Akai Tsuki no mukou ~ Beyond the Red Moon von eurydike (Eine Dir en grey-/Merry-/MUCC-/Kagerou-Story / Final chapter 24 uploaded!) ================================================================================ 04. [Isis] ---------- "Moshi moshi...". "..." "Yumi...genki desu ka?". "..." "Hai, hai, genki desu...seltsam, grad gestern hab ich an dich gedacht...". "..." Gekicher. "Ja, sieht ganz so aus...". "..." "Mittagessen? Klingt gut. Same place as always?". Grinsen in der Stimme. "...." "Okay, dann besorg ich uns nen Tisch". Rauschen in der Leitung. "..." "Verstehe. Also, bis später, ich freu mich!". "..." "Baibai...". Ich bin heut ein der Stadt - wollen wir uns nicht zum Mittagsessen treffen? Yumis Stimme hallte in Yoshies Kopf wider. Verwirrt trennte sie die Verbindung und legte ihr Keitai auf den Tisch. Was sollte das heissen, sie war heute in der Stadt? Wo sollte sie sonst sein? Langsam hob sie ihre Espressotasse, nippte und verbrannte sich dabei beinahe die Zunge. "Ah...scheisse!". Amüsiertes Grinsen seitens ihrer Arbeitskollegin. "Hilfst du mir nachher, die neue Kollektion einzuräumen?". Es dauerte eine ganze Weile, bis diese Worte zu Yoshie durchdrangen, doch dann nickte sie. "Ja, klar, kein Problem. Bin gleich bei dir...". Vorsichtig wagte sie einen zweiten Schluck, leerte schliesslich die kleine Tasse in einem Zug. Was war nur los? Lag es an ihr? War sie dabei, überzureagieren und Dinge zu sehen, die gar nicht da waren? Trugbilder, die ihr ihre Ängste vorgaukelten? Sie wollte nichts heraufbeschwören, und doch... Ich bin heute in der Stadt... Sorry die schlechte Verbindung, bin grad im Zug... Allein diese Worte... Widerwillig schüttelte Yoshie den Kopf, stellte ihr gebrauchtes Geschirr in die Maschine und zog ihren Kenzo-Hosenanzug gerade. Heute Mittag würde sich alles aufklären. Dann würde sie schon sehen, dass sie sich alles nur zusammenreimte, dass alles in bester Ordnung war. Noch selten hatte sie ihrer Mittagspause so sehr entgegengefiebert... * * * Schweissnasse Hände. Unzählige Stummel im Aschenbecher. Aus den Boxen dröhnte Musik an seine Ohren. Sie war ihm fremd - und doch so nah. Kein Wunder, sie war neugeboren, und er war einer ihrer Väter. Wieder schnappte sein Zippo auf. Eine weitere Zigarette wurde entflammt. Mit tiefen Zügen versuchte er, sich zu beruhigen. Unmöglich. Immer, wenn ein Song zuende war, schielte er auf und liess unauffällig seinen Blick über die Anwesenden schweifen. Was fühlten sie? Fühlten sie überhaupt etwas? Spürten sie das Herzblut, das in den Songs steckte? Ihre ausdruckslosen Gesichter zeigten keine Regung - nicht einmal Inoue lüftete seine Maske. "Amber"... Kaoru kaute nervös auf seiner Unterlippe. Lass dir nichts anmerken - spiel ihr Spiel mit und setze ebenfalls eine Maske auf! Zeig ihnen nicht, wie verwundbar du heute bist... Shinya hatte leicht reden. Er musste ja jetzt nicht hier sitzen. Und doch hatte er recht - irgendwie... Je stärker er sich jetzt zeigte, je mehr Selbstbewusstsein er an den Tag legte, desto überzeugender würde er wirken und desto schneller war er hier wieder raus... Aber wahrscheinlich war jetzt eh schon alles zu spät - der Aschenbecher war am Überquellen und die Nägel seiner linken Hand waren um einige Millimeter kürzer als noch vor einer Stunde. Das Lied klang aus. In die Stille hinein beugte Kaoru sich vor, nahm seiner Zigarette das Leben, trank ein paar Schlucke Wasser. Und wartete auf das Urteil... * * * "Er hat schon wieder hier übernachtet...". Wie aus dem Nichts. Toshiya brach ab und hob den Kopf. Eine kecke Haarsträhne verwehrte ihm die Sicht auf den Schlagzeuger. Warum überfielen ihn alle mit solchen Äusserungen? Das war schon das zweite Mal innerhalb von 12 Stunden... Hatten sich etwa alle abgesprochen und ihn zum Band-Psychologen erkoren? "Ach ja...?" Falsches Desinteresse. In Wirklichkeit hämmerte sein Herz um einiges lauter in seiner Brust. Die zarte Gestalt hinter den Drums druckste herum, spielte mit ihren Drumsticks. "Ja, schon das dritte Mal diese Woche...". Und was ging sie das an? Toshiya unterdrückte ein Seufzen, legte stattdessen sein Instrument beiseite. Und schwieg. Er war sicher, Shinya hatte noch mehr zu sagen. "Und ich habe Schlaftabletten gefunden...". "..." "Schau mich nicht so an!". Manchmal war es definitiv unpraktisch, kein Pokerface zu haben. Er hatte nicht vorgehabt, seine Skepsis so offen zu zeigen. "Sorry, aber...". "Ich weiss, was du sagen willst...und ich weiss auch, dass es heutzutage gang und gäbe ist, sich den nötigen Schlaf so zu holen...das heisst aber noch lange nicht, dass ich es befürworte...". Nein, natürlich nicht. Genauso wenig wie andere ihrer Makel. "...und tatenlos zusehen will, wie er sich in etwas verstrickt, wo er nicht mehr rauskommt!". So ruhig wie möglich lehnte Toshiya sich über den Tisch und schnappte sich seine Zigaretten. Wenn er einen solchen Vortrag schon noch einmal über sich ergehen lassen musste, wollte er dazu wenigstens seiner Sucht frönen. Rauchend lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, weisse Schwaden stiegen zur Decke. Erst da fiel ihm auf, dass der Schlagzeuger nicht weitergesprochen hatte. "Shinya...". Ungläubiger Blick. "Warum tust du so, als ob dich das alles kalt liesse? Seit wann bist du so cool? So ignorant?". "Es geht mich nun mal nichts an!". "Oh doch, das tut es! Wir sitzen alle im selben Boot! Wir müssen etwas tun - so schlimm war's noch nie!". Er hatte ja so recht. Und er hatte geschrieen. Sehr ungewöhnlich. Aber dies liess ihn auf Hilfe hoffen. "Ja...ich weiss...". Perplexer Blick. "Guck nicht so überrascht - denkst du, du bist der Einzige, der die Augen offen hält? Ich dachte nur...wenn ich lange genug so tue, als wären meine geschlossen...würde vielleicht alles von selbst...". Kopfschütteln. "Das mag bisher so gewesen sein, aber ich glaube, dieses Mal...". "...ist die Lage anders?". Zerknirschtes Nicken. "Shinya...?". "Hmmmm...?". "Was geschieht mit uns?". "Wir sind müde, Toshiya...jeder einzelne von uns...". "Yukie hatte recht...". "Huh?". "Wir müssen zusammenhalten und füreinander sorgen". "Ich kenne da mindestens zwei, denen es nicht passt, umsorgt zu werden...". Ängstlicher Blick. "...und doch geniessen sie es, wenn man sich um sie kümmert, ohne dass sie einen drum bitten müssen". Der Bassist lachte auf. Da hatte Shinya mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. "Oh Shinya...ich glaube, ich hätt schon viel früher mit dir reden sollen. Ich wusste nur nicht, inwieweit ich mir...alles nur eingebildet hab...". "Das wusste ich auch nicht, bis mir auffiel, dass Yumi schon viel zu lange nicht mehr hier war...". * * * "Ich habe doch gesagt, ich fahr mit der Subway..." Vorwurfsvoll. Kühl. Distanziert. Anscheinend unberührt bleibendes Gesicht. Nur in den tiefgründigen Augen zeigte sich der Schmerz. "Ohayou. Danke, mir geht's gut, und ich freu mich auch, dich zu sehn...". Grunzen. Der kleingewachsene Sänger machte die Tür nun doch etwas weiter auf. Erstaunlicherweise hatte er schon geduscht. Die Ringe unter den Kulleraugen zeugten von unruhigem Schlaf. "Gomen...". Entschuldigendes, jedoch nur leicht angedeutetes Lächeln. "...aber wir hatten gestern doch alles geklärt...". "Und ich hab meine Pläne geändert!". Augenrollen. Kyo verschwand im Halbdunkel, liess den Rotschopf im Treppenhaus stehen. Spontaneität war gewiss nicht die Stärke des Sängers. Kopfschüttelnd lehnte Die sich an die harte, kalte Wand. Ein Königreich für eine Zigarette. Doch die Höflichkeit verbot es ihm, sich eine anzustecken. Nicht, dass es hier übertreiben sauber gewesen wäre. Spinnweben an der Decke, Staub in den Ecken - die Anzeichen nur sehr flüchtigen Putzens. Und ein muffiger Geruch. Nicht direkt unangenehm. Er zeugte lediglich davon, dass die Fenster schon eine Weile nicht mehr geöffnet worden waren. Warum nur lebte Kyo noch immer in diesem Loch? Er konnte sich doch weiss Gott Etwas besseres leisten. Aber vermutlich wollte er das gar nicht. Vermutlich fühlte er sich hier wohl. Hier konnte er sein, wie er wollte. Musste nicht vorgeben, jemand zu sein, der er gar nicht war. Polternde Geräusche von innen. Fluchen. Dann stand sein Bandkollege auch schon vor ihm und schloss genervt die Tür hinter sich ab. Seine kleine, zierliche Gestalt versank im schwarzen Parka. Ein weiterer vorwurfsvoller Seitenblick. Schweigend gingen die beiden nebeneinander die Treppe runter. Sobald sie draussen waren, klemmten Zigaretten zwischen beider Lippen. Die Hände des Sängers zitterten leicht. Kälte? Schlafmangel? Die zuckte innerlich die Schultern, ging voran zu seinem Wagen, liess die Türverriegelung schon von weitem aufschnappen. Eine seltsam befangene Stimmung hatte sich breit gemacht. Keiner sprach ein Wort, bis Die den Wagen gestartet und ihn vorsichtig durch die schmale Strasse raus auf die Hauptstrasse gelenkt hatte. "Hör zu, es tut mir leid, aber...". Kyos Blick blieb steinern. Nur die nach unten gezogenen Mundwinkel zuckten. "Es ist ein Umweg von gut zwanzig Minuten Die - willst du mir wirklich sagen, du warst grad in der Nähe?". Ätzender Ton. "Ja! Ich musste noch Wein für heute Abend besorgen!". Zwei Augenpaare trafen sich - eines verteidigend, eines voller Erkenntnis. "Oh...". Mehr kam nicht über Kyos Lippen. Stattdessen öffnete er das Fenster, überliess seinen Stummel dem Wind. "Tschuldigung...". Fröstelnd rieb er sich die Hände, liess das Fenster wieder nach oben fahren. Nur ein ruhiges Nicken seitens des Gitarristen. Er kannte den Sänger mittlerweile so gut, dass er ihm in einer solchen Situation niemals hätte böse sein können. Aber... "Schon gut. Es wäre nur schön, wenn du nicht diejenigen deinen Frust würdest spüren lassen, die es eigentlich nur gut mit dir meinen...". Erstaunlicherweise folgte auf diese Bemerkung weder eine bissige Antwort noch ein böser Blick. Und das bereitete Die nun wirklich Sorgen. Er wusste genau, was Kyo fehlte - doch ihn darauf anzusprechen kam nicht in Frage. Der einzige, der sich das vielleicht erlauben konnte, war Kaoru. Zu seiner immensen Erleichterung wechselte der Sänger von selbst das Thema. "Wein? Wofür?". Anzügliches Grinsen. Die grinste zurück. "Ich muss Yoshie mal wieder verwöhnen - habe sie in den vergangenen Tagen ziemlich vernachlässigt...". Staunen. "Bist du nicht gestern auch schon um 19 Uhr aus dem Studio gekommen?". "Ja, schon...aber Toshiya, Yukie, Sato-san, ich und noch ein paar andere konnten's nicht lassen, doch noch bowlen zu gehen.". "Das Übliche, hm?". Belustigtes Nicken. "Sou desu ne...". Wieder eine Weile Stille. Dann ein Räuspern. "Darum wollte ich dich eigentlich fragen, ob's für dich okay ist, wenn ich meinen Gitarrenpart vor deinen Vocals einspiele? Nur damit ich wenigstens heute nicht allzu spät...". Gutmütiges Lächeln. "Klar, ich will ja nicht dafür verantwortlich sein, dass bei euch der Haussegen schief hängt...". Seufzen. "Das tut er schon längst - und dafür bin ich verantwortlich...". "Nimm sie doch mal mit zum Bowling.". Kurzes Nachdenken. "Gute Idee - aber unter einer Voraussetzung!". "Hmm?". "Du kommst auch - und Yumi, Akemi und Akiko auch...". Strahlen. Stirnrunzeln. "Ach, ich weiss nicht...". "Sei kein Spielverderber!". "Du weißt, dass ich nicht gern bowle..." Rumgedruckse. "Du musst da nicht bowlen - zuschauen und mich bewundern reicht völlig!". Freches Grinsen. Resignation. "Okay, okay, ich überleg's mir...". "...". Schmollen. "Aaaarrrrghhh, okay, ich komme...". Blitzende Augen. "...irgendwann...". "Mou...wenn wir die Aufnahmen abgeschlossen haben...los, versprich's mir!". "Jaaahaaaa - meinetwegen, du Nervensäge...". "Yay!". * * * Leere Teller wurden schwungvoll abgeräumt, der Kaffee ebenso galant serviert. Yoshie mochte die Atmosphäre in ihrem italienischen Lieblingsrestaurant. Ein Geheimtipp in Tokyo und schon seit fast zwei Jahren der Stammtreff für gemeinsame Mittagessen mit Yumi. Doch heute zeigte die Ungezwungenheit, die hier immer herrschte, keine Wirkung auf die beiden jungen Frauen. Bisher hatten sie nichts als Belangläufigkeiten ausgetauscht, nichts, was sie nicht auch mit flüchtigen Bekannten hätten bereden können. Fast so, als bemühten sie sich beide, auf sicheren Pfaden zu wandeln. Nervös warf Yoshie einen schnellen Blick auf ihre kleine Armbanduhr. Ihr lief die Zeit davon. Doch was sollte sie tun? Sie konnte doch nicht einfach mit der Tür ins Haus fallen und Fragen stellen, die sich bestimmt als peinlich und unpassend erweisen würden. Yumi war so etwas wie ihre beste Freundin - und trotzdem, sie spürte, dass es unangebracht war, von sich aus auf allen Ungereimtheiten rumzuhaken... "Yoshie...". Tief. Leicht rauchig. Eine wunderbar angenehme Stimme. Fragende Bernstein-Augen trafen haselnussfarbene, mit schwarzem Kajal umrandete. War es jetzt etwa soweit? "Ja...?". "Ich möchte dir etwas zeigen...". * * * Ein gutes Dutzend angespannte Augenpaare starrten ihn an, als er gegen 13 Uhr wieder ins Studio kam, seinen schwarzen Mantel auf ein Sofa warf, sich erst mal hinsetzte und eine Zigarette anzündete. "Oi, das war meine letzte...". Ein leicht empörter, rothaariger Gitarrist funkelte ihn an. Kaoru ignorierte ihn, rauchte seelenruhig weiter. Unlesbare Züge Dann, nach einer guten Minute, die allen Anwesenden wie eine Stunde vorgekommen war, stand er auf, blickte in die Runde und grinste schliesslich. "Sie sind zufrieden...sie sind zufrieden mit unsrer Arbeit und den neuen Songs". Von allen Gesichtern schien eine tonnenschwere Anspannung zu fallen. Die Crew hinter den Mischpulten zeigte sich stolz und erleichtert. Kyo verschanzte sich wieder hinter seinen Textblättern. Die trat hervor und klopfte Kaoru auf die Schulter. "Na, wenn das so ist, verzeih ich dir...". Schelmisches Grinsen, übermütiges Flackern in nun wieder strahlenden Augen. Shinya warf von seinem Platz hinter dem Schlagzeug einen kurzen Blick auf Toshiya, der mehr sagte, als viele Worte. Diese positive Nachricht machte die noch anstehenden letzten Aufnahmearbeiten um vieles einfacher, denn nun hatten sie die Gewissheit, dass auch die Bosse hinter ihren neusten Werken standen. Und vielleicht würde sich damit an der momentanen Situation einiges ändern, wenn auch nur oberflächlich. Aber zumindest würde es ihnen allen gut tun, die drei noch fehlenden Songs in aller Ruhe angehen zu können. Und zu wissen, dass sie nach getaner Arbeit vielleicht die Gelegenheit haben würden, gewisse Dinge zur Sprache zu bringen, die bisher wohl sowieso nur auf taube Ohren gestossen wären. "Natürlich müssen wir noch die eine oder andere Sequenz überarbeiten, aber trotzdem, der grösste Teil der Arbeit ist getan...". Was bedeutete, dass sie sich für "Red...[em]" und "MARMELADE CHAINSAW" all die Zeit nehmen konnten, die sie brauchten. Voller Enthusiasmus schoss Toshiya auf. "Hör dir das mal an!". Wie auf Kommando dröhnten einige Bass-/Schlagzeug-Sequenzen aus den Boxen - das Ergebnis von vier Stunden Arbeit. Befriedigtes Nicken. "Sehr gut, gefällt mir - ich kann sogar schon erahnen, wie das klingt, sobald unsere Gitarren dazugemischt werden. Täusch ich mich oder hat der Song was von "24 Cylinders"?". Verdutztes Staunen. "Jetzt wo du's sagst...". Die, Toshiya und Shinya tauschten Blicke. "Geplant war das aber eigentlich nicht...". "Egal, wir lassen ihn so", bestimmte der Leader kurzerhand und sah sich nach dem Bandmitglied um, das sich bisher zurückgehalten hatte. Dort sass der Blondschopf ja immer noch und brütete über seinen Lyrics. Mit ein paar grossen Schritten durchquerte Kaoru den Raum und setzte sich neben den Sänger. "Es ist doch okay für dich, wenn es heute wieder etwas später wird...?". Teilnahmsloses Nicken. Dunkelbraune Augen fixierten weiterhin Text auf weissem Papier. "Tut mir wirklich leid, aber es geht nicht anders...". Die tätowierte Hand winkte ab. "Schon okay. Die hat mich schon vorgewarnt. Auf mich wartet ja sowieso niemand...auf die drei da vorne jedoch schon...und auf dich auch...". Stechender Blick. Seufzen. Schweigen. Befangenheit. Stille Vorwürfe von beiden Seiten. Kaoru stand auf und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Er wusste jedoch, was er zu tun hatte... * * * Ihre Wut war schon verraucht gewesen, als sie morgens aufgewacht und ihn noch tief schlafend vorgefunden hatte. Das blasse, ebenmässige Gesicht ruhig und entspannt. Die vollen Lippen leicht geöffnet, um das Atmen zu erleichtern. Es war ihr so irreal erschienen, dass sie ihn, der nun so süss und unschuldig dalag, noch vor Stunden am liebsten zum Teufel gejagt hätte. Und spätestens nach dem, was Yumi ihr erzählt hatte, war sie bereit gewesen, ihm alles zu verzeihen. Spätestens da war ihr klar geworden, dass alles an einem bereits sehr dünnen Faden hing und sie es sich nicht mehr leisten konnte, zu stolz zu sein. Und jetzt, als sie ihm zusah, wie er das Essen servierte, fiel es ihr schwer, ihn sich als das Wrack vorzustellen, das er vergangene Nacht gewesen war. "Ich hab mir noch extra Chilischoten mitgeben lassen - dir zuliebe...". Er gab sich solche Mühe. Rührend. Am liebsten hätte Yoshie ihn in die Arme genommen und an sich gedrückt. Doch es war besser, ihn noch einen Moment zappeln zu lassen. Also gab sie sich dementsprechend kühl und zugeknöpft - nicht gerade einfach, bei der Lust, die der Duft des vor ihr dampfenden Essens in ihr hervorrief. Und bei der Dankbarkeit, die sie in eben diesem Moment empfand. Dafür, dass er hier bei ihr und noch nicht alles verloren war. Mexikanisch. Und dann auch noch aus einem der besten Restaurants der Gegend. Natürlich. Was sonst?! Er wusste, wie man ihr eine Freude machen konnte. Manipulator. Aber sie wollte ihm ja verzeihen, also spielte es letzten Endes sowieso keine Rolle, welche Tricks er auszuspielen versuchte. "Yoshie...?". Wie ein kleiner Junge, der in der Schule Mist gebaut hat und sich dem Lehrer stellen muss. Diese Vorstellung liess sie in sich hineingrinsen. Gegen aussen behielt sie ihre Maske auf. Keine Antwort, nur ein kühler Blick. "Ich weiss, das gestern war scheisse - es tut mir leid...wenn ich einmal angefangen hab, kann ich nicht mehr aufhören, das weißt du...normalerweise hab ich's mittlerweile eigentlich ganz gut im Griff, das weißt du auch....aber...im Moment...liegen die Nerven bei uns blank...in nur einem Monat ist es soweit...". Verhaspeln. Stumm hob sie ihre Hand und drückte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. "Mach den Wein auf". Erleichtertes Grinsen. Gekonnt hantierte er mit dem Korkenzieher und hielt nur wenige Sekunden später den zylinderförmigen, braunen Verschluss in der Hand, schnupperte an der offenen Flasche. Der blumig-herbe Duft stieg ihm sofort in die Nase, die sich wie von selbst kräuselte. Dann goss er etwas von der rot perlenden Flüssigkeit in die Gläser und staunte einmal mehr über die Farbenpracht. Nicht nur ein einfaches Rot, nein, alle möglichen Schattierungen und Nuancen. Mit Wasser und Perlmutt versetztes Blut... Wieder roch er an der Blume, schloss dabei die Augen, als ob er Angst hätte, seine Sehkraft würde seinen Geruchsinn trüben. Als sich seine Lider wieder öffneten, sah er nur noch ihr Lächeln. Die Augen, die, genauso mannigfaltig wie der Wein, in allen möglichen Brauntönen funkelten. Ihre schmale Hand, die völlig entspannt das Glas hielt. Die sorgfältig gepflegten Nägel. Kein Nagellack. Nur matte Halbmonde. Kristall schlug sachte gegen Kristall. Ein glockenheller Ton. Der erste Schluck leicht bitter. Der erste Bissen unglaublich köstlich. Der zweite Schluck verlangte nach mehr. Der zweite Bissen trieb einem bereits Tränen in die Augen und Wasser in die Nase. Schweigend assen sie, fütterten sich gegenseitig. Vertraut. Mit Blicken einander verzehrend. * * * Warmes Wasser. Knisternder Schaum. Jasmin-Duft in der Luft. Zwei Körper. Nackt. Voller Wassertropfen. Feuchte Haare. Toshiya legte Akiko die Hände auf die Schultern, begann, sie sanft zu massieren, drückte ihr einen Kuss in den Nacken. "Danke fürs Zuhören..." "Hmmm...". "Hat wirklich gut getan, das alles mal jemandem zu erzählen, der es etwas objektiver sieht...". "Hmmm...". "Aber du hast mir noch immer nicht gesagt, was du denkst...". Zögernd regte sich seine Freundin, wandte sich ihm langsam zu, sah ihm in die Augen, streichelte seine muskulösen Arme. "Ich glaube, ich habe heute Yumi gesehen..." Pause. "Und?". Verwundert. "Sie ist aus dem Gebäude gekommen, wo sich unter anderem auch die Praxis unseres gemeinsamen Gynäkologen befindet...". Ausdrucksloses Gesicht. * * * Ihr schweissnasser Körper lag in seinen Armen. Zärtlich liess er seine Finger über ihre Oberarme gleiten und sah belustigt, wie sie Gänsehaut bekam. Diese Zweisamkeit nach dem Sex war etwas, das er immer wieder von neuem genoss und schätzen lernte. Eine wohltuende Erschöpfung hatte sich in ihm breit gemacht, lullte ihn langsam aber sicher ein. "Die?". Er seufzte zufrieden. "Hai?". Nur Yoshies Atem war zu hören. Es schien so, als suche sie nach den richtigen Worten. "Was ist denn?". Der Wein hatte seine Zunge schwer gemacht. Er redete langsam. "Ich war heute mit Yumi essen...". "Ja?". Konnte es sein, das Yoshie mehr wusste, als er? Aber warum hatte sie solange gewartet und es ihm nicht gleich beim Abendessen erzählt? "Sie wohnt im Moment in Saitama - bei Haruka". Stille. Dann musste Die sich aufsetzen - er hielt es im Liegen nicht mehr aus. "Bei ihrer Schwester? Doshite?". Die schlanke Gestalt seiner Freundin rappelte sich ebenfalls auf. Sah ihm im spärlichen Licht fest in die Augen. Sagte nichts. "Sie haben sich getrennt...". Die Erkenntnis. Yoshie nickte traurig. "Zumindest vorläufig...". Die liess seinen Kopf in den Nacken fallen, atmete tief durch. "Das ist es also...". Wieder ein Nicken. "Nun wird mir einiges klar...". Yoshie fröstelte, zog die Decke enger um sich. "Das ist noch nicht alles...". Ängstlicher Seitenblick. "Sie ist schwanger - im vierten Monat...". Vor Überraschung und Schreck offen stehender Mund. "...und Kaoru weiss es noch nicht...". Die drückte seine Freundin so fest an sich, dass er glaubte, sie zu erdrücken. + + + Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)