Akai Tsuki no mukou ~ Beyond the Red Moon von eurydike (Eine Dir en grey-/Merry-/MUCC-/Kagerou-Story / Final chapter 24 uploaded!) ================================================================================ 01. [Alpha] ----------- Er liess sich vom Strom mitziehen. Mit gesenktem Blick, froh über diese Anonymität. Hier schenkte ihm niemand Beachtung, schon gar nicht zu dieser Zeit. Hier war er nichts weiter als einer unter Hunderten, die sich ihren Weg hinaus ans Tageslicht bahnten - genau so anonym wie er, schnellen Schrittes ihrem gemeinsamen Ziel entgegen. Wortfetzen drangen ungefiltert an sein rechtes Ohr, wie durch Watte an sein linkes. Asymmetrisches Hören - daran hatte er sich mittlerweile gewöhnt, sich damit abfinden müssen. Der Strom zog weiter, immer schneller, wie ihm schien. So, als könnten sie es alle kaum erwarten, an ihre endgültigen Ziele zu kommen - nach Hause, wo Frau und Kinder bereits mit dem Essen warteten; zur nächsten Karaoke-Bar für eine After-Work-Party mit Arbeitskollegen, die sich im Laufe des Abends wohl alle im selben Mass blossstellen würden, wie der Betreffende, und worüber am nächsten Tag im Büro kein Wort mehr verloren werden würde; in die Disco, eine Bar, ins Kino oder Live House mit Freunden oder in ein Restaurant zu einem gepflegten Abendessen... Ein Grunzen entrang seiner Kehle und ging sogleich unter, versank im Plätschern des endlos dahinfliessenden Flusses. Sein Herz flatterte grundlos. Der bevorstehende Abend hielt nichts für ihn bereit. Vor ihm teilte sich der Fluss, das Delta war erreicht. Mit der linken Hand umklammerte er die prall gefüllte Einkaufstasche fester, mit den Fingern der rechten Hand wühlte er in der tiefen Tasche seines Parkas nach der zeitweiligen Erlösung, steckte sich den grazilen, weissen Stengel zwischen die trockenen Schmolllippen und schenkte ihm Leben. Inhalieren bedeutete eine temporäre Beruhigung seiner unsteten Nerven. Wohl gerade lange genug, bis er in seiner Höhle ankam, seinem Refugium. Erstaunt stellte er fest, dass nicht mehr das Auge des Tages sein Licht verbreitete, sondern dies fügsam den riesigen Leuchtreklamen und sonstigen Quellen künstlichen Lichts der Zivilisation überlassen hatte. Wie lange schon war er nicht mehr zu der Zeit aus dem Studio gekommen? Es musste Ewigkeiten her sein - der Übergang von Sommer zu Herbst war unbemerkt an ihm vorüber gezogen, fehlte in seiner Erinnerung. Ein Frösteln durchlief ihn, und er zog stärker an seiner Zigarette, als ob die schwache Glut ihn erwärmen könnte. Nieselregen. Der Strom hatte sich verflüssigt, war nach rechts geflossen, wo das Leben pulsierte, die Lichter strahlten, die Musik dröhnte. Dahin jedoch, wohin er sich wandte, führten nur die Wege derer, die hier ihre Bleibe hatten. Seltsam, wie sich das Antlitz dieses Teils der Stadt nach nur wenigen Metern wandelte. Sogar nach all der Zeit kam er nicht umhin, darüber zu staunen. Heute jedoch, wo er seit langem einmal wieder darauf bestanden hatte, die U-Bahn zu nehmen, anstatt sich chauffieren zu lassen, stachen ihm die beiden Gesichter unheimlich intensiv ins Auge. Müde presste er die Lider zu, nahm einen letzten tiefen Zug und ertränkte den Stummel in einer kleinen Pfütze. Feuchtigkeit tropfte vom Kastanienbaum, den er von seinem Schlafzimmerfenster aus sehen konnte und an dem er nun vorbei ging. Ein ganz frecher Tropfen landete gezielt in seinem Nacken, kühles Nass rann über seinen Rücken und starb irgendwo in einer Falte seines Basketball-Shirts. Das niedere Gartentor quietschte protestierend, verweigerte jedoch ihm den Zutritt zum Vorgarten nicht, den er nun durchschritt. Der geharkte Kies knirschte unter den Sohlen seiner Converse. Hinter einigen Fenstern des Apartment-Hauses brannte warmes, einladendes Licht. Aus einem der offenen Fenster im zweiten Stock drangen Stimmen, Lachen, der Duft nach Essen. Sein Magen knurrte, als er genüsslich schnupperte. Auch noch auf dem Weg nach oben, die Treppe hinauf in seine Wohnung, verfolgte ihn der herrliche Geruch, setzte sich in seiner Nase fest. Die Wohnung, deren Tür er nach den beinahe 50 Treppentritten aufschloss, war dunkel. Kalt. Abgestandener Zigarettenrauch. Geschickt streifte er sich die Schuhe von den Füssen, liess sie achtlos liegen. Warum Ordnung halten, wenn man sowieso keinen Besuch erwartete? Das zerwühlte Bett spendete Trost, wie so oft. Die volle Einkaufstüte wartete neben den Allstars auf bessere Zeiten. In seiner Nase hing noch immer der Duft nach frischem Okonomiyaki, und die mondförmige Lampe verbreitete ihr sanftes, rotes Licht. * * * Das dritte Bier. Schnell geleert. Zigarette zwischen langen Fingern. Prüfende Blicke. Befriedigtes Grinsen. "Oi, das war wohl nichts...". Ein freundschaftlicher Klapps auf weiss-schwarz gestreiften Stoff. Ein verschmitztes Lächeln. "Hey, ich spiel nur so schlecht, damit du heute wenigstens ne Chance hast...". Arrogantes Lachen. "Was du nicht sagst...und wer gilt offiziell als der beste Spieler unserer Truppe?". "Du - aber nur, wenn du nicht angetrunken bist...". Ein noch verschmitzteres Grinsen. Verdutztes Gesicht. Leicht verletztes Schmollen. Aufmunternder Klapps auf bordeauxrotes Puma-Shirt. "War ein Witz - los, zeig uns, was du drauf hast!". Der athletisch gebaute Bassist von Dir en grey setzte sich an den niedrigen Tisch, schenkte den anderen Typen in der Runde ein breites Grinsen. "Sieht so aus, als würde er uns heute mal wieder alle degradieren". Der junge Stylist zu seiner Rechten zog die Augenbrauen hoch. "Wann tut er das nicht? Er ist der King of Bowling, das muss man ihm lassen. Der einzige, der eventuell was gegen ihn ausrichten könnte, wäre Kaoru...". "...und der schlägt sich mal wieder die Nacht um die Ohren". Toshiya warf einen schnellen Blick auf seine Digitaluhr am Handgelenk. 23.00 Uhr. Noch keine Zeit für Kaoru. Vermutlich würde er gar nicht erst ins Bett gehen. Warum nur machte sich auf einmal so ein schlechtes Gefühl in ihm breit? Ihre Arbeit für heute war getan - Kaoru hatte keine weitere Hilfe mehr gewollt. Er mochte es, die Kontrolle zu haben. Und doch spürte der Bassist, wie sich in seinem Herz etwas regte. Neid? Kaoru hatte bisher noch keinen seiner Songs verschandelt - er würde auch dieses Mal alles richtig machen, die richtigen Ideen haben, die passenden Anweisungen geben... "STRIKE!!!". Ein aufgeregt-überdrehter Gitarrist hüpfte umher und belohnte sich selbst, indem er sich ein weiteres Bier bestellte. Toshiya zog amüsiert die Mundwinkel nach oben - von gegenüber musterte ihn ein aufmerksames, dunkles Augenpaar. * * * "Sie will schon wieder ins Bett...". Ein Seufzen. Die junge Frau stützte sich auf ihre Ellenbogen und wartete, dass die Gestalt neben ihr sich rührte. Ein weiteres Seufzen. Ein Kopf mit rötlich-glänzenden Haarsträhnen bewegte sich, wandte sich um. "Gomen..." Leichtes Kopfschütteln. "Weißt du, ich war schon oft eifersüchtig auf andere Frauen - aber das ist wohl das erste Mal, wo meine Konkurrentin eine kleine Hündin ist...". Shinya atmete tief ein, setzte sich langsam auf, gab Akemi einen sanften Kuss auf die Wange. "So sieht sie dich ebenfalls - als Konkurrenz!". Lachen. "Dann wird es aber Zeit, dass ich ihr beibringe, dass in diesem Bett von nun an ich das Sagen habe...". Kichern. "Ja, sieht wirklich so aus, als müsste sich Miyu langsam aber sicher an die veränderte Situation gewöhnen...". Grosse Augen. "Ich bin tatsächlich die Erste, die möglicherweise die Ehre hat, einen Platz in deinem künftigen Leben einzunehmen". Keine Frage - eine Feststellung. Eine ganze Weile regte sich gar nichts. Nur das regelmässige Atmen zweier Menschen war zu hören. Und das von den beiden nun ungehörte verzweifelte Winseln eines kleinen Hündchens draussen im Wohnzimmer. Dann sah Akemi zwei glänzende Kugeln vor ihren Augen, die direkt in ihnen versanken. Warmer Atem auf ihrem Gesicht. Eine kühle Hand auf ihrer Hüfte. "Ja...ja, das wäre möglich...". Die junge Frau liess sich zurück in ihr Kissen fallen - langes, dunkelbraunes Haar breitete sich wie ein Fächer auf der weissen Fläche aus. "Sofern ich bereit bin, dich mit deiner Hündin und deiner Band zu teilen". Wieder eine Feststellung. Leises Zungenschnalzen. "So sieht's aus". "Wann musst du morgen raus?". "Bin um halb Acht mit Kaoru im Studio verabredet...". "Dann haben wir ja noch genügend Zeit...". Shinya zog seine Freundin an sich. "Unersättlich bist du - und hast keinen Respekt vor hart arbeitenden Leuten". "Es zwingt dich keiner, Schlagzeuger zu sein". Neckendes Lachen. Gutmütiges Brummen. "Krieg ich trotzdem eine Massage?". Die dünne Gestalt legte sich auf den Bauch und streckte sich stöhnend aus. "Meine Schulter, du weißt schon...". Akemi setzte sich wieder auf, band sich die Haare zusammen und beugte sich über den leidenden Schlagzeuger. "Ich sagte ja, wir haben genügend Zeit...". Als ob sie telepathisch veranlagt wäre, heulte Miyu im Wohnzimmer noch lauter. Erfolglos... * * * Eine weitere Zigarette verbrannte ungeraucht im Aschenbecher. Von dem, der sie angesteckt hatte, sträflich ignoriert und versetzt. Laute Musik dröhnte durch den Raum. Immer wieder waren die gleichen Gitarrenriffs zu hören, in immer wieder ändernden Arrangements, immer wieder anders abgemischt. Der junge, erschöpft aussehende Mann hinter dem Mischpult blickte auf. "Was sagst du denn dazu?". Eine weitere Variante. Ein blondbrauner Wuschelkopf hob sich, hörte konzentriert zu, nickte dann langsam. "Ja...doch...ich glaube, wir haben's gleich". Der Mischer zwang sich dazu, nicht erleichtert aufzuseufzen. Stattdessen legte er noch einmal eine leicht veränderte Version vor und war ziemlich stolz auf sich, als Kaoru den Song endlich absegnete. Der Lead-Gitarrist setzte sich gerade hin, liess seinen Nacken knacken, griff nach der vernachlässigten Zigarette und fluchte leise, als er nur noch einen schwelenden Stummel zu fassen kriegte. "K'so...". Schnell steckte er sich wieder eine neue an und sah mit müden, geröteten Augen eine Liste durch. "Okay, drei Viertel der Songs sind soweit fertig - wenn Inoue und die Typen von der Plattenfirma morgen...ehm...heute...kommen, werde ich sie ihnen vorlegen und mir anhören, was sie dazu zu sagen haben. Shinya sollte so gegen halb Acht kommen, ich werde mit ihm dann noch die Drum-Parts für "Red...[em]" und "MARMELADE CHAINSAW" durchgehen, damit er die gleich mit Toshiya einspielen kann, solange ich mit den Chefs zusammensitze. Ihr braucht also nicht so früh zu kommen - gegen zehn Uhr reicht. Ich denk mal, die grosse Arbeit wartet dann auch wieder gegen Abend auf uns...". Die paar Mischer und Soundtechniker, die noch im Studio waren, fassten dies als Entlassung auf, schalteten ihre Geräte ab, packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg nach Hause. Kaoru blieb sitzen. Zu viel ging ihm noch durch den Kopf. Hatte er alles richtig gemacht? Wie würden die Songs ankommen? Zweifel über Zweifel. Eine beängstigende Unsicherheit machte sich in ihm breit... Was, wenn dieses Album kein Erfolg würde? Was, wenn keiner mehr ihre Musik hören wollte? Im gleichen Atemzug schämte er sich für diese Gedanken. Er und die anderen hatten sich den Arsch dafür aufgerissen. Die letzten fünf Monate hatten sie beinahe nur hier verbracht - na ja, zumindest er. Kyo hatte einmal mehr wunderbare Lyrics geschrieben, sich selbst übertroffen. Und er und die anderen drei hatten dann dafür gesorgt, diese Texte in packende Melodien zu hüllen. Eigentlich war alles perfekt. Sie lagen im Zeitplan, allen ging es gut. Und doch war da dieses Unbehagen, das seit ein paar Tagen an ihm nagte... Er wusste nicht, woher genau es kam. Auch nicht, worauf oder auf wen es sich bezog. Er wusste nur, dass seine Gefühle und bangen Vorahnungen ihn meist nicht trügten... + + + Okay, das war er, der erste Teil. Ich würde mich sehr über Kommentare und sonstiges Feedback freuen, damit ich weiss, ob ich an der Story überhaupt weiterschreiben soll oder nicht... ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)