Zum Inhalt der Seite

Elysion

Wenn du zurückkehrst, wirst du mich finden
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Der Kopf des Stieres wurde von zwei kräftigen Männern am Oberkiefer gehalten, während das Tier über dem Altar ausblutete und den weissen Marmor rot färbte. Es war zuvor mit Wein getränkt worden um es träge zu machen. Zudem gab es noch einen weiteren Grund dafür, denn nur ein Opfer welches den Kopf vor dem Altar senken würde, gab somit seine Zustimmung für das Ritual—so wollten es die Götter. Der Stier hatte nur noch einen tiefen Laut herausbrüllen können, bevor der Erstickungstod eintrat. Doch selbst wenn es noch zu mehr in der Lage gewesen wäre, so hätte man es wohl kaum noch gehört, denn das Heer jubelte und ein Priester mit harten und grausamen Gesichtszügen rief donnernd in die Nacht.

«Heil, Poseidon! Wir rufen dich, oh Mächtiger! König der Meere, der Quellen aus der wir Wasser schöpfen. Heil, Poseidon! Beschützer der Seefahrer, nimm unser Opfer und segne diese Männer.» Die beiden Tempeldiener die noch immer den schweren Kopf des Opfers hielten, zerrten nun kraftvoll den Oberkiefer des Stieres zurück, sodass dessen Zunge schlaff aus dem Maul fiel. Die Augen des Tieres starrten ins Nichts.

«Heil, Poseidon! Ewige See aus der wir Leben gewinnen. Hiermit ehren wir dich, dafür, dass du uns über deine Wellen führst und einen Heros uns gegeben hast. Wir danken dir für diese siegreiche Kampagne und dein Name soll gelobt sein, bis zum letzten Tag.» Der Priester deutete mit seiner Geste an, dass es nun Zeit war den Kopf vom Rumpf zu trennen und diesen ins Innere des Tempels zu tragen.
 

«Heil, Poseidon! Heil Nikandros!» Ein jüngerer Priester stolzierte vor dem Altar auf und ab und bekundete immer wieder die Loyalität zu seinem Gott und dem Heros der in dieser Nacht dem Ritual beiwohnte. Nikandros, der erste seines Namens, ruhte seitlich auf einer gepolsterten Holzliege und beobachtete das Ritual, welches auch ihm galt, nur mit mässigem Interesse. Er wusste nicht ob sein Erzeuger sich um derartige Gesten der Sterblichen überhaupt scherte, oder sie gar zur Kenntnis nahm. An anderen Tagen, hätte sich Nikandros zumindest etwas geehrt gefühlt, während eines Tempelrituals, im selben Atemzug mit Poseidon genannt zu werden. Dies war allerding kein solcher Tag. Ganz im Gegenteil. Seine grünen Augen, welche immer etwas satter leuchteten als bei anderen Menschen, blieben lediglich auf dem toten Blick des Stieres haften, dessen Kopf zur Schau noch einmal von den muskulösen Männern um den Altar herumgetragen wurde. Es widerte ihn keineswegs an, denn Nikandros wurde schon als kleiner Junge von seinem Vater zu solchen Anlässen mitgenommen. Als Nachkomme eines Gottes und als zukünftiger Erbe eines Königreiches, wurde von ihm erwartet die Etikette zu befolgen. Seine Position als Kommandant des Hauptheeres erforderte zudem, dass er alle Tugenden eines herausragenden Mannes verkörperte. Ein solcher Mann zuckte nicht mit der Wimper, wenn vor seinen Augen ein Tier geschlachtet wurde—schlachtete er doch selbst zu Genüge. Der einzige Gedanke der ihm in diesem Moment kam, war der, dass seine Männer heute Abend Fleisch zu essen bekamen. Das war auch das Einzige was heute noch wichtig zu sein schien. Nikandros war müde. Nicht nur körperlich.

 

«Mein Herr, darf ich euch Wein einschenken und euch Unterhaltung bieten?» Ein Bursche der vielleicht halb so alt war wie Nikandros, kniete vor der Liege des Feldherrn und sah ihn aus rehbraunen Augen heraus an, während der schwere Weinkrug auf seinen nackten Oberschenkeln ruhte. Sein Wollhemd war zu weit für seine Statur und hielt den schlanken Körper kaum bedeckt. Nikandros streckte träge die Hand aus, in der er seinen Kelch hielt, damit der Jüngling ihn mit dem verdünnten Wein wieder auffüllen konnte.

«Wo ist dein Erastês?» Nikandros konnte kaum glauben, dass dieser Bursche ein Sklave war. Er sah aus wie ein Hellene und redete auch wie einer von ihnen. Wenn dieser ihm hier also dienen wollte, dann konnte das nur bedeuten, dass er von jemandem geschickt wurde. Langsam wanderte sein Blick von dem Altar, hinab zu dem weissgepuderten Gesicht des schönen Jungen. Sein Lächeln war wissend und er schaute Nikandros zwar nicht respektlos in die Augen, sondern hielt seinen Blick etwa auf der Höhe seiner Schultern gesenkt, doch seine Lippen formten sich zu einem einstudierten Bogen.

«Telekles befürchtet, dass euch dieses Schauspiel etwas ermüdet, denn gewiss seid ihr aus der Heimat besseres gewohnt.» Der Junge sprach sanft und Nikandros musste sich bei dem Lärm der nun herrschte, bemühen um ihn zu verstehen. Ausserdem zeigte der Wein langsam seine Wirkung und erschwerte die Verständigung.

«Telekles?» In dem Moment als Nikandros an dem Kopf des Jünglings vorbeischaute, bemerkte er wie ein älterer Aristokrat ihn vielsagend ansah. Die Miene des Feldherrn blieb beinahe regungslos als er wieder hinabblickte und das Gesicht des Jüngeren musterte. Es war ein sehr schönes Gesicht und sicherlich war Telekles ein einflussreicher Mann in dieser Kolonie, sodass er sich einen Erômenos mit derart delikaten Reizen, leisten konnte.

«Stimmt etwas nicht, mein Herr?» fragte er zögerlich als Nikandros ihn weiterhin anstarrte aber ansonsten keinerlei Anstalten machte ihn, für sein Vergnügen, von hier fortzubringen.

«Du sollst mich nicht Herr nennen, wenn dein richtiger Herr am selben Fest teilnimmt.» Nikandros führte den Kelch an die Lippen und trank grosszügig, bevor er sich erneut einschenken liess. Die grossen Augen des Heranwachsenden wanderten hinauf und blieben an dem Hals des Heros haften, während dieser schon wieder zum nächsten Schluck ansetzte.

«So bescheiden? Es würde Telekles ehren, wenn ich euch unterhalten dürfte.» Nikandros hielt inne und liess das Gefäss in seiner Hand langsam sinken.

«So? Und eine derartige Unterhaltung sieht vor, dass dein Gesicht wie eine Statue bemalt ist?» Der Jüngling wirkte für einen Moment erschüttert von dieser Aussage und zum ersten Mal an diesem Abend, lachte der Heros, was sein Gegenüber zu beschämen schien.

«Herr, das…gefalle ich euch nicht?»  

Nikandros führte seine Hand an die Wange des Anderen und strich etwas von dem Puder fort, wobei die ohnehin helle Haut sichtbar wurde. Der Junge liess ihn gewähren aber senkte seinen Blick wieder hinab.

«Man sagt, ihr bevorzugt es weiblich.»

«Weswegen man mir einen Jungen schickt?» Erneut drang ein kehliges Lachen seitens Nikandros hervor. Der Jüngere schwieg und wirkte nun gekränkt, woraufhin Nikandros seinen Zeigefinger unter dessen Kinn legte und ihn somit zwang seinem Blick zu begegnen. Aus dem Augenwinkel hatte er beobachten können, wie der ältere Liebhaber des Jungen die Szene genaustens verfolgte und vielleicht war es der Wein, auch wenn dies kaum jemals seine Ausrede war, der ihn dazu veranlasste den Jüngling im nächsten Moment auf den Mund zu küssen. Seine Lippen streiften daraufhin an der Wange des Geküssten entlang, bis er vor seiner Ohrmuschel anhielt.

«Wenn man mir ein Mädchen schickt, dann sollst du auch erfahren, wie ich mit Mädchen verfahre…» Ohne sich weiter zu erklären, erhob sich Nikandros und liess den verdutzten Burschen für einen Moment weiter auf den Knien verharren, ehe er den halbvollen Kelch auf dem Boden abstellte um ihm seine Hand zu reichen. Irritiert über diese Geste, warf dieser seinem Erastês einen fragenden Blick zu und Telekles nickte nur auffordernd in die Richtung seines Schützlings. Er nahm die Hand des Kommandanten an und liess den Weinkrug an dem leergewordenen Platz zurück um mit Nikandros durch das Festlager zu laufen. Es war ein ungewöhnliches Bild, welches die Beiden abgaben, denn eine solche Geste war ungesehen unter den Teilnehmern des Opferfestes. Der jüngere Liebhaber hatte dem Älteren zu folgen, bis sie unter sich waren und wurde nicht an der Hand geführt, weshalb dieser Jüngling unter seinem Puder stark errötete. Sagen wollte er dennoch nichts.

 

«Nikandros, weshalb gehst du schon? Haben sie die Kuh etwa umsonst geschlachtet und dir wäre ein Schwein lieber?» Auf dem Weg zu seinem Lager, waren Nikandros und sein Begleiter auf eine Gruppe Soldaten gestossen, die etwa im Alter des Feldherrn waren. Nicht alle von ihnen bekleideten hohe Ränge in dem Heer, aber sie waren gemeinsam aufgewachsen und unter Nikandros Führung interessierte sich—zumindest im engeren Kreise des Kommandanten—niemand für derartige Gesellschaftsnormen. Ausserdem war dies ein Fest. Wann, wenn nicht jetzt, sollte man ein Gespräch unter alten Freunden suchen? Aber bevor Nikandros sich zu ihnen gesellen konnte, wurde ja von ihm erwartet die grosszügige Leihgabe des ehrenwerten Telekles zu kosten. Es wurden einige schmutzige Blicke ausgetauscht, welche den zierlichen Burschen nicht weiter zu irritieren schienen, denn das einzige was derzeit seine Fassade bröckeln liess, war die schamlose Art wie der Heros ihn an der Hand durch die Öffentlichkeit zog. Die Erleichterung stellte sich endlich ein, als Nikandros seinen Begleiter in sein weitläufiges Zelt führte. Bevor der Kommandant selber hineintrat, griff er eine, mit Öl gefüllte Keramiklampe vom Boden auf und zündete diese an einer Fackel vor dem eigentlichen Zelt an. Das warme Licht erhellte das Innere und die Ausstattung deutete stark daraufhin, dass hier nicht irgendwer nächtigte. In der Mitte befand sich ein grosses Bett, welches mit Leder bespannt und mit weichen Fellen bedeckt war. Seitlich davon stand eine reichlich verzierte und robuste Truhe. Ein Tisch und ein Faltstuhl befanden sich auf der gegenüberliegenden Seite, wobei dieser Platz keine weitere Funktion mehr beinhaltete. Die Landkarten waren längst verräumt und zum Schiff gebracht worden. Dies traf auch für den Grossteil von der Ausrüstung zu, denn immerhin sollte dies die letzte Nacht in Naxos sein.
 

«Weshalb schaust du so bedrückt? Ist es nicht gut genug?» Er sah etwas belustigt zu dem Jungen hinüber, welcher nun gar nicht mehr so diszipliniert wirkte und stellte die Lampe auf dem Tisch ab, nur um sich dann mit verschränkten Armen an das Bettende zu setzen.

«Doch! Selbstverständlich! Es ist nur…» Die braunen Augen seines Gastes wanderten zu der Öllampe und Nikandros begriff augenblicklich worin hier seine Sorge lag.

«Es wäre mir unangenehm, wenn ich-«

«Wenn du dich entkleidest? Und alle dort draussen dabei zusehen?» Der Schatten welcher durch das warme Licht entstand würde sich, in der Tat, äusserst indiskret auf die Zeltwände werfen. Nikandros folgte dem Blick des Jüngeren zur Lampe und dann wieder zurück. Das hier war ganz sicher kein Sklave, sondern ein freier Bürger, welcher lediglich, für die Erziehung, in die Obhut eines Erastês gegeben wurde. Er hatte Rechte und auch wenn er seine Bedenken nur vorsichtig äusserte, machte er von diesen Rechten gebrauch und erinnerte ihn—einen Halbgott—daran, dass er eine Stimme hatte.

«Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass du dich entkleiden sollst.» Nikandros lächelte den Jüngling nur etwas gelangweilt an, während dieser beinahe empört sein Kinn reckte. Anscheinend hatte er etwas missverstanden.

«Aber Herr…hattet ihr nicht vorhin-«

«Gesagt, dass ich dir zeige, wie ich mit einem Mädchen verfahre? Wäre es nicht unerhört, wenn ich von einem Mädchen erwarten würde, dass sie sich vor mir entkleidet?» Der Erômenos verstummte.

«Wie heisst du?»

«Paris…»

«Wie Paris von Troja, welcher die schöne Helena geraubt hat?» Nun klang Nikandros wirklich amüsiert, was den Jüngeren nicht sonderlich schmeichelte, denn dieser schaute nur verlegen auf den Teppich.

«Nun, es sollte mich nicht wundern…man erzählt sich hier immerhin, dass Rom von den Nachfahren des Aineias gegründet worden sei. Vermutlich hatte er deine Ahnen hier auf dieser Insel vergessen als er weiter gen Norden gesegelt war.»

«Eure Scherze verletzen mich, Herr.»

«Ich bitte um Vergebung, Paris.» Nikandros schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln und winkte ihn herbei, sodass sie nebeneinander auf den Fellen Platz nehmen konnten.

«Paris also…du drückst dich gewählt aus und deine Hände sehen nicht aus als hätten sie jemals Schmutz oder das Blut eines anderen Mannes berührt.» Er sah wieder an dem schlanken Körper entlang und gab einen anerkennenden Laut von sich, bevor er weitersprach: «Telekles scheint dich bestens erzogen zu haben. Sag, bringt er dir das Schreiben bei?»

«Schreiben, Lesen, Singen, Geschichten erzählen und auch die Zahlen.» , listete Paris stolz auf und schien die kleine Unverschämtheit von vorhin verziehen zu haben, wie Nikandros zufrieden registrierte.

«Sogar die Zahlen…», er seufzte und machte es sich etwas bequemer auf dem Bett, woraufhin Paris zu ihm umdrehen musste.

«Höre ich dort wieder Spott in eure Stimme?»

«Aber nein, natürlich nicht…aber du wurdest doch gebeten mich zu unterhalten und ich muss gestehen, dass ich an Zahlen nicht viel Unterhaltsames finden kann.» Wieder schaute der Jüngere zu der Keramiklampe, was darin resultierte, dass Nikandros genervt schnaubte. «Ich höre gern Geschichten…du bist hier in der Kolonie aufgewachsen. Gibt es irgendetwas was ich unbedingt gehört haben sollte, bevor ich meine Heimreise antrete?» Für einen Moment wirkte Paris etwas verunsichert, doch dann kam ihm wohl etwas in den Sinn.

«Ist euch die Geschichte von Acis und Galatea bekannt?»

«Wovon handelt sie? Halt—» Nikandros legte sich etwas entspannter auf die Felle und stützte seinen Kopf in eine Handfläche.

«Erzähle sie von Anfang an.»

Und so kam Paris dem Wunsch des Heros nach.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  chinadoll
2018-02-08T19:14:43+00:00 08.02.2018 20:14
So, so cute <3
Welldone, Darlin'!


Zurück