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Akai Tsuki no mukou ~ Beyond the Red Moon

Eine Dir en grey-/Merry-/MUCC-/Kagerou-Story / Final chapter 24 uploaded!
von

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16.1. [Pele - Teil 1]

Irgendetwas war gestorben.

Er konnte es fühlen. Und sehen. Den Crew-Mitgliedern, die erst seit kurzem mit dabei waren, schien es nicht aufzufallen, sie fielen auf die Charade rein. Doch ihm konnte keiner mehr was vormachen. Nicht nach all den Jahren
 

Der junge Hairstylist hob nachsichtig lächelnd Toshiyas Kapuzenpulli vom Boden auf und legte ihn über eine Stuhllehne. Durch die labyrinthischen Gänge der Halle drangen die Klänge des Soundchecks dumpf an seine Ohren. Er war allein. Die meisten machten sich oben nützlich, während er sich seine Arbeitsutensilien zurecht legte.

Haarspray, Gel, Pomade, Wachs, Schere, Kamm, Fön.

Alles fein säuberlich aufgereiht, bis die Jungs kommen und alles durcheinander schmeissen würden.
 

Er nahm eine angebrochene Flasche Mineralwasser, goss sich einen Becher ein und setzte sich in einen der ausgeleierten Ledersessel. Seine Gedanken wanderten zurück zu den letzten Tagen.
 

Shinya, wie er sich noch mehr als gewöhnlich von allen abkapselte und seine eigenen Wege ging.

Toshiya, dessen Verhältnis zu Die mit jedem Tag inniger zu werden schien.

Kyo. Verknallt. Jedoch ohne rosarote Brille. Stets wachsam, beobachtend, sich seine Meinung bildend.

Die, der in Toshiya einen Ersatz für den Freund gefunden hatte, der ihm endgültig abhanden gekommen war.

Und Kaoru. Stoisch, als könne nichts ihn von seinem eingeschlagenen Weg abbringen. Und kalt, so kalt. Doch Yukie wusste, dass die Lava in seinem Innern brodelte.
 

Der Hairstylist wusste nicht, worin Kaorus und Dies Abmachung bestand. Dass es eine gab, ja geben musste, war ihm jedoch sonnenklar. Während die beiden noch zu Beginn der Tour und auch in den vergangenen Monaten versucht hatten, den schönen Schein zu wahren und so zu tun, als sei alles beim Alten, taten sie nun nichts Dergleichen mehr. Fast so, als hätten sie einander die Erlaubnis erteilt, sich gegenseitig zu ignorieren und damit zu versuchen, sich nicht zu sehr in die Haare zu geraten.

In Hiroshima, als Die sich mit seiner Erkältung rumgeschlagen hatte, hatte er Hoffnung geschöpft. Doch jetzt war ihm bewusst, dass dies sein letzter verzweifelter Versuch gewesen war, die Augen vor der Realität zu verschliessen. Optimismus war hier fehl am Platz. Und wahrscheinlich waren auch die beiden Gitarristen zu diesem Entschluss gelangt.
 

Mit Wehmut dachte Yukie an alte Tage zurück, längst vergangen, doch in seiner Erinnerung festgebrannt, für immer. An den Spass, den sie backstage gehabt hatten. An die Nächte, wo sie alle gemeinsam um die Häuser gezogen waren. An die ausgelassene Stimmung, die bei Konzerten auf der Bühne geherrscht hatte. An das Vertrauen.

Jetzt daran zurückzudenken tat unglaublich weh - und doch schätzte er sich glücklich, die letzen Jahre mit der Band verbracht und in den fünf Musikern sowas wie Freunde gefunden zu haben, auch wenn man nur seine Beziehung zu Toshiya als richtig eng bezeichnen konnte.
 

Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, den fünf Jungs irgendwie zu helfen, verdammt, er hätte es getan. Doch so, wie die Sache stand, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Bangen auf den Ausbruch des Vulkans zu warten - und darauf, dass die Lava alles unter sich begraben und ersticken würde
 

* * *
 

"Warum suchst du dir keinen Nebenjob als Partnervermittler?".

Daisuke zeigte ein freches Grinsen.

"Sehr witzig - ich hab dir das nicht erzählt, damit du dich über mich lustig machst".

Verletztes Schmollen.

Sofort wurde der Sänger von Kagerou ernst und blickte Gara aufmerksam an.

"Warum hast du dich da überhaupt eingemischt?".

"Weil Kyo es nicht zu schaffen scheint, sich ein anständiges Mädchen anzulachen. Aber wie konnte ich denn ahnen, dass er gleich so sehr auf Chie-chan abfährt?!".

"Ach komm, du hattest doch drauf gehofft, dass sie ihm gefällt! Und sie ist ein süsses Mädchen".

"Ja, aber...wir haben Kyo angelogen. Beide. Und mir graut davor, dass Chie ihm in Osaka die Wahrheit sagt...".

Daisuke schwieg und wartete.

"Aus irgendeinem unerfindlichen Grund glaubt Kyo in Chie die Frau gefunden zu haben, die ihn Kazuko vergessen machen könnte. Ich hatte gehofft, dass er eines Tages so jemanden findet - aber wenn Chie ihm die Wahrheit sagt, ist sein Vertrauen ein für allemal dahin. Und was dann geschieht, wage ich mir noch gar nicht vorzustellen...".

Der Sänger von Kagerou bemerkte erschrocken, dass er ihren Namen vergessen gehabt hatte. Den Namen, den Kyo nie aussprach und den sich in seiner Gegenwart niemand zu erwähnen traute. Und der doch dem Namen des Bassisten seiner Band so ähnlich war.

"Kyo mag sensibel sein, aber wenn er sich eure Beweggründe vor Augen führt, wird er es verstehn".

"Meinst du?".

Nur ein Nicken.

"Ich hoffe, du behältst recht - andernfalls könnte ich mir die Sache nie verzeihen".

"Noch ist ja alles okay".

Der Sänger von Merry verzog seine Schmolllippen und steckte sich eine Zigarette an.

"Und wie war das mit Tatsurou? Ich kann's ja kaum fassen, dass er dir sowas erzählt hat!".

Gara war froh über den Themawechsel - wenigstens hier hatte er noch keinen Mist gebaut.

"Ja, ne, ich dachte bisher auch, er sei ganz happy mit diesen unverbindlichen Beziehungskisten, die er am Laufen hat".

"Ist das ein Zeichen dafür, dass Tata-sama alt wird?!".

Herzliches Lachen.

"Naja, wahrscheinlich fühlt er sich ausgeschossen, jetzt, wo sich so ziemlich alle um ihn rum in ernstere Beziehungen stürzen".

Daisuke zog eine Schnute.

"Und was ist mit mir?"

"Oh, fühlt Puchi-Daisuke sich auch ungeliebt?!".

"Ja, Puchi-Daisuke hat sich deshalb schon überlegt, ins Wasser zu gehn".

"Baka!".

Gelächter.

"Nein, ehrlich gesagt bin ich grad ganz froh, niemanden zu haben. Wir haben im Moment so viel zu tun, ich hätte eh keine Zeit für ein Mädchen. Und wenn's passt, wird sich dann schon irgendwann was ergeben".

"Die richtige Einstellung".

"Hm, man kann nichts erzwingen, ne?".

Eine Weile sagte keiner der beiden was. Gara rauchte gedankenverloren seine Zigarette zuende, und Daisuke sinnierte ebenfalls vor sich hin.

"Wie war eigentlich das Konzert? Hast du überhaupt was davon mitbekommen?".

Der Sänger von Merry zerdrückte den Stummel im Aschenbecher und blickte verschmitzt grinsend auf

"Aus bekannten Gründen nur die Hälfte - und auch die nur sehr wage".

Nachsichtiges Lächeln.

"Trotzdem, wie war's?".

"Ehrliche oder beschönigende Antwort?".

Der Sänger von Kagerou seufzte auf.

"So schlimm?".

Schulterzucken.

"Wie man's nimmt - man gewöhnt sich an alles...".

"War wohl doch ganz gut, dass ich nicht kommen konnte".

"Wenn du es schaffst, die Bilder von früher aus deinem Kopf zu verdrängen, dann geht's...".

Daisuke schluckte leer.

"Es tut verdammt weh, das mit ansehen zu müssen...".

Sein Freund nickte bloss.

"Gara?".

"Ja?".

"Manchmal habe ich Angst, dass wir auch mal so enden...".

Der Merry-Sänger schüttelte beschwichtigend den Kopf.

"Ach was - denk doch nicht an sowas!".

"Dir en grey hätten es bestimmt auch nie für möglich gehalten...".

"Daisuke, bitte, du bist doch sonst immer so optimistisch!".

Entschuldigender Blick.

"Sorry, aber...wenn ich Kyo so sehe, kann ich dabei nichts Positives finden".

"Hat er dir was erzählt?".

"Nein, wir hatten schon länger keinen Kontakt mehr. Aber...für mich reichen schon Bilder und PVs...".

Mit einem Mal wurde Gara wieder bewusst, wie viel enger Daisukes Verbindung zu ihrem gemeinsamen Sempai sein musste. Er selbst respektierte und schätzte Kyo, bewunderte ihn sogar. Doch die Gefühle, die Daisuke dem Sänger von Dir en grey entgegen brachte, gingen eindeutig tiefer, grenzten an bedingungslose, platonische Liebe. Und doch wusste er, dass, falls Kyo sich eines Tages von ihm abwendete, sein Herz in tausend Stücke brechen würde.

Plötzlich kam dem Sänger von Merry eine Idee.

"Daisuke?".

"Hm?".

"Was hältst du davon, wenn wir Kyo überraschen?".

"Womit denn?".

"Er hat doch nach den beiden Konzerten an Silvester/Neujahr frei, oder? Und wir beide auch. Wie wär's, wenn wir uns für ein paar Tage nach Hokkaido verziehn? Nur wir Drei?".

Grosse Augen begegneten den seinen.

"Sugee na!".

"Gute Idee?".

"Ja, und wie!".

"Tetsus Eltern haben da oben ein Ferienhaus - soweit ich weiss, fliegen sie über Weihnachten nach Hawaii, und wenn sie nicht selbst rauf fahren, vermieten sie das Haus im Winter immer. Wenn ich also Tetsu früh genug Bescheid sage, kann er uns die Hütte frei halten".

Ein Strahlen stahl sich in die dunklen Augen seines Gegenübers.

"Das wär ja perfekt - ich war schon lange nicht mehr so richtig im Schnee. Und Kyo würde die Abwechslung bestimmt gut tun".

"Denk ich auch. Ich red heute gleich mal mit Tetsu".

Das Klingeln von Garas Handy unterbrach die Unterhaltung.

"Sachi?", erkundigte sich Daisuke, neugierig wie immer.

"Nein, Kyo...".

Verwundert nahm der Sänger von Merry den Anruf entgegen.

"Moshi, moshi?!".

"...".

"Hey, alles klar?".

"...".

"Was ist denn los?".

"...".

Garas Gesicht verhärtete sich zu Stein, als er Kyos Worten lauschte. Daisuke rückte näher an seinen Freund ran, im Versuch, mitzubekommen, was ihr Sempai so wichtiges auf dem Herzen hatte.

"Das ist nicht wahr?! Jetzt sind die beiden da? Was denkt DT sich dabei?!".

"...".

"So ein Arschloch!".

Die Stimme des Merry-Sängers wurde lauter, und er rollte kopfschüttelnd die Augen.

"...".

"Ja, ganz deiner Meinung. Und wo bist du grad?".

"...".

"Okay, verstehe. Dann macht euch mal nen schönen Tag - und hey, macht euch nicht zu viele Gedanken, wird schon werden".

"...".

"Keine Ursache, immer gern. Tut gut, wenn man seinem Ärger Luft machen kann, ne?!".

"...".

Daisuke rückte wieder ab. Er hatte kein Wort mitbekommen und starb vor Neugier. Garas angewidertem Gesichtsausdruck nach zu schliessen, hatte Dir en greys Management mal wieder so richtig scheisse gebaut. Wie so oft. Bevor der Telefonierende die Verbindung unterbrechen konnte, bedeutete ihm sein Freund, Kyo von ihm zu grüssen.

"Na, wenigstens das. Daisuke lässt dich übrigens grüssen, er sitzt grad hier bei mir...".

"...".

"Ja, klar...".

Der Sänger von Merry hielt seinem Freund mit einem Grinsen das Telefon hin.

"Er will mal wieder deine Stimme hören".

Das jungenhafte Strahlen, das daraufhin Daisukes Gesicht schmückte, war herzerfrischend.

"Kyo? Genki desu ka?".

"...".

"Hab's mir schon gedacht. Gara kann mir nachher alles erzählen. Aber sonst alles okay?".

"...".

"Da bin ich froh".

"...".

"Ja, bei mir ist alles klar. Muss morgen zum Arzt, damit wir die nötigen Vorkehrungen für die Tour treffen können, aber sonst...alles bestens".

"...".

"Nein, mir geht's wirklich gut! Keine Angst!".

Gara grinste in sich hinein. Typisch Kyo, immer besorgt um seinen Kouhai.

"Wann sehn wir uns denn mal wieder? Hast du Zeit, dir einen unserer Gigs anzuschauen?".

"...".

"Ja, klar, tu das. Meld dich einfach, damit ich dich auf die Gästeliste setzen kann, ne!".

"...".

"Ja, ich freu mich auch...".

"...".

"Danke, kann ich brauchen - bin schon ganz schön nervös".

"...".

"Okay, dann...schönen Tag noch! Und ganbatte, ne!".

"...".

"Ja, du auch. Bai!".

Gara musterte seinen Freund skeptisch, nachdem dieser ihm das Keitai zurückgegeben hatte.

"Du bist rot".

"Bin ich nicht".

"Doch - steht dir gut".

"Depp!".

Der Sänger von Merry entfachte einmal mehr eine Zigarette und blies Daisuke den Rauch ins Gesicht.

"Danke auch! Was war denn nun mit DT? Warum ist Kyo so sauer?".

"Der Idiot hat Kaoru und Die heute zusammen in den Universal-Park geschickt".

Die Worte wirkten sofort."

"Was?!?".

Unglaube.

"Ja. Womit einmal mehr klar wird - der Kerl ist ein Sadist".

Daisuke fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und seufzte.

"Sie sind ihm alle scheissegal - Hauptsache, die Kasse klingelt und die Fans haben keinen Grund, die Idylle anzuzweifeln".

"Haargenau".

"Wenn wir ihnen nur helfen könnten...".

Kopfschütteln.

"Vergiss es. Das ist gefährlich, das weißt du genau so gut wie ich".

"Ja, klar. Es ist nur so sauschwer, sich nicht einzumischen".

"Verstehst du jetzt, warum ich mich wegen der Sache mit Chieko so furchtbar fühle? Er hat doch so schon genug Ärger...".

Mit einem Nicken nahm Daisuke sich eine Zigarette aus Garas Packung und zündete sich zum ersten Mal seit Tagen wieder einen der zeitweiligen Nervenberuhiger an.
 

* * *
 

Nach einer Weile konnte er sich einen bösen Kommentar nicht mehr verkneifen.

"Hattest du nicht gesagt, du müsstest aufpassen?".

Der ältere Gitarrist machte seinen Mund, den er zwecks Abbeissen eines Stückes seines Riesenburgers weit aufgerissen hatte, wieder zu und bedachte Die mit einem finsteren Blick.

"Das geht dich nen Dreck an, okay?!".

Der Jüngere hob abwehrend die Hände und widmete sich wieder seinem Essen.

Er fühlte sich erbärmlich. Nicht physisch, aber psychisch.

Erst zwei Stunden unterwegs und mit den Nerven bereits am Ende. Toller Tag.

Er hätte mit Toshiya hier sein sollen. Oder seinetwegen auch mit Kyo. Am allerliebsten natürlich mit Yoshi. Aber nein, er hing hier mit der Person fest, um die er im Moment am liebsten einen weiten Bogen gemacht hätte.

Und beide waren sie gezwungen, für ein paar Fotos auf heile Welt zu machen. Was konnte es schöneres geben?
 

Inoue tippte ihn von der Seite an.

"Ich weiss, dass ihr beide auf das hier null Bock habt, aber könnt ihr euch zusammenreissen? Wird doch wohl nicht so schwer sein...".

Der jüngere Gitarrist presste seine Zähne zusammen und nickte mechanisch.

Klar doch. Kein Problem. Sie hatten ja schon die letzten zehn Tage nichts anderes getan.

Trotzig nahm er einen grossen Bissen seines Hamburgers und spülte diesen mit Bier runter. Das Essen war lecker - wenigstens etwas Positives.
 

Ihm gegenüber mühte Kaoru sich mit seinem Burger ab. Er schien sich diese grossen, amerikanischen Portionen nicht mehr gewohnt zu sein. Wie lange war es her, dass sie beide mitten in der Nacht nach einer langen Bandprobe Imbissbuden gestürmt hatten? Wie lange war es her, dass sie beide, nur sie beide, überhaupt was zusammen gemacht hatten?
 

Die schluckte seinen letzten Bissen runter und wischte sich die Hände so gut es ging an der billigen Papierserviette sauber. Er wollte hier raus. Diese gedrückte Stimmung war kaum mehr auszuhalten. Draussen strahlte die Sonne, es war ein herrlicher Herbsttag, perfekt für den Besuch eines Vergnügungsparks. Und hier sass er und wünschte sich, der Tag wäre bereits vorbei. Mehr noch, er sehnte das Ende dieser Tour herbei.
 

"Argh, ich kann nicht mehr...".

Kaoru musste sich endgültig geschlagen geben und stiess den Teller mit den Essensresten weit von sich. Mit einem wehmütigen Blick auf die übrig gebliebenen Pommes und den letzten Drittel des Burgers erinnerte Die sich daran, dass er sich früher den Teller geschnappt und Tabula rasa gemacht hätte. Der ältere Gitarrist schien sich in genau dem Moment ebenfalls darauf zu besinnen und fing seinen Blick auf. Stand da etwa sowas wie Bedauern in seinen müden Augen? Vermutlich würden sie beide von nun an für den Rest ihres Lebens ihrer verlorenen Freundschaft nachtrauern und alle ihre Fehler bedauern.
 

Die zwang sich zu einem Lächeln und warf einen Blick in die Runde.

"Wie schaut's aus? Gehen wir weiter? Mir ist nach Action! Diesen ,Back to the Future'-Ride muss ich mir unbedingt antun!".

Kaorus leidender Miene nach zu urteilen, war ihm nach was ganz anderem, aber er nickte tapfer und folgte ihnen allen zur Kasse, wo Inoue die Rechnung beglich. Wenigstens brauchte keiner von ihnen an diesem Tag auch nur einen Yen locker zu machen. So lief das, wenn man aus dem Spesenkonto des Managements lebte.
 

* * *
 

"Es ist wunderschön, Kyo".

Nach langem waren dies die ersten Worte die über ihre Lippen kamen.

Immer noch sah Chieko sich ergriffen in dem kleinen Raum um. Alles war sehr schlicht gehalten. Schränke und ein kleiner Tisch mit zugehörigen Stühlen aus dunklem, lackierten Holz, helle Wände, ein grosser Futon, beige, im Wind leicht wogende Vorhänge. Sie hatten die Fenster offen gelassen, um nach dem Bad die kühle Nachtluft zu geniessen. Der Duft der bestimmt erst vor kurzem neu verlegten Tatami vermischte sich mit dem Geruch von Feuchtigkeit, Bäumen und Nacht. Aus dem Garten waren Geräusche von Nachttieren zu vernehmen: Zirpen, Fiepen, Rascheln im Laub.

Ansonsten war es still. Hier waren sie in ihrer eigenen, kleinen Welt. Abseits der lauten Strassen Osakas und ihrer blinkenden Lichter.

Statt einer Antwort nickte Kyo nur. Sie konnte es im diffusen Licht der Nachtlampe erahnen. Er lag bereits ausgestreckt auf dem Futon, während sie immer noch sass und ihre Augen durch den Raum schweifen liess. Wie schöne Fotos man hier machen könnte. Sie sah die Szenen schon vor sich, auch die Models, die Kleider, die sie trugen, wie sie geschminkt werden sollten. Fast bereute sie es, ihre Kamera in Tokyo gelassen zu haben, doch heute war sie nicht beruflich hier. Diese Nacht gehörte nur Kyo.

"Ich hab diesen Ort vor zwei Jahren aus purem Zufall entdeckt und habe mir vorgenommen, mit einer Frau herzukommen, die mir wichtig ist".

Das Herz der jungen Frau setzte beinahe aus. Wenn sie ihm in dieser Nacht nicht die Wahrheit sagte, würde sie für immer mit ihrer Lüge leben müssen. Und Gara mit seiner.

"Und da hast du dich ausgerechnet für mich entschieden?!".

In ihrer Stimme lag ein Lachen. Mit einem Male war sie sehr nervös und war sich sicher, dass ihre Wangen eine leicht rosafarbene Tönung angenommen hatten.

"Naja, du hattest grad Zeit...".

Es sollte neckisch klingen, doch sie konnte darin die Unsicherheit hören, die Kyo zu verbergen versuchte.

Trotzdem tat sie ihm die Gefallen und kicherte.

"Baka".

Sie warf einen letzten Blick aus dem Fenster und liess sich dann auf den Rücken fallen. Der Futon fühlte sich herrlich unter ihrem Körper an. Nicht zu weich, nicht zu hart - perfekt. Mit einem genüsslichen Seufzer streckte sie sich.

Der Sänger neben ihr wandte den Kopf und liess seinen Blick über die junge Frau gleiten, die, genau wie er, immer noch die Yukata trug, die sie sich nach dem Baden übergezogen hatten. Unter dem weissen Stoff liessen sich ihre Brüste erahnen. Hastig blickte er zurück zur Decke und zwang sich, ruhiger zu atmen. So gerne er auch ihren Körper erkundet wäre, er durfte es nicht. Noch nicht. Erst musste er sie mit seinen Dämonen bekannt machen. Und wenn sie nach dem, was er zu sagen hatte, immer noch da war und sich nicht gleich ein Taxi zum Bahnhof rief, dann...

Ein besonders kalter Lufthauch fuhr ins Zimmer und liess sie beide erschaudern.

"Soll ich das Fenster schliessen?".

Ihre Stimme klang ehrlich besorgt. Auch ohne dass sie es erwähnte, wusste er, dass sie gemerkt hatte, wie müde und angeschlagen er von den letzten Konzerten war.

Eigentlich hätte er jetzt schlafen und seinem Körper die Erholung gönnen sollen, nach der er verlangte, aber das hier war wichtiger.

"Nein, nicht nötig. Mir ist immer noch warm".

In der darauf folgenden Stimmen hörten sie sich gegenseitig beim Atmen zu. Chieko unterdrückte das Verlangen, sich zu ihm umzudrehen, mit der Hand unter seine Yukata zu fahren, seine malträtierte Brust zu liebkosen, seinen Herzschlag zu spüren.

"Kyo?".

Er schluckte und schaute sie unverwandt an.

"Ich muss dir was erzählen...".

Jetzt oder nie mehr.

"Ich dir auch. Und ich möchte anfangen".

Sie presste die Augen zusammen und sog Luft durch die Nase ein.

"Aber...".

"Bitte - ich hab's mir vorgenommen. Ich muss das los werden, bevor wir weiter gehen, verstehst du?".

Seine Stimme klang beinahe verzweifelt. Flehend.

Chieko hätte versuchen können, ihm klar zu machen, dass das, was sie ihm zu sagen hatte, eine gemeinsame Zukunft im Keim ersticken konnte, dass er sich nicht dazu überwinden musste, mehr von sich preiszugeben - doch sie brachte keinen Ton raus.

Stattdessen nickte sie und tastete nach seiner Hand, um ihm mit sanftem Druck ihr Einverständnis zu geben. Und vielleicht auch, um ihm damit die Kraft zu vermitteln, anzufangen.

"Ich mach uns noch etwas Tee - es könnte lange dauern".

Damit löste er seine Hand aus der ihren, setzte sich auf und ging rüber zum Tisch. Seine Füsse versanken in den wohlriechenden, weichen Tatami. Während er den Wasserkocher einschaltete und die richtige Menge Teeblätter in die dafür vorgesehene Kanne gab, konnte er Chiekos Blicke in seinem Rücken spüren.

Er konnte sich nicht vorstellen, was sie ihm wohl zu erzählen hatte - aber wie jeder andere Mensch hatte auch sie eine Vergangenheit. Und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er über diese so gut wir gar nichts wusste. Er hatte sie noch nicht einmal nach ihrer Familie gefragt. Aber das würde er nachholen, nachdem er sich von der Last, die auf ihm lag, befreit hatte. Vermutlich würde auch diese Nacht nicht ausreichen, sie ganz von ihm zu nehmen, doch immerhin war es ein erster Schritt. Er wusste nicht, was ihn so sicher machte, dass Chieko die Richtige war, alles zu hören. Er wusste es einfach - und dieses Wissen kam aus seinem Herzen.

Im Bett hatte die junge Frau sich auf ihre Ellenbogen gestützt und betrachtete den Sänger, wie er das kochende Wasser in die Kanne goss, den Deckel drauf setzte, zwei Tassen auf das Tablett stellte und alles zurück ans Bett trug. Der dampfende Tee verbreitete sofort einen würzigen Duft.

Kyo legte sich wieder auf den Futon, suchte eine bequeme Position und nach den richtigen Worten, die alsdann die Stille des Raumes füllten und Chiekos Herz erbeben liessen.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Poolee
2005-06-30T10:12:14+00:00 30.06.2005 12:12
*schnief*
Ach, dass ist einfach nur noch traurig mit den beiden!
Trotzdem geb ich die Hoffnung nicht auf, dass es mit den beiden noch was wird.
So eine jahrelange Freundschaft darf einfach nicht so kaputt gehen.
Vielleicht verändert die Geburt des Babys ja etwas - ins Positive...*hofft*

Ansonsten ist dein Stil mal wieder genial!
Er lässt einen mitfühlen, richtig mit einsteigen und nicht wieder los!

^^Poo
Von: abgemeldet
2005-06-23T09:22:14+00:00 23.06.2005 11:22
Oh~ eury
*begeistert guck*
Die is ja mal wieder total genial!!! Hab sie zwar gestern erst angefangen... aber ich konnte nicht mehr aufhören zu lesen... o.o saß bis heute früh um vier... u.u
Aber.. du findest selten mal Fanfics hier auf mexx die so fesseln wie deine... ganz ehrlich!
Dein Schreibstil is einfach.. unbeschreiblich...
Was ich wirklich genial find.. du wirfst den Lesern immer nur kleine Bruchstücke aus ihrer Vergangenheit hin... erhälst so die Spannung.. machst auch neugierig..^-^
Und ich bin echt mal gespannt wie sich das weiter entwickelt.. gerade zwischen Kyo und Chieko

Nuja.. was soll ich weiter noch sagen?? Weiter... *liebschau*
Will mehr lesen.. XD~
Von: abgemeldet
2005-06-23T07:46:17+00:00 23.06.2005 09:46
ende? ._." ich hoff bald kommt das nächste kapitel sonst sterb ich vor neugier T-T"""""
gott ich freu mich schon drauf Oo hoffentlich wird die stimmung von die und kaoru besser T-T" solche zwei dickköpfe <.<" am liebsten würde ich denen ma so richtig die meinung geigen xDDD
nyu shcönes fanfic wie immer *g*
und ich war wieder net die erste mit dem kommi T-T" werde ich es jemals schaffen? xD
Von: abgemeldet
2005-06-22T17:06:59+00:00 22.06.2005 19:06
Hey das ging ja jetzt schnell
*lach*
Und... es ist toll!
Das Gespräch zwischen Daisuke und Gara war ja wohl voll knuffig *kicher* und die idee mit Hokkaido find ich einfach nur klasse!
Aber mal sehen was daraus wird ne? ^_~
Erstmal will ich ganz schnell das Gespräch zwischen Chieko und Kyo lesen!
Also schnell weiterschreiben!
Und, das mit Kaoru und Die ist ja wohl einfach nur noch hart.
Ich bin hier nur noch am schlucken und seufzen! Ob aus den beiden nochmal was vernünftiges wird?

Rei~ka


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