Blood and Whine von Daelis (Ist doch alles Käse!) ================================================================================ Kapitel 16: Im Schatten der schwarzen Sonne ------------------------------------------- “AAAAAAAAAAAAH!” Panisch klammerte ich mich an die rasant wachsende Bohnenranke, die zuerst gar nicht hatte sprießen wollen, dann aber unvermittelt in die Höhe geschossen war. Was in meinem Kopf noch nach einer guten Idee geklungen hatte, nämlich sich direkt festzuhalten und dann hochtragen zu lassen, erschien mit jetzt gar nicht mehr so clever. Die Augen hatte ich zugekniffen ob des Zugwinds und die Arme fest um den Stengel geschlungen, der bald schon zu breit wurde, sodass ich mich hilflos an ein großes grünes Blatt krallte, stumm betend, es möge mich halten, bis es die Wolkendecke durchbrach, auf die ich mich schnell würde fallen lassen müssen. Das war auch der einzige Grund, aus dem ich mich zwang, die Augen wieder zu öffnen. Ich durfte meinen Absprung nicht verpassen. Auch wenn mir bei dem, was sich hier gerade tat, so gar nicht nach abspringen, sondern eher nach festklammern zumute war. Wie es mir schließlich sogar wirklich gelang, zur rechten Zeit loszulassen und etwas unsanft über den Wolkenboden zu kullern, konnte ich wirklich nicht sagen. Ziemlich sicher jedoch konnte ich sagen, dass ich so etwas nie, nie wieder machen wollte. Nur ein winziger Blick nach unten hatte völlig genügt, dass mir der Arsch gründlich auf Grundeis ging. Nichts für Leute mit Höhenangst. Und wenn ich dann daran dachte, wie schnell ich versehentlich hätte herunterfallen können, um dann unten aufzuklatschen und damit meine letzten Spuren in Form eines matschigen Flecks hinterließe, wurde mir ganz übel. Meine Finger zitterten nicht zu knapp und ich war heilfroh, dass es eine Weile dauerte, bis Geralt und Syanna, die gezwungen waren, die Bohnenranke hinaufzuklettern, bei mir ankamen. So hatte ich etwas Zeit, um mich zu beruhigen und mein Zittern in den Griff zu kriegen. Besonders vor Syanna wollte ich mir keine Blöße geben. Auf weitere bissige Bemerkungen von ihr konnte ich nämlich gut verzichten. Außerdem war ich nicht sicher, ob ich dann noch an mich halten könnte und sie nicht doch einfach mal kräftig packte, schüttelte und anschrie. Dazu hatte ich nämlich nicht übel Lust und je länger ich Syanna persönlich kannte, desto verlockender erschien mir die Idee. Vielleicht sollte ich sie auch einfach hier von den Wolken schubsen und das Problem damit aus der Welt schaffen. Allerdings würde Dettlaff dann wohl niemals wirklich akzeptieren, was sie getan hatte und wie er ausgenutzt worden war. So wenig ich Syanna leiden konnte und ihre Taten verurteilte, es war wichtig und richtig, dass sie sich freiwillig den Konsequenzen stellte. Konsequenzen, die im Moment nur ich kannte. Mir war klar, dass weder Regis und Geralt noch Syanna ahnten, dass Dettlaff wirklich bereit wäre, sie zu töten. “Da seid ihr ja”, begrüßte ich den Hexer und die ihm folgende Syanna, als beide von einem großen Blatt auf die Wolkendecke sprangen. Geralt warf mir einen finsteren Blick zu und brummte etwas, das ich nicht verstand. “Also, wo geht es jetzt weiter?”, wollte er dann von mir wissen. Neben ihm schnappte Syanna sichtlich beleidigt nach Luft, weil die Frage mir und nicht ihr galt. Dieses Mal jedoch mischte sie sich nicht ein, was vermutlich nur daran lag, dass sie noch nach Atem rang. Diese Klettertour muss ziemlich anstrengend gewesen sein. Ich schob den Gedanken beiseite und nickte in Richtung des bereits sichtbaren Gebäudes. “Da drüben. Wenn wir leise sind, können wir uns vielleicht an dem Riesen vorbeischleichen. Sein Schatz interessiert uns ja nicht. Wir müssen nur zum Brunnen”, erklärte ich und machte mich direkt auf den Weg. Geralt protestierte nicht, doch hinter ihm konnte ich Syanna ächzen hören. “Findest du nicht, du hast es etwas sehr eilig, Daelis?”, ergriff sie nun doch das Wort. Ich zog die Nase kraus und warf einen Blick über die Schultern, ehe ich spitzfindig zurückgab. “Nein, finde ich nicht. Du hast diesen ganzen Mist erst angefangen und je eher wir ihn beenden, desto weniger Menschen müssen sterben.” Vermutlich war es eher Geralts Blick, der sie zum Schweigen veranlasste, aber es funktionierte, sodass wir uns tatsächlich vorsichtig näher an das steinerne, halb in Wolkenschwaden verborgene Gebäude schlichen. Vielleicht war es naiv, zu hoffen, wir könnten diesen Kampf skippen, doch ich fand, es war einen Versuch wert. Kämpfen müsste sowieso Geralt allein, denn gegen einen Riesen wären weder Syanna noch ich irgendeine Hilfe. “Der Brunnen da vorn”, zischte Geralt mir in fragendem Tonfall zu, als wir uns hinter eine Steinmauer drückten, um nicht von dem Riesen gesehen zu werden, der zu wittern schien, dass irgendetwas nicht stimmte. Kein Wunder, bei der riesigen Bohnenranke, die plötzlich durch seinen Vorgarten wuchs. “Genau der”, flüsterte ich zurück, dankbar, dass Geralt meine Hinweise nicht hinterfragte. Das hatte ich bestimmt Regis’ Einfluss zu verdanken. Jetzt, wo die beiden wussten, dass ich Teile der Zukunft kannte und helfen wollte, war der Hexer deutlich empfänglicher für die Dinge, die ich ihm sagte, auch wenn ich sie nicht erklärte. Vielleicht hatte er aber auch einfach nur die Schnauze vom Märchenland voll und wollte schnell hier weg. Dabei hatten wir nichtmal Schattengegner getroffen, die ich insgeheim die ganze Zeit erwartet hatte. Die waren immerhin nur dazu da, um Eindringlinge - also alle außer Syanna und Annarietta - aus dem Märchenland zu tilgen. Vermutlich waren wir einfach zu fix gewesen. “Und was machen wir am Brunnen?” “Wir springen rein”, raunte ich Geralt zu, Syannas leises Kichern ignorierend. Für sie mochte das alles klar sein, aber sie hatte ja auch schon als Kind hier gespielt. Für Geralt und mich galt das nicht und dass besonders der Hexer mit Riesen so ganz andere Erfahrungen gemacht hatte, war doch wirklich naheliegend. “Einfach so?” Geralt sah mich skeptisch an. “Was ist los, Hexer, traust du dich nicht und musst erst dein Frauchen um Erlaubnis bitten?”, stichelte Syanna mit einem breiten Grinsen. Geralt warf ihr einen finsteren Blick zu, dann sah zum Brunnen. “Ihr beide zuerst. Ich folge euch, falls der Riese es sich überlegt.” Entschieden ging ich voran. Auch wenn ich wusste, dass Regis uns am Ausgang erwarten würde, traute ich Syanna nicht und wollte ihr die Idee, sie könnte vor uns weglaufen, direkt austreiben. Nur Augenblicke später standen lagen wir etwas ungelenk übereinander gestapelt in dem Springbrunnen, in den der Ausgang aus dem Märchenbuch mündete. Mit einem leisen “Uff”, kommentierte ich noch das Gefühl von Syanna, die in meinem Rücken landete und mich damit mit der Nase voran ins Wasser beförderte, welches eisig kalt war. Kurz danach stürzte uns auch schon Geralt hinterher, der uns beide gleichermaßen ins kühle Nasse schob, sodass wir schließlich alle aussahen wie begossene Pudel. Toll. Ganz toll. “Sehr schön, dass ihr alle es unbeschadet überstanden habt”, begrüßte uns Regis höflich, worauf Geralt mit einer Art Grunzen antwortete. Der Vampir schien sich daran nicht zu stören. Vermutlich war er Geralts rüde Art einfach schon gewohnt. Als mir Regis die Hand anbot, um mir aus dem Springbrunnen zu helfen, ergriff ich diese dankbar. “Danke, Regis. Schön, dass du uns hier direkt gefunden hast.” Für einen Moment glaubte ich, ein schalkhaftes Blitzen in seinen Augen zu sehen, doch Regis sagte nichts, sondern blickte stattdessen nun mit ernster Miene zu Syanna, die sich fröstelnd die Oberarme rieb. “Wir sollten wohl besser keine weitere Zeit vergeuden. Dettlaff”, begann Regis ernst, unterbrach sich dann aber. Verwirrt folgte mein Blick seinem zu Syanna, die uns im ersten Moment verständnislos anstarrte, im nächsten aber selbst erschrocken aufschrie, als sich aus ihrem Schatten heraus eine Gestalt erhob, als forme sie sich aus der Dunkelheit selbst. Mit einem Satz hatte sich Geralt vor Regis und mich geschoben, die Silberklinge gezückt, während die Schwärze Form annahm, sodass wir schließlich einer bildschönen Frau in einer langen, roten Robe gegenüberstanden. Syanna suchte von selbst Schutz hinter Geralt und Regis, doch auch ihr Blick verriet, dass sie weder die Frau kannte, noch wusste, was hier gerade geschehen war. Geralts fragenden Blick bemerkte ich nur am Rande, da zog mich Regis auch schon weiter zurück. “Davor hättest uns wirklich warnen können”, hörte ich den Hexer knurren, dann trafen sich unsere Blicke. Er runzelte kaum merklich die Stirn, doch mir stand zweifellos ins Gesicht geschrieben, dass ich eben nicht hätte warnen können. Ich hatte nämlich keine Ahnung, wer diese Frau war, noch wieso sie auf einmal hier aufkreuzte. Genau genommen wusste ich ja nicht einmal, was sie war. Was für ein Wesen erhob sich aus dem Schatten eines Menschen? Gehörte sie vielleicht zur gleichen Art wie Gaunter O’Dimm? Falls ja, saßen wir richtig übel in der Scheiße. Majestätisch streckte sich die fremde Frau, die in ein edles, dunkles Kleid gewandet war, an dessen Dekollete zahlreiche Edelsteine funkelten. Es war Regis, dessen geweitete Augen mir die meiste Sorge bereiteten. Wenn ein höherer Vampir sich fürchtete, konnte das nichts Gutes bedeuten. Mein Blick wanderte zu den Händen der Frau. Hände mit langen Nägeln, wie man sie nur selten dieser Tage sah. Sehr wohl aber bei Regis und Dettlaff. Oder bei Orianna. Bei höheren Vampiren. Ich öffnete den Mund, um Geralt zu warnen, dass er sich jeden Angriff sparen könnte, doch zu spät. Der Hexer hatte zwar nicht den ersten Schritt getan, doch die Vampirin hatte es sehr wohl. Beinahe hätte ich wetten können, sie hielt selbst Regis’ Anwesenheit hier für keine Bedrohung für sich, obwohl auch dieser Zeichen der Verwandlung zeigte und seine langen Klauen erhoben hatte, bereit den Angriff abzuwehren, der zu schnell kam, als dass ich auch nur hätte beiseite springen können. Ich war so erstarrt vor Angst, dass ich meinen eigenen Aufschrei nicht hörte. Gerade, als ich glaubte, die Klauen der Vampirin müssten sich in Geralts Oberkörper bohren, erstrahlte ohne jede Vorwarnung ein gleißendes, blaues Licht. Jetzt war es die Vampirin, die wütend aufschrie, ehe sie sich in einen Strudel blaugrauen Rauchs verwandelte und davonstob. Geblendet durch das Leuchten des seltsamen Anhängers konnte ich nur vage ausmachen, in welche Richtung sie verschwand, doch kaum, dass die Vampirin fort war, ebbte das Licht wieder ab. Dafür jedoch wandten sich nun die Blicke aller Anwesenden fragen zu mir. Besonders in Geralts Miene las ich offenes Misstrauen. Ich konnte mir gut vorstellen, welche Antworten er nun gerne hätte. Nur, dass ich ihm die nicht geben konnte. Was mir Theodor bisher über den Kristall erzählt hatte, schien mir noch immer ziemlicher Unfug, aber dass das Teil irgendwie auf Gefahr reagierte, war unverkennbar. Zum Glück ging das Teil nicht auch bei Geralt los, denn so finster, wie der mich anstarrte, war ich nicht sicher, ob ich ihn nicht auch als Gefahr für mich einstufen müsste. Für einen Moment regte sich keiner von uns, dann wirbelte Geralt zu mir herum und griff mich so fest am Oberarm, dass ich zusammenzuckte. Bestimmt gäbe das einen blauen Fleck. “Was war das und was hast du damit zu tun?!”, verlangte er wütend zu wissen. “I-ich habe keine Ahnung”, stammelte ich, da schaltete sich zu meinem Glück Regis ein. “Eine Vampirin, Geralt. Und ich glaube nicht, dass Daelis und ihre Anwesenheit vorenthalten hätte, wenn sie davon gewusst hätte.” Ermutigend nickte Regis mir zu. Geralt schnaubte. “Du ziehst Unheil wirklich magisch an”, knurrte der Weiße Wolf, ehe sein Blick zu Syanna galt. “Dann weißt du wohl auch nicht, wer das war?” Die Antwort stand Syanna ins Gesicht geschrieben. “Ich habe nicht die geringste Ahnung”, gab sie spitzfindig zurück. “Der einzige Vampir, den ich kenne, ist Dettlaff. Hältst du mich für so dumm?” Es fiel mir richtig schwer, mich nicht einzumisch und ihr mit “Ja” zu antworten. Dass sie Dettlaff auf so grausame Weise benutzt hatte und auch noch glaubte, sie käme damit durch, war schon irgendwie selten dämlich. Und doppelt, wenn man bedachte, dass sie den Vampir näher kannte und eigentlich hätte wissen müssen, wie wütend es ihn machen würde, wenn die Wahrheit ans Licht kam. “Woher kam dann diese Vampirin?” Geralts Blick wanderte von Syanna zurück zu mir, dann zu Regis, der hilflos mit den Schultern zuckte, aber doch etwas verkniffen wirkte. “Sie war keine Bruxa”, schlussfolgerte Geralt und Regis schüttelte den Kopf. “Sie ist also…?” Der Hexer beendete die Frage nicht, doch das war auch nicht nötig, denn Regis nickte bereits. Geralts Miene verhärtete sich, während sich in meinem Kopf alles drehte. Wie konnte es sein, dass plötzlich jemand völlig Fremdes sich so einmischte? Wenn sie eine höhere Vampirin war, war das vielleicht Regis’ ehemalige Gefährtin, die Königin der Nacht? Nein, das hätte er bestimmt gesagt und Geralt hätte sie dann erkannt. Orianna und den Unsichtbaren konnte ich zu meiner Erleichterung auch ausschließen. Erstere hätte ich erkannt, zweiterer interessierte sich einen feuchten Dreck dafür, was in Beauclair passierte. Im Spiel, da war ich mir absolut sicher, hatte es diese Frau nicht gegeben und wie sie aus Syannas Schatten heraus gestiegen war, erinnerte mich eher an diesen Him, dem sich Geralt in Skellige stellte. So eine Art Alptraum-Dämon. In meinem Kopf routierte alles. Wie ich es auch drehte und wendete, ich konnte mir einfach keinen Reim auf diese Vampirin machen. “Du weißt wirklich nicht, wer das war.” Ernüchtert starrte mich Geralt an. Hilflos schüttelte ich den Kopf. “Nein. Sie… sie hätte nicht hier sein dürfen, soweit ich das sagen kann.” Ein genervtes Ächzen ertönte seitens des Hexers, da legte sich eine schwere Hand auf meine Schulter. Ich wollte gerade aufblicken, als eine Stimme ertönte, die ich zwar kannte, hier und jetzt jedoch nicht erwartet hatte. “Vielleicht kann ich hier aushelfen.” Theodor! Regis Griff an meiner Schulter verkrampfte sich etwas. Ein schmales Lächeln zog sich über Theodors Züge, als er eine Verbeugung andeutete. “Trotz der höchst unangenehmen Umstände, ist es mir eine Freude”, erklärte er höflich, da unterbrach ihn Geralt auch schon. “Komm zum Punkt. Theodor, richtig?” Theodor nickte und das Lächeln auf seinen Zügen erstarb. “Bedauerlicherweise scheint es, als wäre mein Eingreifen zu zögerlich gewesen”, begann er und dieses Mal unterbrach ich ihn. “Was hast du mit dieser Vampirin zu schaffen? Und was zur Hölle willst du eigentlich von mir? Erst dieses Buch, dann die Geschichte um den Anhänger. Komm zur Sache!” Mit meiner Geduld war es inzwischen wirklich nicht mehr weit her. Wer immer die Vampirin war, sie störte empfindlich den Verlauf der Zeit, den ich versuchte, so zu beeinflussen, dass es möglichst wenig Tote gab. Jetzt drohte alles aus dem Ruder zu laufen. Theodors Miene war nun von Ernst gezeichnet. “Ihretwegen war ich hier. Ihr habt soeben die Auferstehung der ersten Vampirkönigin Krul bezeugt.” Er hielt inne und ich konnte Regis neben mir scharf die Luft einziehen hören. “Die Legende sprach davon, sie sei vor sehr langer Zeit von den Ältesten vernichtet worden”, mischte sich der ergraute Vampir überraschend ein. Verblüfft sah ich zu ihm auf. Regis wusste also von ihr? Schön und gut, doch es erklärte nicht, wieso sie hier war. Eigentlich durfte das nicht sein. Hatte ich das ausgelöst? “Richtig”, unterbrach Theodor meinen Gedankengang. “Doch der Fluch der schwarzen Sonne war für sie eine Chance, in diese Welt zurückzukehren.” Unser aller Blicke wanderten zu Syanna, die defensiv die Arme verschränkte. “Guckt nicht so. Ich hatte damit absolut nichts zu tun”, bemerkte sie schnippisch. Theodor seufzte, dann wanderte sein Blick zu mir. “Wenn sie nicht aufgehalten wird, wird die Welt förmlich in Blut versinken. Um das zu verhindern, bin ich aus der Zukunft hierher gereist.” Ich hatte das Gefühl, als habe er mich mit Eiswasser übergossen. Theodor stammte aus der Zukunft? Hieß das vielleicht, dass das für mich auch galt und man in meiner Zeit nur nichts mehr von all diesen Geschehnissen wusste? Nein, das machte überhaupt keinen Sinn. Es hätte immer irgendwelche Spuren gegeben. Regis und Geralt hingegen würden nun sicher glauben, Theodor und ich stammten aus der gleichen Zeit und nur er und ich wüssten, dass dem nicht so war. “Als ich auf dich traf, hatte ich gehofft, du könntest die Magie aus dem Buch anwenden, das ich dir gab. Mir war sofort klar, dass du nicht aus dieser Zeit stammen konntest.” Oder wusste auch er nicht, dass bei mir noch mehr nicht stimme? Forschend starrte ich in seine Augen, doch klüger wurde ich davon nicht. “Meinesgleichen ist eigentlich nicht in der Lage Magie anzuwenden und die Relikte, die ich benutzte, um meine Zeitreise anzutreten, sind erschöpft”, gab er zögerlich zu. Dabei nestelte er an seiner Weste. Das Ganze war ihm offenbar ziemlich unangenehm, aber zumindest verstand ich nun, wieso er versucht hatte, unsichtbar zu bleiben. Er wollte die Zeitlinie nicht zu sehr stören. Ähnliche Sorgen hatten mich ja auch geplagt. “Das ist ja alles schön und gut, aber wie in aller Welt will einer wie du diese Vampirkönigin aufhalten? Wie ein Hexer siehst du nicht aus”, mokierte sich Syanna und auch wenn ich ihr insgeheim Recht gab, dass Theodor diese Krul wohl nicht bremsen könnte, wenn es mehrere Leute vom Kaliber des Unsichtbaren gebraucht hatte, wusste ich doch auch, dass ein Hexer für einen so mächtigen Vampir praktisch keine Gefahr darstellte. Theodors Lächeln war fast entwaffnend. “Oh, ich hatte nicht erwartet, dies selbst bewerkstelligen zu können. Aber ich habe hier in dieser Epoche bereits gefunden, was es braucht, damit eine Chance besteht.” Geralt gab ein skeptisches Grunzen von sich, doch Theodor fuhr unbeirrt fort. “Dein Anhänger, Daelis.” Instinktiv griff ich ob dieser Aussage nach dem blauen Kristall, der unscheinbar um meinen Hals hing. Mehr als einmal hatte das Kleinod reagiert, wenn ich in Gefahr gewesen war. Vielmehr als eine Art nützliches Frühwarnsystem einschließlich Taschenlampe hatte ich da bisher allerdings nicht herausinterpretieren können. “Dieser Glücksbringer kann nur von jemandem benutzt werden, der reinen Herzens ist”, erklärte Theodor ernst. Dennoch fiel es mir schwer, ein Kichern zu unterdrücken. Für mich klang das ziemlich nach so einer Magical Girl-Nummer und dass keiner von uns diese Anforderungen erfüllte, stand für mich völlig außer Frage. Geralts Schnauben klang kaum weniger amüsiert. Offenbar hatte er den gleichen Gedanken gehabt. Der Gedanke war einfach ziemlich unterhaltsam. Regis, der ganze Dörfer geschlachtet hatte, fiel zweifellos ebenso aus dem Raster wie Geralt, der so manch Unschuldigen dem Tod überantwortet hatte. Von Syanna zu schweigen, die mit dem Mordkomplott gegen ihre Schwester noch einige Tote mehr auf ihrem Konto verzeichnen konnte. Zwar hatte ich noch niemanden getötet, doch indirekt fühlte ich mich dennoch für zwei Tode verantwortlich. Dettlaff brauchten wir wohl auch nicht fragen. Zwar hielt ich ihn für durch und durch eine sanfte Seele, doch diejenigen, die ihre Leben durch seine Krallen verloren, waren schwer zu leugnen, auch wenn ich die Toten eher Syanna zuschrieb. “Also suchen wir uns nun ein Kind, dass diesen Kristall benutzt, um damit die Vampirkönigin zu verscheuchen? Oder braucht es einen Magi-” Geralts Frage wurde durch einen lauten Schrei unterbrochen. Es war Theodor, der als erstes das Wort erneut ergriff. “Wir haben keine Zeit zu verlieren. Krul wird jeden in dieser Stadt niedermachen, wenn wir sie nicht aufhalten!”, betonte er und griff im nächsten Moment auch schon nach meinem Arm, um mich mit sich zu ziehen. Regis war jedoch schneller und hatte seine eigene Hand einem Schraubstock gleich um Theodors Arm gelegt. Beide Vampir sahen einander kurz an, dann löste sich erst Theodors Griff um meinen Arm, dann Regis’ um Theodors Handgelenk. Bevor jedoch unangenehmes Schweigen eintreten konnte, mischte ich mich eilig ein. “Dann sollten wir wirklich los. Sonst hat Dettlaff keine Stadt mehr, die er bedrohen kann.” Makaber, aber wahr. Geralt brummte leise etwas, das ich nicht verstand, aber zumindest setzten wir uns als Gruppe in Bewegung. Dass der Hexer damit nicht so zufrieden war, stand ihm ins Gesicht geschrieben und irgendwie ahnte ich, dass das nicht nur an Krul lag, sondern auch an Theodor. Gelogen hatte Theodor nicht. Krul hinterließ wirklich eine unverkennbare, blutige Spur. Wir brauchten ihr nur folgen. Dabei schien die Vampirkönigin auch keine Rücksicht für ihre eigene Art zu kennen, zumindest nicht für die weniger mächtigen. Im Rinnstein fanden wir nicht nur die Leichen einer Familie, sondern auch einer Bruxa, die ziemlich offensichtlich durch Klauen und nicht durch ein Schwert gestorben war. Eilig zog Regis mich weiter, doch der besorgte Ausdruck auf seinem Gesicht blieb nicht vor mir verborgen. Ich ahnte, was in seinem Kopf vor sich ging. Wie sollten wir diese Krul töten? Nur ein höherer Vampir konnte einen anderen töten und offenbar hatte es dereinst noch mächtigere Angehörige dieser Spezies gebraucht. Selbst mit dem Unsichtbaren, wäre er denn hier, wäre das hier vermutlich eine ziemliche Selbstmordmission. Nicht gerade der ermutigendste Gedanke. Die Straßen Beauclairs waren wie leergefegt. Kein Wunder. Die Bewohner der Stadt hatten sich bestimmt schon vor Kruls Auferstehung verschanzt, immerhin suchten dutzende niedere Vampire die Stadt auf Dettlaffs Befehl hin heim. Lebende trafen wir zwar keine, nicht einmal von der Stadtwache, dafür jedoch einige, die ihr Leben bereits in dieser Nacht hatten lassen müssen. “Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass wir dieses Monster aufhalten können, oder?” Syannas Stimme klang ganz außer Atem, als wir in einer Gasse Halt machten, um zwei Katakane passieren zu lassen, die sich nicht weiter für uns zu interessieren schienen. Eigentlich hätte ich erwartet, sie würden uns wittern, doch anscheinend war unser Geruch gut genug vom allgegenwärtigen Blutgeruch überdeckt, den sogar ich in der Luft wahrnehmen konnte. Ekelhaft. Wie es Regis und Theodor damit ging, wollte ich mir lieber gar nicht vorstellen. “Nein, nicht wirklich. Aber wir versuchen es trotzdem”, entgegnete ich Syanna, die mich abfällig ansah und schon widersprechen wollte, als Geralt sich einmischte. “Erst kümmern wir uns um diese Krul, dann um Dettlaff. Wie Daelis schon sagte: Wenn diese Vampirkönigin nicht gestoppt wird, wird es nicht mehr viel geben, das wir vor Dettlaff beschützen müssen.” Sein Blick wanderte zu Syanna. “Und du schuldest wohl noch die eine oder andere Erklärung. Also los jetzt.” Die Schwester der Herzogin schnaubte, als wolle sie noch etwas sagen, das sie sich dann aber verkniff. Ich konnte nicht sagen, ob es mich beruhigte, dass der Nieselregen und damit einhergehende Nebel uns gut verbargen oder aber beunruhigte, weil dies auch für Krul ein guter Sichtschutz wäre. Dass ihre Sinne sehr viel besser waren als unsere, oder zumindest Geralts, Syannas und meine, zweifelte ich nicht einen Augenblick lang an. “Dieser Anhänger”, zischte ich leise zu Theodor, “wie benutzt man ihn? So wie ich das verstanden haben, brauchen wir ihn ja, um Krul in ihre Schranken zu weisen.” “Ich weiß es nicht”, erwiderte Theodor leise. Entgeistert starrte ich ihn an. Er wusste es nicht? Ganz toll. Wirklich ganz, ganz toll. War das sein verdammter Ernst? Er wollte alle Hoffnungen auf etwas setzen, von dem er nicht einmal wusste, wie man es benutzte? Plötzlich ertönte ein schriller Schrei, wie von einem Kind, gefolgt von einem klatschenden Geräusch. “Verdammt”, fluchte Geralt verhalten, dann sprintete er voran, Regis auf den Fersen. Der jedoch drehte sich noch einmal kurz um. Sein Blick galt dabei Theodor. “Beschütze die beiden Frauen und folge uns!” Theodor nickte, dann bedeutete er Syanna und mir zu folgen. Ich hätte wetten können, dass Syanna sich nur nicht sträubte, weil sie zu große Angst hatte, in diesem höllischen Chaos allein zu sein. Verübeln konnte ich ihr das nicht. Überall fanden wir Tote oder zumindest verräterische rote Spuren. Während Regis und Geralt das Kämpfen übernahmen, schlichen wir anderen drei meistens nur heimlich an dem Getümmel vorbei. Als wir schließlich den Stadtkern Beauclairs erreichten, waren wir nicht nur alle bis auf die Knochen durchnässt, sondern auch nervlich angeschlagen. Vier Mal hatten wir uns mit einem Gegner konfrontiert gesehen. Zwei Ekimmen, ein Katakan und eine Bruxa, die Geralt wohl zerfetzt hätte, wäre Regis nicht dazwischen gegangen, um die Vampirin aufzuhalten. Selbst Syannas Miene war nicht mehr von Arroganz, sondern von Angst gezeichnet. Zwar konnte ich sie genauso wenig leiden wie noch vor einer halben Stunde, aber dass sie verängstigt war, konnte ich gut verstehen. Wäre so eine uralte Vampirkönigin aus meinem Schatten gekrochen, wäre mir der Arsch auch auf Grundeis gegangen. Aufmunternd drückte ich ihre Schulter. “Keine Sorge, irgendwie kriegen wir das schon hin. Und wenn nicht… naja, dann müssen wir uns wenigstens keine Sorgen machen drum machen, richtig?” Hatte ich schonmal erwähnt, dass Motivationsreden nicht so mein Ding waren? Entgeistert sah mich Syanna mit einem Blick an, der ahnen ließ, dass sie sich gerade fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte. Doch immerhin wich die Panik in ihrem Blick ein wenig und machte Spott Platz. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, brachte Theodor uns beide zum Schweigen. “Psst. Sie ist da vorne.” Sie. Damit meinte er natürlich Krul und die hatte tatsächlich Stellung auf dem Marktplatz bezogen. Die umgeworfenen Stände schienen sie nicht zu stören, ganz im Gegenteil. Hoheitlich hatte sie auf einem davon, genau genommen auf der Markise, Platz genommen. “Und was jetzt?”, knurrte Geralt leise neben mir und wischte sich eine nasse Strähne aus den Augen. “Nur mit dem Anhänger können wir ihr die Stirn bieten”, beharrte Theodor mit gesenkter Stimme. “Klar, wenn du jemanden hast, der ihn benutzen kann”, zischte ich zurück. Ausnahmsweise stimmte mir sogar Syanna zu. “Wir werden wohl kaum an eine Tür klopfen und darum bitten können, uns ein unschuldiges Kind mitzugeben, damit ihr gegen einen Vampir kämpfen könnt.” Ah, daher lief der Hase. Ihr, nicht wir. Dass sie daran nicht teilhaben wollte, konnte ich verstehen und eine Hilfe wäre sie sicher ebensowenig wie ich, dennoch ärgerte mich diese Formulierung. Missmutig brummte ich leise. “Wenigstens scheinen die niederen Vampire sie ebenfalls zu meiden”, meldete sich Regis ebenfalls flüsternd zu Wort. Vermutlich traute sich auch von denen keiner in ihre Nähe, doch ich zweifelte nicht daran, dass sie in der Lage sein könnte, uns jeden einzelnen Vampir im Umkreis von Meilen auf den Hals zu hetzen. Regis spähte in die Ferne. “Ich fürchte jedoch, wir haben ein ganz anderes Problem.” Jetzt spähten wir alle über die halbhohe Mauer, hinter der wir Deckung gesucht hatten. Was Regis meinte, erkannte ich erst nach einigen Augenblicken. Durch den nachlassenden Nieselregen waren mir die dunklen Schatten, die über Krul schwebten, erst entgangen, aber jetzt schienen sie mir unübersehbar. Das sah aus wie… Nein, das machte überhaupt keinen Sinn! Dennoch konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, den Geralt in diesem Moment aussprach. “Greifen.” Sam und Dean, schoss es mir sofort in den Kopf. Hatte sie meine Babys auf ihre Seite gezogen? Fragend sah ich zu dem Hexer. Dessen Katzenaugen sahen sicher mehr als meine. Verdammte Mutationen. Jetzt war ich wirklich mal neidisch darauf. Es war jedoch Theodor, der mir eine Erklärung lieferte. “Ich schätze, Krul hat sie gebissen und damit ihrem Willen unterworfen. Davon haben die Legenden erzählt. Ein Biss der Königin verwandelt eine harmlose Kreatur in ein blutrünstiges Monster.” Entsetzt starrte ich Theodor an. “Hatte sie auch kleiner in Erinnerung”, hörte ich Geralt leise murmeln, während mein Blick schon wieder nach oben zu den beiden Greifen wanderte, die ich mit jedem Moment besser erkennen konnte. Das sollten meine süßen Winchesters sein? Wenn das stimmte, sollte sich diese Krul besser warm anziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)