Katherine von Sky- (Die Geschichte einer Mörderin) ================================================================================ Prolog: Am Sterbebett --------------------- Das EKG piepte langsam in einem gleichmäßigen Rhythmus und nur das Geräusch der Beatmungsmaschine unterbrach die kurzzeitige Stille. Obwohl sie kaum noch aufnahmefähig war und ihr das Morphium schwer zugesetzt hatte, konnte sie trotzdem diesen widerwärtigen Geruch wahrnehmen. Diesen Gestank von Desinfektionsmitteln und Tod. Die Wände waren nackt und weiß gestrichen und alles in diesem Zimmer wirkte so unpersönlich. Was für ein undankbarer Ort zum Sterben. Eigentlich hatte sie vorgehabt, wenigstens in ihren eigenen vier Wänden ihr Ende zu finden, wenigstens ein bisschen Frieden zu finden und in Würde zu sterben. Wie gerne wollte sie die letzten Momente in ihrem Leben bei ihren Kindern verbringen, doch dazu war es nicht gekommen. Und das alles nur weil er dafür gesorgt hatte, dass sie in dieses Hospiz abgeschoben wurde um dort zu verrecken wie all die anderen Menschen, die hier eingepfercht waren. Es kümmerte sie nicht mal, wie liebevoll und hilfsbereit das Pflegepersonal war. Alles, was sie empfand, war mörderische Wut darüber, dass ihr Mann es geschafft hatte, die letzten Momente ihres Lebens in eine Hölle zu verwandeln. Und nun lag sie in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer angeschlossen an Maschinen, die ihren Körper am Leben hielten, bis der Krebs sie endgültig dahingerafft hatte. Obwohl man ihr genug Morphium verabreicht hatte, um ihre Qualen zu lindern, litt sie dennoch entsetzliche Schmerzen. Ihr Körper war inzwischen viel zu schwach, um sich zu bewegen. Sie war ans Bett gefesselt und würde hier elendig verrecken. Warum nur war das Leben so grausam zu ihr? Wieso musste sie so früh und dann auch noch auf solch schreckliche Art und Weise ihr Ende finden? Das war einfach nicht fair. Und das Schlimmste war, dass sie wahrscheinlich nicht einmal ihre Kinder sehen würde, wenn sie dahinschied. Alles was sie fühlte, waren bloß Wut und Verzweiflung. Wut darüber, dass sie es nicht geschafft hatte, sich ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen und dass sie gezwungen war, in diesem schäbigen Hospiz ihr Ende zu finden. Und sie empfand Verzweiflung darüber, dass sie wahrscheinlich ganz allein sterben würde. Genau das, was sie nicht gewollt hatte. Daran war nur ihr verdammter Ehemann Schuld! Die Tür wurde geöffnet und Clara die Krankenpflegerin kam herein. Sie war eine rothaarige Mittzwanzigerin, die eigentlich eine liebenswerte junge Frau war und sich mit Leib und Seele um das Wohl der Hospizbewohner kümmerte. Doch Katherine wollte sie nicht sehen. Sie wollte niemanden sehen außer ihren Kindern. Und zu erkennen, dass solch eine Fremde ihre letzten Momente als schwache und kranke Frau miterleben würde, war zu viel für sie. In diesem Zustand war sie wie ein verwundetes Raubtier, das jeden anfallen und zerfleischen würde, der ihr zu nahe kam. Unbändige Wut überkam sie und belebte einen Teil ihrer alten Kräfte wieder. Obwohl sie sich kaum bewegen konnte und ihr Körper von Schmerzen gepeinigt war, schaffte sie es, sich aufzusetzen und starrte Clara hasserfüllt an. „Scheren Sie sich verdammt noch mal hier raus!“ Doch die rothaarige Pflegerin blieb gelassen und trat näher heran. „Sie sollten sich etwas schonen, Mrs. Evans. Ihre Familie ist bereits verständigt und auf dem Weg hierher. Legen sie sich wieder hin und sparen Sie sich Ihre Kräfte auf.“ „Nein…“, gab die 47-jährige mit rasselnder Stimme zurück, die mehr an die einer verbitterten alten Frau erinnerte. „Ich sagte, Sie sollen gehen. Ich weigere mich, in Anwesenheit irgendwelcher fremden Leute zu sterben. Lassen Sie mich alleine und hören Sie auf, mich so zu bemitleiden oder zu bevormunden, wenn Sie nicht einmal eine Ahnung davon haben, was Leid wirklich bedeutet!“ Doch da versagte Katherines Stimme, als sie keine Luft mehr bekam und kraftlos zurück in ihre Kissen sank. Kalter Schweiß lief ihre Stirn hinunter und erneut wurde sie sich darüber bewusst, wie sehr der Krebs bereits ihren Körper zerfressen hatte. Hätte sie diese Clara ein paar Monate früher getroffen, dann wäre sie locker mit ihr fertig geworden. Doch nun war sie nicht einmal mehr in der Lage, sich hinzusetzen. Wie hatte es nur so weit mit ihr kommen können, dass ihr Geist zwar ungebrochen, aber dafür ihr Körper nur noch ein welkes Blatt im Spätherbst war? Nun konnte sie nicht einmal mehr etwas dagegen tun, als die Pflegerin ihr den Schweiß von der Stirn wischte. „Es ist alles gut, Mrs. Evans. Sie müssen keine Angst haben. Ruhen Sie sich aus und wenn Sie sich Ihren Kummer von der Seele reden möchten, habe ich ein offenes Ohr für Sie.“ „Ich habe keine Angst vor dem Tod“, entgegnete Katherine mit Mühe. „Ich habe ihn schon viel zu oft gesehen. Und wagen Sie es ja nicht, mir eine Ihrer Gottespredigten zu halten. Dieses Stück Scheiße hat in meinem Leben nichts zu suchen.“ Doch Clara blieb geduldig und nachdem sie mit ihrer Pflege fertig war, ging sie wieder und ließ die Totkranke allein, damit sie sich wieder ein wenig beruhigen konnte. Doch auch das vermochte Katherines Zorn nicht zu besänftigen. Obwohl ihr Körper dahinsiechte, reichte ihre Willenskraft immer noch für zwei. Und genau das war es, was ihr so sehr zusetzte. Vielleicht wäre diese Situation ein wenig erträglicher, wenn sie wenigstens geistig genauso schwach war wie körperlich. Dann hätte sie auch nicht mal mehr die Kraft besessen, sich über ihren miserablen Zustand aufzuregen. Das Schlimmste war vor allem die Hilflosigkeit. Nichts tun zu können und in diesem schmerzenden Körper gefangen zu sein, war für sie schlimmer als die Hölle. Vor allem weil es Erinnerungen wachrief, die sie lange Zeit erfolgreich in die tiefsten Abgründe ihres Unterbewusstseins verdrängt hatte. Und nun war sie gezwungen, dieses schreckliche Gefühl noch einmal zu durchleben und das ausgerechnet in den Momenten ihres Todes. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen als sie eine eigenartige Präsenz im Raum spürte. Ihr war, als würde ein kühler Luftzug wehen, doch seltsamerweise war ihr nicht einmal kalt. Sie wandte den Kopf in Richtung dieser merkwürdigen Aura und sah eine Frau neben ihrem Bett sitzen. Ihr pechschwarzes Haar fiel ihr über die Schultern und sie trug ein schwarzes Kleid, dazu ein fliederfarbenes Tuch um ihre Schultern. Ihre Augen waren so rot wie Rubine und ihre Haut wirkte wie die einer Porzellanpuppe. Ihre unmenschlich wirkenden Augen ruhten auf Katherine und sie hatte einen rätselhaften Ausdruck, der keine eindeutigen Gefühle erkennen ließ. Eine seltsame Präsenz umgab diese Frau, als wäre sie von einem dunklen Schatten umgeben, der für das sterbliche Auge nicht sichtbar war. Nein… sie selbst war eins mit diesem Schatten. Sie brauchte sich nicht einmal vorzustellen, denn die Sterbende wusste sofort, wer da neben ihrem Bett saß. Und wieder überkam sie eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Was willst du hier?“ „Es wird Zeit dich zu erinnern, Katherine“, sprach die rotäugige Frau ruhig. „An deine guten Taten sowie an deine schlechten Taten. Deine Zeit in dieser Welt neigt sich ihrem Ende zu.“ „Nein…“, brachte Katherine hervor. „Das kannst du nicht machen. Das ist nicht fair. Du bekommst mich nicht, bevor ich mich nicht von meinen Kindern verabschiedet habe. Ich habe keine Angst vor dir!“ Doch die Rotäugige Frau blieb ruhig und zeigte sich von Katherines Worten unbeeindruckt. „Ich bin weder dein Feind, noch bin ich dein Freund. Ich bin lediglich der Schatten dieser Welt, der aus der Dunkelheit geboren wurde und die Seelen des Lichts in die Finsternis der Unendlichkeit führt.“ „Ich weiß genau was du bist“, entgegnete die 47-jährige. „Und du jagst mir keine Angst ein. Ich halte noch so lange durch, bis meine Kinder hier sind. Danach ist es mir vollkommen egal, was du mit mir tust.“ Doch da versagte ihr wieder die Stimme und sie musste mehrmals husten und nach Atem ringen. Das Sprechen raubte ihr Unmengen an Kraft und vielleicht hätte sie angefangen, an ihren Worten zu zweifeln, wenn sie nicht von Natur aus so willensstark und vor allem stur gewesen wäre. Ihr Wunsch, ihre Kinder noch ein allerletztes Mal vor ihrem Tod zu sehen, war mächtig genug, um den letzten Funken ihrer verbliebenen Kräfte zu mobilisieren. Doch da streckte die Frau mit den roten Augen ihre Hand aus und strich ihr sanft über die Stirn. Und da geschah etwas Seltsames. Der Schmerz in ihrem Körper war auf einmal verschwunden und ihr war, als könne sie wieder vollkommen normal atmen. Zwar war sie immer noch schwach, doch sie fühlte sich wesentlich besser als zuvor. Sie verstand das nicht und wandte sich fragend an ihre rätselhafte Besucherin. „Was… wieso hast du das getan? Ich dachte immer, ihr hasst uns Cohans.“ „Ich hasse euch nicht“, erklärte die rotäugige Frau. „Und ich habe nicht viel getan. Lediglich den Sterbeprozess ein wenig hinausgezögert. Du wirst deine Kraft brauchen, Katherine.“ Doch anstatt Dankbarkeit zu empfinden, überkam die Schwerkranke Misstrauen. Denn sie bezweifelte, dass diese Frau wirklich aus solch selbstlosen Gründen handeln würde. Für gewöhnlich trat sie doch immer nur dann in dieser Form in Erscheinung, wenn sie etwas nehmen wollte. Und sie wusste, dass diese Frau nicht gekommen war, um sie von ihrem Krebs zu heilen. Sie war gekommen, weil sie im Sterben lag. Und deswegen hielt sie sich auch nicht mit Dankesreden auf, sondern fragte sofort „Was versprichst du dir davon, mir meine Qualen erträglicher zu machen?“ „Ich spüre so viel Schmerz und Bitterkeit in deinem Herzen“, erklärte die Frau in Schwarz. „Und ich will deine Geschichte hören.“ „Damit du entscheiden kannst, ob du mich in die Hölle schickst oder nicht? Mach mir nichts vor. Wir wissen beide, dass ich die Hölle verdiene für all die Abscheulichkeiten, die ich begangen habe.“ „Nein, ich will mir nur deine Geschichte anhören, damit du diese Welt ohne Last verlassen kannst“, erklärte die mysteriöse Besucherin. „Es ist nicht meine Aufgabe, über irgendjemanden zu urteilen. Ich komme zu jedem, dessen Zeit gekommen ist. Egal ob er ein guter oder ein schlechter Mensch zu Lebzeiten war. Im Tode sind alle Menschen gleich. Was geboren wurde, das muss auch sterben. Doch bevor ein Mensch stirbt, muss er sein Leben reflektieren. Darum will ich, dass du mir deine Geschichten erzählst. Von deinen glücklichen Momenten bis hin zu jenen Momenten, die tiefe Wunden in deine Seele gerissen haben. Durchlebe noch einmal dein Leben in diesem Augenblick, sodass ich deine Geschichte weitertrage und mich an deiner statt erinnern werde, damit du in Frieden ruhen kannst.“ Also dafür ist sie gekommen, dachte sich Katherine mit einem bitteren Lächeln. Sie erwartet allen Ernstes von mir, ihr meine Lebensgeschichte zu erzählen bevor ich endgültig sterbe. Und damit soll ich noch mal den gleichen Alptraum durchleben, den ich für so viele Jahre vergessen konnte. Nun gut, dann soll dies meine Strafe für mein miserables Leben sein. Katherine seufzte resigniert und schloss die Augen. Es hatte ohnehin keinen Sinn, weiter zu diskutieren. Wenn sie wirklich ihre Geschichte erzählen sollte, dann würde sie es tun. Sie wusste, dass sie dem Tod eh nicht entkommen konnte und sie war auch nicht die Art von Frau, die verzweifelt um Gnade betteln und ihr Schicksal beweinen würde. Diese Zeiten waren schon lange vorbei und sie war kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau, die sich alles im Leben hart erkämpft hatte. Niemand hatte jemals eine Träne für sie vergossen, da würde sie es genauso wenig tun. „Na schön“, sagte sie schließlich. „Ich werde dir meine Geschichte erzählen, wenn es das ist was du wünschst. Aber ich glaube kaum, dass du sie wirklich hören willst. Es ist keine sonderlich schöne Geschichte und ich kann es dir nicht verübeln, wenn du mich danach verachtest.“ Doch auch das vermochte die Frau mit den roten Augen nicht umzustimmen. Also gab Katherine auf und atmete tief durch, um erneut ihre Kräfte zu sammeln. Denn sie wusste es am besten, dass sie sie brauchen würde, um ihre Geschichte zu erzählen und sich an ihre schreckliche Vergangenheit zu erinnern. Bevor sie jedoch begann, merkte sie an „Alles, was ich jemals in meinem Leben wollte, war eine liebevolle Familie. Und ich war bereit dafür, jeden Menschen zu töten, der mir bei diesem Ziel im Wege stand. Und ich habe viele Leben zerstört. Aber letzten Endes bin ich von einer Hölle in eine andere geraten. In die eine Hölle wurde ich geboren, die andere habe ich mir selber geschaffen. Ich wollte doch nur eine glückliche Familie, nicht mehr und nicht weniger. Und ich wollte beweisen, dass ich mich besser um meine Kinder kümmern kann als meine Eltern es je für mich taten. Aber… an irgendeinem Punkt ist mir alles entglitten und ich konnte nicht mehr zurück. Und letzten Endes bin ich doch nicht besser geworden als der Rest meiner psychopathischen Familie.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)