Bis du mein bist... von Lady_Shanaee (- edited version -) ================================================================================ Kapitel 1: In Gefangenschaft ---------------------------- Er wirbelte herum und fand sich plötzlich umzingelt von fünf Gestalten, die mit geladenen Armbrüsten auf ihn zielten. „Ein Mondelf. Du scheinst ja mit deinem Leben bereits abgeschlossen zu haben“, sagte jener hämisch, der bereits eben gesprochen hatte, und ein kaltes Lächeln trat in sein finsteres Gesicht. „Ihr macht mir keine Angst“, erwiderte Saladir mit fester Stimme und mutiger, als er sich fühlte. „Ich bin Saladir, zweiter Sohn Rateshvars, des Königs der Lythari, und werde jeden von euch zur Hölle schicken, der es wagt, mir zu nahe zu kommen.“ „Ein Lügner ist er auch noch“, zischte ein anderer. „Wohin willst du den Pfeil haben? Kopf oder Herz?“ „Können wir ihn essen?“, fragte ein dritter. „Wie schmeckt denn Mondelf, Kylaf?“ „Vergiss es Tradui, der stinkt. So was ess‘ ich nicht...“ „Ich will sein Schwert, wenn er tot ist!“ „Ich seinen Mantel!“ „Du spinnst wohl, Akal! Ich hab‘ mehr Anrecht darauf!“ „Ach, und wieso?“, widersprach dieser und stieß mit der Armbrust nach seinem neben ihm stehenden Gefährten. „Akal, Fenach! Genug!“, erklang eine neue Stimme. Aus dem Dunkel der Nacht erschien ein weiterer Mann, der einen flackernden Ball aus Feuer in der Hand hielt. Saladir erkannte sofort, dass dieser zwar ein Naralfir, aber anders als die restlichen Dämonen war: Kaum war seine Stimme erklungen, wichen die anderen ehrfürchtig ein wenig zur Seite, ohne dabei ihre Waffen zu senken. Saladir erkannte entsetzt, dass er offenbar in eine Falle getappt war. Der Neuankömmling hatte längeres, purpurfarbenes Haar als der Rest seiner Begleiter, das ihm bis über die Schultern fiel. Sein fein geschnittenes Gesicht wurde wie bei den anderen von hellroten Augen dominiert und an seinen spitzen Ohren – die nur etwas kürzer als die eines Lythari waren – glänzten unzählige silberne Ringe. Im Gegensatz zu den knielangen, mit Pelz besetzten Ledermänteln der Umstehenden trug er einen langen, schwarzen Mantel aus einem Samt ähnlichem Stoff, auf den mit Silberfäden geheimnisvolle Muster gestickt waren, sowie schwarze Hosen und Stiefel. An seiner Seite hing ein kostbar aussehendes Langschwert. Außerdem war er der Einzige auf einem Kissard, einer abscheulichen Mischung aus Pferd und Eidechse. Das kühle Lächeln im Gesicht dieses Naralfirs verhieß allerdings nichts Gutes. Alles in Saladir schrie danach, sofort wegzurennen und erst stehenzubleiben, wenn er seine sichere Heimat wieder erreicht hatte, doch er konnte sich nicht bewegen. Für scheinbar endlose Momente blickten sich die beiden Erzfeinde direkt in die Augen, dann stieg der Reiter ab und kam auf Saladir zu. Er tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die ihresgleichen suchte, gerade so, als würde ihm das auf ihn gerichtete Schwert nicht das Geringste anhaben können. Direkt vor dem jungen Elf blieb er stehen und ließ seinen Blick über diesen wandern. Der Prinz fühlte sich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. „Was hat denn ein Prinz hier ganz allein verloren? Sollte ein solcher es nicht eigentlich besser wissen, als Feinden zu verraten, wer er ist? Falls es wirklich stimmt, natürlich.“ Die Stimme war nicht sehr tief, aber sie hatte etwas zutiefst Beunruhigendes an sich. Saladir schaffte es nicht, etwas zu antworten: Er war zu sehr in seiner Starre gefangen, als etwas anderes tun zu können, als haltlos zu zittern. Der Naralfir seufzte kopfschüttelnd, ehe er nach dem Lythari griff und dessen Hand mit den Rosenblüten nachdenklich musterte. Saladir fröstelte unter der Berührung. „Du sagst vermutlich tatsächlich die Wahrheit“, riss ihn die Stimme des Naralfirs in die Wirklichkeit zurück. „Ein Ring mit dem königlichen Siegel – oder bist du nur ein sehr geschickter Dieb?“ Immer noch lag das kühle Lächeln auf seinen Lippen, doch nun wurde es breiter. Die Panik des Prinzen nahm zu. Mochte sein Verstand ihm auch befehlen, sofort zu flüchten – seine Füße schienen mit dem Boden verwachsen zu sein. „Gut... Ich bin Azul, König der Naralfir. Sag‘ mir, kleiner Dieb... Was mache ich jetzt mit dir? Was denkst du, wird dein Vater, der "König", mir wohl im Austausch für dich geben?“ „I-ich we-weiß nicht... Was wo-wollt Ihr de-denn haben?“, stammelte Saladir heiser. „Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe mehr Gold, Juwelen und Sklaven, als ich zählen kann... Aber ich bin sicher, mir wird noch etwas einfallen.“ Damit ließ Azul den Feuerball zum Schwert des Lytharis fliegen. Kaum hatte dieser die Klinge berührt, schmolz es und ließ nur einen unbrauchbaren Klumpen Metall zurück. Mit einem leisen Fluch ließ Saladir es fallen und schüttelte die verbrannte Hand, bevor er ungeschickt seine Feldflasche vom Gürtel zerrte und das Wasser daraus über die Handfläche goss. Der König der Naralfir hingegen drehte sich um, ging zu seinem Kissard und stieg auf. „Nehmt ihn gefangen!“, befahl er noch und ritt davon. Saladir versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Sein Dolch würde den Naralfir nichts anhaben können. Zudem waren sie in der Überzahl und bedrohten ihn noch immer mit ihren Armbrüsten. Widerstandslos ließ er zu, dass ihm die Nachtrosen, sein Reisegepäck und seine übrigen Waffen abgenommen wurden. Dann fesselten ihm die Soldaten die Hände hinter seinem Rücken und führten ihn hinaus aus dem Wald, einem unbekannten Schicksal entgegen... Der Weg führte über eine endlos weite, grüne Ebene, an einem Fluss entlang, den die Händler den „Strom der Verdammten“ nannten, weil aufgewirbelter roter Lehm vom Grund das Wasser nach heftigen Regenfällen blutig erscheinen ließ. Es schmeckte ledrig, nach altem Gras und aufgeweichten Blättern, wenn Saladir die Gelegenheit bekam, etwas zu trinken... wofür er sich bäuchlings in das Gras am Ufer legen musste, weil die Naralfir sich weigerten, ihm etwas aus ihren Feldflaschen zu geben. Der Boden selbst war karg, und unter einer dünnen Schicht Erde befand sich oft harter Fels, erkannte der Lythari, der die üppige Farbenpracht von Wildblumen und sanft im Wind rauschende Bäume gewohnt war, die so manches verborgene Plätzchen für vertrauliche Zweisamkeit boten. Im Reich der Naralfir gab es nichts als Gras und einschüchternd hohe Felsvorsprünge, die sich spitz zulaufend wie Zähne über das Land erhoben, als befände sich die kleine Gruppe im Rachen eines riesigen, toten Tieres. Mächtige Wolkenberge warfen oft dunkle Schatten auf den Boden wie vor einem Gewitter, gegen die sich die Sonne nur schwer durchsetzen konnte. Den Naralfir in der Begleitung ihres Königs schien es nichts auszumachen, stumpfsinnig hinter diesem herzutrotten und dabei ein riesiges, allmählich stinkendes Ungetüm mit sich zu schleppen. Saladir hingegen war tagelange Fußmärsche nicht gewohnt. Ihm tat alles weh, nicht nur die Füße, sondern auch seine inzwischen tauben Hände und die überdehnten Schultern. Seine Handgelenke und Unterarme waren von den trockenen Lederbändern wundgescheuert, und seine Muskeln brannten von der verkrampften Schlafstellung, in die ihn die Fesselung zwang. Saladirs Rücken hatte blaue Flecken von den Stößen mit den Armbrüsten der Männer, wenn er ihrer Meinung nach wieder zu langsam lief. Durch die Fetzen seines Reisemantels hindurch waren seine Oberarme zerschnitten und mit Blut verkrustet, weil er bereits mehrfach gestürzt und der Stoff dort gerissen war. König Azul schien ihn vergessen zu haben, denn er schaute nach vorn, den Blick der roten Augen immer in die Ferne gerichtet. Hoch aufgerichtet saß er auf dem Kissard, und wenn der Saladir ihn nicht für jemanden hätte halten müssen, dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war, hätte er seine edle Haltung bewundert. Frauen mussten sich darum reißen, das Bett dieses Mannes zu teilen... ein Bett, das ihm nachts in einem Zelt auf Fellen bereitet wurde, während Saladir ohne Decke und immer noch gefesselt mit dem nackten Boden vorlieb nehmen musste. Die scharfen Grashalme schnitten in sein Gesicht, und der Hunger hielt den Prinzen wach, bis ihn schließlich die pure Erschöpfung in einen kurzen Schlaf zwang... Wieder bekam Saladir einen Tritt in den Rücken und taumelte, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Richtig, am Morgen bevor er in dieses verfluchte Reich gegangen war. Die Naralfir schleppten zwar den riesigen Vogelkadaver, den sie im Wald erlegt hatten, mit sich, aber Saladir war sich nicht sicher, ob als Wegzehrung oder als Jagdtrophäe. Ob sie ihn wohl eher verhungern lassen oder ihn zu Tode foltern würden? Der Lythari vermutete Letztes, auch als sein Magen vernehmlich knurrte. „Majestät, der Dieb stinkt erbärmlich! Sollten wir ihn nicht wenigstens mal kurz ins Wasser schmeißen, bevor wir ankommen?“, fragte plötzlich einer der Jagdgesellschaft hinter ihm. „Genau, sonst verpestet er das ganze Schloss!“, rief ein anderer, und Saladir spürte am Rucken seiner Fesseln, wie dieser die Arme nach oben riss. Azul hielt blickte nur kurz nach hinten über seine Schulter. „Warum sollte es mich interessieren, wie ein Dieb riecht, wenn er sowieso im Kerker landet?“, fragte er kalt, und Saladir zuckte zusammen. „Na jaaa... der Wind weht grad‘ von vorne, und wir kriegen den ganzen Gestank ab, weil wir hinter Euch und ihm her laufen...“ Wieder bewegten sich die Fesseln, als der Sprecher heftig gestikulierte. „Das Ding riecht furchtbar nach Aas und auf unserem Weg liegt doch ein See, wo wir auch die Wasserflaschen auffüllen könnten...“ „Iiih, Akal. Du willst Wasser trinken, in dem ein Mondelf war? Du bist ja pervers!“ „Halt' die Schnauze, Fenach! Natürlich füll‘ ich die Flaschen vorher auf, du verblödeter Idiot!“ Saladir wagte es nicht, sich zu rühren. Auch als die beiden Soldaten anfingen, sich zu prügeln und Akal ihn nach hinten umriss, weil er seinen Gegenüber ansprang, ohne die Fesseln loszulassen. Der Schmerz des Aufpralls presste ihm die Luft aus den Lungen, doch er biss die Zähne zusammen. Er wusste nichts über den Herrscher der Naralfir, doch er wusste, dass er sich hier keine Schwächen erlauben durfte. „Und wenn er wegläuft?“, hörte er Fenachs wutentbrannte Stimme. „Willst du ihn etwa dann wieder einfangen? Seine Majestät wird dich kaltmachen!“ „Der vollgeschissene Elf kommt sowieso nicht weit!“, entgegnete Akal fauchend. „Wo soll er denn hin?“ „Was weiß denn ich? Wir sollten ihm wenigstens die Achillessehnen durchschneiden!“ „Damit er im See absäuft? Oder willst du den Bastard den ganzen Rückweg lang tragen? Ist dir der Kauz auf den Kopf gefallen?“ Saladir lief es eiskalt den Rücken herunter, und er bemühte sich, sein Zittern zu unterdrücken, damit die Naralfir nicht merkten, wie viel Angst ihm ihre Worte machten. Besonders Akal und Fenach waren schlimmer als jedes Gerücht, das er bisher gehört hatte. „Möchtest du ein Bad nehmen bevor wir ankommen, kleiner Dieb?“, war auf einmal Azuls Stimme trügerisch sanft zu hören. Entsetzt und erschrocken riss Saladir den Kopf herum, und sein Blick traf auf rote Augen, deren Intensität ihn zu erstechen schien. Was sollte er darauf erwidern? War nicht jede Antwort ein Fehler? Wenn er sowieso sterben würde, war es doch egal, ob er schmutzig war oder nicht. Aber der Gedanke an Wasser erschien ihm wie das Paradies: Die vor Dreck starrenden Kleider ausziehen, die brennenden Wunden kühlen und den Schmutz abwaschen... etwas trinken, in das nicht vorher jemand hineingespuckt hatte oder absichtlich Dreck aufgewirbelt hatte, der zwischen den Zähnen knirschte... Azul lachte, als hätte er seine Gedanken gelesen, und Saladir verkniff sich eine bissige Bemerkung. Mit Fesseln würde er sicher nicht ins Wasser steigen: Die Naralfir würden ihn losmachen müssen. Ein See bot vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht... Im nächsten Moment krachte ein Stiefeltritt in seine Seite. Noch bevor dem jungen Elf klar wurde, wie ihm geschah, stürzte eiskaltes Wasser über ihm zusammen. Strampelnd und keuchend kam er nur mit Mühe wieder an die Oberfläche. Glücklicherweise war das Wasser nur so tief, dass es bis an seine Hüften reichte und er stehen konnte. Saladir hustete, während sein Herz vor Schreck raste. „Ugrui, das war geil!“ „Aber jetzt sind deine Stiefel verseucht.“ Akal und Fenach hatten aufgehört sich zu streiten und starrten ihren Kameraden bewundernd an. Ugrui zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenigstens stinkt er jetzt nich‘ mehr“, sagte er nur und machte sich daran, an einer seichten Stelle die Wasserflaschen aufzufüllen. „Kylaf, mach‘ ihm die Fesseln ab und hilf ihm!“, erklang Azuls Stimme, und Saladir sah, wie ein weiterer der Gruppe auf ihn zu kam. Es war jener, der ihn hatte essen wollen, fiel ihm ein. Als er sah, wie der Naralfir ausholte und seine Fingernägel zu langen Krallen wurden, zog er den Kopf zwischen die Schultern und kniff die Augen zusammen. Gleich darauf spürte er, wie seine Arme an den Seiten herabfielen. Der Schmerz war höllisch als seine Muskeln nicht nur gegen das kalte Wasser, sondern auch gegen die ungewohnte Freiheit rebellierten. „Soll ich dich auch noch ausziehen, oder schaffst du das alleine?“ „A-alleine“, stotterte Saladir, doch es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, die Knöpfe seines Mantels zu öffnen. Langsam und frierend zog er sich aus und verfluchte Ugrui innerlich, als er seine zerschlissene Kleidung auf das trockene Ufer legen musste. Wenn er fertig damit war, sich und seine Wunden zu reinigen, würde er sie nass wieder anziehen müssen... Kylaf hingegen kletterte ans Ufer, als wäre nasse Kleidung kurz nach dem Winter nichts, worüber man sich Sorgen machen musste. „Meine Fresse, so weiße Haut“, staunte er stattdessen. „Kein Wunder, dass man Lythari auch „Mondelfen“ nennt...“ „Ja, sein Arsch strahlt wie der große Mond!“, spottete Akal und hockte sich neben ihn. „Er ist ja schon ein Hübscher... aber sein Gehänge ist nicht besonders groß. Gilt sowas bei den Mondelfen schon als Mann oder noch als Jüngling?" Saladir wusste inzwischen auch, wie dieser Lythari hieß: Tradui. Er hatte in den Nächten immer die letzte Wache an seiner Seite gehalten. „Ich will ihn immer noch essen“, entgegnete Kylaf. „Kurz angebraten mit Zitrone.“ „Alter, das ist ein Lythari, kein Fisch!“, kam es von Akal. „Ich will ihn aber vorher noch ficken“, warf Tradui ein, der Saladir nicht aus den Augen ließ. „Das ist echt ekelhaft“, meinte Fenach. „Selbst für deine Verhältnisse. Der hat doch nichts zu bieten.“ „Das hängt ganz davon ab, was man mit ihm machen will“, entgegnete Tradui, in dessen Gesicht man erkennen konnte, dass ihm bereits einige Ideen gekommen waren. „Na klar, wenn Kylaf ihn gefressen hat, is' ja auch nix mehr von ihm übrig!“, entfuhr es Ugrui, und die Männer lachten. Saladir gefror das Blut in den Adern – und das lag nicht am Wasser. Aber schlimmer als diese Sprüche waren die Blicke des Königs, die jeder seiner Bewegungen mit unergründlichem Gesichtsausdruck folgten und den Lythari genau musterten, als ob Azul sich jedes Detail seines Körpers genau einprägen wollte. Sie schienen über seine Haut zu streichen wie heißes Eisen... Schnell tauchte Saladir bis zu den Schultern in die eisigen Fluten und schwamm in tiefere Gefilde. „Auch ohne Fesseln solltest du nicht versuchen zu fliehen, kleiner Dieb“, sagte Azul dunkel, während er gelassen von seinem Kissard abstieg. Saladir biss sich auf die Lippen, bis er blutete, damit ihm keine bissige Bemerkung entschlüpfen konnte: Glaubten die Naralfir etwa, er wäre ein Idiot? Er mochte in der Mitte des Flusses schwimmen können und die Strömung mochte ihn mit sich treiben, aber die Pfeile der Armbrüste oder die Kälte des Wassers würden ihn töten, noch bevor er irgendwo eine sichere Stelle am Ufer erreicht hätte. Plötzlich horchte er auf. Der Lythari drehte sich nach der Quelle des Geräusches um. Ugrui war fertig damit, die Wasserflaschen aufzufüllen und Tradui nun dabei, sich in den See zu erleichtern. Wieder lachten alle hämisch... bis auf Azul, dessen Blick gerade Steine zu schmelzen schien. Im nächsten Augenblick trat der König seinem Soldaten mit aller Kraft in den Rücken. Der Unglückselige schrie kurz auf und stürzte mit einem lauten Klatschen in den Fluss. Völlig verblüfft beobachtete Saladir, wie der Kopf des Naralfir hustend wieder an die Oberfläche kam. Er musste ein Kichern unterdrücken und wandte sich ab, damit es keiner bemerkte. Aber es war nicht schnell genug, denn Tradui hatte es gesehen. Einen Augenblick später war er bei Saladir und schlang seine Finger um dessen Hals. „Du willst, dass ich in meiner eigenen Pisse ersaufe?“, zischte er und drückte den Lythari unter Wasser. Doch schon im nächsten Moment lösten sich seine Finger und als Saladir wieder verstand, was sich vorging, war Azul neben ihm und drückte den Kopf des heftig strampelnden Naralfir unter Wasser. Hastig hervorgebrachte Worte der Entschuldigung trafen auf taube Ohren, als der König den Soldaten mit unbewegter Miene ertränkte. Saladirs Verstand wurde leer vor Entsetzen: Er war noch nie einem Herrscher begegnet, der derartig mit seinem Volk umging, und für einen Lythari im Besonderen war ein solches Verhalten undenkbar. Wie konnte man seine eigenen Untertanen einem so qualvollen Tod aussetzen? Wie konnte man überhaupt jemanden so gnadenlos töten? Akal und Fenach waren ihre Sprüche im Hals steckengeblieben. Kylaf beobachtete alle interessiert. Saladir blieb, wo er war. „Du willst nicht, dass ich dich aus dem Wasser hole, kleiner Dieb. Also komm.“ Langsam stieg der Lythari mit zitternden Knien aus dem Wasser. Er wollte nach seiner Kleidung greifen, doch nach einem kurzen Befehl von Azul warf Ugrui ihm missmutig seinen eigenen Reisemantel zu. „Danke“, murmelte Saladir und nickte mit einem kleinen erleichterten Lächeln in dessen Richtung. Azuls Augen verengten sich gefährlich. „Was?“, fauchte der immer noch schockierte Elf. „Ich habe meine gute Erziehung nicht vergessen, auch wenn ich ein Gefangener bin!“ „Bedankst du dich dann auch bei mir?“, fragte Azul, und in seine Augen trat ein belustigtes Funkeln. „Wofür?“ „Ach, hätte ich dich Tradui überlassen sollen?“ Azuls Stimme bekam einen Unterton, der Saladir gar nicht gefiel. „Oder willst du Kylaf noch weiter in Versuchung führen mit Kleidung, die mehr enthüllt als verbirgt?“ Röte schoss in Saladirs Wangen und widerwillig musste er einsehen, dass ihm wohl keine andere Wahl blieb. „Ich danke Euch für Eure Hilfe“, sagte er schließlich kühl und schlüpfte in den trockenen Mantel, doch Azul lachte nur. „Warum denn nicht gleich so? Und jetzt weiter. Mit deinen Allüren hast du uns lange genug aufgehalten.“ „Lauft Ihr mal tagelang mit solchen Fesseln und den Tritten eures Gefolges, ohne etwas gegessen zu haben!“ Der Satz war heraus, bevor Saladir ihn zurückhalten konnte. Azul blickte kurz drein, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen, doch dann trat wieder das Glitzern in seine Augen. Schon wurden dem Lythari erneut die Arme nach hinten verschränkt und seine Hände gefesselt. Es war Akal, der ihn auf eine Handbewegung Azuls bäuchlings quer auf den Rücken des Reittieres warf wie eine Puppe. „Ob es seinen Geschmack verdirbt, wenn er so durchgeschüttelt wird?“, überlegte Kylaf laut. „Näh, der wird davon massiert wie gutes Rindfleisch!“, feixte Fenach. „Hast du schon mal Lythari gegessen? Richtig zubereitet könnte er ein Festmahl abgeben.“ „Hinterschinken“, hörte man Ugrui leise. Saladir wurde von so vielen Gefühlen überschwemmt, dass es ihm schwerfiel, diese einzuordnen. Da war die Angst vor den Naralfir und seinem zukünftigen Schicksal, die Verlegenheit über die Position, in die man ihn gezwungen hatte und die Scham über die Schande, dass sich seine Pläne als derart anmaßend, naiv und undurchführbar entpuppt hatten. Nie hatte er sich so wertlos gefühlt, so unbedeutend, unfähig... und so hilflos. Er zappelte, doch dann spürte er Azuls Hand auf seinem Rücken: Der König stieg auf und hielt den Lythari in Position. Ein kurzer Ruck an den Zügeln, und das Tier setzte sich schaukelnd in Bewegung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)