Verkehrtes Ich von Sains ================================================================================ Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Eine Wolke streifte den Mond. Ein düsterer Schatten entstand und ging über die Welt. Demotiviert stand ich am See und schaute zum Himmel hinauf. Reila war grade dabei sich im See zu waschen von ihrem nächtlichen Vergnügen, bevor sie gestört wurde. Der See war riesig. Er reichte weiter, als das Auge sehen konnte. Auf Anhieb hatte er drei Ausläufe, wodurch man nicht sehen konnte, wie weit er noch reichte. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Wir waren auf der Flucht und ich hatte keine Ahnung, wo wir waren. Wo konnte das nur hinführen? Und die Orientierungs-losigkeit war nicht mal unser größtes Problem. Nein! Das was unser Erscheinungsbild: Reila in Dessous und ich im Nachthemd. Ich verzweifelte. Reila dagegen schien sich wohl zu fühlen. Wie am Anfang, als wir vom Hexenmeister weggingen. Sie kam zu mir und merkte meine tiefe Verzweiflung, denn sie fragte: „Was ist los? Sieht doch gut aus. Wir müssen nur noch den Prinzen finden.“ Ich rollte verächtlich mit den Augen. Wie konnte man nur so optimistisch und naiv sein? „Wir müssen uns eher etwas überlegen, wegen unserem Aussehen, und uns um eine Orientierung kümmern.“ Reila fing an zu grummeln: „Wir müssen weiter, oder?“ Sie konnte schon sehr launisch sein. Ich seufzte. Wir gingen den See entlang. An so einem großen See gab es bestimmt ein Dorf oder eine Stadt. Ich hätte wetten können, dass es das gibt. Wir hatten es nicht mehr so eilig. Als die Sonne am Horizont aufging, merkten wir, dass wir Richtung Süden gingen. Das Morgenlicht färbte den See blutrot. Ich staunte nicht schlecht: Wie schön und unverfälscht die Natur sein konnte. Ich schaute öfters zu Reila, doch immer, wenn sie meine Blicke wahrnahm, schwenkte ich meinen Blick wieder auf die Natur. Sie war seltsamer als sonst. Teils munter und zum anderen Teil angespannt. Ihre Schultern versteiften sich. Doch ihre Mimik, ihr Lächeln strahlten Fröhlichkeit aus. Erst gegen Mittag entdeckten wir Spuren von anderen Menschen. Etwas vom See entfernt sahen wir Rauch aufsteigen. Reila wurde auf einmal ernst. Sie gab mir ein Zeichen und wir schlichen uns an den Ursprung des Rauches heran. Etwa fünf Minuten später erkannten wir, dass es sich dabei um ein Haus handelte. Wir versteckten uns unauffällig hinter einem der unzähligen vielen Büsche und beobachteten erst mal die Umgebung. Wir hörten ein Pfeifen, die eine Melodie wiedergab. Ein Kinderlied erkannte ich darin. Kurz darauf bemerkten wir eine Frau, die aus der Haustür kam. Sie war etwas mollig und trug einen Korb vor ihrem Bauch, der Unmengen Kleidungsstücke enthielt. Sie pfiff die Melodie vergnügt vor sich hin. Sie hing die Wäsche auf. Es waren ganz unterschiedliche Klamotten: Große Männerhemden, Hosen, Röcke, sogar Unterwäsche, aber auch Kinderkleidung. „Sie muss zwei Kinder haben.“, flüsterte ich erklärend zu Reila. Sie nickte, wohl wissend, wie ich auf diese Theorie kam. Die Frau bewegte sich die ganze Zeit mit einem eleganten Hüftschwung. Und ihre braunen, kastanienfarbigen, lockigen Haare schwangen mit ihrer Bewegung und der leichten Brise mit. Ich spürte Reilas kritischen Blick auf mir ruhen, doch ich ignorierte ihn. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Frau alles aufgehängt hatte. Sie drehte sich um und ging wieder in das Häuschen hinein. „Jetzt oder nie!“, flüsterte ich zu Reila und pirschte mich vorsichtig an die Wäsche heran. Erst von Baum zu Baum, dann zu den Leinen, an denen die Wäsche hing, die mich vor den Blicken der Frau verbarg. Ich musterte vorsichtig die Fenster. Reila war immer noch hinter den Büschen verborgen und mir nicht gefolgt. Die Frau war nicht in Sichtweite. Ich stibitzte ein, zwei, drei Teile und hastete wieder zu den Büschen. Ich hechelte: „Hat sie mich gesehen?“ Reila schaute mich prüfend an. „Was wollen wir mit dem Rock, dem Hemd und der Hose?“, fragte sie mich trotzig. Ich funkelte sie wütend an: „Anziehen?“ Reila verzog angewidert das Gesicht: „Die ist doch nass! Und schon gebraucht!“ Erbost drückte ich ihr das Hemd und die Hose zur Brust. Sie nahm sie widerstrebt an und verzog weiter das Gesicht. Ich schwenkte den Rock um. „Lass uns gehen!“, flüsterte ich wütend zu ihr. Sie nickte. Wir drehten uns um und erschraken. Wir schauten direkt in die Augen eines neugierigen Kindes, das vermutlich die ganze Zeit hinter uns gestanden hatte. Wir schauten uns gegenseitig fragend an. Was es wohl mitbekommen hatte? Das Kind war ein kleiner Junge von maximal zehn Jahren, der uns immer noch neugierig mit großen Augen anstarrte. Er sagte nichts, stand nur so da. Ich bekam Angst. Würde er gleich losschreien? Reilas Blick wandelte sich zu einem finsteren Lächeln und mit einem fiesen Unterton fragte sie neckend den Jungen: „Gefällt dir, wie ich aussehe?“ Da errötete der Junge sofort. Seine eine Hand ging wirr zu seinem Haar, das dieselbe Farbe, wie das der Frau, hatte. Es dauerte kurz, bis er nickte: „Meine Mama sieht so nie aus. Ihre Beine sehe ich nie so… weit…“ Mit der anderen Hand fuchtelte er in die Richtung Reilas Oberschenkel. Er war schrecklich nervös und peinlich berührt. Aus Reilas Lächeln wich das teuflische. „Deshalb darfst du das deiner Mama niemals sagen. Sonst wird sie ganz traurig und das willst du doch nicht, oder?“ Der Junge schüttelte hastig den Kopf. Reila ging auf ihn zu und streichelte ihm über den Kopf, während sie wieder auf Augenhöhe des Jungen ging. „Weißt du, wieso ich so aussehe?“, fragte sie ihn. Er schüttelte wieder hastig den Kopf. Sie kicherte liebevoll, bevor sie antwortete: „Das liegt daran, dass ich eine Fee bin! Und wenn du jemanden erzählst, dass du mich gesehen hast, dann muss ich wieder in die Feen-Welt zurück. Und das will ich nicht…“ Sie machte ein schmollendes Gesicht. Der Junge antwortete hastig: „Nein! Das würde ich nie tun!“ Reila kicherte wieder: „Und wenn du gaaaanz lieb bist, müsstest du sogar meine Feen-Flügel sehen. Kannst du sie sehen? Oder hast du mal nicht auf deine Mutter gehört?“ Traurig und verzweifelt sank sein Kopf Richtung Boden. Unglücklich, fast den Tränen nahe, antwortete er: „Ich wollte gestern meinen Spinat nicht essen.“ Er schniefte. Reila drückte seinen Kopf an ihre Schulter: „Keine Angst, beim nächsten Mal, wenn wir uns sehen, kannst du sie bestimmt sehen. Aber nur wenn du jetzt lieb bist und mich nicht in die Feen-Welt verbannst.“ Er nickte und genoss eine kurze Zeit die Umarmung. Dann machte er sich los. Schnell rieb er die Tränen aus den Augen, bevor seine Fee sie sehen konnte. Mutig und entschlossen hob er sein Köpfchen und versprach feierlich: „Ich schwöre dir! Ein Schwur eines Mannes! Kein kleines Kind! Dass ich dich nicht verraten werde! Und lieb sein! Bis wir uns wieder sehen.“ Er grinste: „Und dann verrate ich dir, wie ich deine Flügel finde. Aber bevor du die Welt verlässt, musst du noch einmal zu mir kommen!“ „Versprochen!“, besiegelte Reila und drückte ihn noch mal an sich. Er wirkte richtig glücklich und fragte: „Wie heißt meine wunderschöne Fee überhaupt?“ Reila kicherte wieder. Sie nahm den Zeigefinger zum Mund und erläuterte in nur einem Wort: „Feen-Geheimnis.“ Der Junge rannte überglücklich zu dem Haus und rief dabei: „Mama! Mama! Kann ich dir bei irgendwas helfen?“ Reila schaute ihm noch nach. Dann drehte sie sich um: „Komm, lass uns gehen!“, und ging wieder zum See. Ich folgte ihr nachdenklich. So, wie grade, hatte ich sie noch nie erlebt. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut mit Kindern umgehen kannst.“, bemerkte ich. Sie schaute mich entsetzt an: „Ich hasse Kinder!“ Ich rollte nur mit den Augen. Als wir am See waren, zog sie endlich die Hose und das Hemd an. Ich war dankbar, dass die Hose eine Kordel hatte. Die Kleider waren viel zu groß für Reila. Sie wirkte darin, wie ein Kind, dass erwachsen spielen will und die Kleider vom Papa anzieht. Instinktiv fing ich an zu lachen. Das sah wirklich albern aus. Giftig fauchte sie mich an: „Mir gefällt das nicht! Gar nicht! Also hör auf zu lachen! Ich hab das nur an, weil wir sonst nichts anderes haben!“ Ich versuchte das Lachen zu ersticken. Doch es gelang mir nicht gut. Ich entschuldigte mich, doch ihre miese Laune ging dadurch leider nicht weg. Wir gingen weiter den See entlang. Irgendwann schmollte sie nicht mehr und äußerte leise: „Wie sieht’s mit was zu essen aus? Ich habe richtig Kohldampf.“ Ich überlegte. „Willst du etwa in dem See fischen?“ Reila schaute mich überrascht an: „Wie das? Da werde ich auch bis übermorgen nichts gefangen haben mit der Hand. Das weißt du!“ Es machte irgendwie richtig Spaß sie mit dummen Kommentaren zu erzürnen und vertrieb sogar die Langeweile beim Wandern. Ich blieb stehen und schaute mich um. „Was ist?“, fragte sie mich. „Ich hätte schwören können, ich hätte Erdbeeren gesehen.“, meinte ich gedanklich abwesend. Wo waren die nur? „Echt?“, freute sich Reila und ging in den Wald am See und durchforstete den Boden. „Erdbeeren...?“, summte sie immer wieder beim Suchen vor sich hin. Ich setzte mich. Viel gehen war ich zwar gewohnt, aber nicht barfuß. Und es war bestimmt schon Nachmittag. Die Sonne hatte längst den Zenit überschritten. Ich schaute zum Himmel auf. Wie schön blau und klar er war und wie viel Glück wir hatten, dass es nicht regnete. Ich seufzte und ließ mich auf den Rücken nieder plumpsen. „Was hab ich im Leben nur falsch gemacht, dass grade ich in dieser verdammten Situation stecke?“, fragte ich mich laut. Ich seufzte. Im Inneren war mir bewusst, dass niemand diese Frage beantworten konnte. An einen Gott oder ähnliches glaubte ich nicht. Aber ich konnte mich gut erinnern, dass Erwin mich das damals fragte: *Erinnerung* „Glaubst du an einen Gott?“ Ich schaute direkt in seine wiesengrünen Augen. Langsam schüttelte ich den Kopf. Wir saßen auf einer Weide unter einem Olivenbaum. Vor unserem Blickfeld waren Schafe und Ziegen am Gras fressen. Wir hatten den Auftrag auf sie aufzupassen, solange die Bauern ihre Ware zur Front brachten. Erwin kicherte. Ich mochte sein Kichern. „Also ich glaube an einen. Und ich finde es gut etwas zu haben, woran ich selbst in der schlimmsten Situation glauben kann. An jemanden, der weit über mir seine schützende Hand auf mich legt. Dieser Glauben beruhigt mich immer, wenn ich glaube, ich bin verloren.“ Er atmete tief durch, während er nach vorne in den Himmel verträumt blickte. Ich hatte nie an etwas wie einen Gott oder so geglaubt, aber in diesem Moment wollte ich es auch unbedingt. Wenn es Erwin auch tat. „Wie ist dieser Gott denn?“ Da lachte Erwin auf. Es dauerte etwas, bis er sich beruhigt hatte und verträumt meinte: „So richtig weiß das keiner. Aber ich glaube, dass er versöhnlich ist und jedes seiner Schafe hütet.“ *Gegenwart* „Kaum zu glauben.“, sprach ich wieder zu mir selbst, als ich mich daran zurückerinnerte. „Wenn es einen Gott geben würde, hätte er Erwin nicht sterben lassen.“ Ja, als Erwin starb, versiegte auch der Glaube an so einen Gott oder an ein Schicksal. Einige Freunde von Erwin wollten mir erklären dass es Gottes Wunsch wäre, ihn bei sich zu haben oder, dass es angeblich Schicksal sei. Ich wich dem Gespräch darüber aus. Ja, für mich gab es erneut weder Gott noch Schicksal. Reila riss mich plötzlich aus meinen Gedanken. „Was hast du denn? Du guckst so griesgrämig. Dabei hab ich Erdbeeren gefunden!“ Ich schrak hoch: „Erdbeeren?“ Sie nickte feierlich: „Ja. Zwar kleine, aber dafür ganz viele.“ Und präsentierte mir stolz ihre Ausbeute. Wir verspeisten die Erdbeeren. Sie waren richtig lecker und fruchtig: „Das sind Walderdbeeren.“, erklärte ich Reila. „Aha.“, gab sie nur gelangweilt von sich und vernaschte schon die Nächste. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)