Drachenengel (Buch 1) von abgemeldet ({inspiriert von Breath Of Fire, Final Fantasy & Herr der Ringe}) ================================================================================ Kapitel 6: Vergessene Orte (Teil 2) ----------------------------------- Am nächsten Tag war das Wetter wesentlich unfreundlicher und unruhiger als am vorherigen, die helle Morgensonne wurde von dichten, grauen Regenwolken überschattet und es regnete ununterbrochen. Das herunterprasselnde Wasser sammelte sich am Boden, wo es sich mit dem trocken Staub der Gebäuderuinen vermischte und so zu ockerbraunem Schlamm wurde. Hanryo beobachtete vom Fenster des Wachturmes aus die fallenden Tropfen, er sah sie mit gemischten Gefühlen, nicht nur der Weg würde jetzt moorähnlich werden, auch könnten sich die Katakomben mit Wasser füllen, aber zumindest würde der Regen ihnen Schutz vor den Untoten bieten, jene verabscheuten das Wasser, wahrscheinlich weil sie mit ihren oftmals verkrüppelten Gliedmaßen nicht schwimmen konnten und deshalb sogar um kleine Wasserlöcher einen großen Bogen zu machen pflegten. Sie würden dennoch bestimmt keine Zuflucht in den Katakomben suchen, sie wussten garantiert, was dort unten existierte, Chikará würde es ebenfalls bald erfahren. Er ging zu ihr und beugte sich zu ihr herunter, sie schlief noch tief und fest, gerne hätte er sie noch etwas länger ruhen gelassen, aber es wurde Zeit zum Aufbruch. Er rüttelte leicht an ihren Schultern, um sie aufzuwecken. "Es wird Zeit aufzustehen", flüsterte er ihr behutsam ins Ohr. Sie bewegte sich und öffnete ihre müden Augen, streckte ihre Arme aus und stand langsam und etwas benebelt auf, sie gähnte laut, als sie dann zum Fenster blickte, verschwand ihre Schläfrigkeit schlagartig. "Es regnet ja", bemerkte sie überrascht. "Das Wetter können wir leider nicht beeinflussen, normalerweise regnet es hier so gut wie niemals." "Nun, meine Kleidung ist sowieso mittlerweile nicht mehr vorzeigbar, etwas Wasser und Schlamm werden ihr jetzt auch nicht mehr schaden können." "Der Eingang zu den Katakomben ist nicht weit entfernt, falls es dich interessiert, dort unten gibt es wahrscheinlich keine Untoten." "Genauso wie es hier normalerweise keinen Regen gibt?", entgegnete sie ihm vorlaut. "Untote sind nichts im Vergleich zu dem, was uns unter der Erde erwartet." "Sollte ich mich etwa fürchten?" "Du fürchtest dich doch sowieso immer?", sprach er grinsend und sammelte ihr Gepäck zusammen. Das Dach des Turms ließ glücklicherweise kein Regenwasser durch, somit waren ihre Sachen noch trocken und die Treppe nach unten nicht rutschig. Von der Eingangpforte aus, schaute Chikará zweifelnd nach draußen auf die fallenden Tropfen und auf den matschigen Boden. Sollte ein bisschen Wasser mit verflüssigter Erde ihr vielleicht mehr Respekt einflossen als ein Gegner? Nein, sagte sie sich und schritt muterfüllt hinaus ins Freie, Hanryo ging neben ihr und zeigte ihr den Weg, die ersten Wassertropfen auf ihrer Haut und auf ihrer Kleidung spürte sie noch deutlich, ihre Nässe und ihre Kälte. Chikará umging die großen Schlammpfützen und versuchte hauptsächlich auf die noch halbwegs trockenen Stellen zu treten, immer ihren Gefährten an der Seite bleibend und stets aufmerksam zum Boden schauend, trotzdem trat sie etliche Male in einige zentimetertiefe Wasserlöcher, ihre Turnschuhe waren schon bald triefendnass. Der heftige Regen durchnässte schnell die gesamte Kleidung der beiden, aber das machte ihnen jetzt auch nichts mehr aus, jetzt erst recht nicht mehr, solche Kleinigkeiten ignorierte sie, da sie sie nicht im geringsten behinderten. Nur das laute Prasseln des Regens nervte Chikará allmählich, wie Hammerschläge drangen die harten, monotonen Klänge in ihre Ohren, irgendwie bedeutete der Regen aber auch etwas Schönes und Angenehmes für sie, was sie sich jedoch selbst nicht wirklich erklären konnte. Ein ziemlich schlecht erhaltenes Haus, es war einst das Rathaus der Stadt gewesen, betraten die beiden, nur noch Trümmerwalle zeigten, wo früher die Wände standen, da es kein Dach mehr gab, fielen die kühlen Tropfen weiterhin auf sie herunter. Nachdem sie einige der völlig zerstörten Zimmern durchquert hatten, erreichten sie eine Treppe, die tief nach unten ins Erdreich führte. Chikará zählte beim Heruntergehen ungefähr zweihundert steinerne Stufen, als das Tageslicht nicht mehr ausreichte, schalte Hanryo seine Taschenlampe an und leuchtete ihnen den Weg, auch hörten sie irgendwann keine Regengeräusche mehr oberhalb von ihnen. Am Ende der Treppe begann das komplexe Tunnelsystem, künstlich angelegte Höhlen aus grauem Kalkstein, der älteste Teil von Ryuchengshi, ein großes Labyrinth, das nicht nur als Zufluchtsort für Notfälle diente, zugleich war es früher einmal ein Massenfriedhof und ein Gefängnis gewesen. Die Gänge waren relativ groß und breit angelegt, bei einer Flucht oder Evakuierung hätten wahrscheinlich binnen kurzer Zeit viele Leute gleichzeitig denselben Weg benutzen können, es gab auch damals noch dicke und stabile Grenztore, die jedoch schon längst nicht mehr existierten. Viele der Pfade wurden durch das Erdbeben zugeschüttet oder waren irgendwann im Laufe der Zeit eingestürzt, zum jetzigen Moment konnte man die Katakomben dennoch ohne Bedenken betreten, die Gefahren hatten die Ewigkeit nicht überdauert und mit einem gesunden Maß an Vorsicht würde schon nichts Großartiges passieren. Durchgesickertes Regenwasser tropfte an vielen Stellen von der Decke hinunter, Spinnweben, Pilze und Schimmelflecken überdeckten oftmals die uralten Wände, in die mancherorts Schriftzeichen gemeißelt waren, sie stellten wohl Wegweiser dar, dachte sich Chikará. Hanryo bestrahlte sie mit der Lampe und lass ihre Botschaft, seine Gefährtin bemühte sich sie ebenfalls zu entziffern, es gelang ihr aber nicht, zu ungebräuchlich und undeutlich waren die alten Symbole. Die Luft dort unten war zäh und stickig, es war ungewöhnlich warm, beschwerlich wurde der Marsch durch diese unsichtbare Barriere. Chikará schwitze stark, was ihr aber noch nicht einmal selbst auffiel, da ihre Kleidung schließlich noch vom Regen völlig durchnässt war und weil ein fauler Gestank überall zu riechen war, bemerkte sie auch ihren eigenen Schweißgeruch nicht, Hanryo fiel dies jedoch auch nicht auf. Dieser Ort unter der Erde bereitete ihr nicht besonders viel Angst, vielleicht lag es auch nur daran, dass sie sich immer noch in einem gewissen Halbschlafzustand befand und ihre Umgebung nur bedingt wahrnehmen konnte, frühes Aufstehen und Aufstehen allgemein gehörten wohl zu ihren größten Schwächen. Manchmal hörte sie das Quicken von kleinen Nagetieren, ob es Ratten, Mäuse oder andere Geschöpfe waren, konnte sie nicht herausfinden, jedenfalls waren es keine Untoten, worüber sie sehr froh war. Nach ungefähr einer Viertelstunde stießen die beiden auf Unmengen von Knochen, wahrscheinlich waren es menschliche, sie schienen noch nicht allzu alt zu sein, da sie noch gut erhalten waren und damit leicht ihren einstigen Lebewesen zugeordnet werden konnten. Es waren wohl die Überreste von sieben Personen, zumindest lagen dort sieben menschliche Totenschädel, Hanryo bückte sich, um sich den Knochenhaufen genauer anzusehen und um sein Alter besser abschätzen zu können. "Sie sind nicht sehr alt, bestimmt weit weniger als zwanzig Jahre, schätze ich, was heißt, dass sie keine Zeugen des Krieges um diese Stadt sein können. Vielleicht waren es einst Plünderer oder Abenteurer, die sich hierhin verlaufen hatten und den Ausgang nicht mehr fanden?" Chikará schwieg, ihre nachträgliche Müdigkeit war inzwischen völlig verschwunden, sie betrachtete die Leichenreste gefühllos und ohne großes Mitleid. Die Worte ihres Begleiters vom Vortag zeigten jedoch ihre Wirkung, sie trauerte nun nicht mehr jedem Wesen hinterher, sie hatte auch selbst eingesehen, das Trauer und Gedanken über jeden, der sein Leben lässt, nur entkräften und behindern. Bei Hanryo verhielt es sich nicht anders als bei ihr, er ging nach vorne schauend an dem Knochenhaufen vorbei und weiter durch den dunklen Gang, sie zögerte nicht und folgte ihm eilig, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie musterte im weiteren Verlauf ihrer Katakombenwanderung besonders die Wandverzierungen der Höhlengänge. Sie zweifelte zeitweise sogar daran, dass Hanryo wirklich den Weg kennen würde, weil es ihr so vorkam, als wären sie nur im Kreis gegangen, sie hatte versucht sich die Schriftzeichen zu merken und bildete sich ein, dass es immer dieselben gewesen wären, was sie jedoch nicht waren. Wahrscheinlich hätte jeder Laie sie für dieselben gehalten, ihre Ähnlichkeiten waren deutlicher ausgeprägt als die kleinen Unterschiede, die lediglich Hanryo erkannte, er war diesen Weg schon öfter als einmal entlang gegangen. Wie gerne hätte Chikará ihre Botschaft erfahren, neugierig sprach sie Hanryo auf die mysteriösen Zeichen an: "Diese in die Wand gemeißelten Wegweiser, was sagen sie dir?" "Wegweiser?", wiederholte er verwundert und hielt an. "Das sind Gräber." "Gräber?" Sie erschreckte sich einwenig. "Ja, was dachtest du denn, was man früher den Leichnamen von Drachen gemacht hat?" "Man hat sie doch wohl nicht wirklich in die Wände eingemauert?", fragte sie ungläubig. Er nickte nur und ging weiter, sie folgte ihn kopfschüttelnd und machte sich bald keine Gedanken mehr darüber. Chikará gewöhnte sich nicht an die unterirdische Dunkelheit, die ihr erst im Laufe der Zeit richtig auffiel, auf Dauer machte sie die Lichtlosigkeit etwas vorsichtiger, vielleicht auch etwas ängstlicher, sie war diese beinah völlige Finsternis nicht gewohnt. In den Slums war immer alles, auch nachtsüber, hell und beleuchtet, die unzähligen Neonlaternen und elektrischen Strahler überall, dort endete der Tag niemals wirklich. Das hier war genau das Gegenteil davon, eine Welt, in der die Nacht niemals endete, nur Hanryos Taschenlampe spendete einen Hauch von Licht, es war nicht viel, aber ohne dieses kleine Bisschen hätte sie wohl Panik bekommen. Lebewesen gab es hier unten, im tieferen Erdreich auch nicht mehr, keine Insekten und nicht mal Parasiten, hier wollte scheinbar überhaupt nichts leben, zwar gab es Spinnenweben, aber keine einzige Spinne zeigte sich aus ihrem Versteck, sofern sie überhaupt noch hier verweilten. Die toten Höhlen waren noch eine Steigerung der toten Ruinen, dachte Chikará sich, die Welt über ihr hatte sie schon als Ende der Welt bezeichnet, was wäre das hier unten dann? Jedenfalls waren diese Katakomben der unheimlichste und tristeste Ort, den sie bis dahin jemals gesehen hatte, sie fragte sich, weshalb Hanryo sie hierhin geführt hatte, wie wichtig müsste ihm der Grund oder das Geheimnis dieses Höhlenkomplexes sein? Chikará hätte ihn gerne danach gefragt, aber da sie sich seine viel zu allgemeine Standardantwort schon denken konnte, ließ sie es bleiben. Irgendwann, nach zahlreichen Abbiegungen und weiteren Treppen nach unten, noch tiefer ins Erdreich, stolperte sie fast über irgendetwas, daraufhin stieß sie vor Schreck einen lauten Schrei aus. Hanryo leuchtete sofort zu ihr, auf dem Boden lag eine Leiche, ihr fehlten der Kopf und ein Arm, ihre Kleidung war zerrissen. Ihre Hautfarbe, ihre Gestalt und die Tatsache, dass nirgendwo Blutspuren zu erkennen waren, wiesen auf die Tatsache hin, dass es sich entweder um einen Untoten oder einen Ghul handeln musste, also war das Wesen wohl schon tot, bevor es hierher fand, jetzt war es zumindest bewusstlos und somit handlungsunfähig und ungefährlich. Chikará schaute Hanryo grinsend an. "Hier unten gibt es keine Untoten?" Er war sprachlos und überlegte angestrengt und gründlich, wie diese Kreatur hierhin gekommen sein könnte, erfolglos, er konnte es sich einfach nicht erklären und fand keine sinnvollen und realistischen Begründungen für dieses Phänomen. "Gut, ich habe mich geirrt", gab er zu. "Aber das ist wirklich sehr ungewöhnlich. Vielleicht hat er sich ja nur verlaufen oder so?" "Und wer oder was hat ihn so zugerichtet?" Er zuckte mit den Schultern. "Das kann doch eigentlich gar nicht wahr sein, die Katakomben sind verflucht, die Untoten zwar auch, aber sie würden sich normalerweise niemals hier herunter wagen." "Wieso denn nicht?" "Den Grund dafür will ich dir zeigen, es ist unser Ziel, es ist nicht mehr weit. Komm, wir sollten weitergehen." Es dauerte nicht lange, bis Chikará erneut auf irgendwas Großes trat, das nur etwa zehn Meter weit von dem Untoten entfernt lag. Man hörte etwas durchbrechen unter ihrem Fuß, was bei ihr einen kleinen Schrecken verursachte, aufgescheucht sprang sie zurück. Hanryo leuchte schnell zu jener Stelle, er hatte nämlich die Vermutung, dass es sich eventuell um eine weitere Leiche handeln könnte. Der Lichtkegel zeigte es ihn, es handelte sich wirklich um einen weiteren Leichnam, wieder sah es so aus, als wäre es ein Untoter, der ein zweites Mal ins Totenreich gewandert war und dessen schwerverwundeter Körper nun auf seine Rückkehr wartete. Chikará atmete schwer und unregelmäßig vor Entsetzen. "Sind hier noch mehr?" Hanryo leuchtete weiter nach vorne, den Gang entlang, wo, wie sie jetzt sahen, alle paar Meter ein niedergemetzelter Rumpf eines Untoten lag. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie weitersprach: "Was ist hier passiert?" Er antwortete nicht und ging unbeeindruckt weiter. "Wer? Wer war das?", fragte sie energisch. Erneut ignorierte er die Frage seiner Gefährtin. "Wer verdammt?" Sie wurde wütend. "Ein Drache, einer von uns?" Er blieb stehen. "Ja, wahrscheinlich", antwortete er wehmütig und setzte seinen Weg schweigend fort. Chikará schwieg von nun an ebenfalls und folgte ihm langsam, wobei sie immer wieder zu den bewusstlosen Untoten herunterschaute und versuchte, sich den Verursacher dieses Massakers vorzustellen. Ein Drache war es also, vielleicht Jimo? Nein, im Kampf gegen ihn zeigte sich, dass er nicht gerade der stärkste und erfahrenste Kämpfer war, seine Kraft hätte niemals für solch eine Tat ausgereicht. Wer sollte es dann sein? Ein mächtiges und zugleich gefühlloses Wesen, das die Dunkelheit der Katakomben ebenso liebte wie das Kämpfen und Töten, ein Wesen, dessen Charakter erfüllt war von Hass und Wut, eine vergessene Seele an diesem vergessenen Ort, vergessenen in dieser schier endlosen Finsternis. Um was für ein seltsames Schattenwesen handelte es sich nur? Sie fand keine hinreichende Lösung auf dieses Rätsel, zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht, obwohl sie sich sehr nach einer sehnte und intensiv darüber nachdachte während ihres weiteren Marsches. Die beiden erreichten schließlich einen großen Korridor, das Ende der Katakomben. Es war ein langer Flur, an dessen Seiten sich Gefängniszellen befanden, das schwache Licht der Taschenlampe zeigte nicht viel mehr von ihnen. Dunkles Steingrau und tiefes Schwarz dominierten die Umgebung, die Schrittgeräusche der beiden waren die einzigen Töne, die die Stille des Todes brachen. Wie im letzen Gang, so lagen auch im Korridor Leichen, wild verstreut und verstümmelt, wie als hätte eine übernatürliche Macht sie bekämpft, eine gewaltige, nahezu göttliche Macht. Hanryo und Chikará gingen, ohne irgendwann auch nur einziges Mal stehen zu bleiben, geradeaus durch den Flur, beide dachten nicht mehr über die Untoten nach, sie wussten, dass ihr Ziel nahe war. Am Ende des Korridors befand sich die größte Zelle, ihre rostige Gittertür war offnen. Hanryo blieb vor der offnen Tür stehen und starrte auf den dunklen Zellenboden. "Es ist genauso, wie ich es vermutet habe. Hier war er, dies sollte sein Gefängnis für die Ewigkeit sein", sagte er leise und mit tiefer Stimme, bevor eine alte Erinnerung an diesen Ort wie ein Blitz durch seinen Verstand fuhr: * "Was führte dich zu mir, Hanryo? Nahezu fünfzig Jahren sind seit deinem letzten Besuch vergangen?" "Du bist immer noch einer von uns, obgleich du verurteilt bist, hier unten dein Dasein zu fristen." "Was geschieht in der Welt über mir?" "Die Welt zerbricht immer mehr, viele Menschen leben in Armut und Hungersnot. Die Maschinen der Jishus erleichtern zwar ihren Alltag, jedoch führen sie genauso zur Arbeitslosigkeit der unwichtigeren Arbeiter. Der Osten hat wieder einen neuen Kaiser, die Hauptstadt des Osten ist wunderschön geworden." "Hast du noch welche von uns auf deinen Reisen getroffen?" "Nein, wir sind ein aussterbendes Volk, nach meiner Generation folgt keine mehr. Niemanden mehr von uns fand ich, weder im Osten noch im Westen, ebenso wenig fand ich diejenige, nach der ich schon so lange suche." "Du wirst sie eines Tages treffen, da bin ich mir sicher." "Hoffentlich, wenn es für uns noch eine letzte Rettung gäbe, dann wäre sie es." "Gehen die Verschwörungen aus unseren eigenen Reihen weiter?" "Ja, leider. Sie bezeichnen uns als ,Verräter', ihre Vorhaben sind fern jeder Realität, aber sie haben zum Glück niemanden, der ihnen helfen wird und alleine können sie nichts unternehmen. Ich hörte zwar Gerüchte, dass sie mit den Jishus Verträge schließen würden, dies kann ich mir jedoch kaum vorstellen." "Wieso lässt du mich nicht dein Gefährte werden, ich würde dir bei deiner Suche helfen und dich im Kampfe gegen die Abtrünnigen unseres Volkes unterstützen? Es liegt doch alles so weit in der Vergangenheit, Ryuchengshi existiert längst nicht mehr, niemanden interessiert mein Verweilen hier, warum lässt du mich nicht endlich frei?" "Ich kann das nicht tun." "Weshalb nicht? Wegen Beschlüssen und Urteilen, die mehr als tausend Jahre zurückliegen?" "Du kanntest unsere Gesetzte von Anfang an, die Konsequenzen deines Handelns hätten dir bewusst sein sollen. Zudem ist dein Gefängnis durch alte Magie verschlossen, die ich nicht beherrsche." "Aber wen interessieren denn die alten Gesetze heute noch, wo es unser Volk nicht mehr gibt, wo wir keinen Herrscher mehr haben und im Schatten der Menschen leben? Und du, du beherrschst doch Teile der alten Magie?" "Lebe wohl, ich werde jetzt gehen." "Nein, gehe noch nicht, lasse mich bitte nicht noch einmal alleine in der Finsternis zurück, in der ich schon seit Ewigkeiten gefangen bin, ich kann mich überhaupt nicht mehr an das warme, helle Sonnenlicht erinnern, meine Schmerzen und Qualen sind so groß, befreie mich, befreie mich doch bitte!" "Nein, akzeptiere endlich dein Schicksal!" * "Wer war er?", fragte Chikará und riss ihn damit aus seiner Erinnerung. "Einer von uns", antwortete Hanryo. "Sein Name war Yiwèn, er hatte jedoch keine menschliche Erscheinungsform, er besaß noch unsere ursprüngliche Gestalt." "Wieso war er hier unten eingesperrt?" "Er hat einen anderen Drachen im Streit getötet, unsere Gesetze sahen dafür eine lebenslange Haftstrafe vor." "Lebenslang?", wiederholte sie ungläubig. "Wir leben doch etliche Jahrzehntausende lang?" "So ist es." "Und jetzt ist er anscheinend doch noch ausgebrochen und hat auf seiner Flucht einige Untote verprügelt. Also, ich nehme ihm das nicht übel, wenn man mich so lange einsperren würde, dann würde ich, wenn ich freikomme, auch ein bisschen übermütig werden und so etwas veranstalten." "Aber er konnte nicht hier raus, das war unmöglich, alte Magie hielt ihn hinter diesen dünnen, rostigen Gittern gefangen, den Schlüssel zu seiner Zelle hatte man vor langer Zeit vernichtet. Er konnte sich nicht selbst befreien, ebenso wenig konnte irgendwer anders ihn befreien, ich habe keine Ahnung, wie er entkommen konnte." "Vielleicht war es Jimo?" Er lachte kurz und versteckt. "Nein, er war es bestimmt nicht." "Wieso? Vielleicht beherrschte der Dämon die alte Magie?" "Das war Drachenmagie, keine Dämonenmagie, ich frage mich aber noch viel mehr, weshalb er die Untoten so zugerichtet hat?" "Er war doch ein Mörder?" "Er bereute seine Tat wirklich, ich traue ihm das große Massaker hier unten ehrlich gesagt nicht zu." "Wer war es denn dann?", wollte sie unbedingt wissen. "Das könnte vielleicht Jimo gewesen sein, der Dämon hat doch alles ohne Sinn und Verstand attackiert? Vielleicht hat er sich irgendwann einmal auf seiner Suche nach Dämonenbüchern nach hier unten verirrt und die Tatsache, dass hier unten Untote waren, lässt sich jetzt ja auch erklären. Sie kamen niemals herunter, weil sie sich vor Yiwèn fürchteten, und wir wissen ja auch nicht, wie lange sein Ausbruch zurückliegt, vielleicht geschah es bereits vor einigen Jahrzehnten, ich war schon lange nicht mehr hier. Jedenfalls gönne ich ihm ehrlich gesagt seine Freiheit, er war hier unten so lange alleine eingesperrt, hätte ich es gekonnt, so hätte ich ihn wohl schon früher selbst befreit." "Du warst schon öfters hier unten bei ihm?" "Ja, alle paar Jahrzehnte habe ich ihn hier unten besucht, ich war wohl der einzige, der sich noch an seine Existenz erinnern konnte, aber befreien konnte auch ich ihn wirklich nicht, um so mehr freut es mich nun, dass er nicht mehr hier sein muss." "Aber wenn du schon etliche Male hier warst", fiel Chikará auf. "Weshalb brauchten wir dann einen Stadtplan?" "Normalerweise flog ich vom Rande der Schlucht aus immer sofort zum Katakombeneingang, den Rest der Stadt kenne ich kaum", erklärte er. "Ich hatte auch gehofft, dass Yiwèn dir vom Krieg berichten könnte, er hatte zumindest die Anfänge noch hautnah miterlebt, das war auch der Hauptgrund, für unsere gesamte Expedition hierhin. Nun, wie du siehst, ist er leider nicht mehr hier und damit war der beschwerliche Weg durch die Ruinen eigentlich umsonst." "Werden wir nicht versuchen ihn zu finden?" "Nein, wieso sollten wir? Er soll seine Freiheit genießen, außerdem habe ich keine Idee, wo er sich jetzt aufhalten könnte, geschweige denn, wer ihn überhaupt befreit hat?" "Vielleicht wird er dich irgendwann suchen, um sich für die vielen Besuche bei dir zu danken, dann kannst du ihn ja auch noch fragen, wer ihn befreit hat." "Bestimmt wird er das irgendwann einmal tun, bis dahin werde ich mir an dieser Frage den Kopf zerbrechen." "Na ja, dafür sieht es aber fast so aus, als hätte zumindest seine Geschichte nun doch noch ein glückliches Ende gefunden." "Es scheint so." Als sie wieder am Eingang der Katakomben angekommen waren, hatte es bereits wieder aufgehört zu regnen, auch war die Kleidung der beiden mittlerweile wieder getrocknet. Die Sonne schien dumpf durch das dichte Wolkendach, viele großen Pfützen waren am sandigen Boden vom starken Regen übriggeblieben, durch die das Grauweiß des Himmels gespiegelt wurde. Die Luft war trüb und kühl, Ruhe und Windstille herrschten, keine Untoten waren zu sehen, die Straßen und der Stadtplatz von Ryuchengshi waren leer. Einzig die beiden Gefährten standen dort, in Mitten des Nichts und der Leere, wo sie sich mit leichter Freude umsahen, jetzt blieb ihnen nur noch der Weg raus aus der Schlucht, bald schon wären sie weg von diesem Ort des Todes und der Vergänglichkeit. Hanryo schlug vor, dass sie von ihrem momentanen Standpunkt aus direkt zum Rand der Senke fliegen sollten, was der schnellste und einfachste Weg wäre, um die vergessene Stadt zu verlassen. Chikará sollte sich, wie als sie am Vortag hinuntergeflogen waren, an ihm festhalten und sich so mitnehmen lassen in die Lüfte. Sie war sehr froh darüber, in absehbarer Zeit weg von diesem verlassenen und unheimlichen Ort zu sein, so viele schlimme Gedanken und Erlebnisse waren ihr hier wiederfahren. Die Untoten, die Ghule, Jimos Tod und die Statur ihres Vaters, die in der Ferne auf dem Stadtplatz zu sehen war, immer noch schwirrte sie durch ihren Kopf, obwohl sie versuchte jeden Gedanken an ihren Vater zu verdrängen. Auch hatte sie hier ihre ersten Erfahrungen im Kampf gemacht, er war zwar nur ein schwacher und leichter Gegner, dennoch wusste sie nun, wie es war, jemanden fast bis zum Tode zu bekämpfen. Es war kein schönes Gefühl, aber es gab ihr mehr kämpferisches Selbstbewusstsein, und das würde sie bestimmt noch in weiteren Duellen brauchen, wenn sie es alleine mit schwereren und kampferprobteren Gegnern aufnehmen müssen würde, dachte sie sich. Obgleich dies wohl nur die erste Etappe ihrer langen Reise war, so war sie sich trotzdem sicher, auch die folgenden Aufgaben und Hindernisse zu meistern, für ihr Volk, für sich selbst, für ihren treuen Begleiter und Lehrmeister und vielleicht auch ein wenig für ihren toten Vater. Auch Hanryo war mit dem Besuch der alten Drachenstadt am Ende relativ zufrieden, nicht nur hatte Chikará viele neue Erfahrungen in den Ruinen gewonnen, ebenso konnte er ihr seine pazifistische Haltung nahe bringen und sie vielleicht sogar von ihr teilweise überzeugen, meinte er. Gerne hätte er sie noch mit Yiwèn sprechen gelassen, aber jener hatte ja nun endlich sein Gefängnis verlassen können, nur die Frage, wie er entkommen konnte, schien Hanryo sehr rätselhaft. Wie nur konnte er fliehen? Er konnte es niemals aus eigener Kraft geschafft haben, er musste von irgendjemandem befreit worden sein, nur von wem? Wer sollte sich denn noch an ihn erinnern und vor allem, wer sollte noch die alte Drachenmagie beherrschen? Diese ganze Geschichte schien unbegreiflich zu sein, fern ab jeglicher logischer Zusammenhänge oder Gründe, es war wirklich ein schier unlösbares Geheimnis. Hanryo gab dieser Ausflug mehr Fragen als Antworten, mehr Unklarheiten als Erkenntnisse. Zumindest konnte er Chikará die Statue ihres Vaters zeigen, er hatte sich erhofft, dass der Anblick bei ihr Erinnerungen an die Vergangenheit zurückrufen würde, aber dem war leider nicht so. Damit blieben aber wenigstens auch größere Veränderungen ihres Charakters aus, er wusste nicht, ob sie damals nicht vielleicht zu den strengen Befürwortern Quanlis gehört hatte, falls ja, dann hätte ihr totaler Gedächtnisverlust nur positive Folgen gehabt, sowohl für sie, als wohl auch für den Rest der Welt. Im nachhinein konnte man sagen, dass sie die Begegnung mit ihm verhältnismäßig kalt gelassen hat, wobei sie ja eigentlich doch oft zu Ausrastern geneigt war, jedenfalls bis vor kurzem, aber nach ihrem letzten, bei dem sie sogar weggelaufen war, schien sie viel beherrschter und geduldiger geworden zu sein, was ihr natürlich in keiner Weise schadete, eine gewisse innere Ruhe war sehr wichtig im Leben und im Kampf, davon war Hanryo überzeugt. Schließlich stellte sich Chikará vor ihm hin und umklammerte ihn, während er seine Schwingen ausbreitete und seine Arme um ihren Oberkörper legte. Sie schloss ihre Augen und krallte sich noch etwas stärker an ihren Gefährten, vor Angst im Flug herunterzufallen, dann spürte sie nur noch, wie ihre Füssen nicht mehr den Boden berührten, das angenehme Gefühl der Schwerelosigkeit. Sie liebte es zu fliegen, obwohl sie stets die Augen dabei schloss, hauptsächlich aus Ungewissheit, aber auch um das Fluggefühl und die Freiheit noch intensiver genießen zu können. Plötzlich spürte sie einen harten Schlag gegen ihren Rücken, eine ungeheuere Kraft steckte hinter ihm, durch die selbst Hanryo das Gleichgewicht verlor, er konnte sich nicht mehr in der Luft halten und stürzten ab, aus einer Höhe von ungefähr drei Metern fielen er und Chikará wie schwere Steine herunter. Alles ging so schnell, dass sie weder ihren Absturz verhindern, noch während des Falls die Lage realisieren konnten. Ungebremst und sich nur aus Reflex mit Armen und Händen den Kopf schützend, landeten sie zwar mit den Füßen zuerst in einer Pfütze am Straßenrand, konnten aber nicht mehr das Gleichgewicht halten und stürzten ins Wasser, das zum Glück die Wucht des Aufpralls etwas abschwächte. Nicht mehr als ein paar Prellungen waren die Folgen des Sturzfluges, der auch weitaus schlimmere Konsequenzen nach sich hätte ziehen können, aber glücklicherweise ging alles derart glimpflich aus. Bei der Landung hatte Hanryo seine Schwingen bereits wieder in seinen Rücken eingezogen, damit sie nicht verletzt wurden und er so eventuell nicht mehr hätte fliegen können. Chikará hatte vom Absturz nicht viel mehr mitbekommen, als einen großen Schock, da sie ihre Augen die ganze Zeit über geschlossen gelassen hatte vor Ungewissheit, deshalb bemerkte sie lediglich die nasse Landung in dem etwa knietiefen Wasserloch. Der Aufprall bereitete ihr nur kurzweilige, aber dennoch starke Schmerzen, vor allem an ihrer rechten Körperseite, mit der sie aufgeschlagen war. Dass sie wieder völlig durchnässt war, realisierte sie überhaupt nicht, zu groß war der Schrecken über den plötzlichen Schlag in der Luft. Sie hob den Kopf aus dem verdreckten Wasser, dabei hingen ihr ihre nassen Haare im Gesicht, die sie mit zwei Fingern wegstrich, die Tropfen liefen an ihrer Haut herunter bis zur Wasseroberfläche. Angestrengt blickte sie zur Stelle, an der sie die überraschende Attacke erfahren hatte, sie hatte noch Wasser in den Augen, weswegen es einen Moment lang dauerte, bis sie den Grund ihres Absturzes genau erkennen konnte. Mitten auf der Straße, ungefähr zehn Meter weit von ihr entfernt, stand er, der Verursacher des Unfalls, es war ein Drache, ein echter Drache in seiner ursprünglichen Form. Chikará traute ihren Augen nicht, tatsächlich, es war ein Drache, endlich sah sie eines dieser mysteriösen Geschöpfe, von denen sie auch selbst eines war, in seiner wahren Erscheinungsform. Es gab sie also wirklich, die letzten kleinen Zweifel an all den Geschichten von Hanryo und Akashia, die sie bis dahin noch mit sich trug, waren endgültig dahin. Ein Drache, es war unglaublich für sie, sie schüttelte vor Staunen kurz den Kopf, es schien ihr alles wie in einem Traum, der nicht enden wollte. Aber die Faszination währte nicht lange, beim zweiten, genauern Blick erkannte sie, das mit diesem Drachen etwas nicht stimmte, es handelte sich um keinen normalen Drachen, was selbst sie, obwohl sie niemals zuvor solch ein Wesen gesehen hatte, sofort erkannte. Seine beschuppte Haut war bleich und rissig, sein etwa zwölfmeterlanger Körper war mit unzähligen Narben übersät, Verletzungen, die weder verheilten noch bluteten, seine Augen waren nicht typisch grün, sie waren leer und tot. Seine Glieder waren ungleichmäßig, tiefe Wunden zeigten Teile seiner Knochen, er schrie laut, es hörte sich wie ein Klagegesang an, unverständlich für Menschen und alle anderen, die der alten Drachensprache nicht mächtig waren. Er stand dort zitternd und schwankend, scheinbar benebelt und perplex, orientierungslos und willenlos, weder tot noch lebendig. Ein untoter Drache, wie war das nur möglich? Chikará und ebenso Hanryo konnten es nicht verstehen und es sich nicht erklären, es war unmöglich, solch ein Wesen hätte niemals existieren dürfen? Drachen konnten keine Untoten werden, niemals hätte so etwas eigentlich passieren können, Drachen, die Abkömmlinge der Götter, sie standen über den menschlichen Definitionen von Leben und Tod, sie konnten nicht zu Untoten werden, sie nicht, oder vielleicht etwa doch? Welche furchtbaren und unerklärlichen Wege mussten beschritten worden sein, um diese bedauernswerte Kreatur zu erschaffen, wie gewissenlos muss ihr Erschaffer gewesen sein? Die beiden standen wie versteinert vor diesem Geschöpf der Finsternis und des Todes, das sein Klagelied beendete und in großer, scheinbar grundloser Wut auf sie losstürmte. Für Antworten auf die vielen ungelösten Fragen blieb keine Zeit mehr, ein Kampf gegen den Drachen schien unumgänglich, jetzt würde sich zeigen, wie stark dieses Wesen wirklich war. Im Moment des Angriffs des Drachen handelte Hanryo schnell, er packte Chikará am Arm und rannte mit ihr hastig raus aus dem Wasserloch und weiter weg vor ihren Gegner, bis hinter ein paar Hauswandtrümmer am naheliegenden Straßenrand, dort angekommen ließ er sie wieder los, schmiss den Rucksack zu Boden, welcher ihn jetzt nur unnötig behindern würde und griff fieberhaft nach seinem Schwert. "Ein untoter Drache?", fragte Chikará schnellatmend. "Ich habe so etwas noch nie gesehen", antwortete Hanryo und drückte ihr ihre Waffe in die Hand. "Wie können wir ihn bekämpfen?" "Mal sehen, wie weit wir mit unseren Waffen kommen, wenn wir ihn damit nicht erledigen können, dann haben wir ein Problem." Noch während er den Satz beendete, drehte er sich um in Richtung Straße, ihr Verfolger konnte sich nicht so schnell fortbewegen wie sie, dennoch war er zu jenem Zeitpunkt nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt und er hetzte weiter mit lautem Wutschreien, die ihnen in den Ohren schmerzten. Hanryo erkannte sogleich den Ernst der Lage und entschloss sich zum Angriff. Er nahm sein Schwert fest mit beiden Händen und rannte entschlossen auf den rasenden Drachen zu, welcher ihn mit einem lauten Schrei empfing, was wohl seinen Angreifer Respekt einflößen sollte. Unbeeindruckt davon stürzte sich Hanryo auf ihn, zwei harte Schwerthiebe setzte er an, beide konnte der Drache mit seinen Klauen parieren, bei der dritten Attacke rammte Hanryo ihm die Klinge mitten durch seine blockende Klaue und stach sie weiter durch in die Brust des Drachens. Nach diesem erfolgreichen Angriff fühlte Hanryo sich schon fast als Sieger des Duells, aber der Drache war viel stärker, als er dachte. Er reagierte auf den schweren Treffer nicht, kein einziger Tropfen Blut lief aus der Wunde, er zuckte nicht einmal, keinen Funken Schmerz schien er danach zu spüren, lediglich sein ungeheurer Zorn wuchs weiter. Er schlug wild mit seiner anderen Klaue nach Hanryo, was jenen sehr verwunderte, denn er hatte den Kampf bereits als entschieden angesehen, dennoch schaffte er es den Angriff auszuweichen und gleichzeitig sein Schwert wieder aus dem Körper des Drachen herauszuziehen, auch auf der scharfen Klinge war kein bisschen Blut zu erkennen. Er wusste nicht, wie er seinen Widersacher weiterbekämpfen sollte, nachdem diese normalerweise tödliche Attacke ihrem Zweck versagte, ratlos setzte er weitere mächtige Techniken an. Der Drache schlug nach ihm mit seinen kräftigen Klauen und versuchte ihn mehrmals mit seinen Reißzähnen zu packen, erfolglos, Hanryo war zu flink und gewandt für solche offensichtlichen Angriffe. Er konterte mit einem gewagten Schlag gegen den Hals des Drachen, er wollte ihn köpfen, aber die dicken Halswirbelknochen ließen keinen Durchschlag zu, selbst nicht mit Hanryos starkem Katana. Der Drache schlug sofort mit seinem gehörnten Haupt nach seinem Angreifer, der dieses Mal nicht ganz ausweichen konnte, die harte, schuppige Drachenhaut und die spitzen Hörner streiften seinen Körper. Hanryo schrie auf vor Schmerzen und zog blitzartig sein Schwert zurück, durch den letzten Angriff des Drachen erlitt er Schnittwunden am Kopf, am rechten Arm und am Oberkopf, das Blut färbte seine Kleidung und sein Gesicht rot. Die schweren Schmerzen machten ihn unaufmerksam, nach einem weiteren mächtigen Klauenhieb, der ihn direkt und uneingeschränkt traf, flog er mit samt seiner Waffe einige Meter weit zur Seite gegen einen Felsbrocken, beim harten Aufprall hörte man, wie Knochen durchbrachen. Hanryo kauerte sich zusammen vor Schmerzen, dieser unerahnt großen physischen Kraft war er nicht gewachsen, er konnte nicht mehr aufstehen und weiterkämpfen. Chikará wollte nicht glauben, was sie dort gerade gesehen hatte, es war ihr unbegreiflich, Hanryo wurde besiegt, er, den sie für den besten Kämpfer der Welt gehalten hatte, er wurde geschlagen, was sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte, niemals hätte sie so etwas für möglich gehalten. Nun lag er da, wie eine Leiche am Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Weshalb hatte sie ihn nicht geholfen, warum war sie zu naiv gewesen um einzugreifen, sie hatte doch gesehen, wie aussichtslos seine Angriffe gewesen waren, ein gewisser Selbsthass überkam sie. Sie hatte nur zugesehen, wie er beinahe sein Ende gefunden hätte und sie hatte überhaupt nichts getan, nur zugesehen. Chikará verzweifelte fast an ihrer Schuld, so etwas sollte eine Kaiserin sein, dieses dumme Mädchen, das noch nicht einmal bereit war, ihren Gefährten im Kampfe zu unterstützen, beschuldigte sie sich selbst. Der Selbsthass verwandelte sich schnell in Aggression, sie sprang hervor, direkt vor den Drachen und attackierte ihn mit einer Wut, die seiner gleichkam. Sie schlug unentwegt auf ihn ein, ohne genaue Ziele zu haben, einzig die Entladung ihres angestauten Hasses trieb sie an. Der Drache konterte mit wilden Gegenangriffen seiner Klauen, ein paar Mal traf er Chikará, diese merkte nie mehr als einen kurzen Stoß in ihrer Ekstase, die Waffen ihres Widersachers konnten sie sowieso nicht verletzen, hingegen richteten ihre eigenen Angriffe keinen unerheblichen Schaden an. Am rechten Vorderbein fügte sie ihm eine große und tiefe Schnittwunde zu, die zwar nicht blutete, aber dennoch bemerkbar die Beweglichkeit des Drachen beeinflusste, wahrscheinlich hatte sie wichtige Sehnen und Muskeln durchtrennt, die selbst Untote brauchten, um sich bewegen zu können. Mutiviert durch diesen sichtbaren Erfolg holte sie schnell zu weiteren Schlägen aus und fügte ihren Gegner zahlreiche Wunden am Vorleib zu, der Drache konnte nur wenige Angriffe abwehren, weil die meisten seiner Bewegungen nun zu langsam und träge waren, die halbtoten, teils verkrüppelten und verletzten Gliedmaßen verloren langsam an Stärke. Chikará begriff jetzt, wie nahe der Sieg war, der Sieg, den nicht einmal Hanryo errungen hatte, er war so nahe und sie wollte ihn mehr als alles andere in diesem Moment, nur noch ein paar gezielte Hiebe und sie hätte es geschafft. Eine gute Möglichkeit um den Schrecken ein Ende zu setzen, sah sie, als der Drache den Kopf senkte mit seinem weitgeöffneten Maul und versuchte, Chikará mit den starken Zähnen zu erwischen. Sie nahm ihr Schwert fest in beide Hände und rammte es ihm von der Seite aus in den Schädel, sie durchdrang die harten Knochen und die Klinge steckte tief im Gehirn des Drachen, welcher laut aufschrie. Chikará lächelte flüchtig, ließ ihre Waffe los und huschte einige Schritte weit zurück, das musste es gewesen sein, jeden Moment würde der Drache umfallen und sie hätte gewonnen, davon war sie überzeugt. In ihrem Optimismus beachtete sie ihn jedoch nicht mehr gut genug, während ihrer Vorfreude schlug der Drache, scheinbar kurz vorm Ende stehend, mit seinem schwer verwundeten Schädel ziellos und wild durch die Gegend, das Schwert steckte immer noch in seinem Kopf fest, dabei starrte Chikará ihn mit leichter Freude in die leeren Augen, die einst wohl smaragdgrün waren, als er noch ein normaler Drache war. Wer hatte nur solch ein Ungeheuer aus ihm gemacht, welche Macht vermag dies zu schaffen, welche Bosheit? Der Drache schlug auch einmal aus Verzweifelung und Wut mit seinem Kopf auf den Boden, wobei die Schwertklinge in zwei Teile überbrach, von denen der eine jedoch in seinem Schädel stecken blieb. Daraufhin blickte er zu Chikará, die allmählich realisierte, dass sie ihn noch lange nicht besiegt hatte, aber wenn er doch sogar diese letzte Attacke überlebte, wie sollte man ihn denn dann überhaupt besiegen können? Ungläubig schaute sie auf den Griff ihres übergebrochenen Katanas, selbst diese mächtige Waffe konnte ihn so gut wie nichts anhaben. Welche Waffe sollte ihn überhaupt etwas anhaben? Eine späte Vernunft überkam Chikará, sie bückte sich hastig, hob den Rest ihrer Klinge vom Boden auf und schritt wieder einige Meter weit zurück, raus aus der Reichweite der Drachenklauen. Sie holte aus und warf ihren Gegner den Schwertgriff ins linke Auge, wo der spitze Klingenrest die Pupille aufschnitt, was den Drachen zwar nicht blendete, ihn aber kurzzeitig beschäftigte. Genau in diesem Moment lief Chikará so schnell sie konnte weg, ohne einen weiteren Angriff auszuüben, endlich hatte sie ihre Unterlegenheit erkannt und sich für das einzig Sinnvolle, die Flucht, entschieden. Sie blickte sofort zu Hanryo, er lag immer noch zusammengekauert vor dem Felsbrocken, auf dem er aufgeschlagen war, sie eilte zu ihm. Der Drache bemerkte ihren verzweifelten Fluchtversuch, er drehte sich schnell zu ihr und schlug mit seinem kräftigen Schwanz nach ihr, den sie in ihrer Panik nicht mehr beachtete, er traf sie wie eine meterdicke Peitsche an den Beinen und schleuderte sie hart zu Boden. Völlig unvorbereitet auf den Sturz knallte sie mit dem Kopf auf dem steinernen Straßenasphalt, der Aufprall war derart hart, dass sie eine Gehirnerschütterung erlitt, gänzlich benebelt blieb sie liegen und verlor für eine kurze Zeit lang das Bewusstsein. Ihr letzter Gedanken richtete sich an Hanryo, sie hatte versagt, nun würde er vom Drachen getötet werden, während sie dort lag und nichts unternehmen konnte, dann schlossen sich ihre verzweifelten Augen, ihr fehlte die Kraft sie aufzuhalten. Der Drache beachtete sie nun nicht mehr und wandte sich wieder zu Hanryo, der zusammengekrümmt am Straßenrand lag, sein Gesicht war schmerzverzerrt und blutverschmiert. Nach dem letzten mächtigen Schlag seines Widersachers war er sehr unsanft und unglücklich gegen das harte Gestein geprallt, wodurch er sich wohl den rechten Arm brach, den er gegenwärtig kaum noch bewegen konnte, geschweige denn noch sein Schwert mit ihm halten konnte. Auch hatte er sich am rechten Fuß irgendetwas sehr Schmerzhaftes zugezogen, er versuchte aufzustehen, fiel aber sofort wieder hin, sein Leiden war zu groß, er konnte nicht mehr aufstehen. Der Drache kam langsam und schreiend auf ihn zu, während Hanryo bewegungsunfähig nur noch auf sein sicheres Ende warten konnte. Kampflos wollte er nicht aufgeben, sein Schwert landete nicht weit von ihm entfernt, er streckte sich zu ihm und nahm es mit seiner linken Hand. Als der Drache die Waffe sah, schlug er nur einmal mit seiner Klaue nach ihr, Hanryo konnte so ziemlich überhaupt nicht mit links kämpfen, deshalb reichte auch ein leichter Hieb des Drachen aus, um ihn zu entwaffnen. Die Klinge flog einige weit zur Seite, unerreichbar für Hanryo, man hörte den hellen Klang des Metalls, als das Schwert den Boden berührte, das schrille Geräusch weckte Chikará aus ihrer Bewusstlosigkeit. Sie stand langsam auf, ihr Kopf schmerzte, ein dumpfes Dröhnen herrschte in ihm. Sie drehte sich zu Hanryo und den Drachen am anderen Ende der Straße, sie erschrak, sie erblickte, wie hilflos ihr Gefährte vor seinem Gegner lag, ihn seinen Augen erkannte sie, dass er sich aufgegeben hatte. Sie schrie entsetzt seinen Namen, aber er hörte sie nicht und reagierte nicht, sollte das wirklich sein Ende sein? Hanryo schien zwar besiegt, aber Chikará sah noch einen letzten Funken Hoffnung, jetzt hang alles von ihr ab, von ihr alleine, sie konnte ihn retten, aber die Zeit drängte. Eine Waffe hatte sie nicht mehr, das Einzige, was ihr übrig blieb, war die Flucht mit ihrem schwerverwundeten Freund. Entfesselt rannte sie zu ihm, es war noch nicht zu spät, da war sie sich sicher. Währenddessen stand der Drache nun direkt vor Hanryo, er öffnete sein großes Maul und schrie laut, es hörte sich an wie eine Art Triumphschrei an. Chikará irrte sich, Hanryo hatte sich noch nicht aufgeben und hatte es auch nicht vor, trotz der schier aussichtslosen Situation. Noch einen allerletzten Trick hatte er im Repertoire, eine sehr alte Technik, von der er nur sehr selten gebrauch machte, die ihn jetzt aber das Leben retten konnte. Er streckte unter ernormgroßen Schmerzen seinen rechten Arm aus und öffnete langsam seine Hand, in seiner Handfläche brannte ein Licht, eine kleine Flamme. Chikará war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt, als sie den Feuerzauber sah, sie traute ihren Augen nicht, er hatte doch immer behauptet, er würde keinerlei Magie beherrschen, staunend blieb sie stehen und wartete ab, was passieren würde, da sie davon überzeugt war, dass Hanryo nun gerettet wäre. Der Drache bemerkte den Zauber nicht und wollte dem Duell ein Ende setzen, mit seinem großen, weitgeöffneten Kiefer wollte er Hanryos Körper in Stücke zu reißen. Er senkte blitzartig sein Maul und hatte seinen scheinbar besiegten Gegner schon fast zwischen den kräftigen Zähnen, als dieser seine brennende Handfläche mit seiner letzten Kraft gegen den Drachenkörper presste. Eine riesige Stichflamme brannte auf, wie bei einer Explosion, das glühendheiße Feuer entflammte binnen eines einzigen Augenblickes den gesamten untoten Drachenkörper. Der Drache schrie noch ein letztes Mal laut auf, dabei fiel er bereits einige Meter weit zurück und blieb schließlich brennend am Boden liegen. Nur wenige Sekunden lang dauerte sein Endkampf ums Leben, der Sieger stand von Anfang an fest, das magische Feuer hatte ihn besiegt, der letzte Hauch Leben verbrannte in seinem untoten Körper und wurde zu Asche. Hanryo verbrauchte seine letzen Kraftreserven für diese alten anstrengenden Zauber, als der Drache starb, fiel er überglücklich, dass er noch lebte und gleichzeitig völlig erschöpft in Ohnmacht. Ungläubig starrte Chikará auf die Aschereste des mächtigen Drachen, sie atmete tief durch und realisierte langsam das Ende des Kampfes, sie hatte Hanryo sehr fiel zugetraut, aber dieser Zauber machte sie sprachlos. Es war so schnell gegangen, das Feuer, wie in einem Traum, hatte es den Drachen nach wenigen Sekunden vernichtet, die magischen Flammen hatten den mächtigen Drachenleib während eines einzigen Momentes verzerrt, wie war so etwas nur möglich? Diese Macht, diese unbeschreibbare Macht, ja, das musste die wahre Macht der Drachen sein, an deren Existenz Chikará bis dahin immer noch gezweifelt hatte. Eine unvorstellbare Kraft, eine beinahe göttliche Kraft, die selbst solch einen starken untoten Drachen so leicht zerstören konnte, es war kaum zu glauben. Dann kam ihr wieder ein Gedanke an Hanryo in den Kopf, sofort schaute sie zu ihm, er lag dort vor dem Felsbrocken und schien bewusstlos geworden zu sein, sogleich wandte sie sich zu ihm und kniete sich vor ihm hin. Seine Augen waren geschlossen, er atmete aber glücklicherweise regelmäßig. "Wach auf!", sagte sie zu ihm und rüttelte dabei an seinem Oberkörper, aber er reagierte nicht. Ihr kam eine Idee, wie sie ihn aufwecken konnte, sie holte den Rucksack, den er zu Begin des Kampfes an einer Hausruine liegengelassen hatte, packte eine Wasserflasche aus und schüttete ihn vorsichtig etwas kaltes Wasser über sein blut- und staubverschmiertes Gesicht. Daraufhin öffnete Hanryo langsam die Augen und schaute noch etwas benebelt hoch zum grauen Himmel, Chikará beugte sich über ihm und lächelte ihn froh an, die beiden umarmten sich überglücklich. "Es ist endlich vorbei", hauchte Hanryo leise. Chikará drückte ihren Kopf fest an seine Schulter. "Hanryo", sprach sie unruhig und mit Freudentränen in den Augen. "Zum Glück lebst du noch." "Wir haben es überstanden, er ist tot." Er legte seine linke Hand auf ihren Hinterkopf und strich ihr sanft über die Haare. "Das war so knapp", entgegnete sie ihn. "Ich bin wirklich so froh, dass er dich nicht getötet hat, ich hatte Riesenangst um dich." "Es war wirklich sehr knapp, aber ich lebe ja noch und die Verletzungen werden in den nächsten Tagen verheilen, alles wird wieder gut." Sie ließen langsam wieder voneinander ab, und Chikará setzte sich neben ihn hin, sie bemerkte seinen rechten Arm. "Dein Arm, er ist gebrochen." "Ja, mein linkes Bein auch, glaube ich, der Stein hier hinter mir war richtig hart." "Hast du noch Schmerzen?" "Ja, aber sie sind nicht mehr allzu stark." "Kannst du so überhaupt noch fliegen?" "Natürlich, meine Schwingen wurden ja schließlich nicht verletzt, das geht schon, du darfst dich dann nur nicht zu stark an meinem gebrochen Arm festhalten." "Das werde ich schon nicht tun. Es ist gut, dass du noch fliegen kannst, andernfalls hätten wir ja noch einige Zeit länger hier bleiben müssen." Hanryo lachte kurz. "Na ja", fuhr Chikará fort. "Mein Schwert ist leider übergebrochen, ich weiß, es war richtig teuer und dann bricht es mir schon beim zweiten Kampf über, das spricht ja nur für mein kämpferisches Talent." "Das ist schon in Ordnung, Waffen sind ja schließlich zum Kämpfen und nicht zum Andiewandhängen dar. Ich habe dir kurzzeitig beim Kämpfen zugesehen, als ich hier lag und mich nicht mehr aufstehen konnte, du hast wirklich gut gekämpft, wäre es kein Untoter gewesen, so hättest du ihn mit Leichtigkeit besiegt." Chikará senkte ihr Haupt und starrte zu Boden. "Ich bin eine miserable Kämpferin und sehr naiv obendrein, ich habe dir nicht geholfen, als du von ihm niedergeschlagen wurdest, du warst dem Tode so nahe und ich habe überhaupt nichts unternommen, um dich zu retten", berichtigte sie ihn deprimiert. "Mache dir keine Vorwürfe, ich hatte mir den Kampf auf viel leichter vorgestellt, du hast genau das Richtige getan." Sie schüttelte niedergeschmettert den Kopf. "Nein, das habe ich nicht, und du weißt das auch, rede es bitte nicht schön." "Chikará." Er griff nach ihrer Hand und schaute ihr tief in die Augen. "Niemand ist perfekt, selbst ein Kaiserdrache nicht. Ich hätte auch beinahe den Kampf verloren, aber du hast, als ich hier lag und mein Ende eigentlich schon sicher war, dich tapfer gegen den Drachen gestellt und mutig gekämpft, bis deine einzige Waffe zerstört wurde, und selbst dann wolltest du mir, obwohl du unbewaffnet warst und damit im großen Nachteil, immer noch helfen und bist zu mir gerannt und erst, als meine Rettung durch das magische Feuer feststand, hast du aufgehört, um mein Leben zu kämpfen. Du hast wirklich dein Allerbestes gegeben." "Ja, du hast wohl recht", seufzte sie und zog ihre Hand von seiner weg. Sie gab nur vor, ihre Selbstzweifel ablegt zu haben, in Wirklichkeit konnte sie sich von Hanryo nicht überzeugen lassen und beharrte innerlich weiter auf ihrer eigenen Meinung. Sie lenkte von diesem Thema ab: "Dein Feuerzauber war wirklich beeindruckend, wieso hast du mir nie gesagt, dass du so etwas kannst?" Hanryo lehnte sich wieder zurück und hörte wieder in die Ferne anzuschauen. "Das war nicht so einfach und gekonnt, wie es aussah, es kostete mich viel Kraft, wie du gesehen hast, bin ich danach direkt ohnmächtig geworden. Zudem ist es normalerweise sehr gefährlich öffentlich zu zaubern, die Menschen verabscheuen jegliche Art von Magie, wahrscheinlich weil sie selbst keine beherrschen, sie töten darum jedes magische Wesen aus Angst und Ungewissheit. Aber die meisten Menschen, zumindest die durchschnittlichen, haben in ihrem gesamten Leben nicht ein einziges Mal Kontakt zu Magie und glauben auch nicht daran, dass irgendwelche existiert." "Ich habe so etwas ja auch noch niemals zuvor gesehen, früher ahnte ich nicht, dass es so etwas wirklich gibt, woher weißt du, wie du sie anwendest?" "Während meiner Kindheit haben meine Eltern es mir beigebracht, der Feuerzauber, den du eben gesehen hast, ist ein angeborenes Grundtalent der Feuerdrachen, das gleiche, wie die Unverwundbarkeit bei den Kaiserdrachen." "Kann ich auch zaubern?" "Ich weiß es leider nicht, so gut kenne ich mich dann doch nicht mit deiner Art aus, aber ich glaube schon, dass du einige artspezifische Zauber, die ich jedoch nicht kenne, anwenden könntest." Chikará seufzte erneut und schaute auf die Aschereste des Drachen. "War er wirklich ein untoter Drache?" "Ja, wahrscheinlich schon, andernfalls hätte bereits meine erste Attacke für ihn tödlich enden müssen, außerdem blutete er nicht und spürte keine Schmerzen, auch besaß er die Hautfarbe der Untoten." "Aber du sagtest doch, das nur Menschen zu Untoten werden können?" "Ebenso wie du, habe auch ich die Gegenwart solch einer Kreatur niemals für möglich gehalten und selbst jetzt ist es mir immer noch ein großes Rätsel, wie ein Drachen zum Untoten werden konnte." "Ach, lass uns doch nicht so viel darüber nachdenken, zum Glück ist der Drache jetzt ja tot", sprach Chikará und blickte Hanryo mit einem leichten Lächeln an. Er hätte gerne zurückgelächelt, aber er konnte es nicht, es gab noch ein Geheimnis, dass sie nicht kannte und dass seine Seele sehr bedrückte. "Dieser Drache war Yiwèn." Ungläubig schaute sie ihn in die traurigen Augen. "Was, dieses Monster war doch bestimmt nicht Yiwèn, oder?" "Am Anfang des Kampfes hat er es mir in der alten Drachensprache Tatsuyuyan gesagt." "Bist du dir wirklich sicher?" "Ja, er war es, ich habe keine Zweifel daran, weil ich ihn damals oft gesehen und mit ihm gesprochen habe. Seine Stimme, seinen Blick, seinen Körper, an all das erinnere ich mich noch sehr gut, ich bilde es mir nicht ein, er war es wirklich." "Aber wie ist das möglich, er war doch ein normaler Drache?" "Ich habe keine Ahnung", sagte Hanryo und schüttelte ratlos den Kopf. Chikará lehnte sich zurück und überlegte. "Vielleicht hat derjenige, der ihn befreit hat, zu dem gemacht, was er am Ende war?" "Möglich, aber wir wissen ja nicht, wer ihn befreit hat. Erinnerst du dich noch an den Torbogen vor dem Stadtplatz? Die mit Blut gemalten Zeichen dort für ,Monster', vielleicht war er damit gemeint, wer weiß, wie lange er schon in diesem Zustand hier herum irrte?" "Wieso haben wir ihn denn nicht bereits gestern hier getroffen?" "Ryuchengshi ist groß, uns waren ja auch nur verhältnismäßig wenig Untote begegneten, Hunderte treiben sich hier herum, die Stadtruine ist riesig, wir haben eigentlich nur sehr wenig von ihr gesehen." "Und die Untoten in den Katakomben, das war er doch dann bestimmt auch?" "Ja, das ist gut möglich, vielleicht hat er sie hier oben erlegt und dann heruntergebracht in sein Zuhause, als Untoter war er schließlich sehr verwirrt und beinahe schon verrückt geworden, was ja bei Menschen in der Situation auch nicht viel anders ist." "Was ist mit seiner Seele, normalerweise müsste sie ja mit seinem Tod an einen anderen Ort gewandert sein, aber da er ein Untoter geworden war, ist sie so in seinem Körper geblieben?" "Ich weiß es nicht." Sie schwiegen beide einige Minuten lang. "Ich habe heute gesehen, wie gefährlich unsere Reise ist", sprach Chikará zusammenfassend. "Ich war mir dessen bisher nicht wirklich bewusst, erst heute habe ich erkannt, wie ernst das alles sein muss, die gesamte Geschichte der Drachen und ihr Schicksal." "Yiwèn war nichts im Vergleich zu den Drachen, die die Welt beherrschen wollen", erzählte Hanryo. "Jene sind noch viel stärker und mächtiger als er." "Aber wenn wir doch schon den Kampf mit Yiwèn fast nicht überstanden hätten, wie sollen wir dann mit diesen Drachen fertig werden?" "Es liegt alles in deinen Händen, du musst versuchen, sie von ihrem falschen Handeln zu überzeugen und sie wieder zu vereinen zu einem großen Volk, so wie wir es einst waren. Falls das nicht funktionieren sollte, du bist viel stärker und mächtiger als diese Drachen, jedoch müssen wir zurück auf den Kontinent der Drachen, denn da warten jene auf dich, die dir deine wahren Fähigkeiten zeigen können." "Glaubst du, dieser Konflikt könnte ohne einen Kampf beendet werden?" "Ich hoffe es, obwohl ich nicht wirklich daran glauben kann." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)