Verkehrtes Ich von Sains ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Alles war voller Rauch. Plötzlich traten Blitze hervor. Die Brust des Mädchens durchzog ein kalter stechender Schmerz. Sie stand in einem magischen Kreis, führte die Hand zur Brust und bekam keine Luft mehr. Zu sehr schmerzte es. Es durchzog ihren ganzen Körper. Ihre Beine gaben dem Schmerz nach. Sie sank zu Boden. Kniend versuchte sie etwas zu erkennen. Aber ihr wurde schwarz vor den Augen und sie kippte gänzlich um. Mit dem Rücken auf dem Boden liegend schaute sie mit letzter Kraft noch hoch. Sie sah ihr Spiegelbild. Es grinste sie teuflisch an. Da verlor sie komplett das Bewusstsein. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gelegen und gedacht hatte, sie stürbe vor Schmerz, doch da hörte er plötzlich auf. Die Blitze verschwanden und sie erwachte. In ihrem Kopf drehte sich noch alles. „Oh Nein! Oh Nein!“, sie vernahm die panische Stimme des Zauberers, der den Zauberspruch sprach, und fragte sich, wieso sie nur zu ihm gegangen war. Doch bevor sie diese Frage beantworten konnte, kreischte der Zauberer schon: „Wie konnte das nur passieren?“ Sie hörte, wie er wild eine Menge Papier zerknitterte. Doch nur langsam bekam sie das Gefühl in ihren Gliedern zurück. „Was denn?“, fragte sie kühl: „Habe ich nun Hasenohren?“ Der Zauberer stammelte: „N… N… Nein… Das nicht…. Nur…“ „Was nur?“, unterbrach sie ihn genervt und stand langsam auf. Ihre Beine fühlten sich noch ein wenig taub an. Plötzlich sah sie wieder ihr Spiegelbild. Sie schaute direkt hinein. „Stand schon vorher ein Spiegel hier?“, verwirrt frug sie den Zauberer. Sie konnte sich an diesen nicht erinnern. „I… I… Ich habe keine Spiegel…“, stammelte er nur. Sie schaute doch in einen Spiegel? Sie wurde immer verwirrter, vor allem, weil ihr Spiegelbild sie angrinste. Und dann fing es sogar noch an zu reden: „Endlich!“, boshaft klang die Stimme. Das Mädchen erschrak. Sie bekam eine Gänsehaut. Die Stimme hörte sich wie ihre eigene an. Doch war es nicht ihr Spiegelbild, was dort sprach? Boshaft grinste es sie an, wie ein Dämon. Langsam gingen dessen Finger zu ihrer Wange und streifte diese sanft „Endlich sind wir zwei! Endlich bin ich frei!“, hauchte ihr das Spiegelbild ins Ohr. Gefährlich kalt, aber doch erfreut hörte sich die leise Stimme an. Sie konnte sich vor Angst nicht bewegen. Ja, sie war starr vor Angst und zitternd fragte sie sich, wer dieses Spiegelbild war. Und woher es kam? „Oh, meine geliebte Leira.“, die Stimme blieb zwar gefährlich und leise, während sie weiter in ihr Ohr hauchte, doch bekam sie eine gewisse Zärtlichkeit: „Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. DU NICHT! Denn du und ich, wir sind eins!“ Sie betonte das Eins. Ängstlich fragend schaute das Mädchen zum Zauberer und fragte verwirrt: „Magier???“ Doch der schüttelte nur panikartig und unsicher den Kopf: „Ich weiß es nicht!“ Er zitterte wie Espenlaub. Es vergingen still ein paar wenige Sekunden, bis er rief: „Aber! Ich werde es wieder gut machen!“ Das Spiegelbild zückte blitzschnell die Waffe und führte sie gezielt und gekonnt an die Kehle des Zauberers. Kalt und grausam sprach es: „Was willst du wieder gut machen? Dass ich hier bin? Wieso denn das? Wo ich doch – dank dir – endlich meine Freiheit habe!“ Der Magier brach vor Angst zusammen. Sogar eine Pfütze breitete sich unter ihm aus. „Das kannst du doch nicht!“, rief das Mädchen plötzlich wütend. Sie hatte sich endlich wieder gefasst. Schnell drehte sich das Spiegelbild zu ihr um und sprach lächelnd und versöhnlich: „Keine Angst. Vergiss nicht! Wir sind eins!“, es grinste sie sogar friedlich an: „Ich werde dich von nun an beschützen.“ Das Mädchen war eindeutig verwirrt. Was bedeutet das? Sie nahm jedoch noch einmal allen Mut zusammen und meinte vorsichtig: „Ich würde gerne nochmals mit Ablor – der Magier da – reden.“ Sie zeigte auf den Zauberer. Das Spiegelbild überlegte kurz. Fuhr sich durch die Haare. „Mach!“, sprach sie gleichgültig: „Ich warte dann draußen auf dich! Du gehst ja bestimmt wieder wandern.“, das Spiegelbild grinste das Mädchen gefährlich an und stieg dann die Treppen hinab. Als es den Raum verließ, war das Mädchen noch verwirrter. „Was war das denn?“, fragte sie sich selbst. Dann ging sie hastig zum Zauberer und schüttelte ihn arg um ihn zu wecken. „He! Was ist passiert?“ „Ich…“, fing er noch vor sich hindämmernd an: „Ich weiß es nicht, wirklich! Es muss daran liegen, dass du eine Frau bist. Es ist ja ein Zauberspruch für Krieger und scheinbar nicht für Kriegerinnen.“ „Und jetzt?“, fauchte das Mädchen ihn an: „So kann es nicht bleiben, Magier!!“ Der Zauberer stand auf und sprach schüchtern: „Ich… Ich krieg das hin.“ Er drückte ihr Geld in die Hand: „Hier ist ein Teil des versprochenen Geldes. Ich versuche so schnell wie möglich herauszufinden, wie wir sie da hinkriegen, wo sie herkam.“ Er zeigte Selbstvertrauen, doch das zerbrach, als das Mädchen nüchtern fragte: „Wo kam sie denn her?“ Der Zauberer schaute sie entsetzt an und erstarrte. Sie beließ es dabei und prophezeite beim gehen: „Nun gut, ich werde aber regelmäßig wiederkommen!“ „Ja, aber!“, rief er, während das Mädchen die ersten Stufen runterging: „Pass auf sie auf! Ich weiß noch nicht einmal, was sie ist!“ Das Mädchen nickte nur verwirrt. Als das Mädchen unten war, sah sie ihr Spiegelbild an der Wand lehnend warten. „Na, was machen wir zwei jetzt? Gehst du wieder wandern?“, lächelte sie das Mädchen an. Auf einmal war ihr Spiegelbild lieb und wirkte vernünftig, was ihr selbst nur perplex erschien. „Wie heißt du?“, fragte das Mädchen. Das Spiegelbild lächelte und sprach friedlich: „Na, ich bin du und du bist ich!“ Das Mädchen schaute ihr Spiegelbild wütend an. Dieses fing nur an zu kichern und meinte: „Ach Leira. Nenn mich doch einfach Reila.“ Das Mädchen seufzte entnervt. Was blieb ihr anderes übrig als ihren Namen mit ihrem Spiegelbild zu teilen. Aber ob das das Geld wert war? Sie zweifelte. Kapitel 1: ----------- Ich war anfangs unsicher, wohin ich gehen sollte, und zog erstmals die Wiesen entlang in Richtung einer größeren naheliegenden Stadt. Reila, mein Spiegelbild, folgte mir brav und eine Zeitlang still, doch dann fragte sie: „Was hast du denn nun vor?“ Ich drehte mich entnervt um: „Hast du überhaupt eine gewisse Ahnung von dieser Welt? Woher kommst du eigentlich?“ „Aus einer Anderwelt!“, meinte sie kühl und klar. „Einer Anderwelt?“, fragte ich ungläubig. Doch Reila blockte ab: „Ist nicht so wichtig. Aber ich gebe dir recht, ich kenne diese Welt nicht. Aber meistens sind sie alle gleich aufgebaut.“ „Ach? Dann ist das nur eine Weitere von vielen, auf derer du warst?“ Reila schaute mich entsetzt mit weit offenen Augen an: „Nein! Man kann eigentlich nicht wechseln. Mich wundert’s schon, dass ich hier her kam. Aber ich freue mich so sehr hier bei dir zu sein.“, beim letzten Satz fing sie an mich wieder bösartig anzulächeln. Nervös zuckte ich zusammen und meinte eingeschnappt: „Diese ist anders. Hier herrscht Krieg. Und das schon seit einem Jahr. Wobei… Eigentlich gab es noch nie ein gutes Verhältnis zum Nachbarland.“ Ich überlegte: Wann begann der Krieg überhaupt als ein solcher zu zählen? Doch Reila fühlte sich nur bestätigt: „Ich sagte doch – wie jede andere Welt auch. Finde mal eine Welt ohne Krieg.“ Genervt ging ich weiter. Man konnte einfach nicht mit ihr reden! Ich ignorierte Reila eine Weile. Ihr schien das nichts auszumachen. Im Kopf versuchte ich die Kausalkette durchzugehen, wie es soweit eigentlich kommen konnte. *Vergangenheit* Ich war pleite gewesen – wie so oft in meinem Leben. Der Bauer Ischlo entließ mich von meiner Arbeit ende Herbst. Ich half ihm jeden Herbst über bei der Feldarbeit. Es ging leicht und harte Arbeit war ich gewohnt. Dafür gab es ein warmes Bett und sogar zwei Mahlzeiten am Tag! Das war etwas besonderes, denn bei keiner anderen Arbeitsstelle gab es mehr zu essen. Am Ende des Herbstes bekam ich meine 50 Silberlinge. Wenn man Mahlzeit und Unterkunft dazu rechnete, handelte es sich um einen verdammt guten Lohn! Aber mehr als zwei Wochen würde man nie damit auskommen. Aber es war jeden Herbst so seit meinem vierzehnten Geburtstag. An meinem zehnten Geburtstag war ich einem Obmann begegnet. Das war der erste Einschlag in meinem Leben, an den ich mich noch erinnern konnte. Er sah in meinen Augen, dass ich nicht für das Leben war, das ich bis dahin geführt hatte, dass ich mich besser verdingen konnte, und gab mir fünf Silberlinge für ein Lederpanzer und eine Keule. Ich freute mich riesig und lief direkt auf dem Markt zu einem Lederhändler und tauschte das Geld gegen die zwei Sachen ein. Er kicherte. Ich dagegen hatte totale Probleme den Lederbrustharnisch an meinem noch zu kleinen Oberkörper fest zu bekommen. Es dauerte eine Weile, in der er sich amüsierte an dem lustigen Anblick, bis er zu mir kam und mir half. „So siehst du fast wie ein Krieger aus!“, meinte er lächelnd. Mein Grinsen reichte von einem Ohr bis zum Nächsten. „Ich bin ein Krieger! So!“, meinte ich und bewegte die Keule. Der Obmann hielt mit der Hand meinen Keulenschlag auf und sprach zärtlich lächelnd: „Noch nicht ganz! Erst musst du dich beweisen!“ Er schaute auf das Stadttor. „Beweisen? Wie denn?“, fragte ich ihn neugierig. Er schaute kurz zu mir und dann wieder zum Tor. Sein Lächeln verschwand und sein Finger zeigte auf das Tor. „Es ist kein gefährlicher Weg, aber für jemanden, der die Stadt noch nie verlassen hat? Wer weiß…“ Er zuckte mit den Schultern. Ließ eine Minute verstreichen und erklärte: „Deine Aufgabe wäre zur nächsten Stadt zu gehen, wo der Älteste wohnt. Ich weiß nicht, ob du seine Geschichte kennst, aber niemand wird Krieger ohne seine Erlaubnis. Wenn du also Krieger werden willst, dann musst du zu ihm gehen und eine Erlaubnis holen!“ Ich nickte. *Gegenwart* Reila unterbrach barsch meine Gedanken. „Da ist eine Stadtmauer!!!“, rief sie lautstark. „Ja.“, bestätigte ich sie. „Wau! Welche Stadt das wohl ist?“, fragte sie erfreut. Ich blieb stehen, wurde betrübt und blickte voller schmerzlicher Erinnerung auf die Stadt: „Das ist Vresna“ Ich merkte ihren Blick auf mir ruhen. „Du kennst die Stadt?“ Ich seufzte und ließ meine Schultern sinken. „Ich bin hier aufgewachsen.“ Langsam torkelte ich wieder los und sprach traurig weiter: „Und habe hier den Mann getroffen, wegen dem ich mich damals entschloss, die Stadt zu verlassen.“ *Vergangenheit* Es war das erste Mal, dass ich aus der Stadt gehen wollte. Langsam und vorsichtig pirschte ich mich an das Stadttor an. Wieso eigentlich? Täglich gingen viele Leute ein und aus und eine Kontrolle gab es nur bei Zutritt zu einer Stadt. Der Obmann schrieb mir einen Zettel – nur leider konnte ich nicht lesen. Kaum einer der unteren Bürgerklasse konnte lesen. Den Zettel hatte ich fest mit einem Seil um meine Hüfte gebunden und schaute alle paar Sekunden darauf, ob er noch da war. Meine Hand glitt zu dem Papierstück und erleichtert seufzte ich dann. Hinter einer Wassertonne vor dem Tor hielt ich an und spähte nach den Wachen. Belustigt über mein Verhalten kicherten sie nur. Ich kannte sie gut. Beide sogar mit Namen. Einmal hatte mir einer von ihnen sogar zwanzig Kupferlinge gegeben! Danach grüßte ich ihn bei jeder Begegnung. Doch jetzt musste ich raus. Raus aus einer Stadt, wo ich bis jetzt immer gelebt hatte. Noch nie war ich vor dem Tor. Wie es dort wohl aussieht?, überlegte ich. Was mich dort erwartet? Ob dort andere Wesen leben? Ich wusste es nicht. Noch nie hatte jemand über die Welt hinter dem Tor erzählt. Ein großes Geheimnis umgab dieses Tor. Noch nie war ich dem so nahe und noch nie wollte ich überhaupt wissen, was sich dahinter sich verbarg. Ein Schwarzes Loch, dachte ich immer. Eines das einen hineinreißt und in dem die Tiefen des Todes herrschten. Ja, aus der Stadt gehen, bedeutet Tod. Das sagte meine Mutter, als mein Vater aus der Stadt ging. Er kam nie wieder. Aber seit seinem Fortgang habe ich auch nie wieder was von ihm gehört. Und nun müsste ich ihm folgen. Ich atmete tief durch. „Ich schaffe das!!“, sagte ich mir immer und immer wieder. Doch meine Beine wollten nicht hören, sie bewegten sich kein Stück näher an das Tor heran. Meine Arme zitterten bei dem Gedanken mich an das Tor weiter heran zu bewegen. „Ich schaffe das!“ Doch auch die nächste Aufmunterung, die ich mir gab, versagte. Ich bekam immer mehr Angst. War ich wirklich schon bereit zu sterben? *Gegenwart* Reilas Blick strahlte eine erfreute Neugierde aus. Doch ich blieb stumm. Auch auf ihre ständige Bettelei zu erzählen, ging ich nicht mehr ein. Ich hing meinen Gedanken nach, bis sie dann einschnappte: „Du bist doof. Was soll denn dabei sein? Oder ist etwas Schlimmes passiert?“ Ich schüttelte den Kopf: „Es war nur eine Begegnung, die mein Schicksal veränderte. Nichts, was dich angehen würde.“ Sie schaute sich die Landschaft an. Hier und da mal ein Baum oder Strauch, aber alles in allem eher eine verschneite Landschaft. Der Schnee lag noch zentimeterhoch und nur der Trampelpfad zeigte einen verschleierten Blick auf die darunter verborgene Erde. „Beim Hexenmeister lag kein Schnee…“, meinte sie monoton. Verwunderung überkam mich. „Das merkst du erst jetzt?“ Sie funkelte mich wütend an. „Das liegt daran, dass der Zauberer an einem Vulkan sein Haus hat.“, erklärte ich hastig: „Dort ist es immer sehr warm. Deswegen kann es dort gar nicht schneien. Hier dagegen ist offene Landschaft. Der Boden kühlt auch sehr schnell ab, weil das Grundwasser sehr tief liegt.“ „Ach? Es hängt vom Grundwasser ab?“, fragte sie mich zweifelnd. Ich wusste es nicht. Man hatte es mir nur mal erzählt. *Vergangenheit* Ich hatte es vollbracht und war bei den Wachen. Da Winter war, wurde es schnell dunkel. So war die Dämmerung schon eingebrochen und das Licht verdüsterte sich. Die Wachen schauten mich traurig an. „Kleines!“, sprach der zu meiner linken. „Bist du sicher, dass du im Dunkeln raus möchtest und nicht bis morgen warten willst?“ Ich schaute ihn lange an und sprach dann leise: „Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich weiß gar nicht, ob ich mich morgen noch traue.“ Er seufzte. Mein Blick wanderte hinaus. Das Tor war nicht geschlossen und dahinter lag eine weiße, helle Landschaft. „Wieso ist es dort so weiß?“, fragte ich ihn: „So ist es ja gar nicht dunkel.“ Die Wachen kicherten. „Das ist jedes Jahr im Winter so.“, meinte der rechts stehende Wachposten. Der Linke erklärte: „Das liegt am Grundwasser. Außerhalb des Dorfes steht es niedriger und innerhalb des Dorfes höher. Deswegen liegt draußen Schnee und hier drinnen keiner.“ „Das ist gefrorenes Wasser. Hast du das noch nie gesehen?“ Ich drehte den Kopf wieder zum rechten Wachposten und schüttelte ihn unsicher. Schnee. Nein, gesehen hatte ich das noch nie. Der Linke schaute ernst nach draußen: „Wenn die letzten Waldhüter kommen, wird das Tor bis morgen geschlossen. Wenn du wirklich raus willst – dann am besten jetzt. Solange die Waldhüter noch in den Wäldern sind, werden sie dich retten, wenn etwas passiert. Aber wenn du auf dem Trampelpfad bleibst, sollte eigentlich nichts passieren. Er wird dich zur Straße bringen, die direkt zur nächsten Stadt führt.“ *Gegenwart* Wir waren knapp vor dem Tor. Es sah ramponiert aus. „Wann warst du das letzte Mal hier?“, fragte mich Reila. Ich dachte nach. „Als ich den Ort das erste Mal verlassen hatte.“ Sie grübelte. Ihr Gesicht durchzog sich mit Falten: „Warst du da nicht zehn?“ Ich musste instinktiv lächeln. „Ja. Und ich bin, meines Wissens nach, die Einzige, die kein Waldhüter ist und dennoch wiederkehrt. Aber wir bleiben hier nicht lange!“ „Wieso denn nicht?“, schnappte sie wieder ein. „Das ist kompliziert. Wir bleiben nur diese Nacht und ruhen uns aus.“ „Was ist daran kompliziert?“, Reila blieb stehen und musterte mich von oben bis unten. „Das verstehst du nicht!“, antwortete ich. Reilas Augen funkelten vor Ärger: „Wieso sagst du immer, ich würde es nicht verstehen? Hast du Angst davor, dass ich es verstehe? Oder verstehst du es selbst nicht?“ Zorn stieg in mir auf: Wie kannst du es nur wagen? Was verstehst du von dem Leben eines Anderen? - hätte ich ihr am liebsten an den Kopf geschmissen. Doch ich biss mich nur auf die Unterlippe. Schweigend ging ich auf die Wachen zu und begrüßte sie. Reila blieb noch ein wenig stehen, folgte mir dann doch noch. Ich merkte dass ihr Blick auf mir ruhte. Doch, dass er nicht mehr funkelte, merkte ich nicht. Zu sehr versuchte ich das Feuer der Wut zu ersticken. Denn schon damals lernte ich, dass es nie gut war sich dem Eifer des Gefechts hinzugeben. Die Wachen ließen uns mit einem Nicken passieren. Die Stadt hatte sich nicht verändert. Das alte Fass, hinter dem ich mich damals verkrochen hatte, stand immer noch genau an derselben Stelle und fing das Regenwasser auf. Hier, hinter der Stadtmauer, lag wie immer keine einzige Flocke Schnee. Sehnsucht breitete sich in mir aus. Nach langer Zeit war ich zum ersten Mal wieder in meinem Geburtsort. Die Gassen, die Menschen – alles sah genauso aus wie damals, als ich den Ort verlassen hatte. Ich kehrte in einer Schänke ein. Die Einzige in dem Ort, die auch Fremdenzimmer zum Übernachten hatte. Als ich das Zimmer bezahlte, merkte ich erst, dass Reila gar nicht mehr hinter mir war. Ich schaute mich erschrocken um. Wo war sie? „Wirt? Hast du ein Mädchen, das genauso aussieht wie ich, hier gesehen? Mein Zwilling?“ Er lachte. „Kind! Ich weiß doch, dass du ein Einzelkind bist!“ Er hatte recht. Aber Zwilling traf es am besten für eine Beschreibung. Ich schaute mich abermals um. Es war zwar voll, aber überschaubar und Reila erblickte ich nirgends. Also ging ich wieder hinaus. Vor der Tür stand sie. Ich sah in ihren Augen eine Art von Furcht, die ich bei ihr nie vermutet hätte. Sie starrte das Schild über der Schänke an: „Listiger Fuchs“ „Reila?“, frug ich. Ihr erschrockener Blick richtete sich auf mich. Sie war kreidebleich. Vorsichtig ging ich auf sie zu. „Reila?“, frug ich vorsichtig erneut und ging sachte noch einen Schritt auf sie zu. Plötzlich bemerkte ich den Wandel ihn ihrem Gesicht. Sie schaute mich mit ihrem resignierenden Gesichtsausdruck an: „Wie sagst du dauernd: Du würdest es ja eh nicht verstehen! Jeder Mensch ist anders!“ Sie ging einfach drauf los und ins Gebäude rein, als hätte es nie eine Angst oder so etwas in der Art gegeben.  Kapitel 2: ----------- Reila war die ganze Zeit unten in der Schänke bis diese schloss. Sie hielt sich, soweit wie es ging, bedeckt und versteckte meist ihr Gesicht in der Kapuze ihres Umhanges. Dauernd schaute sie sich mit verschlagenem Blick kurz um, als ob sie verfolgt werden würde. Irgendwann seufzte ich genervt. „Was hast du?“, fragte ich sie zuversichtlich. Doch sie antwortete nur pampig: „Nichts!“ Sie brachte mich fast auf die Palme damit. Als wir etwas zu trinken serviert bekamen, schaute der Wirt uns verwirrt an. „Hat sie was?“, fragte er vorsorglich. Ich schüttelte den Kopf: „Nur ein wenig Verfolgungswahn…“ Irritiert musterte er Reila noch und ging dann weiter. „Möchtest du lieber ins Zimmer gehen?“, fragte ich sie fürsorglich, doch sie schien es, wie einen Schlag ins Gesicht, aufzufassen. „Wieso das denn? Ganz bestimmt nicht! Ich verstehe eh nicht, wieso wir hier sind! Wir hätten gar nicht erst in dieses Kaff gehen sollen!!“ Sie stand plötzlich rasch auf und ging schnellen Schrittes zur Tür hinaus. „Reila!“, rief ich, schmiss paar Münzen auf den Tisch und rannte ihr hinterher. Sie stand draußen und atmete schwer. „Reila? Wir müssen nur eine Nacht hier bleiben. Das Zimmer ist bezahlt und wir können es abschließen. Morgen früh reisen wir direkt weiter!“ Sie schaute mir in die Augen. Ihre Augen schwammen in Tränen. „Es hat kein Fenster!“ „Wie?“, verdutzt stand ich da. „Die Zimmer – Sie haben keine Fenster!“ Ich nickte. „Ich wusste nicht, dass das ein Problem sein würde. Aber es gibt eines mit Fenster. Ich spreche mit dem Wirt, dass wir in dieses Zimmer wechseln können. Mach dir also keine Sorgen.“, versöhnlich versuchte ich sie anzulächeln. Denn irgendwie musste ich mich ja gut mit ihr stellen. Sonst, so glaubte ich, würde es mit ihr unerträglich werden. Dagegen war der Wirt nur schwer herum zu kriegen. Er schien ziemlich misstrauisch gegenüber Reila. Doch ich schaffte es, das Zimmer dennoch zu bekommen, auch wenn meine Geldbörse dafür so gut wie leer war. Reila wurde dann tatsächlich ruhiger. Ob es DAS Wert war? Ich schaute in meine Tasche, als wir allein im Zimmer waren. Die Schänke hatte mittlerweile geschlossen. „Du bekommst das Geld zurück! Sobald ich auch Geld habe.“, sprach sie eintönig, während sie am Fenster stand und hinaus starrte. Sie legte sich nicht einmal hin. Sie stand die ganze Nacht nur da am Fenster und schaute hinaus. Schon am frühen Morgen gingen wir wieder aus der Stadt hinaus. „Wir hätten direkt woanders hingehen sollen!“, zeterte Reila. Ohne Danke, ohne nichts. „Au ja! Nachtquartier mitten im Freien.“, rief ich sarkastisch. „Was ist so schlimm daran?“, frug sie mich ruhig. Ich biss mich wieder auf die Unterlippe und ging den Trampelpfad entlang, wie einst vor langer Zeit. *Vergangenheit Ich rannte so schnell es ging den Pfad entlang. Anfangs zögerte ich noch. Doch, als ich an den Wachen vorbei war, beflügelte mein Entschluss meinen Lauf. Meine Beine waren so geschwind, wie es nur ging. Doch waren sie keinen Schnee gewöhnt. Die Kälte trieb meine Füße an, aber nach einiger Zeit lähmte sie diese auch. Und dann: Rutsch, der Länge nach lag ich im Schnee. In einer Biegung war ich ausgerutscht. Es war kalt. Die Ledersachen hielten einfach keine Wärme im Körper und ließen die Kälte sofort durch. Im Dorf war es immer viel wärmer gewesen. Niemals hatte ich je so eine Kälte erlebt. Ich wurde langsam unsicher und fing an meiner Entscheidung zu zweifeln. War es wirklich eine gute Idee gewesen? Schnell stand ich wieder auf und versuchte die Kälte und meine Gedanken von mir zu schütteln. Ich wollte es unbedingt schaffen! Sofort rannte ich weiter, doch es wurde nur kälter und kälter. Und dann ging der Weg auch noch durch den Wald. Durch den Vollmond und den Schnee war es nicht mal wirklich dunkel, aber von hier und dort kamen düstere Laute. Wolfsgebrüll! Die Angst beflügelte meine Füße, so dass ich noch schneller rannte und betete, dass der Wald bald wieder aufhören würde. Plötzlich sah ich das Ende des Waldes. Wie sehr freute ich mich. Doch am Ende stand ein Wolf, der mich anstarrte und anfing die Zähne knurrend zu zeigen. Ich kreischte vor Angst und war wie gelähmt. *Gegenwart* „Waren wir gestern nicht schon hier?“, frug Reila. „Wir sind gestern von einem anderen Trampelpfad auf diesen gekommen. Wir gehen den jetzt aber weiter, durch den Wald bis zur Hauptstadt des Landes!“, erklärte ich. „Und was machen wir da?“ Ich musste kichern. „Was wohl? Wir suchen uns Arbeit.“ „In der Hauptstadt???“ Ich seufzte, ließ es aber dabei. „Wir müssen irgendwie die Zeit absitzen. Und ohne Arbeit sind wir so gut wie tot.“ So kamen wir in den Wald. Tagsüber war es ein schöner Anblick. Der Schnee lag auf den Bäumen und hier und dort flitzten Eichhörnchen über die Äste und den Boden. Es war kein großes Waldstück. Nicht mal zwei Stunden musste man da durch laufen. Reila blühte auf. Ab und an zeigte sie auf ein Eichhörnchen und quietschte richtig fröhlich auf. Kurz vor Ende des Waldes lag ein Stein in Kreuzform. Er war eher ungeschickt geformt gewesen. Ich blieb traurig mit gesenkten Schultern davor stehen. Reila wunderte sich: „Nur hier ein Grabstein? Das wundert mich nun doch. Hast du den Toten gekannt?“ Ich seufzte und erinnerte mich weiter: *Vergangenheit* „Bleib stehen!“, schrie jemand. Schnelle Schritte hörte ich aus dem Wald. Doch genauso schnell fanden meine Beine sich und ich rannte weg – den Weg zurück. Der Wolf raste in dem Moment auf mich zu. Ich fiel hin. Panikartig drehte ich mich um und sah nur eine Lanze zwischen mir und den Wolf vorbeifliegen. Der Wolf blieb stehen und blickte knurrend in die Richtung. Aus dem Wald trat ein älterer, kräftig gebauter Mann heraus. Viel kräftiger, als die dicken Wachen, und vor allem dünner und athletischer! „Ein Waldhüter!“, hauchte ich. Er nickte mir wohlwollend zu. „Du brauchst keine Angst zu haben!“, sprach er fürsorglich. „Aber renne bitte nicht weiter – sondern warte dort ruhig.“ Der Wolf tappte angriffslustig weiter nach vorne. Er knurrte den Waldhüter an. Dann ein Satz. Mit voller Wucht sprang das Tier wütend auf den Mann. Ich kreischte erneut. Der Waldhüter prallte gegen den monströsen Wolf und stieß ihn zurück. Das wütende Tier drehte sich wieder herum und rannte auf mich los. Der Waldhüter sprang nach, griff blitzschnell zu und bekam es grade nur noch an den Hinterpfoten zu fassen. Hastig riss er den Wolf zurück. Das Tier schnellte herum und biss ihn in den Arm. Er schrie auf. Schnell ließ er seine andere Hand los und fasste den Kopf des Wolfes und drehte ihm das Genick ab. Nur ein kurzes Aufheulen, dann war Stille. Das Tier bewegte sich nicht mehr. „Was?“, konnte ich nur heraus stammeln. „Alles in Ordnung?“, fragte der Waldhüter mich fürsorglich. Zitternd zeigte mein Zeigefinger auf die klaffende Wunde an seinem Arm. Der Waldhüter lachte auf. „Ha ha ha ha ha. Das ist eine Kleinigkeit. Ich hatte schon viele schlimmere Wunden!“ Er streichelte mir über den Kopf. „Nur Mut. Wir gehen am besten wieder zurück ins Dorf. Es ist schon sehr spät.“ Er stand auf und packte meine Hand. „Nein!“, kreischte ich. „Ich will Kriegerin werden!!! Ich muss in die nächste Stadt!!“ Hastig versuchte ich meine Hand zurückzubekommen. Er schaute auf mich herab. Ließ dann aber los: „Dir ist klar, wenn du jetzt nicht mit mir zurückgehst, wirst du heute Nacht nicht wieder ins Dorf können. Ich muss zurück, sonst schließen sie die Tore nicht.“ Ich nickte hastig und selbstsicher den Kopf. Er seufzte: „Wie eine Kriegerin… Dann lass uns schnell den Wolf begraben.“ Ich hatte mich zwar darüber gewundert, aber es war wohl Sitte, einen Kadaver unter der Erde zu beseitigen. „Das muss so sein“, hatte mich der Waldhüter aufgeklärt. Während er ein Grab aushob, suchte ich so etwas wie einen Grabstein. Ich versuchte mit dem Dolch der Wache aus einem Stein ein Kreuz zu formen. Kräftig schlug ich mit dem Dolch drauf ein. Ein Kreuz sollte es doch werden. Der Waldhüter war schnell mit dem Graben und legte den Wolf hinein. Schon bald wurde die ausgehobene Erde wieder auf das Grab geschüttet. Stolz präsentierte ich den Stein, der fast wie ein Kreuz aussah. Er lächelte und zeigte auf das Grab. Ich legte ihn darauf. „Möge er in Frieden ruhen. Ich muss nun wieder ins Dorf. Da vorne ist der Wald ja zu ende. Nun renne, damit du bald ankommst.“ Ich sah zu dem Waldhüter, er stand da und lächelte, sogar noch, als ich am Ende des Waldes war und weiter rannte. Immer weiter und irgendwann konnte ich ihn nicht mehr erkennen. Doch ich war mir sicher, dass er noch da stand. *Gegenwart* „Ja. Ein Wolf und ein Waldhüter liegen dort“, erklärte ich knapp. Ich war dem Waldhüter nie wieder begegnet und wusste, dass er an der schrecklichen Wunde gestorben war, die ihm der Wolf zugefügt hatte. Und jedes Mal, wenn ich an diesem Kreuz vorbeikam, wurde ich schmerzlich daran erinnert. Wir gingen weiter, aus dem Wald hinaus, bis wir auf dem befestigten Weg waren. „Dort hinten bei den Türmen kannst du unsere Hauptstadt sehen.“, ich zeigte auf die Stadt in der Ferne. Reila murmelte irgendwas. Als ich sie ansah, lächelte sie wieder. Wir zogen in Ruhe weiter. Ganz gemütlich schlenderten wir den Weg durch weite Wiesen und an Anwesen entlang. Links und rechts waren Höfe mit Tieren auf den Weiden. „Hier sieht es aber nicht nach Krieg aus!“, stellte meine Mitreisende fest. Ich schüttelte den Kopf: „Das wirkt nur so. Die Steuern sind immens und viele Tiere wurden vom Adel schon eingezogen!“ „Ach so?“ Die Weiden waren üppig, aber vom Müller wusste ich, dass es nur das Land war, dem es gut ging, nicht dem Volk. Der Krieg zog alle Ressourcen, die das Land hatte, an sich. Das Land war reich gesegnet, aber durch den Krieg wurde es immer ärmer. Die Menschen trauten sich kaum noch etwas zu. Viele Männer und älteren Söhne waren an die Front gegangen und waren sogar teilweise eingezogen worden, um dem Treiben ein schnelles Ende zu geben. Doch dadurch ließen sie die Frauen und Kinder allein und es dauerte Monate. Noch immer war kein Ende in Sicht. Den Stadteingang schützte ein Eisentor, welches abends geschlossen und morgens geöffnet wurde. Wachen liefen ständig in der Stadt herum. Ihren Augen entging wenig, was innerhalb der Stadt geschah. In der Stadt war viele Menschen unterwegs. Auf dem Markt herrschte ein regelrechtes Getümmel. Man konnte kaum aneinander vorbeigehen. Quer durcheinander priesen die Marktschreier ihre Ware an. Man verstand kaum sein eigenes Wort. Die Kinder rasten an einem vorbei, ohne auch nur an andere zu denken. Wir gingen zu einer Wand, an der viele Zettel hingen. „Was ist das?“, fragte Reila. Ich kicherte: „Unser Arbeitsamt. Wer einen Job zu vergeben hat, schreibt einen Zettel und hängt den hier auf und wer Arbeit sucht, liest die Zettel durch und nimmt sie herunter!“ Verwirrt und zweifelnd schaute sie mich an. „Sehr schlechtes System.“, bemerkte Reila zögernd. Ich lachte herzhaft. „Ja! Es ist ein verdammt schlechtes System!“ *Vergangenheit* Als ich in der Stadt ankam, war ich überwältigt. Noch nie hatte ich so viele Leute auf einmal gesehen. Einige mit knallbunten Kleidern und einige gekleidet in schlichtes Braun oder in Grautönen. Dazu noch die verschiedensten Klamotten. Kurze Röcke – lange Röcke, kurze Hosen, Rüstungen. Bis dahin hatte ich immer nur Lederrüstungen gesehen, noch nie welche aus Metall, die fast jeder dritte Mann trug. Aber sogar diese waren in den verschiedensten Formen und Farben gehalten: Dunkelgrau, Hellgrau, weiß, Gold, Kupferfarbig, mit Juwelen bestückt oder bemalt, und vieles mehr. Ich sollte einen alten Krieger finden. „Ältester“, erinnerte ich mich. So sagte der Obmann. Doch überall die neuen Gerüche, die neuen Sachen, sie lenkten ab. Es dauerte eine Weile bis ich mich an meine „Mission“ wieder erinnerte. Als ich ankam, hatten wir schon frühen Vormittag und als ich den Brunnen in mitten des Marktes fand, war es früher Abend. Ich traute mich nicht an ihn heran. Es war ein wirklich alter Mann. Er trug ein weißes Gewand. Es war lang. Unter der Kapuze schauten zwei müde Augen heraus, umgeben von weißem Haar. Dazu trug er einen langen Bart. Er erblickte mich schnell. Schüchtern und leicht eingeschüchtert stand ich zwei Meter von ihm entfernt. Er winkte mich an sich heran. Kleinlaut ging ich vor und murmelte etwas. Der Älteste lächelte und meinte: „Wenn du möchtest, dass dich jemand versteht, musst du lauter reden.“ Ich schaute ihn verzweifelt an. Es dauerte eine Weile, bis sich mein Mut fand und stotterte: „Der Obmann sagte wenn ich Krieger werden will, müsste ich bei dir vorsprechen.“ Er lachte: „Ja, das muss man! Denn ich entscheide, wer sich Krieger nennen darf und wer nicht.“ Er stellte mir ein paar moralische Fragen, die ich allesamt richtig zu beantworten schien. Denn er stellte nach jeder Antwort eine Neue. Dann kicherte er amüsiert: „Schwörst du deine Kraft und das Wesen des Kriegers nur zum Wohle unseres Volkes einzusetzen? Und die Schwächeren zu beschützen? Doch rate ich dir vorher: niemals leichtfertig zu schwören!“ Den letzten Satz sprach er mit einer großen Ernsthaftigkeit. Ich überlegte und wog ab. Krieger sein, würde heißen: so stark wie der Waldhüter. Aber nochmals nachts im Wald sein? Das machte mir eher Angst. Als er mich so angestrengt nachdenken sah, lachte er auf: „Ich sehe schon! Du bist schon jetzt ein Krieger. Denn ein Krieger überlegt wohl, was er tut. Nur, wenn jemand um Hilfe brüllt, hilft er ohne darüber nachzudenken, ob er es überhaupt schaffen würde.“ Da erhellte mein doch müdes Gemüt „Ich schwöre!“ Er nickte wissend „Der Obmann hat ein gutes Gespür für Krieger.“ Er reichte mir eine Lanze und einen Dolch. „Beim Schuster bekommst du beim Vorzeigen des Medaillons…“ Er hielt ein Medaillon hoch „… ein paar Schuhe und einen Rucksack. Alles Andere musst du dir leider allein dazuverdienen. Nur Waffen, Ledersachen und Schuhe werden aus der Kriegskasse bezahlt, außer du dienst an der Front. Arbeit findest du an der Wand da.“ Er zeigte zu einer Wand, die voller Zettel hing. Wohlwollend lächelte er, als er fragte: „Kannst du lesen? Wenn nicht, frag jemanden. Viele hier können lesen und irgendwann hast du es von allein gelernt. Und nun auf zum Schuster, deine Füße sind schon rot-blau.“, erklärte er und gab mir einen leichten Klaps auf den Po. Ich lief los, einen Schuster zu suchen. Bald hatte ich einen gefunden. Die Aushängeschilder halfen mir sehr dabei. Als ich Schuhe bekam, betrachtete ich erst mal stolz die neuen Lederschuhe an meinen Füßen, dankte dem Schuster und lief zurück zum Ältesten. Bei ihm stand ein Waldhüter. Nicht der vom letzten Abend. Dieser hatte nur dieselbe Uniform an, war sogar viel jünger. Sie schienen sich zu unterhalten. Ich wollte nicht stören und blieb deshalb ungefähr zwei Meter von ihnen entfernt stehen. Den Waldhüter hörte ich sagen: „Er lag auf einem toten Wolf in einem Grab mit dem Zettel in der Hand.“ Der Mann reichte dem Ältesten einen Zettel. „Wir haben seinen letzten Wunsch erfüllt. Nur tragisch, dass er an der Bisswunde gestorben ist. Er hätte es noch bis zum Dorf schaffen können. Aber er schien irgendwas noch mit letzter Kraft zu beschützen.“ Eine bedrückte Miene durchzog die Mundwinkel des Ältesten. „Hm... Wohl das Mädchen… Sie sollte es nicht erfahren.“ „Jawohl.“, da drehte sich der Waldhüter um. Er und der Älteste erblickten mich. Sie schauten mit direkt in die Augen. Fassungslos und kreidebleich war ich schon zu Boden gesunken. Tränen kullerten aus meinen Augen herunter und wie betäubt hauchte ich: „Er starb um mich zu retten?“ *Gegenwart* Reila sah einen Zettel nach dem Anderen an. „Und? Schon etwas gefunden?“, fragte ich. Sie lachte: „Du Dummerchen! Wie denn? Ich kann doch nicht lesen!“ Erschrocken wanderte mein Blick zu ihr. „Nicht? Wieso nicht?“ Sie zuckte mit der Schulter: „Habe ich eben nie gelernt.“ Ich ließ es, wie immer, dabei. Da entdeckte ich einen Auftrag, der gut klang und las ihn laut vor: „Hier: Habe Familienamulett verloren. Zahle dreißig Silber“ Ich zeigte Reila den Zettel, die missmutig drauf schaute. „Und?“, fragte sie. Ich grinste sie an. „Das suchen wir jetzt. Das Bild darauf müsstest sogar du verstehen. Und vier Augen sehen mehr als zwei.“ „Steht da denn wo?“, ihre ablehnende Laune war fast ansteckend. „Würde er es wissen, stände es hier. Hier steht nur: Hatte es, als ich in die Stadt kam, noch.“ „Vielleicht hat sich ja ein Dieb bereichert.“ Ich kicherte. „Bestimmt nicht. Ich würde eher davon ausgehen, dass es in der Nähe des Glücksbrunnens ist. Dort schauen viele ins Wasser und so manche haben dort schon irgendwas verloren.“ Wir waren dahin gegangen. Reila bewunderte sogar, wie gut ich mich hier auskannte. „Weißt du? Jeder kehrt immer wieder zum Stadtplatz zurück.“, erklärte ich ihr. Wir untersuchten den Brunnen. „Ursprünglich wurde er angelegt um die Stadt mit Wasser zu versorgen, doch seit gut hundert Jahren nutzte ihn dafür niemand mehr. Also beschloss der Stadthalter damals diesen zuzupflastern, weil wohl vorher einige Kinder hineingefallen und darin ertrunken waren. Seitdem werfen manche ein paar Taler mit einem Wunsch hinein. Mit der Zeit wurde er zur Attraktion und man hatte ihn geschmückt. Zumal, wieso auch immer, das Gerücht, er würde Wünsche erfüllen und zu Glück verhelfen, kursierte.“, erklärte ich. Als wir das Amulett in einer Spalte des Glücksbrunnens fanden, fragte Reila mich plötzlich apathisch: „Hast du dir hier mal was gewünscht?“ Ich schaute sie an. Betrübt und nachdenklich schaute sie ins Wasser. „Reila? Wünsche gehen eh nie in Erfüllung. Das Leben ist einsam und trostlos. Es verbirgt nichts, wofür es sich irgendwie zu leben lohnt. Nur der Lebensweg. Und die Hoffnung stirbt zuletzt! Und ich bin irgendwie ein Dauerpechvogel! Es wäre also nur verlorenes Geld.“, verkündete ich, sie anlächelnd, meine Meinung. Sie schaute mich entsetzt an: „Glaubst du überhaupt an irgendwas? Oder ist das alles für dich nur dummes Zeug. Gibt es nur die Dinge, die du anfassen kannst?“ Aufgebraust schaute sie mich wütend an. Ich biss mich auf die Unterlippe und ging in Richtung des Gasthauses, das auf dem Auftragszettel angegeben war. „He! Antworte mir!“, sie riss mich am Arm herum. Meine Unterlippe blutete schon. „Ich…“, meinte ich ruhig und gelassen: „Glaube nur an das Wesen der Menschen. Alle töten, wovor sie Angst haben. Nur selten gibt es welche, die das erforschen. Und diese werden logischerweise gelyncht. Das ist das Wesen der Menschheit. Des eigenen Nutzen wegen.“ Sie prustete los: „Ja klar! Und was bist du dann? Ein Samariter?“ Ich verstand sie nicht. „Ich kenne dich! Das ist nicht DEIN Wesen. Sonst hättest du mich auch getötet! Der Hexenmeister konnte es nicht. Du aber jederzeit! Und du hast auch Angst vor mir!“ Nur wenige Zentimeter trennten unsere Gesichter. Ihre funkelnden Augen starrten ernst in die Meinigen. Sie hauchte gefährlich: „Das kannst du nicht glauben, denn so bist du nicht. Und das weißt du. Und genau DAS macht dir doch Angst!“ Ich biss mich wieder auf die Unterlippe. „Ich weiß.“, sprach Reila plötzlich ablehnend, ließ mich los und ging einen Schritt zurück: „Ich verstehe das alles nicht.“ Wir erhielten den Finderlohn für das Amulett und waren wieder einmal vor der Wand um Arbeit zu suchen. Wobei nur ich suchte, da Reila ja angeblich nicht lesen konnte. Lange Zeit hat keiner von uns gesprochen, bis Reila auf einmal feststellte: „Wir sollten irgendwo unterkommen. Es wird schon dunkel.“ „Es reicht nicht für eine Unterkunft mit Fenster.“, bemerkte ich. Sie schaute verblüfft auf mich: „Dann gehen wir in eine ohne Fenster.“ Sie zuckte mit der Schulter. Ich fühlte mich betrogen und funkelte sie an: „Auf einmal?“ Sie schaute weg und sprach entschuldigend: „Bei der Letzten war es was anderes. Hier ist es kein Problem. Frag bitte nicht nach.“ Ich nickte und ließ es dabei. Doch genau dann fand ich den richtigen Zettel: „Suche zwei Leute für Scheunen-Reparatur. Übernachtung, während einer zügigen Reparatur, in der Scheune erlaubt.“ Reila jubelte: „Das hört sich doch perfekt an. Kannst du reparieren?“ Ich nickte erfreut und wir zogen los, um den Auftrag anzunehmen, denn es war nicht sehr weit. Nur fünf Höfe entfernt, das war grade mal sechzig Minuten Fußweg.  Kapitel 3: ----------- *Vergangenheit/Erinnerung* Lange Zeit saß ich auf dem Boden und heulte jede Träne heraus, die meine Augen hergaben. Sie bildeten schon eine kleine Pfütze. Der Waldhüter und der Älteste versuchten mich zu trösten. Vergebens. „Wieso? Ich hätte sterben sollen. Nicht er. Wenn ich auf ihn gehört hätte, würde er noch leben! Wenn ich nur in die Stadt zurückgegangen wäre.“, heulte ich und wiederholte es wie ein Gebet. Doch die Einsicht machte es nicht besser. Im Gegenteil, mein Eigensinn hatte ihm das Leben gekostet. Als der Älteste begriff, dass es nichts brachte, bat er den Waldhüter mich in ein Gästezimmer irgendwo einzuquartieren, damit ich in der Kälte bei meiner Trauer nicht noch erfriere. Er hob mich, kleines Elend, auf und trug mich in ein Zimmer einer Herberge. „Sieh es so: Er wollte, dass du lebst.“, versuchte der Waldhüter mich zu trösten. Er sprach auch weiter, doch ich hörte nichts. Immer weiter kullerten meine Tränen. Weder der Schmerz noch die Verzweiflung wegen meiner Eigensucht, der andere in den Tod brachte, verschwanden. Sie verringerten sich auch nicht. Der Waldhüter war so freundlich und blieb die ganze Nacht. Irgendwann legte er sich auf den Boden zum Schlafen. In der Nacht versiegten auch meine Tränen. Es waren keine mehr da. Das Bett war nass, der Schmerz, wie ein ständiger Begleiter, vorhanden, aber die Tränen waren weg. Mein Kopf pochte schmerzlich, mein Herz quälte sich. Schniefend saß ich da und hatte mich die ganze Nacht über kein Stück bewegt. Der Waldhüter wachte mit der Sonne auf. Er streckte sich. Dann drehte er sich zu mir um und frug fürsorglich: „Ist es jetzt besser?“ Ich schüttelte sacht den Kopf. Er setzte sich neben mir auf das Bett und legte eine seiner Hände tröstend auf meine Schulter. Traurig, aber lächelnd, schaute er mich an: „Das Leben geht weiter. Er wusste, dass es so kommt und wollte auf dich noch Acht geben. So sind wir Krieger eben. Nimm es dir nicht zu Herzen. Es war seine freie Entscheidung. Niemand hatte ihn dazu gezwungen.“ Ich nickte kaum merklich. Er seufzte und stand auf. „Es wird Zeit. Du bist nun auch Krieger und musst dich zum Dienst bei Mekden melden. Er ist General und entscheidet, wer welche Grundaufgabe erledigt.“ Ich schaute ihn verwirrt an: „Ich dachte, da gibt es eine Mauer.“ Der Waldhüter lachte: „Ja, denn allein mit deinem Kriegersold wirst du niemals über die Runden kommen. Aber um dich weiter Krieger zu nennen, musst du immer eine Grundaufgabe verrichten. Meine ist den Wald zu behüten und alle Reisenden zu schützen. Mit meinem Leben zu beschützen! Das ist die Aufgabe jedes Waldhüters.“, wohlwollend lächelte er: „Wollen wir gehen?“ Ich nickte betrübt. Meine Augen taten so weh, dass ich kaum richtig sehen konnte. Der Waldhüter – Erwin – hatte mich an der Hand genommen und sagte mir, wo wir überall vorbeiliefen. Irgendwann blieb er stehen. Den Mann vor mir konnte ich wegen dem Tränenschleier nicht wirklich erkennen, aber seine Stimme war so markant, dass ich sie jederzeit wiedererkannt hätte. Er inspizierte mich. Immer und immer wieder ging er um mich herum. Dann fragte er plötzlich: „Warum hat sie rote Augen?“ Erwin antwortete nur knapp: „Der Waldhüter der vorletzte Nacht verstarb, hatte ihr viel bedeutet.“ „Ach? Sie war das Mädchen?“, fragte er wissend. Der Waldhüter müsste genickt haben, denn Mekden antwortete: „Ich verstehe.“ Es dauerte eine Weile, bis er weitersprach: „Als Waldhüter können wir dich nicht einsetzen und dich an die Front schicken, wird ebenfalls zur Katastrophe führen, du bist noch zu jung. Hast du denn schon eine Ausbildung im Kampf?“ Ich schüttelte langsam den Kopf. „Na dann, weiß ich doch, wohin ich dich stecke.“, er lächelte zu Erwin gewandt:. „Bring sie zu Leraw.“ Dann wandte sich Mekden wieder zu mir und erläuterte: „Er ist einer unserer Ausbilder für den Kampf.“ Erwin brachte mich, wie befohlen, zu Leraw und blieb während meiner ersten Trainingsstunde in einer Ecke stehen und sah zu wir der Trainer die Grundzüge für den Kampf mit einer Lanze beibrachte. Nach dieser Stunde ging ich zu ihm und frug, warum er nicht in den Wald müsste. „Der Älteste hat mich gebeten auf dich Acht zu geben. Jeder Neuling bekommt am Anfang eine Person zugeteilt, die ein Auge auf ihn hält.“ Ich nickte. Am Abend zeigte er mir das Essenslager und wies mir ein kleines Kämmerchen als Nachtquartier zu. Es war sehr klein, nur ein Bett und eine Kiste hatten Platz dort drinnen. „Es ist nur für deine Ausbildungszeit, danach musst du dir, wie jeder andere auch, etwas kaufen oder mieten. Oder eben, wenn du später zu denen gehörst, die wandern müssen, in Herbergen unterkommen.“, erklärte Erwin. Von da an kam er jeden Morgen, frühstückte mit mir, brachte mich danach zu Leraw und ging dann wieder. Am Abend kam er immer wieder, holte mich vom Training ab, ging mit mir was zu Abend essen und brachte mich anschließend zu meinem Kämmerchen. Tag für Tag verging. Leraw war zwar ein strenger, aber gutmütiger Meister. Bei ihm lernte ich nicht nur kämpfen mit den unterschiedlichsten Waffen, sondern auch Lesen und Schreiben. Es bereitete mir eine große Freude immer was Neues zu lernen. Doch die Zeit ging sehr schnell vorbei. Dann eines Tages blieb Erwin bis mittags in der Arena. Leraw meinte schließlich: „So. Leira. Du bist nun soweit. Alles Weitere musst du dir selber aneignen. Die Grundzüge kennst du nun.“ Ich schaute ihn verzweifelt an. Das war´s schon? Erwin legte sanft seine Hand auf meine Schulter. „Zur Feier gehen wir Braten essen. Ich kenne eine gute Gaststätte.“ *Gegenwart* Eine Zeit lang brauchten wir schon um die Scheune zu reparieren. Sie war zur Hälfte abgebrannt. Doch die Nächte im warmen Stroh und eine warme Mahlzeit bedeuteten einen guten Lohn. Der Bauer selber ließ sich so gut wie nie blicken. Nur seine Frau brachte immer das Essen. Reila hatte so viel Spaß im Stroh zu spielen, dass die meiste Arbeit bei mir hängen blieb. Doch es war keinesfalls eine öde Zeit. „Woher kannst du das eigentlich?“, fragte mich meine Mitreisende eines Abends, als wir auf dem Stroh lagen und in die sternenklare Nacht schauten. Ich kicherte: „Nach meiner Ausbildung in der Arena musste ich täglich Sachen reparieren. Am Anfang nur kleine, aber am Ende musste ich den Zimmermännern auch bei Hausbauten zur Hand gehen. Der Älteste meinte, dass ich als kleines Kind so am besten helfen konnte.“ Sie schaute mich neugierig an: „Kleines Kind?“ „Na ja“, ich lachte auf: „Bis zu meinem vierzehnten Geburtstag.“ „Und was war dann?" Auf Reilas Frage schwieg ich, was sie in Wut brachte. Sie motzte: „Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?“ Ich fing an zu erzählen: „Ich musste mit Erwin, einem Waldhüter, und zwei weiteren, die ihren Namen mir nicht einmal genannt hatten, gegen ein Rudel Wölfe kämpfen, die das Leben hier schwer machten. Es waren mehr Wölfe, als der Älteste gedacht hatte. Er dachte an zwei oder drei einsamen Wölfen. Also Wölfe, die alleine Jagd machen und vom Rudel ausgestoßen waren. Aber er irrte sich. Es handelte sich um ein fünfzehnköpfiges Rudel. Die Schlacht war ziemlich brutal. Wölfe sind Raubtiere, die einen sehr starken Biss haben und wissen, wie sie mit ihren Krallen umzugehen haben, um den größtmöglichen Schaden zu machen. Ich war ziemlich stark verletzt. Erwin hatte stets auf mich aufgepasst. Seit ich ihn damals kennenlernte. Und an dem Tag in der Schlacht… starb er. Ich hatte den letzten Wolf zu meiner rechten nicht gesehen. Ich dachte wirklich, sie wären alle tot. Aber der stand wieder auf. Als der Wolf mich attackierte, fuhr Erwin dazwischen. Der Wolf hatte Erwin allerdings vor dem Ende des Kampfes am Hals gefasst und zugebissen. Einer der Waldhüter, der andere war schon gestorben, half mir Erwin in die Stadt zu bringen zu einem Heiler. Wir beeilten uns so schnell es ging. Doch… als wir ankamen, war er schon tot.“ Mir kullerten langsam die Tränen über die Wangen. Dabei dachte ich, ich hätte es langsam verarbeitet. „Oh…“ Reila wurde ganz still. „Danach…“, erzählte ich weiter: „Habe ich mich beim Ältesten entschuldigt und meine Lanze, mein Dolch und mein Medaillon, welches zeigt, dass ich ein Krieger bin, abgegeben. Der Älteste nickte nur wissend den Kopf. Er sagte, dass es kein Problem sei und er es verstünde. Seitdem arbeite ich immer irgendwelche Zettel ab und bleibe bei keinem festen Standort. Es zieht mich nirgends hin. Mein Geburtsort erinnert mich nur an meine Kindheit. Der Wald an den ersten Waldhüter, der für mich sein Leben gab und die Stadt, wo ich doch am meisten bin, erinnert mich an Erwin, der auch sein Leben für mich gab.“ Reila kicherte urplötzlich: „Na, dann muss dein Leben ja einiges wert sein!“ Mich fasst der Zorn und ich schlug ihr heftig ins Gesicht. „Es ist nichts wert! Und ich will mich nie wieder von jemanden retten lassen!“, schrie ich verzweifelt. Dann ging ich hinein und legte mich ins Heu. Wann Reila mir folgte, wusste ich nicht. Denn schnell überkam mich der traurige und einsame Schlaf. An den wenigen Tage, die folgten, zeigte Reila ihr blaues Auge mit einem unnatürlichen Stolz. Ich schämte mich nicht dafür und entschuldigte mich auch nicht. Eingeschnappt hatten wir nur noch das Nötigste mit einander gesprochen, wie: „Halt das so fest.“. Als die Scheune endlich fertig war, kam der Bauer und war großzügig. Er gab jedem sogar ein ganzes Goldstück und lobte uns: „Das habt ihr gut gemacht.“ Wir nickten. Es war mittlerweile Frühling geworden. Der Schnee taute weg und die Vögelchen trillerten ihre Lieder. Auf dem Weg zurück in die Stadt sprach Reila plötzlich: „Ich glaube, sie retteten dich, weil sie es wollten. Sonst hätten sie es nicht getan. Und ich glaube, dein Leben ist mehr wert als Nichts. Denn wenn es Nichts wert ist, wieso gehst du dann nicht an die Front?“ Ich schaute sie nicht an und erwiderte nur gleichgültig: „Die einzigen siebzehnjährigen Frauen an der Front sind die Huren, die sich sonst nicht verdingen können.“ Reila nickte. „Und jetzt?“ - „Jetzt gehen wir uns die nächste Arbeit suchen.“ An der Wand waren wieder viele Zettel, aber bei einem standen viele Leute vor und lachten herzhaft. Ich ging zu ihnen heran und frug: „Was habt ihr? Sucht jemand eine Hure an diesem Brett?“ Einer der Kerle stützte sich bei mir lachend ab und meinte: „Besser! Hör dir das an: ´An Leira: Bitte komm mit deinem Spiegelbild wieder zu mir. Hexenmeister Ablor´“ Da lachte der Nächste schon auf: „Mit Spiegelbild. Ha ha ha ha ha. Hat er etwa selber keinen Spiegel?“ Weitere Kommentare konnte man vor Lachen nicht verstehen. Ich schmunzelte. Das hörte sich wirklich zum Missverstehen an. Etwas anderes konnte man ja aus diesem Text nicht herauslesen. Hätte er mir das nicht weniger peinlich mitteilen können? Es erinnerte mich an die letzten Zettel von ihm und was daraus nur wurde. *Vergangenheit/Erinnerung* Das Geld vom Bauern Ischlo war binnen zwei Wochen aufgebraucht gewesen. Der Winter kehrte schon ein. Ich durchforstete wieder die Zettel an der Wand nach etwas, was mir zusagte. Präparate herstellen, Laufbursche, viele Zettel suchten noch Krieger und alles andere Mögliche für die Front, für den Krieg. Aber nichts was mir zusagte, bis ich dann las: Brauche Versuchsperson. Zahle 100 Goldstücke. Keine Angst – keine Nebenwirkungen zu erwarten. Ich schauderte. Hundert Gold! Angestrengt versuchte ich zu überlegen. Was für ein Versuch? Und wieso so viel, wenn es keine Nebenwirkungen gäbe? Aber egal wie man es betrachtete: Sich den Versuch zumindest vorher mal anhören, kann man ja und sich dann immer noch um entscheiden. Immerhin war das ein Vermögen. Dafür würde man fast ein Häuschen kaufen können. So wanderte ich das allererste Mal zu dem Zauberer. Vorher hatte ich nur von ihm gehört. Mal gut, mal schlecht. Erwin hatte ihn als „seltsamen Mann, der weder zu Gut noch zu Böse gehört und bei dem ich nicht sicher bin, ob es sich bei ihm um Genie oder Wahnsinn handelt“ beschrieben. Er stellte viele Zauber auf Rüstungen für die Soldaten an der Front her. Erwin hatte auch ein Zaubertrank von ihm, der gegen jede Vergiftung wohl helfen sollte. Er traute sich nur nie ihn auszuprobieren. Als ich ankam, schaute ich mir sein Anwesen zweimal an. Zweifelnd versuchte ich zu verstehen, wie das halten sollte. Es handelte sich um einen riesigen aus der Erde stehende Steinspitze. Glaubte ich zumindest. Auf dem oben an der Spitze ein kleines Türmchen stand. Eine Wendeltreppe, die in Stein gehauen war, führte um den im Querschnitt runden Steinbolzen - ? – herum. Ich brüllte so laut es ging hoch: „Halllloooooooo!!!!“ Ob er mich hören konnte? Dann hörte ich etwas klappern und verlor jede Zuversicht, als ich den Mann dann die Treppe herunter kommen sah. Die Gestalt war alt und klapprig. Der weiße Bart hing ihm wie sein Haar bis zum Bauch. Falten durchzogen sein Gesicht und seine Hände. Unter seinem Gewand, das nur eine bloße Robe war, war er sichtbar spindeldürr. Außer Atem meinte er: „Seid gegrüßt, werte Wanderin. Kommt ihr mich wegen dem Inserat besuchen?“ Ich nickte: „Ja genau und ich wüsste gerne, was es damit auf sich hat.“ „Ach", äußerte er mit abfälliger Handbewegung: „Nichts Schlimmes. Nur sobald jemand hört: ´Nur zweimal ausgetestet´, sind viele sehr vorsichtig. Aber beides Mal sind die Versuche gelungen. Es wird damit deine Reaktionszeit und Schnelligkeit verstärkt: Nur ein kleiner Zauber...“, erklärte er. ´Hundert Goldstücke und verstärkt werden? ´, überlegte ich. Es hörte sich gut an. Ich brauchte keine Angst vor irgendwelchen Kreaturen mehr haben. Wenn es nur so funktionieren würde. "Nebenwirkungen?“, fragte ich. "Bei den beiden Testpersonen keine. Aber deswegen mache ich es ja. Ich gratuliere euch: Ihr seid die erste Frau.", er klatschte erfreut in die Hände. Er schien sich sehr sicher zu sein. Doch ich seufzte nur: die erste Frau? Na prima! Aber sonst pries er den Versuch schon sehr gut an. Deswegen willigte ich ein. Hundert Goldstücke! Und bei den ersten beiden Versuchskaninchen keine Nebenwirkungen. Was sollte also schon schief gehen? „Oh weh“, dachte ich nur. Denn plötzlich fielen mir viele Möglichkeiten ein. Doch ich redete mir Mut zu. Hundert Goldstücke. Ich könnte mir ein kleines Gewerbe leisten. Eine schöne Schmiede. Einen Meister einstellen und schmieden lernen. Während wir die vielen, vielen Treppen hinaufstiegen, malte ich mir so ein Leben aus. Es wäre fabelhaft! In Kriegsjahren könnte ich Schwerter und Waffen herstellen. Pfeilspitzen! Das wäre was! Und ich könnte mir in Ruhe einen süßen Recken suchen. Ach was! Liebe!!! Ich warf den Gedanken sofort wieder weg. Der Letzte, für den ich schwärmte, war Erwin gewesen. Aber ich hätte dann zum ersten Mal ein zu Hause in meinem Leben. Ich könnte mir eventuell einen Teppich leisten. Nach zwei oder drei Monaten. Und wenn ich einen älteren Schmiedemeister nehmen würde, hätte ich sogar nur ein paar Jahre einen Angestellten. So malte ich mir das Leben aus. Der Zauberer freute sich riesig, konnte es kaum erwarten. Wie ein kleiner Junge klatschte er hopsend hin und wieder in seine Hände. In seinem Zauberzimmer angekommen, kramte er schnell viele seltsame Sachen zusammen. Ich las so einiges. "Galle der Skorpione", "Cerberus Zunge", "Zwillingshorn", "Silberzähne". Oh weh, dachte ich nur. Gott sei Dank bin und werde ich kein Zauberer und Hexenmeister. Und wie viele Sorten Tinte er hatte. „Stell dich hier auf den mit Kreide bemalten Kreis!", befahl er mir und ich tat wie mir geheißen. Er fing an in Trance zu geraten und irgendwas zu murmeln... So unordentlich wie sein Zimmer würde es bei mir nie werden!, beschloss ich. Erst kam Rauch auf. Plötzlich durchbrachen diesen dann viele kleine Blitze. 'Und niemals würde ich jemanden erlauben bei mir zuhause zu Zaubern!', stellte ich in Gedanken schon klar. Da merkte ich plötzlich einen Schmerz in der Brust. Ich sank zusammen. Dieser schreckliche und Mark verzehrende Schmerz in der Brust. Ich bekam kaum noch Luft. Es wurde alles schwarz vor meinen Augen und am Boden liegend sah ich nur noch mein Spiegelbild ,es grinste mich teuflisch an. Da verlor ich das Bewusstsein. Ein letzter Gedanke schoss mir durch den Kopf: Wieso hatte ich nur zugestimmt? *Gegenwart* Ich ging wieder zu Reila. Sie schien nervös. Aber ließ sich nicht in die Karten schauen: „Und? Was gab’s da zu lachen?“ „Ach.“, meinte ich abweisend: „Irgend ein peinlicher Auftrag. Wir gehen aber, ich hab für uns was Neues gefunden.“ Wir zogen aus der Stadt wieder. Mit einem Gold kam man schon weiter. „Was denn?“, fragte meine Mitreisende, als wir grade durch das tagsüber stets offene Stadttor gingen. Ich schüttelte nur den Kopf. Die Vorstellung, das Reila plötzlich weglaufen könnte, verfolgte mich. Ich beschloss mein Vorhaben solange wie möglich geheim zu halten. In der Nacht, wir schliefen ausnahmsweise im Freien, gab Reila mir plötzlich fünfzig Silberlinge. „Woher…?“, fragte ich. Doch sie schüttelte nur den Kopf und erläuterte: „Ich hab mein Goldstück eingetauscht, um dir das Geld wiedergeben zu können. Für unsere erste Nacht in Vresna.“ Ich überlegte. Hatte ich das doch glatt vergessen... Ich kicherte. „Und es geht nun wieder zum Hexenmeister?“ Traurigkeit lag in ihrer Stimme. Ich schaute sie perplex an. „Nun tu nicht so! Ich merke doch, dass es der gleiche Weg ist, den wir einst gegangen waren. Er hat also nach uns gerufen.“ Sie legte sich beunruhigt hin. Ich vernahm nur noch ein: „Gute Nacht, Leira.“ Am nächsten Tag wirkte Reila von Mal zu Mal gereizter. Es nahm immer weiter zu, während wir zu dem Vulkan gingen. Sie zeterte stetig: „Wieso müssen wir denn wieder zu dem? Nur, weil er rief? Was bringt das denn? Er ist ein Angsthase ohne jeglichen Sinn für Vernunft!“ Am Anfang hatte ich noch versucht ihr das zu erklären: „Du kannst nicht ewig hierbleiben! Möchtest du denn nicht zurück?“ Doch das kam dann immer zu dem Ende: „Nein! Ich will hier bleiben. Hier bei dir!“ Irgendwann hatte ich dann auf ihr Gezeter nur noch entnervt geantwortet: „Weil es sein muss!“ Kurz bevor wir wieder beim Zauberer waren, begann ich ihr Gezeter zu ignorieren. Ich kannte ihre Sätze schon lange auswendig. Als wir dann endlich den Turm erblickten, blieb sie auch noch auf einmal stehen. Ich merkte es erst drei Schritte später und hielt ebenfalls an. Die Nerven schon überstrapaziert, drehte ich mich zu ihr und wollte beinahe: „Was ist denn jetzt wieder?“, zubrüllen. Doch als ich ihren verängstigten Blick auf dem Turm sah, blieb ich stumm. Ich machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu und fragte einfühlsam: „Reila?“ Plötzlich veränderte sie ihre Mimik. Sie funkelte mich wütend an und meinte scharf: „Was denn? Es ist doch nur ein doofer Angstzauberer!“ und ging steif an mir vorbei. Ihre Furcht und Anspannung war in dem Moment am stärksten zu spüren. So tolerierte ich ihre Entscheidung. Seite an Seite gingen wir zu dem Anwesen des Zauberers, der auf seinem Türmchen im Fenster schon winkend zu sehen war. Kapitel 4: ----------- Der Zauberer hatte noch immer Angst vor Reila. Und, als er von Reilas Namen hörte, reagierte er geradezu panisch: „Ihr habt ihr einen Namen gegeben? Wieso das?“ Ich zuckte mit den Schultern: „Sie ist eigentlich ganz normal. Und so war es auch praktischer.“ Er zog zweifelnd die Augenbrauen hoch: „Normal?“ Reila saß auf dem einzigen Stuhl im Raum und blickte uns bei der Unterhaltung wütend zu. „Also, wie sieht es nun aus?“, frug sie barsch. Der Zauberer fing direkt an zu zittern: „Also, ich habe meine Schriftrollen durchgeschaut und sogar den alten Druiden um Rat gefragt. Wir sind am Ende bei einer Meinung geblieben.“, Er öffnete ein Buch. „Hier steht, dass Frauen eher dazu neigen, zwei Wesen in sich zu haben, als Männer. Und da ´Reila´ ja auch sagte: ihr wäret eins“, er würgte ihren Namen nur so grade heraus. Verwirrt fasste ich zusammen: „Soll das heißen, Frauen sind von Natur aus schizophren?“ Er schüttelte hastig den Kopf: „Nein, darum geht es dabei nicht. Der Zauber verstärkt durch Konzentration des Wesens den Körper. Das Wesen ist nie eins. Zum Beispiel reagiert man bei der Familie anders als bei Freunden. Oder bei der Arbeit. Das kennt jeder. So. Bei Männern sind diese Schwankungen aber sehr gering. Sein Wesen ist gradlinig, während es bei Frauen komplexer ist. Sie unterscheiden wohl auch bei Freunden noch mal einzeln und so. Und bei komplexerem Charakter – sagen wir es mal so – sagt man zwei Wesen. Das Wesen, was man sieht und die Wesensart, die man verheimlicht, den Ärger, den man herunterschluckt und dennoch lächelt. Und Männer schlucken meist nicht. Sie zeigen ihre Wut direkt. Versteht ihr?“ Der Zauberer versuchte sich um Kopf und Kragen zu reden. Verärgert nickten wir den Kopf, da redete er schon weiter: „So. und der Zauber konzentriert es. Bei einem komplexeren Wesen, wo es eben immer heruntergeschluckt wird, scheint die Konzentration durch Ausscheiden zu funktionieren. Und Reila ist nur diese Ausscheidung durch die Konzentration.“, er versuchte Verständnis zu gewinnen durch ein schmeichelndes Lächeln. Doch, ohne Reila anzusehen, wusste ich, dass wir beide mehr als nur verstimmt waren. „So.“, er zeigte auf das Buch. „Hier steht, um eine Konzentration rückgängig zu machen, brauchen wir die Schriftrolle des Néjgúns.“ Er schaute uns fragend an. Wir nickten nur. Ich hatte schon mit dem Versuch ihn zu verstehen aufgehört und bettelte innerlich nur noch nach einer endgültigen Antwort, um hier wieder verschwinden. zu können „Das Problem ist nun: ich wusste nicht, dass ich sie jemals wieder brauchen würde und hatte sie einem Freund von mir geschenkt. Einen damaligen Mitschüler. Das… Problem ist… Er lebt im Palast des Nachbarlandes und arbeitet dort für die Königsfamilie.“ Ich schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Wut überkam mich: „Im Nachbarland? Wir führen seit rund einem Jahr offenen Krieg mit denen! Meinst du, wir können so einfach rüber gehen und bei dem vorbeischauen?“ So langsam zweifelte ich an seinem Verstand. Er begann wieder zu zittern und stotterte: „Ich… ich weiß… es ist… ist nicht einfach… aber… aber eine andere Möglichkeit…“ Wumm! Plötzlich flog Reilas Dolch direkt in sein Buch. „Der befeindete Palast? Dort deinen Lehrkollege suchen und eine Rolle holen, richtig? Wie heißt der überhaupt?“, Reila explodierte nur so vor Zorn. Sie sagte es scharf und funkelte dabei den Zauberer an. Ihr ging das Getue wohl eindeutig auf die Nerven. Zornesröte stieg in ihr Gesicht. Der Zauberer dagegen hatte sich wieder in die Hose gemacht. Ich rollte mit den Augen. Der Dolch war auch wirklich nur drei Zentimeter von seiner Nase entfernt ins Buch geschleudert gewesen. „Dondie.“ Sobald ich den Namen hörte, stand ich auf und ging mit Reila wieder hinaus. Unten angekommen fauchte sie: „Was für ein Idiot!“ Ich teilte insgeheim ihre Überzeugung. Der Zauberer war wirklich ein vollkommener Idiot. „Frauen sind zwei Wesen.“, äffte sie ihn nach, nur um sich dann wieder über ihn aufzuregen: „Klar! Siehst du nicht unsere zwei Köpfe!!“ Ihr Gezeter ging noch eine geschlagene Stunde so weiter. Ich dachte mir nur: Der arme Zauberer, dass er das alles wegen dem offenen Fenster auch noch mitbekam. Als sich Reila endlich beruhigt hatte, fragte sie endlich: „Feindespalast? Wo ist der?“ Ich grinste: „Eigentlich nur einen zwölf Tagesmarsch von hier entfernt. Allerdings kämen wir dann direkt an der Front vorbei. Wir müssen den Weg über die Berge nehmen. Der führt durch ein anderes Land. Dann wären wir ungefähr drei Monate unterwegs.“ Reila erschrak: „Drei Monate?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Zu Fuß sind wir zu langsam. Aber Pferde kosten mindestens zehn Gold. Und das nur eines!“ Ich verlor jeden Mut. Da rief der Zauberer plötzlich aus dem offenen Fenster: „In der Scheune sind zwei gesattelte Pferde. Ich hatte sie schon vorbereitet. Viel Glück.“ Reila funkelte zum Fenster hinauf und sagte monoton: „Hörte er uns etwa seit Anfang an einfach still zu?“ Da musste ich kichern: „Es hat eben nicht jeder den Arsch in der Hose wie du.“ Wir holten die Pferde. Es waren sogar sehr gute Reittiere. Die Rasse war bekannt für ihre gute Ausdauer und ihre Schnelligkeit. Reila schaute mich verwirrt an: „Bist du schon mal geritten?“, fragte sie. Erstaunt blickte ich sie an: „Du etwa nicht? Es gehörte zur Ausbildung eines Kriegers.“ Reila lachte nur: „Ach, was du kannst, kann ich auch! Immerhin sind wir zwei eins. Nicht wahr?“ Nachdenklich schaute ich auf das Pferd: „Was der Hexenmeister über das indirekte Verhalten sagte, machte Sinn. Es ist das einzige, was Sinn macht. Aber… wenn wir beide durch den Zauber getrennt wurden, wieso habe ich dann nicht das Gefühl, dass ich direkter geworden bin?“ Reila saß auf das Pferd auf und lachte: „Weil du immer noch so was von indirekt bist. Der Typ hat doch einfach keine Ahnung!“ Ich ließ es dabei und wir ritten los. Reila konnte nicht reiten. Sie wusste nicht mal, wie sie die Zügel halten sollte. Sie nannte die Zügel sogar Leine, was mich amüsierte. Doch wir hatten Glück. Ihr Hengst folgte meiner Stute anstandslos. Am Ende des ersten Tages verschaffte ich mir einen Überblick. Wir waren gut vorwärtsgekommen. Ich rollte eine Karte aus. Reila schaute drauf. „Da sind ja gar keine Städte!“, bemerkte sie. Ich schüttelte den Kopf: „Die beinahe runden Kreise markieren nur die Hauptstädte der Länder.“ Ich zeigte ihr den Weg über das Land der Horranen. „Horranen?“, fragte sie mich. „Sie wollen so genannt werden. Die Königsfamilie heißt Horros. Daher kommt der Name. Es sind eigentlich Menschen wie du und ich. Wir unterscheiden uns nur in der Herkunft der Länder. Die Familie besteht auf Neutralität und wünscht von allen Kriegshandlungen fern gehalten zu werden.“ Wir würden das Land nur kurz kreuzen. „Die Landesgrenzen zu dem Land der Horranen werden nicht bewacht. Wir dürfen nur keine Waffen offen tragen und müssen diese verstecken. Auf Waffentragen ohne Erlaubnis der königlichen Familie der Horros steht eine harte Strafe.“ Aber wir hatten eh nur Dolche und ein Kurzschwert. Beides passte in eine Satteltasche. „Wir müssen nun nördlich wandern, bis wir an der Grenze zu den Horranen kommen. Wir sollten dann weit genug von der Front entfernt bleiben, um nicht aufzufallen.“, erläuterte ich und rollte die Karte wieder ein. Reila nickte. Die folgenden Tage waren kein Zuckerschlecken. Von der bergigen Wüste ging es nun zu einem feuchtschwülen Wald über. Die Pferde taten sich schwer bei dem kleinen Trampelweg durch den Dschungel. „Wir müssen die Pferde hier lassen!“, stellte Reila fest. Ich schüttelte den Kopf. „Wir sind schon im Reich der Horranen. Weit geht der Wald nicht mehr.“ Und es war wirklich so. Zwei Tage später lichtete sich der Dschungel und die Bäume wurden weniger, bis die Landschaft in eine karge Wiesensteppe überging. Ich war erleichtert, dass wir in dem Land niemandem begegnet waren und problemlos ein Dorf im Feindesland erreichten. Es war ummauert, mit Wachen am Eingangstor. Wir zogen die Kapuzen tief ins Gesicht. „Lass mich bitte reden.“, meinte ich zu Reila. Sie war seltsamerweise, während fast der gesamten Strecke, still. „Halt!“, riefen die Wachen und versperrten den Durchgang in das Dorf mit ihren Lanzen. Wir blieben stumm stehen. „Wer seid ihr?“, frug eine der Wachen scharf. „Meine Schwester und ich wollen zur Hauptstadt reisen. Dondie, unser Onkel, soll nun auf uns aufpassen, weil unser Vater im Krieg fiel.“, erklärte Reila plötzlich. Ich erschrak. Sie sollte doch still bleiben! Die Wache musterte uns und schaute sogar unter die Kapuzen. „Zwillinge??“, stellte er überrascht fest. Trotzig und verletzt klang Reila, als sie prompt antwortete: „Ist das etwa verboten?“ Hastig schüttelte die Wache den Kopf: „Nein! Es wunderte mich nur.“ Reila umarmte mich, ließ aber den Blick auf die Wache nicht los. „Meine Schwester hat nur Angst, man könnte uns hübsch finden, und davor, dass wir an die falschen Leute geraten. Deswegen bat sie mich unsere Mützen tief ins Gesicht zu ziehen.“ Erst da merkte ich, dass Reila eine gute Schauspielerin war. Sie hörte sich wirklich verzweifelt an. „Und unser Onkel…“, sie fing an zu weinen: „Konnte uns auf dem Hof nicht abholen… weil..“, sie schniefte. Die Wache versuchte sie rasch zu trösten. „Schon gut! Ich bring euch in eine Herberge und bitte Graf Roland euch mit nach Tawaro zu nehmen.“ „Echt? Das würdet ihr?“, sie zeigte Hoffnung in der verlorenen Welt. Es war schwer nicht in Lachen auszubrechen, bei diesem Schauspiel. „Natürlich!“, stolz hob die Wache den Brustkorb. „Ich kann doch nicht zwei arme Bauernmädchen alleine weiter reisen lassen.“ Ich wunderte mich, wieso das so gut funktionierte. Aber vor allem: Wieso er sich so reinlegen ließ und nicht wegen der Pferde stutzig wurde. Er brachte uns zu einer Herberge. Als er eine rothaarige Frau um die Zwanzig erblickte, hob er winkend einen Arm und rief: „Amy! Das sind MEINE Gäste. Schreib sie auf die Rechnung! Ich muss schnell wieder zum Tor!“ Reila nahm schnell seine Hand in ihre Hände: „Habt vielen! Vielen! Dank – oh gütiger Herr!“, lobte und dankte sie ihn. Er wurde rot und war sichtlich berührt über ihr dankendes Gesicht und die glänzenden Augen. „Ach wo! Ich bring euch morgen noch zum Grafen. Frühstückt in Ruhe und wartet auf mich. Trinkt aber nicht zu viel. Nur weil es auf meine Rechnung geht.“ „Nein, Herr! Wir werden uns benehmen und euch keine Schande bereiten. Habt vielen, vielen Dank!“ Pfeifend ging der Mann wieder weg. Amy zeigte uns, wo wir unsere Pferde hinbringen konnten. „Das sind aber schöne Tiere.“, bemerkte sie, während ihre Hand über das Fell glitt. Reila nickte zufrieden: „Sie sind auch schnell! Alles was wir von Zuhause noch haben.“ Die letzten Worte sprach sie traurig. Amy nahm uns mit hinein: „Seid nicht zu traurig. Bernd ist ein netter Mann, vor dem braucht ihr auch keine Angst zu haben. Ich serviere euch etwas Leckeres, dann vergesst ihr die Strapazen eurer Reise bis hierher!“, Sie führte ihre Faust zum Oberkörper und klopfte hörbar, während sie uns angrinste. Dann drehte sie sich auf dem Absatz herum und marschierte in die Küche. Reila schüttelte sacht den Kopf, als ich etwas sagen wollte. Kurz darauf brachte uns Amy etwas zu trinken. „Hier. Das Essen dauert leider noch zwanzig Minuten. Dafür wird es sehr, sehr lecker!“, versprach sie und ging weg, um sich wieder um andere Gäste kümmern. „Beerenwein!“, stellte Reila knapp fest und trank davon. Ich schaute sie verwundert an: „Woher weißt du das? Ich hätte auf Traubensaft getippt.“ Reila schüttelte den Kopf: „Blaubeerwein. Das riecht man. Traubensaft wäre rötlicher und röche dann nicht nach Alkohol.“ Ich schwenkte das Glas in meiner Hand hin und her. Was Reila so alles wusste. Zumal erstaunte es mich, wie sie einfach mit der Wache und der Lüge umging. Ich hätte das nie und nimmer so galant hinbekommen. Amy schenkte immer ruhig nach und irgendwann kam ein leckerer Rinderbraten mit Rosenkohl und Knödel auf den Tisch. Er schmeckte wirklich köstlich und als sie uns dann unser Zimmer zeigte, dachte ich echt, ich wäre im Himmel. Ein so gemütliches Bett hatte ich noch nie. „Weißt du?“, meinte Reila als sie sich ins Bett fallen ließ: „Ich verstehe nicht, wieso ihr mit den Leuten Krieg führt. Sie sind sehr nett und zuvorkommend.“ Monoton antwortete ich: „Es sind eben alles Menschen. Wir sind alle dieselben Wesen. Nur die politische Grenze unterscheidet unser Sein.“ Reila summte ein wenig vor sich hin und rollte sich dabei hin und her. Nachdenklich genoss ich das kuschelweiche Bett, bis ich irgendwann einschlief mit dem Gedanken an Erwin, der genauso nett war. Am Morgen nach einem herzhaften Frühstück kam wirklich der Wachmann vom Abend wieder. „Moin!“, grüßte er lachend. Er brachte uns zum Haus einer wohlhabenden Familie. Es war ein riesiges Gebäude. Innen hingen viele Wandteppiche in rötlichen Tönen. Als wir dann in einem Raum eintraten, blieb er plötzlich stehen. „Sir Roland.“, er verbeugte sich. Wir versuchten es ihm bestens nachzutun. Der Mann in auffallenden Kleidern machte nur eine Handbewegung. Seine Kleider waren knallblau und hatten goldener Verzierungen an den Rändern. „Von diesen armen Damen hatte ich euch ja schon berichtet.“ Er zeigte auf uns. Der Mann nickte nur. Er trank noch einen Schluck und dann stand er gemächlich auf: „Ihr seid also die Nichten von Magier Dondie?“ Wir nickten schüchtern. „Na, auf. Wir reisen heute ab. Ich habe gehört, ihr seid im Besitz von Tertzienpferde?“ Wir nickten wieder schüchtern. „Dann geht sie satteln, ich warte am Ortsausgang. Aber nicht lange.“, erklärte er unfreundlich. Wir hasteten direkt los zu dem Gasthaus. Amy wartete schon mit den gesattelten Pferden auf uns. „Danke Amy.“, Bernd kramte einige Münzen aus seiner Tasche und übergab sie Amy mit einem Küsschen auf die Stirn. Reila pfiff sofort unanständig. Bernd und ich schaute sie schockiert an, während Amy rot im Gesicht wurde. „Na… na viel Spaß und Glück auf eurer Reise. Bis heute Abend, Bernd.“, verabschiedete sie sich und ging mit eindeutigen wackelndem Hintern zur Tür des Hauses. Sie blieb kurz stehen, drehte sich um und blickte noch einmal verführerisch zu Bernd, bevor sie hineinging. „Da ist wer verliehiebt!“, zog Reila ihn auf. „Und? Wir sind beide noch jung und beide noch ungebunden!“, rechtfertigte sich Bernd. „Ach? Und dann schaut man auf Amys Hintern?“ Sie hatte Bernd ertappt und er wurde auch auf einmal knallrot. Schnell drehte er sich um. „Wir sollten zum Ortsausgang gehen. Der Graf wird bestimmt schon warten.“ „Wie süüüüüüß“, pfiff Reila. Ich dagegen schämte mich für ihr Verhalten. Warum ließ sie ihn nicht einfach in Ruhe? Kapitel 5: ----------- Am Dorfausgang wartete Graf Roland mit einem Dutzend Rittern. „Da seid ihr ja endlich!“, grölte einer von denen. „Ich brauchte länger. konnte mich von der süßen Amy nicht trennen.“, lachte Bernd herzhaft. Die anderen Ritter stimmten mit ein. Nur der Graf schien nicht begeistert zu sein. „Auf jetzt. Wir haben es eilig.“, sprach er gelangweilt und ritt los. Die anderen Ritter folgten ihm mit Gegröle. Reila hielt sich verärgert die Ohren zu und meinte leise zu mir: „Solche lauten Unholde! Der Einzige mit Sitten ist der Graf.“ Ich stimmte nickend zu. Still ritten Reila und ich nebeneinander hinter den lauten Rittern her. Graf Roland war stets inmitten der gutgelaunten Gruppe. Er wirkte wie ein Ausgestoßener oder jemand der einfach nicht hineinpasste. Im Gegensatz zu den anderen war er ruhig und gesittet. Er hielt sich aus allen raus, schien es das Verhalten der Gruppe nach außen zu tolerieren und im Innersten abzulehnen. „Wie eine Nonne in mitten von Huren.“, flüsterte Reila mir zu, als hätte sie meine Gedanken erraten. Ein Kichern war meine Antwort. Einer der Ritter blieb stehen und kam fragen auf mich zu: „Was ist denn so witzig? Ich würde gerne mit lachen.“ Ich traute mich nicht irgendwas zu sagen, denn mich plagte stets die Angst, dass sie unsere wahre Herkunft herausfinden würden. Feinde wurde in jedem Land gleich behandelt. Erst in den Kerker und wenn man glaubte, dass sie was wüssten, dann wurden sie gefoltert. ´Ja, immer dasselbe.´, dachte ich. Reila antwortete: „Ihr scheint stets belustigt zu sein, und da fragte ich meine Schwester, ob sie sich vorstellen könnte, dass sich einer von euch unserem eher strengen Vater nähern und um eine unserer Hände bitten würde.“ Er lachte herzhaft und ritt wieder zu den anderen auf. Außer, dass die Ritter mit ihren lauten und übertriebenen Getue nervten, war es eigentlich eine stille Reise, in der weder Reila noch ich viel redeten und immer abseits blieben. Doch in der ersten Nacht meinte einer der Ritter leicht angetrunken mit Reila leichtes Spiel zu haben. Er setzte sich neben sie: „Na, hübsches Ding? Ich kuschel heute Nacht mit dir. Wollen ja nicht, dass du frieren musst!" Er umarmte sie. Angewidert versuchte Reila ihn wegzustoßen: „Nein, danke!", rief sie. Doch der Ritter ließ nicht von ihr ab. Grade als ich eingreifen wollte, brüllte der Graf streng: „Lasst gefälligst die Mädchen in Frieden!“ Sofort ließ er von Reila ab. Das war das einzige Mal, dass sie zudringlich wurden. Jede weitere Nacht war Ruhe und wir schliefen gemeinsam etwas abseits, bis wir eines Abends dann die Hauptstadt Tawaro erreichten. Tawaro war eine riesige Stadt. Es war schon von weitem zu sehen, dass sie anders aufgebaut war als unsere. Der Marktplatz war eher in der Mitte angesiedelt und überall gaben sich Huren den Soldaten hin. Angewidert kam Reila näher und würgte: „Ich mag die Stadt jetzt schon nicht.“ Der Palast, groß und weiß, ragte aus der grauen und dreckigen Siedlung heraus. Nirgends entdeckte ich auch nur ein einziges Kind. Es wirkte verrucht. Der Gestank stieg in meine Nase. Mir wurde übel. „Ja. Es ist keine schöne Stadt.“, sprach der Graf auf einmal. Ich merkte erst jetzt, dass er nicht mehr vor, sondern neben uns ritt. „Ich mag sie auch nicht sehr. Der Hof ist glücklicherweise netter.“, angewidert blickte er nach vorne und versuchte alles was sich neben ihm abspielte zu ignorieren. Zwei Huren kamen auf uns zu und eine rief: „He! Ihr Recken! Wenn die zwei Mädels euch nicht beglücken, wir können das!“ Die Ritter lachten auf. Der Graf spie plötzlich wutentbrannt aus: „Sehe ich aus, als ob ich mit so niedrigen und dreckigen Gesindel wie euch abgebe!?“ Sie schnauften und kehrten zu wieder zu den anderen Männern zurück. „Eine üble Gegend. Aber keine Angst, ich bin nur zu Huren so unfreundlich.“, erklärte er lächelnd zu uns gewandt. Erschrocken zitterten wir noch leicht von dem plötzlichen Wandel des Grafen. Er lachte. Das erste Mal, wo wir dies mitbekamen. „Keine Angst“, lachte er: „Anders versteht es das Gesindel nicht.“ Wir ritten über eine Brücke, die der einzige Zugang von der Stadt zu der mit einem Fluss umgebenen Burg war. Kaum stellte das letzte Pferd seine Hufe hinter die Brücke, wurde diese hochgezogen und direkt hinter uns wurde auch das Tor geschlossen. Laut hallte es durch den Hof: „Sir Roland und sein Gefolge.“ Die Männer stiegen von den Pferden. Rasch nahmen Stallknechte die Zügel der Pferde und brachten die Tiere in die Ställe. Reila weigerte sich lautstark unsere Pferde zu übergeben. Sie kreischte verzweifelt: „Die sind alles, was wir noch haben!“ Ich sah, wie der Graf die Augen rollte. Reila wollte sich nicht von dem Knappen überzeugen lassen, dass es den Pferden gut gehen würde Das zeigte sie, in dem sie den Burschen zuerst anknurrte und dann sogar versuchte ihn zu beißen. Der Graf ging auf sie zu. „Lady Reila.“, sprach er in völliger Ruhe, als ob er ihr unanständiges Verhalten nicht gesehen hätte: „Die Pferde dürfen nicht in die Flure des Palastes. Sie werden die schönen Wandteppiche ruinieren. Das siehst du doch ein, oder?“, sprach er einfühlsam. Er legte seine Hand auf ihre Schulter. Beschämt nickte sie. „Stell dir mal vor, sie würden die Teppiche als Nahrung sehen.“ Reila versuchte verzweifelt ein Kichern bei der Vorstellung zu unterdrücken. „Du verstehst also, dass sie außerhalb des Palastes bleiben müssen?“ Sie nickte wieder mit einem schüchternen Kichern. Sir Rolands Gesicht näherte sich des von Reilas. „Sie brauchen aber nicht unter freien Himmel zu warten. Sie bekommen ihre eigenen Gemächer, in denen es ihnen an nichts fehlen wird.“ Reila lachte herzhaft. „Gibst du dem Knecht die Zügel, dass er sie dort hinbringen kann.“ Gut gelaunt gehorchte sie. Der Knabe nahm die Zügel und rannte ganz schnell mit den Pferden zu den Scheunen. „Keine Angst“, beteuerte der Graf, während seine Hand zu ihrem Rücken wanderte: „Du darfst sie selbstverständlich jederzeit besuchen.“ Alle starrten die beiden an. Einige hatten sogar den Mund vor Erstaunen geöffnet. Einige Blicke der beiden dauerte es, bis Sir Roland schmunzelnd zu dem Palast ging. Ich schaute Reila verwundert an. Verträumt lächelnd schaute sie ihm hinterher und kicherte hier und da noch. „Kommt ihr?“, rief er auf der Türschwelle. „Ja!“, freute sich Reila und rannte ihm hinterher. Ich dagegen verstand die Welt nicht mehr und versuchte zu begreifen, was da eben vor sich ging, während ich schnellen Schrittes den beiden folgte. Die Wachen begrüßten ihn: „Willkommen zurück.“ Und verbeugten sich. „Ja. Richtet seiner Majestät bitte aus, dass meine Reise wieder keine Erfolge verbuchte.“ Neugierig horchte ich auf. Stimmt, wieso war er in einem Dorf? Und auf der Reise? „Sehr wohl“, verbeugte sich einer der Wachen und rannte los. „Kommt mit, ich zeige euch ein Gästegemach, dass mir zur Verfügung gestellt wurde für meine Gäste, während meiner Aufenthalte in Tawaro.“ Er ging vor und Reila folgte ihm freudig. Nur noch zwei Wachen mit Lanzen folgten ihm an seiner Seite. Sie sagten nichts, während der Graf Reila bei einigen Gemälden oder Teppichen anfing etwas zu erzählen. Meistens darüber, wo sie herkamen oder wer darauf gezeigt wurde. Einmal auch etwas über den Künstlerbetrieb, der es fertigte. Reila hörte ihn die ganze Zeit aufmerksam und liebäugelnd zu. Sie konnte das sehr überzeugend darstellen. Ich schmunzelte bei dem Gedanken. „Nun denn, werte Lady“, seine Hand streichelte Reilas Wange: „Dies ist euer Schlafgemach und das eurer Schwester. Ich wünsche euch eine erholsame Nacht.“ Zärtlich küsste Sir Roland das Mädchen. Entsetzt blickte ich zu den beiden. Schüchtern kicherte Reila und meinte leise und verlegen: „Euch auch eine gute Nacht.“ Der Graf zog summend von dannen. Wir dagegen gingen ins Zimmer. „Was war das??“, fragte ich immer noch erschrocken von der Szene, die aussah, als wäre sie eine zwischen zwei Verliebten. Reila ließ sich genüsslich auf das Bett fallen: „Ist er nicht toll? Und soooo gesittet!“, schwärmte sie. „Was hältst du von ihm?“, fragte sie mich neugierig. Ich überlegte: „Ein wenig alt.“ „Ach“, wies Reila ab: „Er ist nur sieben Jahre älter! Hat von Natur aus eher gräuliches Haar“ Woher kannte sie sein Alter??? Sie schwärmte noch einige Zeit über seine ruhige und abweisende Art. Ich dagegen konnte es nicht glauben: „Du bist verliebt!“, entfuhr es mir. Sie fuhr ertappt hoch: „Und? Ist das verboten? Er ist doch so lieb und wie zärtlich er meine Wange berührt hatte!“, sie seufzte verträumt. Entsetzt blickte ich sie an: „Verboten?? Reila!“ Ich ging zu ihr und flüsterte so ernsthaft, wie es nur ging: „Vergiss nicht! Wir haben eine Mission!“ „Nein!!“, fuhr sie mich an: „Du hast einen Plan! Ich nicht! Ich finde es toll hier!“ Sie schaute mich wütend und doch irgendwie traurig an. „Reila!“ Sie schnaubte und ging hinaus. Frustriert ließ ich mich auf das Bett fallen. Leise ließ ich meinen Ärger heraus: „Doofe Reila! Wieso verliebt sie sich in so einen?! Und wieso jetzt? Was ist, wenn wir auffallen?“, die Gedanken verfolgten mich, während ich langsam einschlief. Türquietschen weckte mich. Panikartig fuhr ich hoch. „Was?“ „Ups.“, hörte ich meine Stimme. „Ich war noch bei Sir Roland und wir haben uns köstlich amüsiert. Er hat viel erzählt!“, berichtete Reila glücklich und setzte sich aufs Bett zu mir. „Er ist wirklich sehr zuvorkommend. Morgen möchte er sogar mit mir frühstücken. Und stell dir vor: Er bringt uns persönlich zu Dondie!“ Ich schaute ihr fröhliches Gesicht zweifelnd an: „Und wie wollen wir vor ihm erklären, dass wir nicht seine Nichten sind, sondern vom Zauberer Ablor zu ihm geschickt worden mit einer Mission?“ Ihr Strahlen wich aus ihrem Gesicht. Beschämt schaute sie auf die Bettkante. „Verzeih. Seid wir Custos trafen, mach ich alles falsch.“ „Custos?“, fragte ich. Sie grinste wieder verliebt: „Graf Rolands Vornamen!“ Ich rollte mit den Augen. „Lass uns schlafen. Wir schaffen das schon irgendwie.“ Reila nickte und kuschelte sich an mich. „Du bist verschwitzt!“, stellte ich fest. Reila kicherte. „Was soll ich sagen? Wir haben mehr als nur geredet. Sind immerhin beide erwachsen.“ „IIHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!“, schrie ich voller Ekel auf. Reila grinste mich an: „Sag bloß! Du bist Jungfrau!“, stellte sie scharf mit einem gefährlichen Unterton fest. „Iieeehhhhh! Das ist ja so, als würde er…. Ieehhh!!“, verzweifelt versuchte ich den imaginären Schmutz zu entfernen. „Nein! Ist es nicht. Er meinte, er mag meine Bewegung und meine Art! Nichts, was mit dir übereinstimmt.“ Die Worte beruhigten mich aber nicht. Ich ekelte mich weiter. Wie konnte sie nur? Wir hatten doch denselben Körper, zumindest, als der Zauberspruch ausgesprochen wurde. Wie ist es dann, wenn der Zauberspruch rückgängig gemacht würde? Angst überkam mich. „Stell dich nicht so an.“, meinte sie nur noch, drehte sich um und schlief bequem ein. Irgendwann ließ das Unsauber-sein-Gefühl nach. Noch ein wenig angewidert kletterte ich ins Bett zu Reila und ließ zu, dass sie sich an mich schmiegte. Am frühen Morgen klopfte es an der Tür: „Reila, Liebling, wachst du auf? Es gibt bald Frühstück und König Tetron wird anwesend sein. Ich habe für dich und deine Schwester zwei Kleider besorgt bekommen. Wascht euch und zieht sie bitte an.“ „Custos!“, freute sich Reila riesig. Noch halb nackt öffnete sie rasch die Tür und umarmte ihn. Schnell hob ich die Decke bis zum Hals. „Reila, Liebling, geh bitte wieder rein und mach dich fertig.“, er küsste sie sanft auf die Wange und schob die kichernde Reila wieder ins Zimmer. Mit den Worten: „Ich bin in einer Stunde wieder da und hole euch ab.“, schloss er die Tür und ging wieder. Reila hüpfte vor Freude rauf und runter. „Audienz beim König?“, fragend schaute ich sie an. Sie zuckte mit der Schulter: „Und wenn schon. Mir hat er vorher auch noch nichts erzählt. Aber neue Kleider!“ Sie freute sich riesig. Ich hatte allerdings meine Zweifel. Nach dem Waschen hatte Sir Roland uns sogar eine Kammerzofe zum Anziehen geschickt. Ich fühlte mich nicht wohl, aber Reila genoss die Zuwendungen, jede einzelne, die von den Grafen kam. Es waren zwei wunderschöne sittsame Kleider. Eines hatte rötliche Farben und das andere bläuliche. Mir war bewusst, wieso ich das bläuliche bekam. Sie passten wie angegossen. So etwas Gutes trug ich vorher nie. Reila dagegen konnte sich gut in dem ganzen Stoff bewegen. Als Sir Roland wieder da war, begrüßten sich die zwei Verliebten erst mit Blicken, dann mit zartem Händchenhalten und süßem Lächeln und zum Schluss mit einem lang dauernden Zungenkuss. Das Problem war nur: Die Galle kam mir wieder hoch. „Du siehst fabelhaft aus, mein Liebling.“, machte er ihr ein Kompliment, fügte aber mit einem Blick zu mir rasch hinzu: „Deine Schwester auch.“ Und flüsterte ihr ins Ohr: „Du siehst aber zum anbeißen aus.“ Reila kicherte wieder, während ihr Gesicht immer röter wurde. Der Tisch, zu dem wir geführt wurden, war reich gedeckt: „Leira, benimm dich bitte. Ich schätze aber, du wirst es ohne Probleme hinbekommen.“ Ich nickte. Wir bekamen sogar die Stühle zurückgezogen, um uns zu setzen. Es dauerte eine Weile, dann kam zusätzlich noch ein auffallend gekleideter Mann mit einer Goldkrone. „Majestät.“, begrüßte Sir Roland ihn und wir machten es ihm nach. „Sir Roland. Gut dass ihr wieder hier seid. Oder schlecht. Wie man es sehen mag.“, bekümmert sprach der König. Sehr tiefe Trauer spiegelte sich in seinem Gesicht offenkundig wieder: „Wie ich bereits hörte, ist eure Suche im Norden des Landes auch misslungen? Dann bleibt nur noch das Nachbarland.“, stellte er fest. Der Graf nickte: „Ja, Hoheit. Leider. Und die Front will sich nicht verschieben. Unsere Feinde halten einfach zu sehr stand.“ Des Königs Hand schlug voller Wucht auf den Tisch: „Seit einem Jahr! Verdammt! EIN JAHR!“, brüllte der König. Ich versuchte verzweifelt zu verstehen, was er suchte und wieso deswegen Krieg herrschte. „Wenn ihr etwas sucht, Majestät, wieso sendet ihr dann nicht Spione? Oder bittet um Durchreise zum suchen?“, fragte Reila schüchtern. „Sir Roland! Habt ihr dem Mädchen nicht gesagt, dass es Weibern verboten ist in Gegenwart eines Mannes zu reden ohne eine Erlaubnis?“, wütend sprach der König die Worte aus. „Verzeiht bitte, Hoheit.“, entschuldigte sich der Graf: „Aber die Idee mit Spionen ist vorübergehend nicht so schlecht. Unausgereift, aber nicht schlecht.“ Der König seufzte: „Als hätte ich das nicht schon probiert. Unsere Spione schaffen es aber nicht über die Grenzen.“ Reila hob die Hand. „Was?“, fauchte der König. „Darf ich reden?“ Der König nickte erschöpft Reila zu. Sie wirkte sehr verlegen: „Unser Vater hat mal erzählt, dass es ein drei Ländereck gäbe. Könnte man nicht über das dritte Land einschleichen? Oder führen wir mit dem auch Krieg?“ Der König horchte auf. Langsam stahl sich ein erfreuliches Lächeln auf dem Gesicht des Königs ein. Dann wie vom Blitz getroffen wich es wieder: „Das ist neutrale Zone. Das geht nicht.“ „Aber…“, konterte Reila: „Es geht doch nicht um Kriegshandlungen sondern um eine Suche nach einer Sache.“ „Eine Sache?“, fragte der König stutzend. „Das, was wir suchen, ist keine Sache, Kleines. Den Königen und dem Adel ist es verboten auf das Land zu gehen. Und das was wir suchen ist mein Sohn, der vor über einem Jahr entführt wurde.“ Ich horchte auf. Ein gefangener Prinz? Schnell nahm ich meinen Mut zusammen: „Verzeiht Hoheit, aber wie wäre es, wenn Reila und ich ihn suchen gehen? Zwei Frauen würde man nie als Spione betrachten, wenn sie zu einem Verwandten wollen?“ Der König blinzelte: „Seid ihr nicht zwei Mädchen, die zu ihrem Verwandten wollen?“ Wir schluckten. „Ja.“ Sir Roland stand auf: „Verzeiht Hoheit, aber Reila ist meine Verlobte, ich kenne sie schon seit Jahren.“ Ich schaute ihn verlegen an. Wie gut er lügen konnte. Aber ich verstand nur nicht, wieso er log. „Ich habe ihr vorgeschlagen mit ihrer Schwester hierherzukommen, nachdem Hoshi, Dondies Bruder, an der Front verstarb. Es tut mir Leid, Hoheit. Aber ich finde es auch viel zu gefährlich für zwei junge Mädchen, auch wenn Leira tollkühn ist.“ Der König nickte betrübt, wie er stets wohl war: „Mir ist nicht mehr nach Essen. Ich dachte, es gäbe wenigstens eine halbwegs gute Nachricht.“ Er stand auf und ging wieder. Sir Roland dagegen setzte sich wieder auf seinen Stuhl: „Lasst uns nun etwas essen.“ Nach dem Essen ging Reila mit dem Grafen in den Garten. „Verdauungsspaziergang“ nannte Sir Roland es. Er bat aber vorher jemanden mich zum Zauberer Dondie zu bringen. Dondie war etwas jünger als Ablor. Sein Haar bleichte erst langsam aus. Nur leichte weiße Haare zogen sich durch sein nussbraunes lange Pracht. Auf dem Kopf waren sie sehr lang, doch sein Bart hielt sich in Grenzen. Auch die Anzahl der Falten waren geringer. „Wer seid ihr noch?“, fragte er ruhig. Der Vorhang der Traurigkeit, der über dem ganzen Palast lag, schien ihn mit einzuhüllen. Seine Augen strahlten Müdigkeit aus. „Verzeiht bitte. Kennt ihr Zauberer Ablor.“ In seinen Augen blitzte Erkennen auf. „Er schickte uns zu dir eine Rolle abzuholen.“ „Ablor. Mein alter Freund. Er war ein paar Lehrjahre vor mir. Doch man hört nie auf. Er brachte mir vieles bei.“ „Und gab euch eine Rolle!“, vollendete ich. Er dachte nach: „Ja. Er gab mir sehr viele Rollen. Welche sucht ihr?“ Ich dachte nach. Verzweifelt. Ich wusste nicht mehr, wie sie hieß. Nei, ney? Ich kam nicht drauf. Verdammt! „Wofür ist sie denn? Er hat doch irgendwas zu der Rolle gesagt. Zumindest kann ich es mir nicht anders vorstellen.“ Ich erzählte ihm von dem Zauber und von Reila. Der Zauberer hörte die ganze Zeit angestrengt und nachdenklich zu. Ab und an murmelte er etwas. Von der „Anderwelt“, wie sie Reila nannte, erzählte ich jedoch nichts. „Er meint bestimmt die Rolle Néjgúns. Aber ich bezweifle, dass du gespalten wurdest. Es klingt für mich eher nach das Öffnen eines Portals. Und dass Reila dann durch gesaugt wurde. Wobei auch die Theorie zu viele Fragen aufweist.“ Seine Theorie machte dennoch irgendwie mehr Sinn, auch weil Reilas Aussagen dazu treffen würde. „Und jetzt?“, fragte ich ihn neugierig. Er lachte herzhaft: „Egal wie. Ich kann nicht helfen. Die Rolle habe ich nicht und was die Portaltheorie angeht, so fehlen mir zu viele Informationen, um etwas Genaueres zu bestimmen. Obwohl, die fehlen mir auch um eine vage Vermutung zu äußern, wie man sie wieder in ihre Welt bekommt. Denn es entsteht die Frage, wie das Tor geöffnet wurde. Und man müsste es umgekehrt öffnen, um sie wieder in ihre Welt zu bekommen.“ Ich erschauerte: „Ihr habt die Rolle nicht?“ Er hob er den Zeigefinger: „Nein. Prinz Cold zeigte regelrecht Interesse an der Magie. So kam er öfters zu mir und lieh sich etwas aus. Er verschlang einige Schriften förmlich. Und dann kam die Nacht, in der er verschwand. Kurz vorher hatte er sich diese Rolle ausgeliehen. Darum geht es, wie man Spaltungen und verkehrte Zauber der ersten zwei Stufen umkehrbar machen könnte. Nichts mit irgendwelchen Toren oder so. Wegen der Rolle ist er nicht verschwunden, da bin ich mir ziemlich sicher. Aber am nächsten Morgen war er nicht mehr da. Es fehlte der Prinz, die und eine weitere Rolle. Was seltsam ist, ist das man nichts fand. Keine Einbruchs-spuren, keine Spuren davon, dass er freiwillig ging. Seine Schuhe standen sogar noch unter dem Tisch. Er müsste nur ein Leinenhemd angehabt haben. So läuft man nicht weg, aber sonst gab es keine Spuren von einen Kampf. Nichts, als wäre er auf einmal fortgezogen gewesen. Wie mit einem Portal.“, er lachte. „Nein, auch ein Portal wäre nicht möglich gewesen, dann wären magische Spuren geblieben.“ Ich hörte allem ziemlich nachdenklich zu: „Die andere Rolle, was war das für eine?“ Er schaute mich verwundert an: „Für Laien eine Rolle der Rückkehrbar von Flüchen und Zaubern der Stufe drei“ Ich dachte laut nach: „Klingt ja fast so, als ob er versuchte einen Zauber Stufe zwei oder drei aufzuheben.“ „Aufheben tut keiner. Aufheben ist, wenn er aufhört zu wirken. Rückgängig machen ist richtiger, dann wird der Ausgangspunkt vor dem Zauber wieder erreicht.“ „Verzeiht. Ich kenne mich damit nicht so sonderlich aus. Welchen Zauber wollte er denn rückgängig machen?“ Der Zauberer schaute mich mit großen Augen an: „Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Ich weiß es nicht. Ich dachte, er wollte nur studieren. Aber jetzt, wo du es sagst…“ Er nahm eine Hand vor dem Mund. „Welchen Zauber? Er hätte es mir sagen können. Dann hätte ich den Zauber rückgängig gemacht.“ Ich sah ihn mitfühlend an: „Das tut mir leid. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Also der Prinz hat die Rolle und niemand weiß, wo er ist?“ „Sir Roland wurde die Aufgabe übertragen, ihn zu finden.“ Ich nickte: „Habt vielen Dank. Wir werden ihn suchen gehen.“ „Warte.“, rief der Zauberer mich zurück. Prompt drehte er sich um und durchwühlte mehrere Kisten die da standen, bis er mir eine Kette gab. Es war eine blaues Medaillon Er zeigte es mir und erläuterte wohlwollend: „Dies ist ein Amulett. Der Prinz hat einen Zauber gesprochen. Er war damals sehr jung, ich hatte es fast vergessen. Es ist als Nachtlicht gedacht gewesen. Ein Licht, dass nur leuchtet, wenn er bei Bewusstsein und in der Nähe ist. Maximal sechs Meter davon entfernt. Die Stärke ist zu gering, als dass es Sir Roland helfen würde. Und es wird bestimmt euch auch nicht viel helfen können. Aber wenn ihr Glück habt... Wenn der Prinz wach und in maximal sechs Metern Entfernung ist, wird der blaue Stein leuchten." Ich nahm vorsichtig die Kette mit dem Medaillon entgegen. Es war nicht sehr schwer. Ich legte es um meinen Hals. „Habt vielen Dank. Wir werden den Prinzen finden. Und die Rolle holen.“ Kapitel 6: ----------- Es dauerte eine ganze Weile, bis Reila wieder in unserem Gemach war. Sir Roland brachte sie. „Bis heute Abend. Ich habe noch zu tun.“, meinte er und küsste sie zärtlich. Ich versuchte meinen Mut zusammen zu nehmen. Doch es ging nicht rechtzeitig. Er war wieder weggegangen. „Verdammt!“, frustriert ließ ich meinen Hintern aufs Bett plumpsen. „Was war denn?“, frug Reila gut gelaunt. Wütend blickte ich sie an: „Während du dich amüsiert hast, hab ich Neuigkeiten bekommen! Wir müssen den Prinzen finden! Er hat die Rolle!“ Ich verdrehte die Augen. „Aber Custos wird nicht zulassen, dass wir ihm helfen. Er weiß nicht mal, ob es noch eine Reise gibt. Er hat immerhin jedes Dorf im Land durchsucht.“ Sie setzte sich neben mich aufs Bett. „Und ihr werdet heiraten?“ Sie blickte mich mit offenen Mund an: „Ich werde dich nie allein lassen! Schon vergessen? Wir zwei sind eins! Aber… ich muss zugeben, der Gedanke mich auf ewig zu binden, hat schon etwas. Aber ich würde dich nie allein lassen! Aber weißt du was?“ Sie schaute wieder verträumt. Mit einem Kopfschütteln verneinte ich, obwohl ich mir schon denken konnte, dass es bei Schwärmerei enden wird. „Custos weiß von meiner ´Schwester-vernarrtheit´. So nennt er das! Und er meint, dass es vollkommen in Ordnung ist. Stell dir vor: Er unterstützt es sogar. Eben meinte er: Möchtest du nicht langsam wieder zu deiner Schwester? Ist er nicht toll?“ ´Jap, Schwärmerei.´, dachte ich nur. Aber ihr die gute Laune vermiesen, wollte ich nicht. Sie sollte es noch ein wenig genießen, bevor sie wieder weg wäre. Ich versuchte verzweifelt zu überlegen, wer davon etwas hätte, wenn er einen Prinz entführt. Alle die ich kannte, waren eigentlich freundlich gesinnt. Plötzlich holte Reila mich aus den Gedanken: „Wo hast du denn die blaue Kette her?“ „Wie?“, ich schaute auf. Reila zeigte direkt auf das Medaillon vom Prinzen. „Ach, das? Ein Talisman von Dondie, das uns unter Umständen helfen könnte, den Prinzen zu finden.“ Sie stand erfreut auf: „Echt? Das müssen wir Custos erzählen! Und ihm geben!“ Ich biss mich auf die Unterlippe. Es dauerte eine Zeit, bis ich dagegen sprach: „Nein. Sir Roland in Ehre dafür, dass er uns geholfen hat, aber wir brauchen das! Wir müssen den Prinzen finden! Er hat unsere Rolle gehabt, als er entführt wurde! Und ohne das Medaillon wird es unmöglich! Wir wissen ja nicht mal, wie er aussieht!“, fauchte ich sie an. „Bitte! Lass uns das mit Custos besprechen. Er kann uns helfen und wir ihm auch!“ Ich wog die Bitte hin und her. Doch Reila zog mich schon aus der Tür. „Bitte, bitte, bitte!“ Ich widersetzte mich: „Reila! Denk nach! Werde vernünftig!“ Wir rankten um die Tür. Sie zerrte so stark es ging und ich hielt mit vollem Körpereinsatz dagegen. Einer meiner Füße war schon über die Türschwelle. Mit voller Wucht stemmte ich mich dagegen. Wie sollte es enden, wenn zwei, die gleich stark sind, miteinander kämpften? Meine Gedanken kreisten. Wollte sie es einfach nicht verstehen? Wenn wir als Spione aufflogen, wären wir erledigt. Und er auch! Einzig und allein, weil er uns deckte. Aber das konnte ich in dem Moment nicht sagen, jeder in Hörweite, der das mitbekäme, würde schon als Verräter reichen. Und sie tat wirklich alles, um mich dazu zu bewegen, mit ihr zu gehen. Ihre Finger krampften sich schon in meine Bluse. „Bitte!“, bettelte sie laut. Ich schrie schon fast: „NEIN!“ Ein Krieg der Gewalten. Es kamen Mädchen vorbei, die kichernd weiter zogen. So dauerte der Kampf beinahe eine halbe Stunde, bis sie mich verzweifelt ansah: „Wir wären ihm eine große Hilfe!“, flüsterte sie. Ich grummelte: „Reila! Versteh doch! Es geht nicht.“ Weiteres wollte ich bei offener Tür nicht preisgeben. Reila schniefte schon. Sie ließ sich auf dem Bett sitzend nieder, während ich seufzend die Tür schloss. „Reila.“, ich ging auf sie mit Bedacht zu. „Wieso? Weil er erfahren könnte, dass du eine Rolle brauchen könntest?“ Sie wischte sich eine Träne aus den Augen. Leise nickte ich. „Custos würde uns so etwas nie antun. Er vertraut mir. Glaub mir, bitte!“, nach eindringlichen Quengeln und Fürsprachen von Reila, ließ ich mich dazu durchringen den Grafen zu sprechen. Sir Roland saß in einem Raum voller Bücher. Vor ihm lagen viele Karten und wirre Zettel. Seine Hände hielten die Stirn noch hoch. So grübelnd saß er vor einer der vielen Karten. Reila klopfte nachträglich an. Er blickte auf. Es war so, als ob er uns vorher nicht bemerkt hätte. „Reila, mein Liebling!“, er stand auf und kam mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. Reila sprang direkt in seine Arme, sodass es in einer Umarmung und zärtlichen Küssen endete. Ich schloss die Tür hinter mir. „Sir Roland.“, begann ich. Er hörte auf Reila seine Liebesbekundungen zu machen und schaute mich an. „Reila bat mich, mich mit euch zu unterhalten.“ Verwirrt blinzelte er Reila an. „Du vertraust mir doch, oder?“, fragte sie unschuldig. Der Graf nickte, ließ sie aber los. „Was ist denn los? Seid ihr etwa Spione?“ „Nicht ganz.“, meinte ich und erklärte: „Wir wurden von Ablor, einem Zauberer gebeten von seinem Schulkameraden Dondie eine Rolle zu holen. Dondie wusste Bescheid, es geht dabei um einen Zauber, der auf Reila liegt, aufzulösen. Die Rolle hätten wir Dondie dann wieder gebracht.“ „Auf dir liegt ein böser Zauber?“, erschrocken schaute er Reila von oben bis unten an. „Ach. Halb so schlimm, nur nervend. Sobald ich von Leira eine größere Entfernung entfernt bin, muss ich sterben. Deswegen kam sie ja mit die Rolle zu suchen“, erzählte Reila traurig. „Und? Habt ihr die Rolle?“ „Nein.“, antwortete ich: „Dondie hat erzählt, dass der Prinz die Rolle mit hatte, als er verschwand.“ Sir Roland schlussfolgerte: „Deshalb wolltet ihr also den Prinzen suchen?“ Ich nickte schnell: „Wir werden ihn finden! Für Reila! Dann ist sie frei!“ Der Graf schaute mich interessiert an: „Du bist so selbstsicher. Ich suche den Prinzen seit einem Jahr. Was macht dich so sicher ihn zu finden?“ Ich zögerte. „Sie ist klüger, als sie sich zutraut.“, lachte Reila: „So gut, wie ich sie kenne, weiß sie schon längst, wo er ist.“ Ungläubig schaute Sir Roland seine Geliebte an. Ich schüttelte hastig den Kopf: „Nein! Das weiß ich nicht.“ Schüchtern spielte ich mit meinen Fingern: „Aber es gibt nur zwei Gründe einen Prinzen zu entführen. Na ja, drei, aber da kein Lösegeld gefordert wurde, bezweifle ich das es der dritte Grund sein kann. Der erste Grund ist der, der mir zuerst einfiel: Weil er ein Prinz ist. Wenn er weg wäre, wäre es ein Grund für Krieg. Das heißt, nur diejenigen würden ihn entführen, die einen Vorteil vom Krieg haben.“ Der Graf unterbrach mich: „Oder die Feinde, die einen Grund brauchen, um Krieg zu führen.“ Ich kicherte. Sacht schüttelte ich den Kopf: „Nein. Das dachte ich auch. Aber es ist beinahe unmöglich. Der andere Grund wäre, wegen den Rollen. Er wurde ja mit den zwei Rollen entführt, die er bei sich hatte. Also würde ihn ein Zauberer oder jemand, der verzaubert wurde, entführen. Da würden mir alleine drei Orte einfallen, wo man Informationen herbekommt oder wo er sein könnte.“ Der Graf schaute mich interessiert an. „Drei Orte?“ „Das Problem ist, als Graf bekommt ihr nicht alle Informationen. Zwei Mädels, wie uns, würde man dagegen mehr erzählen. Wenn er wegen einer Rolle entführt wurde, hatten die Entführer ihn vermutlich mit Dondies Schüler verwechselt. Und wissen gar nicht, wen sie da haben.“ Der Graf nickte. „Das macht soweit schon Sinn. Das mit den Rollen wusste ich gar nicht. Wo würdest du also zuerst suchen?“ Ich überlegte: „Ganz ehrlich? Ich würde im Dorf Tenbu zuerst suchen.“ Er schluckte: „Ein Dorf? Tenbu? Hab ich noch nie gehört.“ Ich überlegte: „Das ist ein Ort am Hauptfluss. Viele Reisende müssen dadurch. Leider ist es auch eine Stadt der Verbrecher. Aber dort bekommt man alle Informationen, die man braucht. Es gibt dort auch den einzigen Verschlag aller Übeltäter. Dort finden wir vermutlich auch die Rolle!“, freute ich mich. Er grübelte. Schnell bildeten sich Falten auf seiner Stirn, als er fieberhaft drüber nachdachte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder zu uns wandte: „Ich finde es dort zu gefährlich für dich, Reila. Allerdings… sofern ich es richtig verstanden habe, ist Tenbu im Feindesland. Alleine käme ich nie über die Grenze und es ist auch viel zu gefährlich. Meine Wachen könnte ich nicht mitnehmen.“, hastig schüttelte er den Kopf: „Nein! Es ist viel zu gefährlich! Wenn auch verlockend.“ Ich konnte seine Situation verstehen. Es war bestimmt nicht einfach, die Entscheidung zu treffen, mit seiner Liebsten in ein Kriegsgebiet zu reisen. Aber ich war Reila dankbar, dass sie ihm nicht von der eigentlichen Absicht berichtete und mich ins Verderben stürzte. Wobei ich auch das nicht verstand. An ihrer Stelle hätte ich bestimmt Schutz bei ihm gesucht, anstatt zu wissen, dass man wieder verschwindet und seinen Liebsten nie wieder sehen wird. ´Wie armselig von mir sie wieder fort zu schicken´, dachte ich bedrückt. Doch ich fing mich wieder auf mit dem Gedanken, dass ihre Anwesenheit auch nicht wirklich richtig war. Wer weiß, wie kompliziert unsere Welt dadurch geworden war. Auch Reila blickte traurig auf ihren Geliebten. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Schulter und ließ sie zu seinem Rücken hinuntergleiten. „Du musst dir keine Sorgen machen, wir werden dir bei der Suche helfen, koste es was es wolle.“ So kannte ich sie gar nicht. Zärtlich nahm sie seine Hände. Er zuckte. Ich sah in Reilas Gesicht. Sie sah ihn genauso teuflisch an, wie sie mich bei unserem ersten Aufeinandertreffen angefunkelt hatte. „Außerdem können Leira und ich uns wehren. Wir sind keinesfalls hilflos. Das waren wir nie!“ Ungewiss, über die plötzliche Wandlung seiner Geliebten, wanderte sein Blick von Reila zu mir. Hilflos lächelte ich ihn an. Sie konnte wirklich jedem einen Schrecken einjagen. Auch wenn der Graf versuchte, es nicht so tragisch aussehen zu lassen. Er lächelte sie wieder an. So liebevoll, wie es ihm in dem Moment möglich war, und sprach: „Dennoch möchte ich weder dein noch mein Leben gefährden. Nicht jetzt, wo wir uns endlich gefunden haben!“ er küsste sie leidenschaftlich. Sie schmunzelte und erwiderte voller Lust seinen Kuss. Mir wurde auf einmal richtig übel. Mein Magen musste Purzelbäume vor Ekel schlagen. Zumindest fühlte es sich so an. Ich räusperte mich zweimal, bis sie aufhörten sich zu küssen und ihre Münder wieder Abstand nahmen. Neugierig schauten sie mich an: „Also ich geh dann mal in mein Zimmer. Bis dahin: Ich werde in den nächsten Tagen nach Tenbu aufbrechen. Reila, du MUSST leider mit. Sir Roland. Solange ihr alleine und ohne mit dutzenden Wachen mit uns reisen wollt, würde es mich freuen. Ich weiß leider nicht, wie der Prinz aussieht. Und es wäre klug jemanden dabei zu haben, der ihn erkennen kann.“ Der Graf nickte nur. Reila schaute mich verzweifelt an: „Du würdest auch ohne Custos gehen?“ Ich lächelte und ging mit den Worten: „Hoffe, ihr habt dennoch nun euren Spaß.“ aus dem Zimmer. Ich hörte noch Gekicher. Ich torkelte den Flur entlang. Es stimmte mich fröhlich, dass Reila zumindest ein wenig Glück gefunden hatte. Doch wenn ich an mein Leben dachte… Nein, daran wollte ich nicht denken. Verträumt schaute ich aus dem Fenster und erblickte den König allein auf einer Bank. Er wirkte sehr traurig. Das erinnerte mich an eine Einsicht, die ich nach Erwins Tod hatte: Die ganze Welt zerfiel und wieso wusste keiner. Aufhalten war unmöglich. Kampf und Tod regierten und was blieb, waren nur Trümmer und reine Trauer. Meine gute Laune sank bei dem herzzerreißenden Anblick, dass sogar ein König trauern konnte. Ich seufzte. Was sollte ich nur machen? Die Langeweile vertrieb meine Gedanken und ich wankte den Gang weiter. Es trieb mich dann auf einen Balkon hinaus. Die Sonne ging am Horizont unter. Sie färbte den ganzen Himmel rot bis lila. Im Westen war er sogar blutrot, zum Osten hin veränderte sich die Farbe in ein schönes wunderbares dunkelviolett. Als ich die Dämmerung sah, fing ich an zu träumen. Im Gegensatz zum Anblick des Königs wirkte es wie ein natürlicher Frieden. Es erinnerte mich daran, wie ich oft am Meer saß und den Sonnenuntergang ansah. Deprimiert seufzte ich erneut. Was soll ich nur mit dem Rest des Tages anfangen?, fragte ich mich. Na ja, viele Stunden waren es eh nicht mehr. Ich ging zur Küche und höflichst fragte ich nach etwas zu essen. Die Küchenzofe schaute mich verwirrt an: „Seid ihr nun die Verlobte des Grafen oder deren Schwester?“ Ihr Blick strahlte Ratlosigkeit aus. Ich prustete und versuchte jedes Lachen zu unterdrücken. Doch es endete nur im Kichern. „Alles in Ordnung, werte Lady?“, fragte sie mich besorgt. Da konnte ich nicht mehr und lachte lautstark los. Es dauerte eine Weile, bis ich wieder Fassung gewann: „Ja. Ich bin die Schwester von der Verlobten.“ Sie verbeugte sich nur kurz und stellte mir auf den Tisch in der Mitte einen frisch geschöpfte Schüssel mit Eintopf hin. Nicht mal ein Guten Appetit bekam ich. Doch das war mir nicht wichtig. Es war lediglich amüsierend, dass der Unterschied der Behandlung so stark abhängig war, von meiner Verbindung zum Grafen. Ich genoss den Eintopf. Was besonderes war es bei Weitem nicht. Das Frühstück war viel Edler, doch an so etwas hingen die Erinnerungen, vor allem die Schönen. An die man sich nicht mehr erinnern wollte, weil der Verlust dann zu grausam wirkte. *Vergangenheit/Erinnerung* Erwin hatte mich eingeladen mit ihm in eine Gaststätte zu gehen. Er wollte unser „Einjähriges Feiern“. Ich schaute ihn an, wie jemanden, der den Verstand verloren hat. Da fing Erwin gleich an zu lachen. Als er sich beruhigt hatte, meinte er noch immer kichernd: „Na, unser Kennenlernen! Ich weiß noch, dass es unter keinen glücklichen Umständen geschah. Und ich dachte, wenn ich dich einlade, beginnt zumindest das zweite Jahr besser.“ Er grinste mich fröhlich an. Ich nickte. Und da wurde mir bewusst, dass er vielleicht deshalb seit gut vier Wochen kaum Ausgaben hatte und auf Vieles verzichtete. Dennoch schaute er frustriert in seinen Geldbeutel. Neckend meinte er: „Also meine Geldbörse hat ein Loch. Aber für ´nen herzhaften Eintopf bei Marie müsste es locker reichen.“ Er nickte fröhlich. „Ja, Eintopf ist super!“, begann er ihn zu preisen: „So etwas kann man nicht allein essen und das macht wahrlich viiiiieeeel Spaß! Es gibt verschiedene Eintöpfe. Du wirst sehen. Das Ambiente wirkt auch heimisch! Du wirst dich wohlfühlen.“ Er wirkte sehr heiter. Und das Gefühl übertrug sich auf mich. Erwin hatte ich zu dem Zeitpunkt schon sehr gemocht. Ich versuchte ihm immer nah zu sein. Das reichte mir schon, um glücklich zu sein. An dem Abend war ich noch besser drauf als sonst. Erwin aß sehr oft mit mir. Aber immer nur im Essenslager. Das war das erste Mal, wo ich das Gefühl hatte, wir würden zusammen ausgehen, wie zwei Liebenden. Es gab an dem Abend keine wirklichen Anzeichen, dass er mich auf dieselbe Weise mochte, wie ich ihn. Aber dafür war es umso lustiger und fröhlicher. Am Ende fragte er mich: „Und? Ist es besser, als unser Kennenlernen?“ Übereifrig nickte ich. Ich war so vom Glück übermannt, dass ich die ganze Zeit nur am Dauergrinsen war. „Das freut mich.“, wohlwollend lächelte Erwin mich an. Als wir gingen, strich er mir die Fransen aus dem Gesicht. „Bis morgen früh. Ich helfe dir morgen bei der Brunnenreparatur“ Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Die Katastrophe folgte kurz vor Sonnenaufgang. Reila lag nicht in unserem Bett. Ich hatte mich am Abend allein hingelegt. Sie blieb wohl den ganzen Abend und Nacht bei ihrem Grafen. Deshalb dachte ich zuerst auch, dass sie es war, als die Tür krachend aufflog. Mit Entsetzen fuhr ich hoch: „Was?“ schlaftrunken blickte ich auf die Tür. Doch statt Reila standen da vier Männer. Zwei kamen bewaffnet auf mich zu. Der Dritte brüllte: „Fräulein Leira. Sie sind angeklagt wegen Hochverrat! Bis zur Anhörung werden sie in einer Kerkerzelle verlegt. Leisten sie keinen Widerstand!“ Ich leistete keinen Widerstand. Meine Verwirrtheit war größer, als meine Angst. Ich war zum Teil noch im Schlaf. Die Männer taten mir weh. Sie zerrten mich aus dem Bett, drückten alles andere als sanft meine Unterarme auf den Rücken. Ich wehrte mich nicht und verstand auch nicht, wieso sie dennoch so brutal zugriffen und zogen. Ich stand nur unsicher auf meinen Beinen. Sie fesselten mir die Hände hinter meinen Rücken und zogen diese leicht hoch. Mein Oberkörper kippte nach vorn. „Stehen bleiben!“, befahl mir einer. Doch ich verlor beinahe wegen der beiden Männer mein Gleichgewicht. ‚Wie solle ich so stehen bleiben?‘, hätte ich ihn am liebsten angefahren. Doch das schien mir nicht wirklich praktisch. Aber so wirklich konnte ich auch keinen klaren Gedanken fassen. Hatte der Graf uns verraten? Grausam und brutal wurde ich in den Kerker geschoben. Nackte Füße, nur Kleidchen für die Nacht an und darunter das blaue Medaillon. Ich wurde glücklicherweise nicht durchsucht. Als wir die Gittertür erreichten, öffnete der vierte Mann diese und löste danach meine Handfesseln. Hart wurde ich in die kleine stinkende Zelle hineingestoßen. Ich massierte meine Handgelenke. Rote Striemen zeichneten sich ab von der Fesselung. Aber nicht nur das. Ich glaubte, sie hatten mir auch meine linke Schulter ausgekugelt, denn die schmerzte noch am meisten. Nett und vorsichtig waren sie auf keinen Fall. Im Gegenteil: Es schien, als hätten sie Spaß daran gehabt mir wehzutun. Ich seufzte. Irgendwie wusste ich vorher, dass ich im Kerker landen würde. Doch wusste ich nicht, wieso. War es Reila, die mich nur verriet, um bei ihrem Liebsten zu bleiben? Oder war es der Graf, weil er Reila bei sich behalten wollte? So konnte er zumindest sicher sein, dass sie bei ihm bleiben würde. Oder gar Dondie? Nein, wieso sollte er? Ich wusste es nicht und war ratlos. Ich ließ den Blick herumwandern. Es war eine verdammt kleine Zelle. Kein Heu, nur der kalte Steinboden. Ich murrte. Ich hatte nicht mal eine Hose oder Schuhe an. Das gab mit Sicherheit eine dicke Erkältung. Es gab ein Fenster mit drei Gitterstäben. Die Tür hatte ebenfalls Gitterstäbe. Rundherum nur Stein. Nichts anderes als kalter, grauer STEIN! Das war das Schlimmste! Ich fing an abzuwägen, ob nicht eine Streckbank schöner gewesen wäre als diese Zelle. Zumindest sehenswerter! Es war zudem auch kalt und ich fing an zu frieren. Immer wieder drehten sich meine Gedanken. Wie war das nur gekommen? Ich verlor mein Zeitgefühl und konnte nicht mehr sagen, wie lang ich da hockte, bis ich Reila hörte. Sie zeterte und spie. Man hörte ebenfalls die Wachleute schreien. Sie musste sich heftig gewehrt haben, denn es dauerte bestimmt zwanzig Minuten, die sie brauchten, bis sie vor der Kerkerzellentür angekommen waren. „Ihr Feiglinge! Mit mehreren Männern ein armes, schwaches Mädchen!“, fauchte sie, als die Kerkertür aufging. Sie versuchten sie zu fünft in die Zelle zu schieben, denn sie wehrte sich noch immer mit Händen und Füßen. Es ging aber dann doch relativ schnell, da lag sie auf dem kalten Boden und noch schneller war die Tür wieder zu. Hastig erhob sie sich. Und versuchte nach ihnen zu treten: „Wenn ich euch einzeln erwische! Gnade Gott!!!“ Sie bebte vor Zorn. „Knapp“, meinte ich nur. Sie funkelte mich voller Wut und Zorn an. „Weißt du, was die getan haben?“ Ich schaute sie von oben bis unten an. Sie war noch knapper gekleidet als ich. Lediglich ein Dessous hatte sie an. Ich pfiff. Es war ein blaues, leicht durchsichtiges Kleidchen, dass am Beinanfang aufhörte. Nur die knappe Begrenzung um die Brust war mit Stickereien undurchsichtig gemacht. Ich glaubte, das Türkis und Blau abwechselnde Muster sollten Blumen darstellen. An ihren Beinen rann eine milchige und doch klare Flüssigkeit hinunter. Ja, ich sah ziemlich genau, wobei die Wachen sie gestört hatten. Ich musste kichern. Sie trat voller Wucht erneut gegen die Tür. „Konnten sie dir nicht mal eine Unterhose geben?“, fragte ich sie. Doch ihr Zorn wurde dadurch nur noch größer. Wenn Blicke töten könnten… Ich prustete los. Irgendwie konnte ich das nicht glauben. War es das, was so witzig war an dieser Situation? Wie waren wir nur da rein geraten? Sie ging auf und ab. Hier und da grummelte sie etwas, aber nur unverständliches Zeug. Ich konnte irgendwie verstehen, dass sie wütend war. Aber sie sollte Ruhe bewahren. Wir wurden – wenn ich mich recht entsann – der Spionage angeklagt. Das konnte nur unser Todesurteil bedeuten. Wir mussten fliehen. Allerdings - ich schaute zu Reila - in dem Aufzug ging das nicht. Da wäre jeder Mann direkt zu einem Tier geworden. Was mich eh wunderte, dass die Soldaten sie zu mir brachten. Hatten sie keine Angst, dass wir zusammen fliehen könnten? Obwohl, wir hatten ja bei unserer Überrumpelung nichts dabei. Weswegen schien eine Flucht auch unmöglich. Die Tür konnten wir nicht öffnen. Und selbst wenn, stellte sich die Frage, was wir tun sollten? In Nachthemd und … Na ja, Reilas Aufzug eben... Das konnte nicht gut gehen. Aber hier sitzen und sterben wollte ich auch nicht. Draußen war es noch dunkel. Perfekte Tageszeit um abzuhauen. „Ich will zu Custos!“, schrie Reila. Ich seufzte. „Wie denn?“ Sie funkelte mich wieder an. Ich stand auf und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir müssen irgendwie fliehen, sonst werden wir umgebracht!“ Sie grummelte leise und doch mir verständlich: „Das weiß ich doch. Aber wir können Custos nur retten, wenn wir alle in einer Zelle sind. Und wir brauchen doch die blaue Kette. Hattest du nicht selbst gesagt, dass sie uns helfen wird.“ Ich grinste sie an und deutete sacht unter mein Nachthemd. Sie schaute mich freudig erschrocken an. „Dann fehlt nur noch Custos. Wir müssen in seine Zelle verlegt werden!“ Da war es mit meiner Geduld über ihrer Verliebtheit vorüber: „Der ist Graf! Der ist in keiner Zelle!“ Sie widersprach wütend: „Doch! Sie haben uns beide abgeführt! Der König selbst war da und hatte ihn angeklagt. Mich haben die Soldaten von ihm getrennt. Er ging so mit und wurde in eine Zelle gesteckt. Der König meinte, er hätte unser Gespräch mit angehört und, dass er nie gedacht hätte, dass grade Custos ihn hintergehen und anlügen würde. Ich hab Custos noch lachen gehört. Er meinte, er würde den König nie hintergehen. Und wenn er das Gespräch bis zum Ende gehört hätte, wüsste er es auch. Mehr konnte ich nicht hören.“, sie murmelte noch etwas, was ich nicht mehr verstand. „Dann ist er nicht in Gefahr. Wir aber schon! Weil wir vom Feindesland kommen.“ Sie schaute mich traurig an: „Er würde mich nie sterben lassen!“ Ich seufzte: „Wenn es um sein Leben geht, schon. Du kannst ihm nicht vertrauen! Wir müssen hier weg!“ Sie zuckte zusammen. Leise Tränen flossen über ihr Gesicht. „Er würde nie…“, stammelte sie bei dem Versuch dagegen die anzukämpfen. Ich schaute sie wissend an. Er würde. Da war ich mir sicher. Sie schniefte noch einmal, dann fasste sie sich: „Na gut, dann hol ich uns hier raus. Wir finden den Prinzen, bringen ihn her und beweisen unsere Unschuld als Spione!“ Sie fingerte an ihrem BH herum. Dann plötzlich zog sie vorsichtig einen der Bügel heraus. „Die Teile sind sehr spitz!“, erklärte sie und fing an damit an, bei den Gitterstäben des Fensters herum zu kratzen. Ich schaute sie verwundert an. Der Mörtel war wirklich nicht mehr sehr fest. Es dauerte nicht lang, da hatte sie schon die erste Gitterstange herausgezogen. Lautlos legte sie diese auf dem Boden. Wie gut sie das hinbekam. Ich wusste gar nicht, dass sie das konnte. Es ging zur zweiten Stange. Schnell drehte ich mich zur Gittertür und schaute hinaus. Es war niemand zu sehen. Da lag auch schon die zweite Stange auf dem Boden und sie bearbeitete die Dritte, während ich weiter Wache hielt. „Woher kannst du das?“, flüsterte ich neugierig. „Sei Still! Achte lieber darauf, dass uns niemand bei der Flucht sieht!“, zischte sie mich an. Ich schluckte. Darauf war ich nicht vorbereitet. Sie klopfte mir sacht auf die Schulter. Ich drehte mich um. „Ist da einer?“, flüsterte sie. Ich schüttelte den Kopf. Sie grinste mich an und deutete stolz auf das nun offene Fenster. „Komm!“, befahl sie und fing an durch das Fenster zu klettern. Die Kerkerzelle lag eine halbe Etage tiefer als das Erdgeschoss. Als wir hinauskletterten, krochen wir direkt auf den Boden herum. Reila bedeutete mir ihr zu folgen. Wir robbten an der Mauer entlang bis zu einer Schießscharte. Da standen wir auf und versteckten uns darin. Ich merkte, wie mein Körper vor Aufregung bebte, während Reila ganz kühl und ruhig war. Sie schaute angestrengt hin und her. Wir sahen auf Anhieb zwei Wachen am Haupttor und eine auf der Mauer, die nach außen sahen und uns somit alle den Rücken zukehrten. Ein Vierter gähnte am Eingangstor zum Gebäude. Es war absolut Glückssache gewesen, dass er uns nicht kriechen sah, weil er der einzige war, der nicht mit dem Rücken zu uns stand. Er stand seitlich von uns. Wenn er sich umsähe, in dem Moment, wo wir weglaufen würden, würde er uns direkt sehen. Dieser Wächter stand nur zwei Meter entfernt. Ich schaute Reila fragend an. Sie überlegte noch, blickte immer wieder angestrengt um sich und verschwand dann wieder kurz in der Schießscharte: „Wir müssen uns beeilen, bevor unser Verschwinden auffällt!“, flüsterte ich. Reila nickte: „Wir müssen die eine Wache an der Eingangstür ausschalten.“ Ich schaute sie entsetzt an: „Wie denn? Willst du sie töten?“ „Wenn es sein muss!“ Mein Gewissen meldete sich. Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Lass sie uns ablenken.“ Ich spürte ihre weit aufgerissenen Augen, wie sie mich forschend ansahen. Und vernahm ein Schlucken. Noch bevor sie fragen konnte, kam ich ihr zuvor: „Wir müssen seinen Blick in die andere Richtung lenken und dann schnell laufen!“ Sie nickte. Da ein Ton. Ich lächelte, sofort ging die Wache in die Richtung von uns weg: „Hallo! Wer ist da?!“, brüllte er. Wir flitzten leise in die andere Richtung und bogen um eine Ecke. So waren wir für die Wache nicht mehr zu sehen. Nur für wie lange, stellte sich die Frage. Ich nahm Reilas Fuß und stützte sie, sodass sie auf die Mauer hinaufkam. Ich ging einen Schritt zurück, nahm Anlauf und sprang. Meine Hände bekamen die Kante der Mauer zu fassen. Ich zog mich hoch. Reila zog an meinen Nachthemd, was nicht sehr hilfreich war, denn sie zog nur das Nachthemd nach oben. Sodass es mich fast entkleidet und einen Blick auf meine Schenkel zu ließ. Ich schaute sie böse an. Sie ließ los und sprang auf der anderen Seite der Mauer hinunter. Ich zog meine Beine über die Mauer und ließ mich ebenfalls zu Boden fallen. Schnell liefen wir in den Wald. Noch nie war ich so glücklich, dass der Palast von hinten nur mit einer hohen Mauer umgeben war. Wir keuchten schon. Es war eine längere Strecke. Doch, als wir hinter einen Baum ankamen, konnten wir nichts vernehmen, dass auf eine Entdeckung unserer Flucht hindeuten würde. Das Einzige, was wir hörten, war das Zwitschern von Vögeln und das Rauschen von Blättern. Da fing Reila an zu kichern und ließ sich am Baum herunter rutschen. Ich schaute sie verwundert an. Sie nahm die Hand und ließ sich sogar nun ganz auf dem Boden nieder und lachte immer lauter. „Reila!“, fauchte ich sie leise an: „Wenn sie uns hören?!“ Sie schaute mich vergnügt an: „Ja. Entschuldige. Nur…“, mehr konnte man nicht verstehen vor kichern. „Wir müssen tiefer in den Wald.“, erklärte ich ihr und zog an ihrer Hand so, dass sie aufstand. Sie hörte einfach nicht auf zu kichern und am ganzen Körper zu beben. Was war nur los mit ihr? Wir plagten uns stundenlang durch das Gestrüpp des Waldes. Es reichte zwar nur bis zu den Knien, aber ich war barfuß und das nicht mehr gewohnt. Jeder Schritt tat weh, wenn sich Steinchen in die Haut bohrten. Und die Dornen und Stachel ritzten mich und stachen in meine Unterschenkel. Reila dagegen hüpfte vergnügt voran. Ihr schien das nichts auszumachen. Bei einem See blieben wir stehen und ließen uns auf der Wiese nieder. Das erste Mal, dass ich seit unserer Flucht tief durchatmen konnte. Reila beruhigte sich langsam wieder. „Sie werden erst ab morgen früh nach uns suchen.“, erklärte sie noch immer lächelnd. Mir dagegen war gar nicht nach lächeln zu Mute. Mein Magen verkrampfte sich. Das würde nicht gut ausgehen. Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Eine Wolke streifte den Mond. Ein düsterer Schatten entstand und ging über die Welt. Demotiviert stand ich am See und schaute zum Himmel hinauf. Reila war grade dabei sich im See zu waschen von ihrem nächtlichen Vergnügen, bevor sie gestört wurde. Der See war riesig. Er reichte weiter, als das Auge sehen konnte. Auf Anhieb hatte er drei Ausläufe, wodurch man nicht sehen konnte, wie weit er noch reichte. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Wir waren auf der Flucht und ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Wo konnte das nur hinführen? Und die Orientierungs-losigkeit war nicht mal unser größtes Problem. Nein! Das was unser Erscheinungsbild: Reila in Dessous und ich im Nachthemd. Ich verzweifelte. Reila dagegen schien sich wohl zu fühlen. Wie am Anfang, als wir vom Hexenmeister weggingen. Sie kam zu mir und merkte meine tiefe Verzweiflung, denn sie fragte: „Was ist los? Sieht doch gut aus. Wir müssen nur noch den Prinzen finden.“ Ich rollte verächtlich mit den Augen. Wie konnte man nur so optimistisch und naiv sein? „Wir müssen uns eher etwas überlegen, wegen unserem Aussehen, und uns um eine Orientierung kümmern.“ Reila fing an zu grummeln: „Wir müssen weiter, oder?“ Sie konnte schon sehr launisch sein. Ich seufzte. Wir gingen den See entlang. An so einem großen See gab es bestimmt ein Dorf oder eine Stadt. Ich hätte wetten können, dass es das gibt. Wir hatten es nicht mehr so eilig. Als die Sonne am Horizont aufging, merkten wir, dass wir Richtung Süden gingen. Das Morgenlicht färbte den See blutrot. Ich staunte nicht schlecht: Wie schön und unverfälscht die Natur sein konnte. Ich schaute öfters zu Reila, doch immer, wenn sie meine Blicke wahrnahm, schwenkte ich meinen Blick wieder auf die Natur. Sie war seltsamer als sonst. Teils munter und zum anderen Teil angespannt. Ihre Schultern versteiften sich. Doch ihre Mimik, ihr Lächeln strahlten Fröhlichkeit aus. Erst gegen Mittag entdeckten wir Spuren von anderen Menschen. Etwas vom See entfernt sahen wir Rauch aufsteigen. Reila wurde auf einmal ernst. Sie gab mir ein Zeichen und wir schlichen uns an den Ursprung des Rauches heran. Etwa fünf Minuten später erkannten wir, dass es sich dabei um ein Haus handelte. Wir versteckten uns unauffällig hinter einem der unzähligen vielen Büsche und beobachteten erst mal die Umgebung. Wir hörten ein Pfeifen, die eine Melodie wiedergab. Ein Kinderlied erkannte ich darin. Kurz darauf bemerkten wir eine Frau, die aus der Haustür kam. Sie war etwas mollig und trug einen Korb vor ihrem Bauch, der Unmengen Kleidungsstücke enthielt. Sie pfiff die Melodie vergnügt vor sich hin. Sie hing die Wäsche auf. Es waren ganz unterschiedliche Klamotten: Große Männerhemden, Hosen, Röcke, sogar Unterwäsche, aber auch Kinderkleidung. „Sie muss zwei Kinder haben.“, flüsterte ich erklärend zu Reila. Sie nickte, wohl wissend, wie ich auf diese Theorie kam. Die Frau bewegte sich die ganze Zeit mit einem eleganten Hüftschwung. Und ihre braunen, kastanienfarbigen, lockigen Haare schwangen mit ihrer Bewegung und der leichten Brise mit. Ich spürte Reilas kritischen Blick auf mir ruhen, doch ich ignorierte ihn. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Frau alles aufgehängt hatte. Sie drehte sich um und ging wieder in das Häuschen hinein. „Jetzt oder nie!“, flüsterte ich zu Reila und pirschte mich vorsichtig an die Wäsche heran. Erst von Baum zu Baum, dann zu den Leinen, an denen die Wäsche hing, die mich vor den Blicken der Frau verbarg. Ich musterte vorsichtig die Fenster. Reila war immer noch hinter den Büschen verborgen und mir nicht gefolgt. Die Frau war nicht in Sichtweite. Ich stibitzte ein, zwei, drei Teile und hastete wieder zu den Büschen. Ich hechelte: „Hat sie mich gesehen?“ Reila schaute mich prüfend an. „Was wollen wir mit dem Rock, dem Hemd und der Hose?“, fragte sie mich trotzig. Ich funkelte sie wütend an: „Anziehen?“ Reila verzog angewidert das Gesicht: „Die ist doch nass! Und schon gebraucht!“ Erbost drückte ich ihr das Hemd und die Hose zur Brust. Sie nahm sie widerstrebt an und verzog weiter das Gesicht. Ich schwenkte den Rock um. „Lass uns gehen!“, flüsterte ich wütend zu ihr. Sie nickte. Wir drehten uns um und erschraken. Wir schauten direkt in die Augen eines neugierigen Kindes, das vermutlich die ganze Zeit hinter uns gestanden hatte. Wir schauten uns gegenseitig fragend an. Was es wohl mitbekommen hatte? Das Kind war ein kleiner Junge von maximal zehn Jahren, der uns immer noch neugierig mit großen Augen anstarrte. Er sagte nichts, stand nur so da. Ich bekam Angst. Würde er gleich losschreien? Reilas Blick wandelte sich zu einem finsteren Lächeln und mit einem fiesen Unterton fragte sie neckend den Jungen: „Gefällt dir, wie ich aussehe?“ Da errötete der Junge sofort. Seine eine Hand ging wirr zu seinem Haar, das dieselbe Farbe, wie das der Frau, hatte. Es dauerte kurz, bis er nickte: „Meine Mama sieht so nie aus. Ihre Beine sehe ich nie so… weit…“ Mit der anderen Hand fuchtelte er in die Richtung Reilas Oberschenkel. Er war schrecklich nervös und peinlich berührt. Aus Reilas Lächeln wich das teuflische. „Deshalb darfst du das deiner Mama niemals sagen. Sonst wird sie ganz traurig und das willst du doch nicht, oder?“ Der Junge schüttelte hastig den Kopf. Reila ging auf ihn zu und streichelte ihm über den Kopf, während sie wieder auf Augenhöhe des Jungen ging. „Weißt du, wieso ich so aussehe?“, fragte sie ihn. Er schüttelte wieder hastig den Kopf. Sie kicherte liebevoll, bevor sie antwortete: „Das liegt daran, dass ich eine Fee bin! Und wenn du jemanden erzählst, dass du mich gesehen hast, dann muss ich wieder in die Feen-Welt zurück. Und das will ich nicht…“ Sie machte ein schmollendes Gesicht. Der Junge antwortete hastig: „Nein! Das würde ich nie tun!“ Reila kicherte wieder: „Und wenn du gaaaanz lieb bist, müsstest du sogar meine Feen-Flügel sehen. Kannst du sie sehen? Oder hast du mal nicht auf deine Mutter gehört?“ Traurig und verzweifelt sank sein Kopf Richtung Boden. Unglücklich, fast den Tränen nahe, antwortete er: „Ich wollte gestern meinen Spinat nicht essen.“ Er schniefte. Reila drückte seinen Kopf an ihre Schulter: „Keine Angst, beim nächsten Mal, wenn wir uns sehen, kannst du sie bestimmt sehen. Aber nur wenn du jetzt lieb bist und mich nicht in die Feen-Welt verbannst.“ Er nickte und genoss eine kurze Zeit die Umarmung. Dann machte er sich los. Schnell rieb er die Tränen aus den Augen, bevor seine Fee sie sehen konnte. Mutig und entschlossen hob er sein Köpfchen und versprach feierlich: „Ich schwöre dir! Ein Schwur eines Mannes! Kein kleines Kind! Dass ich dich nicht verraten werde! Und lieb sein! Bis wir uns wieder sehen.“ Er grinste: „Und dann verrate ich dir, wie ich deine Flügel finde. Aber bevor du die Welt verlässt, musst du noch einmal zu mir kommen!“ „Versprochen!“, besiegelte Reila und drückte ihn noch mal an sich. Er wirkte richtig glücklich und fragte: „Wie heißt meine wunderschöne Fee überhaupt?“ Reila kicherte wieder. Sie nahm den Zeigefinger zum Mund und erläuterte in nur einem Wort: „Feen-Geheimnis.“ Der Junge rannte überglücklich zu dem Haus und rief dabei: „Mama! Mama! Kann ich dir bei irgendwas helfen?“ Reila schaute ihm noch nach. Dann drehte sie sich um: „Komm, lass uns gehen!“, und ging wieder zum See. Ich folgte ihr nachdenklich. So, wie grade, hatte ich sie noch nie erlebt. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut mit Kindern umgehen kannst.“, bemerkte ich. Sie schaute mich entsetzt an: „Ich hasse Kinder!“ Ich rollte nur mit den Augen. Als wir am See waren, zog sie endlich die Hose und das Hemd an. Ich war dankbar, dass die Hose eine Kordel hatte. Die Kleider waren viel zu groß für Reila. Sie wirkte darin, wie ein Kind, dass erwachsen spielen will und die Kleider vom Papa anzieht. Instinktiv fing ich an zu lachen. Das sah wirklich albern aus. Giftig fauchte sie mich an: „Mir gefällt das nicht! Gar nicht! Also hör auf zu lachen! Ich hab das nur an, weil wir sonst nichts anderes haben!“ Ich versuchte das Lachen zu ersticken. Doch es gelang mir nicht gut. Ich entschuldigte mich, doch ihre miese Laune ging dadurch leider nicht weg. Wir gingen weiter den See entlang. Irgendwann schmollte sie nicht mehr und äußerte leise: „Wie sieht’s mit was zu essen aus? Ich habe richtig Kohldampf.“ Ich überlegte. „Willst du etwa in dem See fischen?“ Reila schaute mich überrascht an: „Wie das? Da werde ich auch bis übermorgen nichts gefangen haben mit der Hand. Das weißt du!“ Es machte irgendwie richtig Spaß sie mit dummen Kommentaren zu erzürnen und vertrieb sogar die Langeweile beim Wandern. Ich blieb stehen und schaute mich um. „Was ist?“, fragte sie mich. „Ich hätte schwören können, ich hätte Erdbeeren gesehen.“, meinte ich gedanklich abwesend. Wo waren die nur? „Echt?“, freute sich Reila und ging in den Wald am See und durchforstete den Boden. „Erdbeeren...?“, summte sie immer wieder beim Suchen vor sich hin. Ich setzte mich. Viel gehen war ich zwar gewohnt, aber nicht barfuß. Und es war bestimmt schon Nachmittag. Die Sonne hatte längst den Zenit überschritten. Ich schaute zum Himmel auf. Wie schön blau und klar er war und wie viel Glück wir hatten, dass es nicht regnete. Ich seufzte und ließ mich auf den Rücken nieder plumpsen. „Was hab ich im Leben nur falsch gemacht, dass grade ich in dieser verdammten Situation stecke?“, fragte ich mich laut. Ich seufzte. Im Inneren war mir bewusst, dass niemand diese Frage beantworten konnte. An einen Gott oder ähnliches glaubte ich nicht. Aber ich konnte mich gut erinnern, dass Erwin mich das damals fragte: *Erinnerung* „Glaubst du an einen Gott?“ Ich schaute direkt in seine wiesengrünen Augen. Langsam schüttelte ich den Kopf. Wir saßen auf einer Weide unter einem Olivenbaum. Vor unserem Blickfeld waren Schafe und Ziegen am Gras fressen. Wir hatten den Auftrag auf sie aufzupassen, solange die Bauern ihre Ware zur Front brachten. Erwin kicherte. Ich mochte sein Kichern. „Also ich glaube an einen. Und ich finde es gut etwas zu haben, woran ich selbst in der schlimmsten Situation glauben kann. An jemanden, der weit über mir seine schützende Hand auf mich legt. Dieser Glauben beruhigt mich immer, wenn ich glaube, ich bin verloren.“ Er atmete tief durch, während er nach vorne in den Himmel verträumt blickte. Ich hatte nie an etwas wie einen Gott oder so geglaubt, aber in diesem Moment wollte ich es auch unbedingt. Wenn es Erwin auch tat. „Wie ist dieser Gott denn?“ Da lachte Erwin auf. Es dauerte etwas, bis er sich beruhigt hatte und verträumt meinte: „So richtig weiß das keiner. Aber ich glaube, dass er versöhnlich ist und jedes seiner Schafe hütet.“ *Gegenwart* „Kaum zu glauben.“, sprach ich wieder zu mir selbst, als ich mich daran zurückerinnerte. „Wenn es einen Gott geben würde, hätte er Erwin nicht sterben lassen.“ Ja, als Erwin starb, versiegte auch der Glaube an so einen Gott oder an ein Schicksal. Einige Freunde von Erwin wollten mir erklären dass es Gottes Wunsch wäre, ihn bei sich zu haben oder, dass es angeblich Schicksal sei. Ich wich dem Gespräch darüber aus. Ja, für mich gab es erneut weder Gott noch Schicksal. Reila riss mich plötzlich aus meinen Gedanken. „Was hast du denn? Du guckst so griesgrämig. Dabei hab ich Erdbeeren gefunden!“ Ich schrak hoch: „Erdbeeren?“ Sie nickte feierlich: „Ja. Zwar kleine, aber dafür ganz viele.“ Und präsentierte mir stolz ihre Ausbeute. Wir verspeisten die Erdbeeren. Sie waren richtig lecker und fruchtig: „Das sind Walderdbeeren.“, erklärte ich Reila. „Aha.“, gab sie nur gelangweilt von sich und vernaschte schon die Nächste. Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Erst gegen Abend fanden wir eine Straßenkreuzung, die zu unserem Glück auch noch beschildert war. Zwar hatte ich noch nie von Kolim gehört, aber da wir hundertprozentig nicht nach Tawaro wollten, kam nur Kolim in Betracht. „Wir sollten nicht auf der Straße gehen!“, paranoid schaute sich Reila um: „Sonst finden sie uns schnell.“ Ich zeigt mein Einverständnis nur durch ein schwaches Nicken: „Nur im Wald gibt es keine Richtungsschilder. Wir sollten etwas parallel zur Straße gehen. Dass, wenn andere vorbeikommen, sie uns nicht direkt sehen und wir uns im Notfall noch schnell verstecken können.“ Noch hatten wir nur Glück, dass die Straße durch den Wald ging. Doch aus Erfahrung wusste ich, dass es nicht auf Dauer war. Wir brauchten Verpflegung und Reiseutensilien, wie eine Karte. Ich grummelte, während ich noch weiter auf die Schilder starrte. Es dauerte eine Weile, bis ich anfing laut zu denken: „In einer größeren Gruppe sollten wir ebenfalls nicht auffallen. Unter Umständen kann man was zu essen erbetteln oder erarbeiten. Indem man zum Beispiel Kleider wäscht oder das Kochen übernimmt. Und wir hätten keine Sorge mehr, dass wir uns verlaufen.“ „Weist du denn, wohin wir genau wollen?“, fragte sie mich streng. Ich fühlte ihren ungläubig prüfenden Blick auf mir ruhen. Ich zuckte mit der Schulter: „Nach Norden, nach Süden oder einfach nur zur Front.“ Seufzend ließ sie sich zum Boden nieder und setzte sich angestrengt hin. Ein erneuter Seufzer von ihr. „Du hattest mal gesagt, die einzigen siebzehnjährigen Mädchen an der Front seien Huren. Wenn wir zur Front müssen…“ Barsch unterbrach ich sie: „NEIN!!“, rief ich wütend, ihre Gedanken schon ahnend: „Auf keinen Fall! Entweder vom Süden die Klippen hinunter und über den Meer-weg zum anderen Land oder über das Länderkreuz. Von der Front halten wir uns fern! Hast du mich verstanden?“ Erbost bebte ich vor Zorn. Reila seufzte nur erneut. „Wie kannst du das nur glauben, ich würde da auch nur annähernd mitmachen?“ „Ist ja gut!“, rief Reila genervt dazwischen und erläuterte ruhiger: „Es war ja nur eine Idee, mehr nicht.“ Ich schniefte vor Zorn erneut und versuchte den langsam verebben zu lassen. „Gruppe oder Wald? Wald wird auf Dauer nur nicht gehen. Kein Wald geht bis zur Landesgrenze durch.“, fragte ich Reila ohne sie eines Blickes zu würdigen. Sonst schaute ich immer denjenigen, mit denen ich sprach, in die Augen. Aber bei Hurerei war mir nicht zum Scherzen zumute. Ich ging zum Wald: „Wir streifen im Wald weiter, bis wir eine geeignete Gruppe gefunden haben. Ist das okay?“ Reila stand wortlos auf und kam mir hinterher. Die Stunden vergingen und langsam kehrte der Hunger ein. Am Waldrand fand ich nur Löwenzahn. „Die Blätter schmecken bitter, aber man kann sie essen.“, erklärte ich Reila, die mich angewidert ansah. Ich zuckte mit den Schultern und aß aber nur wenige, um den ärgsten Hunger zu stillen. Wir begegneten kaum Menschen. Eigentlich so gut wie gar keinem. Der Einzige, dem wir begegneten war ein Bettler, dem es noch schlechter ging als uns. Ich erklärte ihm das mit den Blättern, aber er war missmutig und unhöflich. Ich beließ es dabei und zog mit Reila weiter. Die erste Nacht in einem unbekannten Wald mussten wir auf der nackten Erde übernachten. „Na toll!“, dachte ich. Keine Decke, nicht mal etwas um sich darunter legen zu können und es wurde verdammt kalt in der Nacht. Die meiste Zeit war ich dann doch wach, weil die Kälte in meine Glieder zu sehr einzog. „Was ist hier nur los?“, fragte ich, als wir ENDLICH weiter zogen. „Was meinst du?“, fragte Reila. „Na überlege mal? Eine Straße zur Hauptstadt und keiner benutzt sie? Da stimmt was nicht.“ Reila zuckte mit der Schulter. „Na und? Was solls? Ist doch besser für uns.“ Mit dem Das-kannst-du-deiner-kranken-Großmutter-erzählen-Blick schaute ich sie an. Sie fing prompt an zu lachen. Lautstark. Aber es war eh egal, immerhin war keiner in der Nähe, der uns hätte hören können. „Vielleicht geht ja die Pest herum.“, kicherte Reila. „Mal mir den Teufel nicht auch noch an die Wand. Die Dämonen reichen schon.“, erwiderte ich feixend. Die ganze Lauferei war töricht langweilig. Und da endete der Wald auch schon. Ich schluckte. „Wir machen hier unseren letzten Halt – vorerst.“, befahl ich etwa zwanzig Schritte vom Ausgang des Waldes noch entfernt. Hier konnten wir uns noch verstecken. Auf einer Grassteppe würde das schwieriger werden. Reila streckte sofort die Glieder und machte sich auf dem Boden lang. „Wird ja auch Zeit für eine Laufpause.“, feixte sie sogleich wieder. Ich ging nicht drauf ein. War ich paranoid? Es ist sonst absolut nicht normal binnen vierundzwanzig Stunden niemandem zu begegnen und das auf einer Straße, die zur Hauptstadt führte. „Weißt du, wie weit es noch ist?“, gähnte teils Silben erratend Reila. Missbilligend schaute ich auf sie herab: „Woher denn? Hab den Namen der Stadt zum ersten Mal auf den Schildern gelesen und da stand keine Entfernung dabei.“ „Aha“, Reila nickte, drehte sich um und schien zu dösen. Ich drehte mich paar Mal noch im Kreis und überblickte den Wald so gut es ging. Es war wirklich keine Menschenseele zu sehen. Dann legte ich mich zu Reila und schlummerte auch ein. „Lei! Lei!“, unsanft wurde ich wachgerüttelt. War das meine Stimme? Ich zwängte mich zu einem Versuch die Augen zu öffnen. Doch dieser scheiterte schon beim Ansatz: „Oh, Reila!!“, riet ich voller Gewissheit: „Bitte. Lass mich noch ein wenig schlafen. Nur fünf Minuten.“ „Lei! Ich hab da so ein Wesen gesehen. Wach auf.“ Sie rüttelte mich wieder heftig. „Ein Mensch mit Lanze?“, panikartig fuhr ich hoch. „Wurden wir gefunden???“ Ich schaute zu Reilas unschuldiger Miene. „Nein. Da war so ein Wesen. Klein und Flügel hatte es!!“, erklärte sie hastig. „Flügel?“, skeptisch schaute ich sie an: „Hattest du da geschlafen?“ „Nein!“, brüllte Reila und erklärte flüsternd: „Es hatte Flügel und flog, als ich aufwachte weg. Ich bin mir ganz, ganz sicher. Es war klein und flog sehr, sehr schnell.“ Ich überlegte: „Vielleicht ein Vogel?“, riet ich genervt weiter. Zornig blickte sie mich an: „Meinst du etwa, ich kann einen Vogel nicht als ein solches erkennen, wenn ich einen sehe? Es hatte ein Gesicht, wie wir auch. Es war so ein Minimensch mit Flügeln!“ Ich seufzte nur, denn es interessierte mich nicht. Langsam streifte ich zum Waldausgang und ignorierte Reila. Wir gingen nun auf der Straße. Reila erzählte immer noch von ihrer „Begegnung mit dem Flügelwesen“. Es hatte sie sich wohl angeschaut. Als Reila aufwachte, war es angeblich nur paar Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. Und erschreckte sich wohl, genauso wie sie. Das Vieh flog weg und Reila weckte mich rau. Wo ich doch den Schlaf so gut hätte brauchen können. Ich muffelte schon wieder. Zwei von drei Nächten keinen Schlaf und bei der dritten nicht genügend. Reila bestand darauf, dass sie so ein geflügeltes Wesen gesehen hatte. Ich fuhr mir durch die Haare. Ein Bad, überlegte ich. Das wäre es nun gewesen. Stattdessen lief ich mit einem kirren Spiegelbild herum, das von winzigen Menschen mit Flügeln redete. Ich grummelte bei dem Gedanken lauter. „Aber so war es!“, sprach Reila völlig überzeugt. Stumpf schaute ich sie an. Glaubt sie, deswegen grummelte ich? Ich schüttelte den Gedanken weg und ging weiter. Die Stadt war glücklicherweise mittlerweile am Horizont aufgetaucht. Sie war mit einer Holzmauer umgeben. Mehr erkannten wir erst beim Näherkommen. Reila freute sich: „Na endlich!“ Das dachte ich mir auch: ´Na, ENDLICH!´ Hoffentlich hat Reila nun ein anderes Thema, als ihre seltsame Begegnung. Ungefähr fünfzig Meter noch von der Stadtmauer entfernt, erkannte ich, dass keine Wachen am Tor standen und, dass dies die einzige Straße war, die sich von der Stadt entfernte. Ungefähr zwanzig Meter vom Tor entfernt, teilte sich die Straße, aber es waren keine Schilder mehr vorhanden. „Schade. Die Schilder hat wohl wer gestohlen.“, interpretierte Reila die Tatsache. Ich blieb stehen. Keine Wachen, nur Vogelgezwitscher. Mir kam die ganze Situation gar nicht angenehm vor. Da stimmte etwas nicht. Und das ganz gewaltig.Zumal ich auch den Geruch von Blut wahrzunehmen glaubte. Ich schluckte und ahnte Schlimmes. Reila schien dagegen noch gar nichts bemerkt zu haben. „Was ist? Warum bleibst du stehen?“, fragte sie mich unschuldig. „Riechst du das nicht?“ „Nein. Was denn?“, sie fing an herum zu schnüffeln. Dann erkannte sie es. Blitzartig veränderte sich ihre Miene von neugierig erfreut zu einer wohlbekannten, aber auch entsetzlichen Erkenntnis. „Blut.“, bemerkte sie. Ich nickte. „Das bekommt mir gar nicht.“ Ich schritt auf das Tor zu. Es hatte wirklich keine Wachen. Als ich durch das offene Tor spähte, sah ich keine Menschenseele. Es war wie eine Geisterstadt. Reila spazierte laut brüllend rein: „Hallloooooo? Ist hier jemand?“ Es antwortete niemand. Ich folgte ihr, doch bis auf unser beider Schritte vernahm ich nichts. Sogar die Vogelstimmen waren verschwunden. Mein Unbehagen steigerte sich mit jedem Schritt. So groß war das Dorf nicht. Ich hätte geschätzt genauso groß wie mein Heimatdorf. Ich bekam Gänsehaut. Reila rief erneut. Doch auch diesmal antwortete niemand. Wir blieben ratlos in der Mitte des Dorfes stehen. „Was wohl passiert ist?“ „Sollen wir mal in ein Haus eintreten?“, fragte Reila. Ich nickte unsicher. Ein kalter Schauer der Unwissenheit lief voll Unbehagen meinem Rücken hinunter. Der Blutgeruch war noch relativ frisch. Vielleicht lebte ja noch jemand und war nur bewusstlos und brauchte Hilfe. Ich ging in das erste Haus hinein und mich traf fast der Schlag. Im Haus war der Blutgeruch noch schlimmer. Und nicht nur der Geruch war grausam. Auch die Frau, die in einer Zimmertür lag mit einer riesigen klaffenden Wunde zwischen den Schulterblättern. Sie wurde überfallen. Das war mir bei dem Anblick schlagartig bewusst. Alles war voller Durcheinander und der geschändete Leichnam bestätigte meine Gewissheit. Ich streifte schnellen Schrittes durch das Haus auf der Suche nach noch lebenden Bewohnern. Doch ich fand nur noch ein totes Kind. Ich schluckte bei dem Ansehen und ging mit schmerzenden Herzen so schnell wie möglich hinaus.Einer der Gründe, warum ich nie zur Front gehen werde, war, dass ich solche Anblicke einfach nicht ertragen konnte. Beim zweiten Haus sah es nicht viel besser aus. Zerstörte Stühle, jede Menge Scherben und auch hier Frau und sogar drei Kinder gemordet. Ich ging wieder schluckend raus. Ich kämpfte gegen die Tränen an. Ich schluckte wieder und schaute zum Himmel. In was für einen herrlichen Blau er erfüllt war, so grenzenlos und frei. „Reila!!“, rief ich. Ich hörte etwas tapsen, dann erkannte ich sie, als sie aus einem Haus ging. Sie trug einen dicken vollgepackten Rucksack mit sich. Ich erschrak: „Plünderst du etwa Tote aus?“ Wütend starrte ich sie an. Während sie mich nur unschuldig ansah und mit einem Hundeblick antwortete: „Was heißt plündern? Sie sind tot. Was sollen Tote damit? Es ist nur Kleidung, ein wenig Geschirr und eine Karte… und Käse, Dörrfleisch und Brot. Wir brauchen das!“ Ich hatte keinen Elan mit ihr zu streiten. Zu groß war meine Furcht, dass das, was hier passiert war, wiederkommen könnte. Ich schaute mich paranoid um. „Die Banditen müssen grade erst raus sein. Wir sollten uns beeilen, bevor sie wiederkommen.“ Ein Zittern befiel meinen Körper. Reilas Verhalten behagte mir zwar nicht und war unangemessen, doch es war zweitrangig. Wichtiger war es zu verschwinden, und das so schnell wie möglich. „Da vorne sieht es nach Stallungen aus. Wenn wir Pferde hätten, wären wir schneller.“, grinste Reila mich an, als würde sie nicht verstehen, was hier passiert war. Ich nickte und huschte in die Richtung. Reila folgte mir: „Weißt du, was seltsam ist?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hier sind keine Männer. Nur Frauen- und Kinderleichen.“ Ich schluckte erneut: „Ja. Nachher kommen die wieder und denken, dass wir an dem Blutbad beteiligt waren. Wir müssen uns echt beeilen.“ Reila hatte sich nicht geirrt. Es war wirklich ein Stall. Wir gingen hinein. Drei Pferde und vier Kühe standen hier drin. Das schien ein Stall einer reicheren Familie gewesen zu sein. Ich schaute mich um. Schnell fand ich Sattel, Geschirr und Zügel. Reila blieb nur stumm in der Tür stehen und schaute mir gemächlich zu, wie ich das Pferd sattelte. Urplötzlich fiel mir ein Schniefen auf, dass eindeutig nicht von den Pferden kam. Ich schaute erschrocken zu Reila. Sie weinte nicht. Im Gegenteil, sie schaute mich regungslos an. Da hörte ich es wieder. Es war noch jemand da. Ich schaute wieder zu Reila und nahm den Zeigefinger zum Mund. Wissend nickte sie mir zu. Ich schlich mich in Richtung des Schluchzens. Es war leise und kam von dem oberen Heuboden. Ich erblickte nichts als Heu. Irritiert griff ich hinein. Da kreischte eine Kinderstimme auf und ein kleiner runder Kopf tauchte aus dem Heuberg auf. Panisch versuchte er sich sofort wieder in dem Heu zu verstecken. Da ertönte Reilas Lachen. Ich schaute sie streng an. „Keine Angst, Kleiner! Ich tue dir nichts.“, sprach ich wohlwollend und freundlich und fing an ihn im Heu zu suchen. „Ja! Genau das haben die Räuber auch gesagt! Und dann haben sie meine Mami gehauen!“, ertönte es weinend. Ich seufzte. Das wird anstrengend, dachte ich. „Wären die Räuber etwa zwei schutzlose Frauen? Ohne jegliche Waffen? Wie wir?“, sprach ich weiter friedlich auf ihn ein. Es brachte sogar etwas. Schüchtern und vorsichtig kam der Kleine mit braunen Haar bestückte Kopf bis zur Nase etwa heraus. Ich machte keinen Versuch ihn direkt zu schnappen aus Angst, er könnte sich direkt wieder verkriechen. Stattdessen demonstrierte ich ihm meine Aussage und drehte meine Hüfte. Erst ein Stück nach links und dann nach rechts. Er überprüfte mit sorgfältigen Blicken meine Aussage. Er schien mich zwar noch zu verdächtigen, aber glaubte mir soweit, dass er nicht direkt wieder abtauchte. „Wie heißt du?“, fragte ich vorsichtig. Er zögerte, schaute mich skeptisch an, aber eine Antwort bekam ich auch nach zwei Minuten nicht. „Ich heiße Leira.“, stellte ich mich vor und frug dann erneut nach seinem Namen. Wieder keine Antwort. Reila wurde ungeduldig. Das erste Mal in dem Dorf: „Wir müssen weg! Bevor die Räuber kommen! Wenn er sich so anstellt, dann bleibt er eben hier und fällt den Räubern eben zum Opfer!“ Ich schaute traurig zu ihr, denn ich wusste, dass sie recht hatte. Ich hörte schon das Stampfen von heran reitenden Pferden. Die Räuber kamen grade wieder. Ich seufzte und schaute wieder zu dem Jungen. Er war sichtbar irritiert. „Meine Mami sagte, ich soll mich hier verstecken, bis sie mich ruft.“ Bemitleidend waren meine Blicke. Denn ich ahnte, dass seine Mutter, wie alle anderen, auf grausamste Weise getötet wurde. „Komm mit uns!“ Ich hielt meine Hand in seine Richtung, während Reila mit den Füßen stampfte und die Pferde zu ende reitfertig machte. Kapitel 10: ------------ Da ertönte das Gebrüll der Räuber. Schnell nahm der Junge den einzigen Strohhalm dem ihm geblieben war: Meine Hand. Ich zog ihn heran. „Seid still!“, flüsterte ich, nahm den Jungen mit der Hand zu meiner Brust heran und sprang, ihn festhaltend, vom Heuboden herunter. Reila saß schon auf dem Pferd. Ich mit dem Jungen auf dem Zweiten, während ich leise erklärte: „Wir warten darauf, dass sie absteigen, dann reiten wir weg und hoffen, dass wir schneller sind als sie.“ „In den Wald?“, fragte Reila. Ich überlegte. „Was meinst du? Links in den Wald oder nach rechts?“, fragte ich kurz den Jungen. Er schaute mich voller Verwunderung an und sprach piepsend: „Mami sagt, ich darf nicht in den Wald. Da sind seltsame Wesen mit Flügel.“ „Ich wusste es!“, brüllte Reila lautstark und ich erschrak. Spätestens jetzt wussten die Räuber von uns. Ich schluckte. Von außen vernahm man ein: „Da ist noch ein Weibsstück in der Scheune! Die gehört mir!“ „Ups.“, gab Reila beschämt von sich. Das Pferd hörte man herannahen. „Reila! Tu, was ich tu!“, befahl ich streng. Sie nickte. Das Pferd gehorchte prima, als ich es zur Tür drehte. Reila tat es mir gleich. Ich wartete. Man hörte einen Räuber absteigen. Ich nahm die Mistgabel, Reila das Einzige, was auch dastand: Eine Schaufel. Mit einem „Na, du Schöne!“, ging die Tür auf. Der Mann bekam direkt den Holzstiel der Mistgabel auf die Stirn geschlagen. Mit einem Schmerzensschrei ging er zu Boden. Ich atmete durch und gab dem Pferd die Sporen. Der Junge hielt sich an den Zügeln fest. Er schien schon reiten zu können. Die anderen Räuber wurden auf uns aufmerksam. Ich zählte noch sieben. Reila dagegen versuchte vergeblich das Tier zum Bewegen zu bringen. Sie schüttelte die Zügel, sie trat dem Gaul immer in die Seite. Ich hielt an und schaute panisch zu ihr. Da ertönte ein Pfeifen und das Pferd kam nach. Der Junge schien die Pferde auf sein Pfeifen abgerichtet zu haben. Er pfiff fortwährend alle vier Sekunden und das Pferd folgte. Die sieben Räuber waren nicht still stehen geblieben. Leider, dachte ich nur. Drei stiegen auf ihre Pferde und vier waren bei mir. Ich schwang die Mistgabel mit der Linken. Wechselte die Handseiten und dann mit der Rechten. Einer nur konnte ausweichen, aber Reila traf den voll mit der Schaufel auf den Kopf. Er sank zu Boden und Blut strömte aus einer Platzwunde am Kopf heraus. Wir hatten das Tor erreicht, da waren die anderen drei uns schon auf den Fersen. „Reila! Hättest du nicht ein wenig sanfter sein können?“, rief ich ihr zu. Sie lachte nur schallend: „Wieso? Als ´Schöne´ hab ich nie gelernt mit einer Schaufel umzugehen.“ Unsere Pferde waren schneller, als die der Räuber. „Gott sei Dank“, dachte ich nur. Aber dennoch gaben die Räuber nicht so schnell auf, wie erhofft. Der Weg verlief über Felder, erst als wir nach einer Stunde den Wald erreicht hatten, hielten die Verfolger an. Deren Pferde machten eindeutig schlapp und wir hatten schon einen großen Vorsprung. „Der Wald ist nicht groß, man kann dann nach links nach Tawaro oder rechts zur Tante Emmi.“, erklärte der Junge. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir dich bei deiner Tante absetzen.“, sprach ich zu dem Jungen, der mit einem erneuten Pfeifer nickte. Das Pfeifen ging mir mittlerweile auf die Nerven, aber Reila konnte ja einfach nicht den blöden Gaul unter Kontrolle bekommen. Ich grummelte. Der Junge schaute mich verängstigt an. Ich musste kichern: „Nicht wegen dir.“ Ab Ende des Waldes trabten wir nur noch langsam. Es kam wirklich eine Kreuzung, an der wir stehen blieben. „Wo geht es wohin?“, frug Reila, als sie bei uns war. „Nach rechts. Zu Tante Emmi, damit der Junge in Sicherheit ist.“, erläuterte ich. „Wir müssen wegen den Pferden aber noch Rast machen!“, rief der Junge. Ich nickte und streichelte ihm kurz seine Haare aus dem Gesicht. Er war erst acht oder neun Jahre alt. Wir ritten nach rechts weiter und machten etwa dreißig Minuten später Rast. Als wir abstiegen, fragte mich Reila: „Wo soll ich sie fest machen?“ Der Junge sprang auf und erklärte direkt: „Gar nicht. Die kommen von selbst, wenn man pfeift!“ Ich nickte, nahm dem Pferd die Zügel ab und lies es grasen. Reila tat es mir gleich. „Hast du ja toll hinbekommen! Wir haben es eilig und du bekommst dein Pferd nicht unter Kontrolle!“, zickte ich Reila an. Sie wurde sofort wieder wütend, beließ es aber bei einem stechenden Blick. Da musste ich einfach lachen: „Wenn Blicke töten können.“ Ganz irritiert schaute der Junge zwischen uns beiden hin und her. „Zwillinge!“, rief er dann plötzlich. Am Hals kratzend antwortete ich: „So was in der Art.“ Der Kopf des Jungen neigte sich nachdenklich: „Was heißt so was in der Art?“ Da ertönte ein Kichern von Reila. „Na, danke!“, zischte ich ihr zu. Ich ließ es dabei und versuchte das Thema zu wechseln. „Du hast großartige Pferde. Hätte nicht gedacht, dass sie so schnell wie Tertzienpferde sind.“ Reila blickte erstaunt auf. Ich schaute sie überrascht an: „Sag bloß, das wusstest du nicht!“ Sie schüttelte den Kopf. Der Junge staunte genauso überrascht: „Meine Familie züchtet sie schon sehr, sehr lange. Das sind die schnellsten Pferde in unserem Land. Mein Papa musste bis auf die Älteren und die zwei Trächtigen alle mitnehmen. Wusstest du, dass trächtig heißt, sie bekommt ein Baby?“, lächelte der Junge neunmalklug. Ich kicherte und schüttelte den Kopf. „Aber, die haben doch eine ganz andere Fellfarbe. Die sind ja ganz weiß.“ Die Junge strahlte stolz: „Das sind welche! Aber das sind Albinos! Das hat mir meine Mami schon erklärt! Meine Familie züchtet die Albinos. Sogar der König hat eines von uns! Der König!“ Davon hatte ich in der Tat noch nie was gehört. Ich kannte sie nur mit dunkelbraunen oder schwarzen Fell. Der Junge veränderte plötzlich seine Miene und sprach nachdenklich: „Was heißt nun so was in der Art?“ ‚Mist‘, dachte ich nur. Ich hatte die Hoffnung, er hätte das Thema abgehakt und vergessen. „Ich bin eine Fee und komme aus einer anderen Welt und habe ihr Aussehen nur angenommen, um getarnt zu sein!“, heimlich-tuerisch sprach Reila das und machte dazu ein finsteres Gesicht. Ich erschrak. Doch plötzlich grinste sie und meinte: „Das muss aber unser Geheimnis bleiben.“ Zweifelnd schauten der Kleine und ich sie an. Verständnislos frug er: „Was??“ „Das mein ich mit so was in der Art.“, sagte ich und setzte mich an den Wegesrand. Reila kramte währenddessen in dem großen Rucksack und präsentierte voller Stolz das Brot. Der Junge nahm neben mir Platz und schlang seine dürren Arme um seine Beine. „Mein Papa ist in der Front.“, erklärte er. „Du meinst, er ist an der Front?“ Er schüttelte den Kopf: „Er sagte mir, er müsse für unser Land kämpfen und unsere Pferde verpflegen. Er hat alle mitgenommen. Alle Siebenundzwanzig.“ Ich nickte nur knapp. „Und wenn er siegreich ist, dann kommt er zurück, meinte er.“, schniefte der Junge. „Aber… wenn er jetzt…“, er fing an zu weinen: „Wenn er jetzt wieder kommt, und ich bin nicht da… und Mami ist nicht da… Nur die Räuber… Wofür hat er dann gekämpft? Er sagte, er geht, damit es uns gut geht... Aber…“, es artete in lautes Heulen aus, das der Knirps nicht mehr unter Kontrolle bekam. Reila hat sich mittlerweile uns gegenüber gesetzt und hielt mir das Brot hin. Ich schüttelte den Kopf, nahm stattdessen den Jungen in den Arm. Er schniefte dreimal, dann hatte er sich soweit, dass er den Satz zu Ende sprach, wenn auch verheult: „Aber es geht uns nicht gut!“ Dann war der Damm gebrochen und er heulte alles einfach nur aus. Reila blickte mich fragend an. Wieder schüttelte ich den Kopf. Nach etwa zwei Stunde war er unter Weinen eingeschlafen. Wir hatten schon späten Nachmittag. „Wir sollten bis zum Abend seine Tante erreichen.“, flüsterte ich. Doch Reila erhob Einspruch: „Wir müssen aber woanders hin! Und das weißt du!“ Ich schüttelte den Kopf: „Mit dem Jungen?“ Sie schaute deprimiert. „Nein, ohne den Jungen. Also erst den Jungen weg.“, schnappte sie ein. Wir saßen auf und Reila schaffte es sogar, dass ihr Pferd dem Meinem folgte. Den Jungen hielt ich fortwährend im Arm, so reisten wir langsam den Pfad weiter. Gegen Abend erwachte der Kleine wieder. Wir waren an einer Kreuzung. Ich wartete, bis er sich aufgerichtet hat. „Na? Gut geschlafen?“, piesackte Reila den Armen. Meine Blicke straften sie. „Wo?“, erschreckte sich der Junge. „An der nächsten Kreuzung“, erläuterte ich: „Weißt du, wo es weiter geht zur Tante Emmi?“ Er schaute mich fragen an. Dann schaute er auf die Kreuzung. Seine Hand zeigte nach links. Auf dem Weg fragte er: „Wieso reiten wir nicht schneller? Die Sonne geht jetzt unter. Wenn ihr schneller wärt, wären wir schon angekommen:“ „Wir haben es nicht eilig. Wir kennen den Weg eh nicht.“ Der Junge grübelte eine Weile vor sich hin. „Felix.“, ertönte es leise. Ich schaute ihn fragend an. Schüchtern schaute er starr nach vorne und noch leiser vernahm ich ein: „Mein Name. Den du wissen wolltest.“ Ich musste instinktiv lächeln. „Hallo Felix. Schön dich kennen zu lernen.“ Er nickte nur. „Falls es wen interessiert… Mein Kosename lautet Reila.“ Verblüfft schaute ich sie an: „Kosename?“ Sie zuckte nur mit der Schulter. Nachdem ich das Wort nochmals wiederholte, gab sie nur beleidigt von sich: „Ich durfte ja nicht Leira heißen.“ Dann streckte sie mir wirklich ihre Zunge raus. Das war mir schrecklich peinlich, aber der Junge kicherte: „Neee, weil du nur ´so was in der Art´ bist!“ und streckte seine Zunge ebenfalls mit einem „Bääähhh“ in Reilas Richtung raus. Ein schallendes Gelächter folgte, in das wir alle einstimmten. „Ich bin aber die bessere Variante!“, erklärte Reila feierlich und klopfte sich stolz auf die Brust. Felix konterte nur mit einem fiesen Grinsen: „Ja, die, die nicht mal alleine reiten kann! Immer eine Frage des Blickwinkels, wie meine Mami immer zu meinem Papa sagt, wenn er was Falsches als Richtiges behauptet!“ Reila fing gekünstelt an zu schmollen. „Und… und… sie hier…“, der Junge zeigte zu mir: „Kann total toll mit Pferd und Ende der Gabel umgehen! Ja! Hab ich gesehen!“ „Ach? Und ich mit meiner Schaufel? Hast du das auch gesehen?“, fragte sie ihn neugierig. Er überlegte. Er überlegte sehr lange, dann kam ein herzhaftes Lachen: „Meine Mami sagt zu meinem Papa da immer: Dilettant!“ Reila schluckte: „Wie gemein…“ Ich dagegen musste die ganze Zeit kichern. Der Kleine konnte sehr gut kontern. So verging die Zeit bis tief in die Nacht. „Wir machen nun unser Nachtlager!“, beschloss ich. Wir hielten an und ließen wieder die Pferde frei. Sie legten sich direkt hin. Reila packte Fleisch und Käse aus. Und wir aßen etwas. „Wo schlafen wir gleich?“, fragte Felix und schaute sich die ganze Zeit um. „Auf dem Boden!“, zischte Reila. Sie war eindeutig entnervt, weil sie den Wortwechsel haushoch verloren hatte. „Keine Angst, Reila hat da am Rucksack einen Mantel hängen. Damit kannst du dich einhüllen.“ „Äh? Das ist meiner!“, protestierte Reila wieder. Ich sah sie nur ernst an. Sie fing wieder an zu schmollen und erklärte: „Nur die eine Nacht darfst du den haben!“ Wie ein kleines Kind, dachte ich. Das schien aber den Jungen nicht zu überzeugen. Als wir fertig gespeist hatten, legten Reila und ich uns hin. Der Junge saß noch unentschlossen da. Nach etwa zehn Minuten holte er sich den Mantel und kam zu mir. „Darf ich neben dir schlafen?“, fragte er vorsichtig. Ich nickte und schloss wieder die Augen. Da merkte ich, wie er sich ganz nah an mich kuschelte und sogar meinen Arm in die Hände nahm und über seine Schulter legte. Ich musste einfach leise kichern und hielt ihn in dem einen Arm. Ganz leise ertönte ein Geständnis: „Ich vermisse meine Mami!“ und wurde gefolgt mit einem leisen Trauern. Am Morgen kam der Junge wieder zu mir auf das Pferd und wir ritten die letzten vier Stunden Weg, der vor uns lag. Gegen Mittag erreichten wir ein wirklich kleines Bauerndorf. Es handelte sich lediglich um vier Höfe, die neben einander lagen. Plötzlich rannte eine Frau aus einem der Höfe und kam auf uns zu: „Felix!!“, hörte man sie lautstark voller Sorge rufen. „Tante Emmi!“, hob Felix winkend die Hand hoch. Als sie bei uns war, blieben wir stehen und stiegen ab. Sie und der Junge umarmten sich fest. Erst dann schaute die Frau uns an. Sie sah aus wie eine einfache Bäuerin. Ein alltäglich braunes Kleid ohne Verzierung. Die schulterlangen braunen Haare waren zu zwei Zöpfen nachlässig zusammengeflochten. Sie sah Felix ein wenig ähnlich im Gesicht. „Corinna konnte aus eurem Dorf fliehen und erzählte, dass Räuber das Dorf überfallen hätten und euch alle… na ja, getötet hätten eben…“, erzählte die Frau. Ich berichtigte sie: „Reila und ich stammen nicht aus dem Dorf. Wir waren nur Reisende und haben per Zufall Felix gefunden.“ „Ich hab mich im Heuboden versteckt! Mami hat gesagt, ich soll das tun. Da hab ich das getan. Leira fand mich. Die Räuber aber nicht. Nein!“, voller Stolz nahm Felix die Brust hoch. „Das hast du gut gemacht.“, lobte Emmi ihn. „Lass uns mal hinein gehen.“ Sie führte uns in eines der Bauernhäuser. Es war ein ganz übliches: Holzmöbel, niedrige Decke, Steinmauer. Felix hielt die ganze Zeit Händchen mit seiner Tante. Er konnte richtig süß sein. Wir setzten uns an einen großen Tisch. „Ich danke euch, dass ihr ihn hergebracht habt.“ Sie verbeugte sich kurz und setzte sich dann zu uns. „Oh je, wo bleiben nur meine Manieren? Jetzt habe ich doch glatt vergessen euch etwas zu trinken anzubieten. Ich habe leider nur Wasser.“ Sie stand auf und rannte schnell in die Küche. Felix musste lachen: „So ist meine Tante Emmi. Gleich fällt ihr ein, dass sie auch Naschzeug vergessen hat. Sobald sie sitzt!“ Wir mussten kichern. Sie wirkte wirklich etwas durch den Wind. „Das hab ich gehört und werde ganz bestimmt jetzt daran denken!“, ertönte es aus der Küche. Jetzt lachten wir alle, während sie uns mit Wasser und Naschzeug versorgte. Es waren kandierte Apfelstücke und dazu ein paar Kekse. „Ich hab nicht mit Gästen gerechnet, sonst hätte ich noch Tee vorbereitet.“, erklärte sie, während sie sich wieder hinsetzte. „Das ist nicht schlimm. Wasser reicht vollkommen aus.“, beruhigte ich sie. Sie schämte sich dennoch dafür. „Ich möchte euch wirklich dafür danken, dass ihr meinen Neffen gerettet habt. Ich weiß leider nur nicht wie. Ich lebe eher ärmlich und habe selber kaum Geld…“ „Wir brauchen kein Geld.“, unterbrach ich sie rasch: „Es ist vollkommen in Ordnung. Wenn ihr uns wirklich einen Gefallen tun möchtet. Dann lasst uns hier baden oder nur waschen, je nachdem, was möglich ist. Und lasst uns hier eine Nacht verbringen. Wir müssen morgen weiter reisen.“, erklärte ich sanft mit einem Lächeln. Sie nickte eifrig: „Selbstverständlich. Beides ist sogar möglich. Ich bereite das Bad vor, danach gibt es zu Mittag was zu essen. Lasst euch bis morgen von mir verwöhnen. Ich bin eine sehr gute Köchin.“ Da prustete Felix los und konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Reila kicherte und meinte: „Ich glaube, er ist anderer Meinung.“ „Nein.“, antwortete Emmi: „Er hat nur keinen Geschmack für gutes Essen! Wenn es nach ihm geht, gibt es jede Mahlzeit kandierte Früchte oder Marmelade mit dem Löffel.“ Nun lachten wir alle wieder. Nach ungefähr zehn Minuten stand Emmi mit „Ich mach mal das Bad“ auf. „Kann ich dir helfen?“, frug ich schnell. Sie schaute mich böse an und klärte mich auf: „Ihr seid Gäste! Und sogar die Retter meines Neffen. Ihr seid nicht zum Helfen hier. Lasst euch bis morgen von mir verwöhnen!“ Als sie wieder da war, zeigte sie mir, wo das Bad war. Reila wollte sich nur kurz waschen. Das Bad war herrlich. Ich genoss es das Wasser um mich herum zu haben und überlegte, welche Kräuter wohl darin enthalten waren. Es roch herrlich, ein wenig nach Minze, den Rest erkannte ich leider nicht. Das Wasser erschien in einem zarten rosa. Ich weiß nicht, wie lange ich in der Wanne lag, als es plötzlich klopfte. Bevor ich reagieren konnte, öffnete sich die Tür. „Still!“, hörte ich meine eigene Stimme. Reila, dachte ich nur und legte mich wieder zurück und schloss die Augen. Meine Ohren tauchten wieder unter Wasser. Die Tür schloss sich wieder. Da vernahm ich ein leises: „Felix, jetzt starr sie nicht so an und schau zur Tür! Ein Mann tut das nicht.“ Ich schrak hoch und blickte in die neugierigen Augen des kleinen Jungen. Schnell versuchten meine Hände die wichtigsten Teile meines Körpers zu bedecken. Noch bevor mein Mund sich öffnen konnte, lagen Reilas Hände auf ihm. „Sei still! Sie dürfen uns nicht hören!“, flüsterte sie streng in mein Ohr. Überrascht merkte ich, wie ernst sie aussah. Sie schaute auf Felix. „Wo gehören deine Augen hin?“ „Zur Tür!“, antwortete Felix schnell und drehte sich zur Tür. Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Ich nahm Reilas Hand weg und flüsterte: „Was ist denn los?“ Sie schaute mich traurig an: „Die Soldaten sind im Dorf. Sie fragen überall nach uns. Angeblich hat einer der Nachbarn die zwei Pferde gesehen und ausgesagte, dass Zwillinge mit Felix zu Emmi gingen. Sie durchsuchen momentan alles. Felix ist mit hier drinnen, sodass wir uns im Notfall in der Wanne verstecken können und er so tut, als ob er grade in die Wanne steigen will. Wir müssen leise sein und sollten so wenig wie möglich reden.“ Und wer sagte uns, dass Emmi uns nicht verraten würde? Ich schaute Reila zweifelnd an. Sie lächelte wehmütig. „Alles wird wieder gut, ich bin ein Beschützer!“, erklärte Felix eifrig und starrte wieder meinen Körper an. „Wo schaut ein Beschützer hin?“, feixte Reila. Ertappt drehte er sich wieder zur Tür um. So saßen wir also in der Klemme. Ich wollte aufstehen und mir was anziehen, da drückte Reila mich wieder runter. Zornig schaute ich sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte mir ins Ohr: „Das ist zu laut. So kriegen sie es mit.“ Ich flüsterte zurück: „Und woher wissen wir, dass sie hier nicht suchen?“ „Tante Emmi sagte, ich solle baden gehen, solange die Wachen nicht da sind. Die Wachen sagten, sie kommen nicht ins Bad. Wenn doch, wäre das gaaaaanz gemein.“, der Junge schniefte: „Ich will nicht, dass sie mich nackt sehen. Aber Tante Emmi meinte, ich brauche nicht mitkriegen, was sie machen.“, er schniefte wieder. Ich verstand das. Es hörte sich zwar wie ein Selbstgespräch an, aber war als Antwort gedacht. „Wieso darf ich nicht mitkriegen, was die machen?“, fing er nun an zu protestieren. „Ob die Babys machen?“, fragte er sich und von außen ertönte ein: „Ganz bestimmt nicht!“ Es war nicht die weibliche Stimme von Emmi, sondern die markante kräftige Stimme eines Mannes. Ich schluckte und nickte vorsichtig. „Aber ihr kommt nicht rein, oder? Ich bin nämlich nackt und sogar Papa hat nie mein erstes Haar gesehen!“, rief der Junge als ob er sich schämte. Da ertönte schallendes Gelächter außerhalb und wütend antwortete der Mann: „Nein, ich komm nicht rein! DAS will ich nicht sehen!“ Ich hielt schnell Reilas Mund zu, bevor wieder so etwas herauskam, wie im letzten Dorf und sie wieder alle auf uns aufmerksam machte. „Gut.“, rief der Junge noch, dann machte er mit den Händen Geplätscher. Und wupp, starrte er mich wieder an. Reila reichte mir endlich vorsichtig ein Handtuch, dass ich dann um meine Brüste wickelte und flach streifte. Es ging so grade bis zum Beinanfang. Der Junge schaute mich enttäuscht an. „Du hast mehr gesehen, als jeder andere Junge in deinem Alter“, flüsterte ich ihm so leise wie möglich ins Ohr. Er zeigte sein Einverständnis durch ein breites Grinsen und einem schnellen Nicken. „Sogar Mami hat mich nie baden gesehen.“, rief Felix wieder. Man hörte daraufhin draußen nur lautes Stampfen. Die Soldaten traten wohl den Rückzug an. Ich streichelte ihm über den Kopf. Wir waren eindeutig außer Gefahr. Felix starrte noch eine Weile meine Beine an. Die Hoffnung schien zuletzt zu sterben bei ihm. Meine Haut fing schon an sich zu schrumpeln und weiß zu werden. Ich war eindeutig schon zu lange im Wasser. ‚Bald würden mir Schwimmflossen wachsen‘, überlegte ich. Irgendwann fing es an dunkler zu werden. Reila zündete zwei Kerzen an. Die Zeit war einfach nicht tot zu schlagen und Hunger hatten wir alle mittlerweile auch. Die paar Kekse vom Mittag hielten nicht lange vor. Felix war es auch schon längst langweilig geworden. Seine Hand streife schon eine ganze Weile im Wasser herum. Sein Blick dagegen blieb standhaft auf das Ende des Handtuchs gerichtet. Dann stand er plötzlich auf: „Das hört sich ja nach Pferden an.“ Ich horchte auf, doch ich vernahm selber nichts. Er stieg mit den Füßen in die Wanne und machte sich lang um das Fenster zu erreichen und starrte hinaus. „Ja, das sind Pferde. Da reiten sechs Pferde wieder weg.“ Dann vernahm ich, dass jemand schnell ein die Treppe herauflief. „Felix, die Soldaten sind weg. Ihr solltet aber hier oben bleiben. Dass, wenn sie wiederkommen, euch nicht direkt sehen.“ Innerlich jubelte ich, stand auf und schob Felix die Tür hinaus. Endlich konnte ich mich anziehen. „Warte.“, brüllte Emmi. Waren die Soldaten wieder da? Die Tür ging auf. „Hier sind ein paar Kleider. Ich hoffe sie passen dir und Reila.“, sie gab mir ein Stapel Wäsche. Stolz präsentierte sich Felix: „Ich hab ihr eure Namen gesagt! Ich hab sie mir gemerkt.“ Ich lächelte ihn an. „Habt vielen Dank.“ Als die Tür zu war, kleidete ich mich an. Es war eine schwarze Lederhose, die wie angegossen passte. Und ein weißes Hemd mit Weste. Sie waren beide an der Brust deutlich zu klein und spannten. „Sehe ich etwa so fett aus?“, protestierte Reila. Ich schaute zu ihr. Sie hatte eine Hose bekommen, die etwa zwei Nummern größer war als meine. Ich kicherte: „Scheinbar hast du zu viel Kandiertes gegessen.“ Sie schmollte: „Frechheit!“ Ich ging hinaus und bekam sogar Schuhe. „Ich hab sie angefertigt, als die Soldaten da waren und hab behauptet, dass ich sie auf dem Markt verkaufen wolle.“, erklärte sie feierlich. Ich nahm ihre Hände: „Emmi, ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann!“ Sie lächelte, drückte meine Hände ebenfalls: „Das ist für die Rettung meines Neffen, ich habe euch doch gesagt: Ich werde euch verwöhnen. Außerdem kann ich mir bei so netten Mädchen, wie euch, einfach nicht vorstellen, dass ihr grausame und eiskalte Attentäter seid.“ Reila lachte herzhaft: „Das ist ja mal ein geiles Gerücht. Ich hatte noch nie eine Waffe in der Hand. Das Erste war die Schaufel. Hattest du das gesehen, Felix? Wie gut ich mit der Schaufel umgehen konnte? Wie eine Attentäterin?“ Da lachte Felix schallend: „Ganz bestimmt nicht! Ich muss dir heute Abend noch zeigen, wie man sie hält! Bevor du wieder so chaotisch damit herum schlägst.“ Die beiden feixten noch ein wenig herum, während Emmi mich fragend ansah. Ich erklärte hastig: „Als wir Felix fanden, kamen die Räuber wieder. Um fliehen zu können, mussten wir uns wehren, ich mit der Mistgabel und Reila mit der Schaufel. Und sie…“ Ich überlegte nach dem richtigen Wort, als Felix rief: „Radikal unwissend mit dem Umgang einer Schaufel! So hat Papa es genannt, als Mami mal versuchte die Schaufel zu benutzen. Aber… Aber sogar Mami bekam es besser hin als Rei!“ Er lachte so heftig, dass sich sogar Tränen bildeten. Kurz darauf ging es in ein Weinen über. „Wieso… Wieso hatte Mami, als die Räuber kamen, keine Schaufel in der Hand? Wie Rei?“ Emmi nahm ihren Neffen in den Arm, hob ihn an und brachte ihn in ein Zimmer: „Ich komme gleich wieder.“, sprach sie an uns gewandt. Reila zuckte mit der Schulter. Ich ging den beiden hinterher, blieb aber in der Tür stehen. Felix weinte sich noch ein wenig an Emmis Schulter aus. Irgendwann war er wieder eingeschlafen. Emmi deckte ihn zu, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ging heraus und schloss die Tür. „Es wird etwas dauern, bis er den Verlust seiner Mutter verkraftet. Die Soldaten reiten vorerst in sein Dorf und schauen, ob es da Überlebende gibt. Ich bete darum, auch wenn ich es bezweifle. Ihr ward ja nicht in seinem Haus, sondern nur in der Scheune. Das sagte zumindest Reila. So gibt es doch noch ein wenig Hoffnung.“ Ich nickte und hoffte mit ihr. „Was ist mit den Männern? Wir haben dort keinen gefunden.“ Wir gingen in das Nebenzimmer. „Die sind alle im Krieg. Mein Mann auch. Es ist so grausam und beängstigend. Die Räuber sind vermutlich Deserteure… Vermuten zumindest die Soldaten. Ich bringe euch nun etwas zu essen.“ Ihre Laune war genauso traurig wie unsere. Sie brachte uns zwei große Schüsseln mit Eintopf. Es schmeckte sehr gut. „Für einen Zehnjährigen hat er aber sehr nah am Wasser gebaut.“, lächelte ich. Emmi sah mich verwundert an: „Von wem sprichst du?“ Ich erwiderte ihren Blick: „Felix?“ Emmi schüttelte hastig den Kopf: „Wo denkst du hin? Na gut, er ist etwas größer und reifer als andere Jungen in seinem Alter, aber er ist erst Anfang sieben.“ Ich schaute sie baff an. „Ne, oder?“ Ich hatte ihn immer für zumindest acht gehalten. Da lachte Emmi herzhaft: „Nein, nein. Er ist wirklich sieben Jahre alt.“ „Na gut, für das Alter ist es eher normal, dass man noch zur Mami will.“, gestand ich ein. „Aber etwas anders.“, meinte Emmi plötzlich ernst: „Wenn ihr so weiter reist, findet man euch sofort!“ Ich schaute sie überrascht an: „Ja, aber hier bleiben, können wir auch nicht.“ Sie lächelte traurig: „Ich muss zugeben, ich habe lange mit den Gedanken gespielt. Es wäre nicht so einsam und ich bräuchte weniger Angst vor Räubern zu haben. Ihr beide seid Frauen, die direkt handeln, ohne sich zu fürchten. Aber ich gebe dir Recht Aber… da ihr gesucht werdet, ist es wahrlich unmöglich und würdet uns auf Dauer mehr Kummer bringen, als ihr abwenden könntet. Ich meinte eigentlich, dass wir euch tarnen sollten.“ „Tarnen?“, hakte ich nach: „Wie denn?“ Sie lächelte amüsiert: „Na ja, ich bin so etwas wie Friseurin. Hobbymäßig. Davon allein kann man auf dem Land nicht leben. Aber wenn Hochzeiten oder so in der Umgebung stattfinden, dann kommen die Leute immer zu mir.“ Entsetzt schaute ich sie an: „Ich bezweifle, dass es mit Haare schneiden allein getan ist!“ Nun fing sie an amüsiert zu kichern: „Warts ab. Ich kann nicht nur Haare schneiden.“ Dann ging sie mit einem „Eine erholsame Nacht wünsche ich euch beiden“ hinaus und ließ uns unwissend zurück. Sie hatte sich einen Spaß draus gemacht uns zu irritieren. Was sie wohl meinte? Als wir am nächsten Morgen früh runter gingen, waren wir um kein Wissen reicher geworden. „Guten Morgen.“, begrüßte sie uns, während sie in zwei Farbeimern herum rührte. Wir grüßten zurück. „Wann bist du denn aufgewacht?“, fragte ich neugierig. Sonst war ich immer die Erste, die kurz vor Morgengrauen aufstand. Sie kicherte: „Felix schläft noch. Ich war die ganze Nacht wach und habe daran gearbeitet.“ Sie zeigte mit ihrem Kinn auf die Eimer. Ratlos sah ich sie an. „Aha. Und was ist das?“, kam mir Reila zuvor. Emmi machte sich wirklich einen Spaß daraus: „Wartet´s ab! Da vorne sind zwei Tücher. Legt sie um den Hals, sodass sie über eure Brust, Schulter und Rücken fallen.“ Wir taten, wie uns geheißen. Es waren schwarze Tücher mit jeder Menge Flecken. „Nun setzt euch!“, befahl sie. „Ich mach jetzt den ersten Teil, dann müssen wir zwei Stunden warten, dabei kann man gut essen. Und dann schneide ich nur die Spitzen ein wenig ab. Und kürze den Pony.“ Meine Augenbrauen verdichteten sich zweifelnd. Ob das eine gute Idee war? Emmi fing mit Reila an. „Den Kopf ein Stück zurück.“ Reila protestierte nicht. Sie war ganz still. Auch als Emmi mit einem Schöpflöffel aus dem Eimer eine dunkle zähflüssige Brühe schöpfte und langsam auf ihrem Kopf verteilte. „Ich wollte schon immer mal die Haare gefärbt kriegen. Allerdings dachte ich an ein knallrot!“ Ich schaute sie überrascht an. Man konnte sich die Haare färben? Emmi lachte auf: „Ja, aber dann sieht man zu deutlich, dass sie gefärbt sind. Das hier ist eine Spezialmischung. Die Farbe lässt sich nicht herauswaschen und so sieht die Haarfarbe wie echt aus und hinterlässt keinen Film ab dem zweiten Waschen.“ „Echt? Ich dachte die Farbe wäre immer spätestens beim dritten Waschen raus?“ „Ja, die Farbe, die man normalerweise nimmt. Aber diese hier ist wirklich speziell. Zweimal im Jahr mach ich das bei mir, um die Haaransätze neu zu haben. Eigentlich bin ich goldblond.“ Ich blickte sie überrascht an. Das Braun wirkte so natürlich. Sie massierte Reila die Flüssigkeit in die Haare ein. „Da bin ich ja überrascht, wie es aussehen wird!“ Emmi lachte wieder: „Anders als bei deiner Schwester. Weil man nach Zwillingen sucht, dachte ich, es ist einfacher für euch, wenn man euch nicht als solche erkennt.“ Ich schluckte. Sie war gut. Wir hatten echt Glück. „So fertig. Einfach sitzen bleiben. Ich wasche mir die Hände, dann mache ich Leiras Haar. Das wird ein wenig komplizierter.“ Ich schaute sie überrascht an: „Wieso?“ Sie lachte: „Weil du zusätzlich Strähnchen bekommst. Bei schwarz ist alles Ton in Ton. Bei einem natürlichen rot-braun keineswegs. Ein paar Strähnen sind dunkler, ein paar sind heller. Und es soll ja so natürlich, wie nur möglich wirken!“ Ich nickte. Als sie zurück war, erklärte sie mir, dass sie zuerst mit einer etwas dunkleren Farbe das Haar grundieren und dann Strähnchen für Strähnchen bleichen würde. Ich verstand kaum ein Wort, auch den Sinn irgendwie nicht. Das, was sie bei Reila gemachte hatte, nannte sie grundieren. Und bei mir zog sie mit einem Pinsel ungefähr eine Stunde lang irgendwelche Haare nach. „Uhhhh… Leira, du wirst toll aussehen!“, schwärmte Reila. Ich sah sie ein wenig verängstigt an. Ich begriff das irgendwie kaum. Noch nie hatte ich davon gehört, dass man Haare färben kann. Als sie fertig war, war Felix grade aufgestanden. „Wo ist Mami?“, fragte er verschlafen. „Bleibt bitte beide sitzen und bewegt euch so wenig wie möglich!“, sprach Emmi zu uns und rannte dann zu Felix. Sie nahm ihn wieder mit hinauf. Es war langweilig da zu sitzen und nichts zu tun. Aber ich konnte mir ausmalen, was Emmi mit Felix besprach. Als sie wieder herunter kam, nahm sie Reila mit ins Bad. „Da geht es weiter! Die zwei Stunden nun ja durch Leira und Felix vergangen.“, erklärte sie zu Reila und sprach zu mir gewandt: „Du musst leider noch sitzen bleiben. Ich kann mich immer nur um einen kümmern und deine Haare brauchen eh noch, bevor ich sie ausspülen kann.“ Also wieder warten, dachte ich nur. Felix kam mit rot geschwollenen Augen wieder herunter. Er war umgezogen und hatte die Haare gewaschen. „Du siehst witzig aus!“, bemerkte er. „Wie Tante Emmi, wenn sie wieder mit ihren Haaren Murks macht. Einmal hatte sie die grün, wie Waldmeisterwackelpudding.“ Ich lachte: „Wirklich? Knatsch grün?“ „Jaaa! Und die standen sooo weit weg!“, feixend nahm er seine Hände schräg über den Kopf um zu demonstrieren wie weit. „Und Blumen waren da drinnen!“ Ich musste lachen. „Wann war das denn?“ „Na, zu der Hochzeit von Onkel Jakob! Vor einem halben Jahr.“ So vertrieb mir Felix die Zeit. Er erzählte und plauderte von Tante Emmi und ihren schrägen Frisuren. „Sie sagt immer: Ein Friseur muss demonstrieren, was er kann. Sonst kommt keiner. Und je seltsamer und abwegiger das ist, desto mehr Kunden kommen. Einmal hatte sie sogar gaaaaanz viele Locken. Mehr Locken als Haare und die waren so Gelb, wie die Sonne.“ Ich musste die ganze Zeit immer wieder lachen. Dann kam Reila runter. Als ich sie sah, war ich sprachlos. Schulterlange glatte schwarze Haare. Dazu sogar die Augenbrauen schwarz. Und statt der vorherigen blauen Augen, waren diese leicht grünlich. Sie hatte nur noch die Gesichtsform von mir. Sonst war sie nicht mehr als mich zu erkennen. Ich schluckte vor Faszination. Doch das verging schnell: „So, Leira! Nun bist du dran!“ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Ich hätte es nie für möglich gehalten. Sehr lange war Emmi damit beschäftigt mich zu frisieren, wie sie es nannte. Als ich allerdings in den Spiegel schaute, erkannte ich mein eigenes Spiegelbild nicht mehr wieder. Reila, die aussah wie ich, habe ich jeden Tag gesehen, doch nun, wo ich das erste Mal selbst wieder in den Spiegel sah, kam ich mir völlig fremd vor. „Bin das wirklich ich?“, fragte ich Emmi um nochmals sicher zu gehen. Sie musste kichern: „Ja, wie oft denn noch? Gefällt es dir wenigstens?“ Ich schaute mich noch mal Millimeter für Millimeter an. Ich hatte nun hellbraunes, beinahe blondes Haar, bei dem hin und wieder blonde oder leicht braun rötliche Härchen zu sehen waren. Bei einem leichten Braun hätte man es nicht belassen können. Meine Augen waren nicht mehr in dem hellblau, das wie Himmel aussah. Nein, sie waren grün-bräunlich. Meine Wimpern wirkten etwas länger und die Augenbrauen waren im gleichen Farbspektrum wie meine Haare. Ich hatte sogar zwei Muttermale mehr im Gesicht und zwei kleine Narben waren verschwunden. Meine Haut wirkte weicher und etwas bräunlicher als vorher. Ich hatte nun sogar auf jeder Seite einen Ohrring. Die Haare waren kürzer und zerwühlter geschnitten als bei Reila. Sie wirkten auch viel fülliger. „Bist du sicher, dass ich das bin?“, fragte ich erneut. „Wie oft denn noch? Ja! Ich bin mir sicher. Sag mir lieber, ob es dir gefällt. Ich finde, ich habe den Pony ein wenig zu kurz geschnitten, aber daran kann ich nun nichts mehr ändern.“ Ich schüttelte den Kopf. Da fiel mir auf, dass die Haare nur kürzer wirkten. Eine einzelne Strähne nahm ich in die Finger und zog sie langsam nach unten. Sie gingen weit über meine Schulter. Beinahe bis zum Brustansatz. „Du hast Naturlocken. Ich habe sie nur fülliger geföhnt. Deshalb wirken die Haare nur so kurz.“ Ich nickte. Wieder beobachtete ich das Bild im Spiegel. Ich konnte es einfach nicht fassen. Sie fing wieder an zu kichern: „Möchtest du lieber Reila und Felix fragen, ob es ihnen gefällt? Felix meinte zu mir, ich solle dich schöner frisieren als Reila. Er scheint einen Narren an dir gefressen zu haben.“ Der letzte Kommentar drang nicht mal in meine Ohren. So würde nie einer auch nur vermuten, dass Reila und ich auch nur annähernd verwandt waren. Die Haare fühlten sich nicht mal wie gefärbt an. „Bei Reila wird es in ungefähr zwei Monaten auffallen, dass die Haare gefärbt sind. Bei dir nicht mal vor vier Monaten. Weil es eher deiner Haarfarbe ähnelt.“ Ich nickte erneut. Zu der neuen Frisur bekam ich eine passende schwarze Hose mit einem Hemd und Weste und auch passende Wanderstiefel. Emmi musste meinen Blick zu den Stiefeln bemerkt haben, denn sie erläuterte sofort: „Du hast eben die selbe Schuhgröße wie mein Mann:“ Ich schaute noch einmal in den Spiegel. Dann berührte ich mich wieder. Wann sah ich schon mal in einen Spiegel? Reilas Anblick hatte mir immer gereicht. Ich drehte mich zu Emmi um: „Wie kann ich dir nur danken?“ Verwundert blinzelte sie mich an. Es dauerte eine kurze Weile, bis sie erklärte: „Wenn hier wer wem danken muss, dann ich dir. Die Räuber hätten wahrlich alles vernichtet. Und, wenn auch nur für kurz, ihr habt sie aufgehalten und sogar meinen Neffen zu mir in Sicherheit gebracht! Glaub mir! Das bisschen frisieren reicht nicht mal annähernd.“ Ich lächelte sie sanft und versöhnlich an. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr sie uns half. Wir gingen runter. Grade als die Blicke der Neugierigen meine trafen, hörte man ein lautes Raunen, gefolgt von einem: „Tante Emmi! Das hast du ja genial hinbekommen!“ Schüchtern blickte ich zu Boden. „Wenn ich zehn Jahre älter wäre, hätte ich nun voll die Latte und würd' fragen, ob du mich heiraten willst! Ja, das würd' ich tun!“, kreischte Felix vor Erregung. „Latte???“ Wie im Chor brüllten wir das und sahen ihn verblüfft an. „Das sagt Papa doch immer, wenn er Mami hübsch findet. Er sagt dann immer: Schatz, ich hab ne Latte. Du siehst einfach zu hübsch aus. Den Göttern sei Dank, dass ich dich geheiratet habe.“ Wir waren entsetzt. Er schien noch nicht zu begreifen, was die eigentliche Bedeutung von dem war, was er sagte. „Felix. Sag bitte nie wieder, bevor du nicht geheiratet hast, Latte. Sag einfach, dass sie wunderschön aussieht. Ja?“ Er nickte eifrig auf Emmis Belehrung: „Ja!“ Ich ging die restlichen Stufen hinunter. „Ihr habt ja vier Stunden gebraucht! Wo bleibt das Mittagessen?“, beschwerte sich Reila. Emmi fing an konfus zu werden: „Oh je! Das hab ich ja glatt vergessen.“ Ich blickte Reila zornig an. Felix kicherte unverschämt und versuchte sie zu beruhigen: „Keine Angst, Tante Emmi, Reila und ich haben gekocht!“ Der Versuch scheiterte jedoch und erschuf bei Emmi nur noch größere Panik. Hastig mit einem „Oh nein!“, rannte sie zur Küche. Beleidigt blickte Felix ihr hinterher. Reila schüttelte nur den Kopf: „Ich habe dir doch gesagt: Schonend mitteilen!“ „Was gibt’s denn?“, fast getraute ich mich nicht zu fragen. Reila zuckte mit den Schultern: „Dörrfleisch auf Brot mit Käse überbacken. Nichts, was auch nur irgendwie schiefgehen könnte. Und das stammt alles aus unseren Fressalien.“ „Nur das Salz nicht!“, erhob Felix Einwand. Fragend und zweifelnd zugleich blinzelte ich Reila schief an. Sie zuckte erneut mit den Schultern: „Du magst es doch eh etwas salziger oder etwa doch nicht?“ Tante Emmi kam mit dem Essen zurück: „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es sieht lecker aus. Aber… Wo habt ihr den Käse gefunden? Ich hab doch keinen mehr.“ „Das sind alles Leiras und Reilas Vorräte!“, petzte Felix. Fassungslos blickte sie zwischen uns hin und her: „Ihr müsst doch nicht eure Vorräte aufwenden! Wenn ich sage, ich bekoche euch, dann tu ich es auch!“ Mit beruhigender Handgeste erklärte ich: „Sie wollten nur, wenn sie es vermasseln, dass es nachher nicht deine Vorräte sind, die weggeschmissen werden.“ Enttäuscht schaute sie Felix an. Dann stellte sie das Tablett mit dem Essen auf den Tisch mit einem „Dann lasst uns essen. Dafür bekommt ihr von mir noch Vorräte!“ Wir setzten uns an den Tisch. Schnell nahm sich Felix das einzige Brot mit Extrakäse. Er lief langsam und zäh über seine Finger. „Felix! Stell es ab! Es isst dir schon keiner was weg. Und wenn es nicht reicht, koche ich noch schnell etwas.“ „Nein!!!“, Felix verzog die Mundwinkel und kurz darauf rutschte schon die erste große Portion in den gierigen Kindermund. Es war so viel, dass er kaum den Mund wieder zubekam. Aber weniger durfte ja nicht rein. Wir Frauen kicherten. Emmi verschwand in der Küche, während ich das Mittagsmahl genoss. Es schmeckte anders, als alles, was ich bisher gegessen hatte. Vom Salz ging es aber so grade. Emmi aß nicht mit. Die gesamte Zeit war sie in der Küche. „Emmi? Für dich sind noch zwei Scheiben Brot übrig!“, rief Reila. Ich beugte mich vor und flüsterte: „Wir müssen los, bevor die Soldaten zurück kommen.“ Sie nickte. Felix war wieder neugierig: „Was denn? Was denn? Ich will mit flüstern!“ Reila schob ihn unsanft mit einem: „Nichts für kleine Jungen!“ weg. „Och Manno.“ Er fing an wieder kindlich zu schmollen. Dann kam Emmi rein. Sie sah traurig aus: „Ihr wollt los, oder? Das habt ihr doch geflüstert.“ Ich nickte. „Es muss sein. Wir müssen noch etwas finden. Wenn wir es gefunden haben, werden wir auch nicht mehr gesucht werden.“ Sie nickte wissend. „Euren Rucksack habe ich in zwei Kleinere aufgeteilt. Jeder Rucksack ist ausgestattet mit einer Ersatzgarnitur Wäsche, sowie einem zusätzlichen Nachthemd, etwas zu Essen, zwei Wasserbeutel, einem Feuerstein, einer Kerze. Reilas Rucksack hat ein paar Pfannen und Besteck drinnen, in Leiras Rucksack sind ein Topf, auch Messer und Gabel, und sogar ein Kompass. Über den Rucksäcken sind jeweils zwei Decken, die zusammengenäht sind. Wie ein großer Schlafsack. So können Insekten nur an einer Naht hineinkommen.“ Reila und ich staunten mit offenem Mund und waren beide sprachlos. „Ach, und Kamm und Waschzeug ist für jede vorhanden. Mehr hab ich leider nicht.“ „Emmi! Das ist mehr, als wir je gedacht haben!“, rief ich erfreut. „Wie können wir dir nur dafür danken? Wir stehen tief in deiner schuld!“ Sie winkte ab. „Nein. Ihr wisst gar nicht, wie tief wir in eurer Schuld stehen. Die Räuber hätten uns vermutlich als nächstes überfallen. Durch die Soldaten, die nur hier sind, um euch zu suchen, können sie aufgehalten werden. Ich wünschte mir, der Krieg wäre zu Ende und unsere Männer kämen alle wohlbehalten zurück.“ Ihr liefen langsam Tränen über die Wangen. Ich schluckte. Ich konnte ihren Schmerz nachfühlen. Doch ihrer enthielt mehr Hoffnung, als Bangen. „Und nun ab mit euch! Bevor ich euch nicht mehr ziehen lasse! Die Pferde sind gesattelt. Es sind alte. Niemand wird sie vermissen.“ Reila rannte in die Küche. Ich umarmte Emmi. „Danke für alles! Ich wird dich nie vergessen“, hauchte ich in ihr Ohr: „Und wenn ich den Mann mit den kleinen Füßen finde, dann schick ich ihn zu seiner Frau zurück.“ Da lachte Emmi endlich wieder. „Ja, tu das bitte.“ Reila kam mit den Rucksäcken raus. „Die sind ja echt fantastisch!“, lobte sie diese. Ich nahm ihr den Rucksack mit den Töpfen ab und schwang ihn auf den Rücken. Er war schwer, doch wenn man bedachte, was alles enthalten war… Wir ritten, so schnell es ging, vom Dorf weg. Lange hörte ich noch das Abschiedsweinen von Felix in meinem Ohr: „Wenn ihr wieder kommt, bin ich ein Mann, dem du gestattest dich in der Badewanne zu sehen!“, versuchte er zu witzeln. Ich hatte ihn nur stumm über den Kopf gestreichelt und war nun am beten, dass er niemals in den Krieg müsse und auch, dass seine Mutter noch lebte. Wir sahen auf einem Hügel Soldaten, die wieder zu dem Dorf ritten, mit zwei zusätzlichen Pferden. Das waren wohl Überlebende. Hoffentlich war Felix Mutter darunter. Wir verschwanden hinter den Hügeln. Es waren, trotz des Alters, gute und schnelle Tiere. Sie wurden vermutlich noch für die Zucht verwendet. Als der erste Stern aufging, machten wir halt. Wir hatten extra zwei Dörfer ausgelassen. Es war angenehm auf der Decke zu liegen. Eine Seite war mit Schaffell gepolstert, die kürzere, drüber genähte Decke war eine einfache Wolldecke. Ich schaute zum Himmel und genoss die wolkenlose Nacht und die innige Ruhe. Nun waren wir endlich nicht mehr Flüchtlinge, die Angst vor jeder Begegnung haben mussten. Reila machte sich stattdessen voller Vorfreude über die Rucksäcke her. „Hey! Lei! Hier ist sogar ne Karte!“, rief sie mit einem Papier hochhaltend zu mir rüber. Ich würdigte sie keines Blickes. Es war einfach zu schön wieder einen Sternenhimmel ohne Angst zu sehen. Sie tolerierte es und summte irgendwelche, mir unbekannten Lieder, während sie weiter kramte. Ich musste kichern. Es erinnerte mich daran, wie ich war, als Erwin mir einen Wanderrucksack schenkte, in dem viele neue interessante Sachen enthalten war. Teilweise kannte ich sie damals noch nicht. Wie Nadel und Faden. Es war mein einziger Rucksack geblieben, bis wir in Tawaro gefangen genommen wurden. Ja, bis dahin hatte ich ihn immer bei mir. Aber sobald wir den Prinzen gefunden hatten, würde ich ihn zurückholen! Dieser und die Karte waren immerhin die einzigen Sachen, die mir von Erwin geblieben waren. Ich kroch in den Schlafsack und wechselte meine Kleidung zum Nachthemd. Es war schön, auf der Seite, auf der man lag, ein Fell zu haben. Schnell schlief ich ein. Ein Kreischen mit meiner Stimme! Erschrocken fuhr ich hoch. Instinktiv wusste ich schon, dass es Reila war. Wo ist sie? Ich drehte mich um. „Lei! Es war schon wieder da!!“, flennte sie. Tränen kullerten über ihrem angstverzerrten Gesicht. „Was?“, fragte ich erschrocken. Soldaten? Das konnte nicht sein. Ich eilte zu ihr. „Dieses Mini-Fliegenvieh!“ Mini-Fliegenvieh? Fragend blickte ich sie an. „Na… ja… du weißt schon… das Vieh mit dem Mini-Menschengesicht!“ Irgendwie sprach sie immer mehr in Rätseln. Verzweifelt hielt sie sich bei mir fest: „Das vom Wald! Bevor wir Felix fanden! Das was Felix auch schon gehört hatte!“ „Die seltsamen Wesen mit Flügel? Wo ist es denn?“ Sie zeigte verängstigt zitternd auf ihren Rucksack. Ich erschauerte. Da bewegte sich wirklich etwas drinnen. Sie hatte ihn zwar zugemacht, aber irgendwas lebendiges wehrte sich dagegen eingesperrt zu sein. Langsam pirschte ich mich an. Reila versteckte sich in ihren Schlafsack. Ich nahm den Rucksack und öffnete ganz langsam die Kordel. Da kam urplötzlich etwas raus und meckerte mit einer leisen Stimme. Zu leise, als dass ich auch nur ein Wort verstand. Es flog hin und her und ließ kaum einen Blick zu. Es hatte Flügel. Arme und Beine auch, wie Reila gesagt hatte. Und irgendwas Knatsch-Grünes. Es hielt nicht still, sondern flatterte immer hin und her. Verwirrt versuchte mein Blick ihm zu folgen. „Was sollte das? Was fällt dir, niedriges Wesen, überhaupt ein?“, vernahm ich plötzlich eine zornige Stimme. Noch immer überrascht versuchte ich die Sache klar zu stellen: „Also eigentlich wollte ich dir nur helfen. Du kannst gerne wieder in den Rucksack. Ich habe dich nicht eingesperrt, nur raus gelassen. Und…“, noch bevor ich weiter sprechen konnte, wurde ich von einem wütendem Stimmchen wieder unterbrochen: „Wieder in das gefährliche Höllenteil da? Bist du von Sinnen? Ich bin Prinz Valentinchen!“ Ich schaute schnell auf das Amulett Nein, leider leuchtete es nicht. Was eigentlich klar sein müsste. Ich seufzte. Reila hatte also doch recht. Das würde sie mir bestimmt die nächsten Tage vorhalten. Sie lag weiterhin verängstigt in ihrem Schlafsack. Nicht mal ihre Augen waren zu erkennen. „Wagt ihr es etwa, so zu tun, als ob ihr mich nicht höret!“, brüllte es erneut. „Prinz. Ich habe euch da raus geholt. Nicht reingesteckt!“ „Schweigt! Was fällt euch ein mich anzulügen!“ Ich schaute ihn wütend an. Zumindest versuchte ich es. Es war recht schwer. Kaum hatte ich ihn auf der einen Seite gesehen, war er schon auf der Nächsten. „Wieso seid ihr der Meinung, ich sei es?“ „Na! Weil ich es doch höre! Jeder Mensch hat eine einzigartige Stimme für uns Feen!“, behauptete der kleine Wicht. Da lachte ich schallend auf. Als ich mich wieder gefasst hatte, bemerkte ich einen wütenden Blick. Ich kicherte noch ein wenig: „Reila? Wärst du so lieb etwas zu sagen?“ Aus den Weiten des Schlafsackes ertönte nur ein kurzes und bestimmendes: „Nein!“ Da blieb das fliegende Wesen erstaunt auf einem Platz und ließ mich ein Blick erhaschen. Mit offenem Mund stand er in der Luft. Die grünen Haare sträubten sich in alle Richtungen. Das Feen-Gesichtchen war kunterbunt bemalt. Doch es wirkte eher natürlich. Einen kleinen winzigen Anzug in Blattgrün hatte er an und dazu runde braune Stiefel. Die spitzen Ohren standen ein wenig vom Kopf ab. Total verblüfft mit weit aufgerissenen Augen ertönte ein vorsichtiges: „Wie ist das möglich? Selbst bei Zwillingen klingt es für uns Feen anders.“ Ich kicherte erneut. „Sie heißt Reila und meinte, dass sie durch Magie zu mir kam.“ Ich fing an sie nachzuäffen: „Du und ich, wir zwei sind eins!“ Nun starrte mich das kleine Männchen an. Es dauerte eine Weile. „Ich muss mich setzen.“ Er ließ sich am Boden nieder. Nun konnte ich auch die hellblauen, kaum wahrnehmbaren Flügel sehen. Sie sahen faszinierend aus. So wie Eis, nur viel, viel dünner. „So ein Zauber dürfte nicht existieren. Das darf es nicht geben. Zwei Wesen… müssten zwei sein. Das erste Mal, wo ich euch sah, habe ich schon bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Aber das… Zwei Wesen müssen zwei sein!“, grübelte er. Mich beschäftigte aber etwas anderes. Neugierig beobachtete ich das kleine Männchen. „Prinz? Wenn ihr uns schon in dem Wald bei Kolim beobachtet habt, wieso seid ihr dann hier?“ Da fing er an zu grummeln. „Das geht euch nichts an. Ich verschwinde wieder.“ Grade als er das sagte, war er weggeflogen. Ich konnte nicht mal mit den Augen verfolgen, wohin. „Was war das denn?“ „Ist es weg?“, frug Reila vorsichtig. Es klang fast so, als würde sie weinen. Ich schaute mich noch mal um, bevor ich antwortete: „Scheint so.“ Immer wieder um mich schauend legte ich mich dann doch wieder schlafen. Doch zwei Fragen beschäftigten mich noch: die Erste, warum es uns verfolgt hatte und die Zweite, was es mit den Stimmen und Zaubern meinte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)