Out of the Blue. von Ikeuchi_Aya (Out of the box.) ================================================================================ Kapitel 3: Sweet Escape ----------------------- Der Weg, den wir jetzt zurücklegten, kam mir viel kürzer vor als jener, den wir zu den Zellen gegangen sind. Erst jetzt fiel mir auch auf, wie sehr das Gebäude schon unter seiner Benutzung gelitten hatte. Risse in den Wänden, vergilbtes Weiß, in den Ecken Staub und Flusen, die unter unseren heutigen Hygienebedingungen schon längst hätten verschwunden sein müssen … und auch das Büro von Sutherland, welches mir gestern noch so imposant vorgekommen war, hatte heute komplett seinen Charme verloren. Nur ein normales Bürozimmer, nichts weiter. Ausgestattet mit einfachen Möbeln und Kratzern im Boden. Die Tür zu diesem Raum stand angelehnt und als wir ohne Vorankündigung eintraten, was mich ebenso irritierte, erwartete uns ein Chief Inspector, der wohl genauso wenig geschlafen hatte wie überhaupt erst nach Hause gegangen war: Er trug die gleiche Kleidung wie gestern, nur um einiges zerknitterter. Sein Gesicht zeigte tiefe Ringe unter den Augen, und er kämpfte damit, sie überhaupt offen zu halten. Er erinnerte mich sehr an einen dieser Basset Hunde, die ständig blutunterlaufene Augen besaßen und so herabhängende Mundwinkel, dass man meinen könnte, sie würden den Boden berühren. Unter anderen Bedingungen hätte ich geschmunzelt, jetzt allerdings war mir nicht mal nach einem Mundwinkelzucken zumute. „Sir, Alexandra Garcia.“ „Danke, Sie können gehen“, entgegnete Sutherland ohne Aufzusehen und winkte ab. Der Polizist nickte und verließ daraufhin mit einem letzten Blick auf mich gerichtet das Zimmer. Die Tür fiel leise ins Schloss und wir waren allein. Wie bestellt und nicht abgeholt stand ich nun da und wartete auf weitere Anweisung. Ich hatte mir angewöhnt, gegenüber mir Unbekannten nicht zu sprechen, wenn ich nicht gefragt wurde. Gerade erschien es mir als die beste Strategie. Immerhin trug ich nicht nur mein eigenes Leben auf den Schultern, sondern auch jenes des Doktors – wobei sich dieser besser zur Wehr setzen könnte als ich. „Setzen Sie sich“, wies mich Sutherland mit seiner rauchigen Stimme an und rieb sich die müden Augen, nachdem er seinen Federhalter hatte fallen lassen. Ich bekam beinahe Mitleid mit ihm, wie er im Stuhl hinter seinem Schreibtisch hing und sich schließlich erschöpft erhob, um sich wie gestern genau vor mir zu positionieren, an der Schreibtischkante gelehnt. Die Investigationen zogen sich, es gab keine eindeutigen Anhaltspunkte und sie nahmen zwar immer wieder Verdächtige fest, doch konnten sie keinen einzigen dieser etwas nachweisen … Jack the Ripper lief frei herum und würde noch weiter morden. Der Doktor und ich wussten dies, die Leute hier konnten es nur in Angst annehmen. Ich glaubte, dass sich Sutherland dies mehr als nur bewusst war und sich deswegen so dahinter klemmte. Er mochte zwar ein lauter, angsteinflößender Vorgesetzter sein, aber im Grunde tat er nur seinen Job und das mit Hingabe. Vermutlich war unsere Verhaftung für ihn ein Funken größerer Hoffnung gewesen und löste sich nun ebenso in Luft aus. Ich tat wie mir geheißen und ließ mich wortlos auf dem hölzernen Stuhl nieder. „Also Ms … Garcia.“ Die Art, wie er meinen Namen betonte, gefiel mir überhaupt nicht. Es lag Misstrauen in seiner Stimme – wenn er nur wüsste, wie berechtigt diese Skepsis war. „Jetzt erzählen Sie mir bitte noch einmal in jeder Einzelheit, was Sie hier machen und warum Sie hier sind.“ Er duzte mich nicht mehr. War ich in seiner Achtung also zumindest ein bisschen gestiegen? Oder hatte er es endlich kapiert, dass ich keine Bordsteinschwalbe war? Es gab mir zumindest so etwas den Respekt zurück, der mir als Mensch gebührte. Zudem erinnerte es mich, dass ich auch entsprechend einen kühlen Kopf bewahren und nicht wieder impulsiv werden wollte. Noch so ein Ausraster konnte niemand von uns gebrauchen. Weder der Doktor, noch ich. „Wir sind auf Durchreise hier“, begann ich und legte die Hände ineinander, um einen ruhigen Eindruck zu vermitteln, „Der Doktor und ich sind auf dem Weg nach Schottland.“ „Wie lange sind sie schon unterwegs?“ „Zwei Monate.“ „Von wo?“ „Spanien. Barcelona.“ Sutherland machte sich beiläufig Notizen, legte dann den Stift auf die Schreibtischoberfläche und bedachte mich eines längeren Blickes. Okay, nun wollte er etwas über mich hören … das war ganz offensichtlich. „Miss Garcia, wer sind Sie? Sie haben einen ausländischen Akzent, aber mir sind in meinem Leben schon einige Spanier begegnet und ich kann ihnen versichern, dass deren Aussprache nicht Ihrer gleicht. In keinster Weise.“ Ich machte ein bedrücktes Gesicht und senkte reuevoll den Blick. So, wie ich es mir ausgedacht hatte. „Das … kann ich Ihnen nicht sagen, Chief Inspector“, sprach ich kleinlaut, „Ich weiß selbst nicht, wo ich herkomme. Ich bin im Alter von drei Jahren zu einer Familie gekommen, die mich aufgenommen hat. Davor … keine Ahnung.“ „Was mit ihnen passiert?“ „Meiner Familie?“ „Ja, warum sind Sie nicht mehr bei Ihnen?“ „Sie waren selbst arm … Vermutlich haben sie mich damals aus Mitleid aufgenommen, keine Ahnung. Und ich glaube, sie haben auch irgendeinen Handel betrieben, der nicht rechtens war. Als ich eines Tages von meiner Arbeit nach Hause kam, hat Mutter geweint. Die Behörden hatten meinen Vater mitgenommen und in das Gefängnis gesteckt. Mutter war mit mir und meinem Bruder allein.“ „Sie haben einen Bruder?“, hob Sutherland interessiert die Augenbrauen. Anscheinend hatte der Doktor ihm das nicht erzählt. „Ja“, nickte ich und sah wieder auf. Hier und da den Augenkontakt wahren. Das war wichtig, „Er ist acht Jahre jünger als ich.“ „Wie alt sind Sie?“ „25.“ Gelogen, aber glücklicherweise sah man mir mein Alter nicht an. Ich musste wenigstens über 20 sein, aber sollte auch nicht zugeben, dass ich fast 30 war. Das würde mich nur noch mehr in den Rotlichtsektor schieben lassen. Sutherland überschlug die Zahlen wohl kurz im Kopf, da er schwieg, und forderte mich dann auf, weiter zu sprechen, „Sie bekam Ärger mit den Behörden, galt als Komplizin, und sollte verhaftet werden. Wir verloren unser Zuhause, einfach alles. Als mein Vater schließlich gehängt werden sollte … hat sie den Verstand verloren.“ Ich versuchte noch betretener dreinzublicken als eh schon. „Was meinen Sie damit?“ „Sie hat sich ebenso erhängt.“ „Was ist mit Ihnen und Ihrem Bruder dann geschehen?“ „Er kam ins Heim. Ich habe von den Geschäften nichts gewusst und ich hatte nichts zu befürchten. So dachte ich. Allerdings hatten mich die damaligen Geschäftspartner meiner Eltern auf den Kieker und verfolgten mich.“ „Und dann trafen Sie auf John Smith?“ Ah, da war die Knackstelle! Nun musste ich aufpassen. Meine eigene Biografie hatte ich ausschmücken können. Der Doktor und ich hatten uns darauf geeinigt, dass er von mir nichts großartig wusste, außer einen Grundriss meines kleinen Mikrokosmus. Meine höchst unangenehme Vergangenheit war ihm nicht bekannt. Das sollte ich unterstreichen. „Richtig … Ich habe ihm nicht alles erzählt. Es ist mir sehr … unangenehm, verstehen Sie?“ Der Inspector nickte nur und rieb sich daraufhin seinen etwas krausstehenden Bart. „Wie haben Sie sich kennengelernt?“ Ich schwieg. Die Details … jetzt keinen Fehler machen! Mir die Episode wieder ins Gedächtnis rufend, begann ich langsam zu sprechen. Klar und deutlich, keine Zweifel aufkommen lassend. „Er … hat mir das Leben gerettet. Die Geschäftspartner meines Vaters waren mir wie gesagt auf den Fersen und hatten mich ausfindig gemacht. Ich … hatte mir ein günstiges Zimmer in einer Pension genommen und half dort aus, um die Kosten zu decken. Sie standen plötzlich einfach in der Tür, als ich gerade die Treppen saubermachte. Sie forderten das restliche Geld, das mein Vater nicht mehr hatte geben können. Ich hatte sie vertröstet, aber sie wollten mir auch keinen Aufschub mehr geben. Ich war an dem Vormittag alleine im Haus. Die Gäste waren aus und der Chef ebenso um einzukaufen. Ich konnte keine Hilfe erwarten. Weil ich auch kein Geld hatte und sie niemanden zusätzlich erpressen und bedrohen konnten, sollte ich für das bezahlen, was ihnen ihrer Meinung nach zustand. Und dann … tauchte der Doktor auf.“ „Was hat er getan?“ „Er hatte eigentlich nur nach einer Bleibe für seine Reise gesucht. Da ist er auf die Pension gestoßen, wie er hinterher erzählte. Er meinte zu mir, dass er verdächtiges Gerede gehört hätte und da die Eingangstür einen Spalt offen geblieben war, hatte er uns sehen sehen können. Den einen hatte er von hinten mit einem Knüppel überrascht und ihn zwischen den anderen beiden und mich geschubst. Der eine hielt mich fest, der andere ging auf ihn los. Ich hab nur die Hälfte mitbekommen, aber … der Doktor überwältigte irgendwie den zweiten Mann. Der Dritte bekam es wohl mit der Angst zu tun. Sie redeten nicht auf Spanisch oder Englisch, keine Ahnung … er ließ jedenfalls von mir ab.“ „Verstehe“ Es schien, als verstand Sutherland wirklich. Nun musste ich aber eine Sache loswerden, die mir von gestern noch auf der Zunge lag: „Deswegen … reagiere ich auch sehr empfindlich darauf, wenn mir unterstellt wird, dass ich in einem Gewerbe des Selbstverkaufes arbeite. Ich entschuldige mich noch einmal für meinen gestrigen Ausbruch …“ „Nein, nein. Das … ist in der Tat nachvollziehbar“, hob der Chief Inspector eine Hand, „wobei ich Ihnen sagen muss, dass es sehr üblich geworden ist, dass Frauen hier in diesem arbeiten und gerade hinsichtlich der Morde jene Opfer alle diesem Metier anwohnten. Es tut mir leid, dass Sie solch eine Erfahrung machen mussten. Gestatten Sie mir aber eine andere Frage …“ Er machte eine Pause, die mir nicht behagte, und sah mir ganz direkt in die Augen, als er schließlich weitersprach: „Wie kommt es, dass Sie Englisch sprechen können und das so gut?“ Irks. Das … hatten wir nicht besprochen. Improvisation! „Meine Eltern konnten recht gut sprechen. Mein Ziehvater hat mir einiges beigebracht und ich … habe mir einige Bücher angesehen, die bei uns herumlagen.“ Mehr hatte ich nicht zu sagen und ich hoffte, dass es ihm auch genügen würde. Mein Gegenüber schwieg erneut, besah sich dann aber seinen Notizblock genauer und blätterte in diesem herum. Ich biss mir unbewusst auf die Unterlippe, bangend, was nun noch kommen könnte. Schließlich legte er aber den Block gemeinsam mit dem Stift zurück auf die Schreibtischoberfläche, legte die Hände ineinander und atmete hörbar aus. „Sie sind also auf John Smith getroffen und er hat sie vor diesen Leuten gerettet. Was ist dann passiert? Sie haben Ihren Bruder zurückgelassen.“ „Ich habe mit ihm gesprochen“, entgegnete ich leise, „Ich wollte dem Doktor danken und auf den Schock hin hat er mich auch noch zu einem Kaffee eingeladen … Ich fragte ihn aus, wo er herkam, was er unternahm, wo er hinwollte … Er erzählte mir davon, dass er ein Weltenbummler sei und auf der Suche nach neuen Forschungsergebnissen dabei die verschiedensten Länder erkunden wollte. Es machte mich so unglaublich neugierig. Und wissen Sie ...“ Diesmal war ich es, die den Chief Inspector direkt ansprach, „egal, wie viel ich arbeiten würde … es würde nie reichen, dass ich meinen Bruder vorzeitig zu mir holen könnte. Es würde auch nie reichen, dass ich für uns beide auf Dauer sorgen könnte. Davon abgesehen beginnt das Waisenheim nach der Ankunft eines Kindes gleich mit der Suche nach einer neuen Familie. Ich denke, es ist kein großer Unterschied zu denen hier in England?“ Sutherland zuckte mit den Schultern. Er schien nicht viel davon zu verstehen, was Waisenheime betraf, und ich erwartete es auch nicht von ihm. Ich konnte auch nur das berichten, was ich aus historischen Berichten und Dokumentationen erfahren hatte. „Ich hatte mit meinen ärmlichen Verhältnissen auch keine Chance auf Heirat. Der Doktor … Er verstand meine Situation und bot mir an, dass ich mit ihm reisen könne.“ „Und da gingen Sie einfach mit?“ „Nein … Ich machte mir Sorgen um meinen Bruder. Ich sagte dem Doktor, dass ich zumindest mit Raoul darüber reden wollte. Mein Bruder war allerdings erwachsener als ich gedacht hätte … ich sollte mitgehen. Sollte mir die Welt angucken. Er sagte, er würde das Pflegeheim eh bald verlassen und sich eine Arbeit suchen. Ich hätte genug für ihn getan.“ Ich setzte ein schwaches Lächeln auf. „Wie sind Sie mit dem Doktor bisher gereist?“ „Wir nutzten den Zug oder private Dienste. Oder gingen zu Fuß.“ „Dann lassen Sie mich zwei letzte Fragen stellen.“ Ich nickte und hörte aufmerksam zu, „In welcher Beziehung stehen Sie nun zu ihm?“ Natürlich … diese Frage ließ immer noch nicht los. „Er ist für mich ein guter Berater und Freund“, legte ich kurz und knapp dar. „Sie haben also nie … Avancen erhalten oder ihm gegenüber offenbart?“ „Keine einzige.“ „Meine letzte Frage … betrifft diese blaue Box, in der Sie beide gesehen wurden.“ „Sie … wollen gewiss wissen, wo die herkommt?“ Sutherland wirkte ein bisschen überrascht, nickte dann allerdings nur. „Ich habe keine Ahnung“, musste ich mit den Schultern zucken und dies war nicht einmal gelogen, denn ich hatte wirklich keine tiefere Ahnung dessen, wie die TARDIS gezüchtet wurde und was es brauchte, damit eine solche entstand. „Wir haben hier so etwas bisher noch nie gesehen. Zudem sie nach Ihrem Verlassen verschlossen scheint, aber John Smith hat keinen Schlüssel. Was hatten Sie also dort drin zu suchen und wie kamen Sie überhaupt hinein?“ Ich fragte mich insgeheim selbst, wie der Doktor es geschafft hatte, den Schlüssel vor den Beamten hier zu verstecken, konzentrierte mich dann aber lieber wieder auf Sutherlands Frage und legte den Kopf zur linken Seite. „Wir … haben uns versteckt.“ „Versteckt?“ „Als wir in London angekommen sind, haben wir uns leider in eine wohl sehr unbehagliche Gegend begeben und uns lauerte eine Gruppe auf. Wir sind vor ihnen geflohen.“ „Und dabei in eine so auffällige Box gegangen?“ „Nun ja … der Mensch ist manchmal sehr dumm.“ Dem konnte der Chief Inspector nichts hinzufügen. Das war leider die einfache Wahrheit. Es konnte schon mal sein, dass man eine Fehlentscheidung traf. Eine … offenkundig sehr große Fehlentscheidung. „Dann hatten Sie beide sehr viel Glück.“ „Die Gruppe rüttelten auch an der Tür, aber wir konnten von innen einen Riegel vorschieben und haben uns sehr leise verhalten. Sie nahmen wohl an, dass die Box generell verschlossen wäre.“ „Nun die große Frage, wer sie nach Ihrem Verlassen abgeschlossen hat?“ „Ich habe keine Ahnung, Chief Inspector.“ Sutherland nickte abermals und richtete sich auf. Um seinen Schreibtisch herumgehend, und an mir vorbei, hielt er vor dem gegenüberliegenden massiven Holzschrank an, welcher zwei mit Glasscheiben ausgestattete Türen inne hielt und drei über die gesamte Breite gehende Schubfächer darunter. „Ich möchte Ihnen nun etwas zeigen, Miss Garcia“, erklärte der Mann mittleren Alters und zog die linke Schranktür auf. Etwas hervorholend, was ich nicht erkennen konnte, da er direkt davorstand, musste ich abwarten, bis er wieder zu mir gegangen war, „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Wir behalten ungern Unschuldige in Gefangenschaft, aber neben Ihrem plötzlichen und sehr zufälligen Auftauchen hier, der Profession von John Smith, dieser seltsamen blauen Box und den bekannten Ripper-Morden sowie Ihrer … sehr dürftigen Kleidung, haben wir dann auch noch dieses Werkzeug, das uns Rätsel aufwirft.“ Ich hielt meinen Kopf neugierig über die Schulter gedreht, als er aber auch schon mit Trenchcoat und Schallschraubenzieher an mir vorbeiging und ersteren auf den Schreibtisch legte. Das gedankenmanipulierende Papier obenauf. „Können Sie mir etwas über dessen Gebrauch berichten?“ Sutherland hielt mir den Schallschraubenzieher direkt vor die Augen. Er hatte sogar schon die ausfahrbare Funktion entdeckt, denn das für ihn so seltsame Werkzeug verlängerte sich mit einem Mal. Wichtiger war allerdings etwas anderes: Die Gelegenheit, den Screwdriver wieder seinem Besitzer zurückzugeben. Die Frage war nur eben wie. Wenn der Doktor ihn sich schon nicht wieder zurückgeholt hatte, wie sollte ich das dann tun? Ich sah mich nicht als fähig genug an, einen Mann wie Sutherland auszutricksen. Aber es müsste eine Möglichkeit geben. Es musste einfach. „Sieht für mich wie ein Schraubenzieher aus, aber wie kann ich damit eine Schraube festdrehen? Und was ist das für ein Geräusch und dieses Licht?“ Ich atmete durch und hielt meinen Blick auf den Schraubenzieher gerichtet. „Das... kann ich Ihnen auch nicht sicher sagen“, erklärte ich und log dabei nicht einmal. Wer konnte schon die genaue Funktionsweise dieses Dinges verstehen, ohne es selbst erfunden zu haben? „Dürfte ich ihn vielleicht einmal … ?“ Sutherland hob skeptisch eine Augenbraue nach oben und sah dann von mir zu dem Gerät und umgekehrt. „Sie reisen mit John Smith und haben dieses Ding noch nicht in den Händen gehalten?“, mutmaßte er ungläubig, woraufhin ich nur mit den Schultern zucken konnte, „Der Doktor zeigt mir natürlich auch nicht alles, was er in seiner Tasche hat. Selbstverständlich.“ Ich versuchte es zumindest so selbstverständlich wie möglich klingen zu lassen. Diese Antwort klang aber auch für Sutherland glaubhaft genug. Mehr als surren und leuchten konnte es in seinen Augen nicht. Das Einzige, was ihn wirklich irritierte waren eben jene Effekte, Verarbeitung und Aussehen. Es passte nicht in sein Zeitalter. Und ich las ihm an der Nasenspitze ab, dass seine Neugier einfach größer war als die Sorge, dass es sich schlussendlich doch um eine gefährliche Waffe handeln könnte.„Also gut“, beschloss er letzten Endes und legte mir das Werkzeug langsam, ja beinahe in Zeitlupe, in die offene Handfläche. Als wäre der Gegenstand eine Granate, die jederzeit hochgehen könnte, wenn man sie nicht vorsichtig genug behandelte. Den Screwdriver behutsam entgegen nehmend, hatte ich nun zum ersten Mal die Gelegenheit, ihn mir selbst ganz genau en détail anzusehen und mir seine Merkmale einzuprägen. Ich konnte in der Tat verstehen, warum Unwissende von diesem Gerät so fasziniert waren. Zwar hatte ich in meiner eigenen Realität einen Spielzeug-Screwdriver gekauft und weiter verschenkt, aber der echte war noch viel beeindruckender und vor allem auch... schwerer. Moment mal! Synapse geschaltet! Wie … konnte das eigentlich sein? Wenn das hier alles echt war – und den Schmerzen in meinem Hintern von der harten Pritsche nach zu urteilen, konnte es nur so sein – wie war es dann möglich, dass es Fanartikel gab? Für den Bruchteil einer Sekunde riss meine Aufmerksamkeit ab und verlagerte sich auf meine eigene Situation. Ich war in die TARDIS gestolpert und musste mich damit abfinden, dass David Tennant eben nicht den Doktor spielte, sondern der Doktor mit Tennants Gesicht vor mir stand und niemand anderes als er war: der Doktor. Wie war das alles möglich? „Und?“ Die Stimme des Chief Inspectors erinnerte mich an die aktuelle brenzlige Lage, in der ich steckte und ich schüttelte schließlich den Kopf, wiegte ihn hin und her. Wohl auch, um Zeit zu schinden, denn ich hatte keine Idee, wie ich mit dem Ding hier wieder rausmarschieren konnte. „Sie können mir also auch nichts dazu sagen?“ Wieder ein Kopfschütteln meinerseits. Der Chief Inspector seufzte und senkte den Kopf. Er rieb sich über den Nacken und versuchte irgendeine sinnvolle Erklärung für das zu finden, was vor ihm lag und statt Antworten nur neue Fragen aufwarf. „Nun gut, und was-“ „Chief Inspector Sutherland?“ Wir beide sahen vollkommen überrascht über diese plötzliche Störung auf und entdeckten einen jungen Polizisten in der Tür stehen. Er hatte nicht einmal angeklopft, sondern war einfach reingekommen. Anhand des Gesichtsausdruckes von meinem Gegenüber war klar, dass dies kein geplanter Besuch war und so reagierte er auch entsprechend: „Herrgott nochmal, hat man Ihnen nicht beigebracht, wie das hier funktioniert?“, blaffte Sutherland den jungen Mann an, der daraufhin verschreckt zusammenzuckte, „Wer sind Sie und welcher Abteilung gehören Sie an?“ Sutherland trat näher zu ihm und sah auf den weitaus Kleineren hinab. „C-Constable Henry Parker, Sir. I-Ich unterstehe Inspector Mauland, Sir.“ „Mauland …“, grummelte Sutherland und ließ einen weiteren Seufzer von sich, „Ist das Ihr erster Tag, Parker?“ „J-Ja, Sir!“ Irgendwie tat er mir leid. Der Polizist wirkte nahezu verloren gegenüber dieses großen alten Hasen und je mehr Sutherland auf ihn verbal einprügelte, desto kleiner wurde er. Dabei hatte er schon eine zierliche Figur und war nicht besonders groß geraten. Die Uniform saß ziemlich locker an seinem Körper. Seine kurzen roten Haare ließen ihn auffallen – und das war mit dem heutigen Auftakt nicht gerade positiv für ihn verlaufen. „Lernen Sie die Regeln!“, fuhr der Ältere ihn erneut an, „Wenn meine Tür zu ist, ist sie zu. Solange sie keine Informationen haben, die über Leben und Tod entscheiden, bleibt sie auch zu. Verstanden?“ „J-Ja...“ Seinem Untergebenen namens Parker den Rücken zukehrend, schritt Sutherland erneut zu seinem Schreibtisch zurück. „A-Aber Chief Inspector … Inspector Mauland meinte, dass ich Ihnen unbedingt etwas sagen sollte.“ „Dann soll das Mauland selbst tun und-“ „Inspector Mauland hat einen neuen Tatverdächtigen bezüglich der Ripper-Morde festgenommen!“, ließ Parker den anderen nun nicht einmal ausreden und sorgte dafür, dass wir beide ein zweites Mal aus allen Wolken fielen. „Er hat was?“ „E-Einen Tatverdächtigen festgenommen, Sir“ „Das habe ich verstanden!“, blaffte Sutherland lauter und drehte sich direkt dem Jüngling zu. Seine Nasenflügel bebten und seine Haltung hatte sich angespannt. Er schien mit irgendetwas zu hadern und warf mir dabei einen längeren Blick zu. Was war los? Natürlich bedeutete dies, dass wir nun mehr nicht mehr die einzigen neuen Verdächtigen wären, deren Alibi man nachgehen musste. Während unser Zellengenosse ebenso wenig handfeste Beweise lieferte, war es eine neue Spur, der man zu folgen hatte. Es konnte ebenso bedeuten, dass uns bald die Freiheit erwartete, weil es keinen Grund gab, uns länger festzuhalten. Oder aber, sie behielten uns doch länger da, weil sich die Ermittlungen verzögerten … Ich hoffte inständig nicht auf weitere Tage trocken Brot und unhygienische Klokabinen. „Mauland ist in seinem Büro nehme ich an?“ „J-Ja.“ „Und der Verdächtige ebenso?“ „Ja.“ Ein unangenehmes Schweigen erfüllte die Luft. Sutherland zögerte eindeutig. Mehr als das. Er blickte wieder zu mir und dann zu dem kleinen Parker, ehe er zum dritten Mal in dieser kurzen Zeit seufzte. „Constable Parker“, rief er mit fester Stimme in seinem üblich delegierenden Ton, so dass der Neue Scotland Yards augenblicklich stramm stand, „Sie werden in meiner Abwesenheit auf Ms. Garcia Acht geben. Ich schicke Ihnen Sergeant Lead.“ „Ja, Sir. Jawohl, Sir.“ Noch einmal sah Sutherland zu mir, und ich glaubte, dass er mir irgendwie mitteilen wollte: „Tun Sie bitte nichts, was mir noch weiteren Ärger macht. Der Junge ist naiv.“ Ich sah zu Parker und musste mir ein schiefes Lächeln verkneifen. Ja, allerdings. Der Junge war unbeholfen. Und es tat mir leid. Leid, weil ich Sutherland diese Bitte nicht erfüllen konnte. Ebenso tat es mir Leid, weil ich Constable Parker noch mehr Ärger zusetzen würde, als er es an diesem ersten Tag hier schon selbst geschafft hatte. Kaum mehr hatte der Chief Inspector den Raum verlassen – in meinen Händen immer noch der Screwdriver, den er entweder vergessen oder als Spielzeug und nicht als Mordwaffe abgetan hatte – war es erneut still im Raum und ich beschloss, sie nicht lange aufrecht zu erhalten. „Constable … Parker?“ Der Angesprochene hob den Kopf. „Könnte ich vielleicht etwas zu trinken bekommen?“ Statt zu antworten, sah er mich fragend an, als hätte ich Chinesisch gesprochen, „Wir bekommen als Untersuchungshäftlinge nicht gerade viel Luxus zu spüren … mein Hals ist seit gestern Nacht ziemlich trocken. Bitte? Ein Glas Wasser?“ Noch lieblicher konnte ich meine Stimme nicht klingen lassen und ich hasste es, wenn ich so mädchenhaft tun musste. Ich konnte es nämlich eigentlich gar nicht. „Eh …“ Ich spürte, wie Parkers Augen von Kopf bis Fuß über meinen Körper wanderten. Vermutlich war es für ihn das erste Mal, dass er so jemand nacktes sah. Deswegen guckte er sich gleich daraufhin hektisch nach einer Karaffe oder dergleichen um. Zu spät, mein Lieber. Ich hatte es bereits mitbekommen, dass du mich angestarrt hast. „T-Tut mir leid, aber ich sehe hier kein Wasser.“ „Ja, ich weiß. Vielleicht … könnten Sie mir aber eins bringen?“ „M-Miss Garcia … Ich kann nicht … b-bitte verzeihen Sie mir, aber Sie sind hier gefangen und ich Sie nicht allein lassen.“ Ja, sehr ehrenhaft, wie er versuchte seine Position zu wahren. Den Schallschraubenzieher, den ich in meiner rechten Hand hielt und welcher der Polizist bisher noch nicht gesehen hatte, hielt ich nun gut zu meinem rechten Bein auf der Sitzfläche des Stuhl mit der Hand gerückt und setzte ein freundliches Lächeln auf. Ich überschlug dieses mit meinem linken Bein, was ihn gleich noch etwas mehr ins Schwitzen brachte. „Keine Sorge. Ich verschwinde nicht. Wir haben nichts getan und ich will nicht, dass ich mir den Ärger des Chief Inspectors einhandle. Oder dass Sie welchen abbekommen. Ich hätte wirklich nur gerne ein Glas Wasser.“ Er zögerte immer noch, aber wie er sich auf seine Unterlippe biss, wollte er auch nicht der unmenschliche Polizist sein, der einer Frau diese simple Bitte abschlug. „I-Ich habe keine Ahnung, wo ich hier Wasser vorfinde?“ „Stimmt, Ihr erster Tag, nicht?“ Parker nickte leicht, „Erste Tage sind schwer.“ Daraufhin erfuhr ich ein weiteres Nicken, „Sie sind frisch gelernt?“ „Genau!“ Nun erfüllte sogar so etwas wie stolz seine Augen und er streckte die Brust raus. „Keine Sorge, das kriegen Sie schon hin“, sprach ich aufmunternd und meinte es auch so, „Sie werden gewiss ein guter Polizist werden.“ Es waren aufrichtige Gedanken, die ich aussprach, aber dennoch sorgten sie auch dafür, dass sich eine Lücke vorfinden ließ, mit der ich hindurchschlüpfen könnte: Parker räusperte sich daraufhin nämlich und rückte sich seinen Kragen zurecht, „Ich … werde einmal schauen, ob ich ein Glas Wasser oder Tee für Sie finde.“ Er drehte sich um und öffnete die Tür. Dann blieb er aber noch einmal stehen und wandte sich zu mir um, „Und nicht abhauen!“ Den Zeigefinger streng erhoben haltend, sah ich das Aufzucken seiner Mundwinkel. „Verstanden, Constable Parker!“, erwiderte ich das Lächeln und winkte ihm nach. Daraufhin ging er durch die Tür, schloss sie hinter sich und ließ mich allein. Eine Sekunde … zwei Sekunden … drei Sekunden … Aufspringend, schnappte ich mir das gedankenmanipulierende Papier, welches ich sicher in meine Hosentasche verstaute und legte den Trenchcoat des Doktors fix zusammen, damit ich ihn ohne Probleme transportieren könnte. Den Schallschraubenzieher behielt ich in der Hand, bereit ihn jederzeit einzusetzen. Nur dass ich keine Ahnung hatte, wie. Ich hoffte schlicht, dass ich es nicht müsste. Zur Tür tapsend, öffnete ich diese einen Spalt, dass ich gerade einmal meinen Kopf hindurch stecken konnte und kontrollierte den Gang. Niemand zu sehen. Die Luft war rein. Parker wäre in die Richtung gegangen, wo die Empfangshalle und die anderen Büros lagen. Ich musste zu den Untersuchungshaftzellen. So leise wie möglich schlich ich voran, duckte mich an Bürotüren mit Glasscheiben vorbei und erlitt an jeder Ecke einen kleinen Herztod, als ich diese überwinden musste – denn wenn mir jemand begegnet wäre, hätte meine Odyssee ein jähes Ende gefunden. Manches Mal hatte ich doch mehr Glück als Verstand und so erreichte ich die Zellen ohne weitere Vorkommnisse. Als ich in den Raum trat und der Doktor aufsah, wurde ich zum ersten Mal Zeuge seines verblüfften Ausdrucks in den Augen. Erklären könnte ich später alles, jetzt gab es aber nur eins zu tun: Ich eilte zu unserer Zelle und reichte ihm durch die Gitterstäbe den Schallschraubenzieher. „Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben!“, sprach ich leise, „Und nein, ich habe ihn nicht überzeugen können.“ „Das dachte ich mir“, stimmte der Doktor nicht unbedingt erfreut zu und machte sich bereits mit dem bekannten Geräusch des Screwdrivers dran, das Schloss zu knacken. „Sie haben einen weiteren Verdächtigen gefunden und mich deswegen aus den Augen gelassen.“ „Einen weiteren Verdächtigen?“ „Ja, und ich habe damit einem Neuling ziemlichen Ärger bereitet.“ „Das wird er überleben.“ Quiiier... Noch nie fand ich das Quietschen alter Gittertüren so erfrischend und beglückend wie in diesem Moment. Ich hielt dem Doktor seinen Trenchcoat hin, welchen er sich augenblicklich überwarf. „Zum Freuen ist es allerdings noch zu früh“, ließ er verheißen und eilte in großen Schritten auf die Tür zu, die zur Freiheit führen würde. „Hey, nehmt ihr mich nicht mit?“ Wir drehten uns ein letztes Mal um und erblickten nun auch das Gesicht des Gefangenen, der in der Arrestzelle neben uns verweilte. So, wie ich es mir bereits bei den spärlichen Konversationen gedacht hatte, war es kein besonders sympathisches Gesicht, welches er vorzuweisen hatte. Und durch seinen Aufenthalt hier, wirkte er gewiss noch abgenutzter und müder als sowieso schon. Sollte ich auf diese Aufforderung etwas sagen? Ich schaute zum Doktor, welcher wiederum keine Anstalten zu machen schien, dem anderen diesen Gefallen zu tun. Stattdessen kehrte er unter Worten der Protesten den letzten Stunden, die wir hier verbracht hatten, den Rücken zu. Ich glaubte, seine Reaktion verstehen zu können. Wir durften die Geschichte nicht noch weiter ändern, als wir es schon mit unserer bloßen Anwesenheit taten … Und vielleicht wusste der Doktor sogar noch ein bisschen mehr, was jenen Gefangenen betraft, der sich jetzt damit abfinden müsste, dass wir ihn auf ewig verließen.   Wir drückten uns den Flur entlang. Auch jetzt war es noch ruhig, aber das hatte nichts zu sagen. Von einiger Entfernung konnte man Lachen und Gemurmel hören, aber keine verdächtigen Stimmen, die nach uns suchten. Entweder war Parker immer noch auf der Suche nach Wasser oder aber er hatte mein Verschwinden zwar bemerkt, war aber unsicher, was er nun tun sollte. Immerhin ging es auf seine Kappe, weil er mich allein gelassen und damit meine Flucht begünstigt hatte. Wachsam bleibend und da vier Augen bekanntlich besser als zwei sahen, bahnten wir uns unseren Weg und kamen dem Ausgang näher und näher. Trotzdem liefen wir auf diesen letzten Metern fast drei Köpfen von Beamten entgegen. Wäre auch zu schön gewesen. Wir sahen nach links und rechts und ehe ich mich versah, hatte der Doktor mich in den Storage Room gezerrt, der sich als kleine Rumpelkammer entpuppte. Wir hatten gerade mal so viel Platz, dass wir uns mit etwas Winden nicht auf die Füße treten würden. „Die Abstellkammer? Ihr Ernst?“, rutschte es mir da leise raus und obwohl ich in der Dunkelheit nichts sah, konnte ich mir vorstellen, wie der Timelord neben mir gerade das Gesicht verzog, „Ach seien Sie still!“ Er schob mich unbewusst zur Seite und legte wohl das Ohr an die Tür. „Sie wissen, dass dies ein absolutes Klischee ist?“ Ich legte mein Ohr ebenso an das Holz. Da standen wir nun und warteten darauf, dass die drei Polizeibeamten an uns vorbeigehen würden. Erst als die Lautstärke wieder abebbte, war der Doktor bereit mir zu antworten, „Ach, zu damaliger Zeit hat das auch noch funktioniert. Wir sollten weiter“, erinnerte er mich. Die Tür einen Spalt öffnend, wollte er nachschauen, ob die Luft rein war – aber zack – Schon zog er sie eiligst wieder zu und drückte mich dabei versehentlich gegen das Regal hinter uns. Ich verzog das Gesicht, weil mir irgendwas in den Rücken pikste und gab einen kleinen Wimmerton von mir. „Psst!“ Die Ermahnung des Timelords kam keine Sekunde zu früh, denn mit einem Mal erlebten wir ein erneutes Stimmengewirr, diesmal begleitet von eiligen Schritten: „Ich glaub es nicht, dass sie sich von einer kleinen Hure hinters Licht haben führen lassen!“ Diese Stimme war uns beiden nicht bekannt, aber das Toben in ihr ließ uns wissen, dass der Mann, dem sie gehörte, nicht gerade gut gelaunt war, „Ich dachte, man hätte Ihnen zumindest das in Ihrer Ausbildung beigebracht, Parker!“ „J-Ja Sir, aber … sie wirkte wirklich durstig und-“ „Ach seien Sie ruhig!! Wenn das der Chief Inspector erfährt, haben nicht nur Sie ein Problem, sondern auch ich!“ Ups... „Ich glaube, die reden von Ihnen“, flüsterte der Timelord für mich fast schon ein bisschen zu amüsiert, so dass ich ihn mit meinen Ellbogen in die Seite stupste – oder das, was ich glaubte, was seine Seite war. Zu duster. „Ich schwöre Ihnen, wenn wir sie nicht finden, wird Ihr Kopf rollen, Constable!“ Doppel-Ups. So viele Probleme wollte ich dem jungen Kerl eigentlich nicht bereiten, aber da hatte ich auch keine Wahl. Seinetwegen konnte ich mich schlecht bis zum Erhängen gefangen halten lassen, oder? Trotzdem entschuldigte ich mich in Gedanken aufrichtig bei ihm. „W-Was soll ich jetzt tun, Sir?“ „Sie?“ Die beiden blieben genau vor unserer Rumpelkammer stehen, was mir das Herz in die Hose rutschen ließ. Ich hielt den Atem an. „Sie, mein Freundchen, werden gar nichts mehr tun außer mir nicht mehr von der Seite zu weichen. Und jetzt gehen wir zu den Haftzellen. Mir schwant Übles.“ Womit er gar nicht Unrecht hatte … denn wir waren nicht mehr da. Die Schritte entfernten sich unter kräftigem Stapfen wieder. Noch einige Sekunden im Dunklen ausharrend, begann meine Nase in diesem ungünstigen Moment zu kribbeln. Als mir dann – obwohl ich es natürlich versuchte zu unterdrücken – ein Niesen entwich, hoffte ich nur, dass gerade nicht noch jemand auf dem Gang war. „Entschuldigung“, flüsterte ich. … Wir sollten Glück haben. Der Doktor öffnete die Tür, steckte den Kopf raus und ergriff daraufhin meine Hand. „Wie kommen wir raus?“, entfuhr es mir, als wir gemeinsam so flink wie möglich weiterschlichen und an der nächsten Ecke Halt machten, von wo Parker und sein Vorgesetzter gekommen sind. „Nun …“ Der Doktor zog seine Antwort in die Länge, lugte vorsichtig um die Biege und sah dann mit einem Grinsen auf den Lippen zu mir, „Improvisation.“ Mir wäre beinahe die Kinnlade runtergefallen, denn auch wenn ich die Serie und somit den Timelord ein klein wenig kannte, wollte ich gerade nicht glauben, dass das hier ein Trial and Error-Verfahren darstellte. Ich hatte für meinen Geschmack schon genug improvisiert. Demnach eröffnete sich mir nur eine einzige weitere Frage: Wie viel Zeit hätten wir wohl, bis der Alarm losging? „Sie sind weg!!“ Hinter uns erklang die Stimme des Inspektors, welcher Parker gerade eine Standpauke gehalten hatte. Dem Hall nach waren sie noch auf dem Fuße der Gefängniszellen, doch das konnte sich rasch ändern. „Improvisation ist gut!“, stimmte ich zu. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre ich wohl gerne wie Rose mit dem Doktor gerannt, doch wenn es um das eigene Leben ging, machte es nicht einmal halb so viel Spaß. Wir flitzten ohne Rücksicht auf Verluste durch den nächsten Gang zu unserer Rechten und laut meines bisherigen Orientierungsplans müsste nun eigentlich die Eingangshalle folgen. Da … konnten wir nicht einfach durch, oder? „Doktor, wohin?“ Mitten im Flur stehend, blieben uns nur zwei Wege: durch die nächste Tür geradeaus ging es zum öffentlichen Aufenthaltsraum. Durch die ebenholzfarbene Tür rechts von uns, die vom Stil komplett anders gehalten und massiver war als die übrigen Gebäudetüren, würde die Eingangshalle auf uns warten. „Wir können doch nicht da durch oder?“ „Nein, können wir nicht.“ „Aber dann-“ Nichts aber dann. Ein mehrbeiniges Stapfen hinter uns erklang und drohte uns schnellen Tempos einzuholen. Der Doktor preschte mit mir durch die Tür vor uns. Der Aufenthaltsraum, welchen wir so forsch betraten, hatte einige Menschen inne: zwei Polizisten, die verwundert dreinschauten, was unser Aufzug sollte, und ebenso zwei drei Besucher. Im Nachhinein glaube ich, dass dies mehr ein Wartezimmer war als alles andere. Alles, was ich allerdings in jenem Moment über die Lippen bekam, war ein „Schönen guten Tag!“ oder ein „Verzeihung die Störung“ an die Anwesenden, was diese zusätzlich irritierte, zumal der Doktor ein „Entschuldigung! Dringender Notfall!“ von sich gab und dann mitten im Raum mit mir an der Hand stehen blieb und sich umsah, „Fenster! Fenster sind gut!“, nickte er und wandte sich grinsend zu mir um: „Wissen Sie, was die Situation jetzt durchaus noch besser machen würde?“ Ich schüttelte überfordert den Kopf. „Eine Banane.“ „Wie?“ „Entschuldigung der Herr!“, erklärte sich der Doktor gar nicht erst weiter, sondern sprach den nahe an der Fensterscheibe stehenden Polizisten an, „Könnten Sie bitte das Fenster öffnen? Wir haben einen Notfall!“ Der Polizeibeamte schien so verwundert, dass er gar nicht anders konnte, als dieser Bitte nachzukommen und entriegelte den Rahmen, um danach die Scheibe hochzuschieben. „Kommen Sie, nach Ihnen“, schob mich der Timelord vor und mir dämmerte endlich, was er vorhatte. Ich kraxelte auf das Fenstebrett, und zwängte mich durch den Laden. Mein Blick glitt hinab – es war nicht tief. Wir befanden uns immer noch im Hochparterre. Ich sollte nur nicht auf der Nase landen. „Sie können noch nicht weit sein!“, erklang wieder die bedrohliche Stimme des Inspektors und ich überwand meine Zweifel, ob ich mir nicht doch einen Knochen brechen würde. Meine Knöchel bedankten sich im beim Aufkommen am Boden, aber ich landete sicher mit beiden Füßen in der Hocke. Gerade wollte ich noch aufsehen, da war der Doktor auch schon wieder an meiner Seite. Wir befanden uns jetzt im schlichten Vorgarten. Unweit von den Mauern des Hauses befand sich eine Mauer aus Ziegelsteinen, auf denen zur Absicherung, dass niemand einfach rüberkletterte ein Zaun aus Gusseisen und pfeilartigen Zacken bestückt war. Wir konnten nicht einfach auf die offene Straße rennen, sondern mussten wenigstens um die Hausecke herum und dann … am besten einen schnellen Sprint einlegen. „Hier entlang!“ Oder aber eine Stelle in der Mauer wissen, die ein Loch besaß, durch welches wir hindurch konnten. Wie … klischeehaft. Ich wusste nicht, wovon ich mehr überrascht sein sollte: dass der Doktor so fix einen Ausstieg gefunden hatte oder dass wir hier von Klischee zu Klischee sprangen. Ich duckte mich unter den gebrochenen Ziegelsteinen durch und musste mir dann auf der anderen Seite ein Stück Buschzweige aus den Augen halten. Endlich fand ich dann sogar eine Beschilderung an einer der Hauswände gegenüber: Whitehall. Wir befanden uns mitten auf der Hauptstraßen? Wie dämlich … war das nur? „Los, rennen Sie! Wir sind noch lange nicht in Sicherheit!“, rief der Doktor. Wir überquerten im Schlängel-Sprint die Whitehall Street. Kutschen und Fußgänger ausweichend, die uns entgegen kamen. Und da wusste ich es wieder: Hier bin ich schon einmal gewesen! Ich hätte fast angehalten, hätte der Doktor mich nicht mit sich gezogen, denn nur ein Stück weiter konnte ich den Big Ben sehen. Die wunderbare Turmuhr, welche sich in die Höhe zu erstrecken wusste und mit ihrem großen Ziffernblatt imponierte. Sie sah nicht anders aus als vor zwei, drei Jahren, eher noch … ein bisschen frischer. Neu gebauter. Weiter ging unsere Flucht und irgendwie zeichnete sich bei mir einfach ein Lächeln auf den Lippen ab. Obwohl es gefährlich war und obwohl wir einiges zu befürchten hatten, so war es auch einfach unbeschreiblich, was diese Reise in die Geschichte der Menschheit, nein eigentlich des ganzen Universums, betraf. Und hier, wo ich selbst schon zweimal gestanden hatte, vermischten sich diese Eindrücke von Unglauben und Unbeschreiblichkeit mit einem kleinen Hang zur Nostalgie. Ich wusste genau, was vor uns gelegen hätte, wären wir der Straße gefolgt. Die Downing Street, das Denkmal für die Frauen im Zweiten Weltkrieg, die Westminster Bridge, der Big Ben, die Westminster Abbey, das Victoria Embankment, … so viele tolle Dinge, die ich nicht so schnell geglaubt hatte wiederzusehen. Unser Weg führte uns allerdings zum St. James Park. Ein Ort, den ich bisher noch nicht kennengelernt hatte. Es war nur logisch, dass wir hierher gingen. Hier konnten wir Luft holen und würden erst einmal sicher sein. Es gab noch keine Funksprecher, geschweige denn Handys oder überhaupt Telefone. Ansonsten hätte man auch die blaue Telefonbox wiedererkannt. Alles lief über Mundpropaganda ab und dies bedeutete mühselige Arbeit für die Polizei. Erst mitten im Park verlangsamten wir jedoch unser Tempo. „Wir … sind sie jetzt wohl für einige Zeit los?“, vermutete ich und musste ein wenig nach Luft japsen. Ich spürte ein heftiges Seitenstechen und drückte mir die Hand in die Flanke, damit es aufhörte. Der Doktor blies einmal die Luft aus, die sein Körper noch angestrengt gesammelt hatte, „Auch wenn wir fortan auf der Suchliste stehen werden, ja“, bestätigte er und behielt mich ein bisschen länger im Blick als nötig. „Was?“, rutschte es mir da heraus und der Timelord lächelte leicht. „Wie genau haben Sie es geschafft, an den Sonicscrewdriver zu kommen?“ Blinzelnd konnte ich nun selbst nicht anders als ein Lächeln zurückzugeben. „Na ja … Ich habe lediglich um ein Schluck Wasser gebeten.“ Diese Antwort sorgte für einen irritierten Ausdruck in den Augen des Doktors, „Chief Inspector Sutherland wurde von einem anderen Beamten gerufen, und er ließ mich wider Willens mit Constable Parker allein. Er hatte mir zuvor die Beweise vorgelegt und mich danach ausgefragt. Und dann … fragte ich nach einem Glas Wasser.“ Nun musste der Doktor fast schon auflachen. „Das ist nicht Ihr Ernst?“ „Was dachten Sie denn?“ „Irgendetwas … Außergewöhnlicheres. Etwas … Bewegendes.“ „Für mich war das bewegend genug!“, erinnerte ich mich an meinen rasenden Herzschlag, als ich den Screwdriver hatte langsam in meinen Besitz übergehen lassen und wie ich gebangt hatte, dass Parker meiner Bitte nachgab. „Tut mir leid, spektakulär ist was anderes, ich weiß“, fügte ich spaßeshalber noch hinzu. „Nein, Sie waren brillant.“ Aufhorchend und zum Doktor sehend, konnte ich ihm an den Augen ablesen, dass er es auch so meinte. Ich senkte leicht verlegen den Blick. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. „Na ja …“ „Ihr brillanten Menschen. Egal, in welcher Lage ihr steckt, ihr findet immer einen Weg.“ „Um ehrlich zu sein … habe ich ganz schön gezittert.“ „Nicht zu verdenken.“ „Wie machen Sie das? Nicht zu zittern?“ „Oh … Routine“, winkte er mit einer Grimasse ab und steckte die Hände in die Trenchcoat-Taschen, während er gemütlicher schlenderte. „Routine? Ihr Ernst?“ „Natürlich.“ Ich konnte nicht anders als nach einem Moment des Schweigens zu kichern und schließlich in ein Lachen einzufallen. Routine. Klar. Für den Doktor war das ganze Rennen mehr als nur Routine. „Was?“ Ich sah auf und konnte meinen Lachflash gerade mal ein paar Sekunden anhalten, ehe ich wieder lachte. „Was?“ Das Gesicht, das er dazu auch noch zog, machte es nicht besser und ich hielt mir schließlich sogar den Bauch vor Schmerzen in der Muskelregion – mit dem Seitenstechen war das eine ziemlich üble Kombination. „N-Nichts“, brach ich hervor und verschreckte dabei zwei Enten, die sich am Flussufer hatten niederlassen wollen und mir nun ein verärgertes Quaken schenkten. „Hören Sie auf!“ Nein, das konnte ich wirklich nicht, so sehr ich auch wollte. Ich winkte ab, versuchte etwas zu sagen, aber musste es lassen. Keine Chance. Der Doktor starrte mich einfach nur verständnislos an und ich konnte es ihm nicht verdenken. Ich musste mich einfach nur auslachen – und tatsächlich wurde ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder ruhig. Das … hatte gut getan. „Sind Sie fertig?“ „E-Entschuldigung“, atmete ich angestrengt durch und stieß noch einmal kräftig die Luft aus, um wirklich wieder ernst sein zu können. Jetzt aber. „W-Was … tun wir als nächstes? Zur TARDIS?“ Das war das, was ich mir am ehesten von allen Möglichkeiten einfiel. Zudem wir auch einen ziemlich weiten Weg dorthin hatten, wenn ich mich an die Hinfahrt zu Scotland Yard erinnerte. Das könnte dauern und wir sollten alsbald aufbrechen. „Allerdings“, hörte ich den Timelord tonlos seufzen, wohl erleichtert, dass ich es erwog normal zu sprechen und nicht wie ein Huhn zu gackern. „Neue Verdächtige hin oder her, sie sollten uns nicht ein weiteres Mal festnehmen.“ Die Ruhe, die von dem Park ausging, übertrug sich auf uns und so genossen wir fast schon die Möglichkeit, Luft zu holen und entspannt unseren Weg zu suchen. Ich hatte endlich die Gelegenheit, mich ein wenig mehr im viktorianischen London umzusehen. Und da die Parkarchitektur Englands für mich immer noch unübertroffen war, konnte ich mich jedes Mal aufs Neue in diese verlieben. So ausgelassen ich eben gelacht hatte, so in mich gekehrt schien ich dem Doktor in jenem Augenblick zu sein. Er sprach mich nicht an, beobachtete mich nur – das spürte ich im Nacken. „Ich bin letztes Jahr durch den Regent's Park spazieren gewesen. Londons Parkanlagen begeistern mich immer wieder aufs Neue.“ „Wie oft waren Sie schon in London?“ „Zwei Mal. Das erste Mal alleine. Das zweite Mal …“ Ich brach bewusst ab und sah ihm direkt in die Augen, herzerwärmt lächelnd. Ich musste nur in dieses Gesicht sehen, um mich an meinen eigenen Doktor zu erinnern. Der Grund, warum ich überhaupt erst so einen Narren an den zehnten Doktor und damit an David Tennant gefressen hatte. „ … mit meinem Mann.“ „Sie sind verheiratet?“ Hatte ich ihn damit jetzt geschockt? „Nein, sind wir nicht. Noch nicht.“ „Ihr Zukünftiger also?“ „Wenn Sie es so nennen wollen.“ „Dann sollte ich Sie also erst recht wohlbehalten wieder zurückbringen.“ „Ich bitte drum.“ Der Doktor kratzte sich einmal am Ohr und legte ein langes „Naar“ hin, „Ich werde es mir überlegen. Sie werden wohl einiges zu erzählen haben. Denken Sie, er wird Ihnen glauben?“ „Oh gewiss, Doktor. Gewiss.“ „Was macht Sie so sicher?“ „ … Erfahrung.“ Ich lachte erneut, aber dieses Mal im normalen Ausmaß. Der Doktor wiegte anerkennend den Kopf zu beiden Seiten und hob die Schultern, „Nun, das ist natürlich ein Grund.“ „Veräppeln Sie mich?“ „Nur ein bisschen.“ Wir waren also dem Gefängnis entkommen und die letzte Nacht in diesem erschien mir mehr ein Traum als Realität zu sein. Eigentlich erschien mir alles mehr wie ein Traum. Aber wer konnte schon behaupten, dass er zur Zeit Queen Victorias in London flaniert war? Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als mir der Gedanke aufkam, dass es vielleicht nicht das letzte Abenteuer gewesen ist, welches ich an der Seite des Doktors erleben sollte. Irgendetwas in mir sagte, dass es nicht das einzige Kapitel dieser Geschichte gewesen wäre. Dass es … noch mehr geben könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)