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Blood and Whine

Ist doch alles Käse!
von

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(Un)echte Einhörner

Unser Plan war absolut wahnsinnig. Allein die Tatsache, dass Syanna dafür Feuer und Flamme war, während sowohl Regis als auch Theodor die Zweifel in ihren Mienen nicht verbergen konnte, verriet mir das ziemlich klar. Doch welche Wahl blieb uns? Diese Krul würde sicher nicht mit ihrem Feldzug gegen alles und jeden warten, bis wir eine bessere Idee hatten, wie wir sie um die Ecke bringen konnten. Also musste es so gehen. Ich hoffte nur, dass Geralt mit Annarietta klar kam und die sich überzeugen ließ, den Kopf einzuziehen. Zu gut konnte ich mir vorstellen, wie sie in ihrer Rolle als Herzogin gänzlich aufging und versuchen wollte, ihrem Volk in dieser düsteren Stunde Mut zuzusprechen. Blöderweise war sie eines der beiden Ziele Kruls und wenn sie sich der Vampirkönigin auf dem Silbertablett servierte, könnte auch Geralt ihr nicht mehr helfen. Nur darüber nachzudenken, bereitete mir Kopfschmerzen.

“Brechen wir am besten direkt auf”, meine Syanna, die sich im gleichen Atemzug auch schon aufrichtete. Ich nickte automatisch. Sie hatte Recht. Wir sollten keine Zeit verplempern. Krul würde sicher nach beiden Schwestern suchen und solange sie das tat, hatten wir die besten Chancen, die wiederauferstandene Vampirkönigin in die Falle zu locken. Dann blieb uns nur zu hoffen, dass die auch funktionierte, immerhin verließen wir uns auf Einhörner, die faktisch betrachtet, nur eine Illusion waren, ein Zauber, nicht real. Ich schauderte und schob diesen Gedanken beiseite. Es war unsere beste Chance. Außerdem wollte ich dieser Krul heimzahlen, was sie getan hatte. Nicht nur, dass sie die Zeitlinie kräftig zerlegt hatte, die ich so krampfhaft beisammen hatte halten wollen, sie hatte sich obendrein an meinen Babys vergriffen. An Kruls Händen klebte das Blut der Winchesters und ich war willens, dafür zu sorgen, dass ihres an meinen klebte.

Räuspernd erhob sich nun auch Regis. “Nun, ich versprach, auf dich achtzugeben”, meinte er, den Blick auf mich gerichtet. Dabei zierte ein Lächeln seine Züge. “Danke”, gab ich leise zurück. Dass Regis lieber Dettlaff aufsuchen wollte, konnte ich mir gut vorstellen, doch wir wussten ja, wo er wartete, in Tesham Mutna. Vermutlich wäre ich dann genauso ein Ziel seiner Wut wie Syanna, immerhin hatte auch ich den armen Kerl belogen. Stumm schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel, dass Dettlaff meine Erklärung anhören würde und dann verstand, wieso ich nicht ehrlich hatte sein können. Anders als ein gewisser anderer Jemand. Mein Blick glitt über Syanna, die auffordernd zu Theodor sah. “Na los, wir haben nicht ewig Zeit. Oder wirst du etwa kneifen, Vampir?”, konnte ich sie schon wieder provozieren hören. Ich seufzte leise und hängte mir meine etwas Stofftasche um, in der ich meine wenigen Habseligkeiten herumschleppte. “Das kann ja heiter werden…” Jetzt war es Regis, der seufzte, als wolle er mir zustimmen.
 

Wie Wärme der Gruft wieder zu verlassen, um in die nasse Kälte der Nacht herauszutreten, kostete mich Überwindung. Einladend war wirklich etwas anderes. Bibbernd schlichen wir vom Friedhof in Richtung Palast. Dort war auf jeden Fall das Zauberbuch und hoffentlich eine auch noch quicklebendige Herzogin. Darüber, wie wir Kruls Aufmerksamkeit erregen konnten, machte ich mir keine Gedanken. Eher darüber, wie wir dieser Aufmerksamkeit noch ein Weilchen entgehen konnten. Wenn die Vampirkönigin uns zu früh entdeckte, fiele unser Plan wahrscheinlich ins Wasser. Welche Folgen das für Beauclair, wenn nicht ganz Toussaint oder ein noch größeres Gebiet hätte, wollte ich mir lieber gar nicht ausmalen. Wenn es mehrere höhere Vampire gebraucht hatte, um sie unschädlich zu machen, wie in aller Welt sollte es nun uns gelingen? Alle Hoffnungen ruhten auf dem ominösen Kristall, den ich seit meiner Ankunft in dieser Welt besaß. Wieso ausgerechnet Vampire so ein Relikt kannten, wo sie doch keine Magie wirken konnten, sollte ich später vielleicht mal genauer erkunden, doch an Theodor hatte ich ohnehin noch so einige Fragen, die Antworten verlangten.

Gespenstisch, wie still die Stadt war, wenn man bedachte, dass sie das Zentrum des Herzogtums bildete. Tagsüber und auch zu späten Abendstunden war auf den Straßen immer etwas los, doch jetzt herrschte förmlich Grabesstille und alle Laute, die ich hätte hören können, wurden vom gleichmäßig plätschernden Regen verschluckt, der einen dichten Schleier um uns herum bildete, durch den man kaum mehr als graue Schatten und Schemen erkennen konnte. Doch zumindest Regis schien sich des Weges gewiss, denn ihm folgten wir im Gänsemarsch. Dass ich mich heillos verlaufen würde, wenn ich den Anschluss verlöre, war mir absolut klar. Schon bei guten Sichtverhältnissen ließ meine Orientierung zu wünschen übrig, aber bei diesem Wetter könnte ich ebenso gut in den herzoglichen Gärten wie im Stadtzentrum landen.

Als wir den Palast der Herzogin erreichten, waren wir alle bis auf die Knochen durchweicht vom Regen. Ich fröstelte und ließ den Blick noch einmal gen Stadt schweifen. Niemand war zu sehen oder zu hören. Die Bewohner hatten sich alle verbarrikadiert, doch was mir Sorgen machte, waren die Ritter. Wir waren keinem begegnet, weder lebendig noch tot, dabei hätten sie die Stellung während Dettlaffs Angriff eigentlich halten sollen. Hoffentlich hatten sie sich ebenfalls zurückgezogen, denn Krul wären sie noch weniger gewachsen, als Bruxae und Ekimmen. Zeit, mich lange darum zu sorgen, blieb mir allerdings nicht. Syanna schob mich energisch vorwärts. “Sag nicht, dass du jetzt kneifen willst”, zischte sie mir herausfordernd zu. Grimmig brummte ich zurück. “Auf gar keinen Fall.” So uneins wir uns auch waren, zumindest in einem stimmten wir überein: Wir durften Krul nicht gewinnen lassen.
 

Einmal glaubte ich, aus den Augenwinkeln jemanden gesehen zu haben, doch als ich innehielt, um einen Blick durch die weit offenstehende Tür zu werfen, war niemand zu sehen. Der Raum war dunkel und alles, was ich sah, waren die Umrisse edler Möbelstücke. Eines musste man der Herzogin lassen: Sie lebte hier in ziemlichen Luxus. “Hmpf, ich war sicher, sie wäre hier”, schnaubte Syanna leise, nachdem sie die gegenüberliegende Tür aufgestoßen und den dahinterliegenden Raum inspiziert hatte. Auf einer Anrichte stand ein Leuchter, dessen Kerzen beinahe zur Gänze heruntergebrannt waren, deren Licht aber genügte, um die Räumlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Waren die andere Räume schon vornehm gewesen, war dieser hier schlicht herrschaftlich. Müsste ich raten, waren das hier dann wohl die herzoglichen Gemächer, die Annarietta als verwitwete Herrscherin allein bewohnte. Doch von der Herzogin war hier keine Spur zu sehen.

“Keine Kampfspuren”, kommentierte Theodor leise. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? “Suchen wir besser draußen. Geralt braucht etwas Platz, um richtig kämpfen zu können. Er wird sicher versucht haben, sich nicht in engen Gängen oder Räumen einem gefährlichen Gegner zu stellen”, mutmaßte ich, wobei ich vor allem daran dachte, wie wild der Hexer bei meinem Spielverhalten herumspringen musste. Ausweichen erschien mir nunmal zuverlässiger als einen Angriff zu blockieren. Außerdem wäre es bei so manchem Monster wohl sowieso tödlich, das auch nur zu versuchen. Krul zählte ich ziemlich eindeutig dazu. Ich wusste, wozu Regis und Dettlaff in der Lage waren auch ohne all ihre Fähigkeiten einzusetzen. Sie würde sicher nicht lang fackeln und Geralt einfach mit ihren Krallen aufschlitzen, wenn er ihr blöd kam. Oder mich. Oder Syanna. Hinter der war Krul ja sowieso her.

Zurück auf dem Flur griff ich nach Regis’ Ärmel. “Erst das Buch. Wenn wir das Buch haben, können wir direkt loslegen, sobald wir die Herzogin gefunden haben”, hielt ich den Vampir auf. Einen Moment lang blickte er verwirrt, dann nickte Regis. “Erst das Buch”, stimmte er zu. “Es wäre fatal, sollten wir die Herzogin und Geralt finden, dann jedoch nicht in der Lage sein, zu dem magischen Buch zurückzukehren, um die Märchenwelt zu betreten”, statierte mit Blick in Richtung Theodor und Syanna. Letztere war vorausgeeilt, hielt nun aber inne. Sie verzog kurz das Gesicht, dann seufzte sie. “Holen wir es”, lenkte sie ein und ging dann sogar selbst voran. Sie mochte seit ihrer Kindheit nicht mehr hier gewesen sein, doch es war klar, dass sie den Palast dennoch kannte wie ihre Westentasche. Manche Dinge vergaß man wohl nie. In diesem Fall kam uns das zugute, denn so hatten wir im Nu das magische Buch geborgen, das ich kurzerhand in meine Umhängetasche gestopft hatte. Hoffentlich ging das alles gut.
 

Wo genau wir nun eigentlich nach Geralt und Anna Henrietta suchen sollte, war mir jedoch ein Rätsel. Es war ja nicht gerade so, als hinterließe der Hexer eine Spur aus Brotkrumen oder als könnte ich ihm einfach mal schnell eine WhatsApp-Nachricht schreiben, um herauszufinden, wo er steckte. Regis hingegen schien eine grobe Ahnung zu haben, denn er hatte wortlos die Führung unserer kleinen Gruppe übernommen und wollte gerade um eine Ecke biegen, als Syanna demonstrativ in die andere Richtung abbog. “Hier entlang”, entschied sie mit einem feixenden Grinsen auf den Zügen. Wie konnte sie in dieser Situation noch grinsen? Mir war so überhaupt nicht nach lachen zumute. Wer wusste, wie viele Menschen schon gestorben waren und noch sterben würden, besonders dann, wenn wir Krul nicht stoppen konnten? Regis hielt inne, doch Syanna stapfte bereits weiter, sodass uns anderen nicht viel anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Immerhin war sie unser Köder für die Vampirkönigin. “Es gibt hier in der Nähe einen Zugang zu einem geheimen Keller. Ich wette, dort hat meine Schwester sich mit dem Hexer versteckt”, erklärte Syanna, als sie über eine zerstörte Holztür stieg, die noch halb in den Angeln hing.

Skeptisch folgte ich ihr über die Trümmer und durch einen Flur in eine Art Abstellkammer, flankiert von Theodor, während Regis uns Rückendeckung gab. Dass wir bisher keinem begegnet waren - auch keinem Schergen Kruls - beunruhigte mich auf seltsame Weise. Es war so ruhig, dass ich nicht umhin konnte, einen Hinterhalt zu erwarten. Wie sich jedoch zeigte, war das nur der paranoide Gedanke meines schwarzseherischen Hirns, denn die verborgene Tür, zur der Syanna uns führte, war wirklich geschickt hinter einem Regal platziert, das sich beiseite schob, als sie irgendwo an der Fußleiste einen Knopf drückte. Im Dunkeln konnte ich mehr nicht ausmachen, als das Regal beiseite ruckte und einen schmalen Durchgang preisgab. “Ich werde vorangehen”, entschied Theodor und schob sich mit einem raschen Schritt vor Syanna, die sich schon anschickte, als Erste in den Gang zu treten. Genervt klickte sie mit der Zunge. “Angst, ich laufe vor euch weg?” Theodor erwiderte nichts, doch sein Schweigen sprach Bände, fand ich. Meine Hand suchte das Buch in meiner Umhängetasche, um mich zu versichern, dass es noch da war. Erst dann folgte ich Syanna, Regis auf den Fersen. Ich konnte noch hören, wie er die Geheimtür hinter uns zuzog. Wir kamen nur sehr langsam voran. In dem Gang war es zappenduster und man konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Ich für meinen Teil tastete mich einfach an der Wand entlang und stieß mehrmals gegen Syanna, die vor mir lief. “Aua, pass doch auf, wohin du läufst”, brummte sie vor mir, als ich sie beinahe umrempelte. “Tschuldige, ich kann doch auch nichts sehen”, murmelte ich zurück. “Da vorne wird es heller”, unterbrach Theodor uns zischend und machte dann “Psst”.

Angespannt blieben wir hinter Theodor im Schatten, der voranging und dabei keinen Laut verursachte, bis er unvermittelt ausrief: “Euer Gnaden!” Wir anderen ließen unsere Vorsicht fallen und folgten ihm eilig. Tatsächlich waren wir in einem kleinen Raum angekommen, der wohl wie eine Art Panikraum fungierte. An einer Wand standen Regale mit Kisten und ein Sack Kartoffeln, an der gegenüberliegenden Wand ein großes Bett, auf dem die Herzogin saß. Sie trug selbst jetzt noch ihre edlen Gewänder und stolzen Hauptes eine funkelnde Krone. Selbst die Tatsache, dass ihre Kleidung klamm aussah und ihre Haare etwas zerzaust, änderte nichts an ihrer herrschaftlichen Ausstrahlung, während der Hexer eher etwas zerrupft aussah und sich erhoben hatte, die Silberklinge fest in der Hand. Uns hatte er hier wohl nicht erwartet, wie seine überraschte Miene preisgab. Ich hingegen war einfach nur erleichtert, weil sowohl die Herzogin als auch Geralt unverletzt schienen. Begeistert wirkte er allerdings nicht, als er uns nach und nach musterte. “Was treibt ihr denn hier?”
 

Regis, Syanna und ich erzählten ziemlich durcheinander, was für einen Plan wir uns überlegt hatten und welche Rolle jeder von uns darin spielen würde. Geralt fragte jedoch nur an einer oder zwei Stellen nach und kommentierte unsere Überlegungen nicht weiter. Ganz anders die Herzogin, die mehrmals wütend dazwischenfuhr, dass sie nicht dulden würde, dass irgendsoeine Vampirin Toussaint bedrohte. Dass nicht nur die Stadt selbst in Gefahr war, war ihr also bereits klar. Ob Geralt sie eingeweiht hatte, was hinter Krul steckte und wer Theodor war, wusste ich nicht, aber sie fragte zumindest nicht nach, sondern widmete sich eher Syanna, an die die Herzogin nach der Erklärung unseres Plans herantrat. “Syanna. Schwester… ich bin froh, dich zu sehen.” Annarietta lächelte und ihre Stimme war voller Wärme und Zuneigung. Ich verzog das Gesicht und verkniff mir leise Würgelaute. Wie konnte sie Syanna nur so begrüßen? Immerhin hatte die nicht nur einige Ritter töten lassen, sondern auch ihre Ermordung geplant. War die Herzogin so blind? Die traurige Antwort lautete wohl: Ja.

“Also müssen wir Krul in dieses Märchenland kriegen”, schloss Geralt, dessen Miene zwar unbewegt geblieben war, doch inzwischen konnte ich allein an seiner Tonlage erkennen, dass ihn die Idee nervte. Wen nervte sie nicht? Sie war völlig durchgeknallt. Aber sie war auch leider die beste, die wir hatten, genau genommen sogar die einzige. “Genau”, bestätigte ich also knapp. “Krul will Anna He-” Ein Räuspern unterbrach mich. Die Herzogin. Ich seufzte innerlich, dann fuhr ich ungerührt fort. “Krul will Anna Henrietta und Syanna töten und ihr Blut trinken und zwar unbedingt. Wenn es stimmt, dass sie das Blut der beiden braucht, um zu alter Stärke zu kommen, wird sie darauf kaum verzichten wollen. Immerhin scheint sie ja auch einige Feinde unter ihresgleichen zu haben.” Ich warf einen bedeutungsvollen Blick in Regis’ Richtung. Der Unsichtbare wäre hier wirklich eine gute Hilfe, doch ich wusste auch, wie unberechenbar er war und wie wenig ihn die Schicksale von Menschen interessierten. Mit Pech könnte er sich als ein Befürworter Kruls entpuppen und dann hätten wir uns damit, ihn auf den Plan zu rufen, unser eigenes Grab geschaufelt. Es musste auch ohne ihn gehen.

“Wir teilen uns am besten in zwei Gruppen. Eine lockt Krul ins Märchenland und die andere Gruppe kümmert sich um ein Einhorn”, legte Syanna fest, während ihre Schwester mich mit finsteren Blicken aufspießte. Meine Respektlosigkeit, mit der ich sie ohne Titel und Rang angesprochen hatte, könnte sie mir doch wohl vergeben, wenn ich half, ihr Reich und ihr Volk zu retten.

Bei der Frage, wie wir uns aufteilen sollten, war jedoch, wie nicht anders zu erwarten, sofort eine hitzige Diskussion entbrannt, die zu aller Verwunderung ausgerechnet Theodor unterbrach. “Wir dürfen uns jetzt nicht streiten. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir gegen Krul bestehen wollen”, betonte er mit ernster Miene, wobei ich das Gefühl nicht abschütteln konnte, dass sein Blick an mir besonders lange hängen blieb. Meine Hand hatte wie von selbst ihren Weg um den blauen Kristall gefunden, der mir bisher immer gute Dienste geleistet hatte, wenn ich in Gefahr geraten war. “Es sollten so wenig Lockvögel wie möglich sein. Ihr müsst schnell fliehen können.” Das schloss ja halt irgendwie jeden außer Regis und ihn aus, doch ich verkniff mir die Bemerkung. “Dann werde ich gehen”, entschied Regis. “Wenn eine der Damen mich begleitet, sollten wir uns zügig genug zurückziehen können.” Theodor nickte zustimmend. Anna Henrietta setzte zwar schon an, zu widersprechen, doch Geralt fuhr ihr grob über den Mund. “Dann geht Syanna mit Regis. Ihr”, sah er zu der Herzogin, “kommt mit Daelis, diesem Theodor und mir. Wir suchen ein Einhorn, um dieses Zauberding zu aktivieren.” Begeistert klang der Hexer auch jetzt nicht, doch wenigstens widersprach ihm niemand.
 

“Wirklich ein sehr faszinierender Zauber”, staunte der Vampir neben mir anerkennend. “Ich wusste nicht einmal, dass so etwas möglich ist. Wirklich unglaublich.” Geralt schnaubte abfällig. Dass er Theodor nicht traute, stand dem Hexer ins Gesicht geschrieben und insgeheim konnte ich das gut verstehen. Theodor mochte sich jetzt freundlich geben und uns scheinbar helfen, Krul in den Griff zu bekommen, doch wieso genau er in dieser Zeit geendet war und vor allem wie, wenn Vampire doch keine Magie nutzen konnten, ja nicht einmal durch magische Portale gehen konnten, soweit ich es wusste, hatte er bis jetzt verschwiegen. Sicher wusste ich nur, dass er wegen dem Kristall hier war, von dem ich wiederum keine Ahnung hatte, wie ich zu ihm gekommen war. Dass Theodor mir den Kristall gegeben und mich in diese Welt befördert hatte, hatte ich inzwischen von meiner Liste der Theorien gestrichen. Wäre es so, hätte er mich nicht erst so spät kontaktiert, sondern schon kurz nachdem ich dem Greifen entkommen war, also direkt nach meiner Ankunft. Letzten Endes blieb er ein Mann voller Geheimnisse und irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass er das auch bleiben würde. Vielleicht war das sogar besser so. Wenn er aus der Zukunft kam, durfte er hier nicht zu viel verändern. Den gleichen Vorsatz hatte ich mir ja auch gemacht und mich nur nicht besonders erfolgreich daran gehalten, wobei ich alle Schuld daran gerne an die verdammte Vampirkönigin weiterschob.

“Sightseeing können wir meinetwegen später noch machen, aber jetzt müssen wir ein Einhorn finden.” Ich stieß Theodor leicht in die Seite, damit er aufhörte, die Umgebung anzustarren wie ein Reh im Fernlicht. Dass ihn alles hier faszinierte, verstand ich ja, aber uns lief die Zeit davon. “Außerdem müssen wir aufpassen, dass diese Schemen nicht aufkreuzen, weil uns der Zauber als Eindringlinge erkennt”, seufzte ich leise und bemerkte noch, wie mich die Herzogin verwundert aus den Augenwinkeln ansah, ehe sie den Blick schweifen ließ. “Wahrlich nicht, wie ich es in Erinnerung hatte. Wie bedauerlich, dass das Buch so verkommen ist”, ließ sie vernehmen. Bedauerlich. So konnte man es natürlich auch sagen. Immerhin waren einige Märchengestalten inzwischen tot, der Große böse Wolf irgendwie depressiv und das Mädchen mit den Zündhölzern war zur Dealerin geworden. “Nun gut. Dies ist nicht die Zeit zum Zaudern”, beschied Anna Henrietta schließlich und stakste in ihrem wallenden Kleid und den zweifellos hochhackigen Schuhen den gelb gepflasterten Pfad entlang. Man mochte über die Herzogin sagen, was man wollte, aber sie war eine Frau der Tat, das musste ich ihr lassen. Schulterzuckend folgte ich ihr, flankiert von Theodor, während Geralt das Schlusslicht bildete.

Wir folgten dem Weg über einen kleinen Bach und hatten im nächsten Moment auch schon den einen an sich wirklich herrlichen Ausblick über das ganze Märchenland. So besonders groß war es ja nicht. Zum Glück! Sonst wäre unsere Suche sicherlich nicht so rasch vorbei gewesen, wie es jetzt der Fall war, denn schon von hier konnten wir zwei Einhörner auf der Wiese vor dem See um Rapunzels Turm grasen sehen. Erleichterung durchflutete mich. Ich schob mich nach vorne und ging nun eilig voran. Diese magischen Einhörner könnten unsere Rettung sein. Nein, sie mussten! Denn die echten Einhörner waren, soweit ich es sagen konnte, entweder ausgestorben oder waren in ihre Heimatwelt zurückgekehrt. Hatten nicht auch die Elfen ihre Welt von den Einhörnern bekommen? Das mussten schon echt schräge Viecher sein und ich zweifelte doch sehr daran, dass wir die Mittel hätten, um eines zu finden. Für meinen Geschmack waren diese falschen jedoch echt genug. Sie sahen echt aus, fühlten sich echt an und würden uns allen ordentlich den Arsch retten.
 

“Es gibt da etwas, das ich Euch noch erzählen wollte”, begann Theodor in einem für meinen Geschmack viel zu entspannten Plauderton, während ich eilig auf die Einhörner zustapfte. Der Vampir hielt mühelos Schritt. “Ach ja?”, gab ich trocken zurück. Ich hoffte, es war etwas Nützliches, denn nach nettem Kennenlernen war mir im Moment wirklich nicht zumute. “Als Mensch könntest du durchaus über magisches Talent verfügen”, fuhr er unbeirrt ob meines desinteressierten Tonfalls fort. Ich seufzte hörbar. “Theodor, ich bin so magisch wie Toastbrot, glaub mir.” Ein wenig musste ich mir die Bemerkung verkneifen, dass Geralt mich wohl sonst auch schon flachgelegt hätte, so wie gefühlt jede Zauberin, die seinen Weg kreuzte. Der Vampir neben mir lachte leise. “Oh, mitnichten. Ihr tragt eindeutig Magie in Euch, sonst hätte der Kristall Euch nicht vor meiner Anwesenheit gewarnt”, erklärte er gut gelaunt. Gewarnt? Ich hatte eher das Gefühl gehabt, der Anhänger hatte mich vor ihm beschützt, was Theodor nicht unbedingt vertrauenswürdiger machte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er irgendetwas verbarg. Etwas, das mir nicht gut tun würde, wenn ich nicht bald dahinter kam und mir überlegte, wie ich es aushebelte. “In dem Buch, das ich Euch überließ, gibt es einen angeblich sehr einfachen Zauber, der die Magie dazu befehligen kann, die Zeit für einige Minuten anzuhalten, sodass nur der Anwender sich frei bewegen kann.”

Abrupt blieb ich stehen und starrte den Vampir ungläubig an, der mit einem ruhigen Lächeln fortfuhr: “Allerdings kann ich nicht bestätigen, ob der Zauber funktioniert. Meinesgleichen ist nicht in der Lage, Magie zu wirken.” Dass Vampire nicht zaubern konnte, hatte ich gewusst, aber wieso zur verfickten Hölle fiel ihm bitte erst jetzt ein, mich auf so einen wichtigen Zauber und den Umstand, dass ich ihn womöglich lernen könnte, aufmerksam zu machen? Glaubte er ernsthaft, dass es mir gerade jetzt noch gelänge, diesen Zauber zu meistern? Das war nicht nur naiv, das war fahrlässig dumm! Ich öffnete den Mund, um ihn zurechtzuweisen, da kam mir Geralt schon zuvor. “Das hätten wir eher gebrauchen können”, brummte der Hexer und die Herzogin neben ihm schnaubte leise und höchst unmajestätisch, was wohl ein Zeichen ihrer Zustimmung war. Meinem Ärger zum Trotz griff ich dennoch zum Buch, nach dem der Vampir sofort griff. “He!”, protestierte ich, doch Theodor schlug bereits eine Seite auf, blätterte kurz und reichte mir dann das aufgeschlagene Buch zurück.

Hastig überflog ich die sorgsam handschriftlich verfassten Zeilen. Der oberste Zauber sollte die Zeit kurz anhalten, genau wie Theodor gesagt hatte. Leise flüsterte ich die Formel, um sie mir so hoffentlich besser einzuprägen. “Sinne dich nach den fünf Flügelschlägen, entscheide dich für Fluch oder Segen. Keine Zeit hält ewig an, schaue nicht zurück und schreite voran." Ob etwas passieren würde, wenn ich mich konzentrierte, wusste ich zwar nicht, aber im Fragefall hätte ich den Spruch besser im Kopf als auf dem Papier. “Klingt seltsam”, kommentierte Geralt trocken. Ich zuckte mit den Schultern. “Bedauerlicherweise ist solche Magie nie ohne einen Preis”, meinte der Vampir. “So wie jede Magie”, gab ich ächzend zurück. Wieder hörte ich ein Schnauben. Diesmal kam es von Geralt. “Also? Wie hoch ist der Preis dafür, die Zeit anzuhalten? Muss man einen Menschen opfern?”, zischte die Herzogin, die nun an mir vorbeiging. “Aber nein, nein. Nicht doch.” Theodor blieb selbst jetzt noch ruhig. “Nein, der Preis für Magie, die die Zeit beeinflusst, ist ungewiss und sehr hoch”, meinte er schließlich nach kurzem Zögern. “Ganz toll”, seufzte ich leise, hörte jedoch nur noch mit halbem Ohr zu, weil mein Blick auf dem zweiten Zauber klebte, den diese Seite erwähnte. Ein Zeitreisezauber! Damit musste Theodor hergebracht worden sein! Das wiederum hieß, dass ihn wahrscheinlich ein Mensch oder Elf hergebracht hatte. Vielleicht sogar jemand, den ich kannte. Yennefer der Zukunft zum Beispiel. Das würde erklären, wieso er mich so schnell gefunden hatte - weil er wusste, wo er suchen musste, denn Yennefer hätte von dieser Geschichte von Geralt gehört und darum einige Details gekannt. Mein Kopf schwirrte. War das möglich? Theoretisch ja. Und es hieß, dass unser Plan gelänge und wir Krul stoppten, oder? Oder eben nicht? Hatte jemand Theodor hierher geschickt, um dafür zu sorgen, dass Krul gestoppt wurde, weil es eben sonst nicht gelungen war? Mein Blick glitt über den Zauberspruch, der zum Zeitreisen benutzt werden sollte. “Wenn das Schicksal sich ändern kann, der Weg zurück und nicht voran, dann wage den Sprung zurück, denn Zeitmacht bedeutet kein Glück.” Krampfhaft wiederholte ich die Worte in Gedanken, um sie mir einzuprägen.

“Also was nun?” Geralts Frage unterbrach meine Gedanken unvermittelt. Verwirrt sah ich auf, nur um direkt vor den Kopf einer der Einhörner zu starren. Der Hexer hatte das zutrauliche Zaubertier bereits hergelockt und stand mit abwartender Miene daneben. “Nun zaubert das Einhorn?” Hilflos sah ich zu Theodor, dann zu dem blauen Kristall, der auf meiner Brust lag. “Der Kristall reagiert auf magisch Kompatible”, nickte der Vampir mir aufmunternd zu. Ach, tat er das? Bei mir hatte er noch nichtmal gezuckt, wenn nicht gerade irgendeine Gefahr aufgelaufen war. “Genug gezaudert. Wir haben nicht viel Zeit. Diese widerwärtige Abscheulichkeit tobt in meiner Stadt”, gemahnte Anna Henrietta in befehlsgewohnter Stimme zur Eile. Ich nickte, nahm die silberne Kette ab und hielt den Kristall an das Einhorn, welches mich nur ruhig ansah. Keiner von uns sagte ein Wort, doch als nach einigen Momenten noch immer nichts passiert war, wussten wir wohl alle, was das bedeutete. Das Einhorn sah zwar echt aus, aber es war nicht echt. Und es würde keinen Zauber wirken, der Krul tötete oder versiegelte. Wir waren auf uns gestellt und Krul könnte jeden Moment hier sein. Wir waren so richtig am Arsch.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Auch dieses Mal habe ich die Aufgabe wieder splitten müssen. Dieses Mal habe ich den folgenden Teil erfüllt:

Sucht wie geplant nach der Herzogin und lockt Krul in das Märchenland! Am besten, ihr überlegt euch einen guten Plan und trennt euch in zwei Gruppen. Die eine spielt den Lockvogel, die andere spielt Einhornjäger. Auf jeden Fall ist Theodor bei dir und erzählt dir einen besonders nützlichen Zauber der Chronomagie: die Zeit einfrieren für fünf Minuten. Außerdem muss der Zauberspruch für die Zeitreise ein Opfer gebracht werden. Kein Blut, nur eine Bedingung. Im Märchenland können weitere Probleme und Hindernisse auftreten. Seid auf der Hut! Nachdem ihr ein Einhorn findet, stellt ihr fest, dass dies sich um eine Sackgasse handelt, weil der Glückskristall nicht darauf reagiert. Leider habt ihr nicht mehr viel Zeit.

Zeitstillstand: "Sinne dich nach den fünf Flügelschlägen, entscheide dich für Fluch oder Segen. Keine Zeit hält ewig an, schaue nicht zurück und schreite voran."
Zeitreise: "Wenn das Schicksal sich ändern kann, der Weg zurück und nicht voran, dann wage den Sprung zurück, denn Zeitmacht bedeutet kein Glück." Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Vegetasan
2020-01-28T16:26:29+00:00 28.01.2020 17:26
Huh, mal wieder ein gelungenes Kapitel.
Wenn das mit dem Einhorn geklappt hätte, wäre es ja auch zu einfach gewesen.
Ich bin ja mal gespannt ob meine Theorie stimmt, aber ich werde sie noch nicht verraten.

Allerdings dürfte es in der Welt zumindest noch ein lebendes Einhorn geben, wenn es noch nicht gefressen oder gefangen und ausgestopft wurde. Ciri traf doch in der Wüste eines, als sie vor dem schwarzem Reiter floh. Aber das zu finden ist vermutlich auch ein Ding der Unmöglichkeit.

Bin gespannt wie es weiter geht und freue mich schon auf das nächste Kapitel.


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