Sommer in Hasetsu von Flokati ================================================================================ Teil 6 - September 2016 ----------------------- Mitte September brechen wir nach Okayama zu den südjapanischen Meisterschaften auf. Die letzten Wochen hat es immer gut funktioniert, mir zu einzureden, dass es noch drei Wochen, zwei Wochen, eine Woche, ein paar Tage oder erst übermorgen soweit sein würde. Aber heute sind die Meisterschaften weniger als 48 Stunden entfernt und je mehr es dem Start entgegen geht, desto deutlicher spüre ich, wie die Nervosität ungeladen ihren Lieblingsplatz in meinen Gedanken einnimmt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich seit der Gewittergeschichte die Ausnahmen nicht mehr zähle, dass ich mich gefühlt völlig unvorbereitet der Tatsache stellen muss, dass die es wirklich in die Saison geht. Sie haben sich ungehindert in unseren Alltag geschlichen und auch wenn die Berührungen unserer Lippen weiterhin nur kurz sind, muss ich mir eingestehen, dass es irgendwie normal geworden ist, Viktor zu küssen. Was wiederum nicht heißt, dass ich mich nicht moralisch damit auseinandersetzen müsste, ob es normal sein sollte, dass Trainer und Schüler sich küssen. Viktor scheint diesbezüglich kaum Bedenken zu haben, denn sobald wir alleine sind, schaut er mich früher oder später hoffnungsvoll an, ich weiß, was er will und es passiert. Ich ertappe mich bereits sogar dabei, darauf zu warten, dass er mir mit seinen Blicken zu verstehen gibt, geküsst werden zu wollen, so wie ich ihm durch mein Nachkommen versichere, ihn nicht wegzustoßen. Zu der neuen Situation in unserem Verhältnis kommt hinzu, dass das Interesse an meinem ersten Saisonauftritt plötzlich doppelt so groß ist als das Jahr zuvor, gerade weil Viktor mein Trainer ist. Es gibt mehr Anfragen für einen ersten Bericht zum Saisonbeginn als jemals zuvor in meiner Karriere und die begrenzte Anzahl Zuschauertickets für diese lokale Meisterschaft war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Am Tag unserer Ankunft in Okayama treffen Viktor und ich also nicht nur Morooka und sein Team in der Lobby unseres Hotels, sondern auch einen Journalisten der Zeitschrift Life als auch der Asahi Shinbun, um unser erstes, gemeinsames Interview zu geben. Wir werden von einer der Angestellten in einen separaten Konferenzraum geführt und es gibt eine offene Fragerunde an uns beide, vorrangig aber an mich, da es um meinen Saisonstart geht. Es ist nicht mein erstes Interview in dem Sinne, aber ich komme mir vor wie ein Frischling. Viktor hingegen plaudert völlig locker und gut gelaunt mit den Reportern und die Antworten kommen so selbstverständlich, dass ich mir sicher bin, dass er das geübt haben muss. Also zumindest ich könnte das nicht, ohne es vorher zu üben, aber dann fällt ich mir ein, dass Viktor schon fast sein ganzes Leben lang Interviews gibt und er im Gegensatz zu mir ein Medienprofi ist. Dennoch sollte er aufhören, dauernd zu wiederholen, dass ich morgen eine neue Personal Best laufen werde! Das weiß doch kein Mensch, was ich morgen auf dem Eis verzapfen werde! Letztes Jahr bei den Nationals war ich auch als Favorit gehandelt worden und es folgte die vernichtende Niederlage... Ja, wir Japaner sind da vielleicht ein bisschen abergläubischer als andere Nationen, aber genau deswegen wäre ich ihm sehr dankbar, wenn er das bleiben lassen würde! Beim Abendessen im Hotelrestaurant entschließe ich mich, Viktor diesen Umstand noch einmal in Erinnerung zu rufen. Allerdings ernte ich dafür nur einen unverständlichen Blick. „Ich soll morgen nicht mehr von einer Personal Best sprechen?“, fragt er mich und tippt ein Stück Tuna-Nigiri in die Sojasoße. Zum Essen haben wir verschiedene Sorten Maki- und Nigirizushi sowie Sashimi bestellt, die wir uns teilen. Viktor trinkt Bier dazu, ich bleibe bei kaltem Tee. „Es weiß doch niemand, was ich morgen für eine Punktzahl bekommen werde“, erkläre ich zum gefühlt hundertsten Mal. „Was war deine Personal Best bisher? 84 Punkte?“ „84,73 Punkte. Das war letztes Jahr beim Vorentscheid in Amerika.“ Auch das habe ich ihm gefühlt schon hundert Mal gesagt. „Damit hätte ich die japanischen Meisterschaften gewinnen sollen, aber ich hatte wegen meiner depressiven Phase zugenommen und war in keinem guten Zustand und habe folglich vollkommen versagt.“ „Aber dann kann's doch eigentlich nur besser werden?“, entgegnet er sorglos und nimmt eins der Avocado-Maki. „Oder?“ „Viktor, bitte.“ „Okay. Nur eine Sache, Yuuri,“ beginnt er und sieht mich dabei ziemlich ernst an. „wenn der eigene Hund stirbt, ist das schlimm und ich kann verstehen, dass man eine gewisse Zeit lang nicht die volle Leistung zeigen kann. Man darf sich nicht zwingen. Dass du dich dem Wettkampf wieder stellst ist gut, aber du musst es auch wollen. Für Goldmedaillen muss man nach vorne schauen, nicht nach hinten. Und du willst doch gewinnen, oder?“ „Natürlich will ich“, erwidere ich beleidigt. Und woher weiß er überhaupt, dass Vicchans Tod der Grund für meine depressive Phase gewesen ist? „Dann hab' ich nichts gesagt“, schließt Viktor und stupst mir mit dem Ende seines Essstäbchens auf die Nase. „Und jetzt fang' endlich an zu essen. Du brauchst die Energie morgen. Ich bin fertig.“ Na gut... Ich schaue auf die Platte in unserer Mitte. Hat er jetzt von allem eins oder zwei übrig gelassen außer von den Avocado-Maki? Die ess' ich am liebsten und Viktor hatte gerade eben noch eins...! „Ärger' dich nicht über die Avocado“, grinst er mich unschuldig an. „Denk' an das Katsudon, das du bekommst, wenn du gewinnst, Yuuri. Wie ich gesagt habe. Nach vorne schauen, nicht nach hinten.“ Dieser Arschkeks! -----[Episode 5]----- Nach der südjapanischen Meisterschaft trennen sich die Wege von mir und Viktor kurzzeitig. Während Viktor direkt zurück nach Hasetsu fliegen wird, geht es für mich weiter nach Tokyo, um dort zuerst bei der Japanese Skating Federation und anschließend bei einer Pressekonferenz im nationalen Fernsehen mein Thema und meine Ziele für diese Saison offiziell bekanntzugeben. Minako-sensei und Nishigori sind schon mit einer früheren Maschine abgeflogen, aber sie werden in Fukuoka auf Viktor warten, sodass sie von dort aus zu dritt nach Hasetsu fahren können. Und ich werde erst zwei Tage später ankommen. „Was macht deine Nase?“, fragt mich Viktor mit besorgtem Blick, als wir die Koffer vom Taxifahrer nach unserer Ankunft am Flughafen gereicht bekommen. „Kein Schwindel mehr?“ „Nein. Ich spüre es noch, aber es ist nicht mehr so stark wie gestern. Es fühlt sich an, als würde mir jemand ein Kissen dauerhaft auf die Nase drücken“, versuche ich das unangenehme Gefühl zu beschreiben. Direkt nach meiner Kür und noch vor der Punktevergabe waren wir gestern wegen meinem Aufprall an der Bande bei den Sanitätern in der Halle gewesen, um meine Nase untersuchen zu lassen. Die zuständige Ärztin vermutete eine Nasenbeinprellung, hat mir aber nahegelegt bei meiner Rückkehr nach Hasetsu in ein Krankenhaus zu fahren und die Nase röntgen zu lassen, um ganz sicher sein zu können, dass nichts gebrochen sei. Auch wenn ich die erste halbe Stunde nach dem Zusammenprall noch relativ fit war, hat mich am Abend starker Schwindel überkommen. Ich lag mit dröhnendem Schädel im Bett und der Druck auf meiner Nase war unglaublich penetrant und eklig, sodass Viktor die meiste Zeit mit bei mir im Zimmer geblieben ist, den Koffer an meiner Stelle gepackt und sich gekümmert hat, so gut er konnte. Heute morgen hat er mir noch vorgeschlagen, seinen Flug umzubuchen und mit mir nach Tokyo zu kommen, aber so schlimm ist es dann Gott sei Dank nicht. Auch wenn ich einen kurzen Moment fast zugestimmt hätte. „Wirklich, ich komme mit.“ „Viktor, es geht mir gut“, versichere ich, während wir am Check-In anstehen. Im Schutz unserer Jacken halten wir Händchen. Viktor hat seine Hand mit in meine Jackentasche gesteckt und die Koffer versperren die Sicht darauf hoffentlich so gut, wie wir uns das vorstellen. Eigentlich hatten wir das bleiben lassen wollen. Die Fotos von Viktors Umarmung vor dem Kurzprogramm und mein enthusiastischer Sprung nach der Kür sind die Fotos des Wochenendes und haben uns heute morgen schon von diversen Zeitungen aus angelacht. Die Artikelüberschriften decken das ganze Spektrum von „Personal Best für Katsuki Yuuri dank neuem Trainer Viktor Nikiforov“ bis hin zu „Katsuki Yuuri: Ist sein Eros ero-sugi?!“ ab und trotzdem schaffen wir es nicht, den Körperkontakt abzubrechen. Wir müssen uns in etwas weniger als zwei Stunden trennen und ich bin schon die ganze Zeit am Überlegen, wo in diesem Flughafen die Möglichkeit bestünde, ihm noch unbemerkt einen Kuss geben zu können, aber außer der Toilette fällt mir absolut kein Ort ein und nein, da würde ich ihn sicher nicht hinführen, denn wenn das einer sieht, wäre die Schlagzeile eine ganz andere. Nachdem wir unsere Koffer abgegeben haben, müssen wir jedoch endgültig jeder für sich bleiben, sodass wir auf eine eher unkonventionelle Lösung umsteigen, um Abhilfe zu schaffen: Wir teilen uns eine Flasche Kirin Afternoon Tea, nippen abwechselnd an der Flasche und warten, bis ich los muss. Mein Flieger startet eine halbe Stunde früher als der von Viktor und wir verabschieden uns noch am Gate. Ich traue mich nicht mal mehr, mich nach ihm umzudrehen, so schwer ist mir ums Herz, ihn zurückzulassen. Aber wie Viktor gesagt hat, ermahne ich mich selbst: Für Goldmedaillen muss man nach vorne schauen. Und übermorgen wäre ich schon wieder bei ihm. -----[Pressekonferenz]----- „Tadaima.“ „Yuuri, o-kaeri!“ Mutter begrüßt mich am Hauseingang bei meiner Rückkehr aus Tokyo. Auch Makkachin wartet auf mich und wedelt freudig mit dem Schwanz. Ich streichle ihm den Kopf und sehe, dass Mari ebenfalls zu uns in den Flur kommt. „Soll ich deinen Koffer nehmen?“ „Danke“, entgegne ich tonlos und erkenne direkt Schuldgefühle und Mitleid in den Gesichtern meiner Mutter. Meine Rückkehr hierher war ganz anders geplant. Viktor hat mich am Flughafen heute Vormittag abholen wollen, aber das konnte er nicht. Weil alle hier zusammen die Pressekonferenz live am Fernseher verfolgt haben, haben meine Eltern anschließend zum netten Beisammensein mit Snacks und Getränken eingeladen und Vater ist auf die geniale Idee gekommen, Viktor Natto zum Essen zu geben. Passt gut zum Bier und ist bestimmt lustig, den Russen ohne Vorwarnung Natto essen zu lassen. Ja. Total lustig. Viktor hat es überhaupt nicht vertragen. Laut Mutters Line-Nachricht heute früh hat er sich am späten Abend daran erbrochen und ich könnte Vater an die Wand klatschen. Auch wenn ich überzeugt bin, dass er nicht damit gerechnet hat, dass das passieren würde, kann man doch nicht jemandem, dessen Magen es nicht gewohnt ist, vergorenes Essen anbieten! Und um der ganzen Aktion noch die Krone aufzusetzen, hat Nishigori mir geschrieben, dass einige der Kumpels meines Vaters sich einen Spaß draus gemacht haben, zu rätseln, ob die Kotzerei wirklich vom Natto käme oder ob ich nicht zufällig Viktor geschwängert habe, wenn ich mich schon so sehr durch Liebe mit ihm verbunden fühlte. Ich bin stinksauer. Ohne Umschweife gehe ich direkt nach oben und Mutter ruft mir noch nach, dass Viktor vielleicht schlafen könnte, aber ich muss ihn sehen. Ich bin gerade die Treppe hinaufgestiegen, als er mir schon aus seinem Zimmer entgegen kommt. Viktor trägt seine langen, grauen Jogginghosen, ein schwarzes Shirt und er hat eine dünne Decke um die Schultern gelegt. Seine Augen wirken angestrengt und müde, aber viel schlimmer finde ich seine Gesichtsfarbe. Er ist kreidebleich. Ich will ihn schon umarmen, als er den Kopf schüttelt. „Nicht umarmen, Yuuri, bitte“, sagt er. Auch seine Stimme klingt angeschlagen. „Kein Druck auf meinen Magen.“ Ich könnte heulen, so sehr tut es mir weh, dass ich nicht da war, Vater von dieser hirnrissigen Idee abzuhalten...! Viktor berührt sachte meine Hand. „Tut mir leid, dass ich dich nicht abholen konnte“, sagt er leise und ich greife nach seiner anderen. „Das waren ein paar Tage, was? Du springst gegen die Bande und mir dreht sich der Magen um.“ „Wie geht es dir?“, frage ich und merke, dass ich sofort ruhiger werde, jetzt da wir wieder zusammen sind und ich ihn halten kann. „Besser. Was ist mit dir?“ Er kommt einen halben Schritt näher. „Die Nase ist ok. Nur noch ab und zu ein leichtes Druckgefühl.“ Ich tue es ihm gleich. Er legt seine Stirn auf meine Haare. „Gut.“ „Viktor, darf ich dich küssen?“ „Jederzeit, Yuuri. Ich hoffe mal, dieses komische Zeug ist nicht ansteckend?“ „Nein“, antworte ich erleichtert und lege vorsichtig meine Lippen auf seine. Endlich... Der letzte Kuss ist viel zu lange her. Die Berührung ist erst zaghaft, dann sanft und ein unglaubliches Gefühl von Zufriedenheit breitet sich in mir bis in die Zehenspitzen aus... Nach einer Weile lösen wir uns wieder und er lächelt mich an. „Du bekommst heute Abend noch Katsudon, Yuuri.“ „Eh?“ „Du hast gewonnen. Oder hast du bereits in Tokyo Katsudon gegessen?“ „Was, äh, nein... natürlich nicht...!“, erwidere ich hastig. Viktor lacht verhalten, aber die blauen Augen beginnen zu leuchten. „Yuuri, hast du etwa dein geliebtes Katsudon vergessen, weil du wegen mir in Sorge warst?“ Ich schlucke und werde sofort rot im Gesicht. Ich hatte es wirklich vergessen. „Yuuri... du bist der beste Schüler, den ich mir wünschen kann.“ In den Tagen nach der Pressekonferenz sehe ich mich wiederkehrend mit dem konfrontiert, was ich während der Pressekonferenz so ungewollt emotional in die Kameras gerufen habe. Ich hatte x-Versionen meiner Rede zuvor in meinem Hotelzimmer aufgeschrieben, alle verworfen und als es dann soweit war, konnte ich mich an nichts mehr erinnern und bin beim Improvisieren übers Ziel hinausgeschossen. Wenn ich mir jetzt vor Augen halte, dass alles in ganz Japan live im Fernsehen übertragen wurde, dann möchte ich im Erdboden versinken... Warum konnte ich auch meine dumme Klappe nicht halten? Aber das ließe sich jetzt nicht mehr ändern, denn natürlich schießen die Nachfragen bezüglich meiner Aussage, dass ich mich mit Viktor durch Liebe verbunden fühle und wie das zu verstehen sei, wie Pilze aus dem Boden. Dabei kann ich nicht mal selbst definieren, was das für eine „Liebe“ sein soll. Viktor und ich sind zusammen, aber nicht im Sinne eines Liebespaares. Wir haben keinen Sex. Ich würde zwar lügen, wenn ich behaupten würde, nicht doch darüber nachzudenken, aber das geht niemanden etwas an! Und der Gedanke, dass wir es wirklich miteinander tun könnten, überfordert mich und das in vielerlei Hinsicht. Es wäre mein erstes Mal. Außerdem habe ich nie in Betracht gezogen, dieses erste Mal mit einem Mann zu verbringen. Der mein Trainer ist. Und fünffacher Weltmeister. Und zufälligerweise auch noch mein größtes Idol seit meiner Jugend. Und wie sollte das überhaupt werden, ich meine, einer von uns müsste dann ja... Oh Gott. Allein schon diese Vorstellung...! Ich muss erst mal meine eigenen Gedanken sortieren, bevor ich mich noch ein weiteres Mal um Kopf und Kragen rede! Die Frage nach unserem Verhältnis ist daher bis jetzt völlig unkommentiert geblieben. Ich will gar nicht darüber reden, solange ich nicht mit mir selbst einig bin. Auch mit Viktor nicht, denn er macht es mit seinem Verhalten in letzter Zeit nicht besser, sondern stachelt dieses Kopfkino nur noch an. Wenn er sich auf meinem Schoß setzt, um sich seinen Gute-Nacht-Kuss abzuholen, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass er jedes Mal ein Stückchen dichter auf mich rückt als den Tag zuvor. Die ersten Abende nach meiner Rückkehr hatte er sich seitlich auf meinen Schoß gesetzt, aber seit vorgestern habe ich seine Beine links und rechts von mir und er verhält sich auch anders. Der Klang seiner Stimme, wenn er mir beim Training sagt, ich soll mehr versuchen, ihn durch meinen eigenen Eros zu verführen, geht mir durch Mark und Bein. Nicht selten muss ich mich fürchterlich beherrschen und meine Gedanken von dem Programminhalt distanzieren, um nicht in einer höchst peinlichen Situation das Training zu beenden. Dabei sollte ich mit den Gedanken beim Grand Prix sein! Der erste Vorentscheid in China rückt näher und das Einzige, was in meinem Kopf herumschwirrt, ist die Frage, ob zwischen uns noch mehr passieren könnte! Ich muss sofort aufhören, darüber nachzudenken... Das Training diese wenigen Tage vor dem Vorentscheid ist wichtiger. Darum geht es. Ich muss mich darauf konzentrieren! „Yuuri.“ „Ja?“ „Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken? Dein Eros gerade hatte das Sexappeal einer Stange ohne Tänzer. Kalt und langweilig.“ Ich muss aufpassen, nicht hinzufallen und kann mich gerade noch so fangen. „Wenn du mit der neuen Vorstellung, mich richtig zu verführen, nicht klar kommst, dann denk wieder an Katsudon, bevor du an gar nichts denkst. Erinner' dich an das, was wir vorher gesagt haben: Heiß und unwiderstehlich. Ein schönes Stück Fleisch mit Eiern auf einem Reisbett.“ „Viktor!“, rufe ich entsetzt und versuche, dieses fürchterliche Kopfkino so schnell es geht aus meinen Gedanken zu verbannen. Was hat mich nur geritten, dass ich diese Katsudon-Sache wirklich weitergemacht habe? Ich meine, so ohne Gute-Nacht-Küsse und theoretischen Sex war das ja ok, aber jetzt ist das nur noch fürchterlich! Ich liege doch nicht wie ein schönes Stück Fleisch in einer Reisschüssel und versuche Viktor Appetit auf meine NEIN, NEIN, NEIN!!! „Yuuri, irgendwie sind deine Gedanken auf der total falschen Bahn gerade. Dabei war das doch deine Idee? Du siehst ja aus, als würdest du vor Peinlichkeit gleich platzen.“ :D „Viktor, halt die Klappe!!!“ „Hahahaha, Yuuri, lass' mir den Spaß doch!“ „Ich komm über die Bande, Viktor, auch mit Schlittschuhen!“ Ich könnte ihn klatschen, so peinlich ist das gerade! Dass das Eis um mich noch nicht geschmolzen ist, ist ein Wunder...! „Yuuri,“ seine Stimme schlägt komplett um und klingt nun viel mehr so, als wolle er mich herausfordern, „hast du keine Lust mehr auf Katsudon?“ „Nein“, entgegne ich entschlossen, aber mein Gesicht muss immer noch feuerrot leuchten. Bevor ich jemals wieder diese fürchterliche Vorstellung in meinen Kopf bekomme, freunde ich mich lieber mit dem Gedanken an, wenn auch nur mit dem Gedanken!, dass ich ihn wirklich verführen kann und er danach nur noch Augen für mich hat. „Gut. Dann bekomme ich jetzt eine Stange mit Tänzer von dir zu sehen, Yuuri?“ „Ja.“ „Wow! Dann los!“ (° v °)/ Nachdem Training sitzen wir zusammen in Vorraum der Eishalle und packen unsere Sachen. Ich habe es irgendwie überstanden. Erstaunlicher Weise lief es sogar besser als gedacht. Als könnte Viktor wirklich Gefallen an dem finden, was ich tue... „Sag' mal, Yuuri,“ beginnt Viktor und reißt mich jäh aus meinen Gedanken, „mein Trainer wird auch in Peking mit einem Teamkollegen sein. Wäre das für dich in Ordnung, wenn ich ihn zum Hotpot einlade?“ „Du kannst ihn gerne einladen, Viktor“, antworte ich. Gut, dass er das Thema wechselt! Phichit und Celestino-sensei werden auch in China sein und ich denke mal, an einem Abend könnten wir, oder zumindest ich, die Beiden auch treffen. „Freust du dich, deinen Trainer wieder zu treffen?“, frage ich ihn, um nach Möglichkeit noch länger bei diesem normalen Thema zu bleiben. „Ja. Ich vermisse den Brummbär“, antwortet mir Viktor und verstaut seine Schlittschuhe im Rucksack. „Er freut sich bestimmt auch“, sage ich, beuge mich hinüber um Viktor noch sein Küsschen als Danke für das Training zu geben, als er sich von mir abwendet. Für den Bruchteil einer Sekunde erhasche ich einen Blick auf den traurigen Ausdruck in seinem Gesicht und noch bevor ich mich darüber wundern kann, warum er so schaut und sich abwendet, macht sich ein unangenehmer Gedanke in mir breit. Abgesehen von Viktors verändertem Verhalten mir gegenüber beim Training habe ich in den letzten Tagen noch etwas anderes bemerkt. Ich habe ihn öfter auf Russisch telefonieren hören, aber die Gespräche sind kurz, falls es überhaupt Gespräche sind, denn es klingt viel mehr danach, als würde er jemandem auf die Mailbox sprechen. Ich hoffe jetzt doch stark, dass die fehlgeschlagenen Anrufe keine Versuche waren, seinen Trainer zu erreichen, denn von Yuko weiß ich, dass Yakov Feltsman gerade nicht sehr gut auf Viktor zu sprechen scheint. Yuko schlussfolgerte das aus Yurios letzter Nachricht, in der der Blondschopf sich furchtbar darüber aufregte, dass die russische Presse ein ungebrochenes Interesse an Viktor zeigen würde und Yurio dabei fast völlig überginge. Alles drehe sich nur darum, wie lange Viktor noch vorhabe, mich zu trainieren und ob man auf ein zeitnahes Comeback hoffen könne und diese Fragen landen immer und immer wieder bei Yakov Feltsman, der davon nicht weniger genervt scheint, als Yurio selbst. „Ich hoffe es“, sagt Viktor und steht mit dem fertig gepackten Rucksack auf. „Bestimmt...“, antworte ich hastig und versuche, den Kloß in meinem Hals nach unten zu schlucken. Es stimmt schon. Viktor wird diese Saison nicht mitlaufen. Wegen mir, weil er mein Trainer ist. Yuko meinte schon bei den Auslosungen, dass seine Fans denken könnten, dass ich ihnen Viktor gestohlen habe und jetzt frage ich mich, ob Yakov Feltsman das ähnlich sehen könnte. Bisher habe ich versucht, diese Tatsache nicht an mich heranzulassen, aber es könnte schon möglich sein... Ich will gar nicht daran denken. Wenn dem so wäre, dann wäre es mein Fehler, dass das Verhältnis zwischen Viktor und seinem Trainer zur Zeit so schwierig ist, dass Viktors Fans sich betrogen fühlen und die russische Presse auf seine Rückkehr wartet. Aber... „Gehen wir nach Hause, Yuuri“, sagt er und reicht mir die Hand. ...ich will ihn nicht mehr hergeben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)