SPACE 2064 - 01 von ulimann644 (Die Grauen Falken) ================================================================================ Kapitel 6: Planspiele --------------------- Im Planungszentrum der SARATOGA hatten sich, neben Commodore Ross und Admiral Broden, Major-General Alicia Claire Henderson vom Militärischen Geheimdienst der Marines, Commodore Jonathan Elwood Eichner von der BUNKER HILL, und Brigadegeneral Carina Lerach eingefunden. Nach dem Tod von Lieutenant-General Alcott, bei der Explosion, die von dem Chig-Botschafter an Bord der SARATOGA verursacht worden war, hatte Alicia Henderson seine Position übernommen. Jonathan Eichner war Glen van Ross sehr gut bekannt. Immerhin hatte Eichner die SARATOGA und ihre Geleitschiffe kommandiert, bevor er sich aus persönlichen Gründen, zur BUNKER HILL hatte versetzen lassen. Seine Frau diente auf diesem Träger. Zusammen mit seiner Frau zu arbeiten, das war etwas, das sich Ross rein gar nicht vorstellen konnte. Er liebte seine Frau, doch ein Zusammenarbeiten war noch einmal etwas ganz Anderes. Privates und Berufliches gehörten nach seiner Meinung strikt getrennt, doch er bewunderte Eichner andererseits auch dafür, beides unter einen Hut zu bekommen. Auf dem breiten, überdimensioniert wirkenden, Lagetisch hatte Alicia Henderson eine Sternenkarte des gesamten Pegasus-Sektors ausgebreitet. Die kleinen 3D-Modelle, die der Geheimdienst-General auf die einzelnen Systeme verteilt hatte, verdeutlichte dir momentane Lage. Um Demios hatte Henderson drei, und um Planet 2063-Y zwei Chig-Träger Modelle aufgestellt. Um Ixion herum gruppierten sich die Modelle für die 15. Flotte, und die der deutschen Trägergruppe, unter Carina Lerach. Admiral Broden sah nacheinander in die Gesichter der Anwesenden bevor er näher an den Tisch heran trat und auf zwei weitere Kunststoffsymbole deutete. „Meine Damen und Herren, das Oberkommando schickt uns die Erste Chinesische Streitkraft und die Zweite Russische Einsatzflotte zur Unterstützung. Wie Sie unschwer erkennen können, stehen wir aber selbst dann bestenfalls pari.“ Broden sah auf und wandte sich nun direkt an Carina Lerach. „Brigadegeneral Lerach, das Terranische Oberkommando hat mich angewiesen, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihre Trägergruppe vorläufig bei Ixion verbleiben soll. Zusammen mit dem Rest der Fünfzehnten Flotte, den Chinesen und den Russen bilden wir einen Großkampfverband, der den Ausbau der Flottenbasen auf Ixion sichern wird.“ Carina Lerach bestätigte mit undurchdringlicher Miene. Währenddessen wandte sich Broden an die übrigen Anwesenden. „Von hier aus werden wir abwechselnd, mit jeweils einer der Träger-Kampfgruppen, Vorstöße in die umliegenden Sternensysteme unternehmen. Priorität hat jedoch der Schutz von Ixion.“ „Was ist mit diesen Stealth-Jägern, Admiral“, wandte Carina Lerach ein. „Eine meiner Pilotinnen formulierte die Vermutung, dass die Chigs, die sie steuerten, möglicherweise nicht annähernd so gut mit diesen Maschinen zurecht kamen, wie seinerzeit dieser Chiggy von Richthofen. Falls das stimmt, und falls sich das demnächst ändern sollte, dann hätten wir ein Problem.“ „Unser Geheimdienst kam zu einem ganz ähnlichen Schluss, Misses Lerach“, mischte sich Alicia Henderson ein und rückte mit der Linken nervös ihre modische Brille zurecht. „Diese Tatsache scheint die Chigs gegenwärtig davon abzuhalten, weiter vorzurücken. Vielleicht hatten sie auch nicht mit einem derart effektiven Widerstand gerechnet. Die Vernichtung von einem ihrer kampfstarken Träger wird denen vielleicht zusätzlich zu denken gegeben haben. Gut für uns, denn zusammen mit dem russischen Trägerverband kommen hier bald zwei Großfrachter an, die sechs Staffeln der ersten SA-43-X HAMMERHEAD Neukonstruktionen an Bord haben. Sie sollen von den erfahrensten Piloten getestet werden. Zwei der Staffeln werden Ihrem Träger zugeteilt werden, Brigadegeneral.“ „Die Grauen Falken und die Wachenden Kraniche wird es freuen“, gab Carina Lerach zurück und lächelte zufrieden in Richtung der Afroamerikanerin. Dann nutzte sie die Gelegenheit sich an David Broden zu wenden. „Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen Vorschlag einbringen. Ein permanenter Informationsaustausch unter den Piloten, die diese neuen Jagdmaschinen fliegen, halte ich für unabdingbar. Damit meine ich nicht, den internen Austausch innerhalb einer einzelnen Staffel, sondern die Piloten sollten sich darüber hinaus mit ihren Kameraden aus den anderen Trägerverbänden austauschen. Eine Stationierung aller Staffeln die diese neuen Maschinen einfliegen, auf einem einzigen Träger wäre, in meinen Augen, ein adäquates Mittel.“ Die Anwesenden sahen, teils erstaunt, teils zustimmend, zu Lerach. Admiral David Broden, der einen Sinn für Eigeninitiative und Realitäten besaß, nickte, mit Begeisterung im Blick. „Ausgezeichnet, Brigadegeneral. Ausgezeichnet. Ich denke, auch Ihre Kollegen der beiden Trägergruppen, die in Kürze hier eintreffen, werden sich dieser Meinung anschließen. Da wir die Staffeln, welche die Testflüge durchführen werden, aus dem aktiven Kampfgeschehen herausnehmen, und die BISMARCK vorerst, wegen ihrer Schäden an den Triebwerken, nicht in der Lage sein wird, auf Patrouille zu gehen, schlage ich vor, dass die sechs Staffeln, für einige Wochen, auf Ihrem Träger stationiert werden, General Lerach. Ergänzend schlage ich vor, dass die fünf Geschwaderführer der Träger-Jagdverbände dabei abwechselnd das Kommando über diese Staffeln führen werden.“ Carina Lerach lächelte verbindlich. „Eine sehr gute Idee, Admiral. Auf diese Weise lernen die Piloten verschiedene Kommandostile kennen, wovon wiederum auch jeder CAG dieses Flottenverbandes profitieren dürfte.“ Die Mienen von Eichner und Ross drückten Zustimmung aus. Im nächsten Moment wurde ihre Aufmerksamkeit wieder von Admiral David Broden beansprucht, der auf den Lagetisch deutete und erklärte: „Kommen wir zurück zur aktuellen Kriegslage. Sie alle können sehen, wie exponiert die Lage von Ixion momentan ist. Darum sind mehrere weitere terranische Truppenkontingente momentan bemüht, zwei weitere Stützpunkte, zwischen Ixion und dem von unseren Einheiten beherrschten Gebieten, zu etablieren, die zukünftig eine lückenlose Versorgungsbrücke gewährleisten sollen. Wichtig ist für uns, diesen Brückenkopf zu halten, koste es, was es wolle. Oder wir werden die Initiative in diesem Krieg wieder verlieren.“ „Wie steht es im Moment insgesamt um Operation ROUNDHAMMER, Admiral?“ Es war Carina Lerach gewesen, die diese Frage gestellt hatte. Die Augen der Anwesenden richteten sich auf sie, während Broden mit verändertem Tonfall antwortete: „Leider nicht sehr gut, Brigadegeneral. Durch das Auftauchen der Chig-Verbände bei Planet 2063-Yankee und bei Demios ist eine Landung auf Anvil und ein direkter Angriff auf den Heimatplanet der Chigs illusorisch geworden. Auf absehbare Zeit also nicht möglich. Zumindest nicht, ohne verheerende Verluste einplanen zu müssen.“ Admiral David Broden warf Alicia Henderson, nach seinen letzten Worten, einen fragenden Blick zu, und die Frau mit der Rubensfigur übernahm, dabei etwas zu dem Lagetisch heran tretend. „Bei einem offenen Schlagabtausch müssten wir, eingedenk der neuesten Entwicklung, eine Verlustquote von achtzig Prozent unseres Flottenverbandes einplanen. Mindestens achtzig Prozent.“ Die versteinerten Mienen der übrigen Anwesenden sprachen Bände und nach einem Moment sagte Carina Lerach: „Das wäre ein sehr hoher Preis. Wie würden unsere Chancen stehen, wenn wir alle Jäger dieses Flottenverbandes durch den neuen Typ ersetzen könnten?“ Es war Alicia Henderson, die sich direkt an die Deutsche wandte und zur Antwort gab: „Das können wir momentan nicht abschätzen. Dazu müssen wir zunächst herausfinden, wozu der neue Jägertyp in der Lage ist. Aber selbst nach einer optimistischen Schätzung würde die Verlustquote dadurch kaum unter fünfzig Prozent sinken.“ Carina Lerach sah in die dunklen Augen der drallen Frau und gab leise zurück: „Ich verstehe, Major-General. Vermutlich trifft diese Einschätzung auch nur dann in vollem Umfang zu, wenn die BISMARCK wieder voll einsatzfähig ist.“ Henderson machte eine zustimmende Geste. Für einen Moment lang blieb es still, bevor Broden wieder das Wort ergriff. „Die Tatsache, dass wir die Operation ROUNDHAMMER auf unbestimmte Zeit verschieben heißt nicht, dass wir sie komplett aufgeben. Zunächst müssen wir uns jedoch auf die naheliegenden Aufgaben konzentrieren, Ladies and Gentlemen. Ich werde mich wohler fühlen, wenn die Verbände der beiden Träger GAGARIN und CHÁNGZHÊNG hier eintreffen. Erst dann werde ich die höchste Alarmstufe für alle Schiffe in diesem System zurücknehmen. Beide Verbände werden in den nächsten vierundzwanzig Stunden hier ankommen.“ Broden blickte in die Runde und wartete einen Moment lang, ob es Fragen gab. Dann wandte er sich noch einmal an Carina Lerach: „Brigadegeneral Lerach, Sie treffen bitte die Vorbereitungen um bald vier zusätzliche Staffeln an Bord zu nehmen. Darüber hinaus müssen die zusätzlichen Piloten dieser vier Staffeln untergebracht werden. Ich würde außerdem Ihren Vorschlag dahingehend erweitern, dass von jedem unserer Träger ein Team von Wartungstechnikern zur BISMARCK versetzt wird, für die Zeit, in der die neuen Jagdmaschinen auf Ihrem Träger stationiert sind. Damit auch sie sich mit diesem neuen Typ von HAMMERHEAD vertraut machen können.“ „Ich werde dafür sorgen, dass bei der Ankunft der neuen Maschinen und der zusätzlichen Piloten alles bereit sein wird“, gab Carina Lerach zurück. David Broden blickte in die Runde und erklärte: „Wenn es von Ihrer Seite keinerlei Fragen mehr gibt, dann wünsche ich denen, die nicht auf der SARATOGA stationiert sind, eine sichere Rückkehr zu ihren Raumschiffen.“ Die Anwesenden nahmen Haltung an und verließen dicht hintereinander den Besprechungsraum. Dabei achtete Alicia Henderson darauf, hinter Carina Lerach den Abschluss zu bilden. Auf dem Gang legte sie sacht ihre Hand auf den Unterarm der Deutschen und sah fragend zu der hochgewachsenen Frau auf. „Haben Sie bitte einen Moment, Brigadier Lerach?“ Carina Lerach hob ihre Augenbrauen. „Natürlich, Major-General Henderson. Worum geht es denn?“ „Das können wir auf dem Weg zum Transporter, der Sie zu Ihrem Träger zurückbringen soll besprechen“, gab Henderson Auskunft. „Darüber hinaus wäre es mir lieb, wenn sie mich Alicia nennen würden.“ „Gerne, Alicia. Mein Vorname lautet Carina.“ Die Marine verlor keine Zeit sondern kam sofort auf den Punkt, während sie nebeneinander durch den mäßig beleuchteten Gang schritten. „Ich will Sie etwas unter vier Augen fragen, weil man dazu neigt, weniger offen zu sprechen, sobald mehrere Personen dabei sind. Was ich von Ihnen wissen möchte, Carina, ist, was Sie an Stelle der Chigs tun würden, so wie die Dinge momentan liegen. Glauben Sie, die wissen von unserem Vorhaben, dieses System als Brückenkopf zu befestigen? Und falls ja, würden Sie, an deren Stelle, schnell zu einem Angriff schreiten?“ Carina Lerach blickte die Frau, mit den schulterlangen Rastazöpfen direkt an und erwiderte ohne zu zögern: „Nein, ich würde nicht angreifen. Zumindest nicht dieses System.“ „Welches dann?“ Es sprach für Alicia Hendersons Intellekt, dass sie gleich die Frage stellte, die sich aus der Antwort von Carina Lerach beinahe zwangsläufig aufdrängte. Die Deutsche machte ein missmutiges Gesicht, bevor sie meinte: „Ich würde mir den schwächsten Punkt der Kette als Ziel herauspicken. Das wäre die im Werden begriffene Versorgungslinie zu diesem System. Wenn es den Chigs gelingt uns hier von allen Nachschublieferungen abzuschneiden, dann sehen wir nicht gut aus, Alicia.“ Die dunkelhäutige Frau grinste breit, zur Überraschung der Trägerkommandeurin. Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis Carina Lerach die richtigen Schlüsse daraus gezogen hatte und sich bei ihr erkundigte: „Aber genau damit haben Sie offensichtlich gerechnet, und wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, dann haben Sie vor, dass in ihre strategische Planung mit einzubeziehen, nicht wahr?“ Alicia Henderson machte eine zustimmende Kopfbewegung. „Sie liegen richtig, Carina. Ich wollte mich nur vergewissern, ob meine Überlegungen mit den Ihren übereinstimmen, und dass Sie die strategische Situation ebenso bewerten, wie ich.“ Sie erreichten den Backbord-Hangar und Henderson verabschiedete Lerach am Schott des Transporters, dessen Besatzung bereits auf sie wartete. Rasch stieg die Frau in den Transporter, dessen Schott von einem Angehörigen der 271. Raumlandeeinheit geschlossen wurde. Er gehörte zu der zweiköpfigen Eskorte, ohne die eine Flaggoffizier im Krieg, während des Dienstes, nie außerhalb seines normalen Wirkungsbereiches unterwegs sein durfte. Während Carina Lerach weiter ins Innere des Transporters schritt und sich, ihrer Eskorte gegenüber, auf einer der Bänke niederließ, dachte sie an die letzten Worte von Alicia Henderson nach. Sie hatte der Afroamerikanerin gegenüber eine Möglichkeit geäußert, die sie normalerweise hätte beunruhigen müssen, doch diese Frau war weit davon entfernt gewesen, auch nur ansatzweise so etwas wie Unruhe zu zeigen. Oder konnte diese Frau ihre wahren Gefühle so meisterhaft verbergen? Brigadegeneral Lerach sah nachdenklich zur gegenüber liegenden Sichtluke des Transporter-Moduls hinaus. Dabei rief sie sich die Sternenkarte in Erinnerung, auf der Alicia Henderson ihre Planspiele durchgeführt hatte. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, dass neben den Markierungen der geplanten Nachschubstrecke noch eine zweite Linie existiert hatte. Eine, die zwei der etwas weiter abseits gelegenen und strategisch eher uninteressanten Systeme, vom terranisch kontrollierten Raum aus, mit diesem System verband. Je genauer sie an die aktuelle Kriegslage dachte, und daran, was Alicia Henderson mit ihr besprochen hatte, desto stärker wuchs in ihr der Verdacht, dass Major-General Henderson noch ein Ass im Ärmel hatte, über das sie ihr gegenüber jedoch offensichtlich keine Andeutung hatte machen wollen. Vielleicht weil sie ihr nicht traute? Vielleicht war sie auch nur vorsichtig? Würden Sie unter meinem Kommando stehen, Miss Henderson, dann würde ich Sie als durchtriebenes Aas bezeichnen, dachte die Deutsche grimmig an die Adresse der Afroamerikanerin. Doch dann umspielte ein Schmunzeln ihre Lippen. Man würde sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)