Akai Tsuki no mukou ~ Beyond the Red Moon von eurydike (Eine Dir en grey-/Merry-/MUCC-/Kagerou-Story / Final chapter 24 uploaded!) ================================================================================ 17. [Setech] ------------ Gegen 2 Uhr früh wurde es Nero zu bunt. Er legte seine Drumsticks beiseite und stand auf. Sein Oberkörper glänzte leicht vor Schweiss und jetzt, wo er nicht mehr auf die Felle einschlug, wurde ihm erst bewusst, wie kühl es im Proberaum war. Er nahm sich eines der bereitliegenden Frottiertücher und trocknete sich ab. Eine Erkältung war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Ein Blick durchs Fenster in den angrenzenden Raum ergab dasselbe Bild wie noch vor einer Stunde. Gara sass da - Schal um den Hals, die Haare zerzaust - und kritzelte vor sich hin. Normalerweise ein gutes Zeichen, doch der Schlagzeuger konnte an der Haltung des Bandleaders erkennen, dass bei diesen Kritzeleien nicht allzu viel Produktives rauskam. Sie beide waren die letzten, alle anderen bereits gegangen. Die Stille, die den Schlagzeuger nun umfing hatte Etwas seltsam bedrohliches. Nero fröstelte. Er zog sich seinen Pulli über und machte sich auf zu Gara. Es musste etwas geschehen. "Du bist ja ganz schön fleissig...". Sarkastisch. Trocken. Der Sänger fuhr erschrocken zusammen und blickte zu seinem Bandkollegen auf. Jetzt erst sah Nero die vielen aufgekratzten Pickel in Garas Gesicht. Gar nicht gut. "Ich...". Voller Unmut wurden die vielen Notizblätter zusammengeknüllt und landeten auf dem Boden. "...ach, alles scheisse!". Frustriert liess Gara sich im Stuhl zurückfallen und rieb sich das malträtierte Gesicht. "Vielleicht solltest du mal ne Pause machen. So geht das schon seit Tagen." Nero zog einen Stuhl heran und setzte sich. Es war nicht seine Art, andere auszuquetschen, besonders dann nicht, wenn es sich um seine Bandkollegen handelte, aber verdammt, wenn Gara nicht von sich aus redete... Böses Funkeln. "Ach Nero...". Der Sänger griff nach seiner halbleeren Zigarettenpackung. Eine leere lag bereits inmitten allen Papiers auf dem Boden. Der Schlagzeuger gab ihm Feuer. Schweigen. Nero gab Garas Verschlossenheit gerade so lange, bis die Zigarette aufgeraucht war. Also wartete er geduldig. "Ich bin ein Idiot...". Doch schneller als erwartet. "Probleme mit Sachi?". Trauriges Grinsen. "Nein, mit ihr ist alles bestens." "Und warum bist du dann nicht bei ihr?". "Sie kümmert sich um Chieko". Der Schlagzeuger hob die Augenbrauen. Dieses Gespräch nahm eine andere Wendung, als er erwartet hatte. "Deine Cousine? Die mit Kyo was hat?". Der Sänger nickte langsam und zuckte gleichzeitig die knochigen Schultern. "Ja und nein. Ich weiss es nicht. Wir haben Scheisse gebaut. Ich habe Scheisse gebaut." Und dann plätscherten die Worte wie ein Wasserfall. Drei Zigaretten und weitere kleine Wunden in Garas Gesicht später war Nero im Bild. "Im Endeffekt ist doch alles Kaorus Schuld, nicht?!". "Nein, meine. Ich hätte gar nicht erst mitmachen sollen". "Nun hör aber auf! Immerhin war es immer noch Kyo, der Chie kennenlernen wollte, oder?!". "Wenn er gewusst hätte, wer sie ist, hätte er's nicht gewollt". Auflachen. "Ach komm, das ist doch hirnrissig! Warum stellt er sich denn so an?!". "Er hat mir vertraut, er hat Chie vertraut - und nun ist alles hin". "Verdammte Scheisse, Gara! Kyo ist erwachsen! Ihr kennt euch schon so lange - wenn er dir diese Sache nachträgt, ist er echt nicht mehr zu retten! Und lass verdammt nochmal deine Pickel in Ruhe!". Ertappt liess Gara die Hand sinken und verbarg sie in seinem Schoss. "Warum magst du Kyo nicht?". Seufzen. Nero zündete sich nun seinerseits eine Zigarette an und nahm zwei Züge, bevor er zu einer Erklärung ansetzte. "Ich mag Kyo, er ist ein netter Kerl. Aber ich mag die Art nicht, wie du dich verhältst, sobald es um ihn geht. Du hinterfragst alles oder auch nichts, du verzeihst ihm alles, du idealisierst ihn und stellst ihn auf ein verdammtes Podest". Schmollen. "Ich kenne ihn besser als du, Nero. Ich habe meine Gründe". Langsam verlor der Schlagzeuger die Geduld. Das war doch nicht zu fassen. "Wir alle hatten mal schwere Zeiten. Nur weil Kyo es nicht schafft, endlich die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ist es noch lange kein Grund, ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Lass ihn doch einfach in Ruhe und warte ab - er wird schon wieder angekrochen kommen, wenn er dich braucht". "So ist es doch gar nicht". "Ich weiss. Ich versuche nur, dir Vernunft einzutrichtern". "So erreichst du aber bloss das Gegenteil". "Na wenigstens ist dir das bewusst...". Nero erhob sich. "Ich geh dann nach Hause - und das solltest du auch tun. Mach dir ne schöne Nacht mit Sachi und vergiss Kyo". "Das kann ich nicht". Garas Stimme klang wie die eines kleinen Jungen - trotzig, uneinsichtig, verloren. Er sass nun auf dem Stuhl, wie er es bei Merrys Konzerten oft auf seinem Pult tat - die dürren Beine angezogen, die Arme darum geschlungen. Der Schlagzeuger fuhr sich verzweifelt durch die verstrubbelten Haare. "Dann kann ich dir auch nicht helfen, tut mir leid...". * * * Die junge Frau liess ihr Keitai sinken und steckte es zurück in ihre Handtasche. Die Bar war beinahe leer. Normalerweise vermied sie es, an ihren freien Abenden in Nachtclubs rumzuhängen, doch Chieko hatte Lust darauf gehabt, und Sachiko konnte ihrer Freundin nur schlecht etwas abschlagen. Müde nippte sie an ihrem Ginger Ale. Schon halb 3 durch. Um 10 begann ihre Englisch-Vorlesung. Zu viel Schlaf würde sie nicht mehr kommen Als Chie an den Tisch zurückkam, gähnte ihre Freundin laut. "Nanana - halt dir wenigstens die Hand vor den Mund!". Ein breites Lachen zierte Chiekos Gesicht. Wenigstens das. Als sie um 11 in der Bar aufgetaucht war, war sie ein Häuflein Elend gewesen. "Ich dachte, das könntest du für mich tun...". Sachiko grinste und blinzelte schläfrig. Ihre Freundin setzte sich schwerfällig und konnte nun ihrerseits ein Gähnen nicht unterdrücken. "Wir sind betrunken und reif fürs Bett, was?!". Mit einem Nicken schob Sachi ihr ihr Glas hin. "Trink, das hilft. Ich werd aber wohl jetzt mal gehen - Gara hat grad getextet, er ist auf dem Weg nach Hause". "Kannst du ihn auch so easy aufheitern wie mich?". "Leider nein - he's having a hard time". "Ich hoffe, du behältst Recht und Kyo wird sich wieder einkriegen". "Auf jeden Fall - er hat dich bestimmt gern, und du weißt, wie sehr er an Gara hängt". "Ja. Aber darum wird das alles für ihn umso schlimmer sein". "Jetzt fang nicht wieder an. Das hatten wir doch alles schon". "Sorry. Ich vermisse ihn, weißt du?". "Wenn du ihn auch nur halb so sehr vermisst, wie ich Gara all die Monate vermisst hab, dann...". "Du hast ihn ja wieder!". Chie knuffte ihre Freundin in die Seite. "Tatsurou hat grad zur rechten Zeit eingegriffen, wenn Gara dich jetzt nicht hätte, wäre er wohl richtig arm dran". "Hör auf, so schlimm ist es doch nicht". "Doch, ist es...". "Müsste ich eigentlich neidisch auf Kyo sein?". Lachen in der Stimme. "Er nimmt meinen Freund und meine beste Freundin für sich ein". Nun lachte auch Chieko. Doch eine passende Erwiderung auf das Gesagte wollte ihr nicht einfallen. * * * Der Gitarrist streckte seine langen Beine von sich und seufzte. Die Tour begann an ihm zu zehren. Seit ein paar Tagen plagte ihn Muskelkater in den Beinen - von den ewigen Verspannungen in der Schulter und im Nacken ganz zu schweigen. "Noch zehn Tage...". Toshiyas Stimme hinter ihm. Der Bassist war so leise in den Raum getreten, dass der Gitarrist ihn gar nicht hatte kommen hören. Die wandte sich halb um und nickte. "Wird auch Zeit, ich komm mir vor wie ein Krüppel". "Es wird immer schlimmer, ne?!". "Ja, allerdings. Freu mich ja schon auf die paar freien Tage nach Neujahr". "Und ich erst". Der Bassist steckte sich eine Zigarette an und blieb neben seinem Freund stehen. "Wo sind denn die anderen alle?". "Kaoru hat was Wichtiges mit Inoue zu bereden", der Gitarrist zog verächtlich die Augenbrauen hoch. "Shinya ist schon auf der Bühne. Und Kyo...keine Ahnung. Er macht mal wieder auf Einsiedler. Ich hasse es, wenn er so drauf ist". Die rümpfte angewidert die Nase. "Wer hasst es nicht. Weißt du, was mit ihm ist?". Schulterzucken. "Keine Ahnung - wohl das Übliche". "Die übliche Unlust? Meinst du? Bis vor ein paar Tagen ging's ihm doch noch ganz gut". Der Gitarrist überlegte kurz. "Stimmt eigentlich. Seit er sich mit Chieko abgesetzt hatte, ist er so". "Eigentlich müsste es ihm doch gerade seit da super gehen, oder?". Der Bassist zwinkerte anzüglich und zog sich einen Stuhl heran. "Aber nur, wenn er bekommen hat, was er wollte". "Du meinst Chieko hat ihn noch nicht rangelassen?!". Toshiyas Grinsen wurde breiter, anzüglich. "Woher soll ich das wissen, frag ihn doch". Verletzter Blick. "Du bist ja auch nicht viel besser drauf. Was ist dir über die Leber gelaufen?". Die fuhr sich durch die ungestylten Haare. "Ach, ich weiß auch nicht - hab keinen Bock mehr. Will nach Hause. Yoshie fehlt mir. Ich glaub, ich werde alt". Lachen. "Nun stell dich nicht so an - schließlich geht's uns allen gleich". "Ich hab mich selten so sehr auf das Ende einer Tour gefreut". Sein Freund drückte seine Virginia im bereitgestellten Aschenbecher aus. "Hast du schon Pläne für Januar?". "Zuhause rumgammeln, vielleicht meine Eltern besuchen - ich bin froh, mal gar keine Pläne zu haben. Du?". "So ziemlich dasselbe. Vielleicht hol ich mal wieder meine Stifte hervor - ich hab schon viel zu lange nicht mehr gezeichnet". Die nickte bedächtig. Draußen ertönten schnelle Schritte und einer der Roadies steckte den Kopf zur Tür herein. "Toshiya? Wir brauchen dich oben...". Seufzend stand der Bassist auf und lächelte Die aufmunternd zu. "Komm schon - noch sechs Konzerte. Das Ende ist absehbar". Bevor der Gitarrist etwas erwidern konnte, war Toshiya auch schon verschwunden. * * * Der Daisuke, der seine Wohnung betrat, wirkte blasser als sonst. Wortlos streifte er sich die Chucks von den Füssen und folgte Gara ins Wohnzimmer, wo bereits Daruma saß. "Oh, ich wollt euch nicht stören...". Der Sänger von Kagerou blieb etwas unschlüssig stehen. "Tust du nicht, wir haben nur ein paar Illustrationen besprochen - alles schon erledigt". Daruma lächelte freundlich und steckte gerade eine Zeichnungsmappe zurück in seine königsblaue Umhängetasche. Erleichtert ließ Daisuke sich in einen der Sessel fallen und zauberte aus eine Papiertüte hervor. "Donuts?!". Die Augen des Illustrators blitzten. Verhaltenes Nicken. "Bedien dich". Der begabte Zeichner ließ sich nicht zweimal bitten und langte zu. Sich zwischen zwei Bissen die Lippen und Finger leckend, wandte er sich an den Sänger: "Wie läuft eure Tour? Gut gestartet?". Von einem Lächeln begleitetes, enthusiastisches Nicken. "Ah, sugee na! Die richtige Einstimmung auf die Tour im Februar. Bin ganz froh, dass wir vor Ende Jahr noch etwas zum Spielen kommen." Daisuke schluckte und fuhr sich durch die Haare. Genau wie auf der Bühne, ging es dem Illustrator durch den Kopf, bevor er sich wieder eingehend seinem Donut widmete. Der Sänger stand auf und ging in die Küche, wo Gara gerade eben Instantkaffee in zwei Tassen löffelte. "Machst du mir nen Tee?". Überrascht blickte der Sänger von Merry auf. "Ich dachte, du magst den Kaffee so gern...". "Ja, aber nicht heute. Sorry". Etwas ratlos schüttete Gara das Pulver aus der einen Tasse zurück in die Dose und suchte im Schrank nach vorrätigem Tee. "Ich hab nur ganz hundsgewöhnlichen Grüntee. Hoffe, der ist überhaupt noch genießbar...". "Passt schon. Ich bin hart im Nehmen". Gara schaltete den Wasserkocher ein und musterte seinen Freund eingehend. Daisuke stand gedankenverloren da und spielte mit einem Löffel. "Du hast auch ne Weile nichts von Kyo gehört, oder?!". Der Sänger von Merry wandte sich um. Wachsam. "Wie kommst du darauf?". "Nero hat vorhin irgendwas angedeutet". "Du warst bei uns im Proberaum?". Erstaunen. "Ja. Normalerweise findet man dich so kurz vor nem Live ständig dort". "Ich war bis heute früh um 3 da. Warum hast du nicht angerufen?". "Dein Handy ist aus...". "Oh...sorry!". Gara grinste zerknirscht und goss das kochende Wasser auf. Seit er sich vor ein paar Monaten entschlossen hatte, seinen Festanschluss zu kündigen, war er tatsächlich nur noch über sein Keitai erreichbar. Daisuke winkte ab und griff sich vorsichtig die Teetasse. "Danke. Ich hab Donuts mitgebracht - falls Daruma sie noch nicht alle vertilgt hat, hat's für dich noch einen übrig". Der Sänger von Merry brachte es nicht übers Herz, seinem Freund zu sagen, dass das Letzte, worauf er im Moment Lust hatte, süße, klebrige Donuts waren. Zusammen gingen sie zurück ins Wohnzimmer und machten es sich in den Polstersesseln gemütlich. Daruma hatte zwei Donuts vertilgt, kritzelte nun konzentriert auf seinem Sketchbuch vor sich hin und schien die beiden nicht weiter zu beachten. "Also, was ist nun, hast du von Kyo gehört oder nicht?". Daisuke nippte am heißen Tee und verzog schmerzhaft den Mund. Gara schüttelte den Kopf. "Nein, gar nichts. Nicht seit Chie ihm reinen Wein eingeschenkt hat". "Also nimmt es ihn doch ganz schön mit...". "Sieht so aus. Ich fühle mich so schuldig, verdammt!". Der dünnere Sänger setzte seine Tasse so hart auf, dass die gläserne Tischplatte klirrte. Sein Freund schwieg und rührte in seinem Tee. Auf einmal fiel es Gara wie Schuppen von den Augen. "Er meldet sich bei dir auch nicht mehr". Traurige Augen trafen seine. Nicken. "Warum tut er das? Was hab ich denn mit der Sache zu tun?". "Vergiss nicht, er ist auf Tour...", setzte Gara beruhigend an. "Das hat ihn aber bisher nicht daran gehindert, auf Nachrichten zu antworten oder mal kurz anzurufen. Und ich bin auch auf Tour". Der Punkt ging an Daisuke. Gara suchte nach den richtigen Worten. "Dass Chie und ich seine Wut zu spüren kriegen, war klar - aber dass er dich auch mit reinzieht...". "...ist verdammt nochmal nicht fair! Ich habe nichts getan." Daruma sah kurz auf und musterte die beiden. Dann widmete er sich wieder seiner Zeichnung. "Wenn er ans Telefon ginge, würde ich ihm alles erklären, aber...". Gara hob bloß hilflos die Schultern. Der Kaffee schmeckte auf einmal bitter und verursachte ihm Brechreiz. "...ich komm nicht an ihn ran", brachte er den Satz mühsam zu Ende. Daisuke nahm einen großen Schluck Tee und nickte verständnisvoll. Seine Wangen hatten wieder etwas Farbe angenommen. "Ich bin nicht gekommen, um dir Vorwürfe zu machen. Eigentlich hattest du mich vor sowas gewarnt, ne? Ich konnte mir damals so schlecht vorstellen, dass Kyo so reagieren würde. Hoffe bloß, er kriegt sich wieder ein. Die ganze Situation ist bescheuert. Er wollte doch auf eines unserer Lives kommen. Und für Beautifool's hat er sich doch auch interessiert, oder?!". Der Sänger von Merry nickte langsam. Vor seinen Augen drehte sich auf einmal alles. Wenn er daran dachte, dass er nachher noch zur Probe musste, wurde ihm anders. Fröstelnd ließ er sich tiefer in den Sessel sinken und zog die Beine an. Schweigen breitete sich aus. Das Kratzen von Darumas Stiften auf dem rohen Sketchpapier wirkte einschläfernd und lullte die beiden Sänger ein. "Wann musst du denn zur Probe?". Gara sperrte die halb zugefallenen Augen auf. "Eigentlich in einer halben Stunde...". "Eigentlich?". Daisukes Stimme klang besorgt. Daruma setzte den Stift ab und musterte Gara forschend. Statt einer Antwort fuhr der Sänger von Merry hoch und rannte eine Entschuldigung murmelnd ins Bad. Seine beiden Freunde blickten ihm mit großen Augen nach und tauschten danach wissende Blicke. "Sorgst du dafür, dass er zuhause bleibt? Ich fahr ins Studio und sag den anderen Bescheid". Daruma packte seine Zeichenutensilien nun endgültig weg und stand auf. Der Sänger von Kagerou nickte. "Ja, nen Tag relaxen wird ihm ganz gut tun". Der Illustrator räusperte sich zustimmend. "Ich glaub, ich geh dann - es reicht, wenn du ihn in dem Zustand siehst". Er wusste sehr wohl, wie ungern Gara vor anderen Schwäche zeigte. "Es sei denn, du hast überhaupt Zeit?". Wie konnte er bloß erwarten, dass Daisuke tatsächlich den ganzen Nachmittag bei Gara bleiben konnte und wollte? Doch der Sänger zeigte mit einem Nicken sein Einverständnis und lächelte. "Geh nur, ich kümmer mich schon um ihn". "Sachi müsste gegen 4 von der Uni kommen...". "Kein Problem, ich hab ja heute frei - hau schon ab!". Daruma grinste, reichte Daisuke kumpelhaft die Hand, warf sich seine Tasche um und verließ Garas kleine Wohnung mit großen Schritten. Der Sänger von Kagerou räumte die Tassen in die Küche und bereitete dort frischen Tee zu. Gara würde bestimmt keinen Kaffee mehr trinken wollen. Durch die dünne Wand hörte Daisuke seinen Freund aus dem angrenzenden Badezimmer würgen. Seltsamerweise war ihm dies peinlich. Er wollte diese Töne nicht mit anhören müssen. Vorallem nicht erzeugt von einem Menschen, den er so gern mochte. Als das Teewasser kochte und der junge Sänger den Tee aufbrühte, nahmen die unangenehmen Geräusche ein Ende. Die Klospülung wurde betätigt, Wasser lief, danach erklangen Schritte auf dem Gang. Fast schon dachte Daisuke, dass Gara sich gleich ins Bett verzogen hätte, doch als er beladen mit dem vollen Tablett aus der Küche trat, sah er seinen Freund in seine Bettdecke eingekuschelt auf dem Sofa liegen. "Ist dir bequem so?". Vorsichtig stellte er das Tablett auf den Tisch. Gara lächelte matt. "Im Bett kommen mir eh nur dumme Gedanken. Geht Daruma ins Studio?". Nicken. "Ja, er sagt den anderen Bescheid. Am besten machst du einfach mal nen Tag Pause, ne". Der Sänger von Merry schürzte die Lippen. "Hast ja Recht. Du bleibst aber noch ne Weile, oder?!". Hoffnungsvoll, beinahe ängstlich. "Klar, wenn du mich erträgst...". Freches Grinsen. "Danke". Nur dieses eine Wort. Und doch verstand Daisuke, wieviel darin lag. Er goss den herb duftenden Tee in die Tassen und stand dann auf. "Gucken wir uns ne DVD an?". Gara nickte. Etwas Ablenkung würde ihnen beiden gut tun. "In meinem Zimmer liegen ein paar neue, such dir eine aus". Als Daisuke verschwunden war, setzte der Merry-Sänger sich vorsichtig auf. Noch immer fühlte er sich leicht beduselt, doch er zwang sich, ein paar Schlucke des heißen Tees zu trinken. Sofort breitete sich eine wohltuende Wärme in ihm aus. Gerade als er sich wohlig wieder hinlegen wollte, fiel sein Blick auf ein Papier unter dem Tisch. Hatte Daruma das vergessen? Für gewöhnlich ließ er nie was liegen. Gara streckte den Arm aus und angelte sich das Blatt. Das Bild darauf sah aus wie eine einfache Kritzelei, nichts besonderes. Aber nur auf den ersten Blick. Als der Sänger die Zeichnung eingehender betrachtete, beschleunigte sich sein Puls. Daruma hatte ihn, Daisuke und Kyo gemalt. In einfachen Strichen nur und doch so treffend genau. Das Beängstigende aber war nicht diese Genauigkeit, sondern ein weiteres Detail. Dieses blutrote Herz in der Mitte, der einzige Farbklecks. Ein Herz für sie alle drei. Ein einziges Herz, das Blut durch alle ihre Blutbahnen pumpte. Ein Herz, das sie am Leben erhielt. Hätte Daruma die Venen und Adern, die aus den offenen Brustkörben der drei Gestalten auf dem Bild quollen und sich zum Herz schlängelten, ebenfalls in Farbe gemalt, wäre Gara bestimmt wieder übel geworden. Doch so saß er einfach nur fasziniert da und betrachtete das Werk in ungläubigem Staunen. Der Illustrator hatte die Zeichnung absichtlich da gelassen. Daran zweifelte der Sänger keine Sekunde. Und die Botschaft war unübersehbar. Nicht nur Daisuke und er hingen von Kyo ab, sondern dieser auch von ihnen beiden. Egal wie enttäuscht und verletzt er sich fühlte, sie beide spürten denselben Schmerz - und damit kam auch die Erkenntnis, dass er sich bei ihnen melden würde, sich bei ihnen würde melden müssen, weil er nicht anderes konnte. Doch das Warten würde ihn, Gara, krank machen. Genauso wie es Daisuke wahnsinnig vor Sorge und Enttäuschung machen würde. Aber da mussten sie durch. Kyo musste sich wieder klar darüber werden, wem er vertrauen konnte und wollte. Und Gara hoffte sehnlichst, dass Kyo Daisuke und ihn nicht wegen der Sache mit Chieko (die für andere eine Lappalie gewesen wäre, für Kyo jedoch einen Vertrauensbruch darstellte) aus seinem Leben strich. "Ich dachte, wir könnten uns 'The Fellowship of the Ring' reinziehen, wo doch der zweite Teil schon bald ins Kino...". Daisukes fröhliche Stimme brach ab als er Garas Gesicht sah. "Stimmt was nicht?!". Sofort war er an der Seite seines Freundes und warf einen Blick auf Darumas Zeichnung. "Holy Shit...". Erschrocken ballte der Sänger von Kagerou die Faust vor seinem Mund und ließ die trockenen Lippen über die zarte Haut seiner Hand gleiten. "Es ist toll, oder?!". Gara schielte zu ihm hoch. Stummes Nicken. Dann: "Aber es macht mir Angst...". "Weil es wahr ist?". "Ja". * * * Der erschöpfte Sänger tippte den für sein Vorhaben erforderlichen Code in sein Keitai ein. Seine Hände zitterten leicht. Er saß ganz hinten im kleinen Bus, der sie von der Konzerthalle zum Hotel brachte. Durch die abgedunkelten Scheiben sah er aus den Augenwinkeln die Lichter der Stadt vorbeiziehen. Im Bus war es dunkel. Alle waren still. Nur ganz vorne redete Inoue auf den Fahrer ein. Irgendwelche Belanglosigkeiten. Gerade rubbelte Die sich mit einem Frotteetuch durch die verschwitzten Haare. Toshiya saß, ein Tuch um die Schultern gelegt, neben dem Gitarristen und rauchte eine Zigarette. Der süßliche Mentholgeruch verbreitete sich im Fahrzeug. Shinya und Kaoru waren größtenteils vom Bassisten und vom Gitarristen verdeckt. Doch Shinyas Körperhaltung verriet, dass er ebenfalls mit seinem Handy rumfingerte. Was Kaoru tat, war Kyo eigentlich egal. Er hatte die letzten Tage sehr wenig mit dem Bandleader zu tun gehabt. Vermutlich war der Gitarrist immer noch sauer auf ihn, weil er ihm nicht Bescheid gesagt hatte, als er mit Chieko ins Ryokan gegangen war. Kyo rümpfte die Nase und tippte eine weitere Taste seines Keitais. Seine Brust brannte. Seine Vorderarme auch. Er hatte sich in der Garderobe schon mal notdürftig gewaschen. Richtig verarzten konnte er sich im Hotel. Er hob das Mobiltelefon ans Ohr und lauschte. Seine Mutter. Ihre guten Wünsche für die letzten paar Konzerte. Lieb. Der Typ von READ. Er würde ihm die Tage ein paar Exemplare des Magazins zukommen lassen. Nett. Die nächste Stimme ließ seinen Atem aussetzen. Sein Herz tat einen Sprung. "Bitte lösch diese Nachricht nicht gleich, ich hab dir ein paar Sachen zu sagen. Ich hoffe, es geht dir gut, trotz allem. Es war nie meine Absicht, dich zu verletzen. Du hast meine Erklärung gehört. Und ich kann nicht mehr tun als dir zu versichern, dass ich dich nie verarschen wollte. Nie. Und denkst du wirklich, Gara hätte dir weh tun wollen? Einer deiner besten Freunde?! Und hältst du's für fair, ihm nun die kalte Schulter zu zeigen? Genau diese Reaktion von dir hat Gara befürchtet. Deshalb haben wir auch so lange gewartet, dir alles zu erzählen. Nun hat er verdammte Angst, dich zu verlieren, dich bereits verloren zu haben. Und Daisuke! Was denkst du dir dabei? Er hat doch überhaupt nichts damit zu tun! Also hör bitte auf, ihn zu ignorieren, ja?! Er verdient sowas nicht. Die beiden würden sich unheimlich freuen, dich bei einem ihrer Gigs zu sehn. Ich weiß, dass du dir Beautifool's anschauen wolltest. Und Daisuke hält dir für jedes ihrer Lives ne Karte frei. Es würde beiden sehr gut tun, dich wieder mal im Publikum zu wissen... Naja, vermutlich red ich hier eh gegen ne Wand. Dachte mir nur, dass es dich vielleicht interessiert, dass die beiden tatsächlich leiden. Wenn du mich nie mehr sehen willst, bitte, deine Entscheidung. Aber überleg dir gut, wie du deine Freunde behandelst. Sie vermissen dich. Und ich dich auch, weißt du...". Kyo liess den Hörer sinken und starrte Löcher in den Sitz vor sich. Von links vor ihm betrachtete Die ihn nachdenklich. Er hatte den Sänger die ganze Zeit beobachtet, seit dieser den Hörer ans Ohr gehoben hatte. Hatte sein Gesicht sich verändern sehen. Von einem nachsichtigen Lächeln, über ein businesslikes Grinsen bis hin zu dieser...Verlorenheit, dieser Leere. Als Kyos Augen die seinen nach einer halben Ewigkeit trafen, konnte der Gitarrist erkennen, dass der Sänger eine Entscheidung gefällt hatte. + + + Danke fürs Lesen! ^.^ Bevor ihr euch wundert: Mir ist bewusst, dass Kagerou im Dezember 2003 nicht auf Tour waren, aber es passt so halt grad ganz gut in die Geschichte rein. Ich hab mir übrigens überlegt, einen Fanart-Wettbewerb zu starten. Hätten einige von euch Lust, das Bild von Daruma zu malen, das ich in diesem Kapitel beschreibe? Würde mich mal interessieren, wie ihr diese "Vorlage" umsetzt. ^.^ Schreibt mir bei Interesse doch ne ENS oder macht nen Thread im Akai Tsuki-Zirkel auf. So, und ich meld mich dann wohl mal bis nach dem MUCC-Konzert schreibenderweise ab. Hab jetzt zwei Wochen Ferien und möchte die so richtig geniessen, was bedeutet, dass ich nicht allzu viel an dieser Geschichte weiterschreiben werde. Muss den neuen "Harry Potter" lesen. Und sonst viele schöne Dinge tun. ^.~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)