Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Kapitel 6: Decay ---------------- Die TARDIS erreichten wir ohne weitere Probleme, aber auch ohne weitere Gespräche. Wir schwiegen uns an und normalerweise hätte es mich nur gering gestört – jetzt aber lag so eine Schwere in der Luft, die nicht allein durch die Fabrikausdunstungen der Londoner Stadtwerke zu entschuldigen war. Der Doktor ging vor, öffnete die weiße Tür und trat ein, forschenden Blickes. Ich wusste, was bzw. wen er in Augenschein nahm: Unsere beiden Polizisten, die wir hier mit ihren eigenen Handschellen angekettet hinterlassen hatten. Ob sie noch hier wären? Vermutlich. Ob es ihnen gut ging? Vermutlich. Kontrolle war nur besser. Ich linste über seine rechte Schulter und dabei auch über Metatropeasis', da sie hinter ihm herging, musste aber warten, bis ich ebenso wieder im Raumschiff des Timelords stand. Ed und sein Kollege saßen nach wie vor angekettet, nun mehr aber wieder wach und bei Sinnen. Sie starrten uns sauer – der ältere Kollege – und hilflos – Ed – an und es brauchte nicht mal zehn Sekunden, bis sich die beiden auch verbal bemerkbar machten. „Wie lange wollten Sie uns hier noch festhalten?“, schallte es vom älteren Polizisten, „Was zur Hölle ist dieser Ort? Machen Sie uns auf der Stelle los!“ „Bitte“, fügte Ed leiser hinzu und bekam von dem anderen einen tötenden Seitenblick: „Hast du gerade wirklich Bitte gesagt?“ Ed, den ich einen Ticken lieber mochte, zuckte so hilflos wie er dreinsah ebenso hilflos mit den Schultern: „Sie haben die Schlüssel. Wer weiß, was sie noch alles gegen uns in der Hand haben.“ „Oh, da gäbe es einiges!“, legte der Doktor den Kopf nach links und dann wieder nach rechts, nachdenkend, „Es gibt so einige Möglichkeiten, wie wir Ihnen das Leben erschweren könnten. Nicht, dass wir das unbedingt vorhätten, aber die Option bestünde durchaus.“ „Reden Sie keinen Unsinn und machen Sie uns los!“, erschallte erneut die tiefe Stimme des Älteren, welcher nun unruhig wie ein angeleinter Hund hin und her zappelte, des Wartens überdrüssig geworden, „Und wenn ich Sie dann in die Finger kriege … Ich werde Sie verhaften und die nächsten Wochen können Sie nur ein paar Zentimeter vom Himmel sehen!“, deutete er auf Metatropeasis, die ihm vorhin noch eine mit dem Knüppel übergezogen hatte. Das hatte er sich also gemerkt. „Wir machen sie nicht los, oder?“, fragte unsere Arcateenianerin und sah entsprechend skeptisch zu den beiden Polizisten. Ich rümpfte die Nase und zog den Mund zu einer schmalen Linie, „Es wäre besser. Wir können sie schließlich nicht mitnehmen.“ Das war auch für Metatropeasis logisch, aber zufrieden war sie mit dieser Entscheidung nicht. „Was wollen Sie, dass Sie uns gehen lassen? Wollen Sie Geld? Die Kronjuwelen? Verzeihung, aber dafür wird unser Leben zu unwichtig sein, als dass dieser wichtige englische Schatz geopfert würde!“ Der Doktor musste sich schon fast ein Lachen verkneifen. Gold war nun wirklich das Letzte, was er sich wünschen würde und auch mir kam nur eine Sache in den Sinn, die für uns wirklich wichtig wäre: „Nein, nein, meine werten Herren. Wir haben lediglich eine Bitte: Schweigen Sie wie zwei Gräber über unseren Aufenthalt.“ Den Zeigefinger bedeutsam an die Lippen legend, führte dies aber nicht zum gewünschten Schweigen: „Auf keinen Fall!“ „Charles-“, erklang nun Eds Stimme bittend. Aha, Charles hieß er also. Passte zu ihm. Hätte aber auch Hasso sein können. Wenn ich die beiden mit Hunden hätte vergleichen müssen, was ich meist sehr gerne bei Fremden tat, wäre Charles ein Schäferhund und Ed … na ja, eine Art … Cockerspaniel. So in etwa. Charles knabberte auf seiner Unterlippe herum, wobei sein Schnurrbart lustig auf und ab tänzelte. Es gefiel ihm nicht, dass er drei potenzielle Schwerverbrecher gehen lassen müsste, aber wenn er hier rauswollte, hatte er keine Wahl. „Also gut“, willigte er schließlich ein, „Wir lassen Sie gehen, und dafür lassen Sie uns ebenso gehen.“ „Deal. Und keine Sorge: Sie erhalten Ihre Ausrüstung wieder, sobald Sie die TARDIS verlassen haben.“ Auf diese recht munteren Worte des Doktors schauten sich die beiden Beamten irritiert an. Ihnen schien noch nicht aufgefallen zu sein, dass sie vollkommen unbewaffnet waren und nichts gegen uns in der Hand hielten, wenn sie frei wären. Pech gehabt. Aber auch unsere Sicherheit ging vor. Ohne länger zu zögern, sorgte der Timelord dafür, dass sich die Handschellen öffneten und die zwei Männer konnten wieder ihren festen Stand gewinnen. Wir beiden Frauen waren etwas zurückgegangen, nur um etwaige Spontanübergriffe im Voraus zu vereiteln, doch nichts von dem geschah. Ed sah lediglich über seine Schulter zu uns, während er auf die weißen Türen deutete, „Da lang oder?“ „Ja, da lang“, nickte Metatropeasis, während ich sprach. Ed und Charles fanden kurzerhand den Ausgang und kaum waren sie draußen, wandten sie sich uns zu: „Was ist mit unseren Waffen?“, wollte Charles wissen. „Einen Moment, lassen Sie uns erst einmal startklar machen.“ Denn der Doktor hatte bereits ein paar Hebel und Schalter am Pult betätigt, so dass die TARDIS zu surren begann und den allseits beliebten Ton von sich gab, der erzählte, dass wir abreisen könnten. Ich vernahm aus dem Augenwinkel heraus, wie erstaunt Metatropeasis war und sich hektisch umsah, die Geräusche zuordnen wollend – natürlich ohne größeren Erfolg. Das Innere der TARDIS war von hier aus nicht einsehbar und somit auch nicht der Motor, das Herz. In der Zeit, in welcher ich ihn nicht ansah, hatte der chuckstragende Timelord alles Nötige getan, damit wir losziehen konnten und mit einem „Hepp“ ließ er die eingesammelten beiden Knüppel und Handschellen über den Boden rutschen, Richtung der Polizisten. „Es war schön Ihre Bekanntschaft zu machen, die Herren. Wären Sie so freundlich, die Tür zu schließen?“ Während Charles flink ihr Hab und Gut einsammelte, nickte Ed, winkte uns noch einmal freundlich zu und drückte die weiße Tür ins Schloss. Ganz zum rechten Moment, denn daraufhin erklang bereits das laute Wuiii Wuiii Wuiii der TARDIS und die beiden würden nun mehr Zeuge werden, wie sich die blaue Polizeibox vor ihren Augen wieder entmaterialisierte und nichts als Luft an der Stelle sein würde, die sie eben noch bewohnt hatte. Leider wurde ich nicht Zeuge, wie Ed dem anderen noch einen Satz zusprach – auf die nicht mehr vorhandene TARDIS blickend: „Das … war von innen viel größer als von außen.“   Metatropeasis hatten einen festen Stand gefunden, als wir abhoben und auch ich war diesmal weniger wackelig als beim ersten Ritt mit dem Superschiff. Sie wusste nicht, ob sie mehr erstaunt als geschockt sein sollte, wie schnell man mit solch einem Gefährt den Ort des Geschehens verlassen konnte. Demnach gleichzeitig auflachend als auch ehrfürchtig dreinschauend, war sehr unterhaltsam sie zu beobachten. „Wo … fliegen wir jetzt hin?“, fragte sie unvermittelt und wenig scheu. „Wie versprochen. Zu deinem Heimatplaneten“, antwortete der Doktor nicht weniger zögerlich und hatte dabei eine gewisse Strenge in seiner Stimme mitschwingen. „Was? Nein, lasst uns doch bitte erst noch woanders hin!!“, wurde sie weitaus aufgeregter, „Oder lasst uns diese Mordfälle aufklären! Sie haben den Schuldigen doch noch gar nicht gefunden!“ Ich hob die Augenbrauen und sog scharf die Luft ein. Nicht, dass ich ihre Vorschläge nicht nachvollziehen konnte, aber … auf zweiteres war ich nicht gerade erpicht und eine Weltraumtour zu unternehmen … das würde bestimmt der Doktor wiederum nicht mögen, „Und was, wenn sie weitererzählen, dass wir hier verschwunden sind?“ „Keine Sorge … kein Mensch wird ihnen glauben“, entgegnete ich leise und überlegte angestrengt, was mit ihnen ansonsten geschehen würde, würden sie ihr Wissen publik machen. Eine Nervenanstalt? Vermutlich. Das wäre keine Institution, die sie beide selbst erfahren wollten, also würden sie schweigen. Schade, dass wir kein Blitzdings hatten, wie bei Men in Black. Einmal blitzen und ihnen erzählen, dass sie hier an dem Ort die ganze Zeit Wache gehalten hätten, weil es Tatortnähe war. Ende. Aber wenn man schon mit der TARDIS und dem Doktor reisen konnte, so konnte man eben nicht alles verlangen, nicht? Wir hatten nun zwar auch den toten Körper des Ripper-Opfers Elizabeth Stride zurückbringen können, uns dafür aber einen neuen geliehen. Wir müssten also so oder so noch einmal zurück, um auch diesen an seinen rechtmäßigen Platz zu bringen, sobald Metatropeasis ihre Heimat erreicht hätte. Auf diese Aufgabe freute ich mich jetzt schon ganz wesentlich ganz und gar nicht. „Doktor bitte, lassen Sie mich noch ein bisschen mitreisen! Nur eine Reise! Wenn ich einfach so wieder auf meinem Heimatplaneten auftauche, werden sie mich köpfen!“ „Vermutlich werden Sie eher uns köpfen, weil sie glauben, dass wir dich entführt haben“, wiegte der Timelord mit skeptischen Blick den Kopf von einer Seite zur anderen und blieb dabei vollkommen auf die Steuerung der TARDIS fokussiert. „Bitte!“ „Du bist nicht die Einzige, die zurück nach Hause muss“, murmelte er und warf mir dabei einen Blick zu, der mich etwas betreten dreinschauen sah. Die Arcateenianerin sah daraufhin ebenso zu mir und ich fühlte mich stetig unwohler. Recht hatte er. Es war lediglich eine kleine Reise geplant gewesen, keine Weltraumtour. Und für ihnen wäre es besser, wenn er uns beide sicher wieder dorthin bringen könnte, wo wir hingehörten. Das Reisen durch Raum und Zeit war zwar abenteuerreich, aber Abenteuer bedeuteten auch immer Gefahr. Und von uns dreien war ich vermutlich sogar noch die Verletzlichste. Soweit wie ich es verstanden hatte, konnte Metatropeasis ja nicht sterben, würde ihr in dem Körper etwas zustoßen. Sie bräuchte dann nur eine Art neues Gefäß. Zumal sie für eine kurze Zeit gewiss auch ohne Leib leben konnte, sonst hätte sie es ja nicht hierher auf die Erde geschafft. Wenn man mir das Licht auspustete … blieb es dabei. Da konnte auch der Doktor mit seinem Wahnsinnsverstand nichts ändern. Und sterben wollte ich nun wirklich nicht. „Bitte, Doktor. Es ist auch in der Nähe von Arcateen V. Es wäre nur ein kleiner Umweg! Bitte!“ Ich konnte beide verstehen, aber … ich war auch kein Fan von Streitereien und deswegen stellte ich mich letzten Endes dann wohl doch eher auf Metatropesis' Seite und seufzte leise, bevor ich ihr zustimmte, „Vielleicht … wäre das wirklich machbar? Nicht lange. Nur … für eine kurze Pause?“ „Jetzt fangen Sie nicht auch noch damit an!“, gab er einen missbilligenden Zungenschnalzer von sich und ließ daraufhin das Pult los, um zu uns zu treten, „Das ist kein Schulausflug, wie Sie es vielleicht aus ihrer Zeit kennen! Wir hatten eine Abmachung getroffen – eine Reise, nicht mehr. Haben Sie eine Vorstellung davon, dass es gefährlich ist, wenn ich mit Ihnen hier unnötige Planeten bereise? Wie gefährlich es sein kann?“ Ja, hatte ich. Gut genug in der Serie gesehen. Das konnte ich ihm so natürlich nicht sagen. Aber ich fühlte mich nun auch etwas auf den Schlips getreten und wie ein kleines Kind behandelt, das nicht weiter als zehn zählen konnte. „Ja, das ist mir bewusst“, sprach ich somit so ruhig wie möglich und versuchte meine Stimme nicht schwanken zu lassen, als er auf uns zukam, „Und ich weiß, dass es gefährlich für uns sein kann. Und dass Sie sich nur um uns sorgen. Das weiß ich.“ „Dann ist die Diskussion hiermit beendet“, antwortete er mit Nachdruck in jeder einzelnen Silbe und wollte mir den Rücken zudrehen, was mich allerdings nun doch verärgerte. Nicht nur, dass wir jetzt doch zankten, sondern dass er mich nicht weiterreden lassen wollte. Und das konnte ich nicht leiden, so über den Mund gefahren zu werden. „Es hat Sie doch auch nicht davon abgehalten, Rose mitzunehmen!“ Das war gemein. Und dessen war ich mir vollkommen bewusst. Manchmal stach ich mit Absicht in eine Kerbe, weil ich wusste, wie sehr es treffen würde und dass ich denjenigen dann so wenigstens erreichte. Denn auf solch einen Schlag mussten die Leute reagieren, konnten es nicht igorieren. Es war wie das kleine Loch in einer Mauer, welches man zu suchen hatte und dass das ganze Gebilde dann in Stücke brechen lassen konnte. Ich war nicht stolz darauf, solche Kerben bewusst zu nutzen, aber in dem Moment war es für mich die einzige Möglichkeit Gehör zu finden. Der Doktor hob die Hand und ließ den Zeigefinger erhoben, als er warnend die Stimme erhob: „Sie lassen Rose hier aus dem Spiel.“ „Nein, tue ich nicht“, widersprach ich, „Da besteht kein Unterschied zu uns. Oder … zu irgendeinem anderen ihrer Begleiter. Vielleicht emotional, ja, aber nicht von der Tatsache an sich. Wir wissen alle, dass wir sterben könnten. Und keiner von uns will das wohl unbedingt. Trotzdem reisen wir mit Ihnen. Meine Güte, ich bin in meinem Leben schon achtmal fast von einem Auto angefahren worden, weil der Fahrer gepennt hat oder wäre fast von einer Gruppe betrunkener Jugendlicher bald verprügelt worden.“ Okay, ruhig bleiben! Nicht so laut werden. Ruhig bleiben … und ausatmen. Warum machten mir manche Dinge nur immer so wütend? Ach ja, richtig, deswegen: „Ich habe mir vielleicht nicht ausgesucht, dass ich hier mit Ihnen in der TARDIS stehe, aber ich habe mich entschieden, dass das okay ist, weil ich eh nichts dagegen tun kann. Es wäre also nett, wenn ich zumindest ein kleines Wörtchen bei Ihren Entscheidungen mitzusprechen hätte.“ Einen Moment schweigend, warf ich dann wieder einen kurzen Blick auf Metatropeasis, „Und außerdem … wäre es vielleicht wirklich ganz gut, wenn sie einen Moment durchatmen kann. Vielleicht kann sie dann wieder ein bisschen klarer sehen.“ Die letzten Worte hatte ich bereits ein bisschen ruhiger aussprechen können, aber innerlich war ich immer noch leicht betroffen. Der Doktor atmete hörbar die Luft aus und mir war nur zu bewusst, dass seine Augen auf mir ruhten. Keine Ahnung, ob er mit sich haderte, ob er mir eigentlich gerne noch weiter die Leviten gelesen hätte oder was auch immer. Fakt war, dass er schließlich die Hände seitlich an die Hüfte stützte, den Kopf hob und wiede er so scharf ein- und ausatmete, bis er mit zusammengebissenen Zähnen ein „Ihr macht mich noch wahnsinnig, ihr und eure Sturköpfigkeit!“ von sich gab und schließlich mit einem Sprung zum Schaltpult der TARDIS eilte und dort den größten Hebel mit Schwung nach unten drückte. „Wie heißt der Planet, den du meinst?“, sprach er hierbei klar und deutlich zu Metatropeasis, die nun mehr ein Lächeln zeigte und dann fast schon stolz unseren nächsten Zielort präsentierte: Radekan. Der Doktor stockte, als er den Namen vernahm und korrigierte anschließend die Daten der TARDIS auf jene Koordinaten des Zielplaneten. Kannte er jenen etwa? Keine Reaktion des Timelords war zufällig und ich würde einen Besenstil verspeisen, täuschte ich mich da. „Warum ausgerechnet dieser Planet?“, wollte ich von Metatropeasis wissen und wollte ebenso die Hände in die Hosentaschen stecken – aber falsch gedacht: Ich trug ja noch immer die viktorianische Kleidung. Memo für gleich: Ich sollte mich umziehen, bevor wir erneut irgendwo Fuß fassten. „Radekan ist ein wunderbarer Fleck in diesem Universum“, erklärte sie und lächelte diesmal etwas sanftmütiger, fast schon sehnsuchtsvoll, „Auf ihm leben die Radekaner, welche sehr freundliche Wesen sind. Sie ähneln euch Menschen, nur …“ Abbrechend, schien sie nach den richtigen Worten zu suchen, verstummte aber, „Ach, das wirst du selbst sehen.“ Ein bisschen irritiert nickte ich, konnte ich schließlich nicht viel mehr dazu sagen und kündigte dann an, dass ich mir schnell etwas anderes anziehen gehen würde. „Ehm … gibt es dort eine bestimmte Kleiderordnung?“ Nun war es die Arcateenianerin, die in ihrem geborgten Körper verdattert dreinschaute, dann aber lachen musste, „Nein, gibt es nicht.“ Abermals nickend, machte ich mich auf – nicht aber ohne vom Doktor noch einmal zurückgehalten zu werden: „Finden Sie den Weg allein?“ „Ich glaube schon.“   Zumindest würde ich es nie,wenn er mir immer den Weg weisen würde. Ich erreichte die andere weiße Tür, welche ins TARDIS-Innere führen würde, und ging hindurch. Wohl war mir dabei nicht, denn alleine in den gewundenen Gängen des Raumschiffs des Timelords überkam mich wieder das mulmige Gefühl, dass hier irgendetwas im Dunklen lauerte und nur auf einen unbedachten Schritt von mir wartete. Ich sollte eindeutig weniger Horrorfilme sehen. Wobei sich dieser Konsum auch schon weit reduziert hatte. Erst als ich die erste Abzweigung erreichte, kam ich nun mehr ins Straucheln, wohin ich denn müsste. Mehr als schiefgehen konnte es zwar nicht, aber mit einem Haufen Glück erreichte ich die bekannte Stelle, wo die Kleiderkammer war – dort hatte ich ja zuletzt auch meine Klamotten abgelegt um in jene hier zu schlüpfen. Mich drinnen aus dem Kostüm schälend und meine bequeme Alltagskleidung wieder anziehend, machte ich mich auf den Weg zurück – bis mir in den Sinn kam, dass ich doch vielleicht einmal mein Zimmer aufsuchen könnte? Ich hatte es nur einmal bisher gesehen und der Wunsch, mich dort näher umzugucken, wuchs gerade immens an. Vielleicht hatte sich mein Gedächtnis den Weg doch irgendwie eingeprägt, denn ohne mich groß zu verirren, stand ich mit einem Mal vor der Tür, die vor meiner Ankunft noch nicht dagewesen sei, laut Aussage des Doktors. Ich öffnete sie nur einen Spalt, lugte hinein – immer noch mein Zimmer. Irgendwo erleichtert ging ich hinein und schloss die Tür wieder hinter mir. Sogleich das Holz betrachtend, war auch hier alles so, wie es sein sollte: Verschiedene Bilder von Freunden und Postkarten waren an jenem Brett angeklebt, zeigten diverse Situationen und Erlebnisse von bis zu sechs Jahren. Ich ging ganz bewusst zum Schreibtisch und griff nach dem Tagebuch, dass ich bei meiner Ankunft bereits erfolglos durchgeblättert hatte. Ebenso schnappte ich mir aus einem der weißen Stifthalter einen Kugelschreiber. Mit beidem bewaffnet zum Bett trabend, setzte ich mich im Schneidersitz auf dieses und öffnete das Buch. Alles fühlt sich so an, als wäre ich zu Hause und doch bin ich es nicht. Mit diesen Worten begann ich den ersten Eintrag. Ich datierte ihn auf das Jahr 1888. Wenn ich wieder daheim wäre und es würde in dem Notizbuch irgendwo einen Hinweis geben, dass dieses Schriftstück existierte, dann wäre das alles wirklich kein Traum gewesen. So hoffte ich zumindest. Ich hatte nicht viel Zeit zu schreiben, aber zehn Minuten nahm ich mir.   Ja, ich sitze gerade in meinem Zimmer. Aber nicht daheim, in meiner Wohnung, sondern in der TARDIS. Wirklich in der TARDIS. Im 'Cockpit' stehen gerade der Doktor (und ja, der zehnte) und eine Außerirdische, die sich Metatropeasis nennt, eine Arcateenianerin ist und aktuell den Körper einer toten jungen Frau des viktorianischen Londons in Besitz genommen hat. Wir sind nun auf dem Weg nach Radekan, ein Nachbarplanet von Arcateen V. Eigentlich dachte ich in dem Moment, dass die Arcateen-Reihe I bis … zu einem Universum für sich allein gehörten, aber dem scheint wohl nicht so. Warum auch immer V neben IX liegt, bleibt mir auch ein Rätsel. Ich versuche das Beste aus der Situation zu machen, aber um ehrlich zu sein, hat mich die Reise ins viktorianische London etwas ermüdet. Und weil ich immer so eine große Klappe habe, dass ich gerne alle Kliniken der Welt kennenlernen will, wenn es sein muss, durfte ich mir in solcher wegen Schwindel helfen lassen. Schreckliche Ausstattung, schreckliche Hygiene. Lobe mir unsere Standards heutiger Zeit. Ich muss besser auf mich aufpassen – hatte mit dem Doktor einen kleinen Disput. Würde mich auch nicht wundern, wenn er uns deswegen davon abhalten wollte, einen weiteren Umweg zu nehmen. Es ist lustig, aber in manchen Dingen ist mein Doktor nicht anders als der echte Doktor.   Ich brach ab und blickte automatisch zu der zum Nachttisch umfunktionierten kleinen Kommode neben dem Bett, weiter zum im ebenholzfarbigen Rahmen stehenden Foto von meiner großen Liebe und mir, aufgenommen im Frühjahr diesen Jahres. Es verpasste mir einen kleinen Stich ins Herz, denn immerhin wusste ich nicht, wann ich wieder bei ihm sein könnte und... wenn wir etwas aus den Reisen des Doktors gelernt hatten, dann, dass mitunter auch ein Jahr vergehen konnte, was einem selbst nicht so vorkam … Ich wollte nicht, dass es über ein Jahr und länger wäre und hoffte sehr, dass es im schlimmsten Fall nur zwei, drei Tage wären, nach Erdzeitrechnung. Nicht auszumalen, wie besorgt jeder wäre. Das war ein bitterer Beigeschmack dieser eigentlich so spannenden Reise. Aber ich konnte die Situation gerade nicht ändern. Ändere das, was du ändern kannst. Akzeptiere das, was du nicht ändern kannst. Und mit diesem Gedanken versuchte ich die aufkommenden Zweifel und Sorgen runterzuschlucken, die sich breitmachen und ausbrechen wollten. Das Buch in meinen Händen zuklappend, legte ich dieses zur Seite und erhob mich. Zeit, wieder zu den anderen beiden zu gehen.   Als ich zurückkam, befand sich der Raum der TARDIS in Stille. Der Doktor sprach nicht – und wenn eher zu sich selbst oder mit seinem Schiff – und Metatropeasis hatte es sich inzwischen auf dem Boden halbwegs bequem gemacht. In ihrer Kleidung war das auch nicht unbedingt einfach. Zwar trug sie kein vollständiges Tageskostüm, aber unter dem Überwurf war das Leichenkleid dennoch eng an ihren Körper gepresst. Ich hatte aber das Gefühl, dass es nicht nur daran lag, dass sie etwas geknickt dreinschaute. Vielleicht war es auch die vermeidliche Unfreundlichkeit des Doktors, welche sie überrascht hatte. Vielleicht gingen ihr aber auch andere Dinge durch den Kopf. Ich stellte mich schließlich neben sie und fragte daraufhin den Timelord, wie lange es wohl dauern würde, bis wir den Planeten erreichten: eine halbe Stunde. Genug Zeit, um sich ein paar Gedanken zu machen. Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, den ich nur mit einer Grimasse entgegennehmen konnte. Er war wirklich nicht begeistert und das lag wohl nicht an Radekan, sondern generell an unserem Vorhaben, noch einmal einen Zwischenstopp einzulegen. „Sagen Sie es doch gleich, dass wir lästig für Sie sind!“, grummelte die junge Arcateenianerin in ihren nicht vorhandenen Bart, verdrießlich klingend. Ich sah zu ihr herab und dann zum Doktor, der daraufhin schon Anstalten machte, ihr eine seiner typisch ausschweifenden Antworten zu geben: „Nun, wenn du es genau nimmst-“ „Das … ist nicht der Grund“, unterbrach ich ihn, bevor noch mehr über seine Lippen drang, und ließ mich zu ihr nieder. Gespräch auf Augenhöhe. „Hörte sich aber anders an“, blickte sie an mir vorbei und hatte extra laut gesprochen, ganz klar an ihn gerichtet. „Metatropeasis … lass es, okay?“, bat ich sie und mir entwich ein entnervtes Stöhnen, „Er wird dir nur sagen, was du gerade gewiss nicht hören willst.“ Sie schwieg und wandte dann ihren Blick ab, die Beine an den Körper ziehen wollend. Die enge Kleidung, die sie trug, ließ sie ihr Vorhaben beiseite legen und sie behielt die Beine ausgestreckt. „Und manchmal … ist es nicht so leicht, über bestimmte Dinge zu sprechen.“ Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass der Doktor in seiner jetzigen Form noch nicht genau wusste, wie er mit den Gefühlen und Charakterzügen dieses Ichs umgehen musste. Er schlug ein wenig quer, war zu scharfzüngig, etwas taktlos und es fiel mir damit auch schwer zu glauben, dass Rose so an ihm Gefallen fand. Vermutlich war er wirklich noch jung, was seine Existenz an Ort und Stelle betraf. „Deswegen muss man jemanden nicht so zurechtweisen.“ „Das … tat ich bei dir auch.“ „Ja, allerdings.“ Das war Salz in der Wunde, aber selbst schuld. „Und es tut mir ehrlich leid“, fuhr ich fort, „Mich … hat deine Leichtsinnigkeit wütend gemacht. Und ich habe mir deswegen Sorgen gemacht.“ Metatropeasis sah mich mit überraschten Augen an. Ich konnte es an diesen ablesen, was sie fragen wollte und entsprechend vorgreifen, „Du erinnerst mich ein bisschen an mich selbst“, gestand ich leise, „beziehungsweise daran, wie schwer diese Jahre sind, in denen man erwachsen wird. Überall aneckend, keiner versteht dich. Das kam mir sehr bekannt vor.“ „Aber du bist nicht von zu Hause weggelaufen oder?“ „Nein, ich wurde nur beinahe rausgeschmissen.“ „Und … wie ist es jetzt?“ Ich überlegte kurz, das war inzwischen über zehn Jahre her. „Besser. Weitaus besser. Man entwickelt sich. Probleme, die damals waren, sind heute fast schon nichtig. Was nicht heißen soll, dass sie zu dem Zeitpunkt unbedeutend waren“, fügte ich schnell hinzu, „Ganz im Gegenteil. Um ehrlich zu sein hätte ich nicht gedacht, dass ich mich mit meiner Familie mal gut verstünde.“ Vielleicht war es für Metatropeasis genauso unmöglich wie für mich damals – allein die Vorstellung von einem halbwegs harmonischen Verhältnis zueinander hätte ich nicht für möglich gehalten. Doch dann sagte meine Gegenüber plötzlich etwas, was mich nicht nur ehrlich berührte, sondern auch erneut das Gefühl gab, dass sie durchaus reifer war als sie mit ihren Handlungen den Anschein erweckte: „Es ist ja nicht so, dass ich es nicht verstehe. Aber sie wollen mich nicht einmal anhören. Nur weil bei ihnen solch eine Heirat funktionierte, weil sie sich gelernt haben zu mögen, muss dies nicht auf mich zutreffen. Das macht mir Angst. Die Menschen auf der Erde wirkten so zufrieden mit sich und glücklich. So ganz anders als bei den meisten auf Arcateen. Bei uns stehen immer Nutzen und Zukunft im Vordergrund. Ich kann diesen Attlotita einfach nicht ausstehen! Am liebsten würde ich ihn das Herz aussaugen, wenn ich könnte!“ Und auch das glaubte ich ihr aufs Wort. „Er ist ja nicht mal halb so nett wie Duma!“ Oh. Oh … Jetzt wurde es interessant. Ich zeigte vermutlich zu viel Erstaunen, als dass ich es noch verbergen konnte, und Metatropeasis senkte fast schon verlegen den Kopf. „Wer ist dieser Duma?“, wollte ich demnach so vorurteilslos wie möglich wissen. „Duma lebt auf Radekan. Ich habe ihn vor ein paar Monaten bei einem Ausflug mit zwei Freundinnen kennengelernt. Er ist für die Abfertigung von Reiseankömmlingen zuständig.“ Ich nickte und ließ sie weiter erzählen, „Im Gegensatz zu Attlotita spricht er nicht immer nur von sich. Er begeistert sich für Literatur, auch wenn ich kein Wort von der alten Schrift Radekans verstehe – er hat sie mir vorgelesen. Sogar Gedichte. Er ist in einer Großfamilie aufgewachsen und hat sich um seine jüngeren Geschwister kümmern müssen. Er hat dies aber nie als Last gesehen. In ein paar Jahren will er selbst gerne reisen und über seine Abenteuer schreiben. Seine Familie unterstützt ihn dabei voll und ganz.“ Mein Lächeln wurde größer und größer. Vermutlich war ihr selbst gar nicht wirklich klar, dass sie mit einer viel sanfteren Stimme redete. Dass sie mit einem Mal viel zärtlicher wirkte und sich auch ihr raues Auftreten besänftigte. „Ich bin froh, dass ich ihn getroffen habe und wir Freunde sind.“ The Friendzone. „Ihr habt euch also schon oft gesehen?“ „Ja, erst nur jeden Monat, dann aber sogar zweimal in einem. Aber das wird vorbei sein, wenn ich mit Attlotita vermählt bin. Der wird bestimmt nicht wollen, dass ich Duma weiterhin sehe. Er ist rasend eifersüchtig auf alles und jeden.“ „Klingt nach einer anstrengenden Person.“ „Ja! Und so jemanden soll ich mögen lernen? Das ist unmöglich!“ Ich nickte zur Bestätigung, die sie suchte. Wenn dieser Herr wirklich so war, wie sie ihn beschrieb, dann hatte sie einen Narzissten und Egomanen an ihrer Seite, der sich wohl von nichts auf der Welt davon überzeugen ließe, dass es nicht immer nur um ihn ging. Diese Sorte Mensch (oder eben auch Arcateenianer) war nicht gerade einfach zu handhaben. Schon gar nicht für jemanden wie Metatropeasis, die einen starken Willen besaß und hinzukommend selbst noch ein halbes Kind war. Aber was mir vor allem aufstieß war die Tatsache, dass sie sich aus einem ganz anderen Grund gar nicht erst die Mühe machte, eventuell eine andere Seite Attlotitas kennenzulernen – sie hatte ihre bessere Hälfte gefunden, ohne es zu wissen. „Hast du denn mit Duma schon mal drüber gesprochen?“, fragte ich sie, woraufhin sie etwas das Gesicht verzog, „Das schon, aber … er war dann jedes Mal so wütend, dass wir das Thema fallen lassen mussten.“ „Das heißt, er will nicht, dass du diesen Attlotita heiratest?“ „Auf keinen Fall. Duma meint sogar, ich solle nach Radekan kommen und dort leben, damit ich ihn nicht zu meinem Gatten nehmen muss.“ Das war doch schon mal gut. Und so erklärte sich wohl auch Metatropeasis' Motivation, von zu Hause abzuhauen. „Wir haben uns sogar deswegen gestritten.“ „Was hast du gesagt?“ „Dass ich es zwar nicht will, aber dass ich auch meine Familie nicht im Stich lassen kann. Ich will nur bei meinen Eltern Gehör finden, das sie mir nicht schenken. Duma wurde daraufhin wütend und meinte, dass ich mein eigenes Leben hätte und somit das Recht, dieses so zu leben wie ich wollte.“ Was ja auch an sich stimmte. Schlaues Kerlchen. „Daraufhin meinte ich, dass ich eh nicht wüsste, was ich mit meinem Leben anfangen solle. Uns sind Dinge nicht gleichgültig, aber … ich weiß nicht, wie es ist, für etwas Leidenschaft zu haben. Ich weiß auch nicht, was dieses Gefühl von Liebe sein soll, von dem Duma erzählte, was Radekan erfüllte – und was ich auf der Erde gesehen habe. Vermutlich kann ich das auch gar nicht so empfinden.“ „Das … hast du ihm so gesagt?“ „Ja.“ „Und er?“ „Ist daraufhin davongestapft.“ Ich pustete die Luft aus und musste mich etwas sammeln. Das war nun in der Tat … blöd verlaufen. Sehr blöd. Damit hatte sie diesem Duma schön in die Magengrube geboxt, obwohl er ihr – wenn auch subtil – Avancen gemacht hatte. „Wie … fühlt es sich denn an, wenn man liebt? Du kennst es doch, oder? Wie war das bei dir?“ Irgendwie war ich von dieser Frage übermannt. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, schon gar nicht, wenn es um eine Lage wie Metatropeasis‘ handelte. Ich sah einmal mehr zum Doktor – Er hatte sich uns ein wenig mehr zugewandt, warf mir in diesem Moment ebenso einen Blick zurück, den ich nicht ganz zu deuten wusste. Hätte sie ihn gefragt, was hätte er ihr wohl geantwortet? Metatropeasis wartete jedenfalls immer noch auf meine. Ich konnte nicht ewig schweigen. Vielleicht einfach ehrlich sein? Es fiel mir immer noch schwer, so offen über Gefühle zu sprechen. „Um ehrlich zu ein, habe ich das bis vor kurzem selbst nicht verstanden. Was Liebe wirklich bedeutet. Nicht die Liebe, die man gegenüber seiner Familie oder Freunden fühlt – das war für mich klar. Sie sind mir wichtig, ich sorge mich um sie, wenn es ihnen nicht gut geht. Ich fühle mich bei ihnen wie zuhause. Aber … wenn es um die Liebe zu einem anderen Menschen geht … ist es ein bisschen anders.“ „Warum?“ Ja warum … Da bekam ich eine Idee. „Hast du dich in deiner Familie oder bei deinen Freunden so gefühlt, als würdest du die ganze Welt umarmen können? Als würden … drei Trilliarden Sterne auf dich herabscheinen? So ein überwältigendes Gefühl von Zufriedenheit und Glück?“ Metatropeasis schien kurz in sich zu gehen, schüttelte dann aber den Kopf. „Oder dass dein Herz auf einmal stark klopft, wenn du jemanden von ihnen siehst? Dass du nur lächeln kannst?“ Wieder ein Kopfschütteln, wenn es auch zaghafter war als zuvor. „Das … ist nicht unbedingt Liebe, eher Verliebtsein, aber daraus kann Liebe entstehen, wenn man einander Zeit gibt.“ „Und … dann? Was fühlst du dann?“ „Wenn es auf Gegenseitigkeit beruht und das Gefühl wächst … bedingungslose Liebe.“ „Verstehe ich nicht.“ „Es geht nicht darum, wie jemand aussieht oder welchen sozialen Status er angehört. Ob er viel Geld hat oder nicht. Das ist alles unwichtig. Wenn man sich wirklich liebt, dann nimmt man den anderen an, wie er ist. Man vertraut sich gegenseitig, würde füreinander durchs Feuer gehen.“ „Hast du das denn getan?“ „ … Ja.“ „Was hast du gemacht?“ Auf der einen Seite kam es mir wie ein Verhör vor, dass hier geführt wurde, aber gleichzeitig ließ es mich an all die Momente erinnern, die für uns inzwischen schon in weiterer Ferne gerückt waren und dennoch so viel Bedeutung getragen hatten. „Ich habe meine Schweigepflicht verletzt.“ Auf ihren fragenden Blick wusste ich, dass ich wenig von mir erzählt hatte und dass ich da etwas nachholen musste, „Ich … war Krankenschwester. Und ich habe mit meiner Bitte eine Freundin und mich mit einem Bein ins Gefängnis gebracht.“ Mehr wollte ich nicht sagen. Das war aber für Metatropeasis okay. Sie nickte sanft, verstand, worum es im Grunde ging. Ich spürte immer noch die Augen des Doktors auf mich ruhen. Wie oft hatte er sich gegen die Gesetzmäßigkeiten gerichtet und wie oft würde er dies noch in Zukunft tun? Vor allem, wenn es dann um Rose ging? „Und das … nur für diesen einen Menschen? Woher wusstest du, dass er es wert ist?“ Das brachte mich fast schon zum Lachen. „Gute Frage. Ich war zu dumm, es vorher zu bemerken. Kennst du den Spruch, dass man erst dann den Wert von etwas zu schätzen weiß, wenn es nicht mehr da ist? Das passt. So war es. Ich … hatte ihn verloren und beinahe ein zweites Mal für immer. Bis mir einfach mit einem Schlag klar wurde, dass es keinen anderen geben kann.“ „Woher wusstest du das?“ Und diesmal tippte ich mit dem Zeigefinger nur auf meine Brust und lächelte dabei. „Ich hab‘s gefühlt.“ Unbefriedigende Antwort, ich weiß. „Der ganze Schmalz, den man hört, stimmt: Du musst immer wieder an den anderen denken. Du wirst traurig, wenn du von der Person getrennt bist. Du spürst das Glück des anderen und den Schmerz, als wäre es dein eigener.“ „Das hast du alles gefühlt?“ „Und fühle es immer noch.“ „Ist diese Liebe endlos?“ Nun stahl sich auch mir ein etwas melancholisches Lächeln auf die Lippen. Wenn es etwas gab, was ich mir wünschte, dann war es genau das. „Das hoffe ich.“ „Du weißt es aber nicht?“ „Es gibt viele Dinge, die man nicht wissen kann. Und das Leben hat immer wieder Überraschungen auf Lager, mit denen man nicht rechnet. Du kannst nicht vorher bestimmen, wie sich das Herz des anderen oder das eigene verändert.“ „Aber das ist doch schmerzhaft, oder?“ „Ja, das wird es sein. Deswegen hoffe ich auch, dass es uns nie passieren wird.“ „Wo liegt dann der Sinn, zu lieben, wenn die Liebe auch vergehen kann?“ „Weil wir ohne Liebe nicht leben können“, kam es mir sofort über die Lippen, „Du kannst vielleicht die Einsamkeit bevorzugen, aber nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben, ist kein besonders erfüllendes Leben.“ Ich sah regelrecht die Fragezeichen über ihrer Stirn und überlegte, wie ich es besser erklären konnte, „Wenn du Liebe empfindest und ebenso geschenkt bekommst … kann es dir so viel Kraft schenken. Dass du alles schaffen kannst. Es macht auch die unschönen Tage erträglich und ebenso den größten Schmerz. Die Liebe von jemand anderen zu empfangen ist etwas, was unbezahlbar ist. Und das kann auch durch Familie und Freunde sein.“ „Sie haben zu viele Romane gelesen“, mischte sich der Doktor da mit einem Mal ein, wo er doch die ganze Zeit geschwiegen und gelauscht hatte. „Und Sie mutieren zum Miesepeter“, setzte ich grummelnd nach, aber Metatropeasis war es, die ihn in unser Gespräch miteinbezog: „Doktor, was ist mit Ihnen? Sehen Sie das auch so?“ Er kam näher zu uns und hockte sich schließlich hin, „Gefühle verletzen“, erklärte er als erstes und klang dabei seltsam aufgesetzt locker, den Blick auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet, „Sie haben schon manchen in ihr Verderben rennen lassen. Ob nur ihr eigenes Leben davon betroffen war oder die ganze Menschheit.“ Er pausierte einen Moment, ehe er dann zu Metatropeasis sah, „Allerdings sind Gefühle auch die stärkste Quelle neben Hoffnung, die ich miterleben durfte. Sonst würde es keinen von euch geben. Keine Menschen, keine Arcateenianer. Vermutlich würde nicht einmal die Hälfte des Universums existieren, gäbe es keine Gefühle.“ „Können Sie denn lieben?“ Das war eine sehr direkte Frage. Der Doktor wollte sich nichts anmerken lassen, aber ich sah für eine Sekunde etwas in seiner Fassade bröckeln. Wehmut? Eine schmerzhafte Erinnerung, die er verdrängen wollte? „Liebe kann viele Gesichter haben“, nahm er die Aussage meinerseits auf und wollte wohl somit schwammig in seiner Antwort bleiben. „Nein, ich meine, diese Liebe. Diese spezielle Liebe. Kennen Sie das?“ „Manchmal braucht es eine Weile, bis man diese kennenlernt. Und manchmal … sind trotzdem die Umstände dagegen“, sprach ich ungefragt. Ich fühlte, dass ich in diesem Moment den Doktor in Schutz nehmen sollte. Nicht, dass er sich nicht selbst verteidigen konnte, aber ich kannte das Gefühl, wenn jemand in ein Gefilde stieß, das für ihn nicht gedacht war. Ein Dickicht, für das die anderen keinen Zugang haben sollten. Diese Art des Feingefühls müsste Metatropeasis allerdings erst noch lernen. „Meinst du solche Umstände wie bei mir?“, hakte sie sogleich nach. „Nein. Ich meine … auch, aber …“ Ich biss mir auf die Unterlippe und verzog ein bisschen das Gesicht, leiser sprechend, „Jeder hat seine Geschichte, seine Aufgaben und … es gibt auch Dinge, über die man nicht sprechen will.“ Von ihr vorsichtig zum Timelord aufsehend, wusste ich nicht, was ich noch sagen sollte. Aber Metatropeasis nahm es an, dass ihre Frage unbeantwortet bleiben würde. „Dir … sind Familie und deine Freundinnen wichtig, oder?“, lenkte ich das Gespräch in eine Richtung, woraufhin sie nickte, „Und sie sind dir nicht wichtig, weil sie dir Vorteile bringen, oder?“ „Nein … ich mag sie einfach. Sie waren immer bei mir.“ „Und das ist eben auch eine Form von Liebe. Du kannst lieben. Wenn nicht … wäre sie dir vollkommen bedeutungslos.“ „Aber-“ „Glaub mir, ich habe schon so viele verschiedene Planeten und Bewohner kennengelernt. Arcateenianer sind nicht die Gefühllosesten“, setzte der Doktor nun noch nach, „Ihr habt ernste Probleme, die euch bedrohen, und dein Volk so pragmatisch wie möglich vorzugehen. Das ist rational betrachtet eine sehr intelligente Vorgehensweise.“ Nur, dass so eben alle Gefühle untergraben werden und gerade den jungen Leuten wie Metatropeasis ein falsches Bild vermittelt wurde. „Aber es gibt eine Sache, die euch von all diesen anderen Spezies und Kreaturen unterscheidet. Ihr könnt Emotionen hervorbringen. Ihr setzt euch diesen aus. Und sie bringen nicht nur Schmerz und Leid.“ Die Lippen des Doktors zogen sich zu einem zarten Lächeln und aus seinen Augen sprach die Begeisterung und irgendwo auch Bewunderung für Wesen wie uns – „Eure Gefühle lassen euch großes verbringen. Ihr hättet kapitulieren können, als eure Lage schlecht wurde. Ihr hättet euer Schicksal annehmen könnend. Aber das habt ihr nicht. Ihr habt Hoffnung, ihr glaubt an bessere Zeiten und das alles dank euren Gefühlen, die großartiges aus euch herausbringen. Jeder einzelne von euch, brillant bis in die kleinste Zelle eures Seins. Würdest du hier stehen, wenn es anders wäre?“ Die Unterlippe vorschiebend und die Augenbrauen hochziehend, wartete er auf eine Rückmeldung von ihr. „Vermutlich nicht“, sprach Metatropeasis leise. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter. Etwas, was ich sonst selten tat, weil ich immer den Abstand anderer respektierte. Jetzt aber wollte ich ihr einfach vermitteln, dass sie nicht alleine war. „Das wird schon. Es wird schon werden.“ Mein Gewissen meldete sich und ermahnte mich, dass ihr nichts versprechen sollte was ich nicht halten könnte – aber ich wollte es versuchen. Ich wollte ihr etwas Zuversicht geben.   Unsere Reise nahm ihr nächstes Ende und wir kamen fast ruckelfrei auf Radekan an. Dieses Mal dürfte ich mich wohl erst recht auf die Übersetzungskünste der TARDIS freuen – obwohl ich schon gerne die eigentliche Sprache gehört hätte. Was war diese? Radekanisch? Oder hieß es ganz anders? Als sich die Tür der TARDIS öffnete, war ich etwas vorsichtiger als sonst und wartete, bis Metatropeasis vorausgegangen war. Anschließend folgte ich ihr und hinter mir dann der Doktor. Als erstes erblickte ich den Himmel, welcher in einem hübschen Mix aus Rosa und Orange über unsere Köpfe ragte. In der Ferne konnte man blasse helle Konturen von Monden oder näheren Planeten erkennen, die knapp der eigenen Atmosphäre dieser Welt liegen mussten. Um uns herum befand sich mehr Natur, als ich gedacht hätte, was einen hier erwarten würde: Gewundene Bäume grünen und violetten Laubes. Büsche so prachtvoll, wie man sie nur von Gartenkünstlern kannte. Einige Pflanzen rankten sich um felsartige Ausstülpungen, welche aus der Erde ragten. Vor uns lag ein steinerner Weg und dessen voraus lag eine kleine Brücke, die über einen Bach oder ähnliches führen musste. Schon jetzt bekam ich das Gefühl, dass es sich hier wirklich um einen friedvollen Platz handelte – so friedvoll und harmonisch, wie Metatropeasis es beschrieben hatte. Zwei große Statuen standen am Ende der Brücke, uns den Rücken zugewandt. Die Silhouette war kaum erkennbar und die bleichen Gewänder, welche die Figuren trugen, war ebenso wenig körperformbetont. Etwas befand sich an ihrem Rücken, aber ich konnte es von hier aus nicht erkennen. „Eine schöne Landschaft“, bemerkte ich und sah von etwas weiter weg zwei Bewohner des Planeten – mir erschien, dass ihre Hautfarbe eine bläuliche Nuance hatte, aber dessen konnte ich mir nicht so sicher sein. Die beiden Bewohner trugen ebenso Gewänder, aber weitaus mehr unserer Kleidung ähnelnd, farbenfroh. „Und sehr freundliche Menschen“, ergänzte unsere Arcateenianerin. „Dafür sind die Radekaner bekannt“, kam es vom Doktor, der einmal tief Luft zu holen schien und mit den Händen in den Hosentaschen ein paar Schritte vorausging, den Kopf hoch erhoben, „Freundlich und hilfsbereit. Ein nettes Volk.“ „Waren Sie schon mal hier?“ „Oh, das ist lange, lange her. Aber ja, Radekan hat eine seine Eigenarten. Zuvorkommend, aber ein wenig diktatorisch geleitet.“ „Diktatorisch? Das ist mir neu!“ Wir drehten uns zu dritt überrascht um, denn mit einer vierten Person, die zu uns sprach, hatte niemand gerechnet. Im Gegensatz zum Doktor und mir, zeigte sich auf Metatropeasis‘ Gesicht keine Überraschung, sondern aufkommende Freude. „Duma!“, schoss sie an uns vorbei und auf den Unbekannten zu, welcher sich uns angenähert hatte. „Metatropeasis, du bist wieder hier!“, erwiderte der Fremde und hielt seine Arme offen.‘ Ohne zu zögern empfing er sie und hieß sie herzerwärmend willkommen. „Wie … hat er sie erkannt?“, fragte ich leise zum Doktor gewandt, die kleine Szene beobachtend. „Entweder hat er einen durchdringenden Blick oder aber … ein kleines Wunder der Gefühle.“ Ja, das konnte man so beschreiben. „Wann bist du angekommen?“ „Gerade eben!“ Die beiden glücklich Vereinten sahen einander in die Augen und dann zu uns beiden. „Die Diktatur ist schon lange vorbei. Wir leben seit Jahrzehnten in einer friedlichen Gemeinschaft.“ „Welches Jahr haben wir?“, fragte der Doktor nachdenklich. „3430.“ Diese Zahl beeindruckte mich, denn immerhin würde ich mit meinem eigenen Leben nie dieses Jahr erreichen können. Für den Timelord hingegen war es nichts Neues, er neigte nur anerkennend den Kopf zur Seite. „Das erklärt es natürlich.“ Duma, den ich mir nun erst einmal richtig ansehen konnte, schien nicht zu verstehen, aber Metatropeasis machte auch keine Anstalten, es zu erklären. Sie wusste wohl nicht, ob sie über den Doktor ohne dessen Einwilligung reden durfte oder nicht. Ich hingegen konnte ihren Freund nun erst einmal selbst begutachten und ja – ich musste zugeben, dass er einen sehr sympathischen Eindruck machte: Sein Körperbau war schmal, aber verhangen durch seine Kleidung. An einem Rücken befanden sich Libellenflügel, die im Schein der Sonne perlmutt funkelten. Seine Haare waren fast ebenholzschwarz, lang und zu einem einfachen Zopf am Hinterkopf zusammengehalten. Eine der Strähnen war mit eingeflochten. Sein Gesicht war schmal zulaufend, von einem Bartwuchs war nichts zu erkennen. Die Hautfarbe war grün-bläulich. Sie erinnerte mich an das Mittelmeer, dass ich einmal an Südfrankreichs Küste hatte sehen dürfen. Die Augen waren leicht mandelförmig, dunkel, vermutlich Braun. Seine Mundwinkel waren natürlich etwas nach oben gezogen. Ich konnte verstehen, dass Metatropeasis ein gutes Gefühl bei ihm besaß. Wenn er nun auch noch charakterlich so war, wie sie ihn beschrieben hatte, wäre es umso schöner. „Im Übrigen, ich bin der Doktor. Und das ist Alexandra, meine Begleitung“, stellte der Timelord uns beide schließlich vor und lächelte sein üblich charmantes Lächeln. Der Radekaner hob die Hand und hielt mir den gestreckten Zeige- und Mittelfinger entgegen. „Sluwavo“, sprach er und ich nahm an, dass dies eine Begrüßung sein musste, so dass ich versuchte, die Geste nachzuahmen und ebenso mit einem „Sluwavo“ antwortete – wenn auch nicht ganz identisch in der Aussprache. „Ihr seid neu hier, oder?“ „Ja“, wollte ich sagen, doch der Doktor kam mir mit einem „Mehr oder weniger“ zuvor. „Dann schlage ich vor, dass ich euch eine kleine Führung durch die Gegend gebe und wir danach etwas in meinem Heim als Mahlzeit einnehmen.“ Metatropeasis war natürlich mit Freuden dabei. Ich blickte hingegen etwas nachdenklich zum Doktor, welcher nun mehr allerdings eines seiner neugierigen Lächeln auf den Lippen trug. „Nun, die Gastfreundschaft eines Einheimischen mit Füßen zu treten gehört nicht zur feinen Art. Und mir scheint, es hat sich hier einiges verändert, seit ich das letzte Mal hier war.“ „Radekan und besonders Tavanim sind im ständigen Wandel“, stimmte Duma zu und machte Anstalten nun aufzubrechen, „Aber unsere heilige Mutter Adkata wacht stets über uns. So wie unsere eigenen Mütter über uns wachen.“ „Welche Geschichte hat die heilige Adkata?“, wollte der Doktor wissen. Ich selbst musste mein Interesse auf die Antwort forcieren, denn ich selbst hatte eher wenig Interesse an den Religionen anderer Kulturen. Aber vielleicht wären die Informationen über diese Religion hier vor Ort noch von Wichtigkeit – denn selten gab es an der Seite des Doktors etwas, was keine Relevanz hatte oder bekäme. „Heilige Mutter Adkata gebar unseren Planeten vor vielen, vielen Jahren. Sie kam aus einem fernen Sonnensystem und wollte etwas ganz besonderes erschaffen. Denn hier, wo nun Radekan ist, war vor vergangener Zeit einfach nur Dunkelheit. Und diese Dunkelheit im Planetensystem machte sie so traurig, dass sie aus ihren Händen Radekan erschuf.“ Ich hörte aufmerksam zu. Es klang für mich wie eine typische Schaffensgeschichte, mehr nicht. Dem Doktor zufolge war aber etwas seltsames an ihr, denn er verzog nicht ein bisschen die Miene, während er Dumas Worten lauschte. Stimmte was nicht an der Erzählung? „Sie sorgt für unser Wohlergehen und für die Gleichsamkeit uns aller. Keiner ist besser, keiner wird bevorzugt. Radekans Volk ist das Kind Adkatas.“ Wir gingen ein paar Meter weiter und für diese Zeit holte Metatropeasis zu Duma auf und begann ihn in ein Gespräch zu verstricken, so dass ich den Doktor unbemerkt ansprechen konnte, wo wir hinter ihnen hergingen: „Stimmt was nicht?“ „Als ich das letzte Mal herkam, lebten die Radekaner noch nicht in einem Matriarchat.“ „Und … wissen Sie, wie es dazu kam, dass sie es nun tun?“ „Ich muss gestehen, dass ich das erst herausfinden muss.“ „Sie scheinen zumindest nicht glücklich über diese Wandlung?“ „Wir werden sehen.“ Und das sollten wir wirklich. Lieber Kinder und Erwachsene, wenn ihr wirklich, wirklich, wirklich etwas über die Welt und das Universum lernen wollt, vertraut nicht einfach auf literarische Quellen, sondern setzt euch am besten in eine Zeitmaschine von Wells. Aber das, was uns nun erwartete, hätte ich wohl auch mit jener nicht kennenlernen dürfen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)