Majora's Mask von Labrynna ================================================================================ Kapitel 2: Ein schreckliches Schicksal -------------------------------------- Als Link wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden, das Gesicht halb in einer flachen Pfütze. Noch immer schlug sein Herz beinah doppelt so schnell wie normal und das dringende Bedürfnis, schnellstens davonzulaufen, flaute nur allmählich ab. Um sich selbst wieder ein wenig zu beruihgen und sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, holte der Junge tief Luft und atmete prompt ein wenig Wasser ein, was ihn husten ließ. Bei den Geräuschen, die aus seinem Mund kamen, gefror dem Jungen jedoch das Blut in den Adern. Was war mit seiner Stimme passiert?! Auf einmal klang sie disharmonisch und so knarzig wie die lang nicht mehr geölten Scharniere einer alten Tür. Links Puls stieg noch ein wenig mehr, obwohl der Knabe nicht geglaubt hatte, dass dies möglich war. Vielleicht, versuchte der Junge sich selbst zu beruhigen, war es nur das Wasser, das seine Stimme so merkwürdig klingen ließ. Während er sich mühsam wieder aufrappelte, musste er sich jedoch eingestehen, dass er nicht von ganzem Herzen an diese Theorie glauben konnte. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht… Als Link es endlich geschafft hatte, sich trotz seiner vor Schreck weichen und nachgiebigen Knie in eine aufrechte Position zu hieven, verstärkte sich das Gefühl des Unwohlseins noch. War der Boden schon immer so nah gewesen? Die Panik fuhr dem Knaben jedoch erst richig in die Glieder, als er sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht streichen wollte: Sein Arm war plötzlich zu kurz und reichte ihm nur noch knapp bis zu Kinn. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er seine zitternden Hände vor sich ausstreckte. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, wäre der Junge am liebsten zurückgewichen, doch ihm war bewusst, dass man vor seinem eigenen Körper nicht davonlaufen konnte. Dort, wo noch Minuten zuvor Hände mit langen, schlanken, aber nichtsdestotrotz kräftigen Fingern gewesen waren, befanden sich nurn Greifer aus entrindetem Holz, die Link an die Fäustlinge erinnerte, die Salia ihm im letzten Winter gestrickt hatte: während der Daumen jeweils separiert war, schienen die anderen vier Finger einer jeden Hand zu einer Fläche zusammengewachsen zu sein. Auch seine Arme hatten sich deutlich verändert: ihr Umfang hatte sich in etwa halbiert und anstatt von sonnengebräunter Haut überzogen zu werden, waren sie nun von graubrauner Rinde überzogen. Link spürte, dass er viel zu schnell atmete – ganz so als wäre er die gesamte Strecke von Kakariko hoch nach Goronia gerannt – und er mahnte sich stumm zur Ruhe. Wenn er weiterhin derart hechelnd atmete, würde er schon sehr bald erneut ohnmächtig werden. Und wer konnte schon sagen, was das Horrorkid in dieser erneuten Zeit der Weggetretenheit mit ihm anstellen würde? Link hob zögernd den Blick und musterte die drei Gestalten, die beinah reglos ihm gegenüber in der Luft schwebten. Tael zog ein bedauerndes, mitleidiges Gesicht, während Taya aussah als könnte sie sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen. Das Horrorkid hatte sich unterdessen auf die Seite gedreht und den Kopf auf eine Hand gestützt, sodass es aussah als lümmelte es auf Chaiselongue. Hinter der bunt bemalten Maske waren seine Gesichtszüge nicht zu erkennen, aber Link war sich fast sicher, dass der Waldkobold ihn trotz seiner betont lässigen Körperhaltung gespannt und aufmerksam beobachtete. Da alle Drei den Eindruck erweckten als warteten sie auf irgendetwas, vermutete Link, dass er das wahre Ausmaß seiner Verwandlung noch nicht entdeckt hatte. Sein Mund fühlte sich an als hätte ihm jemand ein Knäul Schafwolle in den Rachen gestopft, das jetzt allen Speichel aufsaugte und unangenehm gegen seine Kehle drückte. Dennoch zwang er sich mit wild schlagendem Herzen, einen Blick in die Pfütze vor sich zu werfen. Irgendwie erinnerte ihn diese Situation an den Moment, in dem er nach seinem siebenjährigen Schlaf im Heiligen Reich aufgewacht war und hatte erkennen müssen, dass er plötzlich im Körper eines ausgewachsenen Mannes gesteckt hatte. Dieses Mal war die Angst und die Verwirrung, die Links Geist fest in ihrem stählernen Griff hatten, jedoch um einiges größer als damals. Im Heiligen Reich waren wenigstens Rauru und Navi bei ihm gewesen, die beruhigend auf ihn eingewirkt und ihm erklärt hatten, was mit ihm passiert war. Außerdem war er damals wenigstens noch menschlich gewesen… Was das Horrorkid aus ihm gemacht hatte, konnte er nur erahnen. Der Anblick seiner hölzernen Arme und Hände ließ nichts Gutes vermuten… Der Junge atmete ein letztes Mal tief durch, dann betrachtete er sein Gesicht, das sich auf der Wasseroberfläche vor ihm spiegelte. Als er dem ihm entgegenblickenden Antlitz ansichtig wurde, wusste Link zunächst nicht, ob er geschockt zurückweichen, schreien, weinen oder lachen sollte. Die ganze Situation wirkte derart surreal und obskur auf den Knaben, dass sein Geist sich weigerte, die wahre Tragweite seiner Verwandlung zu begreifen. Das, was ihm mit großen, gelb leuchtenden Augen aus der Pfütze entgegen glotzte, war das Gesicht eines Laubkerls… Link trug noch immer seine geliebte, grüne Zipfelmütze, unter der ein Schopf hellbraunen Haares hervorlugte, und seine ihm nun viel zu große Tunika hing wie ein alter Kartoffelsack an seinem zierlichen Holzkörper. Dünne, hölzerne Beine ragten wie Stelzen aus den Schäften seiner kniehohen Lederstiefel hervor, die ihm überraschenderweise noch immer gut zu passen schienen. In einer Mischung aus bodenlosem Entsetzen und der Weigerung das Geschehene zu begreifen, schüttelte Link seinen riesigen Schädel, der in etwa so groß war wie sein restlicher Körper zusammen, und stieß ein hysterisches Lachen aus. Bei den krächzenden Lauten, die aus seinem röhrenförmigen Rüssel kamen, hätte sich der Junge am liebsten die Ohren zugehalten. Das Horrorkid hingegen schien keinen Anstoß an den merkwürdigen Geräuschen zu nehmen. Stattdessen setzte es sich mit einer überraschend geschmeidigen Bewegung auf und überschlug die Beine. Dann stellte es mit einer Stimme, die vor boshaftem Humor nur so strotzte, fest: „So gefällst du mir viel besser.“ Link wollte ihm Gemeinheiten an den Kopf werfen und es anschreien, es solle ihn gefälligst zurückverwandeln, aber außer unverständlichem Geknarze brachte er nichts zustande. Er wusste, dass Laubkerle in der Lage dazu waren, zu sprechen – im Deku-Baum hatte er sich mit mehreren der kleinen Kobolde unterhalten. Offenbar musste er jedoch erst noch lernen, wie er die Zunge dieses neuen Körpers gebrauchen musste, um Worte aus seinem lippenlosen, rüsselartigen Mund herauszubringen. Als es den brennenden Zorn in Links Augen sah, brach das Horrorkid in schallendes Gelächter aus, während Taels Blick zwischen diesem und Link hin und her zuckte. Mit leiser Stimme wandte der Feenjunge schließlich ein: „Jetzt hattest du deinen Spaß, Horrorkid, aber ich glaube, dieses Mal sind wir wirklich zu weit gegangen. Verwandel ihn zurück, gib ihm seine Okarina wieder und dann lass uns weiterziehen.“ Taya bedachte ihn mit einem verstimmten, aber nichtsdestotrotz liebevollen Blick. „Du bist eine Spaßbremse, Tael!“ Dann wandte sie sich ebenfalls an das Horrorkid: „Aber vielleicht hat er dieses Mal ausnahmsweise mal Recht.“ Der Waldkobold schüttelte allerdings nur den Kopf und bestimmte: „Ich hatte noch lange nicht genügend Spaß. Lasst uns sehen, wie gut er sich als Deku schlägt.“ Link war sich fast sicher, dass das Horrorkid hinter seiner Maske breit grinste, als es sich an ihn wendete: „Na los, versuch doch, mich zu fangen!“ Mit diesen Worten schwebte es rückwärts aus dem Raum in eine Art hohle Wurzel hinein. Tael zögerte einen Moment, folgte seinem Begleiter dann jedoch ohne einen weiteren Blick auf Link. Taya, die den Jungen noch immer mit einem amüsierten Funkeln in den Augen betrachtete, sank vor Lachen beinah auf den Boden, als Link bei seinem Versuch, dem Horrorkid zu folgen, über seinen Gürtel stolperte, der ihm von seinen plötzlich schmaler gewordenen Hüften gerutscht war und um seine Füße gelegen hatte. Da er sich mit seinen kurzen Stummelärmchen nicht abfangen konnte, stürzte Link lang hin und atmete aufgewirbelten Dreck und kurze Moosfasern ein, was ihn erneut husten ließ. Taya ließ sich unterdessen auf seinem Kopf nieder und höhnte: „Na, so wird das aber nichts!“ Ihre gute Laune verflog jedoch schnell, als das Horrorkid mit den Fingern schnippste und plötzlich eine undurchdringlich wirkende Rankenwand aus dem Boden schoss, die den Zugang zu der Wurzel versperrte. Während Taels panisches „TAYA!“ noch in der Luft hing, starrten sich Fee und Laubkerl aus vor Entsetzen geweiteten Augen an. Das Horrorkid hatte sie eingesperrt… Während Taya schon nach Sekundenbruchteilen wieder zu sich fand und zu der Rankenwand herübereilte, um verzweifelt an den dornenbewehrten Pflanzen zu zerren, brauchte Link deutlich länger, bis er sich dazu aufraffen konnte, wieder aufzustehen. Auf einmal wirkte alles in seinem Leben düster und sinnlos… Navi war verschollen und Epona verschleppt, er sich hatte die Okarina der Zeit stehlen lassen und saß nun mit einer unverschämten und geradezu bösartig wirkenden Fee in irgendeinem unterirdischen Gewölbe fest. Und zu allem Überfluss war er auch noch in einen Laubkerl verwandelt worden… Der Junge hievte sich auf, bis er auf dem Hintern saß, zog dann die Beine an und versuchte, seine Stummelärmchen darumzuschlingen. Da sie dafür jedoch zu kurz waren, musste er sich damit begnügen, seine Unterschenkel mit den Händen zu umfassen. Das knackende Geräusch, das seine Gelenke bei jedem Beugen verursachten, jagte dem Knaben eisige Schauer über den Rücken. Er wollte seinen eigenen Körper zurück! Und er wollte wissen, wo Epona und Navi waren… Verzweiflung schien den Jungen zu Boden zu ziehen als ob sein gesamter Körper mit Metallgewichten beschwert worden wäre. Resigniert ließ er seine Stirn gegen seine Knie sinken, während sich erste Tränen aus seinen Augenwinkeln lösten. Als wäre seine Situation nicht sowieso schon schlimm genug verursachte das ungewohnte Gewicht seines plötzlich riesigen Schädels allmählich stechende Schmerzen in seinem Nacken. Ein Teil seines Unterbewusstseins wunderte sich stumm darüber, dass sein hölzerner Körper überhaupt so etwas wie Schmerz empfinden konnte. Bevor er sich jedoch ernsthaft darüber Gedanken machen konnte, riss ihm plötzlich etwas an den Haaren und zwang ihn, den Kopf wieder zu heben. Taya schwebte vor ihm in der Luft und sah ihn aus zornigen, funkensrpühenden Augen an. „Das ist alles deine Schuld! Deinetwegen wurde ich von meinem Bruder getrennt!“ Link blinzelte sie ungläubig an. Er sollte für diese Situation verantwortlich sein?! Hatte er darum gebeten, dass die beiden Feen Epona erschreckten? Oder darum, dass das Horrorkid ihm Okarina und Pferd stahl? Hatte er das Horrorkid auf Eponas Rücken gesetzt und sie in den dunkelsten Teil des Waldes getrieben? Hatte er sie etwa in dieses merkwürdige unterirdische Gewölbe gestürzt? Hatte er die Rankenwand aus dem Nichts erschaffen und sie somit jedem Ausweg beraubt? Am liebsten hätte er laut aufgelacht, doch alles, was aus seinem Rüssel kam, klang wie Schluchzer vermischt mit Schluckauf. Taya stützte die Hände in die Hüften und forderte: „Steh endlich auf! Du musst einen Weg finden, dass wir diese Höhle verlassen können. Du musst mich zurück zu Tael bringen!“ „Einen Dreck muss ich!“, schoss es Link durch den Kopf. Da er jedoch noch immer nicht wusste, wie er in dieser Gestalt sprechen konnte, wandte er lediglich das Gesicht ab und starrte an die Wand rechts von ihm. Nur Sekunden später tauchte das Feenmädchen wieder in seinem Blickfeld auf und fuchtelte wild mit den Armen. „Hey! Du kannst mich doch nicht einfach ignorieren!“ Für einen Moment dachte Link, die Fee würde ihn anschreien, aber dann brökelte der zornige Ausdruck in ihrem Antlitz plötzlich ab. Darunter kam eine besorgte Miene zum Vorschein und Taya flüsterte: „Bitte! Hilf mir! Tael ist doch noch so klein und das Horrorkid…“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe, bevor sie neu ansetzte: „Mein Bruder braucht mich und ohne dich schaffe ich es nie hier raus. Bitte!“ Links erster Impuls war, sich erneut abzuwenden und mit der Hand nach ihr zu schlagen wie nach einer lästigen Schmeißfliege. Ein Blick in ihre geweiteten, verletzlich wirkenden Augen ließ ihn dieses Vorhaben jedoch verwerfen. Irgendwie erinnerte ihn Taya in diesem Moment noch stärker an Navi als zuvor. Diese hatte ein ganz ähnliches Gesicht gezogen, wenn ihr vor Sorge um Link beinah das Herz zersprungen wäre. Seufzend hievte Link sich auf die Füße und sah an sich herunter. Seine Tunika, die ihm in seinem menschlichen Körper bis zu den Knien gereicht hatte, wirkte nun wie ein bodenlanges Kleid. Der Riemen, an dem Schwert und Schild befestigt waren, war ihm ebenfalls auf einmal zu weit und drohte, von seiner Schulter zu rutschen. Taya legte bei diesem Anblick den Kopf schief und murmelte: „In dieser Gestalt werden dich deine Kleider vermutlich ziemlich behindern, wenn wir sie nicht hochstecken. Hmm…“ Sie schürzte die Lippen und sah sich aufmerksam in dem Gewölbe um. Dann deutete sie auf Links Gürtel, der noch immer auf dem Boden lag, dort, wo der Junge zuvor über ihn gestolpert war. „Ich hab’s! Binde dir deinen Gürtel wieder um!“ Obwohl Link sich nicht erklären konnte, was sein Gürtel mit der Länge seiner Tunika oder der Weite seines Waffengurtes zu tun haben sollte, tat er wie ihm geheißen. Während sich der Junge damit abmühte, mit dem Dorn der Schnalle ein neues Loch ins Leder zu stechen, damit der den Gürtel eng genug um seinen schmalen Körper binden konnte, hob Taya den Saum seiner Tunika an und schob ihn so geschickt unter das breite Lederband, dass es, als sie ihr Werk vollendet hatte, beinah aussah als hätte sie den Stoff mit Nadel und Faden gekürzt. Link sah staunend an sich herab und stieß ein erfreutes Quietschen aus, als er „Gut gemacht!“ rufen wollte. Als er angesichts seines erneut missglückten Sprechversuchs den Kopf hängen ließ, sah es für einen Moment so aus als wollte Taya etwas Tröstendes sagen. Stattdessen deutete sie jedoch nur auf Links Waffengurt und murmelte: „Dazu fällt mir leider keine schnelle Lösung ein. Aber ich glaube sowieso nicht, dass du als Deku ein Schwert führen kannst. Deine Arme erscheinen mir viel zu kurz dafür. Vielleicht solltest du den ganzen Gurt einfach hier lassen.“ Link schüttelte vehement den Kopf, während er sich über die Bezeichnung «Deku» wunderte. Kannte man hierzulande Laubkerle unter diesem Namen? Dann wand er sich aus seinem Waffengurt und mühte sich unter Tayas neugierigen Blicken damit ab, Schwert, Schild und Gurt in seinem Wunderbeutel verschwinden zu lassen. Die fehlende Länge seiner Arme erwies sich dabei als nicht zu verachtendes Hindernis. So musste er sein Schwert beispielsweise an der Klinge anfassen und es Stück für Stück durch seine Hand in den Beutel gleiten lassen, da seine Armspanne zu gering war, um es im Ganzen hineinzuschieben. Als er nach dem Verstauen seiner Waffen wieder aufsah, betrachtete Taya ihn mit einem Blick, der zwischen Verblüffung, Wissensdurst und Argwohn schwankte. „Dein Gürtel wurde mit einem Feenzauber versehen.“ Es war eine Feststellung, trotzdem klang der Tonfall wie eine Frage. Link nickte und watschelte auf die Rankenwand am Eingang zur Wurzel herüber, wobei sich seine neuen, hölzernen Beine ungewohnt steif und schwerfällig anfühlten. Taya sah ihm auf der Unterlippe kauend hinterher. Es brannte ihr unter den Nägeln, herauszufinden, woher der Fremde einen von Feen verzauberten Lederbeutel hatte. War er etwa mit Angehörigen ihrer Art befreundet? Oder gehörte er zu dem gefürchteten Volk aus dem Süden, das sich auf den Handel mit Feen und von ihnen erschaffenen magischen Relikten spezialisiert hatte? Das Feenmädchen nahm sich vor, von nun an doppelt vorsichtig zu sein – immerhin war der Junge in Richtung Süden unterwegs gewesen, als sie seinen Weg gekreuzt hatten. Warum hätte er in diese öden Landen reisen sollen, wenn er nicht von dort stammte? Link war unterdessen an der Rankenwand angelankt und befühlte die ineinander verwobenen Schlingpflanzen. Die einzelnen Stränge waren in etwa so dick wie der Unterarm eines durchschnittlich kräftigen Mannes und von einer borkenartigen Schicht überzogen. Der Knabe war sich sicher, dass er sie kaputt reißen könnte – selbst in seiner jetzigen Gestalt – doch das würde sehr viel Kraft und Energie kosten. Gab es keinen einfacheren Weg? Unwillkürlich drängte sich Link der Gedanke an Dins Feuerinferno auf. Damit wäre die Rankenwand in null Komma nichts niedergebrannt gewesen! Doch Link hatte nicht daran gedacht, nach seinem Besuch bei Prinzessin Zelda auch den Feenbrunnen in der Nähe des Schlosses aufzusuchen, um sich den Zauber von der dort lebenden Feenkönigin aushändigen zu lassen. Anders als bei den Zeitreisen, die ihm das Master-Schwert ermöglicht hatte, hatte er durch Zeldas Zauber nur die Ausrüstungsgegenstände behalten, die er zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihn zurückgeschickt hatte, bereits besessen hatte. Andererseits, überlegte der Knabe, war es angesichts seiner jetzigen Gestalt vielleicht ganz gut, dass er Dins Feuerinferno nicht dabei hatte und so in Versuchung geführt wurde, den Zauber einzusetzen. Zwar war er bislang stets von der magisch heraufbeschworenen Flammenwand verschont geblieben, aber als Laubkerl sollte er vermutlich besser nicht mit dem Feuer spielen. Also blieb ihm wohl nichts anderes übrig als die Ranken mit Gewalt auszureißen… Hätte er noch seinen menschlichen Körper gehabt, wäre ihm sein Missmut wohl überdeutlich ins Gesicht geschrieben gewesen, doch nun blieb sein Antlitz so starr und unbewegt wie eine Maske, als er die Hände auf die erste Schlingpflanze legte und kräftig anzog. Die Ranke gab einen knarrenden Laut von sich, ließ sich jedoch nicht bewegen – egal, wie kräftig Link an ihr riss. Taya, die inzwischen zu ihm herüber geschwebt war, versuchte, sich durch einen Ritz zwischen zwei Pflanzen hindurch zu zwängen, aber ohne Erfolg. Entmutigt ließ sich sich auf Links Kopf nieder und seufzte: „Wir kommen nie hier raus, oder?“ Link ließ seinen Blick zu ihr hinaufschnellen, konnte aber außer einem wilden Wust Haare nichts sehen. „Gib nicht so schnell auf“, wollte er sie trösten, doch erneut kam nur ein krächzendes Quietschen aus seinem Rüssel. Als kurz darauf leises Schluchzen aus Richtung seiner Mütze erklang, legte der Knabe mit neuem Feuereifer seine Hände wieder auf eine der Schlingpflanzen. Er konnte Taya zwar nicht sonderlich leiden, aber er hatte es noch nie haben können, wenn jemand in seiner Gegenwart weinte – schon gar nicht, wenn dieser jemand so hilf- und schutzlos war wie eine Fee. Die Füße gegen die Rankenwand gestemmt, riss Link unter Einsatz seines vollen Körpergewichts an der Pflanze. Als Laubkerl war er zwar deutlich leichter als er es gewohnt war, doch sein Einsatz zeigte trotzdem endlich Wirkung. Zuerst wurde nur das Knarren immer lauter, aber dann gab die Ranke schließlich nach und riss. Durch den plötzlichen Stabilitätsverlust, fiel Link hintenüber und rollte, sich mehrfach überschlagend, über den weichen Moosboden. Taya, die sich gerade noch rechtzeitig von seinem Kopf hatte abstoßen können, fauchte erbost: „Pass doch auf!“ Erst danach fiel ihr Blick auf die Rankenwand, in der nun ein Loch prangte, das groß genug war, dass sie hindurchschlüpfen konnte. Sofort bereute sie es, Link angeschnauzt zu haben, verlor darüber allerdings kein Wort. Stattdessen kletterte sie durch das neu entstandene Loch und ließ den völlig verdatterten Jungen allein zurück. Dieser rappelte sich wieder auf die Füße, klopfte sich Dreck und Moosreste aus seiner Kleidung und schickte der Fee einen Schwall Gequieke hinterher, der so viel heißen sollte wie: „Gern geschehen, du undankbare Zicke!“ Für einen Moment erwog er, umzudrehen und einen Weg zurück in den Wald zu suchen, dorthin, wo er gewesen war, bevor ihn das Horrorkid beraubt und in dieses Loch gelockt hatte. Einen langgezogenen Seufzer ausstoßend, verwarf Link diesen Gedanken jedoch schnell wieder. Er musste die Okarina der Zeit zurückbekommen und irgendwie aus dem Horrorkid herauskitzeln, wo es Epona hingebracht hatte. Erst danach würde er weiter nach Navi suchen können. Gernervt vor sich hin quietschend, machte der Knabe sich an die schweißtreibende Arbeit, weitere Schlingpflanzen kaputt zu reißen, um das Loch soweit zu vergrößern, dass er sich hindurchzwängen konnte. Zum ersten Mal seit seiner Verwandlung konnte Link der geringen Körpergröße seiner neuen Gestalt etwas Positives abgewinnen. Trotzdem war er völlig aus der Puste, als er endlich durch die Rankenwand auf die andere Seite klettern konnte. Am liebsten hätte der Junge eine kurze Rast eingelegt, um wieder Atem zu schöpfen, aber er trieb sich unbarmherzig weiter. Das Horrorkid hatte bereits zu viel Vorsprung. Womöglich hatte Taya es inzwischen bereits erreicht und über Links Kommen vorgewarnt. Schaudernd dachte Link an all die Hinterhalte, die der Waldkobold in diesem Moment planen könnte, um ihn in eine noch misslichere Lage zu bringen… So schnell ihn seine stelzenartigen Beine trugen, trippelte Link durch die sich lang hinziehende, hohle Wurzel. Es kam ihm vor als wäre er bereits Stunden unterwegs, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Hinter einer Biegung tauchte ein hölzerner Auswuchs auf, der überraschend lebendig wirkte. Link näherte sich vorsichtig dem seltsamen Ding und machte vor Schreck direkt einen Satz nach hinten. Das, was er für das hölzerne Pendant zu einer Warze oder einem Tumor gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein toter Laubkerl, der mit den Wänden der hohlen Wurzel verwachsen zu sein schien. Seine leeren Augen waren weit aufgerissen und der Rüssel seltsam verzerrt, so als hätte der Deku vor Schmerzen geschrien. Was jedoch das größte Unwohlsein in Link auslöste, war die unverkennbare Ähnlichkeit, die das Gesicht des toten Laubkerls zu seinem eigenen Antlitz aufwies, das er in der Reflektion auf der Pfütze gesehen hatte. Hatte der Fluch, mit dem das Horrorkid Link belegte hatte, etwas mit dem Tod dieses Dekus zu tun? Schaudernd wandte der Knabe sich ab und rannte schnellstens weiter. Am liebsten hätte er den Anblick des gepeinigt wirkenden Gesichtes sofort wieder vergessen, aber er schien sich tief in seinen Geist gegraben zu haben und ihn zu verfolgen. Erst, als sich die Wurzel plötzlich zu einem großen, gemauerten Gewölbe öffnete, verdrängten andere Gedanken das Bild des toten Dekus aus Links Geist. Sich langsam um die eigene Achse drehend, schob der Junge sich tiefer in den Raum und staunte nicht schlecht. Das verliesartige Gemäuer war mindestens zwei Stockwerke hoch und ziemlich vermodert. Zwischen den Ritzen der einzelnen Mauersteine blitzen grüne Algenteppiche hervor, während die Steine selbst von Moos und graublauen Flechten überzogen waren. Zunächst konnte Link sich auf die Algen keinen Reim machen, doch dann hörte er das Plätschern von Wasser und entdeckte kurz darauf das riesige Wasserrad, das sich, vom Fluss angetrieben, gemächlich drehte. Was war dies für ein seltsamer Ort? Link spürte, wie ihn trotz der Umstände die Abenteuerlust überkam und er folgte neugierig dem mit Bändern vom Rest des Raumes abgetrennten Weg, an dessen Ende eine lange, sich sanft windende Treppe wartete. Oben angekommen, bemerkte Link zuerst die verwittert aussehende Orgel, die eine ganze Raumseite einnahm. Ihre stumpf gewordenen Pfeifen waren genau wie das Mauerwerk von Flechten und Moos überzogen, das Holz wies Flecken von Pilzbefall auf und einige der Tasten waren gesprungen. Wer stellte ein Musikinstrument an einem solchen Ort auf?! Der Anblick der Orgel brachte Erinnerungen an Links Kampf gegen Ganondorf zurück und der Junge wandte sich abrupt ab. Zwar hatte er die Auseinandersetzung für sich entscheiden und Hyrule retten können, aber er dachte trotzdem nicht allzu gerne an den Großmeister des Bösen zurück. Denn, wann immer er dies tat, musste er auch unwillkürlich an Zelda und ihr Alter Ego Shiek denken, was noch immer widersprüchliche Gefühle in ihm wachrief. In die Wand ihm gegenüber war ein riesiges, doppeltüriges Tor eingelassen worden, dessen Holz mit verschlungenen Ornamenten in strahlenden Farben bemalt war. Vor dem Ausgang schwebte Taya und zog ein ratloses Gesicht. Als sie Links Gegenwart bemerkte, wirbelte sie zu ihm herum und rief: „Da bist du ja endlich! Ich warte hier schon eine halbe Ewigkeit auf dich. Los, mach endlich dieses verdammte Tor auf!“ Link zog eine Augenbraue in die Höhe und stieß ein abfälliges Schnauben aus. Er hatte keinerlei Lust, sich von dieser unverschämten Fee herumkommandieren zu lassen. Entsprechend stützte er die Hände in die Hüften, verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein und sah abwartend zu Taya hinauf. Diese wurde zunehmend ungeduldiger und fragte in gereiztem Ton: „Sag mal, bist du taub oder so? Du sollst das Tor aufmachen!“ Als Link daraufhin noch immer nicht reagierte, ließ sie schließlich Kopf und Schultern hängen und murmelte: „Ich bin zu schwach, um es selbst zu tun. Also, könntest du mir bitte helfen? Bitte?!“ Der Junge verspürte nicht schlecht Lust, sie noch ein wenig länger schmoren zu lassen. Sollte sie ruhig ein wenig dafür leiden, dass sie und ihre Freunde ihn derart schäbig behandelt hatten! Da Link jedoch selbst neugierig darauf war, was sich hinter diesem Tor verbarg, gab er nach kurzem Zögern seine steife Körperhaltung auf und schritt zum Ausgang herüber. Doch kaum, dass er eine Hand auf das Holz eines Türflügels gelegt hatte, ertönte hinter ihm plötzlich ein Kichern und eine helle Stimme fragte: „Dich hat ein schreckliches Schicksal ereilt, nicht wahr, mein Freund?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)