trägers in den Einsatz gehen werden, sobald wir uns dem Planet angenähert haben. Da die Deutschen nicht wissen, dass wir kommen, werden sie vermutlich eine defensive Taktik wählen, und bei 2063-Yankee, im Ortungsschatten des Planeten, auf den Feind lauern. Die Vikings und die Killer Bees werden dabei die Angriffsspitzen bilden. Ihre Aufgabe wird es sein, alle anfliegenden Jäger und besonders die feindlichen Bomber, die von den Chigs sicherlich gegen uns geschickt werden, abzufangen und auszuschalten. Sorgen Sie dafür, dass unsere Kanonenboote und besonders unsere beiden Schlachtkreuzer in Schussweite des feindlichen Trägers gelangen. Wenn es uns gelingt, wenigstens einen der kampfstarken Chig-Träger aus dem Spiel zu nehmen, dann wäre das ein wichtiger Punkt für uns. Gibt es von Ihrer Seite dazu Fragen?“ Doraner wartete einige Sekunden, doch wie erwartet meldete sich Niemand zu Wort, und so befahl er: „Dann treten Sie weg, auf Ihre Kampfstationen, bis auf die Wildcards und die Sundown Raiders.“ Die Männer und Frauen strebten murmelnd den beiden Ausgängen zu. James Doraner verließ währenddessen die Bühne um sich zu den verbliebenen fünfzehn Piloten und Pilotinnen zu gesellen, die er mit einer dynamisch wirkenden Geste zu sich winkte. Die Wildcards bestanden momentan, trotz der Umstrukturierung durch Commodore Ross, nur aus sieben, statt aus acht Piloten. Den verbleibenden Platz würde Vanessa Damphousse, nach ihrer Genesung, einnehmen. Doraner sah in die angespannten Gesichter und erklärte den Verbliebenen: „Wir werden bei diesem Einsatz die letzte Verteidigungslinie bilden. Auf Befehl des Commodores. Ich weiß, dass Sie alle, so wie auch ich, lieber an vorderster Front kämpfen würden, doch unsere Aufgabe ist nicht weniger wichtig, also hören Sie gut zu: Die Wildcards, denen ich mich für diesen Einsatz anschließen werde, fliegen mit leichter Überhöhung, und nach Steuerbord versetzt, dem Verband etwa einen Klick voraus. Die Sundown Raiders werden, leicht nach unten versetzt und einen Klick hinter dem Verband, an Backbord operieren. Egal was auch passiert, dort werden Sie die Position halten, bis ich etwas Anderes befehle. Ach, und Captain Hawkes: Keine Punkrock-Musik oder Extratouren während des Einsatzes.“ Die Ohren des In-Vitros nahmen eine intensive, rötliche Färbung an. Er erinnerte sich an seinen ersten Kampfeinsatz – damals bei Jupiter, zu Beginn des Krieges. Das Jagdgeschwader der SARATOGA hatte den anfliegenden Chigs dort, in einem kleinen Asteroidenfeld, eine Falle gestellt. Als der Feindverband jedoch abzudrehen drohte, hatte er eine, auf dem Mars gefundene CD einer alten Punkrock-Gruppe, aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, eingelegt und war mit deren Song Blitzkrieg Bop, und quasi auf eigene Faust, in den Kampf geflogen. Offensichtlich hatte sich dieses Ereignis weiter herumgesprochen, als Hawkes es je vermutet hätte. Betreten sah er seinen neuen CAG an, der sich ein Grinsen erlaubte. „Kennt man ja“, bemerkte der Lieutenant-Colonel und beließ es dann dabei. Er sah in die Runde. „Wenn Sie Fragen dazu habe, dann stellen Sie sie jetzt. Ansonsten: Gute Jagd, und machen Sie sich mit Ihren Flügelleuten vertraut.“ Damit ging der CAG, und Hawkes warf im einen langen Blick nach. „Was hat der eigentlich gegen gute Musik?“ West grinste breit. „Das frage ich mich allerdings auch. War doch gar nicht so schlecht. Hey ho - let´s go…!!“ Auch die Miene von Michelle Low wirkte belustigt, und an den Reaktionen der anderen Männer und Frauen erkannte Hawkes, dass mindestens der Hälfte von ihnen diese Anekdote bereits bekannt gewesen war. „Toll“, grummelte der In-Vitro, „Sundown Raiders, zu mir.“ Nachdem sich Hawkes, mit den Männern und Frauen seiner Staffel etwas abgesetzt hatte, um sich mit ihnen bekannt zu machen, sah West zu den neuen fünf Piloten und Pilotinnen der Wildcards. Da war zu seiner Rechten First-Lieutenant Yasmin Aragon, Rufname: Kreuz-Dame, eine Frau mit venezolanischen Wurzeln, deren Augen beinahe ebenso dunkel waren, wie ihr rabenschwarzes, schulterlanges Haar. Neben ihr stand Second-Lieutenant Erin Andrews, Rufname: Herz-Dame, eine Frau mit langen, blonden Haaren und durchscheinend blauen Augen. Als nächster in der Runde stand ein kräftig aussehender, dunkelhaariger Mann neben ihr. Second-Lieutenant Jefferson Kendall, Rufname: Karo-Bube, dessen Augen beinahe einen Bernsteinton besaßen. Dann folgte Second-Lieutenant Jason Travis, Rufname: Kreuz-Ass, ein lang aufgeschossener, schlanker Mann mit schwarzem Haar und grauen Augen. Den Abschluss der Neuen, neben Michelle Low, die ihren alten Rufnamen Pik-Ass angenommen hatte, bildete Franklin Scott-Thomas, Rufname: Kreuz-König, ein etwas schmächtig wirkender Second-Lieutenant mit sanften braunen Augen und kurzen dunkelblonden Haaren, der gerade mal 1,68 Meter maß. „Also schön“, begann West. „Ihr habt unseren neuen CAG gehört. Wir werden uns also mit dem herumschlagen, was unsere Kameraden nicht aufhalten können. Bleibt während der gesamten Zeit trotzdem wachsam. Ich erwarte jeden von euch, nach diesem Einsatz, wieder zurück an Bord. Wer fehlt, der wird eine Menge Ärger bekommen.“ Einige der Neuen lachten bei seinen letzten Worten unterdrückt, und West fühlte sich genötigt hinzuzufügen: „Das habe ich ernst gemeint. Passt da draußen gut auf euch auf, das ist ein Befehl.“ Nathan West blickte kurz zu Hawkes, der ebenfalls die letzten Anweisungen erteilte, und er stellte mit einem schwachen Schmunzeln fest, dass der In-Vitro ganz ähnliche Worte dabei fand. Dann konzentrierte er sich wieder und wies seine Piloten an: „Okay, dann macht euch fertig für den Einsatz.“ * * * In demselben Moment herrschte auf der BISMARCK eine Mischung aus Anspannung und Hochbetrieb. Der anfliegende Träger der Chigs war nun bis auf eine halbe Stunde heran. Zum Unglück für die beiden abgestürzten Pilotinnen der Amerikaner würde sich die Absturzstelle des Transporter-Cockpits erst in etwa zwei Minuten wieder in den Ortungsschatten drehen, so dass erst dann eine Rettungsaktion möglich war, ohne eine frühzeitige Entdeckung zu riskieren. Zweifellos hätten die Chigs in diesem Fall nachgesehen, was los ist, womit den beiden Abgestürzten nicht gedient gewesen wäre. Brigadegeneral Carina Lerach war sich darüber vollkommen im Klaren, und dennoch passte es ihr ganz und gar nicht, die beiden Frauen so lange auf der Oberfläche des Planeten schmoren zu lassen. Vor fünf Minuten hatte sie sich, zum dritten Mal innerhalb der letzten zehn Minuten, bei Frank von Wedel erkundigt, ob die beiden Rettungstransporter startbereit seien, und hatte dafür beim letzten Mal einen fragenden Blick von ihm geerntet. Nach Außen hin Ruhe ausstrahlend schritt sie im Kommandozentrum des Trägers langsam auf und ab. Dabei verrieten nur einige sparsame Handbewegungen hier oder ein Zucken der Mundwinkel da, wie es in ihrem Innern aussah. Der CAG schritt mit langsamen Schritten zu seiner Vorgesetzten und meldete von sich aus: „Noch etwas mehr als eine Minute, General, dann kann das Rettungskommando endlich starten, ohne dass es bei der Landung zu früh bemerkt wird. Zwar werden die Chigs die Streustrahlung der Transporter immer noch anmessen, bevor sie gelandet sein werden, doch die beiden Teams müssten es schaffen relativ unbehelligt vom Feind, die beiden abgestürzten Pilotinnen der Amerikaner aufzusammeln.“ Carina Lerach nickte in Gedanken und wandte sich dann erst dem Mann zu. „Die Männer und Frauen der Zwo-Einundsiebziger sind erfahrene Spezialisten für Operationen in heißen Landezonen. Die werden es schaffen.“ Frank von Wedel nickte zustimmend. Er hatte bereits dutzende Male diverse Einsätze mit den Soldaten der 271. Raumlandeeinheit, Schulter an Schulter, durchgeführt. Deswegen vertraute er darauf, dass sie auch diesmal erfolgreich sein würden. Beide Offiziere wurden aus ihren Gedanken gerissen, als die Ortungsspezialistin, Feldwebel Stefanie Seidel, die links von Julian Körner saß, alarmierend meldete: „General, soeben erscheint ein zweiter Träger der Chigs im System. Abstand vom ersten Träger der Chigs: Etwas mehr als eine Million Kilometer, auf Grün. Damit steht er drei Grad über dem Horizont des Planeten. Zweifellos hat er uns bereits in der Ortung.“ Von einem Moment zum anderen warf Carina Lerach die bisherige Planung um. Sie wandte sich zum Oberstleutnant: „Alle Jagdstaffeln alarmieren und umgehend starten lassen! Die Transporter los, wir holen die beiden Pilotinnen jetzt sofort da raus! Drei Staffeln bleiben beim Verband. Der Rest geht auf Abfangposition, auf die andere Seite des Planeten, zwischen uns und den beiden feindlichen Trägern. Sie leiten das Ganze von hier aus!“ Noch während Frank von Wedel bestätigte wandte sich die Kommandeurin bereits zu Julian Körner. „Oberleutnant Körner, Sie berechnen den nächstmöglichen, sicheren Tangential-Kurs für unsere drei Schiffe, um den Planeten herum. Daten zum Steuermann überspielen, sobald sie berechnet sind.“ „Verstanden, General!“ Carina Lerach machte einen raschen Schritt nach Rechts und gab die nächsten Befehle. „Oberfeld Yildirim: Bringen sie die BISMARCK auf Äußerste Geschwindigkeit! Folgen Sie den einlaufenden Koordinaten des Navigators, sobald sie da sind! Funkoffizier: Geben Sie Nachricht an die BLÜCHER und an die ARCONA, sich nach Angriffsplan Omega-Delta zu formieren!“ Die Angesprochenen bestätigten, während fast gleichzeitig die Alarmsirenen einsetzten und mit nervenzerfetzendem Lärm durch den Träger gellten. Spätestens jetzt wusste auch der Letzte an Bord, dass einmal mehr unruhige Zeiten bevorstanden. Carina Lerach schritt eilig zu ihrem Geschwader-Kommandeur, der sich bereits an seine Kommunikationskonsole, an der hinteren Steuerbordwand, begeben hatte. Im Moment war ihm nicht anzusehen, ob es ihm missfiel, diesmal an Bord bleiben zu müssen. Doch Brigadegeneral Carina Lerach war sich sicher, dass seine Stellvertreterin hervorragende Arbeit leisten würde. Bei einer geteilten Mission, wie dieser, war der CAG an Bord der BISMARCK sinnvoller eingesetzt. Das wusste natürlich auch Frank von Wedel, doch wie alle Geschwader-Kommandeure fiel es ihm schwer nicht dabei zu sein, wenn seine Piloten ins Gefecht flogen. So stand er angespannt an der Wandkonsole und hielt sowohl mit den beiden Transportern, als auch mit seiner Stellvertreterin, Funkkontakt. Von dieser Station aus konnte sie selbst ebenfalls Kontakt zu den beiden Geleitschiffen aufnehmen, wenn Anlass dazu bestand. Doch es würde noch eine Weile dauern, bis es zum ersten Feindkontakt kam, und so trat die Kommandeurin des deutschen Kampfverbandes an die Seite ihres CAG und hörte ihm dabei zu, wenn er knappe Anweisungen an die beiden Fliegenden Verbände gab. Nach einer Weile sah Frank von Wedel zu Lerach und sagte ruhig: „Ich habe die Grauen Falken angewiesen das Landegebiet des abgestürzten Transporter-Cockpits zu sichern. Sie werden den beiden Transportern im Notfall Luftunterstützung geben.“ „Sehr gut, Oberstleutnant.“ Die Siebenundvierzigjährige legte ihre Hände auf den Rücken und blickte für einen Moment lang auf das bronzene Schild, neben der Borduhr an der Stirnwand. Darauf stand das Motto dieses Trägerschlachtschiffs: Klagt nicht, kämpft. Das hatten sich die Männer und Frauen dieses Verbandes, in den letzten eineinhalb Jahren, viel zu oft sagen müssen. Sie hatten diesem Leitspruch Ehre gemacht und mutig gekämpft, statt zu klagen. Für den Fortbestand der Menschheit, denn um nicht Weniger, als das, ging es in diesem Krieg. In Momenten wie diesem dachte sie stets an ihren Ehemann, Stefan und an ihre beiden Kinder, ihren Sohn Henning und ihre Tochter Dominique. Während Henning bereits weitgehend aus dem Gröbsten heraus war, machte ihre Tochter gerade eine Phase durch, in der sie ihr gerne mehr zur Seite gestanden hätte. Doch diese Rolle erfüllte ihr Mann vorbildlich. Überhaupt war Stefan stets der Verständnisvolle von ihnen beiden gewesen. So hatte er ihren Beruf von Beginn an voll respektiert, obwohl er, als Arzt, einen sehr entgegengesetzten Beruf ausübte. Gerade zu Beginn ihrer Beziehung hatten sie sich darüber sehr oft unterhalten, doch Stefan hatte nie kritisiert was sie beruflich tat, und er hatte niemals von ihr verlangt, dass sie ihren Beruf aufgeben soll. Auch dann nicht, als ihre beiden Kinder da waren. Für ihren Mann war es selbstverständlich, dass er hauptsächlich die Rolle des Erziehers ausübte, während sie monatelang im Einsatz war. Nachdem sie, gegen Ende des Jahres 2061, zum Brigadegeneral befördert wurde, hatte der Chef des Stabes darauf gedrängt, dass sie das Kommando über den neu in Dienst gestellten Träger, die GRS BISMARCK, und ihre Geleitschiffe, übernehmen soll. Sie hatte daraufhin diesen Vorschlag mit ihrer Familie, besonders aber natürlich mit ihrem Mann, besprochen. Dafür, dass er ihren Wunsch respektiert und ihr den Rücken gestärkt hatte, auch ihren beiden Kindern gegenüber, war sie ihm unendlich dankbar. Er hatte ihr auch nie zum Vorwurf gemacht, dass sie ihr Leben dabei aufs Spiel setzte. Darum liebte sie ihn auch nach zweiundzwanzig Jahren, von denen sie neunzehn miteinander verheiratet waren, noch immer mit derselben Leidenschaft. Nein, im Grunde noch sehr viel mehr als zum Beginn ihrer Beziehung. Die Gedanken des Brigadegenerals kehrten ins Hier und Jetzt zurück, als der Oberstleutnant unterdrückt bemerkte: „Wir werden denen schon zeigen, was eine Harke ist.“ Ein flüchtiges Lächeln umspielte die Lippen der Frau, als sie zu Von Wedel sah und ebenso leise erwiderte: „Na, was denn sonst.“ In Momenten wie diesem bewunderte Carina Lerach die Empathie des Oberleutnants, der im Einsatz gegen den Feind schon so oft mit kompromissloser Härte vorgegangen war. Wer den CAG nur aus diesen Einsätzen kannte, der wäre niemals auf die Idee gekommen, wie feinfühlig dieser Mann sein konnte. Sie wusste um seine beinahe geschwisterliche Kameradschaft, die ihn mit Melanie Oberleitner verband, und auch, wie sich dieses besondere Verhältnis entwickelt hatte. Damals hatte sie diese Entwicklung etwas argwöhnisch beobachtet, doch sie hatte sehr schnell erkannt, dass Frank von Wedel ein aufrechter Mensch ist, der die damalige Trauer der jungen Frau niemals für seine eigenen Zwecke missbraucht hätte. Darum mochte sie den Oberstleutnant auch aus ganzem Herzen. Gesagt hatte sie ihm das nie. Vielleicht ein Fehler, doch sie hatte im Dienst stets eine gewisse Distanz gewahrt. Das gab ihr, nicht zuletzt, eine gewisse Sicherheit. „General, mehrere Landeraumschiffe und Jäger der Chigs nähern sich dem Planeten“, drangen die Worte des Oberstleutnants in die Gedanken der Frau. „Ich habe den Grauen Falken und den Transportern bereits Bescheid gegeben.“ „Die wollen uns wohl die beiden Pilotinnen nicht kampflos überlassen, schätze ich.“ Frank von Wedel gab ein Schnauben von sich. Dann meinte er grimmig: „Ja, ich fürchte, das wird ein ganz heißer Tanz für das Ladekommando und für die Falken.“ Frank von Wedel ahnte nicht, dass dies nur ein Hilfsausdruck dafür sein sollte, was den gesamten Verband tatsächlich erwartete. * * * Major Ernestyna Strogoff hatte es sich nicht nehmen lassen diesen Bodeneinsatz selbst anzuführen. Zusammen mit neunzehn ihrer kampferprobten Männer und Frauen saß sie, bewaffnet und in voller Kampfmontur, auf der Bank, nahe des Ausstiegs. So, wie die übrigen Soldaten der 271. Raumlandeeinheit. Lediglich ihre Helme hatten sie alle noch in ihren Händen. Sie aufzusetzen, sobald der Transporter in die oberen Schichten der Atmosphäre eindrang, war früh genug. Sie wechselte einen schnellen Blick mit ihrem untersetzten, vierschrötigen Hauptfeldwebel, Krystian Mazur, der mit grimmiger Miene neben ihr hockte. Trotz aller Unterschiede war den Männern und Frauen eins mit ihm und ihr gemeinsam: Der harte Blick derer, die dem Tod bereits oftmals ins Auge geblickt hatten. Dabei wirkte die drahtige, zweiunddreißigjährige Anführerin dieser Eliteeinheit, mit gerade einmal 1,65 Metern Körpergröße und dem edel geschnittenen Gesicht, so gar nicht wie eine knallharte Kämpferin. Doch dieser Eindruck täuschte. Ernestyna Strogoff war seit dem Ausbruch des Krieges bereits mehrmals durch die Hölle gegangen. Unter anderem war sie einem Gefangenenlager der Chigs entkommen, in dem sie, und eine Handvoll ihrer Leute, zu Beginn des Krieges, nach einer missglückten Aufklärungsmission, gelandet waren. Stümperhafte Aufklärung der Luftwaffe war damals daran Schuld gewesen. Weshalb sie, als Angehörige der Luftlandetruppen des Heeres, seit dieser Zeit ein paar Vorbehalte hatte, in Bezug auf die Fähigkeit von Luftwaffenangehörigen. Von der zwischenzeitlichen Gefangenschaft zeugte eine lange Narbe, die sich von der Stirn, über die rechte Augenbraue und das Auge hinweg, bis zu ihrer Wange hinunter zog. Trotz dieser leichten Entstellung besaß ihr Gesicht immer noch eine fast ätherische Schönheit. Die rotblonde Frau hatte sich bisher standhaft geweigert, diese Narbe im Zuge einer Schönheitsoperation ganz beseitigen zu lassen. Was nicht darin begründet lag, dass der Frau daran gelegen war, mit dieser Narbe anzugeben, wie es manche Männer und Frauen an Bord der BISMARCK vermuteten, die sie nicht näher kannten. Nein, Ernestyna Strogoff war schlicht nicht eitel genug, um sich einer solchen Operation zu unterziehen - und es war ihr herzlich egal, was Menschen empfanden, wenn sie in ihr Gesicht sahen. Denn mit Menschen, die sich von Äußerlichkeiten blenden ließen, wollte sie ohnehin nichts zu tun haben. Als die Stimme des Co-Piloten aus dem Lautsprecher des Transporter-Moduls ertönte, und darüber Auskunft gab, dass der Eintritt in die Atmosphäre des Planeten unmittelbar bevorstand, gab Ernestyna Strogoff den Befehl, die Helme anzulegen. Sie selbst machte sich noch an ihrem eigenen Helm zu schaffen, als die Zelle des Transporter-Moduls zu vibrieren begann. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Transporter die oberen Schichten der planetaren Lufthülle durchflog. Kaum hatte Major Strogoff ihren Helm verschlossen und die Anschlüsse der Sauerstoffversorgung kontrolliert, wurde von den Außenmikrofonen des Helms eine weitere Durchsage des Co-Piloten übertragen. Mehrere Landeschiffe der Chigs befanden sich offensichtlich im Anflug auf die Absturzstelle. Die Frau sah grimmig zu Hauptfeldwebel Mazur und wandte sich über Helmfunk grimmig an ihr Team: „Das wird die gesamte Operation keinesfalls langweiliger machen, würde ich sagen. Ausstieg nach Muster Tango-Lima, sobald wir unten sind. Wir werden versuchen, den Aufenthalt so kurz wie nur möglich zu gestalten. Sie alle wissen, worum es geht – wir sammeln die beiden amerikanischen Pilotinnen ein und bringen sie sicher zur BISMARCK. Also: Glück ab!“ „Glück ab!“, gaben die Männer und Frauen den traditionellen Gruß der Landetruppen zurück und Ernestyna Strogoff lächelte kurz. Die Vibrationen nahmen kurzzeitig zu, und Irgendwer kommentierte dies mit: „Die sind auch schon mal besser geflogen!“ „Funkdisziplin wahren!“, sagte Strogoff streng in ihr Mikro und Ruhe kehrte ein. Nach einer Weile ließen die Vibrationen nach und eine weitere Meldung erreichte die Männer und Frauen der Raumlandetruppe. „Landung: X minus dreißig Sekunden!“ Ernestyna Strogoff erhob sich und gab den Männern und Frauen unter ihrem Kommando das Zeichen, es ihr nachzutun. So, wie sie es immer wieder trainiert, und dutzende Male im Einsatz durchgeführt hatten, nahmen die Soldaten Aufstellung – bereit für Alles, was sie nach der Landung erwarten konnte. Die dunkelbraunen Augen der Frau glitzerten kalt, während sie den Chronometer an ihrem Anzug im Auge behielt: „Noch zehn Sekunden!“ Die letzten Fünf Sekunden zählte sie einzeln herunter, und bei Null ging gleichzeitig ein Ruck durch den Transporter. Sie waren unten. Krystian Mazur, der dem Major gegenüber Aufstellung genommen hatte, betätigte den schwarzen Druckknopf der Schott-Verriegelung, und einen Moment später glitt das Schott zur Seite. Der Hauptfeldwebel sprang zuerst aus dem Transporter, dicht gefolgt von Ernestyna Strogoff. Er warf einen Blick auf das Scanner-Display an seinem M-590-Sturmgewehr, deutete mit der Linken vier Grad nach Rechts und setzte sich in Bewegung. Dabei sagte der Mann, der seine Vorgesetzte um gut einen Kopf überragte, knapp: „Laut der Information von den Grauen Falken befinden sich die beiden Gesuchten hinter einem Felsvorsprung, etwa Einhundertundzehn in dieser Richtung. Sechs Soldaten übernahmen die Sicherung zu beiden Seiten des Ausstiegs, während der Rest dem Feldwebel und dem Major folgte. Fast gleichzeitig landete der zweite Transporter mit aufheulenden Triebwerken. Über Funk gab Ernestyna Strogoff den Befehl, dass die Soldaten des zweiten Transporters an Bord in Bereitschaft bleiben sollten. Nur für den Fall, dass sie den direkten Befehl dazu gab, sollten sie in das Geschehen eingreifen. Sie bildeten die Reserve, und Strogoff hoffte, sie nicht zu benötigen. Im Laufschritt näherten sich die vierzehn Männer und Frauen der angegebenen Position, sich dabei permanent umschauend und zu allen Seiten sichernd. Nach nicht einmal einer halben Minute erreichte die Gruppe den Felsen und zwei am Boden liegende Gestalten wurden für Ernestyna Strogoff erkennbar. Bei Erreichen der beiden, wie leblos da liegenden, Gestalten kniete sie sich ab und rüttelte eine von ihnen heftig an der Schulter. Eine schwache Bewegung war die Reaktion und nachdem Strogoff die Gestalt im Raumanzug halb herumgedreht hatte, blickte sie in das abwesend wirkende Gesicht einer Afroamerikanerin. „Ich bin Major Ernestyna Strogoff, können Sie mich verstehen?“ Die dunkelhäutige Frau nickte schwach und Strogoff atmete erleichtert aus. Dabei warf sie einen Blick zum Hauptfeldwebel, der sich um die andere Pilotin kümmerte. Er hielt seinen Daumen nach oben und Strogoff gab über Helmfunk die Anweisung an vier ihrer Leute, den beiden Frauen aufzuhelfen, und sie zum Transporter zu schaffen. In demselben Augenblick begann das obere Abwehrgeschütz des Transporters zu feuern, und als dicht bei den Männern und Frauen des Landekommandos mehrere Energiestrahlen einschlugen, ahnten sie warum. Gleichzeitig senkte sich ein länglicher, schwarzer Schatten aus dem Himmel herab und ging, kaum einhundert Meter von ihrer Position entfernt nieder. „Trupp Zwei: Den Transporter verlassen! Bodentruppen der Chigs sind gelandet. Rechnet mit heftigem Feindfeuer!“ Das Geschütz des zweiten Transporters setzte ein, während in demselben Moment die Insassen aus dem Transporter-Modul strömten und Stellung bezogen. Gleichzeitig kam vom Pilot die Meldung, dass sie bereits Jägerunterstützung angefordert hatten. Die ersten Chigs quollen aus dem Innern des gelandeten, feindlichen Transportschiffs. Sie eröffneten umgehend das Feuer auf die Soldaten der terranischen Raumlandeeinheit und Energieschüsse fegten an ihnen vorbei, oder dicht über sie hinweg. Ernestyna Strogoff ging stehend in Anschlag und feuerte mit ihrer M-590 über die Köpfe der vor ihr knienden Männer und Frauen hinweg. Mazur, der sich an ihrer Seite hielt, tat es ihr nach. Mit ihren ersten Geschossgarben erwischten beide jeweils einen der angreifenden Chigs. Ein junger Raumlandesoldat, der sich an der anderen Seite von Strogoff postiert hatte, registrierte anerkennend, die kühle Ruhe, mit der seine beiden Vorgesetzten schnell und sicher ein Ziel nach dem anderen anvisierten und kurze, gezielte Feuerstöße abgaben, ohne sich um die Energieladungen zu scheren, die dicht an ihnen vorbei jagten. „Langsam zu den Transportern zurückziehen!“, wies Ernestyna Strogoff die beiden Teams an. „Überschlagende Vorgehensweise. Team Zwei – los!“ Das Team des zweiten Transporters zog sich als erstes zu seinem Transporter zurück, während das Team, das mit Ernestyna Strogoff angekommen war, Sperrfeuer schoss. Noch während es sich zurückzog, orgelten zwei Raketen aus dem Himmel herab und detonierten mitten unter den Chigs. Zwei weitere Raketen schlugen in der Hülle des feindlichen Transporters ein, der mit einem Donnern explodierte. Um die Soldaten der Raumlandeeinheit herum schlugen Wrackteile ein und wie durch ein Wunder wurde niemand getroffen. Ernestyna Strogoff rief rau in ihr Helm-Mikrofon: „Transporter Zwei: Das Bodenteam an Bord nehmen und sofort starten, bevor noch mehr Chigs durchbrechen und hier auftauchen. Sie übernehmen die Luftsicherung.“ Wenig später kam die Rückmeldung: „Verstanden, wir heben ab!“ Die Triebwerke des angerufenen Transporters heulten erneut auf und mit Notwerten hob die Maschine ab, während sie von zwei Energieschüssen einiger überlebender Chigs knapp verfehlt wurden. Im nächsten Moment war er bereits im Grün der dichten Atmosphäre des Planeten verschwunden. Mazur erwischte den letzten noch lebenden Chig und sah fragend zu seiner Vorgesetzten. „Wir sollten uns langsam verkrümeln!“ „Zurück zum Transporter!“, gab Strogoff das Kommando und zusammen mit dem Hauptfeldwebel bildete sie die Nachhut. Die vier Soldaten, die beim Angriff der Chigs mit den beiden Überlebenden in Deckung gegangen waren, erhoben sich nun wieder. Dabei störte sich Strogoff nicht daran, dass die beiden amerikanischen Pilotinnen von vier ihrer Männer mehr zu der Maschine geschleift wurden, als dass sie selbst gingen. „Tempo, Leute!“ Zwei der ursprünglich sechs Soldaten, die am Schott des Transporters, beim Aussteigen, Stellung bezogen hatten, sicherten immer noch, als die beiden Abgestürzten an Bord gebracht wurden. Strogoff und der Hauptfeldwebel hetzten an ihnen vorbei und sprangen ins Innere des Transporters. Danach folgten die beiden Soldaten und Hauptfeldwebel Mazur drückte den roten Knopf der Schottverriegelung. Aus dem Augenwinkel nahm Ernestyna Strogoff einen hellen Blitz, durch das sich schließende Schott, wahr. Gefolgt von einem dumpfen Grollen. Als sie einen Moment später, vom Pilot, die Meldung erhielt, dass es sich um den Abschuss eines zweiten Chig-Transporters handelte, atmete sie erleichtert auf. „Nichts wie weg von diesem verdammten Planeten!“, gab Strogoff Anweisung und nahm ihren Helm ab, kaum dass der Druckausgleich erfolgt war. Sie bahnte sich einen Weg zum Sanitäter des Teams, der sich um die beiden Geretteten kümmerte. „Wie geht es den beiden Frauen, Sani?“ Der Obergefreite Maximilian Schell sah kurz zu Strogoff auf: „Beide Frauen leiden unter einer deutlichen Dehydrierung. Ich werde jetzt eine Infusion vorgenommen. Das wird sie etwas stabilisieren, bis wir die BISMARCK erreicht haben.“ Sich bereits wieder den beiden Frauen zu wendend fuhr der Sanitätsgefreite fort: „Dennoch sollten die beiden Frauen so schnell wie möglich ins Rettungszentrum gebracht werden, sobald wir an Bord sind. Ich habe zwar keine Anzeichen äußerer Verletzungen finden können, doch wer weiß, ob es innere Verletzungen gibt?“ Ernestyna Strogoff nickte. „Tun Sie, was Sie können, Obergefreiter.“ Der Sanitäter bestätigte und die Kommandeurin der Raumlandetruppen schritt zu Hauptfeldwebel Mazur. Während sie sich zu ihm setzte, meinte sie: „Wir haben unseren Teil erledigt, aber ob es die beiden Frauen bei uns wirklich besser haben ist noch nicht raus. Es mit zwei Trägern der Chigs aufzunehmen ist bestenfalls riskant.“ „Wird schon schiefgehen“, verbreitete Mazur einen Optimismus, den er tief in seinem Innern nicht empfand. Denn er wusste nur zu genau, dass Strogoff Recht hatte. Dabei fragte er sich, was Brigadegeneral Lerach wohl momentan durch den Sinn gehen mochte. * * * Carina Lerach stemmte mit grimmiger Miene ihre Hände in die Hüften und sah, mit brennenden Augen auf die Taktische Anzeige des Waffenoffiziers. Eine Phalanx feindlicher Bomber und Jäger näherte sich den vorausfliegenden Jägerstaffeln der BISMARCK. „Bei dem, was da auf uns zu kommt, habe ich ein ganz mieses Gefühl“, sprach Leutnant Larissa Krüger das aus, was sie selbst eben gedacht hatte und deutete auf den Bildschirm. „Die werden versuchen, uns aus mindestens drei verschiedenen Vektoren in die Zange nehmen. Ich frage mich nur, warum die kein Umfassungsmanöver versuchen?“ „Vielleicht sollten wir denen einen Tipp geben und dabei durchblicken lassen, dass sie taktisch nicht viel los haben“, gab Carina Lerach ironisch zurück. Larissa Krüger biss sich auf die Unterlippe, bevor sie sich dazu entschloss zu erwidern: „Spotten Sie nur, General, aber irgendetwas stimmt da nicht. Zumindest würde ich versuchen unsere Jägerstaffeln weiter auseinander zu reißen, damit die Bomber eine größere Chance haben durchzubrechen. Bisher haben sich die Chigs auch nicht als unfähig erwiesen. Deshalb befürchte ich, dass da noch etwas Anderes im Busch ist.“ Noch bevor Carina Lerach etwas darauf antworten konnte, klang die aufgeregte Stimme von Stefanie Seidel auf. „Ein weiteres kapitales Raumschiff ist soeben im System erschienen! Koordinaten: Minus drei zu einhundertachtundsiebzig Grad. Der Ortungsanalyse nach ein weiterer Träger der Chigs!“ Brigadegeneral Lerach wandte sich der Ortungsspezialistin „Was sagen Sie da?“ „Ein dritter Chig-Träger hält von Achtern Kurs auf uns, General.“ „Verstanden“, erwiderte Carina Lerach tonlos und wandte sich Frank von Wedel zu, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. „Sieht so aus, als kämen Sie doch noch zu ihrem Kampfeinsatz, Oberstleutnant. Starten Sie mit unseren verbliebenen vier Staffeln und tun Sie was Sie können um unsere rückwärtige Flanke zu sichern.“ „Das werde ich, General“, gab der Mann zurück und entfernte sich rasch. Carina Lerach sah im sinnend nach und überschlug in Gedanken ihre Optionen. Normalerweise hätte sie dem Verband den Rückzug befohlen, doch ein Weiterflug mit den beschädigten Aggregaten der drei Großkampfschiffe war viel zu gefährlich. Also blieb nur die Alternative, sich zum Kampf zu stellen. Einem ungleichen Kampf, denn der Feind war ihnen mindestens drei zu eins überlegen, was den Jägereinsatz betraf. Zudem würden ihnen schon bald ihre gefährlichen roten Bomber die Hölle heiß machen. Brigadegeneral Lerach wusste, wie schlecht ihre Chancen standen, aber aufgeben war für sie keine Option. Leider hatten sich die Amerikaner nicht gemeldet, wie sie gehofft hatte. Hieß das, dass die Chigs sie ebenfalls angegriffen hatten? Das würde bedeuten, dass die Chigs mehr Träger in diesem Raumsektor besaßen, als bisher angenommen. Carina Lerach fällte eine Entscheidung. Sich an den Funkoffizier wendend, befahl sie rau: „Signal an unsere Geleitschiffe: Wir folgen dem Gros unserer Jäger. Damit schieben wir den Moment, in dem uns der dritte Träger angreifen kann, noch etwas hinaus, und vielleicht gelingt es uns, durch dieses Manöver, den anfliegenden Chigs den Schneid abzukaufen.“ Den letzten Halbsatz hatte sie einzig und allein für die Anwesenden in diesem Kommandozentrum angehängt, in der Hoffnung, ihnen damit Mut machen zu können. Sie schritt zu Oberfeldwebel Yildirim und blieb hinter seinem Sitz, am Geländer, stehen. „Holen Sie aus den beschädigten Triebwerken heraus, was geht, Feldwebel“, wies Brigadegeneral Lerach den Steuermann an. „Halten Sie die BISMARCK aus dem Feuerbereich des dritten Trägers, solange es irgendwie geht.“ „Verstanden, General!“ Lerach schritt bereits zum Waffenoffizier des Trägers. „Leutnant Krüger, Ihr mieses Gefühl hat Recht behalten. Herzlichen Glückwunsch. Die hinteren Geschütze werden unseren drei Staffeln in diesem Vektor so viel Feuerschutz geben, wie nur irgend möglich. Primäre Ziele sind dabei natürlich die Bomber der Chigs, die sie zweifellos aussenden werden.“ „Verstanden, General“, bestätigte die Frau und sah konzentriert auf ihre Anzeigen. Sie wusste, dass der Rummel schon sehr bald losgehen würde. * * * Auf der SARATOGA stand Commodore Ross im Kommandozentrum und beobachtete die Besatzung dabei, wie sie ihren Dienst versahen. Momentan war er zum Abwarten verdammt. Etwas, das ihm noch nie sonderlich gefallen hatte. Viel lieber hätte er etwas sinnvolles zu tun gehabt. Doch Glen van Ross wusste, dass dieser Zustand nur noch etwa zwei Minuten anhalten würde, und so konzentrierte er sich darauf, was schon bald auf ihn, oder besser auf seine Fähigkeit diesen Verband zu kommandieren, zukommen würde. Schließlich schritt er an der Reihe seiner Offiziere und Unteroffiziere entlang. Hinter dem Platz des Ortungsoffiziers stehen bleibend sah er angespannt auf dessen Anzeigen. Der Verband, dessen Flaggschiff die SARATOGA war, näherte sich unaufhaltsam dem imaginären Punkt im Weltall, von dem aus er Kontakt zur BISMARCK herzustellen gedachte. Diesen Punkt hatte Ross deshalb so gewählt, weil der Verband dort die maximale Ortungsreichweite des zuletzt aufgetauchten Chig-Trägers unterschreiten würde. Gleichzeitig sollten an diesem Punkt die Jäger des Trägers starten. Auf dem Hauptbildschirm des Ortungsoffiziers verfolgte er den überraschend aufgetauchten zweiten und dritten Träger der Chigs. Damit hatte sich das Kräfteverhältnis massiv zu ihren Ungunsten verschoben. Nachdem Ross davon erfuhr hatte er die anfängliche Planung umgestoßen. Ein Beweis für den geflügelten Spruch, dass kein Schlachtplan den ersten Feindkontakt überstand. Ross verwünschte die Tatsache, dass die neuen Wurmlochgeneratoren, an Bord der Träger, keine wirklich exakten Verbindungen zuließ. Die neuen Aggregate, die dazu in der Lage waren, ein künstliches Wurmloch zwischen zwei massiven Gravitationsquellen zu erzeugen, schufen eine Verbindung, deren Ausgang bei Planeten zwischen 0,5 und 10 Mega-Solar-Kilometern lag. Bei Sternen, deren Störungen des Raumes beträchtlich größer ausfielen, lag der Austrittspunkt bei wenigsten 50 MSK Entfernung zum Stern. So konnte zwar kein Raumschiff versehentlich einer dieser Gravitationsquellen zu nahe kommen – doch andererseits war es, bis zu einem gewissen Grad, ein Glücksspiel wo exakt man nach einer Passage von Sternensystem zu Sternensystem landete. Eine Verbindung zu weit ab von einem Stern oder einem Planeten war nicht möglich, so dass man mit dieser Technik nur aus einem Sternensystem heraus, in ein anderes Sternensystem hinein fliegen konnte. Dabei waren kleinere Raumschiffe darauf angewiesen, dass das Wurmloch von einem Träger erzeugt wurde, da die Aggregate die Energieerzeuger kleinerer Raumschiffe überlastete. Mit 7,3 MSK Entfernung zu Planet 2063-Yankee war der Trägerverband zwar nicht in der optimalen Entfernung im System erschienen, dafür aber in einem relativ günstigen Angriffswinkel zum zuletzt erschienenen Träger der Chigs. Als die Scanner-Distanz des Feindträgers unterschritten wurde, gab Ross dem Funker der SARATOGA das Kommando, die BISMARCK anzurufen. Es dauerte einen Moment, bis sich Master-Sergeant Walker zu Ross umwandte und meldete: „Funkverbindung steht, Commodore! Sie können sprechen!“ Ross nickte knapp und sprach mit tragender Stimme: „Hier spricht Commodore Ross, von der SARATOGA. Spreche ich mit Brigadegeneral Lerach?“ Es dauerte einige Sekunden, bis die Antwort eintraf. „Hier Brigadegeneral Carina Lerach, von der BISMARCK. Sie haben unseren Notruf also doch empfangen, aber nicht geantwortet, um die Chigs nicht zu warnen. Ich bin froh, dass Sie da sind, Commodore.“ „Und ich muss Ihnen nicht sagen, dass Ihre momentane Taktik ein riskantes Spiel ist.“ „Nein“, kam die knappe Erwiderung. „Aber ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie sich um den Träger kümmern, der uns im Nacken sitzt. Außerdem wären wir dankbar, wenn Sie vielleicht einen Schlachtkreuzer und ein paar Kanonenboote zu unserer Unterstützung schicken würden, Commodore.“ Glen van Ross rieb sich mit der Linken den Nacken und war froh darüber, dass ihn Carina Lerach nur hören konnte. Schnell entschied er: „Also schön. Ich schicke Ihnen den Schlachtkreuzer PERSHING und die Kanonenboote NIAGARA und MISSOURI. Die Schiffe sollten es schaffen, Sie rechtzeitig zu erreichen um an Ihrer Seite wirkungsvoll in den Kampf eingreifen zu können.“ Die Erleichterung in der Stimme von Carina Lerach war für Ross herauszuhören, als sie erwiderte: „Ich danke Ihnen, Commodore Ross. Mit dieser Unterstützung sollte es uns gelingen, dem Feind Paroli zu bieten. Der günstigste Angriffskurs für Ihre drei Raumschiffe wäre, von Ihrer jetzigen Position aus, sieben Grad zu dreihundertundsieben Grad.“ Ross sah kurz zu seinem Taktischen Offizier, der eine zustimmende Geste machte. „In Ordnung, Brigadegeneral. Die drei Kriegsschiffe sind unterwegs. Ross, Ende!“ Carina Lerach bestätigte und die Verbindung wurde unterbrochen. Glen van Ross gab Anweisung an den Funker, die drei genannten Kriegsschiffe der 15. Flotte von seiner Anweisung zu unterrichten. Er verschränkte mit unbewegter Miene seine Arme vor der Brust und rief sich das eben geführte Gespräch in Erinnerung. Diese Deutsche hatte sehr ruhig und sehr beherrscht geklungen. Mehr, als würde sie zu einem Picknick aufbrechen, als zu einer Schlacht gegen einen momentan noch überlegenen Feind antreten. Selbst mit der von ihm ausgesandten Unterstützung würde es noch schwer werden für den deutschen Verband. Ross fragte sich, ob Carina Lerach sich nur den Anschein gegeben hatte, oder ob viel mehr das, was sein Urgroßvater gelegentlich behauptet hatte, zutraf. Der hatte, während des Zweiten Weltkriegs, gegen die Deutschen gekämpft, und er hatte gelegentlich von der Kaltblütigkeit und dem Mut der Deutschen, im Kampf, erzählt. Der Commodore vermutete, dass sein Urgroßvater vielleicht hier und da übertrieben hatte. Eins war jedoch unwiderlegbar: Die 47. Staffel, die auf der BISMARCK stationiert war, hatte noch einige Abschüsse mehr auf dem Konto, als die Wildcards. Die Grauen Falken. Diese Staffel hatte sich, während des Krieges, einen ebenso legendären Ruf erworben, wie die Angry Angels, vor deren, beinahe vollständigen, Auslöschung bei der Schlacht über der Erde. Er verwarf diese fruchtlosen Gedanken und schritt zum Ortungsoffizier. Auf dem Bildschirm konnte Ross erkennen, wie die PERSHING und die beiden Kanonenboote den Kurs änderten. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen wandte er sich schließlich ab. Er witterte eine Gefahr, ohne sagen zu können, worin sie bestand, oder aus welcher Ecke sie zuschlagen würde. Es war eben nur ein nicht zu fassendes Gefühl. Vielleicht war es Admiral David Broden ganz ähnlich ergangen, als er ihn darum gebeten hatte, mit der SARATOGA und der Hälfte der Flotte losfliegen zu dürfen, um dem deutschen Verband zu Hilfe zu kommen. Momentan konnte er nichts weiter tun, als abwarten. * * * An der Spitze der Jagdverbände flogen die Grauen Falken ihrem Mutterschiff und deren beiden Geleitschiffen voraus. Und mit ihnen fünfzehn weitere Jagdstaffeln. Dabei waren die einzelnen Staffeln zu einem breiten Sperrriegel aufgefächert. Sie bildeten dabei die rechte, untere Flanke des Sperrriegels. Melanie Oberleitner sah aufmerksam auf ihre Instrumente, hauptsächlich aber auf ihr Head-Up-Display, auf dem die anfliegenden Feindjäger als rote Punkte abgebildet wurden. Lange würde es nun nicht mehr dauern, bis sie sich mitten in einem wilden Gefecht befinden würden, wie schon so oft zuvor, in den letzten achtzehn Monaten. Es war Hagen Gronau, der sich über Funk meldete und sie aus der Konzentration riss. „Silberfalke, hier Graufalke: Ich habe den Feind in der Ortung. Allerdings habe ich eben auf dem Hauptmonitor der Raumortung eine seltsame Verzerrung aufgefangen. Nur für einen Moment, danach war wieder alles, wie gehabt.“ „Hier Silberfalke“, meldete sich die Frau. „Bist du sicher, dass es sich nicht vielleicht um einen Fehler in deinem Ortungssystem handelt?“ Hagen Gronau gab ein Brummen von sich. „Möglich, aber ein erster Kontroll-Check verlief negativ.“ Im nächsten Moment wurde Melanie Oberleitner abgelenkt. Für einen kurzen Augenblick veränderte sich die Anzeige ihres Ortungsmonitors, ohne dass ein Ziel darauf erkennbar wurde. Nur ganz schwach. Gerade so, als würde das Display aus Wasser bestehen. Im nächsten Moment war alles wie zuvor, und die blonde Frau rief Hagen an. „Jetzt habe ich es auch gesehen, Graufalke. Weiter im Auge behalten, vielleicht haben die Chigs ein neues Radarstör-System, von dem wir nichts wissen.“ Melanie Oberleitner beobachtete misstrauisch von nun an immer wieder den Monitor, doch das seltsame Phänomen wiederholte sich nicht, und langsam beruhigte sie sich wieder. Vielleicht lag es an irgendwelchen Anomalien im All, die noch nie von Menschen erlebt oder erforscht worden waren. Sie verwarf schließlich den Gedanken daran und konzentrierte sich wieder auf das Naheliegende. Weder die Staffelführerin der Grauen Falken, noch sonst einer der Jagdpiloten sah kommen, wie das Unheil über die Jagdstaffeln der BISMARCK hereinbrach. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts waren sie da – zwei Chig-Jäger. Wendiger, größer und tödlicher, als alle Anderen, denen sie jemals in diesem Krieg begegnet waren. Einigen der Piloten und Pilotinnen ging durch den Sinn, was sie vor einigen Monaten vage gehört hatten. Von einem gewissen Chiggy von Richthofen, und einem nahezu unbesiegbaren Jäger mit vernichtender Wirkung. Nun waren zwei von ihnen da. Die ersten, grellen Plasmaschüsse der so plötzlich aufgetauchten Feindmaschinen richteten bereits schreckliche Verluste unter den Jägern der BISMARCK an, noch bevor sich die Staffeln der Terraner zu einzelnen Rotten auflösen konnten. Grelle Explosionen zeigten jeweils das Ende einer SA-43 an. Wieder und wieder leuchteten sie auf. Der Teil von Melanie Oberleitner, der stets kühl und sachlich blieb gewann nach einem Moment des Schreckens endlich die Oberhand, und sie wies Hagen Gronau über Funk an: „Graufalke, an meinen rechten Flügel. Warnung an die Flotte, was da auf uns zu kommt.“ Noch während sie beide eine harte Kehre flogen und Kurs auf einen der beiden neuartigen Jäger nahmen, gab sie bereits die nächsten Anweisungen: „Turmfalke und Buntfalke, ihr deckt unsere rechte Flanke – der Rest formiert sich an Backbord. Mir nach!“ In geschlossener Formation jagten die sieben HAMMERHEADS durch den Raum. Rings um sie herum tobte das Chaos, in das die stellvertretende Geschwaderführerin, Major Kristin Dochow gerade resolut Ordnung brachte. Einige der terranischen Jäger, die aus einem ersten Reflex heraus versucht hatten von den Gegnern abzudrehen, waren von den beiden Stealth-Jägern der Chigs abgeschossen worden. Einige von ihnen waren gute Kameraden gewesen, konstatierte Melanie Oberleitner mit eben jenem Teil ihres Verstandes, der gerade wieder das Kommando übernommen hatte. Der Rest von ihr war einerseits aufgewühlt, andererseits konzentrierte er sich auf die Auseinandersetzung mit den Chigs. „Feind auf zehn Uhr tief, Steppenfalke!“, rief sie über Funk. „Nehmt die Verfolgung auf und blast den Mistkerl aus dem All!“ Der angerufene Fredrick Reimers hängte sich an die Fersen des genannten Ziels, dicht gefolgt von Leonie Benning und Andreas Immanuel Kant. Sie selbst hatte sich an das Heck eines der so plötzlich aufgetauchten Jägers gehängt, flog eine so enge Fassrolle, dass Hagen Gronau Schwierigkeiten bekam, ihr zu folgen, und feuerte vier Raketen auf den Feind ab, als sie ihn genau im Visier hatte. Der Jäger brach in einer Energiekaskade auseinander und Trümmer wirbelten davon. Melanie Oberleitner überlegte, dass die so plötzlich aufgetauchten Jäger zwar dieselben überragenden Fähigkeiten zu haben schienen, wie der erste Jäger dieser Klasse – jedoch nicht seine Piloten. Zum Glück, denn ansonsten hätte ihnen wohl ein Debakel gedroht. Dennoch schien es ihr geraten, auf der Hut zu sein. Der Anruf von Kristin Dochow alarmierte sie. „Roter Drache an alle Jägerpiloten: Der zweite Feindjäger und mehrere Bomber brechen durch und fliegen auf den amerikanischen Schlachtkreuzer PERSHING, und seine Geleitschiffe zu. Wir folgen denen und werden sie stellen, koste es, was es wolle. Die Staffeln Vier-Acht, Vier-Neun, Fünf-Drei und Fünf-Vier decken hingegen weiterhin den Anflug unserer Schiffe auf die beiden gegnerischen Träger. Graue Falken, Sie sind am nächsten dran – geben Sie ihr Bestes um die Mistkerle abzufangen.“ „Verstanden, Roter Drache“, antwortete Melanie Oberleitner und richtete sich mit ihrem nächsten Funkspruch an ihre Flügelleute. „Ihr habt es gehört Falken. Holt ihn euch!“ * * * Cooper Hawkes wollte seinen Ohren nicht trauen, als er über Funk mit anhören musste, was sich in der Nähe des deutschen Kampfverbandes abspielte. Er erinnerte sich daran, wie ihnen, vor einem halben Jahr, ein Stealth-Jäger der Chigs übel mitgespielt hatte. Und nun waren gleich zwei von ihnen auf den Plan getreten. Damals hatte Lieutenant-Colonel McQueen höchst persönlich diese Gefahr gebannt, kurz nachdem bei einem Einsatz ihrer Staffel, gegen diese Bedrohung, der Leiter dieses Einsatzes, Colonel Schrader, und eine Kameradin, First-Lieutenant Kelly Anne Winslow, abgeschossen worden waren. Hawkes umklammerte das Steuerhorn des Jägers fester, bei diesen Gedanken. Er hatte Kelly sehr gemocht – als Kameradin. Er erinnerte sich daran, dass sie stets unbekümmert und voller Zuversicht die Dinge angegangen war. Winslow war tot und McQueen lag verwundet in einem Krankenhaus, auf der Erde. Und jetzt, da sich die Gelegenheit zu einer Revanche ergab, war er dazu verdammt in der Nähe der SARATOGA zu bleiben. Dabei war sich Hawkes sicher, dass es seinem Kameraden West im Moment ganz ähnlich erging. Hawkes vermutete, dass er vor einem Jahr nicht gezögert hätte seine Befehle über Bord zu werfen und loszufliegen, um sich ins Kampfgeschehen zu stürzen. Doch mittlerweile war er gereift. Vielleicht hatte auch etwas von McQueens taktischem Verständnis auf ihn abgefärbt, wer konnte das schon wissen. Die Stimme des neuen CAG der SARATOGA drang in seine Gedanken, als er die Piloten dazu aufforderte, den Monitor des Raumscanners im Auge zu behalten und besonders auf Verzerrungen der Bildschirm-Anzeige zu achten. „Black-Sun, hier Blue-Sun. Ich habe da etwas wahrgenommen!“, krachte die helle, aufgeregte Stimme von Second-Lieutenant Daun-Marie Darrow aus dem Empfänger und Hawkes brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass er angesprochen war. An seinen neuen Rufnamen musste er sich noch gewöhnen. „Ganz ruhig, Blue-Sun. Gib mir den Vektor an!“ Immer noch aufgeregt klingend gab die Pilotin zurück: „Äh… Ja… Nach dem schwachen Energieeinfall zu urteilen kam ein Energieecho aus Einhundertunddreiundsiebzig zu Vierundzwanzig.“ Fast gleichzeitig sah Cooper Hawkes auf dem Scanner-Bildschirm seines Jägers jene Verzerrung, die er schon einmal vor etwa einem halben Jahr gesehen hatte. Rasch rief er seine Piloten an: „Black-Sun an Alle – Feind kommt von Achtern hoch! Break-Formation und zu Rotten formieren, Ausführung!“ Noch während Hawkes aus der scharfen 180-Grad-Wende kam, sah er den Feind schwach gegen den Sternenhintergrund, und rief über Funk: „Hinter dir, Blue-Sun!“ Doch bevor die junge Pilotin reagieren konnte feuerte der, wie aus dem Nichts aufgetauchte Stealth-Jäger der Chigs aus seinen Plasma-Kanonen. Hawkes sah den Jäger der Kameradin, in einem grellen Feuerball explodieren – sah sie sterben, und der Zorn schnürte ihm die Kehle zu. Schließlich schaffte er es doch, seinen Zorn herauszuschreien und er nahm seinerseits den Feindjäger unter Feuer. Der Pilot, mit dem Rufnamen Red-Sun formierte ihm an seinem linken Flügel um ihm Deckung geben zu können. Dabei hörte er seinen Staffelführer fluchen: „Der gehört mir!“ Eine weitere Rotte seiner Staffel schloss auf und der wendige Chig-Jäger suchte sein Heil in der Flucht, vermutlich um später, aus einer besseren Position heraus, erneut über die Terraner herfallen zu können. Hawkes und seine drei Begleiter jagten hinterher, wie Racheengel. Wie sich der Feind auch drehte und wendete, die terranischen Jäger blieben dran, und für einen Moment lang realisierte der In-Vitro grimmig lächelnd, dass die Sundown Raiders etwas konnten. Die Triebwerke der SA-43 HAMMERHEADS arbeiteten mit Maximalwerten und Hawkes spürte das Vibrieren der Jägerzelle. Hawkes kam heran und er feuerte mit seiner Bordkanone. Dabei traf er einen der drei Flügel des Feindjägers, erzielte jedoch dadurch keinen nennenswerten Schaden. Während, entgegen seines wütenden Ausrufs von eben, nun auch seine Flügelpiloten das Feuer eröffneten, folgte Hawkes dem Feind in eine enge Kehre und feuerte intuitiv ein paar Raketen auf den Punkt, an dem der Feind sein musste, wenn sie ebenfalls dort waren. Es gab einen grellen Blitz, und gleich darauf zerriss es den Feindjäger. Die beiden terranischen Jäger-Rotten wichen den Trümmern aus und suchten nach dem nächsten Feind. Über Funk hörte Hawkes die Stimme seines Kameraden Nathan West, als er jubelnd verkündete: „Wir haben die normalen Jäger und die Handvoll Bomber, die sie begleitet haben, gestellt und vernichtet. Keine Verluste unter den Wildcards. Es hat fast den Anschein, als hätten jeder der drei Chig-Träger nur einen der neuen Jäger an Bord gehabt.“ „Nur ist gut!“, knurrte Hawkes finster. „Mir hat es gereicht. Wir haben Blue-Sun verloren, bei der Attacke des Stealth-Jägers.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, als die Stimme des CAG aus dem Empfänger aufklang: „Eben hat uns ein Kanonenboot der Fünfzehnten Flotte erreicht. Das Flaggschiff der Flotte, die BUNKER HILL, hat ein künstliches Wurmloch für den Kurier geöffnet. Admiral Broden berichtet von überlegenen Feindkräften, die bei Demios aufgetaucht sind. Die Flotte gibt das System auf und zieht sich nach Ixion zurück. Wir haben Order, zum Trägerverband der Deutschen aufzuschließen, und mit ihm ebenfalls Ixion anzufliegen. Die Kampfhandlungen sind bis zu unserem Rückzug auf ein Minimum zu reduzieren.“ Toll, fluchte Hawkes in Gedanken. Wenn es kommt, dann meistens knüppeldick. * * * Zur selben Zeit schoss Hagen Gronau einen der feindlichen Bomber ab, die dem Stealth-Jäger folgten und unbeirrbar Kurs auf die PERSHING hielten. „Erwischt!“, jubelte er und sah sich dabei bereits nach dem nächsten der durchgebrochenen Feinde um. „Bestätigt, Graufalke!“, stimmte Melanie Oberleitner über Funk zu. „Aber werde jetzt deswegen nicht größenwahnsinnig. Vermutlich war das wieder mal reiner Dusel!“ „Danke, für die netten Worte, das baut richtig auf“, erwiderte Gronau verstimmt. „Lass mich den Moment doch einfach mal genießen!“ „Der Moment ist vorbei!“ Melanie Oberleitner versuchte sich vorzustellen, welches Gesicht Hagen in diesem Moment zog, und ein Grinsen stahl sich, trotz des Ernstes der Lage, auf ihr Gesicht. Dabei gönnte sie ihm den Erfolg, doch sie hatte, während sie gemeinsam dienten, gelegentlich den Eindruck gewonnen, dass er manchmal zu einem gewissen Übermut neigte, und so konnte es nichts schaden, ihn hin und wieder zu erden, wenn er drohte abzuheben. Einen Augenblick später wirkte sie wieder so ernst und angespannt, wie zuvor. Noch immer war dieser Stealth-Jäger im Anflug auf die PERSHING, und bei der erschreckend guten Bewaffnung dieser Maschine konnte er bestimmt eine Menge Schaden anrichten. Selbst auf einem so großen Raumschiff, wie einem Schlachtkreuzer der LONDON-KLASSE. Einer der verbliebenen vier Bomber, die den neuen Jäger begleiteten, tauchte allmählich in Feuerreichweite auf, und er begann damit wilde Ausweichmanöver zu fliegen. Melanie befürchtete, dass dieser Bomber ihre Staffel dazu verleiten wollte, von seinen Kameraden abzulassen, doch da hatte er die Rechnung ohne sie gemacht. Über Funk wies sie die Piloten ihrer Staffel an: „Hagen, du hältst mit den Falken weiter auf den Jäger und seine Bomber zu, Andreas und ich werden uns um den Ausreißer kümmern!“ Ein kurzes Zögern entstand, bevor Hagen bestätigte. Die blonde Frau ahnte warum der Kamerad nicht augenblicklich bestätigt hatte und sie gab ein unwilliges brummen von sich. Dabei dachte sie: Dass ich Andreas mitnehme passt ihm nicht. Persönliche Gefühle haben bei einem Raumgefecht keinen Platz. Darüber werde ich noch einmal mit ihm reden müssen, wenn wir wieder an Bord der BISMARCK sind. Andreas Immanuel Kant formierte sich an ihrem rechten Flügel und gemeinsam nahmen sie die Verfolgung des einzelnen Bombers auf. Mit einer fast unmöglich engen Wende zog der Chig-Pilot seinen Bomber herum und jagte mit irrwitzigem Tempo auf die beiden Jäger zu. Melanie Oberleitner presste die Zähne aufeinander. Weniger erfahrene Piloten währen bei diesem tollkühnen Manöver vermutlich in Panik verfallen. Selbst sie spürte ein Gefühl in ihrer Magengegend, bei dem sie normalerweise mit Volldampf zur Toilette gerannt wäre. Doch unbeirrbar hielten sie und Kant Kurs und sie hörte ihren Kameraden über Funk grimmig sagen: „Friss Stahl!“ Beide HAMMERHEADS nahmen den Chig-Jäger mit Raketen und Bordgeschützen unter Feuer. Zwei Kilometer vor ihnen zerbarst die düsterrote Maschine und es verblieben ihnen nur Sekundenbruchteile um dem Vernichtungswerk auszuweichen. Ein hell schabendes Geräusch machte Melanie bewusst, wie knapp es diesmal gewesen war. Zum Glück hatte das Trümmerstück, das dieses Geräusch auf der Hülle erzeugt hatte, ihren Jäger nur gestreift. Sie und Kant schlugen bereits wieder den ursprünglichen Kurs ein, als der Funkverkehr deutlich zunahm. Durch die Scheibe ihres Cockpits konnten die beiden deutschen Piloten, trotz der gewaltigen Entfernung, auch den Grund dafür erkennen. Offensichtlich hatten es die übrigen Bomber und der Jäger der Chigs geschafft, bis zur PERSHING vorzudringen. Von dem Schlachtkreuzer gingen mehrere grelle Explosionen aus, für Waffenfeuer viel zu hell. Erst nach einem Moment hörten Oberleitner und Kant heraus, dass zwei der drei Feindbomber einen Kamikaze-Einsatz geflogen hatten, und sowohl in die Brücke als auch in den Antriebssektor eingeschlagen waren. Der verbleibende Stealth-Jäger hatte dem terranischen Großkampfschiff noch verheerende Schäden beibringen können, bevor er, von Hagen Gronau, gestellt und vernichtet worden war. Melanie Oberleitner gab ihrem Flügelmann den Befehl sich vom amerikanischen Schlachtkreuzer fernzuhalten. Gleichzeitig bremste sie selbst ihren Jäger ab und zwang ihn auf einen anderen Kurs, gerade in dem Moment, als die PERSHING in einer Energieorgie zerrissen wurde. Geblendet wandte sie den Kopf zur Seite und hauchte: „Oh, mein Gott.“ Dabei fragte sie sich, was sich momentan bei der BISMARCK abspielen mochte. * * * Carina Lerach stand mit geradezu unnatürlicher Ruhe im Kommandozentrum der BISMARCK, als die Meldung von der Vernichtung der PERSHING einlief. Die Vernichtung dieses Kreuzers war eine Katastrophe, doch im Moment durfte sie sich nicht von dieser Hiobsbotschaft ablenken lassen. Vor dem Träger und den beiden Geleitschiffen, über die sie den Oberbefehl inne hatte, geriet einer der Chig-Träger in Schussweite. Obwohl sich ihr ein Gefühl von Rache aufdrängte, gab sie ihm nicht nach. Nichts war, während einer Raumschlacht, so gefährlich wie überbordende Emotionen. Auf den Bildschirmen beobachtete die Befehlshaberin des deutschen Verbandes, wie die beiden markanten 900-Megawatt-Laser der BLÜCHER, die an breiten Pylonen am Bug des Schlachtkreuzers montiert waren, zu feuern begannen. Gleich darauf setzten die Frontgeschütze und die Raketenwerfer der ARCONA mit ein. Die grellen, turmdicken Laserstrahlen der BLÜCHER trafen den hohen, schlanken Träger der Chigs mittschiffs. Knapp daneben schlugen die Raketen und Plasmaschüsse der ARCONA in die bläulichen, dreieckigen Panzerplatten des feindlichen Trägers ein. Carina Lerach gab Oberst Kiesewetter ein Zeichen. Auf den Befehl des hageren Mannes, mit dem markant zerfurchten Gesicht, hin begannen die Geschütze des Trägers und die beiden Raketenwerfer ebenfalls damit auf den Träger der Chigs zu feuern. Wie immer, wenn Kiesewetter anwesend war, bemerkte man den ruhigen, schwarzhaarigen Mann, mit den manchmal seltsam starr wirkenden, eisgrauen Augen, kaum. Nach der sechsten Rakete der BISMARCK schien sich die Hülle des Chig-Trägers plötzlich zu verformen und nach Außen zu wölben. Mehrere Folgeexplosionen blendeten Carina Lerach und einen Moment später wirbelten große Teile des Feindträgers davon. Weitere Explosionen zerrissen den Rest des gewaltigen Schiffes. Fast in demselben Moment lief von der SARATOGA der Rückzugsbefehl ein. Carina Lerach hob während der Meldung lediglich etwas ihre Augenbrauen, wechselte dabei einen vielsagenden Blick mit Oberst Kiesewetter und gab direkt nach dem Ende der Nachricht den Befehl an ihren Verband, den Rendezvous anzusteuern, den der Commodore des amerikanischen Trägers ihr genannt hatte. Obwohl es ihr gar nicht passte, den zweiten Träger nicht auch noch in die Mangel nehmen zu können. Dann jedoch überflog sie die Schadensmeldungen der BLÜCHER und der ARCONA und ihr wurde klar, dass der Ausgang eines weiteren Gefechtes mit einem dieser kampfstarken Chig-Träger ziemlich ungewiss sein würde. Deshalb klang ihre Stimme auch weniger rau, als noch zuvor, als sie gleichfalls den Befehl an die Stellvertretende Geschwaderleiterin der Jäger gab, sich schnellstmöglich vom Feind zu lösen und auf der BISMARCK zu landen. Es dauerte kaum fünfzehn Minuten, bis der letzte terranische Jäger gelandet war, und der zusammengewürfelte Verband eine Formation eingenommen hatte, nach deren Einnahme die SARATOGA den Wurmlochgenerator aktivieren konnte, um dem gesamten Verband eine sichere Passage nach Ixion zu gewähren. Der Wurmlochdurchgang dauerte kaum eine halbe Minute. Dann befand sich der gemischte Kampfverband, gut zehn Million Kilometer, oder auch 10 MSK, vom Planet Ixion entfernt. Der Planet wurde von den Terranern gegenwärtig als vorgeschobener, stark befestigter Flottenstützpunkt genutzt. Neben der BUNKER HILL und dem Rest der 15. Flotte befanden nun zwei weitere Träger und deren Geleitschiffe vor Ort – eine beachtliche Streitmacht, die die Wichtigkeit dieses Systems, im Krieg gegen die Chigs, unterstrich. Ixion musste um jeden Preis gehalten werden. Darum war bereits weitere Verstärkung zu diesem Sonnensystem unterwegs, wie Carina Lerach mittlerweile erfahren hatte. Nun, demnächst würde wohl Admiral Broden zu einer Zusammenkunft der anwesenden Kommandeure bitten. Doch zuvor, so nahm sich Lerach vor, würde sie die Zeit nutzen, um sich etwas auszuruhen. Außerdem war ihre Uniform durchgeschwitzt, und so würde eine Dusche eine willkommene Abwechslung bedeuten. Vorerst befand sich ihr Verband, zum ersten Mal seit zwei Wochen, in relativer Sicherheit. Brigadegeneral Lerach übergab das Kommando über den Verband an Oberst Gernot Kiesewetter, wobei sie einmal mehr überlegte, dass es wohl keinen Menschen in diesem Universum gab, der mehr Falten im Gesicht trug, als er. Eine Falte für jede Sorge die ihn umtrieb, hieß es auf der BISMARCK. Sie hatte bereits sehr oft das Schicksal des gesamten Verbandes in seine Hände gelegt, und stets hatte sich der ruhige, geradezu wortkarge Mann als verlässlich erwiesen. Eine Eigenschaft, die vor allen anderen schätzte. Ein letztes Mal ließ sie ihren Blick über die Anwesenden schweifen, bevor sie sich endlich, langsam und sehr nachdenklich, auf den Weg zu ihrem Quartier machte. Kapitel 4: Kameradschaft ------------------------ Das Schlimmste daran, beinahe zu sterben, war jedesmal das Erwachen danach. Als Shane Vansen ihre Augen öffnete, da fühlte sie sich zwar ausgeruht, aber immer noch so, als habe man sie bei vollem Bewusstsein durch den Wolf gedreht. Außerdem spürte sie einen unangenehmen Druck im Kopf, und sie vermutete, dass ihr Erwachen ohne schmerzlindernde Mittel geradezu ein Albtraum gewesen wäre. Mit dem Erwachen kehrten gleichzeitig die Erinnerungen an die letzten Ereignisse zurück, und sorgenvoll wandte sie ihren Kopf zur Seite. Sie entdeckte, im Bett neben sich, Vanessa Damphousse. Am leichten heben und senken ihres Körpers erkannte Vansen, dass die Freundin noch lebte, und sie atmete erleichtert auf. Sie hatten es also beide geschafft, diesem lebensfeindlichen Planeten und den Chigs zu entkommen. Bei diesem Gedanken empfand sie Dankbarkeit gegenüber ihren unbekannten Rettern. Sie stellte die Vermutung an, dass es sich bei dem Landekommando, so wie bei den Piloten der Jäger, die sie auf der Planetenoberfläche deckten, ebenfalls um Deutsche gehandelt hatte. Vielleicht konnte sie sich später bei ihnen bedanken. Im Moment spürte sie nur eine tiefe Erleichterung darüber, noch am Leben zu sein. Das war nicht immer so gewesen. Es hatte, während der letzten Jahre, immer wieder Momente gegeben, in denen sie geglaubt hatte keine Kraft zum Leben mehr zu haben. Lange Zeit hatte sie, nach der Ermordung ihrer Eltern durch einen Trupp Silikanten, ein quälender Albtraum verfolgt. Ein Albtraum, der in unzähligen Varianten immer wiedergekehrt war. Irgendwann, während der letzten sechs Monate, waren diese Albträume weniger geworden bis sie schließlich ganz aufgehört hatten. Möglicherweise lag das an ihrer Nichte Marion. Ihre Schwester, Ann, hatte sie nach ihrer Mutter genannt. Seit die kleine Marion auf der Welt war spürte sie eine besondere Verpflichtung, alles daran zu setzen damit die Terraner nicht gegen die Chigs unterlagen, in diesem Krieg. Damit Marion ohne all die Sorgen und Albträume, die sie selbst verfolgt hatten, in Frieden aufwachsen konnte. Shane Vansen seufzte schwach und schloss für einen Moment lang die Augen. Als sie sich nach einer Weile erneut im Zimmer umsah, da erkannte sie geringfügige Unterschiede zu der Krankenstation der SARATOGA, auf der sie leider auch schon mal gelegen hatte. An einer der Wände hing ein gerahmter Spruch. Ein Vierzeiler, den sie nicht entziffern konnte, da sie diese Sprache nicht beherrschte. Obwohl die einzelnen Nationen der Erde nicht mehr länger gegeneinander, sondern in diesem harten Krieg miteinander kämpften gab es immer noch diese Unterschiede, die die Menschen der Erde noch voneinander trennten. Auch diese Unterschiede würden irgendwann verschwinden, doch das würde vermutlich noch viele Generationen dauern. Aber die ersten Schritte dahin waren gemacht. Bevor Vansen diesen Gedanken vertiefen konnte öffnete sich die Zimmertür und drei Frauen, in Begleitung eines Arztes, traten ein. Zumindest vermutete Vansen, dass es sich bei dem Mann im weißen Kittel um einen Arzt handelte. Die drei Frauen waren uniformiert, wobei jede von ihnen eine andere Art von Uniform trug. Es stand schnell fest für Vansen, dass die hochgewachsene Frau, die in der dunkelblauen Uniform gekleidet war, die ranghöchste von ihnen war. Sie wirkte gleichfalls älter als ihre Begleiterinnen. Mit einem angedeuteten Lächeln trat die Frau an das Fußende des Krankenbettes und sagte, in hart akzentuiertem Englisch: „Ich bin Brigadegeneral Carina Lerach, die Kommandeurin dieses Trägers, der BISMARCK, und seiner beiden Geleitschiffe. Ich begrüße Sie und Ihre Kameradin herzlich an Bord und ich bin froh, dass wir rechtzeitig vor Ort waren um Sie beide zu retten. Im Wesentlichen haben Sie das Major Strogoff zu verdanken, die hier zu meiner Rechten steht. Zu meiner Linken sehen Sie Hauptmann Melanie Oberleitner. Ein Pilot ihrer Staffel war es, der Ihren Notruf empfing.“ Vansen warf den beiden jüngeren Frauen einige Blicke zu, bevor sie sich wieder auf den General konzentrierte. Vansen kannte sich mit den Rangsystemen der verbündeten Truppenteile einigermaßen aus. So wusste sie, dass der Rang der Frau, die mit ihr sprach, dem eines Commodore der NAVY entsprach. „Mein Verband befindet sich, wie auch die Fünfzehnte Flotte, momentan bei Ixion“, fuhr Carina Lerach fort. „Wenn der Arzt an meiner Seite bestätigt, dass Sie und Ihre Kameradin transportfähig sind, dann werden Sie an Bord der SARATOGA gebracht. Bis dahin wünsche ich Ihnen beiden eine schnelle Genesung, und dass Sie sich wohl fühlen, an Bord der BISMARCK. Die Fragen, die Sie sicherlich beschäftigen, werden Major Strogoff und Hauptmann Oberleitner beantworten, nachdem der Arzt Sie untersucht hat.“ Damit traten die drei Frauen in den Hintergrund, während der Arzt nun mit seiner Untersuchung begann. Während dieser Tätigkeit erwachte auch Vanessa Damphousse. Die beiden Pilotinnen ließen die Untersuchung geduldig über sich ergehen. Schließlich wandte sich der Arzt zu Carina Lerach um und meldete ihr: „Dafür, dass beide Frauen extrem dehydriert waren, bin ich mit ihrem jetzigen Zustand hoch zufrieden. Beide besitzen eine robuste Konstitution und befinden sich auf einem guten Weg der Besserung. In vierundzwanzig Stunden werden wir sie zur SARATOGA bringen können; solange möchte ich beide noch hier behalten, General.“ Da der Arzt auf Deutsch gesprochen hatte bekamen Vansen und Damphousse nicht mit worum es ging, und fragend sahen sie zu Carina Lerach. Die Kommandeurin sah beide Frauen an und erklärte: „Der Chefarzt ist zuversichtlich, dass wir Sie, in vierundzwanzig Stunden, zur SARATOGA verlegen können. Ich werde Ihren Kommandeur von Ihrer morgigen Verlegung unterrichten. Sie entschuldigen mich nun, meine Damen, aber die Pflicht kennt kein Erbarmen, wie es so schön heißt.“ Damit wandte sich Brigadegeneral Lerach ab und verließ, gemeinsam mit dem Arzt, den Raum. Dafür traten nun die beiden anderen Frauen vor. Shane Vansen und Vanessa Damphousse erkannten, dass eine von ihnen einen Fliegeroverall trug, während die kleiner gewachsene Frau einen Kampfanzug mit einem feinen Tarnmuster an hatte. Diese kleiner gewachsene Frau deren Narbe im Gesicht auffiel, war es auch, die nun zu ihnen sprach. „Ich bin Major Ernestyna Strogoff. Die Männer und Frauen meines Teams haben Sie beide von dem Planeten geholt und zur BISMARCK gebracht. Ich bin froh, dass wir Sie lebend zurückbringen konnten.“ Shane Vansen nickte schwach. „Ich danke Ihnen und Ihren Leuten, Major. Ich fürchte nur, dass Vanessa… ich meine, dass Lieutenant Damphousse und ich davon nichts mitbekommen haben. War vielleicht nicht das Schlechteste.“ „Ja, diesmal hatten die Chigs uns ganz schön am Kanthaken.“ Ernestyna Strogoff bemerkte die verständnislosen Blicke der beiden Pilotinnen und beeilte sich zu erklären: „Ich meinte, dass die uns ziemlich eingeheizt haben. Zum Glück hatten wir eine gute Luftdeckung, durch die Grauen Falken. Hauptmann Melanie Oberleitner ist die Staffelführerin der Grauen Falken.“ In Vansens Gesicht arbeitete es. Dann sagte sie verstehend: „Die Grauen Falken sind doch identisch mit der siebenundvierzigste Staffel, nicht wahr? Von dieser Einheit habe ich eine Menge gehört, während des Krieges. Diese Staffel genießt einen ähnlich legendären Ruf, wie seinerzeit die Angry Angels – vor deren Vernichtung.“ Ein schiefes Grinsen überflog das hübsche Gesicht der hochgewachsenen, deutschen Jagdpilotin, bevor sie erwiderte: „Bitte warten Sie noch damit, es als Heldenepos zu verfassen, Captain Vansen. Zumindest, bis nach dem Krieg.“ Vansen hob fragend ihre Augenbrauen und beobachtete, wie sich Strogoff und Melanie Oberleitner kurz auf Deutsch unterhielten. Eine irgendwie harte Sprache, bei der man den Eindruck gewann, die Beteiligten würden sich gegenseitig beschimpfen. Schließlich nickte Strogoff, und die Staffelführerin der Grauen Falken ergriff wieder das Wort. „Falls sie sich über meinen ernsten Tonfall eben gewundert haben. Das liegt daran, dass unser momentan gemischter Verband aus einem heftigen Kampf kam, bevor Sie beide wieder zu sich kamen. Die Chigs haben uns von Demios vertrieben. An Bord ihrer Träger hatten sie jeweils einen Stealth-Jäger. Offensichtlich handelte es sich dabei um jenen Typ von Jäger, der uns vor einem halben Jahr einigen Kummer gemacht hat. Einer von denen hat einen Kamikaze-Einsatz gegen einen Ihrer Schlachtkreuzer durchgeführt. Wir konnten nicht verhindern, dass die PERSHING vernichtet wurde. Das Oberkommando rechnet damit, dass die Chigs in der nächsten Zeit noch mehr dieser Jäger zum Einsatz bringen wird.“ Auf den Gesichtern von Vansen und Damphousse lag gleichermaßen ein Zug von Entsetzen, bei den Worten der deutschen Jagdpilotin. Wenn ich richtig informiert wurde, dann sind Sie beide seinerzeit einen Einsatz gegen diesen Stealth-Jäger geflogen.“ Vansen nickte, während Damphousse es dabei beließ die Lippen aufeinander zu pressen. Beiden war der Einsatz noch in unguter Erinnerung. Ernestyna Strogoff mischte sich ein und meinte: „Wir lassen Sie beide jetzt erst einmal wieder in Ruhe. Sie müssen sich ausruhen. In ein paar Stunden wird meine Kameradin sie erneut aufsuchen und Sie auf den aktuellen Stand der Dinge bringen.“ Die beiden Besucherinnen verabschiedeten sich und gingen. Währenddessen ließen die beiden amerikanischen Pilotinnen die Informationen auf sich wirken, die sie von Hauptmann Oberleitner bekommen hatten. Wenn die Chigs wirklich in der Lage sein sollten, diese neuen Stealth-Jäger in Massen zu produzieren, dann konnte sich das Kräfteverhältnis in diesem Krieg extrem zugunsten der Chigs verschieben. Keine der beiden entkräfteten Frauen sagte etwas, nur Vansen gab nach einer Weile ein leises Seufzen von sich. Als Vanessa bereits wieder eingeschlafen war, flüsterte sie unhörbar: „Na, das kann ja heiter werden.“ * * * „Warum fällt dir eigentlich eigentlich nie jemand anderes ein, wenn es um solche Langweiler-Aufträge, wie diesen Krankentransport, geht, Oberleitnerin?“ Hagen Gronau stand im Hangar der BISMARCK vor seinem Cockpit und sah grimmig abwartend in das Gesicht seiner Staffelkameradin. Ein spöttischer Zug lag auf dem Gesicht der blonden Frau, als sie erwiderte: „Willst du mir schon wieder den Tag vermiesen, Freund Hagen?“ Entrüstet stemmte Gronau seine Fäuste in die Hüften. „Wann habe ich dir denn jemals den Tag vermiest, Oberleitnerin?“ „Na, du bist doch aan Preiß - und du bist heute Morgen aufgestanden, oder etwa nicht?“, konterte Melanie Oberleitner trocken und amüsierte sich über den Gesichtsausdruck ihres Kameraden. „Na, klasse“, knurrte Hagen Gronau, gespielt finster. „Jetzt weiß ich Bescheid.“ Melanie zwinkerte ihm spitzbübisch zu, bevor sie ernst wurde und meinte: „Du warst dran, das ist Alles. Also keine langen Diskussionen und ab in dein Cockpit.“ „Jawohl, Frau Hauptmann“, gab Gronau übertrieben zackig zurück, folgte aber schnell der Anweisung seiner Kameradin und kletterte in das Cockpit seiner Jagdmaschine, als sich die Miene der Blondine verfinsterte. Hauptmann Oberleitner sah ihm sinnend nach, bevor sie sich abwandte um ihr eigenes Cockpit aufzusuchen und hinein zu klettern. Ein junger Hangar-Techniker kam hinzu und reichte ihr den Helm. Er half ebenfalls dabei, ihn zu schließen und hob dann seinen Daumen. Melanie Oberleitner erwiderte die Geste, nahm Kontakt mit dem Kommandozentrum auf und gab durch, dass sie alle Checks vorgenommen hatte. Nachdem auch Hagen seine Kontrollen abgeschlossen hatte, gab sie Startbereitschaft durch. Sie sah zur Seite. Die Frauen und Männer der Hangar-Crew verließen eilig das Hangardeck und kaum dass der Bereich abgeschottet, und die Atmosphäre abgesaugt worden war, entriegelten sich die Andockklammern der beiden Cockpits. Beide Cockpits glitten in die Klammern der Kupplungs-Automatik und wurden von dieser in die Jäger eingekoppelt. Die Staffelführerin der Grauen Falken spürte auch diesmal den typischen leichten Ruck, wenn das Cockpit automatisch in der Halterung des Jägers einrastete und die Verbindung mit den Steuerleitungen der Jagdmaschine hergestellt wurde. Einen Moment später waren die Andockklammern bereits wieder eingefahren, und die breiten Hangartore fuhren nach oben und unten in die abgeschrägte Panzerhülle des Trägers ein. Durch die entstandene Öffnung erkannte Melanie Oberleitner die samtene Schwärze des Weltalls mit seinen Myriaden von Sternen. Im nächsten Moment wurde der Jäger ins Weltall katapultiert und die Frau aktivierte die Triebwerke des Jägers. Zu ihrer Rechten tauchte die Maschine ihres Staffelkameraden auf und formierte sich etwas nach Hinten versetzt. Ohne ein gesondertes Kommando an Hagen zu geben steuerte sie ihren Jäger zur flachen Oberseite der BISMARCK, nach Backbord. Dorthin, wo sich die Hangars für die größeren Beiboote des Trägers befanden. Der Truppentransporter stand bereits auf der herauf gefahrenen Hebeplattform des großen Innenhangars. Offensichtlich hatten die Piloten des Transporters nur auf ihr Erscheinen gewartet, denn kaum waren sie auf Höhe des Hangars, da hob er ab und nahm Fahrt auf. Ihr gemeinsames Ziel war die SARATOGA, die momentan an einer anderen Stelle der Umlaufbahn von Ixion kreuzte. Oberleitner und Gronau formierten sich zu beiden Seiten des Transporters und die Staffelführerin der Grauen Falken nahm Funkverbindung zum Transporter auf: „Krankentransport Null-Zwei – hier Silberfalke. Wir haben uns formiert und geleiten Sie zur SARATOGA. Geplante Ankunft in zehn Minuten und dreißig Sekunden. Ende.“ „Hier Krankentransport Null-Zwei: Danke, Silberfalke. Ende und Aus.“ Der Flug verlief ohne Probleme und nach exakt der von Melanie Oberleitner angegebenen Zeitspanne tauchte die SARATOGA vor der kleinen Formation auf. Obwohl dieser Träger annähernd baugleich war, mit der BISMARCK erkannte die Frau dennoch gleich die Unterschiede zu ihrem Mutterschiff. Im Gegensatz zu diesem Träger besaß die BISMARCK zwei Geschütztürme mit insgesamt vier 350-Megawatt-Laserkanonen mehr. Eine Tatsache, die darin begründet lag, dass die BISMARCK zum Projekt-2900 gehörte, und nicht, wie die SARATOGA und alle anderen amerikanischen Träger, zum etwas betagteren Projekt-2800, des AEROTECH-Trusts, der diese Trägerschlachtschiffe produzierte. Als Anführerin der Formation nahm Melanie Oberleitner Kontakt zur SARATOGA auf und meldete ihre Ankunft. Während der Pilot des Transporters wusste, wo sein Landeziel lag, warteten die beiden deutschen Jagdpiloten einen Moment lang, bevor der Landeleitstrahl der SARATOGA aktiviert wurde, und die beiden Maschinen, über die Anzeige ihrer HUD´s, zu einem freien Jägerhangar leitete. Noch während die beiden Jagdmaschinen ihren Landeanflug einleiteten öffnete sich bereits eins der Hangarschotts auf der Steuerbord-Seite des Trägers. Der Einflug und das anschließende Auskoppeln der Jägercockpits funktionierte so reibungslos, wie auf der BISMARCK und als die beiden Cockpits auf dem Hangardeck der SARATOGA einkoppelten, da war beiden Piloten zunächst nicht so, als seien sie nicht auf ihrem eigenen Träger gelandet. Das änderte sich schnell, als sich nach dem erfolgtem Druckausgleich die Cockpits öffneten und die Hangar-Crew herein strömte. Hier fanden die Gespräche der Hangar-Crew, anders als auf der BISMARCK, auf Englisch statt. Zwei der Techniker nahmen ihnen die Helme und das Fluggeschirr ab, und halfen ihnen anschließend beim Aussteigen aus ihren Cockpits. Nachdem sich Melanie Oberleitner bedankt hatte, trat sie zu Hagen und sah sich um. Dabei fiel ihr ein etwas älterer Afroamerikaner auf, der direkt auf sie zu hielt. Sie entdeckte den Stern am Kragen seiner beigefarbenen Uniform und realisierte, dass es sich um den Commodore selbst handelte. Unauffällig stupste sie ihren Kamerad an und raunte: „Wow, der Alte persönlich will uns begrüßen.“ Einen Moment später hatte der Mann, dessen harter Blick den beiden Piloten sofort auffiel, sie beide erreicht. Melanie Oberleitner wusste, dass die Grußregel an Bord der amerikanischen Kriegsschiffe etwas anders gehandhabt wurde, und nachdem sie Haltung angenommen hatte, grüßte sie vorbildlich. Hagen Gronau folgte ihrem Beispiel, während sie meldete: „Hauptmann Melanie Oberleitner und Oberleutnant Hagen Gronau bitten darum, an Bord kommen zu dürfen, Commodore.“ Der Flaggoffizier erwiderte den Gruß und sagte: „Erlaubnis erteilt. Ich bin Commodore Ross und ich begrüße Sie beide herzlich an Bord der SARATOGA. Ihre Kommandeurin berichtete mir, dass Sie beide es waren, die zwei der drei so überraschend aufgetauchten Stealth-Jäger der Chigs abgeschossen haben.“ Melanie Oberleitners Miene wurde übergangslos ernst. „Ja, Commodore. Aber wir konnten leider nicht verhindern, dass die PERSHING vernichtet wurde.“ „Das ist nicht Ihnen anzulasten“, wehrte Ross ab. „Ich bin mir sicher, dass Sie Ihr Bestes gegeben haben, Hauptmann Oberleitner. Ich möchte Sie und Ihren Begleiter noch darüber informieren, dass Sie bis morgen Früh an Bord der SARATOGA bleiben werden, da sich dieser Träger gerade auf dem Weg zur anderen Seite der Umlaufbahn von Ixion befindet. Dorthin, wo der Planet steht. Dort nehmen wir Nachschub auf. Die BISMARCK wird uns dort erst morgen eingeholt haben. Ihre Kommandeurin ist informiert und einverstanden. In der Backbord-Messe werden Sie in etwa einer halben Stunde auf Captain Cooper Hawkes treffen. Momentan begrüßt er seine beiden Kameradinnen, die von Ihrer Einheit gerettet worden sind. Er wird Ihnen zeigen, welches der Gästequartiere Sie benutzen können. Sie beide entschuldigen mich nun.“ „Natürlich, Sir!“ Der Commodore nickte ihnen nochmal zu und entfernte sich. Hagen Gronau sah ihm hinterher und meinte dann: „Okay, dann auf zur Messe, würde ich vorschlagen.“ Melanie Oberleitner erwiderte seinen fragenden Blick. „Du sagst es.“ Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. * * * Nach etwas mehr als einer halben Stunde betraten zwei Marines-Piloten die Backbord-Messe der SARATOGA und sahen sich für einen Moment suchend um. Melanie Oberleitner fielen sie in der nur spärlich besuchten Messe auf, und sie gab Hagen Gronau ein Zeichen. „Du, einer dieser Beiden, die gerade hereingekommen sind, könnte vielleicht dieser Captain Hawkes sein, von dem Commodore Ross vorhin geredet hat. Zumindest machen die Zwei den Eindruck, als würden sie wen suchen.“ Hagen Gronau sah über die Schulter zu den beiden Männern, die ebenfalls kurz miteinander sprachen und dann auf ihren Tisch zu steuerten. Melanie Oberleitner entdeckte auf der rechten Brustseite des etwas höher gewachsenen der beiden Captains den Namen Hawkes. Langsam erhob sie sich und schritt auf den Mann zu. Hagen Gronau erhob sich ebenfalls, blieb jedoch dort stehen. Er überließ das Reden in diesem Fall gerne seiner Staffelführerin. Melanie Oberleitner übernahm die Initiative indem sie Hawkes ansprach: „Guten Abend, Captain Hawkes, ich bin Hauptmann Melanie Oberleitner, und das hier neben mir ist mein Staffelkamerad, Oberleutnant Hagen Gronau. Ihr Commodore sagte, Sie würden sich um unsere Unterbringung kümmern.“ Cooper Hawkes musterte die Frau zunächst nur, ohne etwas zu sagen. Dann fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein, dass es unhöflich war, eine Frau so lange anzustarren, auch wenn sie so ausgesprochen hübsch war, wie diese deutsche Pilotin. Etwas verlegen erwiderte er: „Äh, ja. Ich bin Captain Cooper Hawkes, und das hier ist mein Kamerad, Nathan West.“ „Angenehm“, richtete West das Wort an die Frau und er wirkte irgendwie amüsiert, als er zuerst ihr und danach Hagen Gronau die Hand reichte. „Ich habe bereits Einiges von den Grauen Falken gehört, während des Krieges.“ „So, wie wir von den Wildcards“, erwiderte die Frau höflich distanziert. „Sie waren es wohl, die während der Schlacht bei Jupiter mit Musik in den Kampf flogen?“ Nathan West grinste jungenhaft. „Ja, aber das hat Coop hier zu verantworten.“ Hagen Gronau trat einen halben Schritt vor. „Und wer von Ihnen beiden hat es zu verantworten, dass Sie zwei Ihrer Kameradinnen, auf einem lebensfeindlichen Planeten, zurückgelassen haben? Ich dachte stets, das wäre bei den Marines unüblich.“ Wut glomm in den Augen von Cooper Hawkes auf und mit einem schnellen Schritt war er heran und legte seine Hand auf die Schulter des Deutschen. Bevor irgendeiner der drei Männer etwas unternehmen konnte, handelte Melanie Oberleitner bereits. Mit überraschend festem Griff ihrer linken Hand packte sie den linken Oberarm des In-Vitro und zerrte ihn halb herum. Cooper Hawkes sah noch zwei wütend funkelnde, blaue Augen und einen Schemen, der auf ihn zu kam. Im nächsten Moment glaubte er, etwas würde in seinem Gesicht explodieren. Mit einem Ächzen ging der hochgewachsene Mann rücklings zu Boden. West, der sich aus seiner Starre löste, wollte auf die Frau zu gehen, doch eine abwehrende Geste und ein warnender Blick ihrerseits hielten ihn davon ab. Gleichzeitig legte sie ihre linke Hand auf die Brust ihres Staffelkameraden und hielt ihn davon ab, sich Cooper Hawkes zu nähern. Dabei sagte sie ruhig, zu West gewandt: „Niemand fasst ungestraft einen Grauen Falken gegen seinen Willen an.“ Auf dem Boden berappelte sich Hawkes langsam. Er schüttelte seinen Kopf und ächzte dabei: „Mann, was für ein Hammer.“ Mehr belustigt, als ernsthaft sauer beugte sich Melanie Oberleitner zu ihm hinunter und reichte ihm ihre Hand. Dabei erklärte sie schmunzelnd: „Ich habe vor dem Krieg Kampfsport betrieben. Geht es Ihnen nicht gut, Captain Hawkes?“ Cooper Hawkes erfuhr in diesem Moment eine Art von Deja vú. Es war während der Ausbildung auf dem Mars gewesen. Damals war er mit West aneinander geraten, und nachdem West ihn niedergeschlagen hatte war es Mike „Pags“ Pagodin gewesen, der ihm seine Hand gereicht hatte. Er war der erste Mensch gewesen, den Hawkes als Freund angesehen hatte. Pags starb wenig später, durch die Waffe eines Chig. Gleichzeitig kochte in diesem Moment etwas von seinem früheren Misstrauen gegen alle normal geborenen Menschen, außerhalb seiner Einheit, wieder in ihm hoch. Darum zögerte Hawkes die Hand der Frau zu ergreifen und sagte stattdessen schroff: „Nur damit Sie Bescheid wissen, Miss Oberleitner. Ich bin ein Tank.“ Die Frau runzelte die Stirn, ohne ihre Hand zurück zu ziehen. „Ich finde, Sie sollten nicht ein derart menschenverachtendes Wort für sich verwenden, Captain Hawkes. Wir sind Fliegerkameraden, die gegen denselben Feind kämpfen.“ Mit diesen Worten reichte sie etwas weiter nach unten und forderte mit fester Stimme: „Und jetzt schwingen Sie gefälligst wieder Ihren Arsch nach oben.“ Erneut verdutzt ergriff Hawkes die Hand der Frau, die ihn mit erstaunlich großer Kraft nach oben zog. Die Frau zwinkerte ihm verschmitzt zu und erkundigte sich dann scheinheilig: „Alles noch dran, Captain Hawkes?“ „Ja, so ziemlich“, gab Hawkes knurrig zurück. „Eine Art haben Sie…“ „Nichts für Ungut, Captain Hawkes.“ Damit wandte sie sich zu West und meinte: „Wenn Sie und Ihr etwas knurriger Kamerad und Sie uns jetzt das Gästequartier zeigen würden, wären wir Ihnen sehr verbunden.“ Mit einem sanften Lächeln wandte sie sich zu Hawkes um. „Und damit Sie, Captain Hawkes, nicht länger so sauer in der Gegend herumlaufen lade ich Sie beide zu einem Drink im Casino der SARATOGA ein. Dieser Träger besitzt doch ein Casino?“ West grinste belustigt. „Natürlich besitzt die SARATOGA ein Casino. Folgen Sie beide mir.“ Dabei warf er Hawkes einen auffordernden Blick zu. Noch immer etwas brummig stapfte Cooper Hawkes an den beiden deutschen Piloten vorbei und ging ein paar Schritte voraus. Ein Blick von Melanie veranlasste Hagen Gronau zu dem In-Vitro aufzuschließen, während sie selbst sich an Nathan West wandte. „Sagen Sie, ist ihr Kamerad immer so düster drauf, oder hebt er sich das für ganz besondere Momente auf?“ West wies mit einer Geste nach vorne. „Coop ist schon in Ordnung, Hauptmann. Aber als In-Vitro lebt er erst seit sieben Jahren, und dementsprechend rudimentär sind seine sozialen Kompetenzen ausgebildet. Dasselbe gilt für seinen Umgang mit Frauen, da ihm fast vollständig jene Erfahrungen fehlen, die für Sie und mich selbstverständlich sind.“ „Ja, natürlich“, erwiderte die Frau nachdenklich. „Daran hatte ich nicht gedacht.“ Melanie Oberleitner bemerkte den bittenden Blick des Hageren und sie fügte rasch hinzu: „Ich verspreche Ihnen, dass ich dieses Thema, Ihrem Kameraden gegenüber, nicht weiter vertiefen werde.“ West nickte erleichtert. „Kommen Sie, ich bin neugierig darauf, zu erfahren, wie Sie und Ihre Kameraden, Shane und Vanessa von dem Planeten gerettet haben.“ * * * Die ersten Stunden im Casino verbrachten die vier Flieger an einem der Tische, wobei sich Melanie Oberleitner und Hagen Gronau dabei abwechselten zu berichten, wie sie auf Vansen und Damphousse aufmerksam geworden waren. Anschließend tauschten sie sich gegenseitig aus, wie sie die Raumschlacht erlebt hatten. Zwischenzeitlich hatte sich Hagen Gronau dabei für seine etwas provokante Bemerkung bei Hawkes und West entschuldigt, und sie waren, beim zweiten Bier das sie miteinander tranken, zum Du übergegangen. Der deutsche Oberleutnant nahm schließlich einen Schluck von seinem Bier und erklärte bezüglich der Rettungsaktion: „Dass wir überhaupt in dieses System einflogen, war reiner Zufall, und der Tatsache geschuldet, dass die BISMARCK ziemlich beschädigt wurde, während der Schlacht bei Ixion. Und nun sind wir wieder in diesem verdammten System.“ „Ja, im Krieg sollten Soldaten nicht allzu kritisch denken“, lachte West. „Denn sonst könnten sie am Ende noch auf die vollkommen irrsinnige Idee kommen, dass ihre Vorgesetzten absolut keinen Plan davon haben, was sie eigentlich tun. Ein Gedanke, der mir übrigens gar nicht gefällt.“ Hagen Gronau hob sein Glas und meinte: „Du bist ein Zyniker, Nathan.“ West grinste schief. „Ja, kann schon sein.“ Sie prosteten sich alle Vier zu und tranken ihr Glas aus. Dabei warf Melanie einen langen Blick zu dem Kicker-Tisch, der eben frei wurde. „Spielen wir eine Partie? Aber ich sage es lieber gleich, ich spiele grottenschlecht.“ Hawkes stimmte begeistert zu und Hagen Gronau wollte es ihm bereits nach tun, als ihn der Stiefel von West heftig gegen das Schienbein traf. Noch während der Deutsche West verständnislos ansah, erklärte dieser: „Ich kann dieses Spiel absolut nicht leiden, spielt ihr zwei Kicker-Fans lieber allein.“ Hagen wusste zwar immer noch nicht genau, worum es ging, doch er verzichtete ebenfalls. Erst als sich Melanie und Hawkes entfernten fragte er: „Was, zur Hölle, ist denn mit dir los, Nathan?“ West lachte unterdrückt: „Das fragst du nur, weil du Coop nie hast spielen sehen. Ich sage dir, das willst du nicht am eigenen Leib erleben. Kommst du mit zur Bar? Von da aus können wir uns das sich anbahnende Fiasko viel besser ansehen. Denn das wird es zweifellos wenn das, was Melanie eben über ihr Spiel sagte, stimmt.“ „Klingt geradezu erschreckend“, antwortete Hagen zustimmend und folgte West hinüber zur Bar. Cooper Hawkes, der von der Absage seines Kameraden etwas irritiert war, warf einen Blick über die Schulter, hinüber zu ihm und Gronau. Doch auch der hochgehobene Daumen des Freundes brachte für ihn kein Licht in dessen seltsames Verhalten. Nathan liebte das Kicker-Spiel, und nun behauptete er, dass er es nicht mochte. Sehr seltsam. Inzwischen hatte sich Melanie Oberleitner zur anderen Seite des Tisches begeben, dorthin von wo aus die Bälle ins Spiel befördert wurden. Sie deutete auf die Figuren, die aussahen wie Marines und Chigs, und meinte: „Um es mal mit deutlichen Worten zu sagen: Als Frau, die einer großen Fußballnation entspringt, finde ich das irgendwie schräg.“ Hawkes grinste breit. „Das ist Marines-Humor. Wirf lieber den Ball rein.“ Melanie griff sich eine der elf roten Kugeln und beförderte sie durch das Einwurfloch des Kickertisches. Im nächsten Moment konzentrierte sie sich auf das Spiel und sie versuchte, ebenso wie ihr Gegenüber, den Ball mit einer der Figuren zu treffen. Seelenruhig kullerte der Ball zwischen den Figuren hindurch, tickte an der gegenüber liegenden Bande an und rollte ein Stück zurück, bevor Melanie ihn schließlich, mit einer ihrer blauen Marines-Figuren erwischte. Der Ball prallte jedoch von einer der grauen Chig-Figuren ab und Cooper Hawkes drosch ihn in die entgegengesetzte Richtung. Mit etwa demselben Erfolg, wie zuvor die blonde Frau, ihm gegenüber. An der Bar wandte sich Hagen Gronau, erschüttert von dem Spiel, zu West. „Das ist schlimmer, als es deine Worte haben befürchten lassen.“ „Ich habe es dir prophezeit“, lachte West. „Und es wird eher schlimmer, als besser, darauf gebe ich dir mein Wort. Also tu dir das nicht länger an und verrate mir endlich, wie ihr diesen neuen Stealth-Jägern entkommen seid.“ Hagen Gronau nahm einen Schluck von seinem dritten Bier an diesem Abend und meinte: „Diese Jäger waren brandgefährlich, aber ich hatte den Eindruck, dass die Piloten wohl weniger intensiv an diesen neuen Jäger gewöhnt waren, als Chiggy von Richthofen. Versteh mich nicht falsch, die konnten was, aber als besonders herausragend hätte ich ihr fliegerisches Können nicht bezeichnet.“ „Vielleicht liegt es an der Art, wie sie mit ihren Raumschiffen in Verbindung stehen“, orakelte West in Gedanken. Hagen Gronau wurde hellhörig und erkundigte sich, plötzlich sehr aufmerksam: „Hey, wie meinst du das? In Verbindung stehen? Das hört sich seltsam an.“ West machte ein entschuldigendes Gesicht. „Ich hatte kurz vergessen, dass du nicht auf der SARATOGA stationiert bist. Nun, wir hatten mal einen ihrer Bomber hier an Bord, den wir als Trojanisches Pferd eingesetzt haben. Na ja, mit eher mäßigem Erfolg. Dabei haben wir herausgefunden, dass die Steuerung des Bombers biotechnischer Natur ist. Man hat dabei seine Arme in eine Art Körperöffnung geschoben um an die Kontrollorgane zu gelangen, wobei dem Wort hier eine ganz neue Bedeutung zukommt.“ „Hört sich ekelig an“, gab Gronau zurück und schüttelte sich. „Du meinst also, dass man diese Raumschiffe mehr intuitiv steuert, als es bei unseren Raumschiffen der Fall ist?“ West nickte. „Ja, es hatte den Anschein. Wenn das stimmt, dann hatten die Piloten der Stealth-Jäger, auf die wir kürzlich gestoßen sind, vielleicht keine so intensive Eingewöhnungszeit, wie Chiggy von Richthofen. Oder eine weniger lange.“ „Hm...“, machte Gronau. „Vielleicht sind wir nur deshalb auf lediglich drei dieser Jäger gestoßen. Vielleicht haben sie bereits sehr viel mehr und sie wollten herausfinden, ob die Piloten bereits dazu bereit sind, mit diesen Jägern ins Feld geschickt zu werden.“ „Mal den Teufel nicht an die Wand“, erwiderte West und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas. „Auf jeden Fall müssen sich unsere Ingenieure bald etwas einfallen lassen, damit wir mit diesen neuen Jägern mithalten können.“ Hagen hob zustimmend sein Glas, nahm einen Schluck und sah, so wie West, wieder hinüber zum Kickertisch. Dort nahm das Trauerspiel seinen Lauf. Mit seltsam anmutenden Verrenkungen flogen die Hände von Melanie Oberleitner und Hawkes zu den Griffen der Stangen, drehten hektisch daran und ließen sie wieder los. Dabei versuchten beide, den Weg des jeweils im Spiel befindlichen Balles zu folgen. Als Melanie ihr erstes Tor schoss riss sie die Arme in die Luft und lachte. Der Hinweis des In-Vitros, dass sie immer noch mit Vier zu Eins hinten lag, veranlasste sie dazu grimmig zu erwidern: „Jetzt beginnt die Aufholjagd!“ Es dauerte zwar eine halbe Ewigkeit, doch sie erzielte tatsächlich vier Tore hintereinander und wütend trat Hawkes gegen den Tisch. „Das letzte Tor war Abseits!“ Die Augen der blonden Frau weiteten sich. „Abseits? Der war gut!“ Wirf endlich den nächsten, verdammten Ball ein!“ „Da kommt er!“, lachte Melanie, mehr über die Reaktion ihres Gegenübers, als über das eigentliche Spiel. Dabei musste sie an die Worte von Nathan West denken. Im Moment verhielt sich Cooper Hawkes nämlich tatsächlich wie ein Siebenjähriger. Dieser Wechsel, von einem Erwachsenen, der jeden Tag lebensgefährliche Einsätze im Krieg absolvierte, hin zu einem großen, verärgerten Kind verwirrte sie. Hawkes nutzte ihre momentane Abwesenheit und schoss ein weiteres Tor. „Da hast du es. Ich liege in Führung und gewinne dieses Spiel!“ „Abwarten“, knurrte Melanie Oberleitner gespielt finster und warf den nächsten Ball ein, um den ein ebenso wilder Kampf entbrannte, wie um alle anderen zuvor. Mit einem Glücksschuss beförderte Melanie ihn von der Mitte aus, zwischen Freund und Feind hindurch, krachend in das Tor des Gegners. „Ha, Ausgleich!“, lachte die Blondine und hielt den letzten Ball hoch. „Jetzt geht es um die Wurst, Coop.“ „Wirf den Ball rein und achte darauf, wie ich den in deinem Tor versenke!“, konterte Hawkes giftig und sah Melanie herausfordernd an. „Träum weiter“, reizte die Frau ihn und gab den letzten Ball frei. Fast fünf Minuten lang kämpften beide verbissen um diesen letzten Ball, und zwei weibliche Marines, die nach ihnen spielen wollten sahen ihnen dabei ungeduldig zu. Hawkes erwischte den Ball mit einem satten Schuss einer seiner Figuren und der Ball flog blitzartig auf das Tor seiner Gegnerin zu, wobei er etwas vom Belag des Tisches abhob. Geistesgegenwärtig bewegte Melanie Oberleitner ihren Torwart an die richtige Stelle und erwischte den Ball im Flug. Die beiden weiblichen Marines duckten sich. Gerade rechtzeitig, damit ihnen der Ball, der nach schräg oben in den Raum jagte, nicht an den Kopf flog. Melanie riss den Kopf herum und verfolgte mit zusammengekniffenen Augenlidern, wie der Ball mit einem satten Plutsch in einem Bierglas der Anwesenden landete. „Autsch!“, entfuhr es ihr, und entschuldigend lächelnd rief sie den beiden Marines an dem Tisch zu: „Entschuldigung! Mein Fehler!“ Zögerlich begab sich Melanie Oberleitner zu dem Betroffenen um sich bei ihm nochmal zu entschuldigen. Dabei sagte sie: „Wenn Sie nichts dagegen haben, dann würde ich gerne den Ball zurück haben.“ Der Marine nahm grimmig sein Glas vom Tisch und goss den Inhalt, inklusive des Balls, in ihre ausgestreckte Hand. „Da!“ Melanie Oberleitner sah etwas ratlos auf den Ball in ihrer vom Bier nassen Hand. Dann schnitt sie dem Mann eine Grimasse und zischte: „Vielen Dank.“ Zurück am Kickertisch sah sie in die feixende Miene des In-Vitro. Mit einer schnellen Handbewegung warf sie ihm den Ball an den Kopf und meinte: „Das war zur Hälfte deine Schuld, also sollst du auch was davon haben.“ Für einen Augenblick sahen sie sich über den Tisch hinweg an. Dann entspannte sich ihre Haltung und fast gleichzeitig begannen sie schallend zu lachen. Eine der beiden weiblichen Marines unterbrach sie: „Spielen Sie beide noch?“ Melanie schüttelte den Kopf. „Nein, dieses Spiel endet unentschieden.“ Achtlos den nassen Ball auf dem Kickertisch liegen lassend umrundete sie den Tisch und Hawkes meinte auffordernd zu ihr: „Ich könnte jetzt selbst ein Bier vertragen.“ Auf dem Weg zur Bar erwiderte die Frau ironisch: „Nach diesem Katastrophenspiel brauche ich eher fünf.“ Hawkes sah Melanie Oberleitner etwas überrascht an, als sie ihn, etwas abseits ihrer Kameraden auf einen der Barhocker dirigierte. Dabei erklärte sie: „Hagen und Nathan unterhalten sich gerade großartig, wie es scheint. Da stören wir besser nicht.“ Hawkes nickte nur und setzte sich. Dabei musterte er Melanie aufmerksam. Als sie sich neben ihn gesetzt hatte, fragte er, mit einer umfassenden Geste: „Bist du auch auf deinem eigenen Trägerschiff so zugeknöpft?“ Melanie sah sich im Casino um und stellte fest, dass sie wirklich die Einzige war, die sich hier in tadellos sitzender Fliegermontur aufhielt, während der Rest relativ leger gekleidet war. Selbst Hagen war mittlerweile aus dem Oberteil seines Overalls geschlüpft und hatte die Ärmel vor dem Bauch verknotet. Den teils fragenden, teils herausfordernden, Blick des In-Vitros erwidernd, zog Melanie Oberleitner, aufreizend langsam, den Reißverschluss ihrer Montur immer tiefer, bis unter den Bauchnabel. Mit fließenden Bewegungen schälte sie sich aus den Ärmeln und verknotete sie schließlich, so wie Hagen, vor ihrem Bauch. Unter ihrem schwarzen, kurzärmligen T-Shirt malten sich, vor Cooper Hawkes Augen, die straffen Brüste der Frau ab. Mit einem angedeuteten Lächeln nahm sie ihre Hände hinter den Kopf und bog, für einige Augenblicke, den Rücken leicht durch. Irgendwo im Casino, in dem es verdächtig ruhig geworden war, zerschellte klirrend ein Glas am Boden, während die Deutsche ihre Hände wieder herunter nahm. Dabei fragte sie Hawkes, mit unschuldigem Augenaufschlag: „Ist es so besser, Coop?“ Hawkes schluckte und erwiderte kratzig: „Viel besser.“ Fragend beobachtete Melanie den In-Vitro und erkundigte sich schließlich amüsiert: „Also, was ist nun? Trinken wir ein Bier, oder was?“ „Äh… ja klar!“ Hawkes winkte die Ordonanz heran und bestellte für Melanie und sich zwei Bier, wobei ihm die Ordonanz verschwörerisch zu zwinkerte. Was nicht gerade dazu beitrug, seine momentane Aufgewühltheit einzudämmen. Nachdem sie ihr Bier bekommen hatten prosteten sie sich zu und nahmen beide einen tiefen Zug. Als sie die Gläser auf dem Tresen abstellten fragte Melanie, wobei sie ihr nackenlanges Haar mit einer anmutigen Kopfbewegung zurückwarf: „Hast du eigentlich eine feste Freundin, Coop, oder bist du noch zu haben?“ „Diese Frage brachte Hawkes erneut aus dem Konzept. Er nahm einen weiteren großen Schluck Bier und antwortete schließlich: „Ich hatte noch nie eine feste Freundin. Nun ja, da gab es eine Frau auf der BACCHUS-Station. Aber da ist nichts gelaufen. Der Dienst lässt auch nicht viel Zeit dazu, jemanden kennenzulernen.“ Melanie Oberleitner seufzte schwach. „Ja, das ist leider wahr.“ Hawkes sah sie bei diesen Worten überrascht an. „Du meinst, dass du ebenfalls Single bist? Eine so hübsche Frau, wie du?“ Ein verlegenes Lächeln überflog die Lippen der jungen Frau und mit einer sanften Geste legte sie kurz ihre Hand auf den Unterarm ihres Gegenübers. „Das war ein sehr nettes Kompliment, Coop. Na ja, Hagen hatte es, vor einiger Zeit, mal heftig erwischt, was mich betrifft, doch er ist nicht mein Typ.“ Hawkes, der die Anspielung nicht mitbekam, fragte neugierig: „Und welcher Typ Mann wäre dein Typ.“ Das sanfte Lächeln der Blondine vertiefte sich wobei ihre Hand am Arm ihres Gegenübers hinunter glitt, bis sie seine Hand berührte. Die Hand des Mannes fest drückend raunte sie ihm leise zu: „Reicht das, als Antwort?“ Langsam ging Hawkes ein Licht auf, auch wenn er es noch immer nicht glauben wollte. Darum erwiderte er: „Nein, ich fürchte das war nicht deutlich genug.“ Sich etwas zu ihm beugend raunte die junge Frau zurück: „Dann werde ich es dir etwas besser erklären, aber nicht hier, wenn du verstehst. Warte einen Moment, ich muss nur ein paar Worte mit Hagen wechseln.“ Cooper Hawkes beobachtete Melanie Oberleitner dabei, wie sie zu West und Gronau hinüber ging, etwas zu den beiden Männern sagte und Hagen Gronau schließlich einen derben Schlag auf die Schulter gab. Als sie zu ihm zurückkehrte sagte sie leise: „Hagen wird heute Nacht im Quartier der Wildcards übernachten. Wir sind also ungestört im Gästequartier.“ Sie reichte Hawkes ihre Hand. Wie in Trance ergriff der In-Vitro sie und folgte Melanie Oberleitner willig aus dem Casino. Kapitel 5: Erstkontakt ---------------------- Melanie Oberleitner verlor keine Zeit, nachdem sich die Tür hinter ihr und Hawkes geschlossen hatte. Darauf verzichtend Licht im Gästequartier zu machen schlang Melanie ihre Arme um Coopers Nacken und küsste ihn ganz sanft. Eingedenk der Worte von West, und der Tatsache, dass Hawkes noch Jungfrau zu sein schien, wollte sie ihn nicht emotional überfahren, sondern lieber behutsam vorgehen. Was ihr selbst entgegen kam, denn ihre letzte Beziehung zu einem Mann lag bereits Jahre zurück. Seitdem war in Sachen Männer rein gar nichts mehr gelaufen, weshalb ihr selbst das Herz bis zum Hals hinauf schlug als sie sich sanft an Cooper Hawkes drängte. Hawkes zögerte eine Weile, bevor er fast übervorsichtig seine Hände auf die Hüften der hochgewachsenen, schlanken Frau legte und sie nachdrücklich zu sich heran zog. Dabei erwiderte er ihren sanften Kuss. Nach einer Weile legte Melanie ihre Hände auf die des Mannes und führte die Rechte, ganz langsam an ihrem straffen Körper hinauf, bis sie auf ihrer linken Brust zu liegen kam. Die andere führte sie nach hinten auf ihren Po. Danach schmiegte sie sich eng an ihn, löste sich kurz von ihm und flüsterte: „Ich möchte, dass du mich ganz sachte streichelst und so sanft küsst, wie gerade eben, Coop.“ Sie küssten sich erneut. Melanie spürte wie sich ein Teil der anfänglichen Anspannung des In-Vitros verlor. Ganz vorsichtig schoben ihre Hände Coopers T-Shirt nach oben und ihre Hände erkundeten seinen sportlichen Körper. Als sich Hawkes endlich traute, seinerseits seine Hände unter ihrem T-Shirt auf Wanderschaft zu schicken, um schließlich ganz sacht ihre nackten Brüste zu berühren, da gab die junge Frau ein leises Gurren von sich. Melanie wusste nicht wie viel Zeit verstrichen war, bis sie sich dazu entschloss das Kommando zu übernehmen und Hawkes das T-Shirt auszuziehen. Ihr eigenes folgte rasch, und sich wieder an Cooper drängend schob sie ihn ganz behutsam in Richtung eines der beiden Betten dieses Gästequartiers. Beinahe automatisch, setzte sich Hawkes auf die Bettkante und entledigte sich seiner Stiefel und der Socken. Melanie tat es ihm nach und als sich Hawkes langsam rückwärts auf das Lager sinken ließ, kniete sie sich rittlings über ihn und begann damit, ihn weiter zu entkleiden. Danach entledigte sie sich selbst ihrer noch verbliebenen Kleidung und sank, beinahe in Zeitlupe, auf den Körper des kräftigen Mannes nieder. Ihre Hände auf seine Brust legend sah sie in der beinahe völligen Dunkelheit in sein, nur schemenhaft zu erkennendes, Gesicht und hauchte: „Es ist bei mir schon einige Jahre her, dass ich mit einem Mann zusammen war.“ Hawkes gab einen Laut der Überraschung von sich. „Das kann ich kaum glauben.“ „Ist aber so. Darum möchte ich, dass wir es ganz langsam angehen lassen.“ „Das ist kein Problem“, gab der In-Vitro rau zurück. Bis zu einem gewissen Grad war Melanie Oberleitner ganz froh darum, dass es in diesem Quartier so finster war. Es war viel einfacher für sie, mit Hawkes zu reden, da er nur als dunkler Umriss zu erkennen war, denn es nahm ihr viel von ihrer Unsicherheit. Sacht ihre Rechte auf die Wange des Mannes legend raunte sie ihm zu: „Coop, ich hatte bereits vorhin, als du mit Nathan in die Messe kamst, sofort dieses seltsame Gefühl von Verbundenheit gespürt. Etwas, das ich mir nicht erklären kann, und das den gesamten Abend über nicht verging, sondern eher intensiver wurde. Ich will dich, Cooper Hawkes. Das ist das Einzige, was ich gerade mit Sicherheit sagen kann.“ Damit küsste sie ihn wieder und ließ ihre Hände erneut auf Wanderschaft gehen. Es erregte sie immer stärker, das Spiel seiner Muskeln unter der straffen Haut zu spüren; seine Hände auf ihrem Körper zu spüren, die entlang ihrer Brüste an ihrem Körper entlang fuhren. Sie verursachten ein wohliges Spannen der Haut am seitlichen Ansatz ihrer Brüste. Eine kaum abzuschätzend lange Zeit verstrich, bis sie sich endlich vereinigten, als sie es beide kaum noch länger aushielten. Erst jetzt wurden die Küsse, zu denen sich ihre Lippen immer wieder fanden, leidenschaftlicher. Beide ließen ihren Gefühlen nun freien Lauf. Als sie endlich, fast gleichzeitig, Erfüllung fanden, da biss Melanie den Mann, denn sie fest umklammert in ihren Armen hielt, spürbar in die Schulter um dadurch zu verhindern, das halbe Trägerschiff in Aufruhr zu versetzen. Cooper Hawkes gab ein leises Stöhnen von sich, wobei unklar blieb, ob vor Erfüllung oder vor Schmerz, wegen des Bisses. Für eine Weile trafen sich ihre Lippen immer wieder zu kurzen und sehr heftigen Küssen, bevor Melanie ihren Kopf atemlos auf die breite Brust des Mannes sinken ließ. Für eine Weile schwieg sie, bevor sie in die Dunkelheit hinein flüsterte: „Das war wunderschön, Coop. Ich habe immer noch das Gefühl zu schweben.“ Der In-Vitro schwieg, doch seine Linke spielte dafür nervös mit einer Strähne ihrer langen Haare. Erst, als Melanie schon nicht mehr mit einer Erwiderung rechnete, sagte er leise: „So schön hatte ich mir das erste Mal nicht vorgestellt. Ich… Weißt du, ich hatte bisher eine ziemliche Angst davor. Weil ich doch absolut keine Erfahrung hatte.“ Melanie lachte leise. „Um es mit deinen Worten zu sagen: Das kann ich kaum glauben, Coop. Wenn du es mir nicht vorher gesagt hättest, dann wäre ich zumindest nicht darauf gekommen. Du bist ein Naturtalent, scheint mir.“ Sie schwiegen wieder eine Weile und gedehnt fragte Hawkes schließlich: „Und du hast wirklich keinen festen Freund?“ Melanie nahm den Kopf von der Schulter des Mannes und richtete sich halb auf. „Na, hör mal, was denkst du eigentlich von mir?“ Verlegenes Schweigen folgte und mit etwas weniger aufgeregtem Tonfall erklärte die junge Frau eindringlich: „Hör mal zu, Coop, so etwas würde ich niemals tun, okay?“ „Entschuldige. Bist du jetzt sauer?“ Melanie gab ihm einen leichten Nasenstüber und erwiderte ganz leise: „Nein, ich bin nicht sauer. Aber dass du mir nicht nochmal so eine blöde Frage stellst, klar?“ „Aye, Ma´am.“ „Versuch es bei mir lieber mit Jawohl, junge Frau“, lachte Melanie leise wobei sie dabei ins Deutsche wechselte. Cooper Hawkes versuchte es auszusprechen und unterdrückt kichernd meinte Melanie: „Das war ja gar nichts. Küss mich lieber.“ Hawkes kam der Aufforderung nur allzu bereit nach und schon bald begannen die beiden Offiziere erneut mit ihrem Liebesspiel. * * * Es war bereits früher Morgen, als Cooper Hawkes und Melanie Oberleitner, frisch geduscht und eng umschlungen auf dem Bett lagen und zärtlich miteinander kuschelten. Hawkes hatte das gedämmte, bläuliche Nachtlicht, über dem Bett, aktiviert und sah in das entspannte, hübsche Gesicht der blonden Frau in seinen Armen. In diesem Licht wirkten ihre Augen noch intensiver blau, als ohnehin schon. Noch immer schien ihm die Situation beinahe surreal, denn er fragte sich, was an ihm dieser hübschen Frau so sehr gefiel, dass sie mit ihm diese leidenschaftlichen Stunden verbracht hatte. Im nächsten Moment verbannte er diese Gedanken und genoss einfach den Moment. Irgendwann warf Melanie einem Blick zum Wandchronograph und stellte fest, dass es bereits auf 04:00 Uhr zu ging. Seufzend meinte sie: „Schlaf werde ich keinen mehr bekommen, denn in knapp einer halben Stunde bereits wird Hagen vor der Tür auftauchen, um mich abzuholen. Unser Rückflug ist für 04:30 Uhr festgesetzt. Doch weißt du was? Das war es absolut wert, Coop, denn diese Nacht werde ich bestimmt nicht vergessen.“ Sie küssten sich flüchtig und Hawkes gab rau zurück: „Was soll nun werden? Aus uns beiden, meine ich. Sind wir jetzt zusammen? Sehen wir uns wieder?“ „He, was sind das denn schon wieder für komische Fragen?“ Mit funkelnden Augen sah die junge Frau ihr Gegenüber an. „Das hier war nicht nur ein netter Zeitvertreib für mich, Coop. Ich wäre sehr gerne mit dir zusammen, wenn du das auch möchtest. Ich will dich auf jeden Fall wiedersehen, und wir werden uns wiedersehen, hast du verstanden?“ „Wirklich?“ Melanie näherte sich seinem Gesicht und küsste ihn sanft und ausdauernd. Als sie sich widerstrebend voneinander lösten flüsterte sie mit bestimmten Tonfall: „Wirklich, Coop.“ Für eine Weile sahen sie sich nur gegenseitig an, bevor Hawkes das Gesicht verzog und meinte: „Ich fürchte nur, dass unsere Vorgesetzten da auch noch ein Wörtchen mitzureden haben. Wer weiß, wohin die unsere Verbände verlegen werden.“ Melanie machte eine nachdenkliche Miene. „Ja, aber das wird mich nicht davon abhalten, mit dir in Verbindung zu bleiben. Und ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden werden, damit wir uns sehen können. Denn ich will mehr mit dir erleben, als nur diese eine Nacht, Coop. Ich will dich kennenlernen, und ich will, dass du auch mich kennenlernst.“ Cooper Hawkes lächelte gelöst. „Dasselbe will ich auch. Wenn ich daran denke, dass ich im Grunde nie zum Militär wollte. Dann hätte ich dich nie kennengelernt.“ „Ach!“, machte Melanie und sah Cooper erstaunt an. „Ich dachte, du hättest dich freiwillig zu den Marines gemeldet? So, wie Nathan und deine anderen Kameraden.“ Der In-Vitro wich dem fragenden Blick der Frau aus. „Nein, das war bei mir anders. Ein Richter hat mich vor die Wahl gestellt: Gefängnis oder mindestens ein Jahr beim Militär. Dabei hatte ich gar nichts getan. Drei brutale Verbrechertypen wollten mich aufhängen, nur weil ich ein In-Vitro bin und sie mich deswegen hassten. Einen von denen habe ich bis zu einem Polizeiwagen verfolgt, und ich habe aus Frust den Wagen, in den sich der Verbrecher rettete, dann ein bisschen demoliert. Ein bisschen sehr demoliert.“ Melanie, die fassungslos zugehört hatte, streichelte Coopers Wange. „Mein Gott, das ist ja furchtbar. Wurden diese drei Verbrecher wenigstens entsprechend verurteilt?“ „Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich verurteilt wurde.“ Für eine Weile blieb es still, bevor Melanie den Faden wieder aufnahm. „Ich habe einen solchen Hass, den du eben beschrieben hast, bisher nie erlebt. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass Deutschland, gemeinsam mit Frankreich und Spanien, im Jahr Zweitausendunddreißig ein Papier unterschrieben hat, das die Aufzucht von In-Vitros in diesen Ländern verbietet. Du bist der erste In-Vitro den ich persönlich kennengelernt habe, und ich habe absolut kein Verständnis für jegliche Art von Rassismus. Da haben wir, in den letzten einhundert Jahren, etwas dazu gelernt, in Europa. Na ja, von der politischen Entwicklung in Frankreich vielleicht mal abgesehen.“ Cooper Hawkes nickte und erinnerte sich dabei an Ereignisse, im letzten Jahr. Sie küssten sich und als sie einander wieder freigaben, da runzelte Melanie die Stirn und fragte: „Du sagtest, für mindestens ein Jahr. Heißt das, du hättest schon längst wieder das Militär verlassen können? Oder habe ich das falsch verstanden?“ Hawkes schluckte und erwiderte: „Ein entsprechendes Angebot ist mir zwischenzeitlich einmal gemacht worden. Vor etwa einem Jahr etwa musste ich mit einem höherrangigen Offizier zu einem Spezialauftrag aufbrechen. Das Ganze war ein besseres Himmelfahrtskommando. Zur Belohnung wollte er mir die vorzeitige, ehrenvolle Entlassung zukommen lassen. Ich war kurzzeitig versucht es anzunehmen, aber ich habe das Dokument am Ende lieber zerrissen. Weil...“ „Weil deine Kameraden inzwischen zu deiner Familie geworden waren? Einer Familie, die du nie hattest?“ Hawkes sah die Frau in seinen Armen an, wie ein Wundertier. „Ja, das trifft es.“ Melanie lachte nachsichtig bei seinem Blick. „Ich habe so etwas Ähnliches erlebt, als mein Vater, der ebenfalls beim Militär war, zu Beginn des Krieges gegen die Chigs von einem feindlichen Piloten abgeschossen wurde. Ich war am Boden zerstört. Zwar habe ich immer noch meine Mutter und meine jüngere Schwester, doch irgendwie wurden meine Kameraden, die sich in dieser Zeit besonders um mich gekümmert haben, zu einer Art zweiter Familie für mich. Mein CAG ist so eine Art großer Bruder für mich geworden – und Hagen… Nun ja, der ist eben dieser schreckliche kleine Bruder.“ „In dieser Rolle sieht mich Vansen ebenfalls, schätze ich.“ Cooper grinste schief und erklärte: „Shane Vansen, eine der beiden Frauen, die ihr gerettet habt, ist für mich wie eine große Schwester gewesen, in den letzten achtzehn Monaten. Eigentlich mehr. Eher Schwester und Mutter in einer Person. Ausgerechnet sie habe ich versucht zu küssen. Kurz nachdem wir uns kennenlernten. Klingt das schräg?“ „Was passierte bei dem Versuch?“ „Sie hat mir eine geknallt.“ Melanie lachte amüsiert. „Ich habe dir auch eine geknallt, aber sieh uns jetzt an. Wenn das nicht schräg ist, dann weiß ich auch nicht.“ Cooper machte eine zustimmende Geste. „Ich kann es immer noch nicht richtig fassen. Es scheint mir fast wie ein Traum, aus dem ich jeden Moment aufwachen könnte.“ „Ich werde dir beweisen, dass es kein Traum ist“, hauchte Melanie und küsste ihn im nächsten Moment, voller Leidenschaft. Nach einer Weile gab Melanie den In-Vitro frei und mutmaßte: „So, wie du Shane Vansen beschrieben hast, muss sie ein außergewöhnlicher Mensch sein. Wie war eigentlich euer Wiedersehen, hier an Bord?“ Cooper lächelte in Gedanken. „Sehr emotional. Dabei habe ich all diese Gefühle, zu Beginn unserer gemeinsamen Dienstzeit kaum richtig verstanden. Sie und Phousse, ich meine Vanessa, lebend wiederzusehen, das war überwältigend. Besonders nachdem West und ich fest geglaubt hatten, sie wären tot. Für ein paar Tage lang habe ich mich ebenfalls tot gefühlt, und als der Commodores uns in sein Quartier rief, und davon berichtete, dass sie von euch gerettet wurden, da konnte ich es zu Anfang kaum glauben.“ Hawkes sah Melanie bei seinen Worten voller Dankbarkeit an und er küsste sie liebevoll auf die Lippen. Als sie sich wieder trennten, schielte die Deutsche zur Uhr und seufzte: „Es wird Zeit, dass ich in meine Klamotten springe, Hagen wird jeden Moment hier aufschlagen.“ Nach einem letzten verlangenden Kuss erhob sich Melanie Oberleitner widerwillig aus dem Bett, suchte ihre Sachen zusammen und begann damit, sich anzuziehen. Hawkes beobachtete sie zunächst dabei, bevor er sich ebenfalls daran machte, sich anzukleiden. Als sie etwa gleichzeitig fertig geworden waren umarmten sie sich erneut. Einen Augenblick später pochte es heftig an die Tür. Melanie gab Hawkes einen letzten, schnellen Kuss und lachte verschmitzt. „Da ist er schon, der kleine, nervige Bruder. Wir werden uns ganz bestimmt wiedersehen, Coop.“ Damit löste sich die Frau aus Coopers Armen und schlüpfte schnell aus dem Quartier. Draußen auf dem Gang blickte sie in das wissend grinsende Gesicht ihre Kameraden. „Guten Morgen, Oberleitnerin. Wie war denn die Nacht? Du siehst irgendwie geliebt und übernächtigt zugleich aus.“ Mit verträumten Blick erwiderte Melanie: „Es war wunderschön. Weißt du, wir...“ Hagen Gronau verzog bereits bei den ersten Worten der Kameradin das Gesicht und unterbrach sie rüde: „Hör schon auf damit, das will ich gar nicht wissen!“ Etwas erstaunt sah die junge Frau ihren Staffelkameraden an, bevor sie ironisch zurückgab: „Oh, entschuldige, dass ich mit diesem Thema angefangen habe.“ Schweigend schritten sie nebeneinander durch die engen Gänge des Trägers. Erst als sie den Hangarbereich schon fast erreicht hatten sagte Hagen beschwichtigend: „Tut mir leid, ich gönne dir ja, dass du glücklich bist. Wirklich. Nur...“ „Ich weiß!“, schnitt Melanie Oberleitner den Teil seines Satzes ab, von dem sie wusste wie er gelautet hätte, und den sie nicht hören wollte. Sie schwiegen und jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach; war mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt. Erst als sie den Hangar betraten sah Hagen seine Kameradin entschuldigend an und überwand sich selbst, indem er sagte: „Ich wünsche dir, dass es klappt, Oberleitnerin.“ Damit wollte er sich zu seinem Cockpit begeben, doch Melanie hielt ihn zurück und funkelte ihn ernst an. „Hör mal zu, da ist noch etwas, über das ich mit dir zu reden habe. Gestern, auf der BISMARCK habe ich nicht mehr daran gedacht, und später hat sich die Gelegenheit nicht ergeben. Aber jetzt wird es Zeit.“ Die Frau zog ihren Kameraden etwas weg von den Technikern und als sie außer Hörweite waren zischte sie: „Im Gefecht zu zögern, einen meiner Befehle auszuführen, ist eine ganz schlechte Idee, mein Freund. Das war das letzte Mal, dass dir deine Gefühle während einer Raumschlacht im Weg gestanden haben, oder du wirst zu einer anderen Staffel versetzt, das versichere ich dir. Ich will hier und jetzt von dir hören, dass du das trennen kannst, und danach werden wir nie wieder darüber reden. Oder aber du bittest hier und jetzt um deine Versetzung, weil du dazu nicht in der Lage bist.“ Etwas vor den Kopf gestoßen sah Hagen Gronau in die wütend funkelnden Augen seiner Kameradin und ihm wurde klar, dass sie noch nie etwas so ernst gemeint hatte, während ihrer gemeinsamen Dienstzeit. Er schluckte betreten und sagte schließlich, wenn auch schweren Herzens: „Ich werde das trennen und es wird nie wieder vorkommen.“ „Dann ist das Thema vom Tisch“, erklärte Melanie entschlossen. Sie wandte sich ab und Hagen war froh, dass sie nicht bemerkt hatte, wie elend ihm in diesem Moment zumute war. Doch sie hatte Recht. Er musste mit seiner Schwärmerei für sie aufhören, auch wenn ihm das im Moment fast unmöglich schien. Dann riss er sich zusammen, straffte sich und schritt betrübt zum Cockpit seines Jägers. Kapitel 6: Planspiele --------------------- Im Planungszentrum der SARATOGA hatten sich, neben Commodore Ross und Admiral Broden, Major-General Alicia Claire Henderson vom Militärischen Geheimdienst der Marines, Commodore Jonathan Elwood Eichner von der BUNKER HILL, und Brigadegeneral Carina Lerach eingefunden. Nach dem Tod von Lieutenant-General Alcott, bei der Explosion, die von dem Chig-Botschafter an Bord der SARATOGA verursacht worden war, hatte Alicia Henderson seine Position übernommen. Jonathan Eichner war Glen van Ross sehr gut bekannt. Immerhin hatte Eichner die SARATOGA und ihre Geleitschiffe kommandiert, bevor er sich aus persönlichen Gründen, zur BUNKER HILL hatte versetzen lassen. Seine Frau diente auf diesem Träger. Zusammen mit seiner Frau zu arbeiten, das war etwas, das sich Ross rein gar nicht vorstellen konnte. Er liebte seine Frau, doch ein Zusammenarbeiten war noch einmal etwas ganz Anderes. Privates und Berufliches gehörten nach seiner Meinung strikt getrennt, doch er bewunderte Eichner andererseits auch dafür, beides unter einen Hut zu bekommen. Auf dem breiten, überdimensioniert wirkenden, Lagetisch hatte Alicia Henderson eine Sternenkarte des gesamten Pegasus-Sektors ausgebreitet. Die kleinen 3D-Modelle, die der Geheimdienst-General auf die einzelnen Systeme verteilt hatte, verdeutlichte dir momentane Lage. Um Demios hatte Henderson drei, und um Planet 2063-Y zwei Chig-Träger Modelle aufgestellt. Um Ixion herum gruppierten sich die Modelle für die 15. Flotte, und die der deutschen Trägergruppe, unter Carina Lerach. Admiral Broden sah nacheinander in die Gesichter der Anwesenden bevor er näher an den Tisch heran trat und auf zwei weitere Kunststoffsymbole deutete. „Meine Damen und Herren, das Oberkommando schickt uns die Erste Chinesische Streitkraft und die Zweite Russische Einsatzflotte zur Unterstützung. Wie Sie unschwer erkennen können, stehen wir aber selbst dann bestenfalls pari.“ Broden sah auf und wandte sich nun direkt an Carina Lerach. „Brigadegeneral Lerach, das Terranische Oberkommando hat mich angewiesen, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihre Trägergruppe vorläufig bei Ixion verbleiben soll. Zusammen mit dem Rest der Fünfzehnten Flotte, den Chinesen und den Russen bilden wir einen Großkampfverband, der den Ausbau der Flottenbasen auf Ixion sichern wird.“ Carina Lerach bestätigte mit undurchdringlicher Miene. Währenddessen wandte sich Broden an die übrigen Anwesenden. „Von hier aus werden wir abwechselnd, mit jeweils einer der Träger-Kampfgruppen, Vorstöße in die umliegenden Sternensysteme unternehmen. Priorität hat jedoch der Schutz von Ixion.“ „Was ist mit diesen Stealth-Jägern, Admiral“, wandte Carina Lerach ein. „Eine meiner Pilotinnen formulierte die Vermutung, dass die Chigs, die sie steuerten, möglicherweise nicht annähernd so gut mit diesen Maschinen zurecht kamen, wie seinerzeit dieser Chiggy von Richthofen. Falls das stimmt, und falls sich das demnächst ändern sollte, dann hätten wir ein Problem.“ „Unser Geheimdienst kam zu einem ganz ähnlichen Schluss, Misses Lerach“, mischte sich Alicia Henderson ein und rückte mit der Linken nervös ihre modische Brille zurecht. „Diese Tatsache scheint die Chigs gegenwärtig davon abzuhalten, weiter vorzurücken. Vielleicht hatten sie auch nicht mit einem derart effektiven Widerstand gerechnet. Die Vernichtung von einem ihrer kampfstarken Träger wird denen vielleicht zusätzlich zu denken gegeben haben. Gut für uns, denn zusammen mit dem russischen Trägerverband kommen hier bald zwei Großfrachter an, die sechs Staffeln der ersten SA-43-X HAMMERHEAD Neukonstruktionen an Bord haben. Sie sollen von den erfahrensten Piloten getestet werden. Zwei der Staffeln werden Ihrem Träger zugeteilt werden, Brigadegeneral.“ „Die Grauen Falken und die Wachenden Kraniche wird es freuen“, gab Carina Lerach zurück und lächelte zufrieden in Richtung der Afroamerikanerin. Dann nutzte sie die Gelegenheit sich an David Broden zu wenden. „Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Vorschlag einbringen. Ein permanenter Informationsaustausch unter den Piloten, die diese neuen Jagdmaschinen fliegen, halte ich für unabdingbar. Damit meine ich nicht, den internen Austausch innerhalb einer einzelnen Staffel, sondern die Piloten sollten sich darüber hinaus mit ihren Kameraden aus den anderen Trägerverbänden austauschen. Eine Stationierung aller Staffeln die diese neuen Maschinen einfliegen, auf einem einzigen Träger wäre, in meinen Augen, ein adäquates Mittel.“ Die Anwesenden sahen, teils erstaunt, teils zustimmend, zu Lerach. Admiral David Broden, der einen Sinn für Eigeninitiative und Realitäten besaß, nickte, mit Begeisterung im Blick. „Ausgezeichnet, Brigadegeneral. Ausgezeichnet. Ich denke, auch Ihre Kollegen der beiden Trägergruppen, die in Kürze hier eintreffen, werden sich dieser Meinung anschließen. Da wir die Staffeln, welche die Testflüge durchführen werden, aus dem aktiven Kampfgeschehen herausnehmen, und die BISMARCK vorerst, wegen ihrer Schäden an den Triebwerken, nicht in der Lage sein wird, auf Patrouille zu gehen, schlage ich vor, dass die sechs Staffeln, für einige Wochen, auf Ihrem Träger stationiert werden, General Lerach. Ergänzend schlage ich vor, dass die fünf Geschwaderführer der Träger-Jagdverbände dabei abwechselnd das Kommando über diese Staffeln führen werden.“ Carina Lerach lächelte verbindlich. „Eine sehr gute Idee, Admiral. Auf diese Weise lernen die Piloten verschiedene Kommandostile kennen, wovon wiederum auch jeder CAG dieses Flottenverbandes profitieren dürfte.“ Die Mienen von Eichner und Ross drückten Zustimmung aus. Im nächsten Moment wurde ihre Aufmerksamkeit wieder von Admiral David Broden beansprucht, der auf den Lagetisch deutete und erklärte: „Kommen wir zurück zur aktuellen Kriegslage. Sie alle können sehen, wie exponiert die Lage von Ixion momentan ist. Darum sind mehrere weitere terranische Truppenkontingente momentan bemüht, zwei weitere Stützpunkte, zwischen Ixion und dem von unseren Einheiten beherrschten Gebieten, zu etablieren, die zukünftig eine lückenlose Versorgungsbrücke gewährleisten sollen. Wichtig ist für uns, diesen Brückenkopf zu halten, koste es, was es wolle. Oder wir werden die Initiative in diesem Krieg wieder verlieren.“ „Wie steht es im Moment insgesamt um Operation ROUNDHAMMER, Admiral?“ Es war Carina Lerach gewesen, die diese Frage gestellt hatte. Die Augen der Anwesenden richteten sich auf sie, während Broden mit verändertem Tonfall antwortete: „Leider nicht sehr gut, Brigadegeneral. Durch das Auftauchen der Chig-Verbände bei Planet 2063-Yankee und bei Demios ist eine Landung auf Anvil und ein direkter Angriff auf den Heimatplanet der Chigs illusorisch geworden. Auf absehbare Zeit also nicht möglich. Zumindest nicht, ohne verheerende Verluste einplanen zu müssen.“ Admiral David Broden warf Alicia Henderson, nach seinen letzten Worten, einen fragenden Blick zu, und die Frau mit der Rubensfigur übernahm, dabei etwas zu dem Lagetisch heran tretend. „Bei einem offenen Schlagabtausch müssten wir, eingedenk der neuesten Entwicklung, eine Verlustquote von achtzig Prozent unseres Flottenverbandes einplanen. Mindestens achtzig Prozent.“ Die versteinerten Mienen der übrigen Anwesenden sprachen Bände und nach einem Moment sagte Carina Lerach: „Das wäre ein sehr hoher Preis. Wie würden unsere Chancen stehen, wenn wir alle Jäger dieses Flottenverbandes durch den neuen Typ ersetzen könnten?“ Es war Alicia Henderson, die sich direkt an die Deutsche wandte und zur Antwort gab: „Das können wir momentan nicht abschätzen. Dazu müssen wir zunächst herausfinden, wozu der neue Jägertyp in der Lage ist. Aber selbst nach einer optimistischen Schätzung würde die Verlustquote dadurch kaum unter fünfzig Prozent sinken.“ Carina Lerach sah in die dunklen Augen der drallen Frau und gab leise zurück: „Ich verstehe, Major-General. Vermutlich trifft diese Einschätzung auch nur dann in vollem Umfang zu, wenn die BISMARCK wieder voll einsatzfähig ist.“ Henderson machte eine zustimmende Geste. Für einen Moment lang blieb es still, bevor Broden wieder das Wort ergriff. „Die Tatsache, dass wir die Operation ROUNDHAMMER auf unbestimmte Zeit verschieben heißt nicht, dass wir sie komplett aufgeben. Zunächst müssen wir uns jedoch auf die naheliegenden Aufgaben konzentrieren, Ladies and Gentlemen. Ich werde mich wohler fühlen, wenn die Verbände der beiden Träger GAGARIN und CHÁNGZHÊNG hier eintreffen. Erst dann werde ich die höchste Alarmstufe für alle Schiffe in diesem System zurücknehmen. Beide Verbände werden in den nächsten vierundzwanzig Stunden hier ankommen.“ Broden blickte in die Runde und wartete einen Moment lang, ob es Fragen gab. Dann wandte er sich noch einmal an Carina Lerach: „Brigadegeneral Lerach, Sie treffen bitte die Vorbereitungen um bald vier zusätzliche Staffeln an Bord zu nehmen. Darüber hinaus müssen die zusätzlichen Piloten dieser vier Staffeln untergebracht werden. Ich würde außerdem Ihren Vorschlag dahingehend erweitern, dass von jedem unserer Träger ein Team von Wartungstechnikern zur BISMARCK versetzt wird, für die Zeit, in der die neuen Jagdmaschinen auf Ihrem Träger stationiert sind. Damit auch sie sich mit diesem neuen Typ von HAMMERHEAD vertraut machen können.“ „Ich werde dafür sorgen, dass bei der Ankunft der neuen Maschinen und der zusätzlichen Piloten alles bereit sein wird“, gab Carina Lerach zurück. David Broden blickte in die Runde und erklärte: „Wenn es von Ihrer Seite keinerlei Fragen mehr gibt, dann wünsche ich denen, die nicht auf der SARATOGA stationiert sind, eine sichere Rückkehr zu ihren Raumschiffen.“ Die Anwesenden nahmen Haltung an und verließen dicht hintereinander den Besprechungsraum. Dabei achtete Alicia Henderson darauf, hinter Carina Lerach den Abschluss zu bilden. Auf dem Gang legte sie sacht ihre Hand auf den Unterarm der Deutschen und sah fragend zu der hochgewachsenen Frau auf. „Haben Sie bitte einen Moment, Brigadier Lerach?“ Carina Lerach hob ihre Augenbrauen. „Natürlich, Major-General Henderson. Worum geht es denn?“ „Das können wir auf dem Weg zum Transporter, der Sie zu Ihrem Träger zurückbringen soll besprechen“, gab Henderson Auskunft. „Darüber hinaus wäre es mir lieb, wenn sie mich Alicia nennen würden.“ „Gerne, Alicia. Mein Vorname lautet Carina.“ Die Marine verlor keine Zeit sondern kam sofort auf den Punkt, während sie nebeneinander durch den mäßig beleuchteten Gang schritten. „Ich will Sie etwas unter vier Augen fragen, weil man dazu neigt, weniger offen zu sprechen, sobald mehrere Personen dabei sind. Was ich von Ihnen wissen möchte, Carina, ist, was Sie an Stelle der Chigs tun würden, so wie die Dinge momentan liegen. Glauben Sie, die wissen von unserem Vorhaben, dieses System als Brückenkopf zu befestigen? Und falls ja, würden Sie, an deren Stelle, schnell zu einem Angriff schreiten?“ Carina Lerach blickte die Frau, mit den schulterlangen Rastazöpfen direkt an und erwiderte ohne zu zögern: „Nein, ich würde nicht angreifen. Zumindest nicht dieses System.“ „Welches dann?“ Es sprach für Alicia Hendersons Intellekt, dass sie gleich die Frage stellte, die sich aus der Antwort von Carina Lerach beinahe zwangsläufig aufdrängte. Die Deutsche machte ein missmutiges Gesicht, bevor sie meinte: „Ich würde mir den schwächsten Punkt der Kette als Ziel herauspicken. Das wäre die im Werden begriffene Versorgungslinie zu diesem System. Wenn es den Chigs gelingt uns hier von allen Nachschublieferungen abzuschneiden, dann sehen wir nicht gut aus, Alicia.“ Die dunkelhäutige Frau grinste breit, zur Überraschung der Trägerkommandeurin. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis Carina Lerach die richtigen Schlüsse daraus gezogen hatte und sich bei ihr erkundigte: „Aber genau damit haben Sie offensichtlich gerechnet, und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, dann haben Sie vor, dass in ihre strategische Planung mit einzubeziehen, nicht wahr?“ Alicia Henderson machte eine zustimmende Kopfbewegung. „Sie liegen richtig, Carina. Ich wollte mich nur vergewissern, ob meine Überlegungen mit den Ihren übereinstimmen, und dass Sie die strategische Situation ebenso bewerten, wie ich.“ Sie erreichten den Backbord-Hangar und Henderson verabschiedete Lerach am Schott des Transporters, dessen Besatzung bereits auf sie wartete. Rasch stieg die Frau in den Transporter, dessen Schott von einem Angehörigen der 271. Raumlandeeinheit geschlossen wurde. Er gehörte zu der zweiköpfigen Eskorte, ohne die eine Flaggoffizier im Krieg, während des Dienstes, nie außerhalb seines normalen Wirkungsbereiches unterwegs sein durfte. Während Carina Lerach weiter ins Innere des Transporters schritt und sich, ihrer Eskorte gegenüber, auf einer der Bänke niederließ, dachte sie an die letzten Worte von Alicia Henderson nach. Sie hatte der Afroamerikanerin gegenüber eine Möglichkeit geäußert, die sie normalerweise hätte beunruhigen müssen, doch diese Frau war weit davon entfernt gewesen, auch nur ansatzweise so etwas wie Unruhe zu zeigen. Oder konnte diese Frau ihre wahren Gefühle so meisterhaft verbergen? Brigadegeneral Lerach sah nachdenklich zur gegenüber liegenden Sichtluke des Transporter-Moduls hinaus. Dabei rief sie sich die Sternenkarte in Erinnerung, auf der Alicia Henderson ihre Planspiele durchgeführt hatte. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, dass neben den Markierungen der geplanten Nachschubstrecke noch eine zweite Linie existiert hatte. Eine, die zwei der etwas weiter abseits gelegenen und strategisch eher uninteressanten Systeme, vom terranisch kontrollierten Raum aus, mit diesem System verband. Je genauer sie an die aktuelle Kriegslage dachte, und daran, was Alicia Henderson mit ihr besprochen hatte, desto stärker wuchs in ihr der Verdacht, dass Major-General Henderson noch ein Ass im Ärmel hatte, über das sie ihr gegenüber jedoch offensichtlich keine Andeutung hatte machen wollen. Vielleicht weil sie ihr nicht traute? Vielleicht war sie auch nur vorsichtig? Würden Sie unter meinem Kommando stehen, Miss Henderson, dann würde ich Sie als durchtriebenes Aas bezeichnen, dachte die Deutsche grimmig an die Adresse der Afroamerikanerin. Doch dann umspielte ein Schmunzeln ihre Lippen. Man würde sehen. Epilog: -------- Die mehr als zwei Meter große Gestalt im gepanzerten, dunkelgrauen Kampfanzug durchschritt den breiten, sechseckigen Hauptgang des gewaltigen Trägerschiffs. Beide Namen – sowohl der Name der Gestalt, als auch der Name des Trägerschiffs – wären für Menschen nur schwer auszusprechen gewesen. Eine Tatsache, um die jene Gestalt zwar wusste, die sie aber nicht im mindesten interessierte. Das einzige Interesse der Gestalt war der Krieg den sie, die stolze Rasse der Y´Xantomeran, führte, und den sie, über Kurz oder Lang, gewinnen würde. Der gepanzerte Anzug der Gestalt war reich verziert mit goldenen Ehrensymbolen des Volkes der Y´Xantomeran. In dieser Zusammensetzung waren diese Symbole einmalig, denn es gab nur eine Y´Xantomeran, in ihrer verantwortungsvollen Stellung als V´Erctalor, die gleichzeitig auch als religiöse Anführerin ihres Volkes fungierte. Terraner hätten ihren militärischen Rang wohl mit dem eines Admirals gleichgesetzt. Sh´Tiralii gab unter ihrem Helm einige verächtliche, klickende und zischende Laute von sich. Die Terraner verunglimpften ihr Volk mit der verachtenden Bezeichnung Chigs. Diese Ignoranten, die in ihren Lebensraum eingedrungen waren und keinerlei Scham dabei empfanden, wussten nicht einmal, welch ein altehrwürdiges und stolzes Volk von Kriegern sie herausgefordert hatten. Dabei hätte sie ihren Körperpanzer, an Bord dieses Raumschiffs nicht zu tragen brauchen, denn die Atmosphäre hier war für sie atembar. Der Grund, warum sie ihren gepanzerten Anzug inklusive des Helms trug, entsprang der Tatsache, dass es nur Angehörigen ihrer eigenen Kaste gestattet war, ihr Gesicht zu sehen. Entlang der hellgrauen, sechseckigen Wandplatten, zwischen denen hindurch das weiße Licht dahinter befindlicher Lichtquellen den Gang mäßig erhellte, erzählten Schriftsymbole, die denen auf dem Anzug von Sh´Tiralii sehr ähnlich waren, von den großen Taten der Y´Xantomeran, in vergangenen Epochen. Eine Gruppe von Soldaten, die ihr im Gang entgegen kam, wich bis an die Wände zurück und die Männer erstarrten förmlich, als sie mit gemessenen Schritten an ihnen vorbei ging, ohne sie sonderlich zu beachten. Sie gehörten der niedersten Kaste ihres Volkes an, das insgesamt drei Kasten kannte. Die unterste Kaste stellte den Hauptteil der Bevölkerung. Aus ihr rekrutierten sich, unter Anderem, die gemeinen Soldaten, die Unteroffiziere und die niederen Offiziere, an Bord dieses Trägerraumschiffes. Die mittlere Kaste stellte, neben Vertretern nachrangiger, politischer Posten, die Stabsoffiziere beim Militär. Die Soldaten die der mittleren Kaste entsprangen erkannte man an den rot abgesetzten Partien der rechten Armpanzerung und an den roten, zumeist mit kunstvollen, überwiegend goldenen, Rangsymbolen verzierten Identitätsplatten auf dem Fronthöcker ihrer Uniformen. Gelegentlich wurden Soldaten die dieser Kaste entstammten auch als Sonderbotschafter eingesetzt. Die höchste Kaste stellte die Vertreter der Regierung, der religiösen Führung, und beim Militär die Flaggoffiziere. Soldaten die der höchsten Kaste entstammten erkannte man an ihren schwarz abgesetzten Partien ihrer Uniformen dort, wo die der mittleren Kaste durch ein sattes Rot auffielen. Wobei es nur bei sehr wenigen Vertretern der höchsten Kaste vorkam, dass beide Armpanzerungen in Schwarz abgesetzt waren. So, wie bei ihr - Sh´Tiralii. Der Hall ihrer Schritte, der vom metallenen Material ihrer Stiefel auf dem glatten, schwarzen Material des Bodens erzeugt wurde, blieb in einem ruhigen und gleichmäßigen Takt. Weiße Linien, die den Boden in Waben unterteilten, in denen das Zentrum von kleineren, weißen Sechsecken gebildet wurde, unterteilten diese Bodenfläche. Sie gab geringfügig unter jedem ihrer Schritte nach, um sofort wieder vollkommene Glätte zu erreichen, sobald sie nicht mehr belastet wurde. Dabei handelte es sich um eine Art von lebendem Kunststoff, der auch nach seiner finalen Formgebung eine Form von rudimentärem Erinnerungsvermögen besaß, dass ihn immer wieder seine einmal gegebene Form und Oberflächeneigenschaft annehmen ließ. Ein ähnlicher Kunststoff mit etwas anderen Eigenschaften wurde zur bildlichen Darstellung verwendet, was Monitore im eigentlichen Sinn überflüssig machte. Überall auf solchen Kunststoffoberflächen konnten Bilder und Videos wiedergegeben werden. Zielsicher schritt Sh´Tiralii auf das Verbindungselement zum Kommandozentrum dieses Trägers, der KR´ENNARIZAN, zu - im vollen Bewusstsein ihrer unumschränkten Macht. Auf diesem Raumschiff und in diesem Sternensystem. Selbst im gesamten Kollektiv der Y´Xantomeran gab es nur noch zwei weitere weibliche Vertreter ihres Volkes, die im Rang über ihr standen. Natürlich waren beide weibliche Vertreter ihres Volkes, denn diese waren sowohl physisch als auch psychisch robuster. Nicht verwunderlich also, dass sich im Zuge der Evolution ihrer Spezies ein strenges Matriarchat herausgebildet hatte. Als Sh´Tiralii die ersten Geheimdienstberichte über die Rasse der Terraner erhielt, und erfuhr, dass bei dieser Spezies die männlichen Vertreter die körperlich stärkeren waren, da hatte sie dies zunächst für eine Falschmeldung gehalten. Als sich diese Information jedoch als Tatsache herausstellte, empfand sie diesen Gedanken als geradezu obszön, und auch heute noch schien ihr allein die Vorstellung daran abstrakt. Sh´Tiralii sprach leise ein kurzes Gebet zu den Erleuchteten Heiligen, bevor sie ihre Hand auf den Öffnungskontakt legte. In der bisher makellos einheitlichen Fläche der Wand, deren Grau lediglich einen geringfügig anderen Ton aufwies, entstand, beinahe lautlos, eine Öffnung, die sie durchschritt. Ein weiter sechseckiger Saal nahm sie auf. Die Zahl Sechs galt bei Sh´Tiraliis Volk als perfekt. Sie drückte in ihrer Kultur die Einigkeit der Y´Xantomeran aus. Über viele Generationen hinweg hatte sich deshalb das Sechseck, als ein immer wiederkehrendes Element der Architektur des Volkes der Y´Xantomeran durchgesetzt. Auch die Religion ihres Volkes hatte seinen Anteil daran, denn es gab sechs Erleuchtete Heilige. Auch die Hälfte dieser Zahl war bei den Y´Xantomeran sehr beliebt. Ein Beweis dafür war die Panzerplattierung dieses Trägerschiffs, die sich aus dreieckigen Elementen zusammensetzte. An drei der sechs Wände saßen Vertreter der beiden niederen Kasten. Sie strafften ihre Gestalt in einer Art Hab-Acht-Stellung, als Sh´Tiralii in den Saal, der exakt im geometrischen Zentrum des Trägers lag, eintrat. Sie unterbrachen jedoch dabei ihre Tätigkeit, die Kontrollen des Trägers zu bedienen, nicht. Sh´Tiralii nahm diese Ehrenbezeigung mit jener Selbstverständlichkeit zur Kenntnis, wie sie dem Verständnis einer der sechs Mächtigen zu Eigen war. Mit festen Schritten trat sie in die Mitte des Saales, wo sich eine Art Kartentisch halbkugelförmig aus dem Bodenbelag erhob. Seine Oberfläche bestand aus jenem lebenden Kunststoff, aus dem auch die sechseckigen Kontroll-Bildschirme der Besatzung geschaffen waren, die diesen Träger steuerte und die Systeme bediente. Eingefasst war die stark gewölbte, blau-graue Kunststoffoberfläche mit den halb-organischen Verbindungselementen, die ihrerseits mit den Kontrollleitungen verbunden waren, die sich durch sämtliche Zwischenböden und Wände zogen, wie die Adern in einem lebendigen Organismus. Was gar nicht so weit weg war von der Realität, denn durch sein Rechengehirn, das zum Großteil auf organischer Technologie basierte, lebte dieser Träger tatsächlich auf eine gewisse Art und Weise, obwohl er niemals dazu in der Lage gewesen wäre, ein eigenständiges Bewusstsein zu entwickeln. Die Terraner hatten hingegen einen Weg für ihre Technik ausgewählt, bei der die Biologie komplett ausgeschlossen wurde. Allein das war für Sh´Tiralii ein schlagender Beweis für die Primitivität dieser Spezies. In ihren Augen handelte es sich bei den Terranern um ein fehlgeleitetes Experiment der Erleuchteten Heiligen und es lag nun an ihnen, der Spezies der Y´Xantomeran, diese Krankheit aus dem Universum zu tilgen, und es auf diese Weise zu heilen. Bevor es durch die Terraner zu stark verseucht werden konnte. Ein einziger Vertreter ihrer eigenen Kaste befand sich am Lagetisch, den Sh´Tiralii nun erreiche. Auch sie war weiblichen Geschlechts, wie die meisten Vertreter ihrer Kaste. Allerdings trug sie nur am rechten Arm die schwarzen Markierungen, und die Symbole auf ihrer Uniform waren nicht so prunkvoll, wie die ihren. Die restlichen drei Anwesenden am Lagetisch trugen an ihren gepanzerten Uniformen die roten Markierungen der mittleren Kaste. Einen dieser Kaste hatte sie kürzlich zu den Terranern entsandt. Eine Selbstmordmission für den Betreffenden. Als Strafe dafür, dass die Terraner ihn entdeckt hatten, und weil er einen Teil ihrer Brut verloren hatte, auf dem Heiligen Mond. Für einen Moment durchfuhr ein beinahe physischer Schmerz Sh´Tiralii und wilde Emotionen, wie Wut, Hass und der Wunsch nach Vergeltung, für ihre, von den Terranern ermordeten, Nachkommen, durchströmten sie. Ein terranisches Landekommando hatte den Fuß auf den Heiligen Mond gesetzt, und bereits damit das schlimmste, vorstellbare Verbrechen begangen. Doch dann hatten sie eine der heiligen Brutkammern entdeckt und einige ihrer Nachkommen ermordet. Das konnte, nein, das durfte nicht ungesühnt bleiben. Nach diesem schrecklichen Frevel hatte sie durch ihre fünf Schwestern, den anderen fünf Mächtigen, Trost erfahren. Gemeinsam hatten sie sich für einen Tag lang, zum Gebet, in den Tempel der Erleuchtung zurückgezogen. Dort war das Urteil über die Rasse der Terraner gesprochen worden, und es war einstimmig ausgefallen. Jetzt oblag es ihr, die Raumflotten der Y´Xantomeran zum Sieg über die Terraner zu führen. Die optischen Sensoren ihres Helms zeigten ihr das ehrfürchtige Erstarren auch dieser vier Anwesenden und sie wandte sich, ganz selbstverständlich, an die Vertreterin ihrer eigenen Rasse. „Was habt Ihr zu berichten, V´Erclirin Sh´Rillan?“ Die Y´Xantomeran, die den untersten Flaggoffizier-Dienstgrad einnahm, legte ihren Kopf, mit einer unterwürfigen Geste, etwas zur Seite. „Der Bericht des Flottenführers, der gegen die beiden Träger der Terraner kämpfte, ist eingetroffen, Erleuchtete Mächtige. Einer unserer Träger wurde in der Schlacht vernichtet. Dafür haben wir einen ihrer Schlachtkreuzer zerstört. Was soll mit dem Befehlshaber dieser Flotte geschehen? Der Verlust eines Trägers ist nicht zu verzeihen, und…“ „Schweigt!“, schnitt Sh´Tiralii ihrer Untergebenen das Wort ab. „Ich war es, die diese Falle geplant hat, und ich übernehme die Verantwortung. Wie es einer Mächtigen zukommt. Wir haben einen Träger verloren, doch der Stützpunkt Kr´Vrestlan, der von den Terranern Demios genannt wird, ist wieder in unserer Hand, und nun werden wir nachsetzen.“ „Damit werden die Terraner rechnen, Erleuchtete Mächtige.“ Es dauerte einen Moment lang, bis Sh´Tiralii bestätigte: „Natürlich werden sie das. Darauf vertraue ich. Sehen wir uns die Lage an.“ Sh´Tiralii überließ es einem der mittleren Kaste, die, von biologischen Verbindungen umschlossenen, sechseckigen Kontrollpaneele zu berühren, deren Symbole bei jeder Berührung hellblau aufleuchteten, und einen jeweils anderen Ton von sich gaben. Auf der gewölbten Kunststoffoberfläche erschien die taktische Anzeige dieses Raumsektors. Deutlich hervorgehoben war ein Sternensystem, in dessen Nähe drei Symbole für drei Trägergruppen der Terraner aufleuchteten. Zwei weitere dieser Symbole leuchteten etwas weiter abseits dieses Systems auf. Sh´Tiralii deutete auf die beiden Symbole und erklärte: „Unser Geheimdienst hat bestätigt, dass die Terraner den Stützpunkt auf Kl´Zrent massiv ausbauen. Diese beiden Trägergruppen sollen dabei offensichtlich zusätzlich zum Schutz des Stützpunktes dienen.“ „Werden wir diese beiden Trägergruppen angreifen?“, erkundigte sich Sh´Rillan und ergänzte: „Gegen fünf unserer Träger sind sie chancenlos.“ „Nein!“, widersprach Sh´Tiralii ihrer Untergebenen. „Beide Träger werden von mindestens vier Schlachtkreuzern begleitet. Außerdem befinden sich die beiden Trägergruppen bereits so nahe an Kl´Zrent, dass die anderen drei Trägergruppen zweifellos in den Kampf eingreifen würden, bevor wir ihre Träger vernichtet haben. Nein – um diese fünf Trägergruppen werden wir uns später kümmern. Ein viel verlockenderes Ziel für uns ist ihre extrem überdehnte Nachschubverbindung.“ Sh´Tiralii deutete auf zwei Sternensysteme, die den terranisch kontrollierten Raum mit dem Brückenkopf auf Kl´Zrent verband. „Dort werden wir zuschlagen. Wir schneiden die fünf Trägerverbände der Terraner von jeglichem Nachschub ab. Während wir sie anschließend langsam aushungern, werden die Piloten unsere neuen Jagdverbände fertig ausgebildet sein. Unser Angriff, mit den noch nicht komplett an die Systeme unserer neuen Jäger angepassten Piloten, wird diese primitiven Terraner in der Annahme bestärkt haben, dass wir einerseits noch nicht so weit sind, und dass wir, immer noch, nur wenige dieser neuen Angriffsjäger zur Verfügung haben. Dass sie sich in beiden Fällen irren wird schon sehr bald ihr Untergang sein.“ In einer Geste von Zustimmung und Anerkennung drehten ihre vier Untergebenen, die mit ihr an dem Lagetisch standen, ihre Köpfe leicht nach Rechts und wieder zurück. In stolzer Haltung ließ Sh´Tiralii ihren Blick über die Anwesenden schweifen, bevor sie beinahe huldvoll zu der Vertreterin ihrer Kaste sagte: „Ihr kennt also die nächsten Ziele für unsere Flotte, V´Erclirin Sh´Rillan. Bereitet den Angriff auf das erste der beiden Primärziele vor. Danach werden wir hart und kompromisslos zuschlagen.“ „Zu Befehl, Erleuchtete Mächtige.“ Sh´Tiralii wandte sich vom Lagetisch ab. Sie hatte alles gesagt, was es zu sagen gab. Die Ausführung ihrer Anweisungen lagen im Verantwortungsbereich der V´Erclirin. Sie verließ mit gleichmäßigen Schritten das Kommandozentrum, in dem Wissen, dass Niemand die Richtigkeit ihrer Anweisungen in Frage stellen würde. Durch den schwachen, weißlichen Dunst der Bordatmosphäre schreitend freute sich Sh´Tiralii darauf, für eine Weile ihren gepanzerten Kampfanzug ablegen, und ein entspannendes Schlammbad nehmen zu können. Dabei legte sie in Gedanken ihre linke Hand auf jene Gegend ihres Körpers, wo nach der letzten, erfolgreichen Befruchtung nun die Eier einer weiteren Generation heranwuchsen, bis sie, nach einer gewissen Tragzeit, von ihr abgelegt werden würden. Bald. Schon sehr bald… ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)