Akai Tsuki no mukou ~ Beyond the Red Moon von eurydike (Eine Dir en grey-/Merry-/MUCC-/Kagerou-Story / Final chapter 24 uploaded!) ================================================================================ 02. [Atlas] ----------- Gespenstisch widerhallten ihrer beiden Schritte auf dem nassen Asphalt. Eine klamme, beissende Kälte hatte sich breitgemacht und fuhr durch den Stoff ihrer Jacken und Pullover. Der grosse, schlanke Mann zündete sich eine seiner Virginia Super Slims an und führte die Zigarette mit einer grazilen Handbewegung an seine Lippen. Eine ganze Weile gingen sie schweigend auf der so gut wie menschenleeren Strasse nebeneinander her. "Vielleicht solltest du nächstes Mal bei Kaoru bleiben". Der Bassist blieb stehen. Sah der Gestalt nach, die weiterging, ohne auf ihn zu warten, schloss danach wieder mit grossen Schritten zu ihr auf. "Und woher kam das jetzt?". "Du warst heute Abend nicht du selbst...". Hochgezogene Augenbrauen. Nervöses Inhalieren. "Hmmm...". "Mir machst du nichts mehr vor - dazu kenne ich dich zu lange und zu gut...". Er hätte widersprechen können, doch... "Sou ka...". Seufzen. "Meinst du nicht, dass Kaoru vielleicht sogar froh um etwas Hilfe wäre?". Schweigen. Überlegen. "Auch wenn, althergebrachte Traditionen lassen sich schlecht ändern...vor allem in unserem Business...und vor allem, wenn Kaoru involviert ist...". Die lange Zigarette starb einen schnellen Tod. "Trotzdem, er ist nicht Atlas, er kann nicht alles selbst tragen, auch wenn er das gern möchte...". "Das musst du ihm klar machen...". "Warum tust du das nicht?!?". Toshiya blieb stehen und hielt Yukie am Arm fest, bevor dieser ihn wieder stehen lassen konnte. "Weil ich nicht weiss, was dann passieren wird. Im Moment ist alles friedlich - doch der Trog ist voll, und ich will nicht der Tropfen sein, der das Wasser zum Überlaufen bringt...". Verständnisvolles Nicken. "Ich weiss...aber willst du, wollt ihr denn, dass es immer so weitergeht? Mit jedem Album, das noch folgt?". Trauriges Lachen. "Oh, Yukie...die Frage, was wir wollen, stellt sich doch schon gar nicht mehr...wir sind doch längst nur noch die Marionetten, die gute Miene zum bösen Spiel machen...". Stille. Der junge Hairstylist schwieg. "Die Puppen, die für die Firma und die Fans da draussen tanzen...". "Aber wenn ihr das nicht tätet, würde euch etwas fehlen, ist es nicht so?". "Man gewöhnt sich an so vieles, auch wenn es einen zerstört...". "Dann haltet zusammen und passt aufeinander auf...". "Wenn das so einfach wäre...". "Ich weiss, ja, ich weiss...". Der Bassist setzte sich wieder in Bewegung, schneller jetzt. "Kaoru sagt immer, es gibt aus jedem Labyrinth einen Ausweg, auch wenn man sich noch so darin verirrt hat und die Lage noch so hoffnungslos ist", "Aber nur, wenn jemand so umsichtig war, den Ariadne-Faden zu legen...". Zischendes Einatmen. Aufgerissene Augen. "Meinst du, Kaoru hat nicht...?". Kopfschütteln. "Verlasst euch nicht immer auf ihn - er ist auch nur ein Mensch...". "Wenn er das auch einsähe, wäre vieles einfacher...". "Gerade einfach macht ihr's ihm aber auch nicht...". Toshiyas Augen funkelten gefährlich. Yukie sagte nichts, war lediglich froh, dass der Bassist in der Bowling-Halle nicht mehr getrunken hatte. Und grinste, als er sah, wie schnell der Ärger seines Freundes schon wieder verflogen war. Doch er machte einer Frustration Platz, von der der Hairstylist nicht wusste, ob sie ihm gefiel oder nicht. Toshiya liess den Kopf hängen, zündete sich eine weitere Zigarette an, rauchte schweigend. Wie ironisch, dass ein Crewmitglied die ganze Situation so deutlich durchschaute. Waren sie schon so weit, dass ihnen selbst das Offensichtliche nicht mehr ins Auge stach? Oder waren sie ganz einfach Meister der Verdrängung geworden? Eine dem Bassisten nur zu bekannte Melodie drang an sein Ohr. Sein Keitai. Yukie konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen, als Toshiya nach einem Blick auf das Display leicht nervös den Anruf entgegennahm. "Moshi moshi!?". "..." "Du bist wo?". Strahlendes Lächeln. "..." "Weißt du, dass du mir eben das Leben rettest?". "..." "Ich mich auch - bis gleich". Freches Grinsen. "Lass mich raten - deine Süsse ist zuhause?". Strahlen. "Ehm...ja...viel früher, als erwartet...eigentlich hätte sie noch bis morgen in Bangkok bleiben sollen, aber das Shooting dauerte weniger lang, als geplant...". "Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Die Bilder in der letzten Cosmopolitan waren hinreissend...". "Glaub mir, ohne Make-up ist sie noch viel schöner...". "Na, dann mach, dass du nach Hause kommst, los!". Breites Grinsen. "Wenn du meinst...ja mata!". Der grossgewachsene Bassist winkte fröhlich und verschwand joggend in der Dunkelheit. Yukie jedoch blieb stehen, sah ihm lange nach und setzte dann, in Gedanken versunken, mit einem tiefen Seufzer seinen Weg fort. * * * Sein Rücken schmerzte. Wie immer, wenn er auf einer Couch schlief. Man hätte meinen sollen, er hätte sich mittlerweile daran gewöhnt, doch je näher er auf die 30 zuging, desto weniger schien sein Körper gewillt zu sein, sich derartigen Anpassungen zu unterwerfen. Also wälzte der erschöpfte Gitarrist sich im Halbschlaf und versuchte verzweifelt, eine einigermassen angenehme Lage zu finden. Jedoch vergebens. Nach einer Stunde setzte Kaoru sich frustriert auf und stöhnte. Um ihn herum herrschte Finsternis. Nur ein paar Lämpchen blinkten am anderen Ende des Raumes, hinter der Glasscheibe. Und ab und zu erleuchteten die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos das Studio. Ansonsten blieb alles vollkommen dunkel. Stille. Und doch liess der Schlaf des Gitarristen auf sich warten. Insgeheim verfluchte er sich dafür, nicht doch nach Hause gefahren zu sein. Doch nur schon den Gedanken an den beinahe einstündigen Weg quer durch die Stadt liess ihn schaudern. Und dann erst noch mitten in der Nacht. Da zog er es doch tatsächlich vor, ein paar Nächte nacheinander hier zu verbringen, auch wenn dies Schlafmangel und Einsamkeit bedeutete. Ersteres konnte er irgendwann wieder nachholen und mit Zweiterem hatte er sich abgefunden. Wirklich?, fragte da eine leise Stimme in seinem Kopf. Kaoru seufzte laut und vergrub den Kopf in seinen Händen, fuhr sich mit den Fingern durch die leicht fettigen Haare. Er wollte sie nicht hören. Nicht jetzt. Und vor allem nicht hier. Ruckartig stand er auf, ging ein paar Schritte. Nachdem seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erspähte er auf einem Tisch ein paar Zigaretten und zündete sich eine an. Nicht, dass es schmeckte, morgens um 4 zu rauchen, doch es beruhigte. Jedoch nicht so sehr, wie er es sich gewünscht hätte. Deshalb ging er vorsichtig, um ja nicht an ein herumstehendes Instrument oder irgendwelche Gerätschaften zu stossen, durch das Studio zur kleinen, angrenzenden Küche. Anstatt das grelle Neonlicht anzumachen, riss er lediglich den Kühlschrank auf. Der Bier-Vorrat war schon erheblich geschrumpft. Ein trauriges Grinsen wanderte über Kaorus Gesicht. Wann hatten sie eingekauft? Vorgestern? Mit einem Seufzen sah der Gitarrist sich in dem kleinen Raum um. An etwas Essbares war nicht zu denken. Trotzdem öffnete er nacheinander die Schränke, warf kurze Blicke rein. Gähnende Leere - oder? Die hatte er ja beinahe vergessen... Kaoru streckte seine Hand nach der rechteckigen, weissen Packung aus. Wenn er eine nahm, würde er schnell Schlaf finden. Und danach den ganzen Tag groggy und übellaunig sein... Jetzt hiess es Vor- und Nachteile abwägen. Doch eigentlich hatte der Gitarrist sich bereits entschieden. Die Aussicht auf ein paar wenige Stunden Ruhe und Erholung, liessen ihn seine Vernunft zurückstellen. Es war ja nur eine Pille. Eine einzige. Erst die zweite in dieser Woche... Kaoru nahm eine Bierdose aus dem Kühlschrank, die beim Öffnen laut zischte, und spülte sich die kleine, weisse Erlösung mit ein paar Schlucken runter. Ein bitterer Geschmack blieb zurück. Der junge Mann schloss den Kühlschrank, ging ganz vorsichtig wieder zurück zu seinem "Bett", setzte sich und trank langsam sein Bier. Die Pille zeigte schnell Wirkung. Nach nur wenigen Minuten machte sich eine bleierne Schwere in seinen Gliedern breit, sein Kopf fühlte sich mit einem Mal an, als wäre er mit Watte gefüllt. Kaoru atmete tief durch, stellte die leere Dose auf das Tischchen und liess sich schliesslich auf die Couch zurück fallen. Sorgen und Ängste, die noch vor einer Viertelstunde auf ihm gelastet und ihm den Schlaf geraubt hatten, waren wie weggeblasen. Er fühlte sich frei. Erleichtert. Und war dankbar für diesen Moment. Diesen seltenen Moment des Friedens. * * * Die Fahrt mit dem Aufzug war ihm noch nie so lang vorgekommen. Mit zitternden Knien lehnte er am Spiegel. Seine schweissigen Hände hinterliessen unschöne Abdrücke und Striemen darauf. Doch er bemerkte es nicht. Sein Blick war verklärt. Seine Augen wässerig vom vielen Alkohol. Wer hatte ihn nach Hause gefahren? Er wusste es nicht mehr - wahrscheinlich eine gute Seele ais der Crew. Er wusste nicht einmal, wie spät es war. Als er vorhin auf seine Uhr geschaut hatte, war das Zifferblatt vor seinen Augen verschwommen. Die Strassen waren leer gewesen. Also musste es schon lange nach Mitternacht sein. War da nicht etwas gewesen? Irgendein Versprechen? Eine Abmachung? Die schüttelte unwillig den Kopf und bereute dies sogleich. Vor ihm begann die Welt zu drehen, und sein Magen revoltierte. Irgendwie schaffte er es trotzdem in sein Penthouse, bevor sein Mageninhalt sich selbst wieder nach oben beförderte. Wie hatte er den Schlüssel so schnell ins Schloss gebracht? War die Tür offen gewesen? Wirre Gedanken schwirrten durch seinen Kopf, als er sich über die Kloschüssel beugte. Ein säuerlicher Gestank verbreitete sich, liess seine Magensäfte nicht zur Ruhe kommen. Wie lange er da gekniet hatte, wusste er am Ende nicht mehr. Er müffelte, doch an eine Dusche war nicht zu denken, geschweige denn an Zähneputzen. Auf leicht schlotternden Beinen schleppte er sich durch den Gang ins Schlafzimmer. Und da traf ihn die Erinnerung wie ein Schlag. Yoshie... Das gemeinsame Abendessen... K'so. Mit einer mittlerweile eiskalten Hand fuhr der Gitarrist sich durch seine rotschwarzen, in allen Richtungen vom Kopf abstehenden Haare. Scheisse. Da hatte er definitiv Mist gebaut. Mit einem tiefen Seufzen ging er durchs Zimmer, setzte sich so leise wie möglich auf die Bettkante. Doch trotz all seiner Vorsicht regte sich der Körper im Bett. Grosse, bernsteinfarbene Augen blitzten ihn an. Ein fragender, vorwurfsvoller Blick. Die beugte sich zu seiner Freundin runter, wollte ihr einen um Verzeihung bittenden Kuss auf die Lippen drücken, doch die junge Frau murmelte böse etwas Unverständliches und wandte sich ab. Das letzte, was sie nun wollte, war, von ihrem nach Bier und Erbrochenem stinkenden Freund geküsst zu werden. Und reden schon gar nicht. Dazu war sie im Moment viel zu aufgewühlt und wütend. Und doch tat er ihr leid. Zu oft war er in den letzten Wochen im selben Zustand nach Hause gekommen. Zu oft hatte sie ihn sogar ins Bett tragen und säubern müssen. Heute schien es ihm also den Umständen entsprechend gut zu gehen. Irgendwo hatte sie einmal gelesen, dass es solche kleinen Dinge waren, die die Liebe töteten. Wie wahr. Wieso nur hatte sie Yumi so wenig Verständnis entgegen gebracht, als diese ihr vor einem halben Jahr ihr Herz ausgeschüttet hatte? Schon damals hätten bei ihr die Alarmglocken klingeln sollen. Die gleichen "Symptome". Fast so, als ob eine ansteckende Krankheit grassierte und sich nach und nach bei allen Bandmitgliedern einnistete. Bei Die war es mittlerweile schon chronisch. Vor zwei Jahren hatte sie noch drüber gelacht, doch nun war ihr das Lachen vergangen, in ihrer trockenen Kehle erstickt. Sein Atem hinter ihr beruhigte sich, ging in ein leises Schnarchen über. Sein knochiger, langer Körper drängte sich an ihren Rücken, auf der Suche nach etwas Wärme. Morgen würde sie Yumi anrufen. Das war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief. Die eisige Kälte von Dies Fingern drang durch ihren Schlafanzug, während er sie sogar im Halbschlaf noch entschuldigend liebkoste. * * * Rotes Licht. Kälte. Regen, der ans Fenster klopfte. Schwere Augenlider hoben sich zögerlich. Unwillig. War wohl doch ein Fehler gewesen, so früh schon schlafen zu gehen. Aber er hatte den Schlaf bitter nötig gehabt. Mit einem lauten Gähnen streckte sich Kyo und blieb noch eine Weile liegen, bis ihm klar wurde, dass die Decke am Boden lag und ihm deshalb so kalt war. Fröstelnd rieb er sich die Arme. Sein vernachlässigter Magen knurrte protestierend. Essen. Der Sänger erhob sich langsam und tapste aus dem Zimmer heraus in die Diele. Das rote Licht folgte ihm sogar hierher, brauchte keine Unterstützung vom helleren, gelben Licht. Die Einkaufstüte stand immer noch so einsam da, wie er sie zurückgelassen hatte. Ob sie sich in der Zwischenzeit gut mit den Turnschuhen unterhalten hatte? Hatten Gegenstände ein Eigenleben und redeten miteinander, sobald die Menschen sie alleine liessen? Ein Grinsen zauberte sich auf das ungeschminkte Gesicht. Was hatte er eigentlich eingekauft? Er erinnerte sich nicht mehr. Nach einem neugierigen Blick in die Tasche, wurde das Grinsen noch breiter. Wenige Minuten später sass er im Schneidersitz auf dem Bett. Die Decke um sich geschlungen, vor sich einen ganzen Berg Nahrung, die neue "Matrix Reloaded"-DVD im Player. 4 Uhr morgens. Seltsamer Lebenswandel, den er da pflegte. Sein Magen füllte sich, freute sich über die Aufmerksamkeit. Curry-Ramen. Pringles. Teriyaki-Hühnchen. Schokolade. Seine Hände passten sich dem schnellen Rhythmus des Films an, schaufelten die Herrlichkeiten regelrecht in den sich immer wieder öffnenden Schlund. Nach zwanzig Minuten hatte er das Gefühl, zu platzen, und öffnete Gurt und Knopf seiner Jeans. Ein Stöhnen. Da hatte er wohl mal wieder übertrieben. Und doch fühlte er sich besser. Das matte Gefühl war verschwunden und hatte einer gewissen Befriedigung Platz gemacht. Natürlich bedeutete Essen nicht die Art Befriedigung, nach der er sich sehnte, aber nun knurrte sein Magen wenigstens nicht mehr. Dafür breitete sich jedoch nach weiteren zehn Minuten eine leichte Übelkeit in seinem Leib aus. Nur schwach zuerst, immer penetranter nach und nach. Mit einem weiteren Stöhnen schaltete Kyo Fernseher und DVD-Player aus - mit seiner Konzentration war es dahin. Und der Film verstärkte die Übelkeit nur noch. Angewidert warf er die auf dem ganzen Bett verstreuten Verpackungen zu Boden, stellte das Geschirr daneben und legte sich auf den Rücken. Vorsichtig tasteten seine Hände über seinen Bauch. Ja, er hatte übertrieben. Sanft begann er, sich selbst zu massieren. Und sich gleichzeitig nach jemandem zu sehnen, der für ihn da war, sich um ihn kümmerte. War es nicht absolut armselig, sich eine Selbst-Massage verpassen zu müssen? Niemanden bei sich zu haben, der einem in solchen Momenten einen Tee kochte? Einen tröstete? Okay, Trost hatte er keinen verdient - schliesslich war es ganz schön bescheuert, sich mitten in der Nacht dermassen zu überfressen. Schmerz machte sich in ihm breit - und der hatte nichts mit der Überlastung seines Magens zu tun. Und eine unbändige Lust auf... Seine Hände wanderten etwas tiefer. Machten sich am Reissverschluss zu schaffen. Dies war noch viel erbärmlicher, aber es musste sein. Süsse Lust durchfuhr seinen kleinen Körper. Sein Atem ging schneller. Schweiss perlte auf seinem Gesicht. Die Augen pressten sich zusammen, sahen hinter verschlossenen Lidern Bilder, die nur er kannte. Wenige Minuten später war der ganze Spuk vorbei. Zurück blieb ein verschwitzter, nach Luft ringender Kyo mit zerzausten Haaren, klebrigen Fingern, einem immer noch schmerzenden Magen und einer klaffenden Wunde im Herzen. + + + Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)