go to hell von Futuhiro (karashima / heaven&hell crossover) ================================================================================ Kapitel 5: Fährmann ------------------- Ein Hoch auf die geheiligte SpyWare. Zum Glück hatte Ruri sich diesbezüglich einiges von seinem paranoiden Sänger abgeschaut. Der recherchierte immer jedem gründlichst hinterher. Zur Not auch mit Abhör-, Auslese- und Ortungsprogrammen, die er auf fremde Handys und Computer lud. Er war da manchmal echt ein kleiner Krimineller. Ruri hatte ebenfalls gerade so ein Spionageprogramm laufen, ortete Katoris smartphone und folgte ihm dadurch kreuz und quer durch die Stadt. Er war augenscheinlich nicht sonderlich schnell unterwegs, hatte aber einiges an Vorsprung, daher hatte Ruri seine liebe Mühe, ihn wieder einzuholen. In was für eine Gegend war der bloß unterwegs? Die Straßen wurden immer enger, verfallener und menschenleerer. Aber zumindest sollte er gleich wieder in Sichtweite kommen. Hinter der nächsten Ecke. Er konnte auf dem Stadtplan, den sein Handy ihm zeigte, noch nicht ganz deuten, was dort war. Sah wie ein kleiner Park aus. Ruri bog hurtig um das Haus und fand sich unvermittelt im Eingang eines Friedhofs wieder. „Bitte was!?“, murmelte er zu sich selbst und blieb erstmal irritiert stehen. Was sollte das denn werden? Er ließ den Blick über die Grabsteine schweifen, die nur vom Vollmond notdürftig beleuchtet wurden. Das musste ein uralter Friedhof sein. Heutzutage gab es in Tokyo solche Gräber nicht mehr. Da hatte man bei so vielen Menschen auf so knappem Lebensraum gar nicht den Platz dafür. Tote wurden inzwischen grundsätzlich eingeäschert. Eine Bewegung in der Ferne ließ Ruri aufmerken. Dieser Taiken zerrte Katori gerade am Handgelenk quer über den Gottesacker und in Richtung eines halb verfallenen, flachen Steinbaus. Das war wohl mal ein Mausoleum gewesen, aber wie die meisten uralten Steinbauten in diesem von Erdbeben geplagten Land hatte es schon gehörig gelitten. Ruri quetschte sich durch eine Lücke im Zaun, rannte los und versuchte, die beiden zu erreichen, bevor sie in dem Mausoleum verschwanden. Am Ende stürzte das Ding noch über ihnen zusammen. Allerdings verkniff er es sich, nach Katori oder Taiken zu rufen. Er wollte sich lieber noch nicht verraten. Vielleicht war ihm der Überraschungsmoment noch von Nutzen, denn inzwischen hatte er keine Ahnung mehr, woran man mit diesem Taiken war. Wenn der hier das tat, wonach es aussah – nämlich Leute entführen – dann stimmte mit dem irgendwas nicht. Ruri erreichte die Gruft nicht mehr ganz rechtzeitig. Taiken hatte Katori bereits durch den Spalt gestopft, um den die eiserne Tür offen stand, und war selber hinterher geklettert. Ohne nachzudenken stürzte sich Ruri in die Lücke und schnippte ebenfalls hindurch. ... und traute seinen Augen nicht. Unvermittelt kam er ins Stolpern und blieb stehen, um sich erstmal umzusehen. Er befand sich nicht mehr in einem Gebäude, sondern vor ihm erstreckte sich eine trostlose Steinwüste mit ein paar wenigen, vereinzelten, gänzlich kahlen Bäumen, die wie Skeletthände aus der Erde ragten. Die Luft war dunstig und ließ die Stadt mit dem darüber aufragenden Palast unwirklich und demotivierend weit weg erscheinen. Von Katori und Taiken keine Spur mehr. Ruri schaute zurück und fand hinter sich einen maroden, kleinen Bretterschuppen. Durch den war er also gekommen. Keine Ahnung, wo das Mausoleum hin war. Er schaute auf sein smartphone, ob er Katori noch orten konnte oder wenigstens angezeigt bekam, wo er hier war. „GPS ausgefallen und kein Netz, na super ...“, murrte er leise, schaltete das Telefon aus und steckte es weg. Was nun? Der Gitarrist atmete seufzend durch und ging weiter. Es half ja nichts, er musste Katori wiederfinden, auch wenn ihm das hier wie ein böser Traum vorkam. Nach ein paar Metern gelangte er zunächst an einen breiten Fluss, der ihn noch von der Steinwüste trennte. Das Wasser war trüb und brackig, aber es gab einen Steg mit einem angelegten Boot. Irgendwie kam man da also rüber, wenn man wollte. Als Ruri näher kam, sah er einen Mann der Länge nach im Bootsrumpf liegen, die Hände im Genick verschränkt und gemütlich vor sich hin dösend. Er sah ebenso rockig aus wie Taiken. Ruri erkannte da sofort Zusammenhänge. Das hatte alles was miteinander zu tun, was hier lief. Das Kerlchen öffnete verschlafen die Augen, als er Ruris Schritte auf dem Holzsteg hörte, sah ihn fragend an und setzte sich nach einem Moment Bedenkzeit auf. „Eh, was willst du denn hier? Du lebst doch noch!“, meinte er anstelle einer Begrüßung. Ruri verengte seine ohnehin schon schmalen Augen noch weiter. „Natürlich lebe ich noch. Was soll die dämliche Feststellung?“ „Na, dann krümel dich wieder zurück in die Welt der Lebenden, Mann! Die Unterwelt ist nichts für dich. Komm wieder, wenn´s so weit ist.“ Unterwelt. Das hatte dieser Taiken auch schon gesagt. Sollte das hier etwa wirklich ...? Er schaute sich unter diesem Gesichtspunkt nochmal in der Landschaft um. Ja, die Kulisse würde dazu passen. Dann war dieses Mausoleum auf dem Friedhof in Tokyo also eine Pforte ins Jenseits gewesen? „Du bist ja immer noch da!“, maulte der Kollege im Boot und stand ganz auf, um aus seinem schaukelnden Boot zu klettern und mit auf den Steg hinauf zu kommen. „Ich bin auf der Suche nach meinem Sänger und einem gewissen Taiken. Hast du sie vielleicht gesehen? Sie müssen auch gerade hier durchgekommen sein.“ „Klar. Hab sie gerade auf die andere Seite gebracht. Dieser Katori hat auch noch gelebt. Aber Mister Taiken wollte ihn trotzdem mitnehmen. Hat mich schon gewundert.“ Der wusste sogar Katoris Namen? Sah so aus, als konnte dieser Typ ihm helfen. „Wo sind die beiden hin?“, hakte Ruri hoffnungsvoll nach. „Na, im Palast, wo sie hingehören. Mister Taiken ist doch der Chef hier.“ Ruri kräuselte die Stirn in Falten. „Ah ja. Und du bist ...?“ „Ich bin Kao!“, stellte der Mann klar und verschränkte etwas beleidigt die Arme. Das ging ja wohl gar nicht, daß das einer nicht wusste. Aber gut, der Kerl war ja noch nichtmal ordentlich tot, was wollte man da erwarten? „Ich bin der Fährmann der Unterwelt. Ich schippere die Seelen da rüber.“ „Super. Kannst du mich auch rüberbringen?“ „Nein. Wieso sollte ich? Stirb erstmal, dann darfst du wiederkommen.“ Ruri griff seufzend nach seiner Geldbörse. „Na schön. Der Fährmann will also bezahlt werden. Das kennt man ja. Wieviel?“ „Von Lebenden nehme ich kein Geld. Das bringt bloß Unglück. Ihr habt hier nichts zu suchen, ja? Nun hau schon ab. Es ist ungesund für dich, hier rumzulungern.“ Genervt zog Ruri seine Packung Zigaretten aus der Jacke, damit die Geldbörse wieder hinein passte. „Woah! Oh! Warte mal!“, jubelte Kao da begeistert auf. „Du hast Kippen?“ Ruri schaute ihn prüfend an. „Willst du auch eine?“ „Oh ja! Unbedingt! Ich steh voll auf das Zeug. Aber hier unten in der Unterwelt kommt man schwer an welche ran, weißt du?“ „Na, dann bring mich da rüber“, forderte Ruri ungerührt und zeigte über den Fluss. „Dann geb ich dir welche.“ „Kommt gar nicht in Frage. Das ist ja Bestechung.“ „Wie du meinst.“ Der Gitarrist schob sich eine seiner Zigaretten zwischen die Lippen und steckte sie sich genüsslich an. Kao haderte sichtlich mit sich. Eigentlich konnte es ihm ja egal sein, ob der Besucher noch lebte oder nicht. Das würde sich sowieso innerhalb einiger Stunden von selber klären. Wenn er erstmal da drüben war, war er eh so gut wie tot. „Gut, ich mach´s. Aber ich will die ganze Packung haben!“ „Kannst du knicken“, entschied Ruri souverän. „Fünf Stück geb ich dir, mehr nicht.“ „Zehn!“ „Fünf!“, beharrte Ruri. „Und vielleicht nochmal fünf, wenn du mich von dort drüben wieder abholst und zurück bringst.“ Kao zog ein wütend-machtloses Gesicht und schmollte. Ruri nippte wieder überlegen an seiner Zigarette und blies den Rauch genüsslich durch die Gegend. Was bei dieser trüben Atmosphäre hier eh keinen Unterschied machte. „Du bist ein Halsabschneider. Gut, steig ein!“, gab der Fährmann irgendwann nach und kletterte in sein Boot zurück. Ruri folgte ihm grinsend. Er nahm noch einen Zug von seiner Kippe und reichte diese dann an Kao weiter, als er Platz genommen hatte. Er schüttelte noch fünf der Glimmstängel aus seiner Schachtel. Zum Glück war die Packung neu und noch fast voll. Das gab ihm offensichtlich eine solide Verhandlungsposition. Kao stand am Bug seines Bootes, welches ohne Paddel und Segel über das Wasser schlich, und ohne Ruder oder Flößstange seine Richtung fand. Es schien fast, als würde der Fährmann sein Schiffchen mit reiner Gedankenkraft lenken. Da er dabei auch unablässig nach vorn schaute, nur hier und da kurz von einem Zug an seiner Zigarette unterbrochen, störte Ruri ihn lieber nicht und verhielt sich still. Er musste nur immer häufiger husten. Diese muffige, stinkende Luft hier legte sich auf die Atemwege und kratzte fürchterlich im Hals. Und es schien immer schlimmer zu werden, je näher sie der anderen Seite kamen. Die Unterwelt war echt kein sehr idyllischer Ort. Der Fährmann drehte sich fragend um, als Ruri mal wieder hustete. „Widerlich, was? Das ist der Schwefel-Dunst. Der bekommt euch Lebenden nicht. Auch so ein Grund, warum du besser nicht hier sein solltest.“ „Ich gedenke nicht lange zu bleiben“, krächzte Ruri. Seine Sandpapier-Stimme klang dabei noch etwas rauher als sonst schon. Das gegenüberliegende Ufer kam in Sicht. „Okay, hör zu“, begann Kao zu erzählen und setzte sich mit in den Bootsrumpf. Der Kahn schien doch alleine zu schwimmen, ohne sein Zutun. „Wenn du da drüben bist, gib dich um Himmels Willen nicht als Mensch zu erkennen. Schon gar nicht als Lebender. Sonst wirst du das nicht mehr lange sein.“ „Als was soll ich mich denn sonst ausgeben?“ „Als Dämon natürlich. Hier gibt es nur Dämonen. Und eine Handvoll Engel, die gefangen gehalten werden. Aber als solcher solltest du dich besser auch nicht ausgeben, wenn du das hier überleben willst.“ Kao musterte ihn von oben bis unten. „Naja, als Engel würdest du sowieso nicht durchgehen ...“ „Schönen Dank auch“, maulte Ruri theatralisch, nicht wissend, ob er lachen oder beleidigt sein sollte. Es war ja nicht so, als ob er gern ein Engel gewesen wäre. „Dein Freund Katori geht schon eher als Engel durch. Sehr süß und lieb, und so. Ich schätze, das ist auch der Grund, warum Mister Taiken so ein Interesse an ihm hat.“ „Weißt du, wo ich Katori finden werde?“ Der Fährmann wog nachdenklich den Kopf hin und her. „Im Palast ist gerade das Henkersfest in vollem Gange. Wenn ich raten müsste, wird Mister Taiken wohl mit ihm feiern. Also, ihn auf der Feier als Attraktion vorführen, meine ich.“ Ruri griff sich kurz verzweifelt an die Stirn und schloss die Augen. Das machte es ja richtig einfach, dachte er zynisch. „Wenn du als Dämon durchgehen und nicht sofort auffliegen willst, dann trink dort bloß keinen Alkohol, der dir angeboten wird. Der hat mit eurem Alkohol im Diesseits absolut nichts zu tun. Von dem Essen solltest du auch die Finger lassen, das wird dir genauso wenig bekommen. Lass dir nicht anmerken, wenn du frierst. Dämonen haben kein Kälteempfinden. Und schlaf bloß nicht ein. Dämonen geben beim Schlafen ganz markante Atem-Geräusche von sich. Ihr Menschen werdet das wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen, aber Dämonen tun es. Wenn dich einer schlafend findet, und du diese Geräusche nicht machst, bist du tot. ... Ach ja, und mach einen Bogen um die kleinen, süßen Hündchen und Kätzchen, die du vielleicht im Palast herumtollen siehst. Die sehen zwar schmusig aus, aber ihre Augen hypnotisieren Menschen. Dann ist deine Tarnung als Dämon auch futsch, wenn sie dich high in der Ecke liegen sehen. Diese Tierchen sind nicht so harmlos wie die Viecher bei euch.“ Ruri nickte verstehend. „Warum erzählst du mir das alles?“ „Ich will dir nur helfen. Wenn du nicht lebend wiederkommst, krieg ich ja meine restlichen Zigaretten nicht mehr“, schmunzelte Kao. Inzwischen hatten sie das andere Ufer des Flusses erreicht und waren buchstäblich gestrandet. „Gib dir als Dämon Mühe, hörst du? Das passende Aussehen hast du ja zum Glück schon“, fügte er an und deutete auf die Stachelfrisur des Gitarristen. Ruri nickte wieder. „Wie rufe ich dich, wenn ich wieder abgeholt werden will?“ „Brauchst du nicht. Wenn du zurück kommst, werde ich es wissen und schon hier Gewehr bei Fuß stehen. Das ist mein Job.“ „Danke.“ „Ach, noch was. Ihr Menschen habt doch immer eure schicken Handys.“ „Ja?“ Kao streckte ihm fordernd die Hand hin. „Her damit. Dämonen haben sowas nicht. Wenn das Ding einer findet, geht die Hölle los. Dann fangen sofort alle an, nach dem Besitzer zu suchen. Du kannst es dir wieder bei mir abholen, wenn du es wirklich lebend zurück schaffen solltest. Und wenn nicht ... naja, dann brauchst du´s eh nicht mehr.“ Dem hatte Ruri nichts entgegen zu setzen. Und er verspürte auch keine Lust, zum Andenken Fotos von diesem Ort zu machen. Also holte er schweren Herzens sein smartphone aus der Tasche, schaltete es ab, und übergab es dem Fährmann. Katoris mp3-player legte er auch gleich mit dazu. War ja das gleiche Kaliber. Er war zwar beim Sturz kaputt gegangen und tat keinen Mucks mehr, wie Ruri inzwischen festgestellt hatte, aber nichts desto trotz würde ihn dieses Ding verraten. „Haben Dämonen denn Geldbörsen?“ „Die, die gelegentlich in der Menschenwelt rumspazieren, schon. Mitnehmen kannst du sie. Nur nützen wird sie dir hier nichts.“ Kao schnippte seine inzwischen aufgerauchte Kippe in den Fluss. „Na dann, viel Erfolg.“ Ruri schaute mit unwohlem Gefühl zu der Stadt hinauf, die inzwischen schon viel näher wirkte. Der Palast, der wie eine japanische Burg hoch über der Siedlung thronte, war düster und eindrucksvoll. Nach kurzem Hadern stieg er aus dem Boot aus und sprang in den Sand des diesseitigen Ufers. Er holte wieder seine Zigarettenschachtel hervor und schüttelte eine Fluppe heraus. „Hier hast du noch eine. Für deine Hilfe.“ Kao strahlte begeistert vor sich hin. „Hast du eine Idee, wie ich in diesen Palast am dümmsten reinkomme? Gibt es einen Geheimgang ohne sowas?“ „Ich hab keine Ahnung. Ich war da noch nie drin. Ist nicht meine Aufgabe. Aber ich sag mal so: Da sind eh gerade alle mit Feiern beschäftigt. Und mit einem wie dir wird auch keine Sau rechnen. Ich glaube nicht, daß sich jemand um dich schert.“ Tolles Glücksspiel. Der Gitarrist bedankte sich und sah wieder seinem Reiseziel entgegen. Mit einem neuerlichen Husten ging er los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)