Verkehrtes Ich von Sains ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Ich nahm Reilas Hand weg und flüsterte: „Was ist denn los?“ Sie schaute mich traurig an: „Die Soldaten sind im Dorf. Sie fragen überall nach uns. Angeblich hat einer der Nachbarn die zwei Pferde gesehen und ausgesagte, dass Zwillinge mit Felix zu Emmi gingen. Sie durchsuchen momentan alles. Felix ist mit hier drinnen, sodass wir uns im Notfall in der Wanne verstecken können und er so tut, als ob er grade in die Wanne steigen will. Wir müssen leise sein und sollten so wenig wie möglich reden.“ Und wer sagte uns, dass Emmi uns nicht verraten würde? Ich schaute Reila zweifelnd an. Sie lächelte wehmütig. „Alles wird wieder gut, ich bin ein Beschützer!“, erklärte Felix eifrig und starrte wieder meinen Körper an. „Wo schaut ein Beschützer hin?“, feixte Reila. Ertappt drehte er sich wieder zur Tür um. So saßen wir also in der Klemme. Ich wollte aufstehen und mir was anziehen, da drückte Reila mich wieder runter. Zornig schaute ich sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf und flüsterte mir ins Ohr: „Das ist zu laut. So kriegen sie es mit.“ Ich flüsterte zurück: „Und woher wissen wir, dass sie hier nicht suchen?“ „Tante Emmi sagte, ich solle baden gehen, solange die Wachen nicht da sind. Die Wachen sagten, sie kommen nicht ins Bad. Wenn doch, wäre das gaaaaanz gemein.“, der Junge schniefte: „Ich will nicht, dass sie mich nackt sehen. Aber Tante Emmi meinte, ich brauche nicht mitkriegen, was sie machen.“, er schniefte wieder. Ich verstand das. Es hörte sich zwar wie ein Selbstgespräch an, aber war als Antwort gedacht. „Wieso darf ich nicht mitkriegen, was die machen?“, fing er nun an zu protestieren. „Ob die Babys machen?“, fragte er sich und von außen ertönte ein: „Ganz bestimmt nicht!“ Es war nicht die weibliche Stimme von Emmi, sondern die markante kräftige Stimme eines Mannes. Ich schluckte und nickte vorsichtig. „Aber ihr kommt nicht rein, oder? Ich bin nämlich nackt und sogar Papa hat nie mein erstes Haar gesehen!“, rief der Junge als ob er sich schämte. Da ertönte schallendes Gelächter außerhalb und wütend antwortete der Mann: „Nein, ich komm nicht rein! DAS will ich nicht sehen!“ Ich hielt schnell Reilas Mund zu, bevor wieder so etwas herauskam, wie im letzten Dorf und sie wieder alle auf uns aufmerksam machte. „Gut.“, rief der Junge noch, dann machte er mit den Händen Geplätscher. Und wupp, starrte er mich wieder an. Reila reichte mir endlich vorsichtig ein Handtuch, dass ich dann um meine Brüste wickelte und flach streifte. Es ging so grade bis zum Beinanfang. Der Junge schaute mich enttäuscht an. „Du hast mehr gesehen, als jeder andere Junge in deinem Alter“, flüsterte ich ihm so leise wie möglich ins Ohr. Er zeigte sein Einverständnis durch ein breites Grinsen und einem schnellen Nicken. „Sogar Mami hat mich nie baden gesehen.“, rief Felix wieder. Man hörte daraufhin draußen nur lautes Stampfen. Die Soldaten traten wohl den Rückzug an. Ich streichelte ihm über den Kopf. Wir waren eindeutig außer Gefahr. Felix starrte noch eine Weile meine Beine an. Die Hoffnung schien zuletzt zu sterben bei ihm. Meine Haut fing schon an sich zu schrumpeln und weiß zu werden. Ich war eindeutig schon zu lange im Wasser. ‚Bald würden mir Schwimmflossen wachsen‘, überlegte ich. Irgendwann fing es an dunkler zu werden. Reila zündete zwei Kerzen an. Die Zeit war einfach nicht tot zu schlagen und Hunger hatten wir alle mittlerweile auch. Die paar Kekse vom Mittag hielten nicht lange vor. Felix war es auch schon längst langweilig geworden. Seine Hand streife schon eine ganze Weile im Wasser herum. Sein Blick dagegen blieb standhaft auf das Ende des Handtuchs gerichtet. Dann stand er plötzlich auf: „Das hört sich ja nach Pferden an.“ Ich horchte auf, doch ich vernahm selber nichts. Er stieg mit den Füßen in die Wanne und machte sich lang um das Fenster zu erreichen und starrte hinaus. „Ja, das sind Pferde. Da reiten sechs Pferde wieder weg.“ Dann vernahm ich, dass jemand schnell ein die Treppe herauflief. „Felix, die Soldaten sind weg. Ihr solltet aber hier oben bleiben. Dass, wenn sie wiederkommen, euch nicht direkt sehen.“ Innerlich jubelte ich, stand auf und schob Felix die Tür hinaus. Endlich konnte ich mich anziehen. „Warte.“, brüllte Emmi. Waren die Soldaten wieder da? Die Tür ging auf. „Hier sind ein paar Kleider. Ich hoffe sie passen dir und Reila.“, sie gab mir ein Stapel Wäsche. Stolz präsentierte sich Felix: „Ich hab ihr eure Namen gesagt! Ich hab sie mir gemerkt.“ Ich lächelte ihn an. „Habt vielen Dank.“ Als die Tür zu war, kleidete ich mich an. Es war eine schwarze Lederhose, die wie angegossen passte. Und ein weißes Hemd mit Weste. Sie waren beide an der Brust deutlich zu klein und spannten. „Sehe ich etwa so fett aus?“, protestierte Reila. Ich schaute zu ihr. Sie hatte eine Hose bekommen, die etwa zwei Nummern größer war als meine. Ich kicherte: „Scheinbar hast du zu viel Kandiertes gegessen.“ Sie schmollte: „Frechheit!“ Ich ging hinaus und bekam sogar Schuhe. „Ich hab sie angefertigt, als die Soldaten da waren und hab behauptet, dass ich sie auf dem Markt verkaufen wolle.“, erklärte sie feierlich. Ich nahm ihre Hände: „Emmi, ich weiß gar nicht, wie ich dir danken kann!“ Sie lächelte, drückte meine Hände ebenfalls: „Das ist für die Rettung meines Neffen, ich habe euch doch gesagt: Ich werde euch verwöhnen. Außerdem kann ich mir bei so netten Mädchen, wie euch, einfach nicht vorstellen, dass ihr grausame und eiskalte Attentäter seid.“ Reila lachte herzhaft: „Das ist ja mal ein geiles Gerücht. Ich hatte noch nie eine Waffe in der Hand. Das Erste war die Schaufel. Hattest du das gesehen, Felix? Wie gut ich mit der Schaufel umgehen konnte? Wie eine Attentäterin?“ Da lachte Felix schallend: „Ganz bestimmt nicht! Ich muss dir heute Abend noch zeigen, wie man sie hält! Bevor du wieder so chaotisch damit herum schlägst.“ Die beiden feixten noch ein wenig herum, während Emmi mich fragend ansah. Ich erklärte hastig: „Als wir Felix fanden, kamen die Räuber wieder. Um fliehen zu können, mussten wir uns wehren, ich mit der Mistgabel und Reila mit der Schaufel. Und sie…“ Ich überlegte nach dem richtigen Wort, als Felix rief: „Radikal unwissend mit dem Umgang einer Schaufel! So hat Papa es genannt, als Mami mal versuchte die Schaufel zu benutzen. Aber… Aber sogar Mami bekam es besser hin als Rei!“ Er lachte so heftig, dass sich sogar Tränen bildeten. Kurz darauf ging es in ein Weinen über. „Wieso… Wieso hatte Mami, als die Räuber kamen, keine Schaufel in der Hand? Wie Rei?“ Emmi nahm ihren Neffen in den Arm, hob ihn an und brachte ihn in ein Zimmer: „Ich komme gleich wieder.“, sprach sie an uns gewandt. Reila zuckte mit der Schulter. Ich ging den beiden hinterher, blieb aber in der Tür stehen. Felix weinte sich noch ein wenig an Emmis Schulter aus. Irgendwann war er wieder eingeschlafen. Emmi deckte ihn zu, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und ging heraus und schloss die Tür. „Es wird etwas dauern, bis er den Verlust seiner Mutter verkraftet. Die Soldaten reiten vorerst in sein Dorf und schauen, ob es da Überlebende gibt. Ich bete darum, auch wenn ich es bezweifle. Ihr ward ja nicht in seinem Haus, sondern nur in der Scheune. Das sagte zumindest Reila. So gibt es doch noch ein wenig Hoffnung.“ Ich nickte und hoffte mit ihr. „Was ist mit den Männern? Wir haben dort keinen gefunden.“ Wir gingen in das Nebenzimmer. „Die sind alle im Krieg. Mein Mann auch. Es ist so grausam und beängstigend. Die Räuber sind vermutlich Deserteure… Vermuten zumindest die Soldaten. Ich bringe euch nun etwas zu essen.“ Ihre Laune war genauso traurig wie unsere. Sie brachte uns zwei große Schüsseln mit Eintopf. Es schmeckte sehr gut. „Für einen Zehnjährigen hat er aber sehr nah am Wasser gebaut.“, lächelte ich. Emmi sah mich verwundert an: „Von wem sprichst du?“ Ich erwiderte ihren Blick: „Felix?“ Emmi schüttelte hastig den Kopf: „Wo denkst du hin? Na gut, er ist etwas größer und reifer als andere Jungen in seinem Alter, aber er ist erst Anfang sieben.“ Ich schaute sie baff an. „Ne, oder?“ Ich hatte ihn immer für zumindest acht gehalten. Da lachte Emmi herzhaft: „Nein, nein. Er ist wirklich sieben Jahre alt.“ „Na gut, für das Alter ist es eher normal, dass man noch zur Mami will.“, gestand ich ein. „Aber etwas anders.“, meinte Emmi plötzlich ernst: „Wenn ihr so weiter reist, findet man euch sofort!“ Ich schaute sie überrascht an: „Ja, aber hier bleiben, können wir auch nicht.“ Sie lächelte traurig: „Ich muss zugeben, ich habe lange mit den Gedanken gespielt. Es wäre nicht so einsam und ich bräuchte weniger Angst vor Räubern zu haben. Ihr beide seid Frauen, die direkt handeln, ohne sich zu fürchten. Aber ich gebe dir Recht Aber… da ihr gesucht werdet, ist es wahrlich unmöglich und würdet uns auf Dauer mehr Kummer bringen, als ihr abwenden könntet. Ich meinte eigentlich, dass wir euch tarnen sollten.“ „Tarnen?“, hakte ich nach: „Wie denn?“ Sie lächelte amüsiert: „Na ja, ich bin so etwas wie Friseurin. Hobbymäßig. Davon allein kann man auf dem Land nicht leben. Aber wenn Hochzeiten oder so in der Umgebung stattfinden, dann kommen die Leute immer zu mir.“ Entsetzt schaute ich sie an: „Ich bezweifle, dass es mit Haare schneiden allein getan ist!“ Nun fing sie an amüsiert zu kichern: „Warts ab. Ich kann nicht nur Haare schneiden.“ Dann ging sie mit einem „Eine erholsame Nacht wünsche ich euch beiden“ hinaus und ließ uns unwissend zurück. Sie hatte sich einen Spaß draus gemacht uns zu irritieren. Was sie wohl meinte? Als wir am nächsten Morgen früh runter gingen, waren wir um kein Wissen reicher geworden. „Guten Morgen.“, begrüßte sie uns, während sie in zwei Farbeimern herum rührte. Wir grüßten zurück. „Wann bist du denn aufgewacht?“, fragte ich neugierig. Sonst war ich immer die Erste, die kurz vor Morgengrauen aufstand. Sie kicherte: „Felix schläft noch. Ich war die ganze Nacht wach und habe daran gearbeitet.“ Sie zeigte mit ihrem Kinn auf die Eimer. Ratlos sah ich sie an. „Aha. Und was ist das?“, kam mir Reila zuvor. Emmi machte sich wirklich einen Spaß daraus: „Wartet´s ab! Da vorne sind zwei Tücher. Legt sie um den Hals, sodass sie über eure Brust, Schulter und Rücken fallen.“ Wir taten, wie uns geheißen. Es waren schwarze Tücher mit jeder Menge Flecken. „Nun setzt euch!“, befahl sie. „Ich mach jetzt den ersten Teil, dann müssen wir zwei Stunden warten, dabei kann man gut essen. Und dann schneide ich nur die Spitzen ein wenig ab. Und kürze den Pony.“ Meine Augenbrauen verdichteten sich zweifelnd. Ob das eine gute Idee war? Emmi fing mit Reila an. „Den Kopf ein Stück zurück.“ Reila protestierte nicht. Sie war ganz still. Auch als Emmi mit einem Schöpflöffel aus dem Eimer eine dunkle zähflüssige Brühe schöpfte und langsam auf ihrem Kopf verteilte. „Ich wollte schon immer mal die Haare gefärbt kriegen. Allerdings dachte ich an ein knallrot!“ Ich schaute sie überrascht an. Man konnte sich die Haare färben? Emmi lachte auf: „Ja, aber dann sieht man zu deutlich, dass sie gefärbt sind. Das hier ist eine Spezialmischung. Die Farbe lässt sich nicht herauswaschen und so sieht die Haarfarbe wie echt aus und hinterlässt keinen Film ab dem zweiten Waschen.“ „Echt? Ich dachte die Farbe wäre immer spätestens beim dritten Waschen raus?“ „Ja, die Farbe, die man normalerweise nimmt. Aber diese hier ist wirklich speziell. Zweimal im Jahr mach ich das bei mir, um die Haaransätze neu zu haben. Eigentlich bin ich goldblond.“ Ich blickte sie überrascht an. Das Braun wirkte so natürlich. Sie massierte Reila die Flüssigkeit in die Haare ein. „Da bin ich ja überrascht, wie es aussehen wird!“ Emmi lachte wieder: „Anders als bei deiner Schwester. Weil man nach Zwillingen sucht, dachte ich, es ist einfacher für euch, wenn man euch nicht als solche erkennt.“ Ich schluckte. Sie war gut. Wir hatten echt Glück. „So fertig. Einfach sitzen bleiben. Ich wasche mir die Hände, dann mache ich Leiras Haar. Das wird ein wenig komplizierter.“ Ich schaute sie überrascht an: „Wieso?“ Sie lachte: „Weil du zusätzlich Strähnchen bekommst. Bei schwarz ist alles Ton in Ton. Bei einem natürlichen rot-braun keineswegs. Ein paar Strähnen sind dunkler, ein paar sind heller. Und es soll ja so natürlich, wie nur möglich wirken!“ Ich nickte. Als sie zurück war, erklärte sie mir, dass sie zuerst mit einer etwas dunkleren Farbe das Haar grundieren und dann Strähnchen für Strähnchen bleichen würde. Ich verstand kaum ein Wort, auch den Sinn irgendwie nicht. Das, was sie bei Reila gemachte hatte, nannte sie grundieren. Und bei mir zog sie mit einem Pinsel ungefähr eine Stunde lang irgendwelche Haare nach. „Uhhhh… Leira, du wirst toll aussehen!“, schwärmte Reila. Ich sah sie ein wenig verängstigt an. Ich begriff das irgendwie kaum. Noch nie hatte ich davon gehört, dass man Haare färben kann. Als sie fertig war, war Felix grade aufgestanden. „Wo ist Mami?“, fragte er verschlafen. „Bleibt bitte beide sitzen und bewegt euch so wenig wie möglich!“, sprach Emmi zu uns und rannte dann zu Felix. Sie nahm ihn wieder mit hinauf. Es war langweilig da zu sitzen und nichts zu tun. Aber ich konnte mir ausmalen, was Emmi mit Felix besprach. Als sie wieder herunter kam, nahm sie Reila mit ins Bad. „Da geht es weiter! Die zwei Stunden nun ja durch Leira und Felix vergangen.“, erklärte sie zu Reila und sprach zu mir gewandt: „Du musst leider noch sitzen bleiben. Ich kann mich immer nur um einen kümmern und deine Haare brauchen eh noch, bevor ich sie ausspülen kann.“ Also wieder warten, dachte ich nur. Felix kam mit rot geschwollenen Augen wieder herunter. Er war umgezogen und hatte die Haare gewaschen. „Du siehst witzig aus!“, bemerkte er. „Wie Tante Emmi, wenn sie wieder mit ihren Haaren Murks macht. Einmal hatte sie die grün, wie Waldmeisterwackelpudding.“ Ich lachte: „Wirklich? Knatsch grün?“ „Jaaa! Und die standen sooo weit weg!“, feixend nahm er seine Hände schräg über den Kopf um zu demonstrieren wie weit. „Und Blumen waren da drinnen!“ Ich musste lachen. „Wann war das denn?“ „Na, zu der Hochzeit von Onkel Jakob! Vor einem halben Jahr.“ So vertrieb mir Felix die Zeit. Er erzählte und plauderte von Tante Emmi und ihren schrägen Frisuren. „Sie sagt immer: Ein Friseur muss demonstrieren, was er kann. Sonst kommt keiner. Und je seltsamer und abwegiger das ist, desto mehr Kunden kommen. Einmal hatte sie sogar gaaaaanz viele Locken. Mehr Locken als Haare und die waren so Gelb, wie die Sonne.“ Ich musste die ganze Zeit immer wieder lachen. Dann kam Reila runter. Als ich sie sah, war ich sprachlos. Schulterlange glatte schwarze Haare. Dazu sogar die Augenbrauen schwarz. Und statt der vorherigen blauen Augen, waren diese leicht grünlich. Sie hatte nur noch die Gesichtsform von mir. Sonst war sie nicht mehr als mich zu erkennen. Ich schluckte vor Faszination. Doch das verging schnell: „So, Leira! Nun bist du dran!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)